4 Kleine Wortarten- und Flexionslehre des Luxemburgischen
„Sätze und andere syntaktische Einheiten sind ja nicht Folgen von Wörtern, sondern von Wortformen. Die Wortformen bilden in einer flektierenden Sprache [...] Flexionsparadigmen [...].“ (Eisenberg 2016a: 18)
124Dieses Grundlagenkapitel ebnet den Weg für eine syntaktisch-distributionelle Analyse. Die Darstellungen sind in erster Linie deskriptiv und beziehen sich auf das synchrone Formeninventar des Gemeinluxemburgischen. Dazu werden die wichtigsten Wortarten, Kategorien und Paradigmen vorgestellt. Die hier vorgenommene Einteilung in flektierbare und nicht flektierbare Wortarten ist in zahlreichen Grammatiken und Nachschlagewerken zu finden und dient als struktureller Leitfaden für das vorliegende Kapitel (vgl. u.a. Pittner & Berman 2004; Dudengrammatik 2006; Eisenberg 2016a). Die genaue Einteilung der Wortarten kann der folgenden Abbildung entnommen werden.
4.1 Substantive
125Das luxemburgische Substantiv ist in Bezug auf Kasus unterspezifiziert, sodass eigentlich nur noch Numerus (Singular, Plural) am Nomen markiert wird (vgl. Bruch 1955: 45f.). Die Genuszuweisung (Maskulinum, Neutrum, Femininum) ist beim Substantiv inhärent. Bei der Pluralmarkierung ist vor allem der Umlaut ein häufig verwendetes Mittel und weist dabei zahlreiche Vokalwechsel auf, wie bei den folgenden Beispielsubstantiven: Daach – Diecher (Mask.) ‚Dach/Dächer’, Rass – Rëss (Mask.) ‚Riss/Risse’, Kou – Kéi (Fem.) ‚Kuh/Kühe’, Duch – Dicher (Neutr.) ‚Tuch/Tücher’ (vgl. auch Nübling 2006a; 2008: 221; Schanen & Zimmer 2012: 101f.).
126Zur Pluralmarkierung stehen die folgenden morphologischen Mittel zur Verfügung:
- Suffigierung (ohne Lautwechsel) mit {-er} oder {-en}: Bësch – Bëscher (Mask.) ‚Wald/Wälder’, Fläsch – Fläschen (Fem.) ‚Flasche/Flaschen’
- Lautwechsel ohne Suffigierung: Rass – Rëss (Mask.) ‚Riss/Risse’
- Lautwechsel mit Suffigierung: Haus – Haiser (Neutr.) ‚Haus/Häuser’
- Null-Plurale: Schwäin – Schwäin (Neutr.) ‚Schwein/Schweine’
- mögliche zusätzliche Konsonantenwechsel oder -elisionen: Bild – Biller (Neutr.) ‚Bild/Bilder’, Frënd – Frënn (Mask.) ‚Freund/Freunde’.
128Die folgende Tabelle zeigt überblicksartig die morphologischen Mittel der Pluralbildung für die eben aufgeführten Beispiele.
Singular | Plural | morph. Mittel | |
Maskulina | Daach | Diecher | Lautwechsel +{er} |
Ecran | Ecranen | Lautwechsel +{en} | |
Neutra | Haus | Haiser | Lautwechsel +{er} |
Schwäin | Schwäin | Ø | |
Feminina | Kou | Kéi | Lautwechsel |
Fläsch | Fläschen | Lautwechsel +{en} |
4.2 Artikel und Pronomen
129In vielen Grammatiken werden Artikel und Pronomen nicht ausreichend voneinander getrennt, dabei sind sie formal und vor allem auch syntaktisch voneinander abzugrenzen. Artikel treten immer zusammen mit einem Substantiv auf und übernehmen dabei mehrere Funktionen: Aus informationsstruktureller Sicht dienen sie dazu, den Referenten näher zu bestimmen, sie zeigen Kasus und Genus an und sie bilden das eröffnende Element einer Nominalklammer (vgl. Ronneberger-Sibold 1994;2010). Pronomen stehen – wie der lateinische Name verrät – anstelle eines Nomens, sodass ein Pronomen im Gegensatz zum Artikel alleine eine NP bilden kann. Eine Übersicht aller Artikel und Pronomen mitsamt ihren Funktionen im Luxemburgischen zeigt die folgende Tabelle (Kategorien und Darstellung angelehnt an Dudengrammatik 2006: 259ff.; Musan 2013: 17).
Funktion | lux. Artikel | Übersetzung | lux. Pronomen | Übersetzung |
definit | den, d’ | der, die | – | – |
indefinit | en, eng, iergendwellech, e puer, vill, munch, all | ein, eine, irgendwelche, ein paar, viele, manche alle | een, keen, jiddwer een, eppes, näischt, villes, alles, munches | einer/man, keiner /niemand, jeder etwas, nichts vieles, alles manches |
demonstrativ | dësen, deen | dieser, der | dëst, dat | dieses, das |
referentiell | – | – | ech, du, hien, hatt, si, mir, dir, si | ich, du, er, es, sie, wir, ihr, sie |
reflexiv | – | – | mech, dech, sech, eis, iech | mich, dich, sich, uns, euch |
reziprok | – | – | Präp.+{-eneen} een deen aneren, sech | Präp.+{-einander}, einer den anderen, sich |
partitiv | där, däers | von diesem/ solche | där/der, däers/es | davon, welche |
possessiv | meng, säin | meine, sein | mäint, seng | meins, seine |
interrogativ | wéi een, wat fir eng | welcher, was für eine | wéi eent, wat, wien, wiem | welches, was, wer/wen, wem |
relativ | – | déi, deen, wat | die, den, was |
130Die funktionalen Bereiche sind mitunter schwierig voneinander zu trennen (definit vs. demonstrativ) oder unklar als Konzept („referentiell“ als Funktion von Personalpronomen). Nichtsdestotrotz zeigt Tabelle 8, dass Pronomen und Artikel in unterschiedlicher Gestalt identische Funktionen ausüben können und sich auch teilweise formal überschneiden.
131Im Folgenden werden nun einige dieser Bereiche näher betrachtet: der definite, demonstrative und indefinite Artikel, Personalpronomen, Indefinita, Possessiva sowie Interrogativa und Relativa. Die ausführliche Auseinandersetzung mit den Partitivstrukturen im Luxemburgischen befindet sich in Kapitel 5.3.
Artikel: definit, demonstrativ, indefinit
132Das Artikelparadigma in der folgenden Tabelle zeigt alle Flexionsformen des bestimmten Artikels in seiner starken (links) und in seiner schwachen Form (rechts).
Maskulinum | Neutrum | Femininum | Plural | |
Nom/Akk | deen20/ den | dat / d’ | déi / d’ | |
Dat | deem / dem / em | där / der | deenen / den |
133Durch die Kasusnivellierung im nominalen Bereich wird die Kasusmarkierung im Luxemburgischen vornehmlich über den Artikel realisiert. Auffällig ist dabei der Formzusammenfall von Nominativ und Akkusativ, wobei die Nominativform durch die Akkusativform verdrängt wurde (Bruch 1955: 44).21 Die Unterscheidung Nominativ vs. Akkusativ besteht nur noch als Tiefenkasus.22 Aus diesem Grund zeigen die meisten der hier vorgestellten Paradigmen zwei Kasusformen: [Nom/Akk] und [Dativ].
134Der starke Definitartikel kann auch die Rolle eines Demonstrativartikels übernehmen. Zur Verdeutlichung können die postnominalen Lokaladverbien hei (‚hier’, nähedeiktisch) oder do (‚da’, ferndeiktisch) hinzugefügt werden:23 dee Bréif hei ass net geduecht fir ze stëppelen ‚der Brief hier ist nicht zum Provozieren gedacht’ oder Wie bezuelt dann déi Rechnung do? ‚Wer zahlt denn die Rechnung da?’.
135Bei deiktischer Referenz kann auch ein „typischer“ Demonstrativartikel verwendet werden: dësen Text ass d’Resultat vu ganz vill Aarbecht ‚dieser Text ist das Ergebnis von sehr viel Arbeit’.24 Das Paradigma ist in der folgenden Tabelle abgebildet.
Maskulinum | Neutrum | Femininum | Plural | |
Nom/Akk | dësen | dëst | dës | dës |
Dat | dësem | dëser | dësen |
136Die Demonstrativartikel sind auf der Formseite identisch mit den Demonstrativpronomen: dëst Zitat kennen ech net ‚dieses Zitat kenne ich nicht’, dëst ass éischter onwahrscheinlech ‚dies ist eher unwahrscheinlich’.
137Der indefinite Artikel lautet im [Nom/Akk] een für Maskulinum und Neutrum und eng für Femininum. Nur die Form {een} verfügt über eine schwache Form. Tritt ein Dativsuffix {-em} an die Grundform im Maskulinum oder Neutrum verändert sich der Stamm von {een} zu {eng}. Im Femininum wird im Dativ {-er} angehängt.
Maskulinum | Neutrum | Femininum | Plural | |
Nom/Akk | een / en | eng | Ø25 | |
Dat | engem | enger | Ø |
138Der starke Indefinitartikel een oder eng ist identisch mit dem numeralen Determinierer ‚eins’. Die schwache Variante en hingegen kann nicht als Zahlwort verwendet werden und existiert nur als unbestimmter Artikel.
139Die unterschiedlichen Funktionen (Zahlwort oder Indefinitartikel) können auch anhand der Satzprosodie festgemacht werden. Zur Verdeutlichung des Satzakzents (durch kontrastive Lesart) werden die entsprechenden Kontexte in Klammern angegeben. Der unterstrichene Teil trägt jeweils den Satzakzent.
140(1)a) Et war just nach eng Fläsch Äppeljus do. (keng dräi)
Es war nur noch eine Flasche Apfelsaft da. (keine drei)
b) Et war just nach eng Fläsch Äppeljus do. (kee Waasser)
Es war nur noch eine Flasche Apfelsaft da. (kein Wasser)
141Eine Besonderheit im Luxemburgischen ist das Einsetzen des Indefinitartikels im Femininum Singular (eng) für pluralische Mengenangaben. Bei Schätzungsangaben für Mengen- oder Zeitwerte besteht die Möglichkeit, den Femininumartikel eng vor ein Substantiv im Plural zu setzen, vorausgesetzt das Nomen wird von einer Kardinalzahl begleitet (vgl. Schanen & Zimmer 2012: 112): eng 300 Leit (‚fast 300 Leute’), eng 10 Minutten (‚circa 10 Minuten’), eng 45 Gramm Marihuana (‚fast 45 Gramm Marihuana’). Wird die NP durch ein Adjektiv begleitet, flektiert dieses nach dem Artikel (Femininum Singular) und nicht nach dem Plural-Nomen: no enger gudder 15 Minutten ‚nach guten 15 Minuten’.
142Das Zahlwort zwee ‚2’ flektiert im Luxemburgischen nach Genus, jedoch nicht nach Kasus (keine Numerusflexion durch inhärenten Plural). Bei Maskulina exisitert noch die (ältere) Form zwéin, die allerdings nach und nach von der Form zwee verdrängt wird (Zusammenfall mit Neutrum).
Maskulinum | Neutrum | Femininum | |
– | zwee (ältere Form: zwéin) | zwee | zwou |
Personalpronomen
143Das Flexionsparadigma der Personalpronomen gliedert sich nach drei Personen (1.,2.,3.), drei Kasus (Nominativ, Akkusativ, Dativ), zwei Numeri (Singular, Plural) und die Formen der dritten Person Singular zusätzlich nach Genus (Maskulinum, Neutrum, Femininum). Viele Formen verfügen über eine starke und schwache Variante (zur Vertiefung und Problematisierung der Kategorien vgl. Kapitel 6).
Num. | Pers. | Genus | Nominativ | Akkusativ | Dativ |
Sg. | 1. | – | ech | mech | mir / mer |
2. | – | du / de | dech | dir / der | |
3. | Mask. | hien / en | him / em | ||
Neutr. | hatt / et / ‘t | ||||
Fem. | si / se | hir / er | |||
Pl. | 1. | – | mir / mer | eis~ons | |
2. | – | dir / der | iech | ||
3. | – | si / se | hinnen / (en) |
- 1. und 2. Person Singular
145Die Formen ech (Nominativ), mech und dech (Akkusativ) können nicht weiter reduziert werden. In gesprochenen Kontexten kann die starke Form ech [əɕ] zu ch [ɕ̩] getilgt werden. Eine grafische Umsetzung dieser Reduktion kommt nur in wenigen, stilistisch markierten Kontexten vor, etwa im Jugendchat: chkann sou net schaffen ‚ich=kann so nicht arbeiten’.
146Die Nominativform du/de und die Dativpronomen mir/mer sowie dir/der verfügen jeweils über eine starke und eine schwache Variante: Wosst [du/de] dat schonn? ‚Wusstest du das schon?’. Dat ass [mir/mer] egal ‚Das ist mir egal’.
- 3. Person Singular
148Das Paradigma in Tabelle 13 zeigt, dass – wie bei den Substantiven – die Formen der 3. Person Singular im Nominativ und Akkusativ übereinstimmen (vgl. Bruch 1955: 45). Da die Personalpronomen der 3. Person Singular meistens einen phorischen Charakter haben, werden sie zusätzlich nach Genus differenziert. Insgesamt gibt es für die 3. Person Singular drei verschiedene Pronomen (Maskulinum, Neutrum, Femininum) in einer starken und einer schwachen Variante (bei Neutrum zwei schwache Formen): hien/en, hatt/et/’t und si/se.
149Die schwachen Formen im Neutrum et/‘t haben weitere besondere Funktionen, die in der folgenden Tabelle zusammengefasst sind (angelehnt an Dudengrammatik 2006: 830f.).
synt. Funktion von et/‘t | Beispiel |
Personalpronomen | Et ass immens spannend (d’Buch). ‚Es ist sehr spannend (das Buch).’ |
Pseudoaktant | Et ass kal ginn. ‚Es ist kalt geworden.’ |
Korrelat | Et nervt, dass alles sou deier ass. ‚Es nervt, dass alles so teuer ist.’ |
Vorfeld-Dummy | Et gëtt vill geklaut. ‚Es wird viel geklaut.’ |
- 1. und 2. Person Plural
151Die Personalpronomen der 1. und 2. Person Plural zeigen identische Formen für den Dativ und den Akkusativ: eis~ons, iech. Diese Formen können nicht weiter reduziert werden. Eine weitere Besonderheit ist der Synkretismus zwischen den Nominativformen mir/mer und dir/der mit den Dativformen der 1. und 2. Person Singular.26 Bei den beiden Formen eis~ons handelt es sich um ehemalige dialektale Varianten (vgl. Krier 2002: 45; Bruch 1963, Karte 84). Bei Schanen & Zimmer (2012: 108) gelten sie als koexistierende Varianten.
- 3. Person Plural
153Die Formen si/se referieren auf Plurale (ohne Genusunterscheidung). Aus formaler Perspektive sind sie identisch mit der Femininumform der 3. Person Singular. Das schwache Pronomen en erscheint nur selten und oft in Begleitung von pluralischen Attributen: mat en alleguer ‚mit ihnen allen’.
154Eine tiefere Auseinandersetzung mit den Personalpronomen und ihren syntaktischen sowie semantischen Eigenschaften (Referenzspektren, Klitisierung, Serialisierung) befindet sich in den Kapiteln 6 und 7.
Possessiva
155Das, was in der Linguistik oft als „Possession“ beschrieben wird, behandelt weitaus mehr als nur Besitzrelationen (Possession). Im eigentlichen Sinn handelt es sich um verschiedene Arten von Zugehörigkeitsrelationen: Teil-von-Beziehungen, Teil-Ganzes-Beziehungen, Verwandtschaftsrelationen, Macht- oder Urheberrelationen, Besitzverhältnisse usw. Da der Begriff Possession allerdings häufig als Oberkategorie verstanden wird, wird dieser Begriff im Folgenden stellvertretend für mehrere Relationskonzepte verwendet (nähere Informationen finden sich in Kapitel 5.2).
156Das zugrundeliegende funktionale Prinzip der Possession kann wie folgt generalisiert werden: A (Possessum) steht in relationalem Verhältnis zu B (Possessor). Adnominale Possession kann im Luxemburgischen auf unterschiedliche Weise ausgedrückt werden:
- Possessivartikel und -pronomen (deng ‚deine’, mäint ‚meins’)
- possessiver Dativ (dem Pol säi Buch ‚Pauls Buch’)
- vun-PP (d’Buch vum Pol ‚das Buch von Paul’)
158Possessivartikel werden wie reguläre Definitartikel verwendet und markieren Bestimmtheit oder Bekanntheit des bezüglichen Substantivs (vgl. Dudengrammatik 2006: 284). Possessivpronomen und ‑artikel sind im Luxemburgischen weitestgehend formgleich (bis auf das t-Suffix bei neutralen Possessivpronomen, vgl. Tabelle 15 und 16). Darüber hinaus gibt es bei diesen Pronomen und Artikeln keine starken und schwachen Varianten.
159(2)Dat ass hiert Buch. Ech fanne mäi Buch net.
‚Das ist ihr Buch. Ich finde mein Buch nicht.’
160(3)Ech hu mer hiert geléint, well ech mäint net fonnt hunn.
‚Ich habe mir ihres geliehen, weil ich meins nicht gefunden habe.’
161Unter dem Aspekt der Flexionskategorien (Numerus, Person, Genus und Kasus) besteht die Darstellung des Possessivartikels und des -pronomens aus zwei Tabellen, die nach Kasus unterteilt sind: Neben den Kategorien Numerus, Person und Genus wurde aus Gründen der Übersichtlichkeit eine Spalte für das korrespondierende Personalpronomen hinzugefügt, auch wenn sich diese aus den Flexionskategorien ableiten ließen.
Num. | Pers. | Genus | Pers.-Pro. | Possessivartikel (Mask. - Neutr. - Fem./Pl.) | Possessivpronomen (Mask. - Neutr. - Fem./Pl.) |
Sg. | 1. | – | ech | mäin - mäin - meng | mäin - mäint - meng |
2. | – | du | däin - däin - deng | däin - däint - deng | |
3. | Mask. | hien | säin - säin - seng | säin - säint - seng | |
Neutr. | hatt | säin - säin - seng | säin - säint - seng | ||
Fem. | si | hiren - hiert - hir | |||
Pl. | 1. | – | mir | eisen - eist - eis | |
2. | – | dir | ären - äert - är | ||
3. | – | si | hiren - hiert - hir |
Num. | Pers. | Genus | Pers.-Pro. | Possessivartikel (Mask. - Neutr. - Fem. - Pl.) | Possessivpronomen (Mask. - Neutr. - Fem. - Pl.) |
Sg. | 1. | – | ech | mengem - mengem - menger - mengen | |
2. | – | du | dengem - dengem - denger - dengen | ||
3. | Mask. | hien | sengem - sengem - senger - sengen | ||
Neutr. | hatt | sengem - sengem - senger - sengen | |||
Fem. | si | hirem - hirem - hirer - hiren | |||
Pl. | 1. | – | mir | eisem - eisem - eiser - eisen | |
2. | – | dir | ärem - ärem - ärer - ären | ||
3. | – | si | hirem - hirem - hirer - hiren |
162Beispiel (4) zeigt, wie die Zuweisung der grammatischen Eigenschaften von Possessor und Possessum im Satz angewendet werden. Der zugrunde liegende Possessor gibt die Grundform des Possessums vor und die strukturellen Kasus-, Numerus- und Genusmerkmale resultieren aus dem syntaktischen Kontext.
163(4)Du kanns däin Account net selwer läschen. (Chat)
‚Du kannst deinen Account nicht selbst löschen.’
Possessor: du (2.Pers.Sg.)
Possessum: Account (Mask.Sg.)
syntaktischer Kontext: Objekt zu läschen ‚löschen’ (Akkusativ)
164Das Verhältnis zwischen Possessor und Possessum spielt auch bei der possessiven Dativkonstruktion eine zentrale Rolle. Diese und weitere Possessivkonstruktionen werden ausführlicher in Kapitel 5.2 besprochen.
Indefinita
165Im Luxemburgischen gibt es verschiedene Möglichkeiten, Indefinitheit zu markieren. Hierzu zählen eine Reihe an Pronomen und Artikeln, die in der folgenden Tabelle aufgelistet sind.
lux. Indefinitum | Übersetzung | Bemerkung |
een | jemand man | In der Bedeutung von ‚man’ ist een nicht vorfeldfähig. |
keen | niemand | |
keen / keng | kein | ohne Schwa-Variante |
eppes | etwas | |
näischt | nichts | |
iergend een / eppes /-wel(le)ch /-wéi | irgendjemand / -etwas / -welche / -wie | möglich in mehreren Verbindungen, teilweise lautlich abgewandelt: iergendwuer > anzwousch ‚irgendwo(hin)’ |
munch / munchereen / munches | manchART / mancheinerPRO / manchesPRO | Artikelvariante munnech |
etlech | etlich | Auch mit vorangestelltem Indefinitartikel en / eng. |
vill / méi / am meeschten | viel | Steigerungsformen |
wéineg / manner / am mannsten | wenig | Steigerungsformen |
e bëssen / e bëssi / e bësselchen | ein bisschen | |
e puer | ein paar | |
jiddwer / jiddwer een | jederART / jederPRO | |
all / alleguer(ten) | jederART / allePRO allesamt | |
alles | alles | tritt auch unflektiert auf: mat alles.27 |
166Mitunter werden auch Indefinitpronomen und -artikel nach standarddeutschem Muster verwendet. In den Korpusdaten etwa tritt das Indefinitpronomen eineges sieben Mal auf (et huet zwar sou eineges drop ‚sie hat allerdings so einiges drauf’). Auch der Indefinitartikel jeglech hat 53 Treffer: fern vu jeglecher Realitéit ‚fern von jeglicher Realität’.
Interrogativa und Relativa
167Im Luxemburgischen stehen unterschiedliche Fragepronomen (w-Wörter) zur Verfügung, je nachdem, auf welchen Bereich sie verweisen (lokal, kausal, usw.). Interrogativpronomen und -artikel können darüber hinaus auch Subjekt-, Objekt- oder Adverbialsätze einleiten (Typ: ech froe mech, wéi laang dat dauert ‚ich frage mich, wie lange das dauert’).
Bereich | lux. Interrogativa | Übersetzung |
Person | wienNOM/AKK / wiemDAT | wer / wen / wem |
Objekt / Identifizierung | wat | was |
Ort | wou | wo |
Zeit | wéini | wann |
Ziel | wuer / wouhin(ner)28 | wohin |
Grund | w(é)isou / firwat | wieso / warum |
Qualität/Modalität | wéi | wie |
Quantität/Modalität (+ Adv) | wéi laang / wéi grouss | wie lang / wie groß |
Identifizierung | wéi een / welch~wellech / wat fir | welche / was für |
Ort / Instrument / ... (interrogative Präpositionaladverbien) | wouvun(ner) / wouduerch(er) / wouran(ner) | wovon / wodurch / worin |
168Die w-Pronomen wien, wat, wéi und wou können auch (freie) Relativsätze einleiten. Sie können dabei als phorisches Pronomen auf ein Null-Element (5), ein Bezugsnominal (6) oder auf einen ganzen Satz (7) referieren.
169(5)Ø (=do) wou hien ass, schéngt d’Sonn
Ø (=da) wo er ist, scheint die Sonne
170(6)dat Buch, wat am meeschte kaaft ginn ass
das Buch, was am meisten gekauft worden ist
171(7)Hien ass gutt ukomm, wat mech freet.
er ist gut angekommen, was mich freut
172Zur Relativsatzeinleitung werden allgemein die von den starken Definitartikeln abgeleiteten Relativpronomen deen/déi/dat verwendet, die nach nominalen Kategorien (Genus, Numerus, Kasus) flektiert werden, wie die folgende Tabelle zeigt.
Mask. | Neutr. | Fem. | Pl. | |
Nom/Akk | deen | dat | déi | déi |
Dativ | deem | deem | där | deenen |
173Die Wahl der Relativsatzeinleitung beruht einerseits auf den grammatischen Eigenschaften des Bezugsnominals im Matrixsatz (Genus und Numerus) und andererseits auf der syntaktischen Funktion im Nebensatz (Kasus).
174(8)dat Buch, dat ech liesen
das Buch, das ich lese
Bezugsnominal: d’Buch = Neutr.Sg. dat
synt. Funktion: ech liesen [d’Buch] = Akk dat
175Ein Relativpronomen, das im Standarddeutschen im Genitiv stehen würde, wird im Luxemburgischen in den meisten Fällen mit einem possessiven Dativ (Relativpronomen im Dativ + Poss.-Artikel) ausgedrückt (vgl. Kapitel 5.2).
176(9)de Client, deem seng Heizung ausgefall ass (Internet)
der Kunde, dem seine Heizung ausgefallen ist
177Relativsatzeinleitungen, die aufgrund der Nebensatzstruktur in eine Präpositionalkonstruktion eingebettet sind, können entweder in der Kombination Präposition+Relativpronomen (vun deenen ‚von denen’, vgl. (10)) auftreten oder anhand eines interrogativen Präpositionaladverbs (wouvun(ner) ‚wovon’) gebildet werden. Letzteres wird häufig für freie Relativsätze gewählt (vgl. (11)), kann sich aber auch auf ein Bezugsnominal beziehen (vgl. (12)).
178(10)Gebaier, vun deenen 1986 eng Partie zu der Weltierfschaft vun der UNESCO opgeholl
gi sinn (Internet)
Gebäude, von denen 1986 eine Reihe zum Weltkulturerbe von der Unesco aufgenommen worden
sind
179(11)bei der Douane hätt et e gewëssene Laxissem ginn, wouvun den Ugeklote profitéiert
hätt (Online-News)
beim Zoll hätte es eine gewisse Fährlässigkeit gegeben, wovon der Angeklagte profitiert
hätte
180(12)e Koup Statuen an Tounmaterial [...], wouvun der haut e puer am Louvre zu Paräis ausgestallt sinn. (Internet)
ein Haufen Statuen und Tonmaterial [...], wovon PRTV heute ein paar im Louvre in Paris ausgestellt sind.
181In der westgermanischen Forschung zu den Relativsatzeinleitungen hat vor allem die Partikel wo großes Interesse hervorgerufen, da sie ganze Relativpronomenparadigmen ersetzen kann (vgl. Zifonun et al. 1997: 42). Viele alemannische Dialekte verwenden die nicht flektierbare Partikel wo als universelle Relativsatzeinleitung (vgl. u.a. Heitzler 1975; Noth 1993).
182Eine komplette Austauschbarkeit zwischen Relativpronomen und wou ‚wo’ liegt im Luxemburgischen nicht vor. Allerdings gibt es Kontexte, in denen Relativsätze mit wou ‚wo’ eingeleitet werden können – häufig als Alternative zu Präposition+ Relativpronomen (so auch im Deutschen, vgl. Dudengrammatik 2006: 1041).
183(13)eng Plaz wou Leit sech begéinen an austauschen (Online-News)
ein Ort wo Leute sich begegnen und austauschen
184(14)op der Plaz, op där d'Schlass stoung (Internet)
an dem Ort, an dem das Schloss stand
185Wou hat in diesem Fall lokaldeiktischen Charakter und kann zum Teil auch auf andere Bereiche (z.B. bei temporalem Bezug) metaphorisch ausgeweitet werden (vgl. auch Zifonun et al. 1997: 42; Eisenberg 2016b: 276f.). Eine solche lokal-temporale Verwendung zeigt sich bei dem folgenden Beleg mit dem Bezugsnomen Zäit ‚Zeit’.
186(15)eng Zäit wou Europa eng gewësse Stabilitéit kannt huet (Politik)
eine Zeit wo Europa eine gewisse Stabilität gekannt hat
187Dennoch finden sich auch Beispiele, bei denen der Relativsatz ohne lokal-temporale Lesart mit wou eingeleitet wird. Diese Relativsatzeinleitung mit wou wird jedoch nicht von allen Muttersprachlern akzeptiert.
188(16)ass hei en leiwt meedchen wou mat mer chatten well? (Chat)
ist hier ein liebes mädchen wo mit mir chatten will?
189(17)Also eng Saach wou bei Nikon ganz flott ass (Internet)
Also eine Sache, wo bei Nikon ganz schön ist
4.3 Adjektive
190Für die Deklination von Adjektiven ist zunächst der distributionelle Aspekt wichtig, da nur attributive Adjektive flektiert werden. Bei den attributiven Adjektiven ist die Unterscheidung zwischen starker, gemischter sowie schwacher Flexion größtenteils abgebaut. Bis auf das starke Suffix {-em} im Dativ Singular bei artikellosen Maskulina und Neutra gelten durchgehend die gleichen Adjektivendungen, sodass ein einziges Übersichtsparadigma ausreicht, um die jeweiligen Flexive zu klassifizieren.
Maskulinum | Neutrum | Femininum | Plural | |
Nom/Akk | -en | -t | -Ø | -Ø |
Dat | -ensw/ -emst | -er | -en |
191Die folgenden Beispiellisten zeigen die Flexionsendungen des attributiven Adjektivs innerhalb einer NP (mit den Substantiven Erfolleg ‚Erfolg’ und Fräiheet ‚Freiheit’) mit wechselndem Artikel (Ø, definit, indefinit, demonstrativ, Präp.+definit, Präp.+Ø).
Ø [groussen]NOM/AKKErfolleg | ‚Ø großer Erfolg’ |
de [groussen]NOM/AKKErfolleg | ‚der große Erfolg’ |
e [groussen]NOM/AKKErfolleg | ‚ein großer Erfolg’ |
dëse [groussen]NOM/AKKErfolleg | ‚dieser große Erfolg’ |
un deem [groussen]DAT_SWErfolleg | ‚an dem großen Erfolg’ |
mat Ø [groussem]DAT_STErfolleg | ‚mit großem Erfolg’ |
Ø [grouss]NOM/AKKFräiheet | ‚Ø große Freiheit’ |
d’ [grouss]NOM/AKKFräiheet | ‚die große Freiheit’ |
eng [grouss]NOM/AKKFräiheet | ‚eine große Freiheit’ |
dës [grouss]NOM/AKKFräiheet | ‚diese große Freiheit’ |
un der [grousser]DATFräiheet | ‚an der großen Freiheit’ |
mat Ø [grousser]DATFräiheet | ‚mit großer Freiheit’ |
192Der Komparativ wird bis auf einzelne Ausnahmen analytisch realisiert. Hierzu wird das Adverb méi ‚mehr’ vor das Adjektiv gestellt (méi hell ‚heller’). Zur Bildung des Superlativs wird das Suffix {-sten} an das Adjektiv angehängt (hellsten). Manche Adjektive müssen dabei umgelautet werden. Bei prädikativ und adverbial verwendeten Adjektiven wird noch die Präposition am ‚am’ davorgestellt. Bei attributiven Adjektiven, die ein Nomen im Neutrum (Sg.), Femininum (Sg.) oder Plural begleiten, besteht die Möglichkeit, das en-Suffix im Superlativ zu tilgen (déi gréisst(en) Eeër ‚die größten Eier’).
schéin | méi schéin | (am) schéinsten | ‚schön’ |
nei | méi nei | (am) neisten | ‚neu’ |
ellen | méi ellen | (am) ellensten | ‚hässlich’ |
waarm | méi waarm | (am) wäermsten | ‚warm’ |
193Synthetische Steigerungsformen zeigen sich bei gutt und der Steigerung bestimmter Adverbien.
gutt | besser | (am) beschten | ‚gut’ |
wéineg | manner | (am) mannsten | ‚wenig’ |
vill | méi | (am) meeschten | ‚viel’ |
gär | léiwer | (am) léifsten | ‚gerne’ |
194Bestimmte Adjektive variieren zwischen einem analytischen (méi) und einem synthetischen Komparativ.
al | eeler // méi al | (am) eelsten | ‚alt’ |
grouss | gréisser // méi grouss | (am) gréissten | ‚groß’ |
laang | länger // méi laang | (am) längsten | ‚lang’ |
195Die beiden Komparative sind in den meisten Fällen funktional zu differenzieren: eng gréisser Alkoholskontroll etwa steht für eine ‚umfangreiche Alkoholkontrolle’, wohingegen eng méi grouss Alkoholskontroll auf das Größenverhältnis eingeht und somit mit einer zuvor stattgefundenen Kontrolle verglichen wird. Zudem können Ansätze erkannt werden, in denen der synthetische Komparativ als Positiv refunktionalisiert wird. So kommt es mitunter zu Formen, bei denen der synthetische Komparativ (länger oder gréisser) in eine analytische méi-Konstruktion eingebaut wird.
196(18)viru méi länger Zäit (Online-News)
vor mehr längerer Zeit
197(19)wann éen geséit wéi schéin kleng oder méi gréisser Haiser einfach verfaulen geloss
ginn (Online-Kommentar)
wenn man sieht, wie schöne kleine oder mehr größere Häuser einfach verfaulen gelassen
werden
198Dabei spielt auch der syntaktische Gebrauch des Adjektivs eine wichtige Rolle: synthetische Komparative treten vor allem attributiv auf und nur selten prädikativ (dat ass eng länger Geschicht ‚das ist eine längere Geschichte’; déi Geschicht ass méi laang ‚die Geschichte ist mehr lang’). Durch Analogiebildung (oder einen eventuellen deutschen Einfluss) kann es auch zur Synthetisierung von Komparativen kommen, wie der folgende Beleg zeigt. Der Komparativ zu schlecht lautet im Luxemburgischen eigentlich méi schlecht.
199(20)Wat ass elo besser, wat schlechter? (Online-Kommentar)
Was ist jetzt besser, was schlechter?
200Nachdem nun die Substantive, Artikel und Adjektive aufgelistet wurden, folgen nun Paradigmen mit ganzen Nominalphrasen (mit definiten und indefiniten Artikeln sowie attributiven Adjektiven). Bemerkenswert ist in diesem Fall, dass die schwachen Nom/Akk-Artikel mit der Form d’ (Neutr.Sg./Fem.Sg./Pl.) dispräferiert werden, sobald die NP durch ein attributives Adjektiv ergänzt wird (vgl. Schanen & Zimmer 2012: 105).
NP im Maskulinum (Det-Adj-N) ‚der alte Hase’ | |||
def. | indef. | ||
Sg. | Nom/Akk | deen/den alen Hues | een/en alen Hues |
Dat | deem/dem alen Hues | engem alen Hues | |
Pl. | Nom/Akk | déi al Huesen | Ø al Huesen |
Dat | deenen alen Huesen | Ø alen Huesen |
NP im Neutrum (Det-Adj-N) ‚das alte Pferd’ | |||
def. | indef. | ||
Sg. | Nom/Akk | dat aalt Päerd | een/en aalt Päerd |
Dat | deem/dem ale Päerd | engem ale Päerd | |
Pl. | Nom/Akk | déi al Päerd | Ø al Päerd |
Dat | deenen ale Päerd | Ø ale Päerd |
NP im Femininum (Det-Adj-N) ‚die alte Kuh’ | |||
def. | indef. | ||
Sg. | Nom/Akk | déi al Kou | eng al Kou |
Dat | där/der aler Kou | enger aler Kou | |
Pl. | Nom/Akk | déi al Kéi | Ø al Kéi |
Dat | deenen ale Kéi | Ø ale Kéi |
4.4 Verben
201Im Luxemburgischen gibt es verschiedene Verbtypen: Vollverben, Hilfsverben, Kopulaverben und Modalverben. Sämtliche Verben werden nach den folgenden Kategorien flektiert:29
- Person: 1., 2., 3.
- Numerus: Singular und Plural
- Tempus: Präsens, Präteritum, Perfekt, Plusquamperfekt, (Futur)
- Modus: Indikativ, Konjunktiv30, Imperativ
- Genus Verbi: aktiv, passiv
203Vollverben können aufgrund morphophonologischer Kriterien in zwei Klassen geteilt werden: regelmäßige (ohne Vokalwechsel) und unregelmäßige (mit Vokalwechsel) Vollverben.31 Die Flexionsendungen sind für beide Typen identisch. Die nachfolgende Tabelle zeigt das Paradigma des regelmäßigen Verbs laachen ‚lachen’.
Indikativ Präsens | ||||
Pers. | Sg. | Pl. | ||
1. | ech laachen | {-en} | mir laachen | {-en} |
2. | du laachs | {-s} | dir laacht | {-t} |
3. | hien/hatt/si laacht | {-t} | si laachen | {-en} |
Indikativ Perfekt | ||||
Sg. | Pl. | |||
1. | ech hu gelaacht | mir hu gelaacht | ||
2. | du hues gelaacht | dir hutt gelaacht | ||
3. | hien/hatt/si huet gelaacht | si hu gelaacht | ||
Konjunktiv | ||||
Sg. | Pl. | |||
1. | ech géif laachen | mir géife laachen | ||
2. | du géifs laachen | dir géift laachen | ||
3. | hien/hatt/si géif laachen | si géife laachen | ||
Imperativ Laach! | Laacht! | Partizip II32 gelaacht |
204Der starke Präteritumschwund führt im Luxemburgischen dazu, dass die meisten Verben nur noch über analytische Verfahren Vergangenheit und Konjunktiv anzeigen können (ech hu gelaacht ‚ich habe gelacht’, ech géif laachen ‚ich würde lachen’).
205Allein eine Reihe hochfrequenter unregelmäßiger Verben weist noch synthetische Präteritum- und Konjunktiv-II-Formen auf (vgl. Schanen & Zimmer 2012: 39f.): ech koum ‚ich kam’, ech louch ‚ich lag’, ech kéint ‚ich könnte’, ech séiz ‚ich säße’. Die folgende Tabelle zeigt das volle Paradigma des unregelmäßigen Vollverbs kommen.
Indikativ Präsens | ||||
Pers. | Sg. | Pl. | ||
1. | ech kommen | {-en} | mir kommen | {-en} |
2. | du kënns | VokW +{-s} | dir kommt | {-t} |
3. | hien/hatt/si kënnt | VokW +{-t} | si kommen | {-en} |
Indikativ Perfekt | ||||
Sg. | Pl. | |||
1. | ech si komm | mir si komm | ||
2. | du bass komm | dir sidd komm | ||
3. | hien/hatt/si ass komm | si si komm | ||
Indikativ Präteritum | ||||
Sg. | Pl. | |||
1. | ech koum | VokW +{Ø} | mir koumen | VokW +{-en} |
2. | du koums | VokW +{-s} | dir koumt | VokW +{-t} |
3. | hien/hatt/si koum | VokW +{Ø} | si koumen | VokW +{-en} |
Konjunktiv | ||||
Sg. | Pl. | |||
1. | ech kéim | VokW +{Ø} | mir kéimen | VokW +{-en} |
2. | du kéims | VokW +{-s} | dir kéimt | VokW +{-t} |
3. | hien/hatt/si kéim | VokW +{Ø} | si kéimen | VokW +{-en} |
Imperativ Komm! | Kommt! | Partizip II komm |
206Einige Verben verfügen nicht mehr über ein Präteritum, zeigen allerdings im Indikativ Präsens bei der 2. und 3. Person Singular einen Vokalwechsel, wodurch sie ebenfalls zu den unregelmäßigen Verben gehören. Zu diesen Verben mit Wechselflexion zählen u.a. bestueden ‚heiraten’, iessen ‚essen’ oder fueren ‚fahren’ (vgl. auch Nübling 2001): ech bestueden / du bestiits; ech iessen / du ëss; ech fueren / du fiers.
207Vollverben bilden die größte Verbklasse und unterliegen drei generellen Kriterien (vgl. Dudengrammatik 2006: 395):
- Sie bezeichnen Handlungen oder Prozesse: dréien ‚drehen’, iessen ‚essen’.
- Sie können als einfaches Prädikat im Satz stehen: hie keeft en Hiem ‚er kauft ein Hemd’.
- Sie weisen eine syntaktisch-semantische Valenz auf: kafen ‚kaufen’: SUBJNOM-AGENS, OBJAKK-THEMA.
209Es gibt allerdings auch Vollverben mit besonderen grammatischen Eigenschaften. Dazu gehören in erster Linie Vollverben, die einen Infinitiv regieren können wie Perzeptionsverben (mit AcI), loossen ‚lassen’ oder kausativ verwendetes doen ‚tun’.
210(21)Héiers de hie Piano spillen?
Hörst du ihn Klavier spielen?
211(22)An elo d’Kupplung lues komme loossen.
Und jetzt die Kupplung langsam kommen lassen.
212(23)Du dees mech laachen!
Du tust mich lachen!
‚du bringst mich zum Lachen’
213Die nächste große Verbklasse bilden die Hilfsverben. Sie helfen dabei, analytische Tempora, Konjunktiv oder Passiv zu bilden. Dabei stehen jeweils unterschiedliche Hilfsverben mit unterschiedlichen Funktionen zur Verfügung.
Tempus/Modus/ Genus verbi | Hilfsverb | Beispiel | Übersetzung |
Perfekt | sinn, hunn | ech si gesprongen ech hu gekacht | ich bin gesprungen’ ich habe gekocht’ |
Plusquamperfekt | sinn, hunn | ech war gesprongen ech hat gekacht | ich war gesprungen ich hatte gekocht |
Futur (temporal-modal) | wäert | ech wäert hie froen | ich würde/werde ihn fragen |
Konjunktiv33 | ginn (géif)34 goen (géing) | ech géif hie froen ech géing hie froen | ich würde ihn fragen |
Passiv | sinn (Zustand) ginn(Vorgang) kréien(Rezipient) | d’Dier ass opgespaart d’Dier gëtt opgespaart hie kritt d’Dier opgespaart | die Tür ist aufgesperrt die Tür wird aufgesperrt er kriegt die Tür aufgesperrt |
214Das Ansetzen des Futurs als Flexionskategorie ist im Luxemburgischen nicht unproblematisch. In den meisten Fällen wird Futur durch Präsens und ein entsprechendes Temporaladverbial (beispielsweise muer ‚morgen’) angezeigt. Das Hilfsverb wäert35 übt eine temporal-modale Funktion aus, d. h. dass wäert u.a. auf potentielle Ereignisse in der Zukunft verweisen kann (vgl. Braun et al. 2005: 22). Dass eine wäert-Konstruktion eine temporal-modale Lesart zulässt, soll an den folgenden Beispielen gezeigt werden.
215(24)a) Si gëtt hir Aufgab muer of. Bezug: temporal
Sie gibt ihre Aufgabe morgen ab.
b) Si wäert hir Aufgab muer ofginn. Bezug: temporal-modal
Sie wird ihre Aufgabe morgen abgeben.
216Bei (24)a) handelt es sich um eine Tatsache, die mit höchster Wahrscheinlichkeit eintreten wird. Satz (b) hingegen drückt einen Sachverhalt aus, der aufgrund bestimmter Informationen wahrscheinlich stattfinden wird. Der Gebrauch von wäert kann auch eine gewisse Skepsis des Sprechers gegenüber eines Sachverhalts verdeutlichen.36
217Kopulaverben dienen dazu, Elemente im Satz logisch-semantisch gleichzusetzen. Sie werden im Zusammenhang mit Prädikativstrukturen verwendet. Zu den wichtigsten luxemburgischen Kopulaverben gehören sinn ‚sein’, ginn ‚werden’ und bleiwen ‚bleiben’.
218(25)Hien ass / gëtt / bleift Schoulmeeschter.
Er ist / wird / bleibt Lehrer.
219In der folgenden Tabelle werden noch einmal alle Hilfsverben des Luxemburgischen zusammengefasst und nach ihren funktionalen Einsatzmöglichkeiten klassifiziert (zur Grammatikalisierung von goen, ginn und kréien vgl. u.a. Nübling 2006b; Lenz 2007; 2013).
hunn | sinn | goen | ginn | kréien | wäert | |
Vollverb | + | + | + | + | + | – |
Kopula | – | + | – | + | – | – |
Vergangenheit | + | + | – | – | – | – |
Passiv | – | + | – | + | + | – |
Konjunktiv | – | – | + | + | – | +/– |
Futur | – | – | – | – | – | +/– |
220Modalverben dienen dazu, besondere Modalitäten auszudrücken wie Erlaubnis, Fähigkeit oder Notwendigkeit (vgl. Pittner & Bermann 2004: 19). Das Luxemburgische kennt fünf Modalverben: kënnen ‚können’, mussen ‚müssen’, sollen ‚sollen’, däerfen ‚dürfen’, wëllen ‚wollen’. Als zum Teil ehemalige Präteritopräsentia weisen sie sehr unregelmäßige Flexionsformen auf. Viele Modalverben haben zudem defektive Paradigmen, da sie viele (analytische) Verbformen nicht bilden können (kein Perfekt, kein Passiv, kein analytischer Konjunktiv) (vgl. dazu Dammel 2006).
Modalverb | Modalität | Stammzeiten (1./3. Pers. Sg.: Präs. - Prät. - Konj.) |
kënnen | Fähigkeit | kann – konnt - kéint |
mussen | Notwendigkeit | muss - Ø - misst |
sollen | Aufforderung | soll – sollt - sollt |
däerfen37 | Erlaubnis | däerf – duerft - dierft |
wëllen | Wunsch/Wille | wëll - wollt - wéilt |
4.5 Übersicht der flektierbaren Wortarten
221An dieser Stelle werden noch einmal die zentralen Aspekte der flektierbaren Wortarten im Luxemburgischen in einer Übersichtstabelle aufgeführt.
Wortart | Flexionskategorien | besondere Unterarten | Beispiel |
Substantiv | Numerus Genus | – | Kou, Äppeljus, Buch |
Artikel | Numerus Genus Kasus | Form variiert je nach Funktion (interrogativ, indefinit, usw.) | däin Hues eng Aufgab wéi ee Päerd |
Pronomen | Numerus Genus38 Kasus | Form variiert je nach Funktion (interrogativ, indefinit, usw.) | hien, wat, näischt |
Adjektiv (attributiv) | Numerus Genus Kasus39 | – | schwaarz, laang, wichteg, nei |
Verb | Person Numerus Tempus Modus Genus verbi | Vollverben | drénken, schwätzen, laachen |
Hilfsverben | hunn, sinn, ginn, kréien | ||
Konjunktivhilfsverben | ginn {géif-}, goen {géing-} | ||
Modalverben | kënnen, däerfen, mussen | ||
Kopulaverben | sinn, ginn, bleiwen |
4.6 Nicht flektierbare Wortarten
222Die Präpositionen bilden die komplexeste Wortart dieser Klasse. Im Luxemburgischen können Präpositionen nach zwei Grundtypen unterteilt werden: einfache und mehrteilige Präpositionen. Präpositionen verfügen über spezifische strukturelle Merkmale (Kasusrektion und Verschmelzung von Präposition und Artikel), die in der folgenden Tabelle dargestellt werden.
Präpositionstyp | Beispiel | Bemerkung |
einfache Präp. | zu+Dat vun+Dat mat+Dat op+Dat/+Akk duerch+Akk | Bei Wechselpräpositionen richtet sich Kasus nach lokaler (+Dat) oder direktionaler (+Akk) Verwendung. |
mehrteilige Präp. | a Relatioun zu+Dat mat Bezuch op+Akk mat Hëllef vun+Dat opgrond vun+Dat amplaz vun+Dat vis-à-vis vun+Dat zu béide Säite vun+Dat iwwer+Akkewech | Komplexe Präpositionen können keinen Kasus regieren, sondern nur in Kombination mit einfachen Präpositionen. In den meisten Fällen ist dies vun. |
223Bei Wechselpräpositionen steht bei lokaler Verwendung Dativ und bei direktionaler Akkusativ. Die folgenden Präpositionen gehören zu dieser Klasse (Liste nach Schanen & Zimmer 2012: 172f.): bei ‚bei’, niewen(t)/nieft ‚neben’, virun/vrun ‚vor’, hanner(t) ‚hinter’, ënner(t) ‚unter’, iwwer(t) ‚über’, bannen(t) ‚innen/innerhalb’, an ‚in’, baussen(t) ‚außen/außerhalb’, laanscht ‚an/vorbei’, un ‚an’, op ‚auf’, widder(t) ‚gegen’, tëschen(t) ‚zwischen’.
224Bei einsilbigen Präpositionen (ohne Diphthong), die ein maskulines oder neutrales Substantiv mit bestimmtem Artikel regieren, verschmelzen Präposition und Artikel. Diese Art der Klitisierung ist in den meisten Fällen obligatorisch (vgl. auch Krier 2002).
Beispiel | Klitisierung [Präp.+Art.] | Übersetzung |
mam Bus fueren | [mat + dem] Bus | mit dem Bus fahren |
um Dësch danzen | [op + dem]40Dësch | auf dem Tisch tanzen |
vum Krunn drénken | [vun + dem] Krunn | vom Wasserhahn trinken |
am Haus sinn | [an + dem] Haus | im Haus sein |
225Die weiteren nicht flektierbaren Wortarten, zu denen Junktionen, Präpositionen, Adverbien und Partikeln zählen, sind der folgenden Überblickstabelle zu entnehmen.
Wortart | Unterkategorie | Beispiel |
Junktion | Konjunktion | an, sou wéi, (entweder...) oder, bis, weder...nach, mee~mä, awer, souwuel...wéi och, respektiv, ausser |
Subjunktion | ob, dass/datt, wärend, wéi, wann, säit(deem), iwwerdeems, nodeems, bis, ier, falls | |
Präposition | einfache Präp. | ënner(t), op, vun |
mehrteilige Präp. | amplaz vun, iwwer...ewech | |
Adverb | Adverb | muer, deelweis |
Pronominaladverb | doraus(er), heimat/heimadder, dovun(ner)41 | |
Partikel42 | Gradpartikel | immens, déck, enorm, net sou |
Fokuspartikel | just, souguer, wann iwwerhaapt, grad | |
Negationspartikel | net, net méi | |
Gesprächspartikel | ma, gell, mh, asou, pardon, jo, nee, dach, ajo, naja, oder esou | |
Ausdruckspartikel | aua, so, aha, ei | |
Abtönungspartikel | zwar, eben, jo, awer, vläicht, dach, amfong, eigentlech, schonn, wuel |
Fußnoten
132Es sei darauf hingewiesen, dass ein auslautendes n in der entsprechenden phonologischen Umgebung ausfallen kann durch die so genannte n-Regel. Beginnt das folgende Wort mit einem Vokal, den Konsonanten <d>, <h>, <n>, <t>, <z> oder folgt ein Satzzeichen, muss auslautendes <n> oder <nn> geschrieben werden, ansonsten fällt es aus (vgl. Gilles 2006b). Die möglichen Tilgungsfälle werden aus Übersichtlichkeitsgründen nicht angegeben.
133In manchen luxemburgischen Grammatiken werden noch Überreste eines ehemaligen Nominativartikels bei Maskulina aufgeführt, Bsp.: der Däiwel net fäerten ‚den Teufel nicht fürchten’ (vgl. Schanen & Zimmer 2012: 108). Dies beschränkt sich allerdings auf einzelne Lexikalisierungen.
133Im Allgemeinen sind Nominative in Bezug auf ihre semantische Rolle und ihre syntaktische
133Funktion im Satz sehr deutlich von den Akkusativen zu unterscheiden. Dies bedeutet, dass sie als Oberflächenkasus identische Formen besitzen, als Tiefenkasus jedoch getrennt existieren (zu den Konzepten von Tiefen- und Oberflächenkasus vgl. Eroms 2000: 173ff.).
134Schanen & Zimmer (2012: 107) geben an, dass auch die Lokaladverbien (e)lei ‚hier’ und (e)lo ‚da/jetzt’ verwendet werden können. Im Korpus kommen diese Formen jedoch äußerst selten vor.
135Eine typologische Analyse zu Gebrauch und Semantik von Demonstrativa findet sich bei Himmelmann (2001).
137Zum Ausdruck von pluralischer Indefinitheit im Luxemburgischen vgl. Kapitel 5.3 zu den Partitiva.
151Die Formen mir (1.Pers.Sg.Dat. + 1.Pers.Pl.Nom.) und dir (2.Pers.Sg.Dat. + 2.Pers.Pl.Nom.) werden im Süden Luxemburgs als mär und där realisiert und sind auch in den Schriftbelegen in dieser Form auffindbar. Da es sich hierbei um dialektale Varianten handelt, werden diese Formen nicht in das „gemeinluxemburgische“ Paradigma aufgenommen.
165Beispiel aus Chatgespräch: dann meckers de och mat alles an jiidwerengem ‚dann meckerst du auch mit allem und jedem’.
167Die genauen Eigenschaften der er-Variante von Präpositionaladverbien (dovun/dovunner ‚davon’, wouraus/wourauser ‚woraus’) sind für das Luxemburgische noch nicht untersucht worden. Im Korpus zeigt sich, dass beide Formen in identischen syntaktischen Kontexten auftreten.
201Für bestimmte Verbtypen gelten hier Restriktionen. So sind Modalverben etwa nicht passivierbar und Konjunktivhilfsverben können nicht nach Tempus flektieren.
202Da es im Luxemburgischen keinen Konjunktiv I (Konj. Präsens) gibt, wird der Konjunktiv II (Konj. Präteritum) fortan generell als Konjunktiv bezeichnet.
203Eine Unterteilung in stark und schwach ist für das Luxemburgische schwierig anzusetzen, da das Kriterium des Dentalsuffixes durch den starken Präteritumschwund für die meisten Verben nicht mehr erfüllt werden kann (vgl. Dammel 2006: 142).
203Partizip I ist im Luxemburgischen nur selten vorzufinden und manifestiert sich eher auf idiomatischer Basis. Das entsprechende Flexiv lautet {-end}.
213Diese Konjunktivhilfsverben (KHV) werden bei Schanen & Zimmer (2012: 51f.) neben den Modalverben als Semi-Auxiliare bezeichnet. Mehr zu den KHV und ihrer Entstehung kann nachgelesen werden bei Nübling (2006b).
213Lokale Varianten von géif lauten „géit, géich (lok. bes. Osten: giff, gitt, gich)
“ (LWB 1950-1975 Bd. 2: 58).
214Dieses Verb verfügt über keinen Infinitiv und wird hier mit dem Verbstamm wäert bezeichnet.
216Auch bei der Futurmarkierung im Standarddeutschen gibt es Ansätze, die werden als modalen Futurmarker ansehen. Zudem wurde die Frage aufgeworfen, ob es sich bei Futur nicht ohnehin um eine Modalkategorie handelt, da die Zukunft nie mit absoluter Sicherheit benannt werden kann und immer nur eine von vielen möglichen Welten aufzeigt (vgl. hierzu auch Vater 1975).
220Bei däerfen existieren einige regionale Varianten: duerfen, dërfen oder dierfen LWB (1950-1975 Band 1: 209). Vokalwechsel bei Modalverben werden noch einmal in Kapitel 8.3.2 in Bezug auf die Supina (hybride Ersatzinfinitive) angesprochen.
225Wie bereits bei den interrogativen Pronominaladverbien angemerkt, ist nicht klar, wann bei dieser Wortart eine weitere Silbe angehängt wird (dovun vs. dovunner).
225Die hier vorgenommene Einteilung der Partikeln geht zurück auf die Dudengrammatik (2006: 596).