7 Pronominalsyntax II: Pronomencluster
773Das vorliegende Kapitel liefert einen ersten empirischen Zugang zur Abfolge pronominaler Konstituenten im luxemburgischen Mittelfeld. Anhand des Korpus soll ermittelt werden, welche Kasusabfolgen (Nom, Dat, Akk) innerhalb von Pronomenclustern im Mittelfeld als Grundstellung bzw. neutrale Stellung gelten können. Kapitel 7.1 beginnt mit theoretischen Überlegungen zur Wortstellung. Dabei steht die Frage im Vordergrund, was im Grunde genommen eine neutrale Wortstellung ist und welche Faktoren die syntaktischen Abfolgeregeln beeinflussen können. Darüber hinaus werden auch Forschungskonzepte und empirische Herangehensweisen aus der germanistischen Syntaxforschung besprochen. In Bezug auf die Empirie soll auch geklärt werden, inwieweit das hier verwendete luxemburgische Korpus nutzbar gemacht werden kann, um pronominale Abfolgen im Mittelfeld zu ermitteln. Der empirische Teil (Kapitel 7.2) widmet sich der Serialisierung im Mittelfeld und überprüft die folgende Kasusabfolge für Pronomen im Luxemburgischen: Nom>Dat>Akk („>“ bedeutet ‚steht vor’). Die pronominalen Abfolgen werden anhand von zahlreichen Korpusbelegen quantitativ und qualitativ besprochen. Kapitel 7.3 zeigt einen Exkurs zu den luxemburgischen Wenkersätzen (erhoben 1924/25 von R. Huss), da hier – anhand eines gleichbleibenden Satzes mit Pronomencluster (Wenkersatz Nr. 9)117 – noch einmal quantitativ auf die Abfolge Dat>Akk eingegangen werden kann.
774Auch aus typologischer Sicht ist die Frage nach der pronominalen Abfolge interessant, denn der Indogermanist Jacob Wackernagel (1892) fand heraus, dass klitische Elemente (klitische Pronomen oder andere unbetonte Elemente wie Adverbien oder Partikeln) in indogermanischen Sprachen dazu neigen, im Satz weiter vorne zu stehen (meistens an zweiter Stelle) (vgl. Wackernagel 1892, zit. nach Anderson 1993; vgl. auch Weiß 2016).118 In der heutigen germanistischen Forschung wird der Begriff „Wackernagelposition“ meistens stellvertretend für die Position klitischer Pronomen hinter der linken Satzklammer verwendet (im Hauptsatz hinter dem flektierten Verb, im Nebensatz hinter der NS-Einleitung) (vgl. Weiß 2016: 122). Im Standarddeutschen äußert sich diese Regel bei der Anordnung von pronominalen Objekten: Obwohl für standarddeutsche nominale Konstituenten die Abfolge Dat>Akk gilt (einem Kind ein Buch vorlesen), rückt das pronominalisierte Akkusativobjekt als schwaches Pronomen unweigerlich vor den Dativ (es ihm vorlesen).119 Dieses es kann als klitisches, unbetontes Pronomen in bestimmten Kontexten zu ‘s klitisiert werden (er hat’s ihm vorgelesen). In den Dialekten ist die Wackernagelposition noch deutlicher ausgeprägt, sodass teilweise selbst klitische Objektpronomen vor Subjektpronomen rücken (vgl. Weiß 2015; 2016).
775Auch im Standardniederländischen gibt es eine besondere syntaktische Position hinter der linken Satzklammer, in der nur schwache pronominale Objekte stehen können wie beispielsweise het ‚es’ (Neutr.sw.), nicht jedoch starke Pronomen wie das Demonstrativpronomen dat ‚das’ (Neutr.) (vgl. van Riemsdijk 1978: 33; Zwart 2011: 269).
776Die nachfolgende empirische Analyse wird allerdings zeigen, dass die präferierte Kasusabfolge im Luxemburgischen Dat>Akk lautet, sodass die Wackernagelposition keinen großen Einfluss auf die pronominale Wortstellung im Luxemburgischen hat.
7.1 Neutrale Satzgliedfolge und andere methodische Herausforderungen
777Bevor nun pronominale Serialisierungstendenzen im Luxemburgischen dargestellt werden, sollte zunächst auf die allgemeine Problematik der Bestimmung und des Begriffs der neutralen Satzgliedfolge hingewiesen werden. Die neutrale Satzstellung ist ein durchaus problematisches Konzept, schließlich existiert ein Satz nur selten in einem „neutralen” Kontext. Er steht immer im Spannungsfeld zwischen Grammatik und Pragmatik.120 Obwohl die Suche nach einer „neutralen Satzstellung“ der Suche nach einem Phantom gleicht, gibt es allgemeine Tendenzen der Anordnung von Satzgliedern, der in einem wissenschaftlichen Kontext nachgegangen werden kann. Die lineare Ordnung von Satzgliedern steht darüber hinaus auch ganz in der Forschungstradition der Sprachtypologie, in der Sprachen aufgrund ihrer syntaktischen Anordnung nach SOV/SVO usw. eingeteilt werden. Prinzipiell regelt sich die Wortstellung nach strukturell-grammatischen, aber gleichzeitig auch nach kommunikativ-pragmatischen Gesichtspunkten (vgl. Flämig 1991: 82).121 Bislang gibt es allerdings keine optimale Methode, grammatische und pragmatische Faktoren zu isolieren, um ihren unmittelbaren Einfluss „berechnen“ zu können. Es ist vielmehr ein Zusammenspiel verschiedenster Faktoren, die die syntaktische Struktur bedingen.
778Aus der Perspektive der Sprachbenutzer dient die Grundwortstellung in erster Linie dazu, Umsortierungen zu erkennen, welche durch Themabildung, kommunikative Hervorhebung oder die Kennzeichnung eines Kontrasts hervorgerufen werden. Grundsätzlich werden mit Abweichungen in der syntaktischen Abfolge bestimmte Interpretationsmöglichkeiten für den Hörer bzw. Leser vorgegeben. Ein Beispiel hierfür ist die Topikalisierung, also die Hervorhebung einer Konstituente durch das Vorrücken ins Vorfeld. Dieser Prozess gelingt nur dann, wenn die Konstituente in der neutralen Satzstellung nicht im Vorfeld steht. Die Aufmerksamkeit wird somit auf dasjenige Satzglied gelenkt, das in einem neutralen Satz an einer anderen Position steht. Die neutrale Satzstellung weist demnach die allgemeinen Abfolgeregularitäten im Satz auf, ohne besondere Lesart oder Hervorhebung. Eine neutrale Satzstellung suggeriert zwar keine besondere Lesart, schließt sie jedoch nicht zwangsläufig aus. Vor allem in den Transkripten im Korpus können Satzglieder prosodisch hervorgehoben worden sein, ohne dass dies in der Transkription (Basistranskripte) ersichtlich ist.
779Für das Standarddeutsche finden sich zahlreiche Forschungsansätze aus den vergangenen 40 Jahren, die sich mit der Konstituentenabfolge im Mittelfeld beschäftigen (vgl. u.a. Lenerz 1977; Höhle 1982; Reis 1987; Zifonun et al. 1997). Die Frage, ob nun grammatische oder pragmatische Aspekte ausschlaggebend für die Wortstellung sind, wurde in der Forschungsliteratur zum Standarddeutschen kontrovers diskutiert (vgl. u.a. Lenerz 1977; Lötscher 1984; Reis 1987). Dabei werden häufig neue Beispielsätze und Grammatikalitätsurteile angeführt, die neue Dimensionen aufzeigen oder ältere Theorien infrage stellen. Die Autoren sind sich allerdings in dem Punkt einig, dass ein neutraler Satz derjenige sein muss, der die wenigsten Einschränkungen hat und somit in den meisten Satzkontexten vorkommen kann, ohne ein Satzglied besonders hervorzuheben (vgl. Lenerz 1977; Höhle 1982; Reis 1987). Für das Standarddeutsche wurden insgesamt die folgenden Regeln zur Konstituentenabfolge im Mittelfeld als Stellungstendenzen herausgearbeitet (vgl. Lenerz 1977; Reis 1987; Uhmann 1993; Zifonun et al. 1997; zit. nach Eisenberg 2016: 381f.).
- Subjekt vor Objekt
- Thema vor Rhema
- unakzentuiert vor akzentuiert (Prosodie betreffend)
- Pronomen vor substantivischem Nominal
- definit vor nichtdefinit
- belebt vor unbelebt
- Start vor Ziel
- kurz vor lang (Länge der Satzglieder)
- Zeit vor Ort (adverbiale Bestimmungen betreffend)
781Diese Liste könnte noch durch weitere, allgemein pragmatische Elemente ergänzt werden,
wie „perzeptuell Nahes vor Entferntem
“ oder „Allgemeines vor Speziellem
“ (vgl. Kindt 1994: 52). Bei sämtlichen Auflistungen dieser Art muss jedoch bedacht werden, dass es sich
größtenteils um Tendenzen bzw. Präferenzen handelt. Ferner können auch mehrere strukturelle
Eigenschaften einer Konstituente zu Konflikten in dieser Liste führen. Eine Satzkonstituente
– sowie syntaktische Einheiten im Allgemeinen – unterliegen schließlich unterschiedlichen
strukturellen Bedingungen, die in einem komplexen Zusammenspiel stehen und sich nicht
auf einen Hauptfaktor reduzieren lassen. In der Dudengrammatik (2006: 881) werden diese Faktoren für die Grundstellung ebenfalls relativiert, „[d]a praktisch jeder Faktor in passenden Kontexten von einem anderen überspielt werden
kann
”. Hinzu kommt die eingangs beschriebene „Wackernagelposition“, die einen zusätzlichen
Einfluss auf die Wortstellung haben kann (vgl. u.a. Lenerz 1977; Pittner & Berman 2004: 146; Dudengrammatik 2006: 884-886).
782Dies führt unweigerlich zu der methodischen Frage, wie sich Wortstellungsregeln im Allgemeinen und im Speziellen für das Luxemburgische herausarbeiten lassen. Die älteren Studien zum Standarddeutschen beruhen meistens auf konstruierten Sätzen und eigenen muttersprachlichen Bewertungen (vgl. u.a. Lenerz 1977; Reis 1987), deren Allgemeingültigkeit zumindest angezweifelt werden kann. Neuere, dialektale Projekte setzen bei der Bestimmung von Wortfolgen auf vorgegebene Satzkontexte, auf die eine Multiple-Choice- oder eine Ergänzungsaufgabe folgt (vgl. die Aufgabenbögen aus dem SyHD-Projekt bei Weiß 2016: 138). Auch hier sind die Beispielsätze konstruiert, werden jedoch von mehreren Probanden ausgefüllt, sodass die Daten deutlich repräsentativer und durch die identischen Kontexte auch sehr gut vergleichbar sind. Schwierig erweist sich bei Multiple-Choice-Aufgaben die Wahrung der „Natürlichkeit“ der angekreuzten Satzfolgen, denn auch hier können die Sprecher unbewusst Satzglieder hervorheben oder einen Satz ankreuzen, den sie in der Spontansprache tatsächlich nicht bilden würden.
783Ein anderes Hindernis ist die kognitive Anstrengung der Informanten, die bei komplexen Sätzen oder bei der Konfrontation mit mehreren Satzoptionen entsteht. Dass es Sprechern schwerfällt, Satzstellungen und pronominale Varianten zu bewerten, zeigte sich auch bei einer Pilotstudie, die ich in Vorbereitung auf dieses Kapitel durchgeführt habe. In dieser Studie wurden sechs Muttersprachlerinnen dazu aufgefordert, die Konstituenten in einem gleichbleibenden Nebensatz zu ordnen. Zwei der sechs Gewährspersonen waren nach vier Kombinationsmöglichkeiten kognitiv bereits leicht überanstrengt, was sich darin äußerte, dass sie ihre eigene Kompetenz anzweifelten und sich nicht in der Lage fühlten, weitere authentische Bewertungen abzugeben. Es ist jedoch schwierig, verschiedene Pronomenkombinationen abzufragen und gleichzeitig den (freiwilligen) Informanten kognitiv zu „schonen“. Eine breit gefächerte Analyse zur Konstituentenabfolge ist allerdings mit vier Sätzen schlichtweg nicht durchführbar. In der Theorie müssten für eine gründliche Analyse mehrere Konstituententypen (Personalpronomen, Nominalphrasen, Demonstrativa) mitsamt ihren Unterkategorien (stark/schwach) und unter Berücksichtigung semantischer Eigenschaften (belebt/unbelebt) getestet werden. Zur Darstellung der zahlreichen Optionen, die im Luxemburgischen unter anderem durch die Stark-Schwach-Opposition in den Artikel- und Pronomenparadigmen hervorgerufen werden, dient die folgende tabellarische Auflistung.
Subjekt | indir. Objekt | dir. Objekt | ||
dass | hien en den de Pierre den Typ deen Typ en Typ | him em deem dem Nadine dem Meedchen deem Meedchen engem Meedchen | et dat d’Geschicht déi Geschicht eng Geschicht | erzielt122 |
784Es sei darauf hingewiesen, dass der Faktor Belebtheit hier aufgrund der semantischen Valenz des Verbs erzielen ‚erzählen’ fixiert ist, sodass eigentlich zusätzlich unterschiedliche Verbtypen verwendet werden müssten. Dem Phänomen der Wortstellung muss demnach anders begegnet werden, bzw. müssen hier einige Faktoren so weit wie möglich isoliert und im Detail betrachtet werden.
785Einen guten Zugriff auf viele unterschiedliche Sätze und Kombinationen von Objekten und Objekttypen bietet ein Korpus. Zwar weist die Arbeit mit einem Korpus auch gewisse methodische Schwachpunkte auf, aber insgesamt verfügt das Korpus über ein enormes Potential in Bezug auf die Quantifizierbarkeit und die Natürlichkeit der Daten (zu den allgemeinen Vor- und Nachteilen der Korpusanalyse vgl. Kapitel 3.2). Als schwierig erweisen sich in diesem Kontext die Vergleichbarkeit und die Auswertung der extrahierten Daten, denn bei einer Worststellungsanalyse handelt es sich meist um eine komplexe, multifaktorielle Variation, die für jeden einzelnen Satz bestimmt werden müsste. Der große Vorteil der Korpusarbeit besteht darin, dass natürliche Daten quantitativ ausgewertet werden können. Auch für die Idee der „neutralen“ Satzgliedfolge ist eine quantitative Herangehensweise sinnvoll, da viele Sätze Grundtendenzen aufzeigen können, auf die dann im Detail weiter eingegangen werden kann. Hier ist es wichtig, viele entsprechende Sätze zu sammeln, denn je größer der Datensatz ist, desto aussagekräftiger sind die Resultate (vgl. Hylen & Speelman 2003).123 Zugleich sollte sich die Forschungsfrage auf wenige Faktoren beschränken, um die Komplexität und das Ineinandergreifen der Faktoren so weit wie möglich zu minimieren. In diesem Fall wird die Abfolge nominaler Satzglieder beispielsweise ausgeklammert.
786Die vorliegende empirische Analyse zielt darauf ab, die Grundabfolge von Pronomen zu untersuchen. Im konkreten Fall bedeutet dies, dass Pronomenabfolgen per Textsuche ermittelt und manuell ausgewertet werden. Die Hauptarbeit besteht darin, den Tiefenkasus der Pronomen zu erkennen und unpassende Sätze auszusortieren, schließlich zeigen vier von sechs Personalpronomen einen Synkretismus von Nominativ und Akkusativ. Die folgenden Beispiele sollen diese Problematik des formgleichen Oberflächenkasus illustrieren. Bei der Suche nach der Beispielabfolge et hinnen ‚es ihnen’ finden sich in den Ergebnissen zahlreiche Fälle, in denen et ein durch Inversion hervorgerufener Nominativ ist wie bei (186).
787(186)Ass et hinnen egal? (Internet)
Ist es ihnen egal?
788Satz (187) zeigt einen Beleg, bei dem es durch eine fehlende Kommasetzung zu einer vermeintlichen Pronominalabfolge kommt. Auch die Formgleichheit zwischen dem Partitivpronomen der und dem Personalpronomen der (2.Pers.Sg.Dat.) führt dazu, dass zahlreiche Sätze mit der vermeintlichen Abfolge et dir ‚es dir’ aussortiert werden müssen (vgl. (188)).
789(187)soe mer eis et kéint schlëmmer sinn (Online-Kommentar)
sagen wir uns es könnte schlimmer sein
790(188)1960 waren et der genee 153. (Online-News)
1960 waren es deren genau 153.
791Von den über 1800 auf geeignete Kontexte überprüften Sätzen können insgesamt 1244 für die Analyse der pronominalen Abfolge im Luxemburgischen herangezogen werden. Ferner ist zu beachten, dass das Korpus nur selten Sätze mit identischer Informationsstruktur bereithält, d.h., dass jeder Satz neue Faktoren mit sich bringt, welche die Abfolge von Konstituenten beeinflussen können.
7.2 Pronominale Abfolge im Mittelfeld
792Wie bereits im vorherigen Kapitel beschrieben, wird nach der neutralen Satzgliedfolge für luxemburgische Pronomen gesucht. Die Kasusabfolge steht dabei stellvertretend für syntaktische Funktionen: Nominativ = Subjekt; Dativ = indirektes Objekt; Akkusativ = direktes Objekt. Die Kasus-Serialisierung Nom>Dat>Akk vereint zwei zentrale Serialisierungsprinzipien:
- pronominaler Dativ steht vor pronominalem Akkusativ und
- pronominaler Nominativ steht vor pronominalem Nicht-Nominativ.
794Pronominaler Dativ vor pronominalem Akkusativ
795Im Luxemburgischen ist die Abfolge Dat>Akk dominant, das schwache Pronomen im Akkusativ (et) rückt nicht nach vorne. Die pronominale Grundfolge lautet demnach: DatPRO>AkkPRO. Dies ist umso interessanter, wenn man die Einteilung in volle, reduzierte und klitische Pronomen aus Kapitel 6.5 hinzuzieht. Demnach stellt sich das klitische et hinter ein volles Personalpronomen. Womöglich handelt es sich hier ebenfalls um eine phonologische und weniger um eine syntaktische Klitisierung. Letztere würde bedeuten, dass es auch für das Luxemburgische eine Art Vormittelfeld für klitische Pronomen geben müsste, in dem die syntaktische Position dieses Pronomentyps mehr oder weniger fest ist. Die Daten sprechen jedoch gegen eine solche Position, was erneut auf die Komplexität und die damit verbundene Beschreibungsschwierigkeit der strukturellen Eigenschaften von Klitika hinweist.
796Getestet wurden im Korpus pronominale Abfolgen mit dem schwachen Personalpronomen et (Neutrum) in der Rolle des Akkusativobjekts und einem Personalpronomen im Dativ, wobei alle Formen getestet und berücksichtigt wurden (alle Personen, starke und schwache Varianten).124 Die Ergebnisse sind in der folgenden Tabelle dargestellt.
et (3.Pers.Sg.Neutr.Akk.)in Kombination mit: | Dat > Akk | Akk > Dat | Gesamt |
+ mir/mer (1.Pers.Sg.Dat.) | 95,3 % (n=451) | 4,7 % (n=22) | 473 |
+ dir/der (2.Pers.Sg.Dat.) | 98,3 % (n=58) | 1,7 % (n=1) | 59 |
+ hir125 (3.Pers.Sg.Fem.Dat.) | 62,5 % (n=10) | 37,5 % (n=6) | 16 |
+ him/em (3.Pers.Sg.Mask./Neutr.Dat.) | 98,3 % (n=115) | 1,7 % (n=2) | 117 |
+ eis~ons (1.Pers.Pl.Dat.) | 56,3 % (n=49) | 43,7 % (n=38) | 87 |
+ iech (2.Pers.Pl.Dat.) | 99,2 % (n=352) | 0,8 % (n=3) | 355 |
+ hinnen (3.Pers.Pl.Dat.) | 97,8 % (n=134) | 2,2 % (n=3) | 137 |
Mittelwert | 94 % (n=1169) | 6 % (n=75) | 1244 |
797Im Gesamtbild dominiert eindeutig die Folge Dativ>Akkusativ. Allein bei der 3. Person Singular (hir/er) sowie bei der 3. Person Plural (eis~ons) ist Dat>Akk etwas schwächer ausgeprägt (und zeigen die kleinsten Belegzahlen), dennoch liegen die Werte auch hier bei 56,3 % bzw. bei 62,5 %.126 Die restlichen Pronomen zeigen Werte von über 95 % bei der Abfolge Dat>Akk. Auch die informelle mündliche Befragung von sechs Sprecherinnen bestätigt diese Abfolgetendenz. Zudem gaben alle Informanten an, dass die Folge him et oder eis et „leichter“ zu artikulieren sei als et him oder et eis.
798Die Abfolge Dat>Akk zeigt sich sowohl bei vollen als auch bei klitischen Personalpronomen, d.h. für diese Kasusfolge ist es unerheblich, ob – neben dem ohnehin bereits klitischen Akkusativpronomen et – das Dativpronomen in seiner starken oder seiner schwachen Form verwendet wird (him vs. em).
799(189)Molen kann een him et leider net. (Online-Kommentar)
Malen kann man ihm es leider nicht.
800(190)wann ech em et net verschreiwen, da verschreiwt den Noper em et (Interview)
wenn ich ihm es nicht verschreibe, dann verschreibt der Nachbar ihm es
801Die Abfolge Dat>Akk kann sowohl in Haupt- als auch in Nebensätzen beobachtet werden.
802(191)däi Kand wäert dir et spéider danken (Online-Kommentar)
dein Kind wird dir es später danken
803(192)datt ech iech et gesot hunn (Prosa)
dass ich euch es gesagt habe
804Allein 6 % der Belege (n=75) zeigen die pronominale Reihenfolge Akk>Dat, wie sie aufgrund der Wackernagelposition des klitischen et-Pronomens erwartbar gewesen wäre. Im Folgenden sollen also die Belege mit der weniger dominanten Abfolge Akk>Dat qualitativ beschrieben werden, um mögliche Gründe für diese Umstellung herauszuarbeiten. Für eine syntaktische Umstellung stehen verschiedene Erklärungen zur Verfügung:
- Faktor Grammatik: Inwiefern hängt die Reihenfolge der Argumente mit dem Verbtyp bzw. der Verbvalenz zusammen?
- Faktor Pragmatik: Sind besondere Elemente im Satz hervorgehoben?
- Faktor Semantik: Spielen Belebtheitskriterien eine Rolle?
- Faktor Sprachkontakt: Übt die standarddeutsche Wortstellung einen Einfluss aus?127
806Aus methodischen Gründen der Überprüfbarkeit soll hier der mit der Verbvalenz im Zusammenhang stehende Faktor Grammatik im Vordergrund stehen. Für eine solche grammatische Erklärung werden nun alle Verben analysiert, die häufiger als dreimal mit der Folge Akk>Dat vorkommen. Diese frequenzbasierte Einschränkung macht es gegenüber Einzelbelegen, bei denen pragmatische Faktoren eine zentrale Rolle spielen können, einfacher, strukturell-grammatische Faktoren herauszuarbeiten. Ein Ineinandergreifen von Grammatik und Pragmatik kann jedoch auch hier nie ganz ausgeschlossen werden, sodass die grammatischen Faktoren nicht die alleinige Erklärung der Wortstellungsvariation sein müssen.
Verb | Übersetzung | pronominale Kasusfolge Akk>Dat im Korpus |
erlaben | erlauben | 14 |
sech leeschten | sich leisten | 5 |
erméiglechen | ermöglichen | 4 |
sech eppes einfach/schwéier maachen | sich etwas einfach/schwer machen | 4 |
erschéngen | erscheinen | 3 |
sech erwaarden | sich erwarten | 3 |
sech iwwerleeën | sich überlegen | 3 |
sech virstellen | sich vorstellen | 3 |
807Es fällt auf, dass 5 der 8 häufigsten Verben mit der Abfolge Akk>Dat reflexiv sind. Es wäre demnach denkbar, dass sich die pronominale Anordnung bei reflexiv verwendeten Pronomen anders verhält als bei nicht reflexiven Pronomen. Alleine für die Pronomen der 3. Person steht das gesonderte Reflexivpronomen sech ‚sich’ zur Verfügung, das in dieser Studie nicht gesondert berücksichtigt wurde. Für alle anderen Personalpronomen gilt, dass ihre Dativform auch als Reflexivum verwendet wird (Reflexiv: ech hu mer iwwerluecht ‚ich habe mir überlegt’ vs. nicht reflexiv: en huet mer gehollef ‚er hat mir geholfen’).
808Viele der in Tabelle 71 genannten reflexiven Verben zeigen im Mittelfeld jedoch sowohl die Abfolge Dat>Akk als auch Akk>Dat. Bei den folgenden beiden Beispielen wird die Konstruktionen et sech iwwerleeën ‚es sich überlegen’ gezeigt: bei (193) mit der Abfolge Nom>Akk>Dat und in (194) mit der deutlich häufigeren Abfolge Nom>Dat>Akk.
809(193)do géing ech et mir 20x iwwerléen (Online-Kommentar)
da würde ich es mir 20x überlegen
810(194)da géif ech mer et méi wéi eemol iwwerleeën (Politik)
dann würde ich mir es mehr als einmal überlegen
811Demnach kann Reflexivität nicht alleine ausschlaggebend für die Akk>Dat-Folge sein, zumal nicht alle extrahierten Verben reflexiv sind. Am häufigsten zeigte das Verb erlaben ‚erlauben’ die Abfolge Akk>Dat (das reflexive sech erlaben hingegen nur einmal). Dieses Verb zeigt allerdings eine andere grammatische Besonderheit: Die 14 analysierten Sätze zeigen alle ein Neutrumpronomen et, das als Korrelat zu einem Objektsatz fungiert (und somit stets unbelebt ist).
812(195)en europäesche Pass, deen etOBJ-KORR hir erlaabt [hir Aktivitéit an der ganzer Europäescher Unioun auszeüben]OBJ (Politik)
einen europäischen Pass, der es ihr erlaubt ihre Aktivität in der ganzen Europäischen
Union auszuüben
813Objektsätze rücken im Luxemburgischen generell ins Nachfeld, um das Mittelfeld nicht zu überlasten. Im Mittelfeld wird allerdings häufig ein neutrales Akkusativpronomen (et) gesetzt, das ein Korrelat zum Objektsatz bildet. Dieses korrelierende et nimmt in zahlreichen Sätzen im Korpus die Position vor dem Dativpronomen ein (Akk>Dat).
814Doch auch hier besteht Variation, d.h., dass sich ebenfalls Objektsätze mit et-Korrelat finden, in denen das Akkusativpronomen et dennoch hinter dem Dativ steht (Dat>Akk):
815(196)dass een [...] hir et erlaabt déi Formatioun [...] och ze maachen (Politik)
dass man [..] ihr es erlaubt diese Weiterbildung [..] auch zu machen
816Auch das Verb erméiglechen ‚ermöglichen’ (vier Sätzen mit Akk>Dat-Folge), zeigt einen Objektsatz mit et-Korrelat im Mittelfeld, das sich vor das Dativpronomen setzt.
817(197)dat soll et him erméiglechen, sech op d’Klo [...] virzebereeden (Online-News)
das soll es ihm ermöglichen, sich auf die Klage [..] vorzubereiten
818Das korrelierende Pronomen et ist in diesen Sätzen stets fakultativ. Da der Objektsatz bereits die Funktion des direkten Objekts belegt, kann dieses Korrelat-Pronomen auch weggelassen werden, wie der folgende Satz aus dem Korpus zeigt.
819(198)Informatiounen [...], déi him erméiglechen, säin Uerteel ze spriechen (wiss.Arbeit)
Informationen [..], die ihm ermöglichen, sein Urteil zu sprechen
820Die Weglassbarkeit des korrelierenden Akkusativpronomens könnte ein Hinweis dafür sein, dass fakultative Pronomen, die ein Korrelat zu einem Objektsatz bilden, einen Einfluss auf die Reihenfolge von Dativ- und Akkusativpronomen haben. Mit den geringen Belegzahlen lässt sich diese Hypothese aber nicht endgültig bestätigen.
821Die Analyse der grammatischen Faktoren hat ergeben, dass fast alle Sätze, die über die seltenere Folge Akk>Dat verfügen, entweder ein Dativpronomen im reflexiven Gebrauch oder ein Akkusativpronomen (et) als fakultatives Korrelat zu einem Objektsatz aufweisen. Ein weiteres Merkmal, das all diese Verben gemeinsam haben, ist, dass das von ihnen verlangte Akkusativobjekt unbelebt ist und keine prototypische Patiensrolle ausübt. Weitere Erklärungsansätze, die hier nicht weiter untersucht werden können, wären demnach u.a. die lexikalisch-semantische Struktur der Verbkomplemente. Dies legen auch Forschungsergebnisse zur Abfolgevariation bei standarddeutschen Sätzen nahe (vgl. Haider 1992; Hoberg 1997; Fortmann & Frey 1997; zit. nach Speyer 2011: 17). Demnach können für unterschiedliche Verben aufgrund der thematischen Rollen, die sie vergeben, (und die damit verbundenen Belebtheitsoptionen) unterschiedliche Objektfolgen entstehen.
822Insgesamt dominiert die Folge Dat>Akk derart deutlich in den Daten (im Durchschnitt 93 %), dass hier durchaus von einer pronominalen Grundfolge Dat>Akk gesprochen werden kann.
823Nominativ vor Nicht-Nominativ
824Nachdem nun die Grundabfolge Dat>Akk festgemacht wurde, soll nun die Position von pronominalen Nominativen geklärt werden. Es gibt durchaus die Grundtendenz, dass Nominative vor anderen Kasus genannt werden. Auch in diesem Fall wurden die Kombinationen auf die Kontexte reduziert, in denen das Pronomen et das Subjekt und somit den Nominativ bildet. Eine quantitative Studie mit einem Nominativ- und einem Dativpronomen im Mittelfeld legt diese Tendenz offen:
825(199)et mir/mer egal Nom>Dat (n= 69)
es mirVOLL/mirKLIT egal
826(200)mir/mer et egal Dat>Nom (n= 5)
mirVOLL/mirKLITes egal
827Die meisten Belege zeigen eine deutliche Tendenz dafür, das Subjektpronomen im Mittelfeld als erstes zu nennen.
828(201)ze spéit wor et mir net (Internet) Nom>Dat
zu spät war es mir nicht
829Für die Abfolge Nom>Dat oder Dat>Nom ist es unerheblich, ob das Dativpronomen klitisch verwendet wird oder nicht, d.h. auch ein klitisches Dativpronomen kann vor- oder nachgestellt werden.
830(202)dann ass et mer egal (Online-Kommentar) Nom>Dat
dann ist es mir egal
831(203)dann ass mer et egal (Chat) Dat>Nom
dann ist mir es egal
832Eine detaillierte grammatische Erklärung wie für die Abfolge Akk>Dat kann in diesem Fall leider nicht geliefert werden, da sich zu wenige Sätze finden, in denen diese Reihenfolge im Mittelfeld nachgewiesen werden kann (im optimalen Fall müssten Subjekt und beide Verbkomplemente als Pronomen im Mittelfeld stehen). Dennoch kann hier die Tendenz aufgezeigt werden, Pronomen im Nominativ voranzustellen.
833Insgesamt kann die pronominale Grundtendenz Nom>Dat>Akk für das Luxemburgische somit bestätigt werden. Der nachfolgende Satz demonstriert diese Grundabfolge für luxemburgische Personalpronomen im Mittelfeld.
834(204)da maache mer hinnen et nach méi bëlleg (Politik) Nom>Dat>Akk
dann machen wir ihnen es noch mehr billig
835Ein weiterer Aspekt, der in diesem Kontext aus qualitativer Perspektive erwähnt werden sollte, ist die Position von pronominalen Konstituenten im Verhältnis zu nicht pronominalen. Um die Variation in diesem Bereich zu verdeutlichen, möchte ich an dieser Stelle zwei Satzpaare aus dem Korpus gegenüberstellen, in denen das pronominale Objekt einmal vor und einmal hinter dem nicht pronominalen Subjekt steht.
836(205)da wert hinnen d’laachen nach vergoen (Online-Kommentar) AkkPRO>Nom
dann wird ihnen das Lachen noch vergehen
837(206)Elo waert seng Arroganz em vergooen (Online-Kommentar) Nom>AkkPRO
Jetzt wird seine Arroganz ihm vergehen
838Bei diesen Sätzen fällt auf, dass pronominale Satzglieder nicht zwingend weiter vorne im Satz stehen müssen. Dies gilt einerseits für die Abfolge von Nominativ und Akkusativ, aber auch für Dativ und Akkusativ. Bei der Analyse zeigten zwei Sätze die Abfolge Dat>Akk, obwohl das Akkusativobjekt ein schwaches Pronomen (et) ist und das Dativobjekt eine verhältnismäßig lange, nicht pronominale Konstituente darstellt.
839(207)ech [...] hun der Police et gemellt (Online-Kommentar) Dat>AkkPRO
ich [..] habe der Polizei es gemeldet
840(208)dir sidd em Land an de Leit et schëlleg! (Online-Kommentar) Dat>AkkPRO
ihr seid dem Land und den Leuten es schuldig
841Auch in der Übersichtsgrammatik von Braun et al. (2005: 117) heißt es, dass das indirekte Objekt stets vor dem direkten Objekt steht. Das dazugehörige Beispiel verdeutlicht, dass auch hier Länge und Pronominalisierung der Konstituente für die Abfolge weniger wichtig sind als Kasus bzw. die syntaktische Funktion (das schwache Neutrumpronomen et steht hier für ein Buch).
842(209)Ech brénge menger Mamm et. (Lehrbuch)
Ich bringe meiner Mutter es.
843Bevor nun die Ergebnisse der pronominalen Abfolge zusammengefasst werden, soll noch ein Blick auf die luxemburgischen Wenkerbögen geworfen werden, aus denen ebenfalls Erkenntnisse über Pronomencluster gezogen werden können.
7.3 Exkurs: Die luxemburgischen Wenkersätze (1924/25)
844Die 40 Wenkersätze werden in der modernen Linguistik gerne für die Beschreibung dialektaler syntaktischer Variation herangezogen (vgl. u.a. Fleischer 2011; 2012; 2014; 2015; Schallert 2013). In den Jahren 1924 und 1925 ließ Richard Huss die 40 Wenkersätze an bestimmten Ortspunkten in Luxemburg übersetzen. Die Kopien dieser handschriftlichen Belege liegen in Form eines Katalogs (in Papierform) vor und wurden für die vorliegende Analyse ausgewertet. Für die Abfolge pronominaler Objekte eignet sich Wenkersatz Nr. 9, der in (210) dargestellt ist.
845(210)Wenkersatz Nr. 9: Ich bin selber bei der Frau gewesen und habe es ihr gesagt, und sie sagte, sie wolle es auch ihrer Tochter sagen.
846Die luxemburgischen Übersetzungen für Abfolge der Objekte in „habe es ihr gesagt“ zeigen eine deutliche Präferenz für die Reihenfolge Dat>Akk. Es ist durchaus bemerkenswert, dass über 96 % der Bögen diese Folge aufweisen, obwohl der deutsche Satz die umgekehrte Reihenfolge vorgibt. Die folgende Tabelle fasst die Belegzahlen zusammen.
Serialisierung | Anzahl | Kommentar |
Dat>Akk er et (n=140) hir et (n=99) | 96,4 % | verschiedene Verschriftlichungsstrategien der Klitisierung (hunn er et): hun-ǝr-ǝt, hun-ǝrt, hun erret, huner et |
Akk>Dat et er (n=1) et hir (n=1) | 0,8 % | et hir ist ein Beleg aus Grevenmacher an der deutschen Grenze. Das Dativpronomen hir wurde zudem über der Textzeile eingefügt. |
– | 2,8 % (n=7) | Satz wurde umgestellt (ohne pronominale Objekte) |
Gesamt | 100 % (n=248) |
847Es gibt insgesamt nur zwei Belege, die nicht der Grundtendenz Dat>Akk entsprechen und die Abfolge Akk>Dat zeigen. Einer dieser Belege wurde jedoch an einem Ort an der deutschen Grenze aufgezeichnet. Zudem zeigt das Schriftbild des bezüglichen Wenkerbogens, dass das Dativpronomen oberhalb der Zeile, leicht versetzt in den Satz eingefügt wurde, sodass dieser Bogen nicht hundertprozentig valide ist.
848In den Korpusdaten sowie in den fast 100 Jahre alten Wenkerdaten zeigt sich demzufolge die dominante pronominale Abfolge Dat>Akk. Allein das klitische feminine Dativ-Pronomen er findet sich in den heutigen Daten seltener.
7.4 Zusammenfassung
849In diesem Kapitel wurde ein Blick auf pronominale Objekte im Mittelfeld geworfen. Die Fragestellung wurde dabei in zwei Teile aufgespalten: In welcher Abfolge stehen Akkusativ- und Dativpronomen und steht Nominativ vor Nicht-Nominativ? Als Datengrundlage für die erste Frage dienten Kombination des Neutrum-Pronomens et (Akk.schwach) mit anderen Personalpronomen (in starker und schwacher Form). In den Daten wird deutlich, dass von den 1244 ausgewerteten Pronomenclustern 94 % die Abfolge Dat>Akk aufweisen. Ein Blick in die luxemburgischen Übersetzungen des Wenkersatzes Nr. 9 (vgl. Huss 1924/25) bestätigt die Tendenz, Dativpronomen vor Akkusativpronomen zu stellen (96,4 %). Demzufolge hat die so genannte Wackernagelposition128 für die Abfolge luxemburgischer Pronominalobjekte kaum Relevanz. Obwohl das Pronomen et, dessen Position in mehreren Kontexten quantitativ überprüft wurde, ein klitisches Neutrumpronomen im Akkusativ ist, stellt es sich in den meisten Fällen hinter das Dativpronomen, selbst wenn dieses ein volles Personalpronomen ist. Demzufolge liegt im Luxemburgischen eine recht starke Tendenz Dat>Akk vor. Einzelbelege zeigen auch, dass das schwache Akkusativpronomen et selbst hinter einem nominalen Dativobjekt stehen kann (ech gi menger Mamm et ‚ich gebe meiner Mutter es’). Dies verdeutlicht erneut, dass die Einhaltung der Folge Dat>Akk eine hohe Gewichtung bei der Anordnung der Satzglieder im luxemburgischen Mittelfeld darstellt.
850Bei der Position von Nominativen konnte beobachtet werden, dass diese sich in den meisten Fällen vor Objekte im Dativ und Akkusativ setzen. Die quantitative Herangehensweise war bei dieser Fragestellung nur bedingt möglich, da diese Sätze so beschaffen sein müssen, dass das pronominale Subjekt – zusammen mit anderen pronominalen Objekten – im Mittelfeld steht, und dieser Satztypus im Korpus kaum auffindbar ist. Demnach wurden Einzelkonstruktionen gesucht und mit unterschiedlichen Abfolgen (Nom>Dat, Dat>Nom) getestet. Auch wenn Umstellungen möglich sind, lautet die Grundtendenz, dass pronominale Nominative vor allen anderen Kasus auftreten.
851Insgesamt konnte also festgestellt werden, dass im Luxemburgischen die pronominale Satzfolge Nom>Dat>Akk deutlich vorherrscht und somit als Grundabfolge definiert werden kann, die unter bestimmten pragmatischen und grammatischen Eigenschaften allerdings umgestellt werden kann. Weitere Faktoren der Wortstellung gilt es in Zukunft zu erforschen, vor allem auch unter Berücksichtigung nominaler Satzglieder.
Fußnoten
773Wenkersatz Nr. 9 lautet: „Ich bin bei der Frau gewesen und habe es ihr gesagt, und sie sagte, sie wollte es auch ihrer Tochter sagen.“
774Die initiale Beobachtung Wackernagels bezog sich auf das Griechische, konnte aber auch für andere indoeuropäische Sprachen belegt werden (vgl. Anderson 1993).
774Bei Zifonun et al. (1997: 2343f.) wird für diese Besonderheit der Wortstellung ein spezielles „Vormittelfeld“ für pronominale Konstituenten eingefügt, in dem die Abfolge (Nom>Akk>Dat) lautet. Im Mittelfeld gilt für die nominalen Konstituenten die Grundtendenz (Nom>Dat>Akk).
777Terminologisch möchte ich mich vom Begriff der „(un)markierten Satzstellung“ distanzieren und die Begriffe „Grundstellung“ bzw. „neutrale Stellung“ vorziehen, denn „Markiertheit“ kennt in der linguistischen Forschung mehrere Definitionen, was hier zu einer unnötigen terminologischen Unschärfe führen würde (vgl. Haspelmath 2006). Haspelmath (2006) plädiert dafür, den unscharfen Begriff „Markiertheit“ zugunsten von konkreten Konzepten wie „pragmatische Inferenzen“ oder „strukturelle Asymmetrien“ in der strukturellen Beschreibung von Sprachen aufzugeben.
777Lenerz (1977: 27f.) geht davon aus, dass pragmatische Beschränkungen wie die Thema-Rhema-Bindung den Satz in besonderer Weise restrukturieren. Dem steht die These von Reis (1987) gegenüber, die davon ausgeht, dass grammatische Faktoren (Satzglieder) den Hauptausschlag für die Wortstellung geben.
783Die Tabelle zeigt hier nominale und pronominale Satzglieder, um zu verdeutlichen, wie groß die Anzahl an zu ordnenden Konstituenten sein kann. Gerade für Faktoren wie „pronominal>nominal“ oder „kurz>lang“ wären solche Listen allerdings relevant. Doch selbst beim Fokus auf die pronominale Abfolge ergeben sich durch die Stark-schwach-Opposition mehrere Möglichkeiten.
785Hylen & Speelman (2003) arbeiten in ihrer Korpusstudie zur Mittelfeldabfolge im Standarddeutschen allerdings mit einem standardisierten Korpus und verfügen über einen automatisierten Tagger, der in der Lage ist, die relevanten funktionalen Kategorien der Konstituenten zu bestimmten. Auch andere Studien zur Wortstellungsvariation arbeiten mit standardisierten Korpora und syntaktischen Taggern (vgl. Kempen & Harbusch 2004). Dies sind technische Vorteile, die das vorliegende luxemburgische Korpus nicht bieten kann.
796Für jedes Pronomen mit einer Stark-schwach-Distinktion wurden demnach vier Korpussuchen durchgeführt (Beispiel für die 1.Pers.Sg.): mir et; mer et; et mir; et mer.
796Es konnten keine Belege mit der theoretisch verfügbaren Reduktionsform er gefunden werden. In den Wenkersätzen, die zwischen 1924 und 1925 elizitiert wurden, sind solche Formen allerdings belegt (sie beruhen jedoch vornehmlich auf mündlich realisierter Sprache und wurden daraufhin transliteriert).
797Man könnte sich die Frage stellen, ob sich die Formgleichheit im Paradigma des Personalpronomens eis~ons (1. Person Plural) von Akkusativ und Dativ hier auf die Stellung auswirkt. Diese These ist allerdings nicht aussagekräftig, da das Pronomen der 2. Person Plural (iech) den gleichen Synkretismus aufweist und durchaus häufiger die „Grundfolge“ Dat>Akk zeigt. Somit kann der Synkretismus von Dativ und Akkusativ nicht alleine für die Verteilung bei eis et vs.et eis verantwortlich gemacht werden.
805In einer informellen Umfrage erwähnen drei von sechs Muttersprachlerinnen das „Deutsch-Klingen“ der Akk>Dat-Variante. Eine Muttersprachlerin, die lange in Deutschland studiert hat, erklärt während der mündlichen Befragung, dass sie bei Bewertungstests von pronominalen Folgen häufig beide Varianten akzeptiert, und führt dies darauf zurück, dass sie die Stellung Akk>Dat womöglich durch das Deutsche auch für das Luxemburgische akzeptiert. Insgesamt stellt der Einfluss des Standarddeutschen jedoch einen kaum kontrollierbaren Faktor dar.
849Der Wackernagelkomplex wird noch einmal in Bezug auf die Syntax der Nebensatzeinleitungen in Kapitel 9.3 thematisiert.