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Heimatfabrik Lokalmuseum: Zwischenfazit

Heimatfabrik Lokalmuseum

Zwischenfazit

Zwischenfazit

417In der Einleitung der vorliegenden Untersuchung wurde angekündigt, dass sie der Frage nachgehen will, ob und wie interne und externe Stakeholder das Profil von lokal verankerten Museen mitbestimmen. Eine vom deutschen Museumsbund in Auftrag gegebenen Studie zum strategischen Museumsmanagement bezeichnet als Stakeholder

Anspruchs- oder Interessensgruppen in- und außerhalb der Organisation, die bestimmte berechtigte Interessen gegenüber der Organisation verfolgen und damit die Zielerreichung der Organisation zumindest teilweise beeinflussen können. Beispiele: Mitarbeiter, Zuwendungsgeber, Besucher, Medien, externe Dienstleister, andere Kultureinrichtungen, Sponsoren, Träger des Museums, Betriebsrat, Aufsichtsgremium, Förderverein, Café́-Pächter, Vermieter der Liegenschaft, Ehrenamtliche etc.. (Knappe 2018: IX-X)

418Aus der Sicht der Autorin können sie in interne und externe Stakeholder aufgeteilt werden. Interne Beteiligte sind die Museumsakteure wie Sammlungs-, Ausstellungs-, Vermittlungs- und Marketingverantwortliche, aber auch die Museumsträger, die als Einzelpersonen oder als Vereine auftreten können. Zu den externen Stakeholdern gehören öffentliche wie private Geldgeber, Café- und Shop-Pächter sowie Publika, die nicht zu den internen Stakeholdern zählen. In Sammlermuseen, die von Privatsammlern finanziert und betrieben werden wie Joseph Andriens Musée de la Fourche in Mortier oder Philippe Tibesars Musée du Cycle in Weyler, ist der Sammler der einzige interne Stakeholder. Solange er in der Lage ist das Museum in Eigenregie zu betreiben, braucht er keine Rücksicht auf externe Unterstützer zu nehmen und hat die Deutungshoheit über „seinen“ heritage. Etwas komplexer wird die Lage, wenn das Museum von einem Verein getragen wird. Das Bauernmuseum in Peppingen, das eine die ursprüngliche Mission der Geschichtsfreunde des Roeserbanns allenfalls am Rande berührende Kutschensammlung aufgenommen hat, belegt u.a., dass diese Museen sich bemühen müssen, unterschiedliche interne Interessen unter einen Hut zu bringen. Wenn wie ebenfalls im Bauernmuseum in Peppingen oder im Museum „A Possen“ in Bech-Kleinmacher öffentliche Gelder zur Stimulierung des lokalen Tourismus fließen, dann muss das Museum auch den Erwartungen dieser Stakeholder entgegenkommen. Dies tritt besonders deutlich am Musée au Coeur de l’Attert hervor. Die öffentliche Bedeutung der „heritage“-Zeugnisse wird zwischen den Stakeholdern ausgehandelt und beeinflusst das von Museen konstruierte lokalgeschichtliche Bild maßgeblich.

Standort-„heritage“

419An den Beispielen der monothematischen Bergbau- und Kriegsmuseen konnte gezeigt werden, dass der originale Standort – die Mine oder das Schlachtfeld – das symbolträchtigste und aussagekräftigste „heritage“-Zeugnis ist, über das sie verfügen. Doch auch ländliche Museen werden über den authentischen Standort, der sie in einer Heimat für bestimmte Stakeholder verankert, zu symbolischen Orten. Das haben auch kommunale Geldgeber erkannt, die den Betreibern der Museen häufig Gebäude zur Verfügung stellen, die den Anforderungen des „petit patrimoine“ genügen. In bestimmten Fällen wirkt die benjaminsche Aura des Standorts nicht nur auf Stakeholder, deren Biographien im weitesten Sinn mit ihm verknüpft sind, sondern auch auf externe Publika. Dies bewegt Investoren, die an der Tourismusförderung interessiert sind, in solche Museen zu investieren und ihr Gewicht direkt oder indirekt einzubringen, um die Narrative des Museums den Bedürfnissen der angestrebten Publika anzupassen. Sie nehmen dabei die Vernachlässigung von Heimat-Vergangenheit, die für die einheimische Bevölkerung ebenfalls relevant ist, bewusst in Kauf. Die Beispiele der Ardennen-Schlacht-Museen, des Memorial 1815-Museums in Waterloo und des Musée gaumais in Virton zeigen, dass die externe Tourismusattraktivität des „heritage“ vom Stellenwert abhängt, den der Standort im überregionalen kulturellen Gedächtnis hat. Der Ursprung der in den betroffenen Museen ausgestellten Objekte, die durch die Aufnahme in die Sammlungen ebenfalls zu Zeugnissen des lokalen „heritage“ geworden sind, ist aus dem Standort-„heritage“-Blickwinkel von untergeordnetem Interesse. Das Beispiel der Obermartelinger Schiefermuseums zeigt sogar, dass die Bespielung des Standorts in Führungen, die von meist ehrenamtlichen internen Stakeholdern durchgeführt werden, bisweilen reicht, um die Geschichte des Standortes wiederaufleben zu lassen.

Immaterieller „heritage“

420Die Aussagen, die über Standort-heritage-Museen getroffen wurden, können zum Teil auch auf Museen übertragen werden, die sich mit immateriellem Folklore-„heritage“ befassen. Je größer die Anerkennung von lokalem immateriellem „heritage“ ist, z. B. durch seine Labelisierung als UNESCO-Weltkulturerbe, desto eher sind externe Geldgeber bereit, es zu einem Standortfaktor für den Tourismus zu entwickeln und in Museen – die wiederum häufig in Gebäuden von lokalgeschichtlichem Interesse untergebracht werden – zu investieren. Am Musée international du Carnaval et du Masque in Binche konnte aufgezeigt werden, wie das überregionale Prädikat die kommunalen Geldgeber dazu bewegt hat, das Profil des Museums zu verändern.

421In den Museen, in die externe Geldgeber größere Summen investieren, bereiten meist hauptberufliche und unter Publikumserfolgsdruck stehende Museumsakteure den „heritage“ nach den imaginierten Bedürfnissen von Publika auf, die erst durch den Museumsbesuch damit in Kontakt kommen. Das Musée du Doudou in Mons, das Musée du Carnaval et du Masque in Binche und das Maison des Géants in Ath kombinieren dabei einen analogischen Erlebnisteil mit einem kommunikationellen didaktischen Teil. Für Besucher, denen die Traditionen ein Begriff sind, reicht die kontextlose Präsentation der Exponate, für die das Maison Tournaisienne ein gutes Beispiel liefert, um ihr kommunikatives Gedächtnis zu aktivieren. Allerdings können Museen, die ihren „heritage“ in den Vordergrund stellen, auch zu einem öffentlichen Anerkennungsfaktor für das Heimatliche werden.

422Die Sprache hat eine ein- und ausschließende Funktion. Von wenigen Museen abgesehen, wird ihr als lokalspezifischer „heritage“ allerdings kaum Beachtung geschenkt. Im Gegenteil, manche Museen, wie das Lëtzebuerg City Museum, das mit einem luxemburgischen Namensteil Relevanz für das ihrer mächtige lokale Publikum ausdrücken will, schließen sie sogar als Kommunikationssprache aus.

„Heritage“ des Alltags

423An allen untersuchten Fallbeispielen konnte herausgeschält werden, dass Museen symbolische Orte sind, die „heritage“ schaffen, der für bestimmte Stakeholder-Gruppen identitätsstiftend ist. Anderen Stakeholdern muss seine Bedeutung erst erklärt werden und wieder andere werden durch die Art der Präsentation ausgeschlossen. Dies gilt sowohl für lokalgeschichtliche Museen als auch für rein thematische Sammlungsmuseen. Aus der Identitätsstiftenden Perspektive ist die symbolische Bedeutung des Museums wichtiger als der materielle Träger, weshalb in manchen Häusern Kopien, Originalexponate lokaler oder anderortiger Provenienz und Dioramen den gleichen Stellenwert haben. 2019 steht die mit Teddybären besetzte Rekonstruktion einer Schulklasse im lokalgeschichtlichen Museum „A Possen“ für das „heimliche“ Schulerlebnis in einer in der konturenlosen „guten alten Zeit“, in die sich die „Lehrer“-Beschreibung von Damian Kratzenberg aus dem Jahre 1938 nahtlos einfügt. Körperliche Strafen, die auch zum Schulalltag gehören, um aus den von Kratzenberg als „bösartig“ bezeichneten Kindern „starkmütige“ und „gute“ Menschen zu machen, werden ausgeklammert. Ebenso ist es kaum zu glauben, dass zwischen den Präsentationen des Museé de l’Afrique in Namur aus dem Jahr 2019 und der Kongo-Fluss-Beschreibung von Nikolaus Berger achtzig Jahre liegen. Die Peitschen des Musée de l’Afrique in Namur zeigen in zugespitzter Form, wie Museumsakteure durch das geschickte Arrangieren von Exponaten – in diesem konkreten Fall durch eine kognitiv-ästhetische Präsentation – Teile ihrer Bedeutung ausklammern und damit ihre identitätsstiftende „heritage“-Bedeutung für andere Stakeholder negieren. Das Museum in Namur wird zur Ersatzheimat für die Stakeholder, die sich als Vertriebene betrachten. Wie in der früheren zentralafrikanischen weißen Heimat hat die einheimische schwarze Bevölkerung im Museum nichts zu suchen. Durch die Auslagerung ins Depot verweigern die internen Stakeholder des Museums in Hélécine die Verantwortung für den kolonialen „heritage“, den der Museumsgründer gesammelt hat. Die Nickneger im Museum „A Possen“ liefern ein gutes Beispiel dafür, wie die Bedeutung von „heritage“-Zeugnissen des Alltags, die aus der Perspektive von Historikern heute als „difficult“ gelten, in verharmlosenden Tableaus geglättet werden kann.

Trauer-„heritage“

424An Orten, die für bestimmte Stakeholder in Verbindung mit Brüchen in ihrer Existenz in Verbindung gebracht werden, können Museen, die darauf bezogenen „heritage“ ausstellen, Gedenkstättencharakter erlangen. Das trifft z. B. auf das Athus et l’Acier zu, wo die Vereinsmitglieder ihre Erinnerungen pflegen. Im Bois du Cazier wird nicht nur die Erinnerung an die niedergegangene Industrie-Lebenswelt kultiviert, sondern die Museumsakteure haben dort mit politischer Unterstützung einen explizit als Mémorial bezeichneten Raum für die Opfer der Katastrophe von Marcinelle geschaffen. Man kann sogar behaupten, dass die Geschichte der Mine in Marcinelle auf die Katastrophe von 1956 reduziert wird, so als habe es kein Vorher und kein Nachher gegeben. Durch die Erklärung des 8. August zum Gedenktag an alle im Ausland bei der Arbeit gestorbenen Italiener reicht die Relevanz des Unglücks-„heritage“, der im Bois du Cazier bewahrt und geehrt wird, weit über den Kreis derjenigen hinaus, deren Biographien mit denen der Opfer von 1956 in Verbindung stehen.

425Auch die den lokalen Schlachten des Zweiten Weltkriegs gewidmeten Museen in der belgischen und luxemburgischen Ardennengegend schließen die Zeit vor und nach den Ereignissen aus und reduzieren den „heritage“ auf seine militärische Bedeutung. Sieht man vom Bastogne War Museum ab, wird die Geschichte der Zivilbevölkerung weitgehend ausgeblendet. Die in den Dioramen rekonstruierten Häuserinterieurs sind lediglich Dekor für den militärischen Alltag. Ihre interne identitätsstiftende Bedeutung entwickeln sie als Gedenkstätten für Kriegsveteranen und deren Nachkommen. Ihre „unterhaltende“ Funktion für Unbeteiligte im Sinne Bella Dicks‘ entfalten sie im Bereich des Katastrophen-Tourismus, dessen Potenzial öffentliche Geldgeber bewegt, in sie zu investieren. Dabei ist festzustellen, dass die Mediatisierung des zugrundeliegenden Ereignisses die Investitionsbereitschaft der Geldgeber beeinflusst. Durch die entsprechende Inszenierung von Exponaten können auch regionale Museen wie das Musée gaumais in Virton, das an das beidseitige Sterben in den belgischen Grenzschlachten zu Beginn des Ersten Weltkriegs erinnert, zu kleinen Gedenkstätten werden. Das Zwangsrekrutierten-Museum in Düdelingen entwickelt mit seiner deterministischen Beweisführungsausstellung sogar doppelten Gedenkstättencharakter.

„Difficult heritage“

426Aus den vorausgegangenen Betrachtungen geht hervor, dass jede Art von „heritage“ für bestimmte Stakeholder potenziell schwierig ist. Liturgische Gegenstände, die die Omnipräsenz der katholischen Kirche repräsentieren, mögen manche Menschen mit Geborgenheitserinnerungen erfüllen, können aber Besucher, die Vertreter der Institution Kirche negativ wahrgenommen haben, mit Abscheu erfüllen. Es liegt in der Hand der Museumsakteure, welche symbolische(n) Bedeutung(en) der „heritage“-Zeugnisse sie in den Vordergrund stellen. Abhängig vom Einfluss, den sie selber als interne Beteiligte haben, und von den Erwartungen, die externe Stakeholder an sie richten, beleuchten sie den „heritage“ aus einer oder mehreren Perspektiven. Es konnte festgestellt werden, dass vor allem Museen, die sich an geographisch oder altersmäßig breit gestreute Publika richten, ihren „heritage“ facettenreich betrachten. Das Interpretationszentrum Au Coeur de l’Attert ergänzt den Blick auf die traditionellen Landwirtschaftsmethoden durch den Ausblick auf die Überlebensschwierigkeiten der Landwirte. Die beiden untersuchten Museen zur Ardennen-Schlacht verleihen den deutschen Kriegsverlierern eine menschliche Stimme. Das vormals rein militärische Bastogne Historical Center schloss bei seiner Erneuerung als Bastogne War Museum den zivilen Blick auf den Kessel von Bastogne explizit ein. Am Beispiel der Darstellung des Ersten und des Zweiten Weltkriegs konnte dargelegt werden, dass das Mons Memorial Museum nicht nur zeitgenössischen Stimmen gleichwertigen Zugang zu geteiltem „heritage“ gibt, sondern durch das Signieren von zentralen didaktischen Texten die Ausstellung als historische Konstruktion entlarvt. Nicht zuletzt belegt auch das bescheidene Heimatmuseum Sankt-Vith, dass es möglich ist, den nostalgisch einseitigen Blick von ländlichen Museen auf die Vergangenheit zu erweitern.

Die Aufbereitung des „heritage“

427In dieser Arbeit wurde in Anlehnung an Gottfried Korff darauf hingewiesen, dass Ausstellungen mehr sind als bloße Bebilderungen von Themen mit Exponaten. Indem sie Objekte, Texte und andere Medien räumlich zueinander in Beziehung setzen, konstruieren sie selbstständig Bilder. (Korff 1992: 24) Die untersuchten Museen bestätigen diese Aussage. Die Akteure bedienen sich gezielt des ganzen museographischen Formenregisters, um ihre Standpunkte zum Ausdruck zu bringen. Dabei kann allerdings keine deterministische Zuordnung von Gestaltungsformen und bestimmten Inhalten getroffen werden. Akteure in ländlichen Museen haben Affinitäten für immersive Dioramen, mit denen sie ihre oft anachronistischen Früher-Bilder vermitteln. Das Musée de la Mine et du Développement durable setzt auch auf die Bestückung der (originalen) Räume mit Mannequins, um die geschlechterspezifische Arbeitsteilung in der Verwaltung der Bois-du-Luc-Mine darzustellen. Es konnte festgestellt werden, dass professionelle wie Amateur-Kuratoren gerne auf die kognitiv-ästhetische Darstellungsweise zurückgreifen, wenn sie mit dem Sammlungsreichtum auftrumpfen wollen. Wie aber am Beispiel von Namur oder auch im Fall des „Nicknegers“ im Museum „A Possen“ gezeigt werden konnte, lässt sich mit dieser Methode auch Vergangenheit ohne explizite Verneinung verschweigen. Die kommunikationelle Methode kommt immer dann zur Anwendung, wenn die Ausstellungsmacher unkundigen Publika komplexere Fakten oder Prozesse erklären wollen. Zu diesem Zweck greifen andere Museen wiederum auf performative Vermittlungsweisen zurück, die entweder „life“ oder in Form von Audioguides und Filmvorführungen angeboten werden können. Es konnte aufgezeigt werden, dass und wie die Verantwortlichen die museographischen Methoden gezielt den Inhalten, die sie vermitteln oder verschweigen wollen, anpassen. Lokal verankerte Museen sind keine neutralen Orte. Im Zusammenhang mit gesetzlich schützenswertem „heritage“ schreibt Astrid Swenson treffend, dass seine Festlegung von Machtkonstellationen und Interessenkonflikten abhängt. (Swenson 2007: 71) Diese Feststellung kann ebenso auf den kleinen „heritage“ übertragen werden wie die pointierte Aussage von Daniel Lowenthal, dass es sich bei „heritage“ um „einen mit der historischen Wahrheit bemäntelte[n] aktivistische[n] Kreuzzug, die Vergangenheit im Interesse der Gegenwart zu manipulieren“ handelt. (Lowenthal 2000: 71) Museen liefern den „heritage“-Aktivisten breitenwirksame Instrumente für ihre interessengesteuerte Interpretation von Vergangenheit und Gegenwart.

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