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Intonation des Luxemburgischen: System und Sprachkontext: 4. Korpuserstellung

Intonation des Luxemburgischen: System und Sprachkontext

4. Korpuserstellung

4. Korpuserstellung

190Neben den diversen Auffassungen und Beschreibungsformen von Intonation sowie Herangehensweisen zur Bestimmung von Phrasen liegt in der Literatur auch eine methodische Vielfalt vor. Die unterschiedlichen methodischen Konzepte sind vom Untersuchungsgegenstand abhängig: So ist beispielsweise für die Untersuchung von self-repairs ein anderer Versuchsaufbau nötig als für die Untersuchung von engem Fokus. Eine häufig angewendete Methode in der Intonationsforschung ist das Map Task Verfahren, das semi-strukturierte Spontansprache in Form eines Dialogs hervorbringt. Es kommt in einer Vielzahl von Studien zum Einsatz (Mixdorff und Pfitzinger 2005), besonders wenn gesprächsstrukturierende Phänomene wie turn-taking untersucht werden (Caspers 2003). Das Verfahren hat den Vorteil, dass vergleichbare Daten für quantitative Untersuchungen produziert werden, ist aber in Bezug auf das intonatorische Repertoire aufgrund der situativen Gegebenheiten relativ eingeschränkt und produziert wenig Sprachmaterial (Nilsenová 2006). In einer Wegbeschreibung, wie sie in einem Map Task Experiment durchgeführt werden, werden etwa in erster Linie Fragen und Befehlsformen elizitiert. Liegt der Schwerpunkt der Untersuchung auf der Interaktion zweier Sprecher, wie das z. B. für die konversationsanalytischen Arbeiten von Gilles (2005) oder Bergmann (2008) der Fall ist, werden natürliche Gespräche bzw. Interviews herangezogen. Ein Interview begünstigt die Natürlichkeit der Interaktion und bietet eine breite Grundlage für funktionale Analyse verschiedenster Phrasen. Auch monologische Bildbeschreibungen kommen häufig zum Einsatz, wenn es etwa um die Analyse von Grenztönen geht (Swerts 1997).

191In diesem Kapitel wird der Versuchsaufbau für den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit diskutiert und beschrieben, an welche bestehenden Methoden sich dieser Aufbau anlehnt. Anschließend wird geschildert, wie die Aufnahmen angefertigt wurden und welche Herausforderungen damit verbunden waren.

4.1 Methodik und Studiendesign

192Der explorative Charakter dieser Untersuchung zur Ermittlung des luxemburgischen Intonationsinventars wirft die Frage nach der geeigneten Datenerhebung auf.89 Bevor der konkrete Versuchsaufbau erstellt werden kann, muss die Frage des Sprechstils geklärt werden. Da sich unterschiedliche Sprechstile (z. B. formell vs. informell) auch intonatorisch äußern (vgl. Cruttenden 1997, S. 128ff), muss bedacht werden, dass beispielsweise gelesene Sprache andere intonatorische Formen aufweist als frei gesprochene Sprache. Aus dieser Überlegung heraus wird zunächst die Diskussion über Lese- und Spontansprache geführt, bevor das konkrete Studiendesign besprochen wird.

193Die Vor- und Nachteile von spontansprachlichen gegenüber lesesprachlichen Daten wurden bereits vielfach diskutiert (Ayers 1994; Ruiter 2015). Ein offensichtlicher Vorteil von spontansprachlichen Daten besteht darin, dass sie alltägliche Sprechsituationen wiedergeben. Um einen Überblick über das Kontureninventar einer Sprache und deren Variation zu erhalten, ist eben solche spontane Sprache nötig (Gilles 2005), die nur in Gesprächen erhoben werden kann. Auch für die Bestimmung von Intonationsphrasen anhand gesprächsstrukturierender Aspekte müssen spontane Sprachdaten vorliegen. Ein Nachteil liegt jedoch in den häufigen Abbrüchen, Häsitationen und Wiederholungen (vgl. Cruttenden 1997), welche die Identifizierung von Intonationsphrasen und deren Grenzen erschweren (vgl. Grice und Baumann 2007). Hinzu kommt eine durch linguistische, paralinguistische oder extralinguistische Faktoren bedingte (phonetische) Variabilität, welche die Vergleichbarkeit (Ito und Speer 2006; Leemann 2012) und damit das Erfassen des zugrundeliegenden Systems erschweren. Darunter fallen beispielsweise unterschiedliche Silbenzahl und Struktur, variierender Kontext und variierende Länge sowie sich verändernder Inhalt. Die Unvorhersehbarkeit und phonetische, lexikalische sowie syntaktische Heterogenität von Spontansprache erschwert es, gleichwertige Äußerungen für einen notwendigen Vergleich zu finden. Auch die Tatsache, dass prosodische und syntaktische Einheiten in der Spontansprache häufig nicht zusammenfallen (Bergmann und Mertzlufft 2009), verursacht Schwierigkeiten bei der Segmentierung und der Analyse. Solche Schwierigkeiten entstehen bei Lesesprache nicht, erlaubt sie es doch vergleichbare Daten zu erheben, die im Vorfeld geplant und kontrolliert werden können. Viele paralinguistische Aspekte, die die Auswertung spontaner Sprache erschweren, sind in der Regel in gelesener Sprache überhaupt nicht vorhanden, es sei denn sie werden spezifisch getriggert (vgl. Leemann 2012, S. 293). Auch eine identische Silbenzahl bzw. -struktur kann nur über geskriptete Sprache garantiert werden, was sie besonders tauglich für einen Vergleich macht und sich somit für einen ersten Einblick in ein unerforschtes System eignet.

194Dennoch ist auch ein reines Leseexperiment keine optimale Lösung, da Lesesprache über eine ihr eigene Intonation verfügt90, die sich nicht mit der von spontaner Sprache deckt (Cruttenden 1997). Darüber hinaus schränkt ein geplantes Leseexperiment den Blick für Variation und unbekannte Phänomene ein, da nur eine begrenzte Zahl an Phänomenen herausgegriffen und untersucht wird.

195Wichmann (2000, S. 19) macht darauf aufmerksam, dass man nicht pauschal von Spontansprache und Lesesprache als konträre Sprechstile ausgehen kann, da es sowohl große Unterschiede zwischen Monolog und Dialog in der Spontansprache gibt, als auch Unterschiede zwischen einstudiertem gelesenen Text und gelesenem Text, den der Sprecher zum ersten Mal sieht. Sie unterscheidet daher zwischen geskripteter und ungeskripteter Rede, die beide mehr oder weniger spontan sein können (vgl. ebd.). Da in der vorliegenden Arbeit weder reine Monologe noch einstudierte Sprache verwendet werden, werden die Begriffe ungeskriptet und spontan sowie gelesen und geskriptet synonym verwendet.

196In Anbetracht der diskutierten Vor- und Nachteile von geskripteter und ungeskripteter Sprache, erscheint nur eine Kombination aus beiden Vorgehensweisen für eine explorative Studie sinnvoll. Dies trifft insbesondere dann zu, wenn die Lesesprache so weit wie möglich von Laborsprache entfernt und durch Kontextualisierung (Einbettung des Targetsatzes in einen Kontext) der natürlichen Rede angenähert wird (vgl. dazu auch Niebuhr et al. 2010, die ebenfalls auf eine zweiteilige Erhebung aus gelesener und spontaner Sprache zurückgreifen). Eine solche Kontextualisierung erfolgt beispielsweise durch eine kurze Erklärung der Umstände, in der eine Phrase geäußert wird, d. h. durch Vorgabe eines semantisch-pragmatischen Kontextes, der den Leser in eine eindeutige Situation versetzt. Deshalb ist in dieser Studie der kontrollierte Teil zwar geskriptet, doch wird mehr verlangt als „decode the text and convert into speech“ (Wichmann 2000, S. 20).

197Der Versuchsaufbau dieser Arbeit gestaltet sich dementsprechend zweiteilig, wobei für die ungeskriptete, spontane Sprache auf zwei Experimentteile zurückgegriffen wird, um die Realisierung von Fragen zu garantieren, deren Produktion in einem Gespräch nicht gewährleistet ist. Aus diesem Grund wird zusätzlich zum Experimentteil Gespräch eine weitere konversationelle Situation (Interaktion) geschaffen, die spontansprachliche Fragen erzeugt, wie in Abschnitt 4.1.2 erklärt wird. Die folgende Übersicht (Tabelle 5) gibt vorab Aufschluss über die funktionalen Kategorien, die mit jedem Experimentteil erhoben und anschließend analysiert werden.

ExperimentteilAnalysierte Kategorien
GESKRIPTET
natürliche Lesesprache- abschließend
- syntaktisch weiterweisend
- pragmatisch weiterweisend
- geschlossene Listen
- Ja-Nein-Fragen
- W-Fragen
Gespräch- abschließend
- syntaktisch weiterweisend
- pragmatisch weiterweisend
- intonatorisch weiterweisend
- geschlossene Listen
- offene Listen
- Ja-Nein-Fragen (sofern vorhanden)
- W-Fragen (sofern vorhanden)
UNGESKRIPTET
InteraktionLuxemburgisch- Ja-Nein-Fragen
- W-Fragen
Deutsch- abschließend
- syntaktisch weiterweisend
- pragmatisch weiterweisend
- intonatorisch weiterweisend
- geschlossene Listen
- offene Listen
- Ja-Nein-Fragen
- W-Fragen
Französisch
Tabelle 5: Übersicht über die zu untersuchenden Kategorien pro Experimentteil

198Im geskripteten Teil des Versuchsaufbaus (Experimentteil natürliche Lesesprache, vgl. Abschnitt 4.1.1) werden abschließende, weiterweisende (darunter syntaktisch und pragmatisch sowie geschlossene Listen) und fragende Phrasen (Ja-Nein-Fragen und W-Fragen) analysiert. Im spontansprachlichen, ungeskripteten Experimentteil Gespräch (vgl. Abschnitt 4.1.2) werden die gleichen Kategorien untersucht, doch werden sie durch intonatorische Weiterweisungen und offene Listen ergänzt. Somit werden zwar auch Fragen (Ja-Nein-Fragen und W-Fragen) untersucht, sofern sie vorhanden sind, doch werden diese in erster Linie über den luxemburgischsprachigen Teil des Experimentteils Interaktion erhoben. Um die Hypothesen in Bezug auf intonatorische Interferenzen im Deutschen und Französischen zu überprüfen, wird in diesem Experimentteil zusätzlich zum Luxemburgischen auch deutsches und französisches Sprachmaterial erhoben (vgl. Abschnitt 4.1.2), in denen die gleichen funktionalen Kategorien wie im Gespräch betrachtet werden. Die genauere Gestaltung dieses zweigeteilten Versuchsaufbaus, der aus drei Experimentteilen besteht, wird im Folgenden ausführlicher behandelt.

4.1.1 Geskriptete Sprache

199Für den kontrollierten Teil des Experiments wurde ein Aufbau erstellt, der möglichst nahe an natürliche Sprache herankommt, ohne dafür ein geskriptetes Gespräch von den Teilnehmern vorlesen zu lassen. Wie nachstehend erläutert wird, orientiert sich das Design dieses Experiments grob an dem des Interactive Atlas of Romance Intonation (IARI) (Prieto et al. 2010-2014), während die Kategorisierung zusätzlich in Anlehnung an Peters (2014) erfolgt.

200Theoretische Grundlage

201Zur Erstellung des IARI wurde neben map task und Interviews die Discourse Completion Task Methode angewendet, die hier grob als Vorlage dient. Den Teilnehmern werden darin mehrere Situationen vorgegeben (wie etwa „Du gehst in ein Geschäft, in dem du nie zuvor warst und fragst, ob sie Mandarinen haben.“91), die sie entsprechend vervollständigen sollen. Dieses Verfahren ist besonders sinnvoll, um Intonationsverläufe zu erhalten, die spontansprachlich nur schwer zu elizitieren sind (wie etwa Rufformen).

202Die Vorgehensweise erwies sich nach einigen abgewandelten Vortests jedoch als ungeeignet für diese Arbeit, da sie den Sprechern noch zu viele Möglichkeiten bietet, den Wortlaut und die Syntax zu variieren. Die erwünschte Kontrollierbarkeit kann folglich nur ein vollständig geskripteter Text liefern. Der Ansatz, die Targetsätze in einen Kontext einzubetten (hier in direkter Rede), sowie einige konkrete Ideen für die Gestaltung der Targetsätze konnten jedoch aus dem IARI übernommen werden (s. Beispiele in Tabelle 6).

IARI:Fr. Dis les jours de la semaine.
'Zähle die Wochentage auf.'
Modifikation92:Lux.De Jérôme ass am éischte Schouljoer. Direkt den éischten Dag freet de Schoulmeeschter hien, ob e kann d’Wochendeeg opzielen. De Jérôme ass immens houfreg a fängt un opzezielen: «Méinden, Dënschden, Mëttwoch, Donneschden, Freiden, Samschden, Sonnden.»
'Jérôme ist im ersten Schuljahr. Gleich am ersten Tag fragt ihn der Lehrer, ob er die Wochentage aufzählen kann. Jérôme ist sehr stolz und fängt an aufzuzählen: „Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Samstag, Sonntag.“ '
Tabelle 6: Beispiel für einen aus dem IARI übernommenen Targetsatz

203Der Vorteil den Targetsatz in einem Kontext vorzugeben liegt darin, dem Sprecher eine gesprächsähnliche Struktur vorzugeben, ohne auf einen zweiten aktiven Gesprächsteilnehmer (sei er real oder im Text vorgegeben) zurückgreifen zu müssen.

204Die relativ klassische, grammatisch orientierte Kategorisierung von Phrasentypen (utterance types) des IARI in Aussagen, Ja-Nein-Fragen, W-Fragen, Echo-Fragen, Befehle und Anreden93 wird im Aufbau dieser Studie zu großen Teilen übernommen, da sie sehr gängig und für einen ersten Überblick sehr intuitiv ist (s. Abbildung 3 weiter unten). Die weitere Unterteilung dieser verschiedenen Typen im Versuchsaufbau des IARI wurde hier außer Acht gelassen, wenn diese zu detailliert erschien und (zu) ungewöhnliche (intonatorische) Situationen abbildet, um für eine Beschreibung intonatorischer Hauptmerkmale des Luxemburgischen geeignet zu sein. Darunter fällt z. B. die Kategorie „uncertainty statement“ (Pietro et al. 2010-2014), die attitudinale Aspekte mit aufnimmt. Solche von den Autoren als „marked“ oder „biased“ annotierte Formen (letztere sind z. B. „counterexpectational wh‑question“) wurden ebenfalls nicht in den vorliegenden Versuchsaufbau integriert. Dadurch wurden lediglich mit „neutral“ annotierte Formen übernommen, so dass die oben geführte Diskussion über Sprechereinstellung und Erwartungshaltung hier so wenig wie möglich aufgegriffen werden muss. Weiterhin wurde beim Experimentaufbau versucht, jeweils mehr als eine Intonationsphrase pro Kategorie zu betrachten, um den Vergleich zwischen Phrasen mit unterschiedlicher postnuklearer Silbenzahl anzustellen und eine zufällige Bildung ausschließen zu können.

205Ein Vorteil der Vorgehensweise von IARI für die vorliegende Studie ist, dass grammatische Kategorien94 festliegen, deren intonatorische Realisierung dann (in mehreren Sprachen) geprüft wird. Darin liegt jedoch gleichzeitig ein Nachteil, da funktionale Kategorien aus der Untersuchung unterschiedlicher Tonhöhenverläufe erstellt werden müssten, um sich nicht von vorgegebenen, grammatischen Klassen beeinflussen zu lassen. Aus diesem Grund werden auch die von Peters (2014) in seiner tonbasierten Grammatik erarbeiteten funktionalen Bezugsbereiche berücksichtigt. Er legt den Schwerpunkt auf die kommunikative Funktion von Intonation, was in IARI nicht im Vordergrund steht, so dass hier neben den grammatischen Funktionen auch pragmatische Aspekte im Aufbau berücksichtigt werden. Peters (2014) zerlegt die für das Deutsche ermittelten nuklearen Konturen in einzelne Töne und ordnet sie einem Bezugsbereich zu. Wie in der Beschreibung intonatorischer Funktion erläutert (Abschnitt 2.2), wird der Grenzton der Konversationsstruktur zugeordnet. Ein tiefer finaler IP-Grenzton etwa bedeutet konversationelle Abgeschlossenheit, während einem hohen IP-Grenzton konversationelle Unabgeschlossenheit zugesprochen wird (s. Tabelle 7). Dabei bezieht sich die Unabgeschlossenheit auf „die Einbettung der Äußerung in den interaktiven Kontext“ (ebd., S. 57). Die Abwesenheit eines Grenztons (durch 0% markiert) wird auf die konzeptuelle Struktur bezogen, da die Bedeutung in der Konversation nicht spezifiziert ist (etwa bei Plateaukonturen). Die Wahl des Akzenttons (H* vs. L*) und die des Folgetons (Ton vs. kein Ton) wird der Informationsstruktur zugeordnet, wobei ein hoher Akzentton als kommunikativ unabhängig relevant gewertet wird.95 Der tiefe Akzentton dagegen drückt eine nicht kommunikativ unabhängige Relevanz aus. Weiterhin signalisiert die Präsenz eines Folgetons informatorische Abgeschlossenheit, während ein nicht vorhandener Folgeton informatorische Unabgeschlossenheit bedeutet. Zusammengefasst ergeben sich also drei bipolare, semantische Merkmale, die unterschiedlich kombiniert werden können. Dabei handelt es sich um die Merkmale ±konversationell abgeschlossen, ±kommunikativ unabhängig relevant und ±informatorisch abgeschlossen (s. Tabelle 7).

semantisches Merkmal:IP-GrenztonAkzenttonFolgeton
H%L%0%
±konversationell abgeschlossenneinjanicht spezifiziert
H*L*
±kommunikativ unabhängig relevantjanein
Tonkein Ton
±informatorisch abgeschlossenjanein
BezugsbereichKonversationsstrukturkonzeptuelle StrukturInformationsstruktur
Tabelle 7: Zuordnung der semantischen Merkmale der Töne und deren Bezugsbereich nach Peters (2014)

206Auf diese Weise resultieren aus den nuklearen Tonkombinationen semantische Etiketten96: der nuklearen Kontur H*LL%97 entspricht beispielsweise das Bedeutungsetikett ‚informatorisch abgeschlossen, kommunikativ unabhängig relevant, konversationell abgeschlossen‘. Für Peters, der von der deutschen intonatorischen Form ausgeht, können sowohl Aussagen als auch Aufforderungen, Anreden oder auch Fragen mit dieser Tonkombination realisiert werden.

207Obwohl die semantische Bedeutung der Töne im Luxemburgischen vermutlich eine andere ist, können doch die in Petersʼ Analyse erarbeiteten pragmatischen Kombinationen (etwa konversationelle Unabgeschlossenheit + informatorische Abgeschlossenheit) losgelöst von der Bedeutung eines spezifischen Tons im Aufbau des gelesenen Experiments dieser Arbeit miteinbezogen werden. Dadurch ist es möglich, neben der grammatischen Beschreibung der Kategorien auch eine pragmatische Perspektive mit in den Aufbau einzubringen. Da sich diese pragmatischen Kategorien aus bereits bestehenden intonatorischen Formen im Deutschen ableiten lassen, sind sie mit Bedacht anzuwenden. Sie ermöglichen es jedoch, mit Hinblick auf die folgende spontansprachliche Untersuchung, Kontexte zu erstellen, die in IARI nicht vorgesehen sind und so den Aufbau der vorliegenden Studie zu erweitern.

208Eine neutrale Aussage, um in der in IARI verwendeten Terminologie zu bleiben, wäre in Petersʼ Sinne informatorisch abgeschlossen, kommunikativ unabhängig relevant und potenziell konversationell abgeschlossen und würde einer Phrase wie in (7) entsprechen.

209(7)Hien ësst eng Ananas.
'Er isst eine Ananas.'

210Für diesen Teil des Versuchsaufbaus werden diverse Merkmalskombinationen zusammengestellt und, zusammen mit Kategorien aus IARI, mehrere Kontexte erarbeitet, die jeweils einen Targetsatz tragen. Da dieser Experimentteil zur ersten Orientierung bezüglich luxemburgischer Intonationsmuster dient und es in erster Linie darum geht, eine Auswahl exakt gleicher Phrasen zu erhalten, sind nicht alle für den späteren spontansprachlichen Teil relevanten Kategorien abgedeckt. Dies gilt insbesondere für schwer zu elizierende Kategorien wie etwa intonatorische Weiterweisung.

211Experimentelles Design

212Der strukturierte Versuchsaufbau zur Erhebung geskripteter Sprache geht hier von den genannten, unterschiedlich kombinierbaren Merkmalen von Peters (2014) aus, denen sich ein Großteil der IARI‑Kategorien zuordnen lässt. So können beispielsweise die aus dem IARI entnommenen Bezeichnungen neutrale Aussage, Ja-Nein-Frage, W-Frage und Befehlsform unter der Merkmalskombination informatorisch abgeschlossen, kommunikativ unabhängig relevant und konversationell abgeschlossen zusammengefasst werden (s. Abbildung 3).98 Miterhoben werden auch Formen wie Vokativ und Imperativ, um grammatische Formen divers abzudecken, auch wenn ihre Realisierung in der hier erhobenen ungeskripteten Sprache sehr unwahrscheinlich ist, da diese sich aus einem Gespräch und einer Brettspiel-Interaktion zwischen größtenteils unbekannten Gesprächspartnern zusammensetzt (s. Abschnitt 4.1.2). Die Bezeichnungen syntaktische Weiterweisung und pragmatische Weiterweisung werden überdies mit aufgenommen, da sich keine Entsprechung in IARI findet (deshalb hier in grau markiert), die Kategorien aber im Hinblick auf die spontansprachliche Untersuchung wichtig erscheinen. Zudem lassen sie sich gut abfragen und finden eine Entsprechung in Petersʼ Merkmalskombinationen.

213In der Abbildung 3 sind die Merkmale mit einem Plus- oder Minuszeichen gekennzeichnet, um die positive oder negative Ausprägung zu kennzeichnen, bzw. mit dem Zeichen der leeren Menge (Ø), um Unspezifizierbarkeit zu kennzeichnen. Zur besseren Lesbarkeit werden die Kontexte der Beispielsätze nicht in der Abbildung aufgeführt, sondern befinden sich im Anhang.

Abbildung 3: Exemplarische Darstellung der Kategorisierung im Leseexperiment –
                für diese Arbeit ergänzte Kategorien in grau
Abbildung 3: Exemplarische Darstellung der Kategorisierung im Leseexperiment – für diese Arbeit ergänzte Kategorien in grau

214Neben der funktionalen Kategorisierungsebene muss auch die Silben- und Lautebene für den Aufbau des Experiments bedacht werden: Pro Kategorie gibt es mindestens einen Targetsatz, in dem der Nuklearakzent auf der Antepänultima liegt. In einigen Kategorien werden zusätzlich Nuklearakzente auf der Pänultima und Ultima untersucht, um gegebenenfalls eine Aussage über Trunkierung und Kompression treffen zu können (s. Tabelle 8).

Neutrale AussagenPosition des Nuklearakzents
Si krabbelt iwwert däin Aarm.Ultima
Mat enger Aangel.Pänultima
Ech hunn e Repondeur.Antepänultima
Tabelle 8: Beispiele für unterschiedliche Nuklearakzentposition (fett)

215Auf lautlicher Ebene wird die Stimmgebung und Vokallänge kontrolliert, so dass die Nuklearakzentsilben sofern möglich aus einem Langvokal oder Diphthong (und ggf. einem stimmhaften Konsonanten) bestehen, wie z. B. in Aarm 'Arm' (/a:rm/). Weiterhin wird darauf geachtet, eine möglichst stimmhafte lautliche Umgebung zu erhalten.

216Unter Berücksichtigung der aufgezählten Kriterien werden 29 in kurze Geschichten eingebettete Sätze erstellt (s. Punkt 1 im Anhang). Jede Geschichte besteht aus maximal vier einführenden Sätzen zur Kontextualisierung und in der Regel einer agierenden Person, die als ‚Protagonist‘ den Targetsatz (in direkter Rede) äußert, um so den Leser in eine möglichst natürliche Sprechsituation zu versetzen. Ein Beispiel dazu wird in (8) gegeben:

217(8)D’Leonie wëllt eng nei Spullmaschinn kafen; se muss awer bestallt ginn. De Vendeur seet, dass en urifft, wann se do ass, a wëllt wëssen, wéini d’Leonie dagsiwwer doheem ass fir den Uruff z’emfänken. Hatt schafft am Dag, dofir wäert et sécher net doheem sinn, mee hatt seet: « Ech hunn e Repondeur ».
'Leonie möchte eine neue Spülmaschine kaufen; sie muss aber bestellt werden. Der Verkäufer sagt, dass er anruft, wenn sie da ist und will wissen, wann Leonie tagsüber zu Hause ist, um den Anruf zu empfangen. Sie arbeitet tagsüber, deshalb wird sie sicher nicht zu Hause sein, aber sie sagt: „Ich habe einen Anrufbeantworter“.'

218Die Verteilung der Kategorien im geskripteten Experimentteil gestaltet sich wie folgt (s. Tabelle 9):

KategorieAnzahl Phrasen
Neutrale Aussage994
Befehl3
W-Frage3
Ja-Nein-Frage2
Aufzählende Frage2
Pragmatische Weiterweisung3
Alternativfrage1
Syntaktische Weiterweisung4
Aufzählungen, darunter Listen1003, davon 2 Listen
Vokativ4
Tabelle 9: Verteilung der Kategorien anhand der Anzahl an Phrasen pro Kategorie im Experiment 'natürliche Lesesprache'

219Neben der variierenden Silbenzahl des Nukleus erklären u. a. auch diverse syntaktische Strukturen (wie etwa bei den syntaktischen Weiterweisungen) die unterschiedliche Anzahl Phrasen pro Kategorie.

4.1.2 Ungeskriptete Sprache

220Das spontansprachliche Experiment setzt sich aus zwei Teilen zusammen. Zunächst wird ein Interviewähnliches Gespräch mit dem Teilnehmer geführt, um ausreichend spontansprachliches, konversationelles Sprachmaterial zu erhalten. Diese Art der Datenerhebung simuliert einen „real life use“ (Nilsenová 2006) und deckt einen großen Teil des intonatorischen Inventars ab. Problematisch daran ist jedoch, dass sie in der Regel kaum fragende Intonation hervorbringt. Letztere wird in einem nächsten Schritt im Rahmen eines Gesellschaftsspiels elizitiert. Dieses Experiment dient nicht nur dazu, weitere luxemburgische Sprachdaten zu erheben und so fragende Intonationsphrasen zu erhalten, sondern auch dazu, französische und deutsche Sprache aufzunehmen. Neben der erwähnten Problematik, die mit der Map Task Methode vorliegt, wäre es kaum möglich gewesen die Sprachen Deutsch und Französisch in den Ablauf eines solchen Tests zu integrieren, weshalb die Wahl auf ein Gesellschaftsspiel gefallen ist.

221Jeweils zwei Teilnehmer spielen zusammen mit der Versuchsleiterin das Brettspiel Scotland Yard. Das Spiel eignet sich insofern besonders gut, als die Teilnehmer (als Detektive) zusammen gegen die Versuchsleiterin (als Mister X) spielen und so zur Kooperation bzw. spontanen Konversation gezwungen sind. Um gemeinsam gewinnen zu können, müssen sich die Teilnehmer beraten und absprechen, was unweigerlich unterschiedliche Arten von Fragen hervorruft und somit die zuvor erwähnten Gesprächsdaten ergänzt. Das Spiel ermöglicht außerdem, deutsche und französische Sprachdaten des gleichen Sprechers zu erheben, ohne das Setting verändern und ein weiteres Experiment durchführen zu müssen. Dafür wird die Spielleiterin im Laufe des Spiels zweimal ausgewechselt und durch eine jeweilige muttersprachlich französisch- bzw. deutschsprachige Spielleiterinnen ersetzt. So ist es möglich, vergleichbare Gesprächsdaten der gleichen Sprecher in drei Sprachen zu erhalten, was für den zweiten Teil dieser Arbeit, nämlich der Analyse intonatorischer Interferenzbildungen notwendig ist.

222Die Spielregeln mussten für das Experiment angepasst werden, um den ungewöhnlichen Spielleiterwechsel zu ermöglichen, den Teilnehmern dennoch eine reelle Gewinnchance zu vermitteln und somit natürliche, konversationelle Daten zu erhalten. Die vorgegebene maximale Rundenzahl erlaubt eine Dreiteilung des Spiels in jeweils sechs Runden, so dass alle sechs Runden die Spielsprache geändert werden kann. Die Spielerklärung und die ersten sechs Runden werden mit der Versuchsleiterin auf Luxemburgisch durchgeführt. Anschließend nimmt eine französische Muttersprachlerin die Position der Versuchsleiterin ein und spielt an ihrer Stelle auf Französisch die nächsten sechs Runden weiter. Ein weiterer Wechsel zu Deutsch erfolgt mit dem Einwechseln einer deutschen Muttersprachlerin in Spielleiterposition, die das Spiel ihrerseits nach sechs Runden beendet.

223Den Sprachenwechsel durch den Austausch des Spielleiters sicherzustellen, wurde insofern als wichtig erachtet, als er einen möglichen Rückfall ins Luxemburgische seitens der Teilnehmer stark reduziert. Außerdem markierte der Wechsel des Spielleiters mit der damit einhergehenden kurzen Unterbrechung sehr deutlich einen Einschnitt im Ablauf, was einerseits das Spiel auflockert und andererseits den Sprachenwechsel vereinfacht.

4.1.3 Sprecherauswahl

224Nicht nur der Stil (z. B. formell oder informell) und die Textsorte, sondern auch soziolinguistische Faktoren wie Alter und Herkunft (Bolinger 1989) wirken sich auf die Variation der Intonation aus.

225Um diese Faktoren zu kontrollieren, wurden für die vorliegende Studie Sprecher ausgewählt101,

226
  1. die im Kanton Luxemburg aufgewachsen sind und immer noch dort wohnen,102
  2. deren einzige Muttersprache Luxemburgisch ist,103
  3. die nicht im Ausland gelebt haben und
  4. die zwischen 20 und 30 oder über 60 Jahre alt sind.

227Diese Kriterien werden im Folgenden genauer erläutert. Der Kanton Luxemburg (s. Punkt a) wurde als Untersuchungsbereich ausgewählt, weil er im Gebiet der zentralluxemburgischen Varietät liegt (s. Karte Abbildung 4). Diese breitet sich zwar in die umliegenden Regionen aus (insbesondere Richtung Süden), doch gilt der Prozess als noch nicht vollständig abgeschlossen (Gilles 1999). Bei Sprechern, die demnach nicht im Kanton Luxemburg aufgewachsen sind oder nicht den größten Teil ihres Lebens dort gelebt haben, kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich eine regionale Varietät in der Intonation bemerkbar macht. Um sämtliche regionalen Einflüsse auf die zentralluxemburgische Varietät ausschließen zu können, wurden lediglich Sprecher aus dem Kanton Luxemburg ausgewählt. Zusätzlich grenzt dieser Kanton nicht unmittelbar an eine Landesgrenze, was den direkten Einfluss der Nachbarsprachen reduziert.

Abbildung 4: Kanton Luxemburg (2007-2016 d-maps.com)
Abbildung 4: Kanton Luxemburg (2007-2016 d-maps.com)

228Um weiterhin auszuschließen, dass sich eine zweite Muttersprache auf die luxemburgische Intonation auswirkt, wurden keine bilingual aufgewachsenen Sprecher in die Untersuchung aufgenommen (s. Punkt b). Gleiches gilt für Sprecher, die im Ausland gelebt haben und lange in dauerhaftem Kontakt mit einer Fremdsprache waren (s. Punkt c).

229Die beiden Altersgruppen (s. Punkt d) erklären sich zunächst dadurch, dass Generationenunterschiede einbezogen werden sollen. Die Altersbeschränkungen auf 20 bis 30‑Jährige und über 60-Jährige wurden so gewählt, da zwischen beiden Gruppen etwa eine Generation liegt. Die Untergrenze (20 Jahre) der jungen Gruppe erklärt sich dadurch, dass die Sprecher schon volljährig sind und sich in der Regel nicht mehr im sprachlichen Umfeld der Schule befinden.104

230Die Aufnahmen wurden an zwei Terminen durchgeführt, da für die erste Aufnahme (s. Abschnitt 4.2.1 Experimentteil ‚Gespräch‘ und 4.2.3 Experimentteil ‚Natürliche Lesesprache‘) nur jeweils ein Sprecher zur Verfügung stehen musste, während für den zweiten Termin (s. Abschnitt 4.2.2 Experimentteil ‚Interaktion‘) die Anwesenheit zweier Teilnehmer erforderlich war. Am ersten Termin wurden 30 Sprecher aufgenommen. Qualitativ unbrauchbare Aufnahmen oder Sprecher, die einen hohen Grad an Rauigkeit, Heiserkeit oder Diplophonie aufwiesen, wurden für die zweite Aufnahme nicht mehr berücksichtigt, da diese nicht für akustische Messungen geeignet sind. Dies ist auf die unregelmäßige Stimmlippenschwingung zurückzuführen, die keine validen Ergebnisse hervorbringt (vgl. Abschnitt 6.1). Auch Sprecher, die eine starke Leseintonation bzw. berufsbedingte Radiosprecherintonation aufwiesen105, wurden nicht mehr berücksichtigt. Für den zweiten Termin wurden 20 geeignete Sprecher ausgewählt. Auch hier mussten noch einige Sprecher ausgeschlossen werden, sei es aus technischen Gründen, sei es wegen zu stark variierenden Redeanteils.

231Schließlich wurden zwölf Teilnehmer analysiert, jeweils sechs Sprecher der jungen Gruppe (22–29 Jahre, Ø 25,5) und sechs Sprecher der älteren Gruppe (59-69 Jahre, Ø 66,3) (s. Tabelle 10).

Generation ‚jung‘HerkunftAlter (2015)
1m1Luxemburg (Stadt)28
1m2Luxemburg (Stadt)23
1m3Schrassig (aktueller Wohnort: Larochette)28
1m4 Bertrange23
1w1 Luxemburg (aktueller Wohnort: Tétange) 29
1w6 Capellen22
Generation ‚alt‘
2m1 Bridel62
2m4 Luxemburg67
2w6 Moutfort69
2w12 Moutfort69
2w13Hostert59
2w15 Steinsel72
Tabelle 10: Analysierte Sprecher

232Aus den Kürzeln der Sprecher lässt sich jeweils die Generation und das Geschlecht ablesen, so dass etwa Sprecherin 1w6 eine weibliche Sprecherin der Generation jung (wiedergegeben durch die Zahl 1) und Sprecher 2m4 ein männlicher Sprecher der Generation alt (wiedergegeben durch die Zahl 2) beschreibt. Die letzte Zahl ist Teil einer fortlaufenden Nummerierung (1–15).106

4.2 Aufnahmen

233Die Aufnahmen wurden teilweise bei den Teilnehmern zu Hause, teilweise an der Universität Luxemburg durchgeführt und waren innerhalb von vier Monaten abgeschlossen. Um die Qualität der Aufnahmen zu gewährleisten, wurde an der Universität ein Raum mit möglichst wenigen Störgeräuschen gewählt. Dies wurde im Rahmen der Möglichkeiten auch bei den Versuchsteilnehmern zu Hause versucht. Die Versuchsleiterin war während der gesamten Aufnahme anwesend107, vor allem, weil ihre aktive Teilnahme in zwei von drei Experimentteilen erforderlich war. Zu Beginn der ersten Aufnahme unterzeichneten die Teilnehmer eine Einverständniserklärung und wurden über den Ablauf und die Länge der Aufnahme (zwei Termine à 60 Minuten) informiert. Der genaue Gegenstand der Untersuchung wurde den Probanden erst am Ende genannt, um sie nicht zu beeinflussen. Die Aufnahmen wurden mit einem SONY Linear PCM Recorder (PCM-D50) und einem SENNHEISER Nackenbügelmikrophon (HSP4) durchgeführt.

234In der folgenden Darstellung (s. Tabelle 11) sind die drei Experimentteile zusammengefasst. Sie werden in den nachfolgenden Abschnitten einzeln genauer beschrieben und nach ‚Stil‘ sortiert.

StilDauerTeilnehmerSprachenWiederholungen
Gesprächungeskriptet30 min1Lux/
Interaktionungeskriptet60 min2Lux, Dt, Fr/
natürliche Lesesprachegeskriptet30 min1Lux2
Tabelle 11: Überblick über die drei Experimentteile

4.2.1 Experimentteil ‚Gespräch‘

235Der erste Experimentteil zur Erhebung spontansprachlicher Daten bestand aus einem ca. 30-minütigen Gespräch. Die Themen waren nicht festgelegt und folgten keiner bestimmten Struktur. Für den Fall, dass sich nicht bereits im Vorfeld ein Gesprächsthema ergab, waren einige Fragen bzw. Themen vorbereitet, mit denen ein Gespräch eingeleitet werden konnte. Diese bezogen sich unter anderem auf die Sprachensituation in Luxemburg, die geplante Alphabetisierung der Grundschulkinder auf Französisch oder auf Reiseziele der Teilnehmer. Dieses Gespräch diente auch gleichzeitig als Eingewöhnungsphase, mit dem Ziel, dass die Teilnehmer für das folgende, anspruchsvollere Leseexperiment potenziell weniger angespannt sein sollten, um so eine natürlichere Sprechweise zu produzieren.

236Der Vorteil eines solchen Verfahrens ist die Natürlichkeit der Daten, da die alltägliche Handlung einer Konversation erlebt wird, auch wenn es sich dabei um eine Interviewähnliche Situation handelt.108 Bei manchen Teilnehmern zeigte sich allerdings eine monologisch wirkende Erzählstruktur. Dies kann damit erklärt werden, dass die Sprecher vermutlich nicht die Befürchtung hatten, häufig unterbrochen zu werden und um ihr Rederecht kämpfen zu müssen. Sie verfielen so in eine erzählende Redeweise, was sich wiederum in einer Vielzahl pragmatisch weiterweisender Intonationsphrasen äußerte. Dies konnte mit einer aktiveren Gesprächsteilnahme des Versuchsleiters entsprechend beeinflusst werden.

4.2.2 Experimentteil ‚Interaktion‘

237Die zweite Erhebung spontansprachlicher Daten erfolgte während der Interaktion im Spiel Scotland Yard. Zu Beginn wurden den zwei Teilnehmern die für das Experiment angepassten Spielregeln109, ihre Rolle als Detektive sowie der Ablauf der Aufnahme erklärt. Sie wurden weiterhin darauf hingewiesen, dass sie das Spiel nur gewinnen könnten, wenn sie kooperieren und sich absprechen würden. Zusätzlich wurden die Probanden darüber informiert, dass die ersten sechs Runden auf Luxemburgisch gespielt würden, anschließend eine französische Kollegin die Rolle des Spielleiters (Mister X) einnehmen würde und das Spiel auf Französisch fortführen würde, und dann – falls sie noch nicht gewonnen hätten – ein weiterer Wechsel auf Deutsch mit einer deutschen Kollegin erfolgen würde. Die Spielleiterwechsel haben das Spiel also lediglich kurz unterbrochen, nicht aber beendet.

238Die Spielleiterinnen erhielten jeweils die Anweisung, das Spiel in jedem Fall (notfalls entgegen der Spielregeln) weiterzuführen (Runde 7–12), beziehungsweise sich nach der abgesprochenen letzten Runde fangen zu lassen (Runde 13–18) und damit das Spiel zu beenden (s. Abbildung 5).

Abbildung 5: Schematisierter Spielablauf
Abbildung 5: Schematisierter Spielablauf

239Die gesamte Spieldauer betrug etwa eine Stunde, so dass ca. 20 Minuten pro Sprache eingeplant waren.

240Die Sprachreihenfolge wurde nach den folgenden Kriterien festgelegt: Zunächst sollten die Versuchspersonen das unbekannte Spiel und den zweiten, fremden Mitspieler kennenlernen, wofür Luxemburgisch als Muttersprache als am besten geeignet erachtet wurde. Hinzu kommt, dass bei der Einführung bzw. den Erklärungen zum Ablauf und zu den Spielregeln zusätzlich Fragen zu erwarten waren, die besonders für die luxemburgischen Daten erwünscht waren. Als zweite Spielsprache folgte Französisch, da dies für die Mehrheit der Teilnehmer als anspruchsvoller erachtet wurde.110 Abschließend wurde Deutsch gewählt, um eventuelle Müdigkeit oder Anstrengung zu kompensieren.

241Vorteile dieses Aufbaus sind zum einen die konversationellen, spontansprachlichen Daten und zum anderen die Integration der Fremdsprachen, ohne diese in gesonderten Experimentdesigns einzeln erheben zu müssen. Als problematisch erwies sich die Gewichtung des Redeanteils jedes Sprechers, da sich bei einigen Spielpaaren ein Sprecher als dominant erwies und anteilig mehr gesprochen hat als sein Mitspieler. Eine solche Dynamik entstand hauptsächlich in Spielen, in denen sich die Teilnehmer zufälligerweise kannten111, was sich aber erst vor Ort herausstellte und nicht beabsichtigt (und sogar unerwünscht) war.

4.2.3 Experimentteil ‚Natürliche Lesesprache‘

242Die Aufgabe für die Teilnehmer bestand im geskripteten Experimentteil darin, 29 kurze Geschichten, in denen jeweils ein in direkter Rede stehender Targetsatz eingebettet war, vorzulesen. Da dieser Experimentteil aufgrund der direkten Rede und der Kontextualisierung die natürlichen Umstände besser simuliert als kontextfreie, einzelne Sätze, erscheint die Bezeichnung Lesesprache nicht passend. Um die in dieser Studie gewählte Vorgehensweise von reiner Laborsprache abzugrenzen, wurde daher der Begriff natürliche Lesesprache gewählt, um den Experimentteil zu beschreiben.

243Die Geschichten wurden der jeweiligen Versuchsperson in randomisierter Reihenfolge in einer PowerPoint®–Präsentation vorgelegt, die in eigener Geschwindigkeit durchgeführt werden konnte. Die Teilnehmer erhielten die Anweisung, die Targetsätze so natürlich wie möglich zu äußern und sie zu wiederholen, falls sie der Meinung waren, dass ihre Realisierung nicht ihrem normalen Sprechen gleichkommt. Wenn der Teilnehmer mit seiner Realisierung hinsichtlich der Natürlichkeit zufrieden war, konnte er zur nächsten Geschichte übergehen. Um eine allzu monotone und auflistende Leseweise zu vermeiden, wurden die Teilnehmer von Zeit zu Zeit unterbrochen und mit einem kurzen Wortwechsel abgelenkt. Das Experiment wurde wiederholt, so dass die nun bekannten Geschichten den Lesefluss erleichterten. Die wenigsten Luxemburger sind es gewohnt, Luxemburgisch (laut) zu lesen112, so dass diese Vorgehensweise als notwendiges Training erachtet wurde. Die Dauer der Aufnahme betrug etwa 30 Minuten.

244Vorteil dieser Vorgehensweise ist die Kontrollierbarkeit und Vergleichbarkeit der Daten. Als problematisch stellte sich für einige Teilnehmer die Umsetzung der Natürlichkeitsanweisung heraus: Teils wurde sehr emphatisch und theatralisch gelesen, teils mit einer relativ monotonen Leseintonation. Eine übertriebene Leseweise kann z. T. der Kontextwahl geschuldet sein, wie beispielsweise in Satz 4, in der die Großmutter-Enkel-Beziehung des Kontextes bei einigen Sprechern eine ‚Märchenonkelstimme‘ bzw. motherese getriggert hat.

4.3 Datenreflexion

245Da sich die Daten aus verschiedenen Experimentteilen zusammensetzen, in denen unterschiedliche Sprechstile realisiert werden, müssen für die Analyse unterschiedliche Herangehensweisen appliziert bzw. unterschiedliche Aspekte beachtet werden. In einer Konversation beispielsweise, dem archetypischen informellen Stil, entstehen proportional wesentlich mehr kurze IPs als in gelesener Sprache. Darüber hinaus werden viele weiterweisende, also nicht-finale, Intonationsphrasen eingesetzt (Cruttenden 1997), während in gelesener Sprache wesentlich mehr Abschlüsse gebildet werden.

246Im Folgenden werden Beobachtungen bezüglich der Charakteristik jedes Experimentteils aufgeführt und dann die konkrete Herangehensweise an die Daten der einzelnen Sprechstile beschrieben.

4.3.1 Beobachtungen

247Für die gelesene Sprache lässt sich einerseits beobachten, dass häufig eine theatralisch anmutende ‚Überintonation‘ realisiert wird. Dadurch ist der f0-Umfang bei einigen Sprechern auffällig groß, was sich auch auf die Untersuchungsparameter, besonders auf die Fallhöhe, auswirkt. Es ist also zu erwarten, dass diese Phrasen höhere Werte hervorbringen, als sie es in freier Rede tun würden. Dies kann einerseits daran liegen, dass für gelesene Sprache keine außersprachlichen Mittel wie Mimik genutzt werden können, um das Gesagte zu unterstreichen, und deswegen auf die Intonation zurückgegriffen wird (Michalsky 2017, S. 62). Andererseits ist die expressive Intonation auch auf die Art der zu produzierenden Phrasen zurückzuführen, die (absichtlich) Situationen wiedergeben, die in einem normalen Interview nicht auftreten. Das betrifft vor allem die fragende Intonation. Durch den ‚familiären‘ Ton, der durch die Kontexte vorgeben wurde, entsteht eine lebendigere Sprechsituation als bei einem Interview mit einer unbekannten Person. Hinzu kommt eine vermutlich starke Involviertheit der Sprecher, die Phrasen gemäß Anweisung möglichst natürlich zu äußern, was sich ebenfalls auf den f0-Umfang auswirkt (vgl. emotionale Involviertheit bei Gilles 2005, S. 170).

248Ein weiteres Charakteristikum für die gelesene Sprache, das auch in den vorliegenden Daten beobachtet werden kann, ist eine starke Deklination (downtrend) (vgl. Vaissière 1983, S. 57). In spontaner Sprache ist diese wesentlich weniger ausgeprägt, sofern sie überhaupt realisiert wird. Ein Grund dafür sind die in der Spontansprache üblicherweise kurzen IPs, in denen nicht genügend Sprachmaterial für den downtrend zur Verfügung steht, um sich entfalten zu können. Hinzu kommt, dass Sprecher in der gelesenen Sprache den Targetsatz in seiner Gänze sehen und sich so ihren Stimmumfang für diesen einteilen können bzw. diesen voll nutzen können, da der Abschluss ‚in Sicht‘ ist.

249Obwohl die zwei spontansprachlichen Experimentteile (Gespräch und Interaktion) aus konversationellen Daten bestehen, können Unterschiede in der Realisierung der Intonationsphrasen beobachtet werden. Da im Experiment Gespräch nur jeweils ein Teilnehmer anwesend war, musste dieser seltener sein Rederecht verteidigen als im Experiment Interaktion, bei der außer der Spielleiterin ein weiterer Teilnehmer anwesend war. Dies äußerte sich in einer monologischeren Erzählstruktur im Gespräch. Im Experiment Interaktion mussten die Sprecher dagegen wesentlich häufiger um ihr Rederecht kämpfen was die Spontanität der Daten begünstigt. Das wiederum bedeutet jedoch ein hohes Maß an Abbrüchen und Revidieren, genauso wie Murmeln aufgrund ‚lauten Denkens‘, was der akustischen Analyse nicht zuträglich ist. Ein weiterer Unterschied zwischen den zwei spontansprachlichen Experimentteilen liegt in der Anzahl abschließender Phrasen, die im Korpus Interaktion höher ist als im Gespräch. Das ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass im Spiel keine komplexeren Sachverhalte besprochen werden. Dazu kommt eine große Anzahl an Ellipsen, wie etwa ‚Vielleicht dann mit dem Bus?‘ (2w13_Spiel 114)113.

250Dadurch, dass die Teilnehmer im Interaktionsexperiment als Team gegen den Spielleiter spielten, sind zudem sehr viele Vorschläge und rückversichernde Phrasen in diesem Korpus zu finden. Diese geben dem Gesprächspartner die Möglichkeit, eine Entscheidung zu bestätigen, anzuzweifeln oder sprachlich einzugreifen. Die Interaktion und damit turn-taking ist in diesem Korpus stärker vertreten und von größerer Wichtigkeit als im Experiment Gespräch, was unter anderem daran zu erkennen ist, dass weiterweisende Phrasen mit einer abschließenden Intonation wiederholt werden, wenn niemand sprachlich eingreift. Möglicherweise beeinflusst an der Stelle auch Unsicherheit die Intonation. Aber auch der häufige Sprecherwechsel und damit kurze Redeanteile sind für dieses Korpus charakteristisch, ebenso wie viele back channels bzw. knappe Bestätigungen (ja) oder kurze Rückfragen (ja?). Diese aufgeführten Phänomene sind im Korpus Gespräch nicht oder viel seltener zu finden. Der wichtigste Unterschied zwischen den beiden spontansprachlichen Experimenten ist jedoch die Produktion von Fragen innerhalb des Interaktionsexperiments. Dabei fällt auf, dass das Setting des Spiels hauptsächlich W-Fragen und Ja‑Nein‑Fragen generiert sowie in geringerem Ausmaß Assertivfragen (s. dazu Abschnitt 3.2.3).

251Ebenfalls spezifisch für die Spielsituation scheinen hoch endende Phrasen zu sein, die syntaktisch als abschließend klassifiziert würden, hier jedoch intonatorisch so geäußert werden, dass sie ein Eingreifen des Gesprächspartners ermöglichen bzw. erwünschen. Sie werden im Folgenden nicht untersucht, da sie lediglich im Experiment Interaktion vorzufinden sind. Zudem sind sie in erster Linie über die Intonation bestimmbar, was als Bestimmungskriterium in dieser Arbeit ausgeschlossen wurde (vgl. Abschnitt 3.2.3). Möglicherweise entstehen sie daraus, dass die Teilnehmer sich nicht kannten und so eine gewisse Form von ‚Vortritt‘ und ‚Höflichkeit‘ erreichen wollten.

252Schließlich fällt auf, dass im Experiment Interaktion Ironie als Faktor auftaucht, der Intonation beeinflussen kann (vgl. Nauke 2017). Betroffene Phrasen werden jedoch von der Analyse ausgeschlossen.

4.3.2 Umgang mit heterogenem Datenmaterial

253Für die natürliche Lesesprache wurde in einem ersten Schritt überprüft, ob die tatsächlich produzierte Intonationsphrase mit der für die Situation erwartbaren IP übereinstimmte: Sofern eine Äußerung in zwei IPs, statt wie geplant in einer IP geäußert wurde, wurde sie von der Analyse ausgeschlossen. Auch unnatürlich wirkende oder ‚zu stark gelesene‘ Produktionen wurden von der Analyse ausgeschlossen, ebenso wie Phrasen, die Knarrstimme im Nukleus aufwiesen. Die Nuklearakzentsilbe (NA) wurde anschließend manuell annotiert. Traf die NA-Silbengrenze auf einen ambisilbischen Konsonanten, wie etwa in Ananas, wurde genau in der Mitte des Segments die Grenze gesetzt.

254Wie auch für die natürliche Lesesprache festgehalten, werden bei den spontansprachlichen Daten keine Phrasen ausgewertet, die durch Knarrstimme oder Flüstern akustisch nicht auswertbar sind. Nur Phrasen mit Modalstimme, die auch nicht durch Überlappung gekennzeichnet sind, können akustisch analysiert werden. Wie erwähnt, weist spontane Sprache nicht immer eindeutige Intonationsphrasen auf „because of the broken nature of much spontaneous speech“ (Cruttenden 1997). Diese „broken nature“ äußert sich vor allem durch Häsitationen, Wiederholungen, abgebrochene Äußerungen, und solche, die eine grammatische Zäsur aufweisen (vgl. Cruttenden 1997). Auch andere, der gesprochenen Sprache eigene Phänomene erschweren die klare Abgrenzung von Intonationsphrasen. Dazu gehören Anakoluthe (vgl. Selting 1997), Links /Rechtsherausstellungen (vgl. Schwitalla 2006), Nachträge oder Ausklammerungen (vgl. Selting 1995) sowie vor allem Parenthesen, die sich häufig durch leiseres und schnelleres Sprechen auf tieferem Tonhöhenniveau äußern (vgl. Schwitalla 2006). Für die vorliegende Analyse werden lediglich Phrasen aufgenommen, deren Silbengrenzen eindeutig auszumachen sind.

255Ebenfalls der Spontansprache eigen sind sogenannte Tags wie ne oder gell als Anschluss an eine Äußerung. Da ein solcher Zusatz eine abschließende Phrase in eine fragende verwandeln kann, wurden sie gesondert annotiert, jedoch nicht in die Auswertung mit aufgenommen. Auch Phrasen mit engem Fokus werden in der Analyse nicht berücksichtigt, da etwa die Gipfelposition in der NA-Silbe von der Fokussierung abhängig sein kann und dieser Faktor konstant gehalten werden kann, wenn lediglich Phrasen mit dem häufigeren weiten Fokus untersucht werden (vgl. Gilles 2005).

256Es erfolgte also zunächst eine manuelle Grenzsetzung substanzieller Intonationsphrasen (vgl. Abschnitt 3.1). Anschließend wurden diese Intonationsphrasen bestimmt und nach den oben erstellten Kriterien (Abschnitt 3.2) zugeordnet und schließlich die Nuklearakzentsilbe markiert. Im Anschluss daran werden die Phrasen nach der Länge des Nukleus in Phrasen mit einsilbigem Nukleus, zweisilbigem Nukleus und drei- und mehrsilbigem Nukleus sortiert. Diese Vorgehensweise trifft gleichermaßen für das Experiment Gespräch, in dem alle Kategorien berücksichtigt werden, sowie für das Experiment Interaktion zu, in dem lediglich die Fragen bestimmt werden.

4.4 Transkription

257Wie anfangs besprochen eignet sich ToBI nicht für die Beschreibung von Intonation einer Sprache, deren phonologische Einheiten erst noch analysiert werden müssen und kann damit für die Transkription der unerforschten luxemburgischen Intonation nicht für eine Erstannotation eingesetzt werden. Aufgrund dessen wird hier ein Transkriptionssystem genutzt, das sich an IViE anlehnt, da dieses eine phonetische Transkription vorsieht, die als Vorstufe zu einer möglichen phonologischen Transkription betrachtet werden kann (vgl. Abschnitt ‚IViE‘ unter 2.1.2). Darauf basierend können einige Vorschläge zur Transkription innerhalb des ToBI-frameworks gegeben werden.

258Wie in IViE werden auch in dieser Arbeit die Labels mit den Silben verbunden. Diese Labels entsprechen drei relativen Tonhöhenniveaus: tief (L oder l), hoch (H oder h) und mittel (M oder m). Mit einem Label versehen werden die Silben, auf denen ein Richtungswechsel des Tonhöhenverlaufs zu hören ist sowie die pränukleare Silbe. Die Großbuchstaben werden nur für die Nuklearakzentsilbe verwendet und die Kleinbuchstaben für die unbetonten Silben daneben bzw. in den Silben zwischen Nuklearakzent (NA) und Phrasenende. Der phonetische Zielpunkt in der NA-Silbe wird wie in ToBI mit einem Stern versehen. Es werden L* für tiefe Zielpunkte und H* für hohe Zielpunkte verwendet. Hörbarer Anstieg oder Fall auf der NA-Silbe wird durch den entsprechenden entgegengesetzten Buchstaben zusätzlich markiert. So wird beispielsweise ein hörbarer Anstieg innerhalb der NA-Silbe hin zu einem hohen Zielpunkt mit LH* markiert. Ein konstanter Verlauf (steigend oder fallend) wird durch das Interpolationszeichen, das auch bei IViE verwendet wird, dargestellt. So ist beispielsweise ein Fall von der NA-Silbe über mehrere Silben hin zu einem tiefen Zielpunkt mit H*-l markiert, wobei der Bindestrich die Interpolation symbolisiert. Direkt benachbarte Silben der NA-Silbe werden durch eine Leerstelle verbunden. So deutet beispielweise die Transkription H* l auf einen abrupten Fall von einem hohen NA-Ton auf ein tiefes Niveau in der Folgesilbe hin. Grenztöne werden durch das auch in ToBI verwendete Prozentzeichen gekennzeichnet. Es werden hier drei Ebenen verwendet: h%, m% und l%. Die Häufigkeit, mir der eine mittleres Niveau im Luxemburgischen vorkommt, das nicht mit l% oder h% wiedergegeben werden kann, macht die Einführung des Symbols m% notwendig. Ein plateauartiger Verlauf bis zum Ende einer Phrase wird durch Nicht-Wiederholen des vorausgehenden Tons und einen Bindestrich in Kombination mit dem Grenztonzeichen markiert; so entspricht etwa m-% ein Plateau auf mittlerer Höhe bis an das Ende der Phrase. Wenn sich der Buchstabe wiederholt, also etwa m-m%, zeigt das einen geraden, leichten Fall auf mittlerer Höhe an. Denkbar ist auch eine doppelte Interpolation wie etwa in H*-l-l%, um einen konstanten Fall von einem Hochton zu einem folgenden Tiefton zu beschreiben, auf dem dann seinerseits ein Knick stattfindet, nach dem der Verlauf weiterhin bis Phrasenende absinkt.

259Die gängigsten Transkriptionen werden hier (Tabelle 12) zusammenfassend aufgeführt:

L H* l‑%abrupter Anstieg auf einen hohen gesternten Ton in der NA-Silbe mit sofort daran anschließendem schnellen Fall auf ein tiefes Niveau, das bis an das Ende der Phrase tief weiterläuft.
M H*L l‑l%H-Ton nach einem mittleren Niveau, der innerhalb der NA-Silbe abfällt. Es folgt postnuklear ein Knick im Verlauf, der dann bis Phrasenende weiter tief abfällt.
L (L)H* m‑%schneller Anstieg innerhalb der NA-Silbe, das durch den eingeklammerten L-Ton angezeigt wird. In der Folgesilbe wird schnell ein mittleres Niveau erreicht, das bis an das Phrasenende als Plateau gehalten wird.
H !H*L‑l%ein herabgestufter Akzent folgt auf einen auf gleicher Höhe verlaufendem Pitch und fällt innerhalb der NA-Silbe auf ein tiefes Niveau ab, auf dem er bis Phrasenende bleibt.
Tabelle 12: Gängigsten Transkriptionen dieser Arbeit

Fußnoten

[89]

192Für eine ausführliche Diskussion über die Fragestellung zur geeigneten Datenerhebung und methodisches Bewusstsein siehe Wagner et al. (2015).

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[90]

194Grice et al. (2017) führen beispielsweise die Form !H+H* L-% als „typische Leseintonation“ auf.

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[91]

201Aus dem Französischen übersetzt. Der Originalwortlaut ist: „Tu entres dans un magasin où tu n’as jamais été avant, et tu demandes s’ils ont des mandarines.“ (Prieto et al. 2010-2014).

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[92]

202Die Autoren des IARI legen Wert darauf, dass die Versuchsteilnehmer den Kontext nicht selbst sehen. Dies wurde in einem Vortest in der vorliegenden Studie (mit drei Personen) von den Testsprechern als schwierig empfunden, weshalb in einem weiteren Versuch überprüft wurde, ob eine mögliche Variante, in der die Sprecher den Kontext selbst lesen, die Realisierung des Targetsatzes beeinflusst. Da sich die Testsprecher für den selbstgelesenen Kontext aussprachen und in der Realisierung keine Unterschiede festzustellen waren, fiel die Entscheidung auf die letzte Variante.

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[93]

204„Statements, yes-no questions, wh-questions, echo questions, imperatives, vocatives“ (Prieto et al. 2010-2014).

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[94]

205Diese sind am ehesten vergleichbar mit dem von Altman (1984) verwendeten Begriff des Satzmodus als komplexe syntaktische Strukturen.

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[95]

205Das bedeutet, dass eine „Information unabhängig von etwas, was noch folgt oder erschließbar ist, kommunikativ relevant ist“ (Peters 2014, S. 60).

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[96]

206Aufgrund dieser Zuordnung sind einige Konturen nicht möglich, da sich verschiedene Tonkombinationen semantisch nicht vertragen (sogenannte „dyspräferierte Konturen“ (Peters 2014, S. 67)). Die Kombination H*L% beispielsweise ist insofern nicht möglich, da die konversationelle Abgeschlossenheit des tiefen Grenztons mit der informatorischen Unabgeschlossenheit, die durch das Fehlen eines Folgetons entsteht, in Konflikt gerät.

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[97]

206In Petersʼ Transkription ist jeweils ein Akzentton (gesternt) mit fakultativem Folgeton und einem Grenzton (mit %) notiert. Ein Phrasenton wie in ToBI wird nicht angenommen.

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[98]

212Fragen können sich in Petersʼ Modell aufgrund eines anderen Alignements („später Gipfel“ oder „früher Gipfel“) bzw. einer anderen Herabstufung des Gipfels von Aussagen unterscheiden, müssen dies jedoch nicht zwangsläufig. Dies ist abhängig von der „Einstellung bezüglich der Geltung dessen, was geäußert wird“ (Peters 2014, S. 72). Sie werden für eine Übersicht unter dem ersten Punkt der Abbildung 3 mitaufgeführt. Sprechereinstellungen, die ebenfalls Einfluss auf das Alignement haben, können hier im Aufbau nicht berücksichtigt werden, da dafür eine wesentlich aufwändigere Durchführung notwendig gewesen wäre.

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[99]

218Im Verlauf der Analyse dieser Arbeit wird nicht mehr mit der Bezeichnung ‚neutrale Aussage‘ operiert, sondern der funktionale Begriff ‚Abschluss‘ (vgl. Abschnitt 3.2.1) verwendet.

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[100]

218Für die begriffliche Abgrenzung s. Abschnitt 3.2.2.

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[101]

225Die Sprecherakquise erfolgte über eine Annonce in den beiden Tageszeitungen Luxemburgs und auf www.rtl.lu. Als Anreiz zur Teilnahme wurde unter allen Teilnehmern ein Amazon-Gutschein im Wert von 50 € verlost.

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[102]

226Sprecher, die seit weniger als einem Jahr nicht mehr in ihrem Heimatort wohnen, wurden ebenfalls aufgenommen.

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[103]

226Luxemburgische Muttersprachler sprechen aufgrund des Schulsystems fließend Deutsch und Französisch (für Details s. Horner und Weber 2008). Schwer zu kontrollieren ist dabei aber der Grad der Sprachkompetenz, da eine Präferenz für die eine oder die andere Sprache – bedingt durch das Elternhaus, Beruf, oder persönliche Neigung nicht ausgeschlossen werden kann.

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[104]

229Im Verlaufe dieser Arbeit hat sich anhand stichprobenartiger Untersuchung kein Altersunterschied intonatorisch bemerkbar gemacht, so dass Alter als Faktor nicht weiter berücksichtigt wird. Auch das Geschlecht wird nicht systematisch untersucht, insbesondere da die Teilnehmerzahl zu gering war, um aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten.

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[105]

230Zu Besonderheiten der Intonation in der Radiosprache s. Ulbrich (2005).

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[106]

232Da zu Beginn 30 Sprecher aufgenommen wurden und eine Zahl zugeteilt bekommen haben, jedoch nicht alle Sprecher Teil der Untersuchung wurden, sind die ausgewerteten Sprecher hier nicht von 1-6 durchnummeriert, sondern behalten die ihnen anfänglich zugeteilte Zahl bis 15 bei.

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[107]

233Das von Labov (1984) beobachtete Phänomen des interviewer paradox wird damit in Kauf genommen.

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[108]

236Die Alltäglichkeit des Gesprächs geht durch die Aufnahmesituation natürlich bis zu einem gewissen Maße verloren.

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[109]

237Abgeänderte Spielregeln: Die maximale Rundenzahl wurde von 24 auf 18 Runden reduziert, um die Spieldauer zu kürzen. Weiterhin bekam nicht jeder Spieler eine zweite Figur, sondern sie erhielten eine gemeinsame Figur. Diese Vorgehensweise diente dazu, dem Spielleiter (Mister X) die Möglichkeit zu geben, mehr oder weniger regelkonform spielen zu können und damit den Ablauf immer gleich zu halten. Zusätzlich dazu wurden die Startpositionen, welche alle Spieler zu Beginn aus einem Stapel ziehen, reduziert und nur diejenigen zur Auswahl gegeben, die relativ weit von der des Spielleiters entfernt waren. Seine Position wurde – ebenfalls entgegen der originalen Spielregeln – bereits vorher ausgewählt und war so bei jedem Spiel die gleiche. Um den Teilnehmern das Gefühl zu vermitteln, dass die Regeln eingehalten werden, zog Mister X aber auch eine Startposition (die natürlich nicht aufgedeckt wurde), aber spielte von der im Vorfeld festgelegten Position aus. Auch die Frequenz, in der Mister X den Mitspielern seine Position offenbaren muss, wurde von 6 auf 5 reduziert. Bei der Umstellung der Regeln wurde zwischen dem Wunsch, Mister X möglichst nicht frühzeitig verlieren zu lassen, und dem Bedürfnis, den Teilnehmern nicht das Gefühl zu vermitteln, keine Gewinnchance zu haben, abgewogen.

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[110]

240Vgl. Abschnitt 1.1 zur Einstellung gegenüber den Sprachen Deutsch und Französisch.

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[111]

241Dies war bei zwei von zehn Spielpaaren der Fall.

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[112]

243Nur 7% der Luxemburger lesen luxemburgische Bücher und 18% Zeitungen und Zeitschriften (Fehlen 2009), was unter anderem daran liegt, dass die meisten Printmedien nur auf Deutsch oder Französisch zur Verfügung stehen. In den sozialen Netzwerken ist Luxemburgisch zwar wesentlich präsenter, doch wird dort kaum die offizielle Orthographie verwendet (vgl. Belling 2015)

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[113]

249Die Kodierung findet sich bei Beispielen aus dem Korpus und erklärt sich an diesem Beispiel wie folgt: 2w13 beschreibt den Sprecher (vgl. Abschnitt 4.1.3) und Interaktion (oder auch Gespräch) beschreibt den Experimentteil, aus dem das Beispiel stammt. Handelt es sich um ein deutschsprachiges oder französischsprachiges Beispiel, stammt es immer aus dem Experimentteil Interaktion und wird lediglich mit fr für Französisch oder dt für Deutsch annotiert (z. B. 2w13_fr). Die folgende Zahl entspricht der Stelle innerhalb des Teilkorpus (in Sekunden), an der sich das Beispiel befindet.

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