GiG im Gespräch 2020 / 2
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
liebe Mitglieder der Gesellschaft für interkulturelle Germanistik,
sehr geehrte Leserinnen und Leser der Zeitschrift für interkulturelle Germanistik,
in dieser Ausgabe der Rubrik »GiG im Gespräch« wird mein Bericht zu Aktuellem in der GiG kürzer ausfallen als sonst, da in diesem und leider nun auch im kommenden Jahr keine Tagung unserer Gesellschaft stattfinden kann. Der Call for Papers für die aber bereits in Vorbereitung befindliche Tagung 2022 in Kroatien wurde bereits verschickt und insofern gibt es doch immerhin erfreuliche Aussichten auf die nächste GiG-Tagung vom 19. bis zum 22. April 2022 in Zadar.
Eine weitere positive Nachricht haben wir auch bereits per Rundmail verschickt, denn der erste Band der neuen Reihe Interkulturelle Germanistik mit den Akten der Tagung 2016 in Tschechien ist nunmehr erschienen, und auch die Vorbereitung der Druckfassungen von Beiträgen der Tagungen 2017 in Flensburg, 2018 in Ouidah (Benin) und 2019 in Germersheim sind mehr oder weniger weit vorangeschritten, so dass das Erscheinen der nächsten Bände nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen wird.
Auch von der jüngsten Zoom-Sitzung des Vorstands der GiG werde ich dann in der nächsten Ausgabe von »GiG im Gespräch« in der ZiG 2021 / 1 berichten.
Die zunächst für dieses Jahr vorgesehene Lücke in der Kontinuität der GiG-Tagungen, um nicht zu der IVG-Tagung in Palermo in Konkurrenz zu treten, wird nun ja durch das weltweite Infektionsgeschehen leider um ein weiteres Jahr vergrößert. Natürlich bedaure ich das sehr, insbesondere auch, dass unser persönlicher Austausch darunter leidet.
Tatsächlich ist dies ein Punkt, über den wir auch mit Bezug auf die derzeitigen Veränderungen in vielen Bereichen des akademischen Austauschs in Lehre und Forschung begonnen haben, im Vorstand nachzudenken. Denn gerade die Mitglieder einer internationalen wissenschaftlichen Gesellschaft wie der GiG, die zudem auch im fachlichen Gegenstand die weltweiten Beziehungen fokussiert, befinden sich in einer Situation einschneidender Entwicklungen. Persönliche Begegnungen in Lehre, Verwaltung und Wissenschaft, Tagungs- und Forschungsreisen, Lehr- und Lernaustausch im Rahmen von DAAD-Projekten sowie Erasmus-Vereinbarungen etc., durch Drittmittel geförderte Forschungsschwerpunkte und dergleichen – all dies hat mit dem nun inflationär genutzten Medium der Videokonferenz-Plattformen neue kommunikative Gestalt angenommen.
Die entsprechenden Veränderungen sollten gerade wir als Mitglieder der Gesellschaft für interkulturelle Germanistik bewusst beobachten und mit den fachlichen Grundlagen, die unsere Fachrichtungen bereitstellen, beleuchten, denn mit dem nun – womöglich für längere Zeit – wichtigsten Medium der Videokonferenz-Tools verändern sich nicht nur die kommunikativen Gegebenheiten, sondern auch ihre Abläufe, Möglichkeiten, Unmöglichkeiten, Chancen und Risiken. Der andalusisch-deutsche Lyriker José F.A. Oliver beschreibt dies so: »Die Pandemie wird zur Lehrstunde (eigentlich zu Lehrmonaten, vielleicht auch Lehrjahren), die uns das komplexe Geflecht der gesellschaftlichen Verhältnisse, aber auch das wacklige Kartenhaus unserer Lebensillusionen schmerzhaft offenbart.« (Oliver 2020). Es mache, schreibt Oliver, »vor allem dort, wo unser gesellschaftliches Miteinander (oder Nebeneinander) in einem gefährlichen Maß schon ›vorerkrankt‹ war« (ebd.), Unstimmigkeiten, Widersprüche, Ungerechtigkeiten offenkundig.
Wir stehen ganz am Anfang der Reflexion, deswegen an dieser Stelle nur ein paar meiner vorläufigen Überlegungen in grober Skizze. Die derzeitigen Gegebenheiten bringen gewissermaßen eine noch weiter als schon bisher zunehmende Polarisierung mit sich; während wir einerseits noch häufiger und leichter – nämlich nun fast schon gewohnheitsmäßig – internationale Besprechungen, ja sogar mehrtägige Workshops mit internationalen Partnerinnen und Partnern in Übersee und sonst wo online durchführen, sind andererseits die Kontaktmöglichkeiten in hohem Maße beschnitten und die Isolation hat zumindest insofern zugenommen, als deutlich weniger persönliche Begegnungen stattfinden. Es ist eine nach bisherigen Maßstäben paradox anmutende Situation mit zugleich einer Wendung nach innen, ja teilweise gar Abkapselung bei gleichzeitiger Vergrößerung der kommunikativen Terrains.
Auf meinem Schreibtisch liegen unter anderen derzeit zwei Bände, die ich aus ganz anderen Gründen bestellt habe, über die ich mit Blick auf die erwähnte Paradoxie aber nun mit noch größerem Interesse nachdenke.
Es ist zunächst der Band Sprache und Empathie. Beiträge zur Grundlegung eines linguistischen Forschungsprogramms, herausgegeben von Katharina Jacob, Klaus-Peter Konerding und Wolf-Andreas Liebert und in diesem Jahr bei de Gruyter in Berlin erschienen. Besondere Aufmerksamkeit verdient hier der Beitrag Empathie und Interkulturalität von Sabine Rettinger, denn er bietet fundierte Anregungen, »um Empathie zu kultivieren und das übergeordnete Ziel transkultureller menschlicher Solidarität zu erreichen« (Rettinger 2020: 209). Gewissermaßen werden hier also Grundlagen präsentiert, die geeignet sind, um der – von mir so genannten – Vergrößerung der kommunikativen Terrains Rechnung zu tragen, das heißt dem nunmehr gewohnheitsmäßig-alltäglichen wissenschaftlichen Austausch, der in unserer Fachrichtung besonders durch sprach- und kulturübergreifende Dimensionen geprägt ist.
Der zweite Band trägt den Titel Formen des Sprechens, Modi des Schweigens. Sprache und Diktatur. Er ist von Sarhan Dhouib 2018 herausgegeben worden. Die Beiträge widmen sich der Funktion und Bedeutung der Sprache im Kontext autoritärer Herrschaftsstrukturen, und Sprache wird hier untersucht als »Mittel und Ausdruck von Machtlegitimation«, denn »sie wirbt, manipuliert, kontrolliert und lenkt, steht zugleich jedoch auch im Dienste der repressive Strukturen herausfordernden Subversion« (Dhouib 2018: 10f.). Da es bei autoritären Herrschaftsstrukturen in der Regel auch um die Isolation von Menschen eines Staats mit der Kontrolle ihres Denkens und ihrer Meinungsbildung geht, kann der Band meinem Verständnis nach gewissermaßen auf die derzeit erzwungene Abkapselung bezogen werden, wenn auch gewiss in sehr, vielleicht überaus pointierter Sicht.
Haben wir es also womöglich mit einer Situation zu tun, in der es parallel sowohl zu Entwicklungen neuer Formen von gewissermaßen »autoritär verengten« Kommunikationsräumen als auch zunehmend zur Horizonterweiterung im Sinn einer Vergrößerung unserer kommunikativen Responsivität mit der »selbst gewählten Antwort in Verantwortung« (Rettinger 2020: 211) kommen kann? José F.A. Oliver schreibt:
Dieses Virus, wie gesagt, ist kein Lebewesen, sondern ein widerliches, infektiöses Etwas. Aber wir sind Lebewesen. Deshalb können wir ihm Einiges entgegenhalten: Verantwortung und Haltung. Manchmal kann dabei die Kunst und als eine ihrer Ausdrucksformen insbesondere die Literatur zur Komplizin werden, um uns über das nicht Sagbare im Leben tröstlicher zu werden.
Ich denke, dass wir mit den Grundlagen, Theorien, Methoden und Fragestellungen der Interkulturellen Germanistik solche möglichen Entwicklungen aufmerksam beobachten können und sollten.
Sehr herzlich grüße ich Sie und schicke Ihnen meine allerbesten Wünsche
Ihre Gesine Lenore Schiewer
Literatur
Dhouib, Sarhan (2018): Formen des Sprechens, Modi des Schweigens. Sprache und Diktatur. Weilerswist.
Jacob, Katharina / Konerding, Klaus-Peter / Liebert, Wolf-Andreas (Hg.; 2020): Sprache und Empathie. Beiträge zur Grundlegung eines linguistischen Forschungsprogramms. Berlin.
Oliver, José F.A. (2020): »Das Maß im Unmaß der Zeit«. In: Mittelbadische Presse v. 10. Oktober 2020.
Rettinger, Sabine (2020): Empathie und Interkulturalität. In: Katharina Jacob / Klaus-Peter Konerding / Wolf-Andreas Liebert (Hg.): Sprache und Empathie. Beiträge zur Grundlegung eines linguistischen Forschungsprogramms. Berlin, S. 175-215.