Matthias Aumüller, Weertje Willms (Hg.): Migration und Gegenwartsliteratur. Der Beitrag von Autorinnen und Autoren osteuropäischer Herkunft zur literarischen Kultur im deutschsprachigen Raum (= Kulturtransfer und ›Kulturelle Identität‹ 5)
Paderborn: Brill /Wilhelm Fink 2020 – ISBN 978-3-7705-6524-5 – 149,00 €
In ihrer Einführung skizzieren Matthias Aumüller und Weertje Willms das Spannungsfeld, in dem die Beiträge des sehr gelungenen Bands zu verorten sind: Zum einen ist es unabweisbar, dass Autoren und vor allem Autorinnen mit biographischen Beziehungen zu Osteuropa im deutschsprachigen Buchmarkt, im Feuilleton sowie in der Wissenschaft seit einiger Zeit mit sehr viel Aufmerksamkeit bedacht werden. Andererseits ist genauso deutlich, dass die Terminologie, diesen Kanon von Texten zu beschreiben, sowie eine zufriedenstellende Bestimmung der Eigenschaften, die Texte diesem Kanon zuweisen, zumindest als problematisch erscheint. Der offen formulierte Titel ist dementsprechend auch als eine Aufforderung zu verstehen, über Möglichkeiten nachzudenken, das Verhältnis von Migration und Gegenwartsliteratur literaturwissenschaftlich neu zu erfassen. Derlei Möglichkeiten stellt der Band zunächst theoretisch, sodann praktisch vor.
Matthias Aumüller setzt im ersten Beitrag gleichsam einen theoretischen Rahmen, indem er anhand der Geschichte des Begriffs der Migrationsliteratur sowie seiner Vorgängerbegriffe zeigt, dass deskriptive, normative, gegenstandsbezogene sowie ästhetische Kategorien oftmals unbemerkt miteinander konfundiert wurden. Die terminologischen Kämpfe seien oft unter der unbewussten Prämisse ausgefochten worden, man kämpfe lediglich um eine angemessenere Definition eines Begriffs, dessen Umfang jedoch immer als identisch gedacht worden sei. So seien Termini wie Gastarbeiterliteratur, Chamisso-Literatur oder Migrantenliteratur usw. oftmals gegeneinander ausgespielt worden. Obwohl Aumüller zu Recht festhält, dass terminologische Auseinandersetzungen unausweichlich sind, weil sie zum methodologischen Kerngeschäft jeder Wissenschaft gehören, und obwohl die Kritik inhaltlich sicherlich oft zu Recht geübt wurde, kommt er zu einem so simplen wie klugen Vorschlag zum Umgang mit derartigen begrifflichen Konkurrenzen: Er besteht darin, terminologische Entscheidungen an Fragestellungen zurückzubinden und nicht universal zu begründen, d.h. davon auszugehen, dass verschiedene Begriffe nicht nur unterschiedliche Inhalte, sondern tatsächlich auch unterschiedliche Umfänge haben können und daher oft nur vermeintlich in Konkurrenz zueinander treten. Eine solche Grundeinstellung erlaubt, erstens generische Überlegungen anzustellen, in welchen Beziehungen die vermeintlich konkurrierenden Termini zueinander stehen. Aumüller schlägt hier den Begriff der ›interkulturellen Literatur‹ als Oberbegriff vor, dessen Umfang aus den sich teilweise stark überschneidenden Umfängen der Unterbegriffe mit besonderem Zuschnitt besteht. Zweitens können durch Termini, die an spezifischen literatursoziologischen Fragestellungen entlang profiliert wurden, methodologische Vorentscheidungen explizit gemacht und umgesetzt werden, und drittens lässt sich dieser Punkt auch historisch wenden, sodass Fragen der Migrationsliteratur nicht nur literatursoziologisch, sondern auch literaturgeschichtlich aufgeworfen und konturiert werden können.
Ob nicht »die Forschung auf spezifizierende Komposita verzichten und künftig nur noch von Literatur sprechen sollte« (42), fragt dagegen Christian Stelz in seinem Beitrag »Arm dran ist, wer nur sein eigenes Land hat«. Dabei meint er jedoch nicht jedes Kompositum, in dem Literatur ein Bestandteil ist, sondern gerade solche Komposita, um die es auch im vorhergehenden Beitrag ging und die versuchen, ein Korpus zu umgrenzen, das diejenige Literatur umfasst, die der Autor selbst vorläufig mit ›Migrationsliteratur‹ bezeichnet. Stelz befasst sich in diesem auf osteuropäische AutorInnen fokussierendend Band mit türkisch-deutschen AutorInnen, um vor der Wiederholung bestimmter Fehler zu warnen. Er zeigt, dass Kategorisierungen wie Migrationsliteratur und andere den öffentlichen genauso wie den literaturwissenschaftlichen Blick hinsichtlich der deutsch-türkischen Literatur bisweilen stark verzerrt haben. An den Beispielen Aras Örnes’ Berlin Savignyplatz, Yadé Karas’ Selam Berlin sowie dem Werk Zafer Şenocaks belegt er, dass das Merkmal des migrantischen oder interkulturellen Hintergrunds zum Teil in einer Weise hypostasiert wurde, dass eine »hohe Anzahl intra- und intertextueller Verweise, Polysemie, Selbstreflexivität, Metatextualität sowie textinhärente Muster der Identitätskonstitution, deren Gebundenheit an Fremd- und Selbstbilder sowie der hohe Stellenwert medialer Vorbilder für die performative Hervorbringung hybrider Identitäten« (41) – Kategorien also, die im genuin literaturwissenschaftlichen Interesse liegen – letztlich einfach übergangen wurden.
Hochinteressant ist der theoretisch versierte Beitrag Mehrsprachigkeit als Migration von Till Dembeck. Darin legt er dar, was er unter dem Terminus ›Mehrsprachigkeitsphilologie‹ versteht. Maßgeblich ist dabei nicht der Gegenstandsbezug (d.h., es ist gerade nicht Philologie über mehrsprachige Texte), sondern eine methodisch-methodologische Einstellung, Philologie zu betreiben, deren Zielsetzung »die Erfassung von Sprachvielfalt auf allen Ebenen der Textstruktur [ist], und die Untersuchung der Arten und Weisen, wie die jeweils zu konstatierende sprachliche Vielfalt auf diejenige der anderen Ebenen bezogen ist.« (60) Da alle solchen bedeutungskonstituierenden Strukturen aus anderen Texten oder Kontexten entlehnt sind, spricht Dembeck von Mehrsprachigkeit als Migration. Er hält fest, und das ist besonders interessant, dass alle Texte ihre eigenen »Einwanderungsgesetze« (58) festlegen, was bedeutet, dass sie erkennen lassen, welche Strukturen in ihnen tatsächlich bedeutungskonstituierend sind und welche nicht. Dembeck sagt zwar, dass es auch ein Mehrwert der Mehrsprachigkeitsphilologie sein kann, die »Bewegung sprachlicher Elemente und Strukturen durch den Raum der Sprache zu verfolgen« (66f.), nichtsdestotrotz gilt sein Hauptinteresse der Frage, wo Texte neue und innovative Migrationsgesetze erlassen, denn die Philologie hat, so Dembeck, eigentlich bedeutungsloses »sprachliches Rauschen grundsätzlich als bedeutsam zu lesen« (58). Letztlich stellt er hier einen Ansatz vor, das neu und dezidiert mit interkultureller Stoßrichtung zu fassen, was Roman Jakobson als die poetische Funktion der Sprache bezeichnet hat. Ausgehend von dieser Feststellung wäre eine Rückfrage möglich, die nicht als Kritik, sondern als interessiertes Angebot zum Dialog zu denken wäre: Dembeck schlussfolgert in Anlehnung an die sprachwissenschaftliche Forschung zu superdiversity, translanguaging und semiodiversity, dass die langue nicht mehr als »Voraussetzung des Sprechens« (54) gesehen werden kann. Die Frage wäre, wie aber ohne langue, d.h. ohne dass die auf der paradigmatischen Achse äquivalenten Elemente virtuell das tatsächlich Geäußerte mit Bedeutung versehen, dem Rauschen Bedeutsamkeit beigemessen werden könnte. Anders gefragt: Fordert dieser hochinteressante und innovative Ansatz nicht eher dazu heraus, statt die langue zu verabschieden, ihre Systematizität anders und neu zu denken?
Als Vorblick auf ihre mittlerweile erschienene Dissertation (»In der Zugluft Europas«. Zur deutschsprachigen Literatur russischstämmiger AutorInnen) hat Nora Isterheld ihren Beitrag Die Russen sind wieder da konzipiert. Sie gibt einen sehr informierten Überblick über die geschichtlichen und literaturmarktgesetzlichen Gründe sowie über die Spezifika in unterschiedlichsten Hinsichten der aktuellen Hochkonjunktur russisch-deutscher SchriftstellerInnen und ihrer Werke. Der konsequente Fokus auf gemeinsame Strukturmerkmale lässt das Korpus erstaunlich homogen erscheinen. Einerseits wird dadurch die Neugier auf die Frage geweckt, welche AutorInnen und Einzelwerke Isterheld in ihrer Monographie als Sonderfälle herausstellt. Andererseits traut man der Autorin aufgrund des Eindrucks, den sie vermittelt, ohne Weiteres zu, dass sie ihr Kenntnisreichtum in Bezug auf diese Literatur zu übergreifenden Thesen befähigt, was auch dadurch unterstützt wird, dass die Dissertation bereits von vielen anderen AutorInnen des Bandes als Standardwerk zitiert wird.
Den zweiten Teil des Bandes, der Einzelanalysen gewidmet ist, leitet Monika Wolting mit ihrem Beitrag Das Politische der Migrationsliteratur ein, in dem sie Olga Grjasnowas Roman Der Russe ist einer, der Birken liebt als engagierten Text untersucht. Einleuchtend ist die Feststellung, dass er in dem Sinne ein politisches Anliegen hat, als er die weithin in Westeuropa nicht bekannten Ereignisse der 1990er Jahre im Kaukasus in das kollektive Gedächtnis einzuspeisen und mit der hegemonialen Europa-Erinnerung zu verknüpfen versucht. Leider geht Wolting jedoch nicht auf Grjasnowas Auseinandersetzung mit dem Nahostkonflikt ein, der im Roman eine zentrale Rolle spielt und an dem sich in der Logik des Textes allein erweisen lässt, inwiefern die Hoffnung auf gelingendes politisches Handeln noch gerechtfertigt sein kann.
Eva Hausbacher untersucht in ihrem Beitrag Sprache – Identität – Erinnerung den Roman Sogar Papageien überleben uns und den lyrischen Doppelzyklus Von Tschwirik und Tschwirka, beide von Olga Martynova. Sie hält an der Legitimität der »Rede von einer Spezifik transkultureller Literatur (immer noch)« (110) fest. Wobei sie Martynova zustimmend zitiert, die sagt, für die Ästhetik des literarischen Werks einer Autorin sei nicht der Einfluss der anderen Sprachen entscheidend, sondern »die Schule der ›ersten‹ Literatur« (115, zit. n. Martynova 2015: 83). Ihre erste These, dass trans- oder interkulturelle Literatur dementsprechend als (in verschiedener Hinsicht) intertextuelles Phänomen literaturwissenschaftlich beobachtbar wird, kann sie sehr überzeugend plausibilisieren. Auch die zweite These, dass diese Art von Literatur »Gegendiskurse« (126) in erinnerungstheoretischer Hinsicht eröffnet, ist sicher richtig. Beide Thesen hätten allerdings noch theoretisch weiter differenziert werden können, wenn Positionen aus den memory studies miteinbezogen worden wären. So wäre interessant, wie die Autorin die Arbeiten von Astrid Erll (vgl. z.B. 2011) sowie im Blick auf die zweite These die von Michael Rothberg (vgl. 2009) diskutieren würde.
Im Beitrag Genderaspekte in Julya Rabinowichs Dazwischen: Ich (2016) zeigt Weertje Willms, wie die Autorin eine, in der russisch-deutschen Literatur vielfach zu entdeckende, matrilineare Familienstruktur entwirft (der Begriff stammt von Rybalskaya 2016), um sich selbst aus einer patriarchalen Unterdrückungssituation zu emanzipieren. Die Protagonistin dieses Jugendbuches, Madina, ist mit einer doppelt belastenden Situation konfrontiert: Sie muss sich als 15-Jährige im Prozess des Erwachsenwerdens entwerfen und sieht sich als Asylbewerberin vor die damit einhergehenden Unsicherheiten und Vulnerabilitäten gestellt. Zugespitzt werden beide sich befeuernden Konflikte durch den zunehmenden islamischen Konservatismus des in seiner patriarchalen Rolle gekränkten und verzweifelten Vaters. Rabinowich, so Willms’ absolut nachvollziehbare These, arrangiert diesen vielfach politisierten Konflikt zwischen universalistischen Emanzipationsbestrebungen und kulturellen Familien- und Rollenvorstellungen so, dass die Darstellung – gerade auch in der Form des Jugendbuches – kein moralisches oder politisches Generalurteil zum Ziel hat, sondern aus Sicht der betroffenen Mädchen diesen konkrete Hilfe sein kann.
Mara Matičević macht in ihrem Beitrag Erzählen ohne Grenze ausgehend von der Rede Three Miths of Immigrant Writing von Saša Stanišić den Vorschlag, »Migration als literarisches Phänomen greifbar« (146) zu machen, indem versucht wird, »[l]iterarische Erzählungen unter dem Aspekt der Bewegung« (147) zu fassen. Sie bespricht dabei neben Stanišić Aleksandar Hemons Islands, Marcia Bodrožić’ Das Wasser unserer Träume und Terézia Moras Alle Tage. Wirkt die Kategorie der Bewegung auf den ersten Blick zu weit, um den Kern von so etwas wie einer Poetik der Migrationsliteratur auszumachen, sticht unter allen überzeugenden Interpretationen vor allem die zu Bodrožić hervor. Dort bewegt sich die Position der Erzählinstanz um einen im Koma liegenden Quasiprotagonisten, dessen so dargestelltes Zurückerlangen der Sprachfähigkeit den Weg seiner Rekonvaleszenz parallelisiert und Metapher für eine Identitätsbildung innerhalb der Sprache wird, auf die bezogen das Subjekt sich genauso aktiv wie passiv erleben muss. Auch wenn die literarische Analysekategorie der Bewegung in Bezug auf ihre Anwendung in der Interpretation von Migrationsliteratur auf jeden Fall noch weiter ausgelotet werden muss, zeigt diese überaus gelungene Interpretation, dass dies ein lohnenswertes Unterfangen wäre.
Jana-Katharina Mende deckt in ihrem Beitrag Polnisch-Deutsche Mehrsprachigkeiten am Beispiel der polnischen Übersetzung von Katja Petrowskajas Vielleicht Esther die Chancen und Tücken der Übersetzung eines mehrsprachigen Textes auf. In einer sehr detailreichen Darstellung zeigt sie, welche Funktionen welche Sprachen in welcher Version übernehmen können. Besonders interessant im Kontext des Bandes ist, dass sie den in der polnischen Literaturwissenschaft geprägten Terminus der migrierten Literatur (vgl. Henseler / Makarska 2014: 10) einführt, den sie als besonders produktiv ausweist, da durch ihn nicht, wie beim deutsche Kompositum Migrationsliteratur, »Migration die Literatur bestimmt«, sondern mithilfe des Begriffs »Literatur durch ein Adjektivattribut beschrieben wird, was nur eine mögliche Zuschreibung ist und damit das Genre weniger festlegt.« (169; Hervorh. i.O.)
Migration und das kulturelle Gedächtnis untersucht Renata Makarska anhand des Romans Der traurige Gast von Matthias Nawrat. Sie kontextualisiert dieses Werk innerhalb der deutsch-polnischen Literaturgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, indem sie diese sehr ausführlich darstellt, was vor allem deswegen begrüßenswert ist, weil die auf Polnisch verfasste Literatur in Deutschland lebender Polen oft nicht als Gegenstand der interkulturellen Germanistik verstanden wird und somit auch in Überblicksdarstellungen oft nicht aufgeführt ist. Ihre nachvollziehbare These lautet, dass Nawrat in seinem Roman ein transkulturelles Gedächtnis der Stadt Berlin entwirft. Welchen Begriff genau die Autorin vom transkulturellen Gedächtnis anlegt, hätte sie noch weiter explizieren können, da dieser Terminus eher als Überbegriff verschiedener Konzepte gesehen werden muss und die Forschung bereits sehr ausdifferenziert ist. Gerade weil sich Makarska in ihrer Darstellung auch auf Astrid Erll bezieht, wäre es sicher lohnenswert gewesen, bei der Interpretation auf Erlls Konzept der travelling memory (Erll 2011) einzugehen.
Die Sprachliche Suche nach eigenen Wurzeln porträtiert Eva Maria Hrdinová in ihrem Artikel zu Anna Zonovás Roman Za trest a za odměnu (Zur Strafe und als Belohnung) sowie der literarischen Biographie Katharsis von Katharina Beta. Sie zeigt, wie der Bezug auf ostkirchliche Realien und Semantiken in beiden Fällen zur Erzeugung eines locus amoenus verwendet wird, der aber bei Zonová als ein verlorenes Paradies imaginiert wird, weswegen die aus ihm vertriebenen ProtagonistInnen in ihrer Verwendung der ostkirchlichen Bezüge in Sprachlosigkeit verstummen, während bei Beta gerade im Gegenteil durch die Fremdartigkeit der Symbolik ein Sinnstiftungsangebot formuliert wird.
Der Band wird beschlossen mit dem sehr instruktiven und durchweg nachvollziehbaren Beitrag Codeswitching und mehrfache Adressierungen von Marek Nekula, der Maxim Billers Erzählung Ein trauriger Sohn für Pollok interpretiert. Nekula zeigt, dass durch Codeswitching ins Tschechische und vor allem durch mehrfach codierte sprechende Namen, bei denen neben Bezügen auf die tschechisch-slowakische Geschichte auch auf das Französische angespielt wird, die zunächst klar scheinende Opfer-Täter-Dichotomie unterlaufen wird. Dies interpretiert Nekula als die von Biller verwendete Metapher für die Situation der tschechischen Intellektuellen zwischen den 1960er und den 1980er Jahren. Den idealen, kritischen Leser, im Sinne Ecos, als »hybriden ›dritten Leser‹« (228) – in Anlehnung an Bhabha – zu bezeichnen ist ein durchaus geschickter Zug, der es erlaubt, die diffizile Erzählsituation in angemessener Schärfe zu erfassen. Allein bezüglich der Absolutheit der These, dass »[l]ediglich der durch das Codeswitching implizierte und aktivierte sprachlich und kulturell hybride Leser bzw. Modellleser […] im Stande [ist], das mit dem Figurennamen angestellte Spiel und damit auch den Text zu verstehen« (227), könnte Skepsis angemeldet werden. Obwohl dieser von Nekula ins Spiel gebrachte Leser selbstverständlich eine literaturwissenschaftliche Kategorie und kein wirklicher Leser ist, scheint sich doch dem Leser des Beitrags die Frage aufzudrängen, ob die ausschließliche Einteilung in naive und kritische Leser nicht durch den Artikel selbst als contradictio in adjecto ausgewiesen wird. Denn man bewegt sich in der Lektüre von Nekulas Beitrag selbst vom naiven zum kritischen Pol – was diese Interpretation zu einer absolut gelungenen macht.
Literatur
Erll, Astrid (2011): Travelling Memory. In: Parallax 17, H. 4, S. 4-18.
Henseler, Daniel / Makarska, Renata (2014): Die literarische E-Migration der 1980er Jahre. Einführung. In: Dies. (Hg.): Polnische Literatur in Bewegung. Die Exilwelle der 1980er Jahre. Bielefeld, S. 9-20.
Martynova, Olga (2015): (Gescheiterter) Versuch, Ornithologe zu sein. In: Neue Rundschau 126, H. 1, S. 78-86.
Rothberg, Michael (2009): Multidirectional Memory. Remembering the Holocaust in the Age of Decolonialization. Stanford.
Rybalskaya, Yanetta (2016): Die matrilineare Familienstruktur in Julya Rabinowichs Roman Spaltkopf oder: Wer ist eigentlich Baba Yaga Girl? In: Zeitschrift für interkulturelle Germanistik 7, H. 1, S. 97-114.