Heterautonomien
– One 2 Many Multiculturalisms – 1
Kultur hat – wenn sie sich denn haben läßt – immer der Andere. Sie ist die Kunst des Unnaiven, die Scham vor dem Eigenen, eingefleischte Abwendung von sich; sie ist die Würde des Nicht-Egoismus – und kulturlos wäre, wer die Möglichkeit ausschließen wollte, daß auch sie noch, so definiert, eine List des Egoismus sein könnte.
Kultur ist also immer auch die Scham der Kultur darüber, daß sie nicht kultiviert genug, immer noch naiv, nativistisch, natürlich, nationalistisch, egozentrisch ist und ihrem eigenen Begriff nicht entspricht. Es liegt im Begriff der Kultur selbst, daß sich mit ihr oder irgendeiner ihrer Formen niemand identifizieren kann.
Keine Kultur ist die Kultur, keine ist Kultur überhaupt, jede versagt vor ihrem Anspruch, Kultur zu sein – und im Unbehagen an ihrem Versagen liegt das eigentümliche Pathos der Kultur: ein Pathos der Distanz, eine Distanzierung vom Pathos und ein Spiel des Pathos mit anderen Möglichkeiten als denen, die eine »gegebene« Kultur ihm zu bieten hat. Sie ist also keine Habe, diese Kultur, sie ist ein Vorwurf – im doppelten Sinn des Projekts und der Anschuldigung –, sie ist der Versuch, ein per definitionem unerreichbares Ziel, sie selbst, dies Andere, zu erreichen: immer eine andere und eine wieder andere Kultur, und jede schuldig, nicht die andere und nicht die ganze zu sein. Sie ist also nicht, sondern wird; und sie wird nicht, sondern wird immer eine andere gewesen sein als die, die sie hätte sein sollen. Kultur, kurzum, ist nicht eins und nicht eine, es sei denn, ihre Einheit läge darin, prinzipiell auszustehen. Kultur – dies wäre ihre Minimaldefinition – ist ihr Ausstand: die Unterbrechung ihrer Arbeit, ihr Streik, ihr Bevorstand, ihre Weigerung oder ihre Unfähigkeit zu sein, was sie erst zu werden verspricht.
In diesem Sinn – in diesem Doppelsinn und also als Aufweis der unvermeidlichen Brechung ihres Sinns – läßt sich ein Aphorismus aus Nietzsches Menschliches, Allzumenschliches verstehen, der von der Dichotomie zwischen Suchen und Haben, zwischen Forschen und Lernen, Vergnügen und Unlust, Geben und Nehmen, Produktion und Rezeption ausgeht. Es heißt dort:
Die Wissenschaft gibt dem, welcher in ihr arbeitet und sucht, viel Vergnügen, dem, welcher ihre Ergebnisse [lernt], sehr wenig. […] Wenn nun die Wissenschaft immer weniger Freude durch sich macht und immer mehr Freude, durch Verdächtigung der tröstlichen Metaphysik, Religion und Kunst, nimmt: so verarmt jene größte Quelle der Lust, welcher die Menschheit fast ihr gesamtes Menschentum verdankt. Deshalb muß eine höhere Kultur dem Menschen ein Doppelgehirn, gleichsam zwei Hirnkammern geben, einmal um Wissenschaft, sodann um Nicht-Wissenschaft zu empfinden: nebeneinander liegend, ohne Verwirrung, trennbar, abschließbar; es ist dies eine Forderung der Gesundheit (Nietzsche 1966, 601 [Nr. 251]).
Die Rettung der Kultur – das ist die Aufgabe, die Nietzsche dem überträgt, was er höhere Kultur nennt. Aber gerettet werden muß die Kultur, die im Wesentlichen mit Wissenschaft im weitesten Sinn für koextensiv erklärt wird, gerettet werden muß die Wissenschaft zunächst vor sich selbst, denn sie besteht nicht nur in den tröstlichen Praktiken der Metaphysik, Religion und Kunst, sondern ebenso in den unerfreulichen ihrer Verdächtigung und Zerstörung: Sie nimmt mit der einen Hand, was sie mit der anderen gegeben hat; sie ist ihre eigene Krankheit. Die höhere Kultur, die Rettung der Kultur vor sich selbst und vor ihrer ruinösen Duplizität, liegt nun für Nietzsche nicht etwa in der Abwendung von der Kultur – damit würde jene Barbarei heraufbeschworen, die er unter den Namen Bildungs-Philistertum, Positivismus und Nihilismus als suizidäre Kulturphänomene einschätzt –, ihre Rettung liegt in der Affirmation der kulturellen Selbstverdächtigung, in der expliziten Spaltung der Kultur, somit in der geregelten Distribution ihrer Kräfte auf eine Dyade von Wissenschaft und Nicht-Wissenschaft, Kultur und Nicht-Kultur. Die Schizophrenie der höheren Kultur, ihr Doppelgehirn, wie Nietzsche sagt, ist ihre Krankheit und zugleich ihre Genesung, ihre Krankheit zur Genesung. Allein als Doppelkultur kann Kultur sich retten, in ihrem Doppelgehirn erst hat sie eine Chance, ihre Selbstzerstörung zu überleben. Kultur ist also nicht so sehr in einer Krise, als vielmehr die Krise selbst; aber eben weil sie nur als Krisis, als Scheidung, Trennung und Spaltung von sich lebt, lebt sie als ihre Überlebende: als diejenige, die auf sich zurückkommt und sich zuvorkommt, als Revenant, Geist und Gespenst der Kultur. In den Wissenschaftlern, den Produzenten der Kultur, so schreibt Nietzsche, »gehen sowohl die Gespenster der Vergangenheit als die Gespenster der Zukunft um« (ebd., 600). Kultur, das ist immer eine Sache des Überlebens und Über-Lebens, des Mehr als bloß Lebens, des Anders- und Woanders-Lebens der Kultur. Sie ist die organisierte Aporie und die Aporie noch der Organisation durch Desorganisation; und da sie in ihr nicht stillsteht und erstarrt wie auf den Bildern der Renaissance Herkules, der Kulturheros der griechischen Mythologie, am Trivium, sondern Aporie die Form ihrer Bewegung ist, ist sie Diaporie: Bewegung im Weglosen, Weglosigkeit in Bewegung.2
Was Kultur heißt, ist nie das eine, ohne auch ein anderes zu sein. Deshalb läßt sie sich nicht lokalisieren, nicht als exklusives Eigentum in Anspruch nehmen, für niemanden reservieren – weder soziologisch für eine bestimmte Schicht oder Klasse, noch national-politisch für eine bestimmte Region oder ein Idiom, noch historisch für eine bestimmte Epoche. Aber so, wie der Begriff der Kultur ein Begriff der Distinktion, der Unterscheidung von ihr selbst und der für ihre Struktur konstitutiven Krisis ist, so ist er immer auch gleichzeitig als polemischer Begriff der Distinktion zwischen Kultur und Unkultur, Kultur und Natur, Kultur und Barbarei oder Banausentum gebraucht worden und also als Waffe im Kampf gegen andere Kulturen, als Instrument der Denunziation und der Barbarisierung von Kulturen. Sowenig jemand von sich selbst sagen kann, er sei kultiviert, ohne sich Kultur damit schon abzusprechen, sowenig kann von Anderen – am wenigsten in ihrer Gegenwart – gesagt werden, sie hätten Kultur, ohne daß dies Kompliment als Unverschämtheit und als dreister Angriff empfunden werden müßte. Kultur ist immer auch das Verbot, über sie zu urteilen. Wo ein Urteil dennoch gefällt wird, ist es eine Kriegserklärung.
Daß ein Urteil darüber, ob jemand kultiviert sei oder nicht, als impertinent gelten muß, hat einen einfachen Grund: Wer so urteilt, maßt sich an, selbst über den Standard dessen, was Kultur sei, zu verfügen und dem Beurteilten die Rolle des Objekts, ja des Opfers dieses Urteils zuweisen zu dürfen. Kultur kennt aber keinen objektiven Standard und niemanden, der sich zutrauen dürfte, ihn zu repräsentieren. Über Kultur läßt sich nicht urteilen. Über sie spricht man nicht – das ist ihre Definition und ihre Selbstdefinition. Aber über sie spricht man nicht deshalb nicht, weil man sie etwa, wie dieser Satz da und dort fortgesetzt worden ist, besäße, sondern weil sie selbst es ist, die spricht, und weil es nicht möglich ist, über das Sprechen selber zu sprechen, ohne eben damit schon von etwas anderem zu sprechen. Das ist das Dilemma, das Doppelgehirn der Kultur: es erlaubt und gebietet zu sprechen, zu benennen, die Wahrheit über sie und alles von ihr Berührte zu sagen, aber nur unter der Einschränkung, daß von ihr »als solcher« nicht gesprochen werden kann. Wenn Kultur die Kunst des Nicht-Egoismus ist, dann muß sie zugleich die Kunst der Nicht-Objektivierung sein. Sie könnte nie Thema von Aussagen und Gegenstand von Kontroversen werden, wenn sie nicht zunächst das Medium wäre, in dem wir uns sprechend und handelnd zu uns selbst und zu anderen verhalten und dabei von allen Vergegenständlichungen auf Distanz halten.
Freud, der einen großen Teil seiner Arbeit dem, was mittlerweile Akkulturation heißt, gewidmet hat, schreibt in Die Zukunft einer Illusion (1927):
Die menschliche Kultur – ich meine all das, worin sich das menschliche Leben über seine animalischen Bedingungen erhoben hat und worin es sich vom Leben der Tiere unterscheidet – und ich verschmähe es, Kultur und Zivilisation zu trennen – zeigt dem Beobachter bekanntlich zwei Seiten. Sie umfaßt einerseits all das Wissen und Können, das die Menschen erworben haben, um die Kräfte der Natur zu beherrschen und ihr Güter zur Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse abzugewinnen, anderseits alle die Einrichtungen, die notwendig sind, um die Beziehungen der Menschen zueinander, und besonders die Verteilung der erreichbaren Güter zu regeln. Die beiden Richtungen der Kultur sind nicht unabhängig voneinander, erstens, weil die gegenseitigen Beziehungen der Menschen durch das Maß der Triebbefriedigung, das die vorhandenen Güter ermöglichen, tiefgreifend beeinflußt werden, zweitens, weil der einzelne Mensch selbst zu einem anderen in die Beziehung eines Gutes treten kann, insofern dieser seine Arbeitskraft benützt oder ihn zum Sexualobjekt nimmt, drittens aber, weil jeder Einzelne virtuell ein Feind der Kultur ist, die doch ein allgemeinmenschliches Interesse sein soll (Freud 1968a, 326f.).
Es ist hier nicht der Ort, auf die heiklen Details dieser Definition der Kultur einzugehen – auf die Unterscheidung zwischen Mensch und Tier, auf die von Freud verweigerte, in den 10er und 20er Jahren des 20. Jahrhunderts insbesondere von Spengler mit schlimmen Folgen propagierte Unterscheidung zwischen Zivilisation und Kultur, auf die Unterscheidung zwischen Bedürfnissen und Trieben, auf den zugleich ökonomisch-technischen und ethischen Begriff des Guts und der Güter, den Begriff der Naturbeherrschung usw. Wichtig ist für diesen Zusammenhang zunächst nur der Begriff der Kulturfeindschaft, der zwischen den beiden Seiten oder Richtungen der menschlichen Kultur – der Naturbeherrschung und der Regelung gesellschaftlicher Beziehungen – einen Zusammenhang herstellt: Die Tatsache, daß jeder Einzelne virtuell ein Feind der Kultur ist, nimmt ihn nämlich gleichsam aus der menschlichen Gemeinschaft heraus, macht ihn zu einem Stück Natur und damit sowohl zum Gegner als auch zum Gegenstand jener Kultivierungsarbeit, von der er sich ausnimmt. Freud hält diese virtuelle Kulturfeindschaft jedes Einzelnen, seine destruktiven, also antisozialen und antikulturellen Tendenzen (ebd., 328) nicht nur für prinzipiell unbefriedbar, er hält sie zugleich für einen Kultivierungsfaktor von eigentümlicher Kraft. Den antikulturellen Tendenzen schreibt er die Entstehung des Gewissens, des Rechtsbewußtseins und der Moralität zu; auf ihr Drängen führt er das große Kulturexperiment der bolschewistischen Revolution zurück, über dessen Chancen er sich vorsichtig und liberal des Urteils enthält (ebd., 330); auf sie und somit auf rohe Gewalt führt er in letzter Instanz alle großen Kulturschöpfungen der Menschheit und also die Menschlichkeit des Menschen selbst zurück (Freud 1968b, 15–20). Die kulturfeindliche Gewalt, so könnte man Freuds Darstellung formalisieren, stiftet, da sie prinzipiell instabil, polymorph, inhomogen und ebenso destruktiv wie selbstdestruktiv ist, durch eine Wendung gegen sich selbst die Kultur. Kultivierungsarbeit, Akkulturation, so real und effizient sie sein mag, bleibt für Freud eine Illusion, weil sie mit denjenigen Kräften betrieben werden muß, die auf die Zerstörung der Kultur, auf die Korruption der Politik und der moralischen Ideale hinwirken und sich nur zu partiellen und problematischen Bündnissen mit ihnen zusammentun können. Wenn der Krieg aller gegen alle – und es ist diese hobbessche Vorstellung vom Naturzustand, die Freuds genealogischer Konstruktion der Kulturbildung zugrunde liegt –, wenn dieser Krieg es ist, der den Frieden schließt, dann muß der Krieg jedes Band, das er geschlungen hat, alsbald wieder lösen.
Kultur, so real und effizient sie zuweilen scheinen mag, ist für Freud eine Illusion, weil sie jederzeit aus einer Bindung bindungsfeindlicher Elemente besteht. Es sind daher zwei einander entgegengesetzte apokalyptische Szenarien, die Freud heraufbeschwört – die eine: Vernichtung der menschlichen Kulturen durch unkultivierbare Destruktionstriebe in verheerenden Großkriegen; die andere: das Erlöschen der Menschenart durch den Prozess der Kulturentwicklung selbst und die damit verbundene Entsexualisierung. »Vielleicht«, so schreibt Freud,
führt er [der Prozess der Zivilisation] zum Erlöschen der Menschenart, denn er beeinträchtigt die Sexualfunktion in mehr als einer Weise, und schon heute vermehren sich unkultivierte Rassen und zurückgebliebene Schichten der Bevölkerung stärker als hochkultivierte (ebd., 26).
Aus der Wendung antisozialer Triebe gegen sich selbst hervorgegangen, kann Kultur unter ihrem fortwährenden Druck immer nur einen prekären Bestand haben; und selbst wenn es gelingen sollte, den idealen Zustand der Kultur in einer »Gemeinschaft von Menschen zu erreichen, die ihr Triebleben der Diktatur der Vernunft unterworfen haben« (ebd., 24), so ist von ihr nichts anderes als das Erlöschen der Menschheit und ihrer Kultur zu erwarten. Ihr Überleben wäre auf diejenigen angewiesen, die Freud mit einem merkwürdigen Gestus eifersüchtiger Verachtung zurückgebliebene Schichten und unkultivierte Rassen nennt.
Kultur, kurzum, führt zum Tod der Kultur: erstens, weil sie nie genug Kultur, zweitens, weil sie zu sehr Kultur ist, in jedem Fall, weil sie nicht sie selbst, sondern verkappte, transformierte, gegen sich selbst gewendete Natur, eine Kultur des Todes und ein Umweg zum Tod ist. Dasselbe gilt, man kennt die Formel aus Jenseits des Lustprinzips, vom Leben: ein Umweg zum Tod, ist es das Leben immer des Todes. Und so die Politik: sie ist Nekropolitik, eine Verbindung dessen, was prinzipiell jede Verbindung – und also jedes Prinzip – auflöst, aporetische Politik, die in der einen oder anderen Weise auf das Ende der Politik hinauslaufen muß.
Wenn dies das Bewegungsgesetz jeder Kulturarbeit ist, dann ist Kultur insgesamt nichts anderes als eine Peripetie, ein Wendepunkt und eine Spitze, an der die Bewegung ihrer Entstehung in die ihres Sturzes umkehrt. Kultur liegt für Freud auf der Grenze zwischen ihrem Ideal und ihrem Verschwinden, und da das Ideal selbst diese Grenze ist, gibt es Kultur nur als Übergang in dessen Zerfall, ihre Konstitution nur als Selbstdestruktion. »Die Ideale einer Kultur«, so argumentiert Freud, bilden sich nach den
ersten Leistungen, welche das Zusammenwirken von innerer Begabung und äußeren Verhältnissen einer Kultur ermöglicht. […] Die Befriedigung, die das Ideal den Kulturteilnehmern schenkt, ist also narzißtischer Natur, sie ruht auf dem Stolz auf die bereits geglückte Leistung.
Und er fährt fort:
Zu ihrer Vervollständigung bedarf sie des Vergleichs mit anderen Kulturen, die sich auf andere Leistungen geworfen und andere Ideale entwickelt haben. Kraft dieser Differenzen spricht sich jede Kultur das Recht zu, die andere gering zu schätzen. Auf solche Weise werden die Kulturideale Anlaß zu Entzweiung und Verfeindung zwischen verschiedenen Kulturkreisen, wie es unter Nationen am deutlichsten wird (Freud 1968a, 334).
Kultur entsteht in der geglückten – also kontingenten – Identifikation mit einem Objekt, das durch diese Identifikation zum Ideal erhoben wird. Sie ist zunächst weniger ein Prozeß als das instantane, punktuelle Ereignis einer Appropriation, in der Identifizierung und Idealisierung, Selbst-Identifizierung und Selbst-Idealisierung zusammentreffen. Das Ideal, das Identische, ist das Zentrum der Kultur, ihr Ursprung, ihre Gestalt, ihre Kontur, ihre Grenze – und also auch schon ihr Ende. Es ist die momentane Erscheinung des Narziß in einem beglückenden, aber tödlichen Spiegelbild. Quelle der Schätzung ist das Ideal nur, weil es Quelle der Selbstschätzung ist. Was nicht zu ihm gehört, womit man sich nicht zu identifizieren vermag, kann, so erklärt Freud, nur gering geschätzt oder verachtet werden. Jede Kultur der Anerkennung ist demnach eine Kultur der Selbst-Anerkennung und der Selbst-Idealisierung, also der Selbst-Affektion – und der bloßen Affektion eines Selbst und des Selbst als Affektion – an einem spiegelbildlichen Andern, das als zum eigenen Selbst gehörig, als ihm eigen oder auf es reduzierbar angesehen wird. Als System des Narzißmus, der Ich-Konstitution und Ich-Stabilisierung beruht Kultur auf der Idealisierung des Ego in einem Anderen, das als Alter Ego erscheint. Für Freud definiert sich Kultur somit als generalisiertes ideo-egologisches Verhältnis eines Selbst zu sich in einem mit ihm homogenen, affektiv äquivalenten anderen Selbst. Sie unterstellt sich dem Prinzip der Idealität des Ich. Ihre Politik der Ich-Identität ist Idealitätspolitik.
Diese spekulare Struktur der Kulturbildung hat aber zur Folge – und das ist der zweite von Freud benannte konstitutive Zug kultureller Selbst-Idealisierung –, daß jede Kultur auch eine Kultur der Verachtung sein muß: der Verachtung des Anderen und des Selbst, sofern sie dem eigenen Ideal nicht genügen. »Zu ihrer Vervollständigung«, so fährt Freud nämlich in seiner Erklärung fort, »bedarf sie des Vergleichs mit anderen Kulturen, die sich auf andere Leistungen geworfen und andere Ideale entwickelt haben. Kraft dieser Differenzen spricht sich jede Kultur das Recht zu, die andere gering zu schätzen«. Zu ihrer »Vervollständigung«: denn keine Kultur, kein Narzißmus, keine Befriedigung, kein Ideal ist vollständig, erfüllt und beständig, das sich nicht mit anderen Kulturen, Narzißmen und Idealen vergleicht, sich von ihnen absetzt, sich über sie setzt und sie von sich ausschließt. Um ihrer Identität und Idealität willen wird jede Kultur zur komparativen Kulturwissenschaft und betreibt eine Kulturpolitik der Segregation, Verachtung und Diffamierung anderer Kulturen als des schlechthin Anderen der Kultur. Kultur ist, noch einmal, antikulturell. Aber antikulturell sie ist nicht durch einen unglücklichen Zufall, sondern muß es um des Glücks der Kultiviertheit willen mit Notwendigkeit sein. Kulturfeindschaft ist als einer der mächtigsten Agenten der Kultivierung unverzichtbar, da allein sie die Realisierung eines Ideals verbürgen kann, das für eine bestimmte Gesellschaftsformation ein Ende der Destruktionsdrohung in Aussicht stellt. Um die narzißtische Befriedigung am eigenen Ideal zu sichern, müssen die aggressiven, eifersüchtigen und rachsüchtigen Tendenzen, die der Idealisierung widerstreben, alles angreifen, was an der Grenze des Ideals liegt, müssen also die Grenze selbst und mit ihr auch das Ideal angreifen.3 Was Kulturideal genannt wird, ist keine befriedete Einheit, sondern ein Schlachtfeld.
Fremdenhaß ist ein Stück Selbsthaß, ein Teil von dem Haß, der ausgelöst wird durch den Zwang, man selbst zu sein; Xenophobie ein Stück Angst vor sich selbst und vor der Gewalt, die es kostet, man selbst zu werden und zu bleiben, mit sich, einem Inassimilierbaren und bis zur Unsichtbarkeit und Unfühlbarkeit Fremden, vertraut zu sein. Das Ideal und damit die Kultur hat also zwei Aspekte: zum einen stellt es die Identität mit sich dar, stellt sie aus, exponiert sie und macht sie zu einem Objekt der Spekulation für das Ich und für Andere; zum anderen schließt es als Ideal-Ich alles, was als für das Ich und seine Lust an sich bedrohlich erfahren wird, aus und richtet sich damit gegen die Befriedigung im Verkehr mit Anderen, die das Ziel jeder Kulturanstrengung ist. Das Ideal definiert eine Grenze, an der die eigene Kultur im Vergleich mit anderen und die reale im Vergleich mit der vom Ideal geforderten als unvollkommen, beschränkt und abgeschieden, als tödlich oder tot geächtet wird. Eine ideo-egologische Gemeinschaft formiert sich deshalb immer nur als nekrologische. Die Formel ihrer Idealität lautet: Was nicht Ich ist, soll nicht sein; da aber jedes Ich ein Ich für Andere und darin ein anderes als das eigene Ich ist, soll auch kein Ich sein. Die ideo-egologische Kultur kann sich nur darstellen und exponieren, indem sie sich a limine ex-poniert, aussetzt und tilgt.
Mit dieser unvollständigen Skizze dessen, was bei Freud – aber nicht nur bei ihm, sondern in einer langen Tradition von Philosophen, Anthropologen, Psychologen und Soziologen vor und nach ihm – Kultur heißt, sollten zumindest folgende vier Punkte in ein deutlicheres Licht gerückt werden:
– Auch die Tradition der Aufklärung, zu deren Avantgarde im 20. Jahrhundert Freuds Arbeiten gehört haben und, trotz aller Toderklärungen, im 21. zu gehören nicht aufhören werden; auch diese Tradition, die die Öffnung auf andere als zentraleuropäische Kulturen wie kaum eine zweite erleichtert hat, bleibt in ihrer Definition des Kulturellen als eines Ideals hinter ihren eigenen Einsichten und Ansprüchen zurück. Sie tut es am eklatantesten dort, wo sie, wie Freud in den zitierten Sätzen, von unkultivierten Rassen und zurückgebliebenen Schichten redet. Diese Denunziationen sind keine momentanen Entgleisungen, sondern sind vom Konzept eines Ideals, das sich als Ideal des Ich und einer egologisch verfaßten Gemeinschaft bestimmt, programmiert. Die anscheinend vorurteilslose Deskription von soziologischen oder ethnografischen Sachverhalten folgt tatsächlich der Präskription durch die Struktur des narzißtischen Ideals und damit einer Logik der Distinktion und Segregation, die ungenügend durchgearbeitet ist.
– Aufklärung über die Aufklärung kann sich nicht damit bescheiden, die Ideale der Anthropologie und ihrer Subdisziplinen – der Historiografie, Psychologie, Soziologie, Ethnografie – gegen sie selbst zu wenden. Wenn sie in dieser Weise verfährt, wiederholt sie nur die fundierende Geste, aus der diese Ideale selbst hervorgegangen sind. Die kritische Radikalisierung der Aufklärung kann andererseits auf jene Ideale nicht einfach verzichten – in einem solchen Verzicht bliebe sie an eben diese Ideale und die Logik ihrer Selbstzerstörung fixiert –; sie kann aber wohl zur Transformation dieser Ideale, zu ihrer Mobilität und ihrer Pluralisierung beitragen. Solange die anthropologischen Disziplinen von einem bestimmten, gegen Neudefinitionen immunen Ideal ausgehen, gehen sie auch von einem »Menschen« aus, der sich nach seinem eigenen Bild produziert und sich gleichzeitig als Objekt oder Opfer manipuliert. Ihre Geschichte des Menschen und seiner Kultur, Politik und Ökonomie ist eine Geschichte der Selbst-Erzeugung, Selbst-Idealisierung und Selbst-Domestizierung. Sie ist eine Geschichte des selfmade man, die sich nur auf der Folie des Narzißmus und seiner psychotischen Spannungen abspielen kann. In dem Maße, in dem sie eine Geschichte der Selbst-Produktion und Selbst-Domestizierung ist, muß sie eine Geschichte nicht nur der Subjektwerdung, sondern auch der Unterwerfung, der Kolonisierung und Versklavung des Anderen sein. Indem sie eine Geschichte der Herrschaft des Selbst ist, muß sie zugleich eine der Opferung des Anderen und noch des Anderen im Selbst sein. Die Präskription des Ideals, dem sie folgt, betreibt implizit oder explizit, mit raffinierten oder brutalen Mitteln die Proskription dessen, was ihm nicht assimilierbar ist. Das Gesetz dieser Proskription, unter dem Identifikation, Idealisierung und Kultivierung stehen, läßt sich nicht ohne verheerende Folgen gegen es selbst wenden. Es bedarf einer anderen Form der Analyse, einer anderen Aufklärung, der Ideale nicht als unverrückbare Definitionsinstanzen vorstehen, sondern als provisorische Transformationsfiguren zuarbeiten. Ideale können ihr nur als Durchgangsstationen gelten, Geschichte nicht als Selbstversicherungsmuster, sondern als Anstoß und Medium einer ›unendlichen‹ – unendlich idealisierungsfernen – Analyse.
– Der Empirismus, auf den die Aufklärung – zum Beispiel die freudsche – über Kultur und ihre Genese setzt, kann kein Positivismus mehr sein, ihm liegen keine statistischen Daten, keine quantitativen Erhebungen, keine polls zugrunde, von denen die Wahrheit der Kultur abgelesen werden könnte. Um Rechenschaft über die formativen Strukturen kultureller Ideale zu geben, muß sie sich vielmehr, und Freud betont es immer wieder ausdrücklich (vgl. Freud 1968b, 22), mit Konstruktionen, Spekulationen und Mythen behelfen. Die Struktur von Spekulation und Mythos ist aber keine andere als wiederum die der spekularen Selbstkonstitution im Narzißmus, keine andere als die der Mythologie des Wiedersagens des schon zuvor Gesagten, der Wiedererkennung des vorgeblich Erkannten. Spekulation und Mythos dependieren also von einer Vorgabe, die sie niemals in ihrer Gewalt haben können. Freud hat diese Vorgabe die geglückte Leistung genannt und mit der merkwürdigen Verbindung zwischen Glücken und Leistung eingeräumt, daß sie nicht regulierbar, sondern wesentlich kontingent ist: Sie liegt der Bildung des Ich und seines Ideals voraus. Nicht das Ich empfindet Glück, sondern Glück ist das, worin sich ein Ich überhaupt erst zu empfinden beginnt. Ideale dienen der Konservierung des Glücks, seiner Stabilisierung, Rationalisierung und Rationierung – deshalb sind sie ebenso sehr promesses de bonheur wie Instanzen des Unglücks. Denn Glück läßt sich nicht fixieren, nicht machen und nicht nachmachen. Es mag der Gegenstand der Mythen und Spekulationen über goldene Urzeiten und Paradiese der Herkunft, das Ziel jeder Phantasie der Selbstgenügsamkeit sein, aber wenn es geschieht, dann nur als etwas, das zufällt und empfangen wird, als geglückte Leistung, aber nicht als Ergebnis gezielter Anstrengung. Vom Glück kann man nichts wissen, bevor man es gefunden hat. Es ist das, was jemanden überkommt, der keinen Begriff von ihm hatte – ein Unbewußtes der Spekulation und ihrer Kultur, ein Unbewußtes jedes Ideals, das sich von ihm aufrichten läßt, jedes Ichs, das sich ihm verdankt. Dies Unbewußte und Bewußtseinsunfähige – vermutlich ein anderes als das von Freud gemeinte – muß in der Absetzung des Ideals vom Ideal, im Aussetzen des Identitätsprinzips im Moment der Identifikation liegen und also in dem, was sich weder idealisieren noch identifizieren, weder mit den Methoden der Spekulation noch denen eines mythenbildenden Empirismus erfaßen läßt. Es muß ein jeweils Einziges sein und kann deshalb nur in einer Mannigfaltigkeit von Inkommensurablen begegnen – immer nur in Kulturen, in vielen, niemals in einer, nie in »der« Kultur. Kultur ist das Geglückte, doch das Geglückte ist das Andere »der« Kultur. Daher die Paradiesmythen von den ›glücklichen Wilden‹; daher die Xenophobie, die sich gegen sie richtet und sie als Barbaren oder Untermenschen diffamiert, sobald sie oder ihr Glück bedrohlich erscheinen.
– Die theoretische und praktische Transformation, die dieses Andere der Kultur in der Kultur offenzulegen sucht, kann nicht einfach Verwandlung in eine andere Form der Kultur sein, sie kann nicht die Formierung noch des Trans- der Kultur und also die Fortsetzung von Idealisierungen und Identifikationen, sie muß vielmehr eine Bewegung sein, die von jeder Formation abspringt und etwas anderes als sie eröffnet: Sie darf nicht nur Formation und nicht nur ihre Negation, A-formation, sie muß, in unbestimmter Nähe zu Formen, Ad-formation: Afformation sein. Afformation aber kann nicht anders, als die ideellen Formen auch noch der Zahlen und Vielzahlen, der Pluralitäten und Multiplizitäten und also auch noch des zähl- und berechenbaren Multi-Kulturalismus in Frage zu stellen: nicht um sie und damit das Projekt des Pluralismus zu negieren – nichts liegt hier ferner –, sondern um das, was noch in diesen ideellen Formen verleugnet und unterdrückt wird, zur Sprache, zu einer nicht nur kulturellen und nicht nur politischen oder gar ökonomischen Sprache zu bringen. Geschieht das aber – und es wird zu zeigen sein, daß es nur in einer inkonsistenten oder aporetischen Form geschehen kann –, dann muß sich auch noch der Kulturalismus der Multikulturalismen einer Erfahrung aussetzen, von der alle Kultur lebt und die jede zu beruhigen, zu mildem oder abzuschieben sucht: Diese Erfahrung der Kultur ist der Schmerz, das nicht sein zu können, was sie verspricht, und nicht planend antizipieren zu können, was sie sein müßte; der Schmerz darüber, nicht das Glück zu sein, das ihre Ideale zu fixieren versuchen.
Um an diesen Schmerz der Kultur und an der Kultur, dieser und jeder, und also, noch einmal, an den Riß der Aporie zu erinnern, hier, ohne weiteren Kommentar, eine Passage aus den »Meditationen zur Metaphysik« der Negativen Dialektik (Adorno 1973, 359f.). Adorno, einer der in jeder Hinsicht kultiviertesten Philosophen der Moderne und des Versagens ihrer Kulturen und Kulturkritiken, schreibt:
Ein Hotelbesitzer, der Adam hieß, schlug vor den Augen des Kindes, das ihn gern hatte, mit einem Knüppel Ratten tot, die auf dem Hof aus Löchern herausquollen; nach seinem Bilde hat das Kind sich das des ersten Menschen geschaffen. Daß das vergessen wird, daß man nicht mehr versteht, was man einmal vorm Wagen des Hundefängers empfand, ist der Triumph der Kultur und deren Mißlingen. Sie kann das Gedächtnis jener Zone nicht dulden, weil sie immer wieder dem alten Adam es gleichtut, und das eben ist unvereinbar mit ihrem Begriff von sich selbst. Sie perhorresziert den Gestank, weil sie stinkt; weil ihr Palast, wie es an einer großartigen Stelle von Brecht heißt, gebaut ist aus Hundsscheiße. Jahre später als jene Stelle geschrieben ward, hat Auschwitz das Mißlingen der Kultur unwiderleglich bewiesen. Daß es geschehen konnte inmitten aller Tradition der Philosophie, der Kunst und der aufklärenden Wissenschaften, sagt mehr als nur, daß diese, der Geist, es nicht vermochte, den Menschen zu ergreifen und zu verändern. […] Alle Kultur nach Auschwitz, samt der dringlichen Kritik daran, ist Müll. Indem sie sich restaurierte nach dem, was in ihrer Landschaft ohne Widerstand sich zutrug, ist sie gänzlich zu der Ideologie geworden, die sie potentiell war, seitdem sie, in Opposition zur materiellen Existenz, dieser das Licht einzuhauchen sich anmaßte, das die Trennung des Geistes von körperlicher Arbeit ihr vorenthielt. Wer für die Erhaltung der radikal schuldigen und schäbigen Kultur plädiert, macht sich zum Helfershelfer, während, wer der Kultur sich verweigert, unmittelbar die Barbarei befördert, als welche die Kultur sich enthüllte. Nicht einmal Schweigen kommt aus dem Zirkel heraus; […].
* * *
Multikulturalismus ist ein Kampfbegriff. Was er sagt, soll nicht ein bestehendes Verhältnis zwischen den Kulturen beschreiben, sondern ein noch nicht erreichtes fordern. Was er fordert, so wird von ihm impliziert, ist nicht schon wahr, sondern soll es erst werden – man wird diesem Begriff also nicht vorhalten wollen, daß er die faktische Vorherrschaft von Kulturchauvinismen überschminkt.
Er ist aber auf mindestens zweifache Weise ungenau. Erstens suggeriert er, daß die Kultur, in der wir arbeiten, Verbindungen eingehen, Regeln aufstellen, befolgen, abändern und brechen, in der wir bestimmte Praktiken des Lebens zur Gewohnheit machen und in der wir vielleicht sogar leben, eine Monokultur sei, eine monolithische Totalität, die weder genetisch noch strukturell von anderen Kulturen determiniert und durch diese anderen Kulturen in letzter Instanz sogar »kultiviert« würde. Wahr ist das Gegenteil. Es gibt keine einzige Kultur, die eine autarke, selbstbegründete und suisuffiziente Einheit bilden würde. Jede Kultur kultiviert sich an anderen Kulturen und wird von anderen kultiviert. Es gibt nicht eine, die nicht aus der Konfiguration mit anderen – und also a limine allen anderen – Kulturen hervorgegangen und von diesen anderen nicht in jedem Augenblick ihrer Geschichte mitbestimmt und transformiert würde. Und das heißt: Es gibt nicht eine Kultur. Kultur ist ein plurale tantum; es gibt sie nur im Plural; und es gibt sie nur als von anderen Kulturen mitgegebene – und demnach nur als von diesen anderen vorenthaltene, beschränkte, behinderte oder bedrohte. Kultur, wenn sie auch unter dem Anspruch einer soliden oder elastischen Einheit auftritt, ist jeweils Multikultur: ein Komplex prekärer Assimilations- und Abwehrpraktiken, die schon deshalb zu keiner homogenen Einheit zusammentreten können, weil sich jede auf die Zukunft als ihr mögliches Nichtsein und die Unmöglichkeit weiterer Kultivierungsarbeit beziehen muß.
Daß Kultur historisch und strukturell nur im Plural möglich ist, bedeutet auch, daß keine Kultur schlicht und einfach, vollständig und wesentlich Kultur ist. Dem, was in einer jeden Kultur ist, fehlt konstitutiv das, was sie von anderen Kulturen trennt. Weil jede von anderen dependiert, ist keine einzige sei’s durch ihre eigene Substanz, sei’s durch die Totalität der Kulturen bestimmt: beide, die eine Substanz der Kultur – ihr jeweiliges Ideal – und die eine Totalität aller Kulturen, sind ungeschichtliche Schimären. Gäbe es nämlich ein unverrückbares, transformationsdichtes Wesen für jeweils eine Kultur, so wäre keine einzige historischer Wandlungen fähig, keine könnte sich auf eine andere beziehen und jede wäre ihr eigenes Grab, eine Kultur des Verschwindens der Kultur in ihrem reinen Ideal. So stark die Tendenzen zur Dekontextualisierung, Enthistorisierung, Idealisierung und Selbst-Fetischisierung in jeder Kultur auch sein mögen, der reine Monokulturalismus ist ein ideologisches Phantom, gleichgültig, von wem und zu welchen Zwecken er beschworen wird. Sowenig es ein Wesen der Kultur gibt, sowenig gibt es die eine integrale Totalität aller Kulturen, in der sie befriedet nebeneinander bestehen oder miteinander verschmelzen könnten. Wäre eine solche möglich, dann müßte schon jetzt bestimmt werden können, nach welchen nicht-kontroversen Regeln sie organisiert ist, dann gäbe es folglich keine Möglichkeit zu historischen Transformationen ihres Ideals und folglich wäre jetzt und hier eben diese Totalität an ihrem Ende.
Nicht nur die Kultur, auch die Multiplizität der Kulturen ist nicht eine Funktion derer, die sie haben, sondern derer, die sie erst noch vorhaben und sie in der Transformation des Überlieferten immer wieder aufs Neue und immer wieder anders entwerfen: Kulturen, im Plural, waren und sind nicht, wie ihr Name behauptet, »Kulturen«, sondern Kultivierungen, und sind Multiplikationen, Multikulturationen. Um diesen Prozeß zu charakterisieren, ist der Begriff der »Akkulturation«, mit dem Soziologen und Ethnologen seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert die Aufnahme von Elementen einer Kultur in eine andere bezeichnen, zu dynamisieren und zu pluralisieren. Denn keine Kultur reagiert auf eine andere bloß passiv durch Assimilation, sondern wählt aus jeder anderen aus, hemmt und verwandelt sie und sich selbst, spaltet und diversifiziert, multipliziert sie und sich und trägt so dazu bei, nicht nur eine, sondern eine Vielheit von jeweils neuen Kulturen zu erzeugen. Akkulturationen, Multikulturationen sind Übergangs- und Übertragungsbewegungen, in denen sich ihre Elemente erst herausbilden. Sie operieren mit Mannigfaltigkeiten – und vermannigfaltigen sich in ihren Operationen –, die noch nicht gegeben, sondern immer erst und immer aufs Neue aufgegeben sind. Um sich aber derart multiplizieren zu können, muß jede Kultivierung, gleichgültig in welchen Kontexten sie sich bewegt, mit ihren restriktiven Vorgaben – und das heißt mit ihren Herkünften und den von ihnen visierten Zukünften – brechen. Sie muß mit dem, was bis dahin Kultur hieß, zugunsten ihrer Multiplikation brechen – und kann also niemals Akkulturation sein, ohne sich dem Risiko des Kulturverlustes, der Entkultivierung, der Akulturation auszusetzen. Dies Aussetzen der Kultivierung in der Öffnung auf eine andere, nicht schon bekannte und anerkannte Kultur; diese Unterbrechung im Zivilisationsprozeß, ohne den er nichts wäre als ein Hindurchgleiten durch ein prinzipiell homogenes Kontinuum gegebener Kulturen, suspendiert die Idealisierung sowohl der ›eigenen‹ wie der ›fremden‹ Kultur, löst deshalb Angst aus und provoziert die notorischen Abwehr- und Stabilisierungssymptome, Dämonisierungen, Diffamierungen, Segregationen und Schlimmeres. Diese Idealisierungspause eröffnet aber zugleich die Chance, das Andere nicht als das schon bekannte und sowohl kognitiv wie praktisch beherrschte, nicht als das schon homogenisierte Andere, sondern als das Andere in seiner Singularität, seiner Inkommensurabilität und also – ich komme darauf zurück – in seiner Würde zu sehen: die anderen Kulturen nicht in den repressiven Idealen, denen sie sich unterwerfen, sondern in den Ablösungsbewegungen, die sie vom Druck der Typisierung und Selbsttypisierung befreien.
Akkulturationen sind also Prozesse und, genauer, Ereignisse der Alteration, Singularisierung und Pluralisierung, in denen die Kulturen sich nicht nur aufeinander, sondern damit zugleich auf dasjenige öffnen, dem noch keines ihrer Ideale entspricht und dem, a limine, kein Ideal je wird entsprechen können. Akkulturationen öffnen in den kulturellen Systemen und in der Kultur als System Lücken, die durch keine kulturelle Veranstaltung geschlossen werden können. Je expansiver und beschleunigter diese Prozesse verlaufen, desto mehr solcher Lücken tun sich auf, desto intensiver werden die Abwehrbildungen dagegen – Angst, Haß, vor allem Indifferenz –, desto größer aber vielleicht auch die Chancen, ein anderes Verhältnis zwischen den Kulturen, ein anderes Verhältnis zum Zwischen der Kulturen, zu diesen Lücken bloßer Existenz zu finden. Diese Chancen können die Multikulturalismen nur wahrnehmen, wenn sie die mit ihnen verbundene Angst und deren Reaktionsbildungen nicht verleugnen.
Multikulturalismen: Wenn das historische und strukturelle Apriori jeder Kultur ihre Multiplikation ist, dann kann es nicht nur einen Multikulturalismus, dann muß es viele Multikulturalismen geben. Es muß mehr als zählbar, normierbar, kontrollierbar viele geben, es muß also in allen Kulturen und ihrer Geschichte mehr als das geben, was wir noch jetzt »Kultur« und was wir »Vielzahl« nennen. Ihre unendlichen Annäherungen an andere Kulturen, ihre Adkulturationen, Alterkulturationen implizieren, daß in ihnen noch anderes als Kultur und anderes als ihre bezifferbare Mannigfaltigkeit am Werk ist – oder jedes Werk, jede Kulturarbeit, jede kulturell verbuchbare Leistung verweigert. Autonomisierung heißt unabschließbare Singularisierung in einer Bewegung, die keiner kognitiv faßbaren oder technisch programmierbaren Prozeßform folgt. Die Kategorie der Form kann auf sie nicht angewandt werden; Singularitäten entgleiten der Allgemeinheit von Begriffen und bleiben gegen die Idealität, die von mathematischen Größen gemeint ist, resistent. Wenn im Geschehen der Singularisierung einzelne Momente, Faktoren, Komplexe aufgezählt werden können, dann doch nie anders als so, daß dabei das Zählbare dem ausgesetzt bleibt, was sich nicht zählen läßt.
Der Begriff »Multikulturalismus« ist noch in einer zweiten Hinsicht ungenau und unzureichend. Mit ihm wird suggeriert, er selbst sei schon ein multikultureller Begriff, er spreche bereits jenseits der Schranken einer bestimmten Kulturtradition und sei frei von den Zwängen und Partialinteressen, denen diese Tradition bisher gedient hat. Die Idee kultureller Diversität gehört aber, wie der Begriff der Demokratie, den europäisch-nordamerikanischen Kulturen an und ist weder als deskriptive noch gar als imperative Kategorie in irgendeiner anderen Kulturregion hervorgetreten. Wie der Begriff »Kultur«, so spricht auch der Begriff »Multikulturalismus« die Kultursprache einer europäischen imperialen Staatsmacht, und monopolisiert und präjudiziert damit auch schon, wie immer implizit und verhalten, die Entscheidungen darüber, wessen »Multikulturalismus« es ist und sein wird, von dem da die Rede ist. Darüber hinaus spricht »Multikulturalismus« auch die Sprache wissenschaftlicher Begriffe, während es alles andere als selbstverständlich ist, daß die effektive Praxis, die soziale wie die politische, die Alltagspraxis wie die theoretische der Multikulturalismen eine abstrakte, technologisch-neutralisierende Praxis der Begriffssprache sein kann. Dennoch steht zu erwarten, daß dieser Begriff das Seine dazu beitragen wird, die Privilegien der Begriffsabstraktion und der Subsumptionslogik europäisch-nordamerikanischer Kulturen auf alle anderen auszudehnen. So antikolonialistisch er gemeint ist, kann er doch – und darüber sollte sich niemand täuschen, der ihn auf sein Panier schreibt – immer noch ein Begriff mit Kolonialisierungseffekten sein.
Die Fortsetzung der Kolonialisierung unter der Decke antikolonialistischer Parolen kann gewiß noch andere Formen annehmen als die, die Herman Melvilles Redburn 1849 in einer Hymne auf die nur nominell internationale Föderation Amerika gebraucht, aber es werden Formen sein, die der dort besungenen Ideologie und ihrem ökonomischen Hintergrund nicht fern stehen dürften. Melville, überzeugt, die Verfassung Amerikas
should forever extinguish the prejudices of national dislikes, [sees] on this Western Hemisphere all tribes and people […] forming into one federated whole; and there is a future which shall see the estranged children of Adam restored as to the old hearth-stone in Eden.
Dies multinationale Amerika ist für Melville ein vor-babylonisches Eden, aber seine Einheit ist eine sehr genau bestimmte, es ist die Einheit nicht der Sprachen in ihrem Prozeß – zum Beispiel in ihrer Übersetzung –, sondern die Einheit eines bestimmten nationalen Idioms, des britischen, und die Einheit eines bestimmten Mythos, des christlichen. Melville schreibt:
Then shall the curse of Babel be revoked, a new Pentecost come, and the language they shall speak shall be the language of Britain. Frenchmen and Danes, and Scots; […] Italians, and Indians, and Moores; there shall appear unto them cloven tongues as of fire.4
Die Einheit der Nationen, die hier vom Heiligen Geist einer einzigen Nationalsprache inspiriert wird, folgt am Anfang desselben Kapitels einem anderen Genius, nicht einem christlich-britischen, sondern einem griechisch-römischen, und auch er ist ein Genius des kolonialistischen Internationalismus und Multikulturalismus. In den Docks von Liverpool, so schreibt Melville, »all the forests of the globe are represented, as in a grand parliament of masts. […] all climes and countries embrace; and yard-arm touches yard-arm in brotherly love« – doch sie tun es »under the beneficient sway of the Genius of Commerce« (Melville 1969, 165.). Der Heilige Geist der multikulturellen Einheit trägt also einen hehren mythopoetischen Namen: er heißt Merkur; sein prosaischer Beruf: Händler.
Die millenarischen Utopien des Multikulturalismus, die sich vorgeblich scheuen, eine Kultur auf Kosten aller anderen zu privilegieren, geben das Prinzip der Einheit unter einem Begriff einer einzigen historischen Nationalsprache und geben das Prinzip einer einzigen Vereinigungsform, die Vereinigung durch den Warenverkehr, nicht preis. Die Frage ist also: Wer zählt und wer zahlt? Und weiter: Läßt sich, wo es um das Verhältnis zwischen Kulturen und wo es um die Akkulturationen der Kulturen zu tun ist, noch einfach zählen?
Was Melville in der Mitte des 19. Jahrhunderts hymnisch besungen hat, ruft scharfzüngig und leider auch zynisch 1993 ein Artikel von David Rieff aus Harper’s (1993, 69) wieder in Erinnerung. Dort wird gefragt:
Are the multiculturalists truly unaware of how closely their treasured catchphrases – ›cultural diversity‹, ›difference‹, the need ›to do away with boundaries‹ – resemble the stock phrases of the modern corporation: ›product diversification‹, ›the global marketplace‹, and ›the boundary-Iess company‹?
Man weiß, daß sie sich dieser kompromittierenden Allianzen sehr wohl bewußt sind, »die« Multikulturalisten, und dennoch bleibt es wichtig, immer wieder auf den Kommerz zwischen Kommerz und Multikulturalisierung, auf den objektiven Pakt zwischen Kultur und corporate culture, und immer noch einmal darauf aufmerksam zu machen, daß die Emanzipation der Kulturen bisher stets auch eine Emanzipation zur Kultur des Kapitals gewesen ist. Darauf muß, ob zynisch oder anders, aufmerksam gemacht werden, damit diese Emanzipation mehr wird als bloß der Schleier oder die Schleppe einer ökonomischen Rationalität, die in Zukunft nicht weniger verheerend zu wirken droht als sie in der Vergangenheit gewirkt hat. Wie aber die Ratio des Kapitals in günstigen Fällen auch den Widerstand gegen sie freisetzt – nämlich durch Auflösung repressiver Traditionsverbände, Etablierung demokratischer und rechtsstaatlicher Verfahren, Aufbau und Differenzierung von Gewerkschaften usw. –, so kann umgekehrt niemand gegen die Kapitalratio angehen, ohne auch mit ihr zu rechnen: das ist die Aporie sowohl des Kapitals wie der Kulturen, die sich unter ihm und gegen es transformieren.
Diese Aporie kann man verschieden interpretieren; es kommt aber darauf an, sie auch – und in je verschiedener Weise – zu mobilisieren.
Ohne ein klares Bewußtsein von den Grenzen, die ihr gesetzt sind, und von den Chancen, die sie bietet, und ohne die Entschlossenheit, jene Grenzen zu verschieben und diese Chancen zu nutzen und zu erweitern, wird die Politik des Multikulturalismus Kulturpolitik, Verwaltungspolitik, Marionettenpolitik.
Was zählt? Und was heißt Zählen?
In den Debatten um Multikulturalismus, um die Prinzipien des Liberalismus und der Demokratisierung, um die ›Politik‹ der ›Identität‹ und der ›Differenz‹ kann man im Wesentlichen zwei Positionen unterscheiden: auf der einen Seite diejenige des abstrakten Rechtsuniversalismus, der die Prinzipien der Autonomie und Gleichheit zur Grundlage seiner Argumente macht, auf der anderen Seite die Position des historischen Partikularismus, der die Restauration der verletzten Prinzipien von Autonomie und Gleichheit vindiziert. Wie steht es um diese Prinzipien von Gleichheit und Autonomie, in denen beide Positionen übereinkommen? Sie waren trotz ihres Universalismus zunächst Kampfprinzipien partikularer Gruppen gegen den hegemonialen Partikularismus und die Segregations- und Ausbeutungspolitik jeweils anderer Gruppen. Es waren Prinzipien der gesellschaftlichen Produktion und Selbstproduktion, die gegen ihre Fesselung in den Formen des scheinbar naturwüchsig Gegebenen aufgeboten wurden. Und sie waren nicht nur Prinzipien des sich freisetzenden Privateigentums und der individualisierten Produktionskräfte, es waren also nicht nur historische Prinzipien der Arbeit, die sich gegen die bornierten Prinzipien des angestammten Besitzes der Feudalwirtschaft richteten, sie waren überdies zunächst regional beschränkte Prinzipien der Kapitalisierung und Selbstkapitalisierung: Es waren europäische Prinzipien der sich autonomisierenden Arbeit und des sich automatisierenden Kapitals. Daß sie es nicht geblieben sind, daß die in Deutschland, England, den Vereinigten Staaten, Frankreich zunächst proklamierten und sodann politisch-juridisch teilweise durchgesetzten demokratischen Selbstbestimmungsrechte nicht auf Europa und die USA beschränkt geblieben sind, ist unter anderem der paradoxe Erfolg einer mörderischen Politik der Kolonisierung, der Unterdrückung und der ökonomischen und ideologischen Versklavung – also der Beraubung der Autonomie – gewesen. Der Prozeß der praktischen Universalisierung individueller und gesellschaftlicher Freiheitsrechte ist in den letzten Jahrhunderten Hand in Hand gegangen mit einem Prozeß der Unterdrückung, Entrechtung und Niedermetzelung einer Unzahl von Menschen und Völkern, und dieser Prozeß, den man als Prozeß der Zivilisation zu bezeichnen nur zögern kann, hat noch heute nicht aufgehört, von der massiven Exploitation von Einzelnen, von Gruppen, Schichten und Völkern zu zehren. Die Universalisierung der Prinzipien der Autonomie, der Selbstbestimmung und Selbstproduktion; die Universalisierung des Prinzips der individuellen und gesellschaftlichen Arbeit war in ihrer politischen und sozio-ökonomischen Praxis zugleich die Universalisierung partikularer Interessen – und zwar von Interessen, die sich von menschlichen Agenten zunehmend abgelöst haben: sie war die Universalisierung von Kapitalinteressen. Der Prozeß der »Kultivierung« war und ist immer noch auch ein Prozeß der Kapitalisierung. Der Prozeß der kulturellen Idealbildung, der auf die Autonomie des Selbst hinauslaufen soll, ist zugleich ein Prozeß der Automatisierung des Kapitalmechanismus – des Zahlens und Zählens. Es ist ein Prozeß des Mißbrauchs der Arbeit, der Planifizierung der Geschichte und der Tilgung der heteronomen Partikularität jener sozio-ökonomischen und politisch-kulturellen Kräfte, denen sich jene Autonomie und diese Automation verdanken – der Tilgung des immer unzureichend Bezahlten, des Unbezahlbaren und des Unzählbaren. Wer sich auf den Universalismus dieser Freiheit und dieser Gleichheit beruft, beruft sich, ob er es wahrhaben will oder nicht, immer auch auf diese Geschichte der Automatisierung, Kolonialisierung und Exploitation des Universalismus. Wer sich auf Gleichheit beruft, beruft sich auf sie in einer Geschichte der Ungleichheit. Wer sich auf diese Autonomie beruft, beruft sich darauf als auf eine durch heteronome Interessen bestimmte. Er beruft sich auf ein aporetisches Selbst, eine paradoxe Gleichheit und ein widersprüchliches Prinzip der Universalität. Noch die Form seiner Berufung, die sich der Privilegien einer historischen Wissenschaftssprache bedient, um auf den privilegienfreien Austausch zwischen allen Sprachen zu dringen, bleibt eine sich selbst widersprechende, sich durchkreuzende Form.
Marx, der die Geschichte dieser doppelten und doppelt widersprüchlichen Bewegung geschrieben hat – der Bewegung der Kapitalisierung und Autonomisierung, der Automatisierung und der Auflehnung gegen sie –, hat sich über die Form der Autonomieforderung weniger Illusionen erlaubt als die meisten Gesellschafts- und Geschichtstheoretiker nach ihm. Seine einschlägigen Bemerkungen gelten auch noch für die Prinzipien, denen die Politik der Multikulturalismen folgt. In der Deutschen Ideologie schreibt er:
Jede neue Klasse […], die sich an die Stelle einer vor ihr herrschenden setzt, ist genötigt, schon um ihren Zweck durchzuführen, ihr Interesse als das gemeinschaftliche Interesse aller Mitglieder der Gesellschaft darzustellen, d.h. ideell ausgedrückt: ihren Gedanken die Form der Allgemeinheit zu geben, sie als einzig vernünftigen, allgemein gültigen darzustellen. Die revolutionierende Klasse tritt von vornherein, schon weil sie einer Klasse gegenübersteht, nicht als Klasse, sondern als Vertreterin der ganzen Gesellschaft auf, sie erscheint als die ganze Masse der Gesellschaft gegenüber der einzigen, herrschenden Klasse (MEW 3, 47f.).
Der Anspruch auf Allgemeinheit ist demnach illusorisch oder ideologisch, sofern er die Interessen der jeweils revolutionierenden Klasse überschießt; er kann wahr nur in dem Maße werden, in dem diese Klasse sich unter dem Druck der kapitalistischen Produktionsweise selber universalisiert, sich von aparten nationalen Interessen, Religionen, Moralen, Kulturen ablöst und dabei »nicht bloß das Verhältnis zum Kapitalisten, sondern die Arbeit selbst unerträglich« (ebd., 60) macht.5 Marx behauptet damit, daß die Idee der Internationalisierung und Universalisierung als Überschuß über die aktuellen Interessen von Kapital und Arbeit schon jetzt eine ideelle Wirklichkeit ist, von der der bloß formelle, einer privilegierten Klasse zugute kommende Universalismus des Kapitals ebenso unerträglich gemacht wird wie die Arbeit in seinem Dienst. In der Heiligen Familie wird er deutlicher. Dort schreibt er:
Die ›Idee‹ blamierte sich immer, soweit sie von dem ›Interesse‹ unterschieden war. Andererseits ist es leicht zu begreifen, daß jedes massenhafte, geschichtlich sich durchsetzende ›Interesse‹, wenn es zuerst die Weltbühne betritt, in der ›Idee‹ oder ›Vorstellung‹ weit über seine wirklichen Schranken hinausgeht, und sich mit dem menschlichen Interesse schlechthin verwechselt. […] Ist also die Revolution, die alle großen geschichtlichen ›Aktionen‹ repräsentieren kann, verfehlt, so ist sie verfehlt, weil die Masse, innerhalb deren Lebensbedingungen sie wesentlich stehen blieb, eine exklusive, nicht die Gesamtheit umfassende, eine beschränkte Masse war. […] weil der zahlreichste, der von der Bourgeoisie unterschiedene Teil der Masse, in dem Prinzip der Revolution [von 1789] nicht sein wirkliches Interesse, nicht sein eigentümliches revolutionäres Prinzip, sondern nur eine ›Idee›, also nur einen Gegenstand des momentanen Enthusiasmus und einer nur scheinbaren Erhebung besaß (Marx 1953, 320).
Der Vorsprung der Idee des Ganzen vor dem Interesse des Ganzen – der Kredit, den das Kapital sich auf dem Umweg über die, die noch nicht von ihm profitieren, gibt6 –, der ungedeckte Scheck der Idee platzt vor dem Interesse – aber er bringt auch das Interesse zur Explosion. Das Hinausgehen über die wirklichen Schranken, die Durchbrechung der Exklusivität des bürgerlichen Interesses durch die Idee von einem menschlichen Interesse schlechthin, diese Hyperbel der Idee stellt für Marx nicht nur eine Quelle von historischen Blamagen, sondern ebenso sehr eine der treibenden Kräfte sozialer und ökonomischer Emanzipation dar. Die Idee ist nichts anderes als der Vorsprung des Interesses über sich selbst, sie ist die Öffnung bornierter Interessen auf andere, nicht-exklusive universelle Interessen. Sie ist das Interesse des Interesses, sich über sich selbst hinwegzusetzen.
Universalisierung hat also ein doppeltes Gesicht. Sie ist eine bornierte, in die Schranken von Partialinteressen eingeschlossene, restriktive Universalisierung, und gleichzeitig ist sie eine sozial, politisch und theoretisch produktive Kraft der Durchsetzung von Rechten und der Realisierung von Freiheiten, die nicht mehr bloß auf bestimmte Gruppen beschränkt sind. Universalisierung – menschliches Interesse schlechthin – heißt für Marx 1844/45 zunächst: diese Universalisierung, diese Emanzipation ist noch nicht genug, doch sie verspricht eine weitere, die Grenzen einer bloß partikularen Universalität überschreitende Emanzipation. Marx hat an dieser Bewegung des ungedeckten historischen Kredits der Idee, dieser Bewegung der historischen Universalisierung einer partikularen Idee mit der Ankündigung eines »Reichs der Freiheit« teilgenommen; diese Idee hat sich bisher (und nicht ganz ohne sein Zutun) blamiert, aber der inkalkulable – der enthusiastische – Vorsprung, den sie hält, hat dennoch nicht aufgehört, auch die mit dieser Idee verbundenen eingeschränkten Interessen zu blamieren. Und das heißt: Die Idee des Kapitals – schrankenlose Universalisierung – ist die Idee seiner – ebenso schrankenlosen – Blamage. Der Kapital-Kredit hört nicht auf sich zu diskreditieren – seine Defizite zu offenbaren, sich zu verzählen, sich auszuzählen. Auch seine Ratio, und vielleicht diese zuerst, ist eine Ratio des Exzesses, der Ungleichzeitigkeit, der Selbst-Anachronisierung und darin eine Ratio sowohl seines Projekts wie seiner Verwerfung.
Man hat sich die Geschichte der Universalisierung des Autonomieprinzips, diese Kolonialgeschichte des konkreten Universals der Kapital-Kultur in Erinnerung zu rufen, nicht um die universalistische Ethik des Anspruchs auf Freiheit zu diskreditieren – ihr Anspruch reicht über jede mögliche Erfüllung wie über jeden Kredit und jede Diskreditierung hinaus –, sondern um die Paradoxien ihres Prinzips als geschichtsbildende Kräfte erkennen zu können: Geschichte ist ein Geschehen aus Aporien. Man hat sie sich aber auch in Erinnerung zu rufen, um die Implikationen und die Risiken der ›Politik der Differenz‹ – oder ›der Identität‹ – abwägen zu können, die sich auf dieses Prinzip beruft. Die ›Politik der Differenz‹, wie sie von einigen unter ihren Theoretikern charakterisiert wird, ist eine Politik des Widerstands gegen die Assimilation an ein formelles Gleichheitsprinzip und zugleich eine Politik der Reparation historischen Unrechts. ›Partikularitätspolitiken‹ sind ebenso formell wie sie reaktiv sind. Sie sind Antworten auf das Unrecht, das an bestimmten Personen, Gruppen und kulturellen Idealen begangen wurde und immer noch begangen wird, aber sie sind Antworten, die nicht ohne die Berufung auf das formale Kriterium der Selbstbestimmung jedes Einzelnen auskommen. Reverse discrimination measures sollen zum historischen Ausgleich, also zur Verwirklichung formaler Rechte in einer Situation geschichtlichen Unrechts beitragen. Als Maßnahmen, die sich gegen die Konservierung von rechtlichen und strukturell gewordenen Ungleichheiten der Vergangenheit wenden, gehören sie zur Politik eines genuin historischen Rechtsbewußtseins.
Als Risiken dieser Politik werden, mehr oder weniger deutlich, genannt: mit ihr könnte die Geschichte des Unrechts in einen Raum der Gleichzeitigkeit zusammengezogen und zum Gegenstand des social engineering, der Sozialtechnologie, der Assimilation in einem gemeinsamen Rechtsraum schein-symmetrischer Beziehungen gemacht werden; durch sie könnte andererseits, wie der Begriff reverse discrimination es ausspricht, die bekämpfte Diskriminierung mit umgekehrtem Vorzeichen fortgesetzt werden; vermöge der – nur zu gut gemeinten – Fortsetzung der Diskriminierung könnte es geschehen, daß die bislang »Unterprivilegierten« als Ausstellungsgegenstand aus einer Ghetto- in eine Mausoleumskultur umquartiert würden7; mit ihr könnte schließlich die Wut, der Stoff zur Revolte, kanalisiert und auf die Mühlen des bestehenden Systems geleitet werden.8 Das wirkliche Problem, das sich in all diesen
Risiken nur andeutet, liegt aber darin, daß Autonomie nicht durch bloß formelle Rechtsgleichheit oder eine formell egalisierte Geschichte, sondern erst dadurch realisiert werden kann, daß jeder Einzelne sich als Einzelnem und jede einzelne Gesellschaft sich als einzelner Gesellschaft selbst ein Gesetz gibt, das von keinem Anderen vorgegeben und von keinem Anderen ersetzt werden kann. Auf der Suche nach dem, was ein Gesetz gibt, aufrichtet oder statuiert, wird leicht die Flucht ins angeblich schon Gegebene angetreten –: daher die kultischen Restaurationen ehemaliger Ideale, die Regressionen in Nostalgien, die Rückwanderungen in »eigene« Länder, die nie die eigenen waren, daher die phantasmatische Belebung von Vergangenheiten, die es nie gab, daher die Beschwörung von Wurzeln, Stämmen und anderen Fetischen der Herkunft. Darum aber auch die Berufung auf das schon gegebene, das gesatzte Recht, das in den kulturpolitischen Debatten – besonders in den Vereinigten Staaten – nicht anders fungiert als ein Kulturideal, versehen mit allen narzißtischen und destruktiven Zügen, die Freud an ihm erkannt hat. Doch das Gegebene – auch das gesatzte Recht – muß, um Gegebenes sein zu können, immer wieder aufs Neue zum erstenmal gegeben werden, muß nicht allein neu und anders gedeutet werden als von denen, die es statuiert haben, sondern muß, wenn es dem Anspruch auf Autonomie genügen soll, vor allem von denen selbst gegeben und wieder-gegeben werden, für die es gelten soll. Die Aufgabe multikultureller Politik dürfte also in nichts Geringerem als in der transformativen Erneuerung und Erweiterung derjenigen Autonomie – derjenigen Selbstgesetzgebung – liegen, die als Idee der demokratischen Verfassungen gilt. Sie müßte ihre immer wieder erneute, ihre jedesmal erste Selbsterfindung sein.
Gemäß der Forderung der Autonomie muß der Geber sich mit seinem Gesetz selbst geben. Aber wer könnte ihn, den nicht gegebenen, in der Abwesenheit des Gebers geben? Wer oder was könnte sich geben, ohne sich schon zu haben oder empfangen zu haben?
Gibt es eine Idee der Freiheit, die nicht von vorgegebenen Interessen bestimmt wäre?
Gibt es ein Interesse an Freiheit ohne eine Idee, die über Interessen hinausgeht?
Und muß es nicht eine Freiheit geben, die noch ihre Idee überschießt?
Jede Politik der Autonomie, der Demokratisierung und Multikulturalisierung wird sich diesen Fragen zu stellen haben. Es sind Fragen, die sich sowohl für die Theorie der Rechtsautonomie wie für die Vindikation von historischen Ausgleichs- und Partialrechten stellen. Und auch diese Fragen führen, wiederum, in Aporien: die Aporie nicht nur des kulturellen Idioms und seiner interkulturellen Genese und Transformation, die Aporie nicht nur des bornierten Interesses und seiner Universalisierung in der Idee, sondern die Aporie der Autonomie selbst und damit jeder möglichen Politik der Veränderung, die auf sie gegründet ist. Die Aporie in der Selbstbestimmung steht für ein anderes Selbst und für das Andere jedes möglichen Selbst.
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Anmerkungen
1 Der hier abgedruckte Text stellt die überarbeitete Fassung der ersten Hälfte des Essays dar, der unter dem selben Titel 2003 in dem von Burkhard Liebsch und Dagmar Mensink herausgegebenen Sammelband »Gewalt Verstehen« im Akademie Verlag, Berlin erschienen ist. Er ist hervorgegangen aus einem Vortrag, der Anfang 1994 in der von Tom Keenan organisierten Colloquiumsserie der Bohen Foundation in New York zum Thema »Cultural Diversities: On Democracy, Community, and Citizenship« gehalten wurde. Die anderen Sprecher in der Serie waren Anthony Appiah, Etienne Balibar, Wendy Brown, William Connolly, Nancy Fraser, Wlad Godzich, Gayatri Spivak und Patricia Williams; Kendall Thomas moderierte die Diskussionen. »Heterautonomien« ist unter anderem eine indirekte Auseinandersetzung mit Positionen, die von den anderen Teilnehmern der Kolloquiumsserie bezogen worden sind: deshalb werden sie an dieser Stelle genannt. Der Essay konzentriert sich aber auf Probleme des gemeinsamen Themas, die von den anderen Referenten nur flüchtig gestreift oder nicht berührt worden sind: deshalb wird im Text nicht eigens auf sie hingewiesen. Da Arbeiten der genannten Autoren mittlerweile auch in der deutschsprachigen Diskussion berücksichtigt werden, wird der Kontext dieses Versuchs hier angegeben, um zumindest einige seiner Nachbarschaften und die Distanzen zu ihnen kenntlich zu machen. Für die Fortsetzung der hier skizzierten Überlegungen zum Begriff der Autonomie und den damit verbundenen Problemen der Vielzahl und der Inkommensurabilität sei auf die zweite Hälfte der Untersuchung im Band »Gewalt Verstehen« (177–201) verwiesen. Erst dort wird auch der Sinn von Titel und Untertitel deutlich.
2 Zur weiteren Ausarbeitung der Struktur oder Distruktur der »Diaporie« verweise ich auf meine Studie: pleroma – zu Genesis und Struktur einer dialektischen Hermeneutik bei Hegel (Hamacher 1978, 7–333).
3 Die Logik der Identifizierung, von der für Freud alle weiteren psychischen Bildungen und noch die funktionalen Differenzen zwischen den Instanzen des seelischen ›Apparats‹ abhängen, wird in »Massenpsychologie und Ich-Analyse« lapidar so charakterisiert: »Die Identifizierung ist eben von Anfang an ambivalent, sie kann sich ebenso zum Ausdruck der Zärtlichkeit wie zum Wunsch der Beseitigung wenden.« Freud 1968, 116.
4 Melville 1969, Kap. 33, 169. – Ein sehr reicher Text von Marc Shell (The Politics of Language Diversity) beschreibt die Geschichte der Sprachdiskussion in den Vereinigten Staaten und Kanada während des 18. und 19. Jahrhunderts als Geschichte einer immer wieder gewaltsam verhinderten Sprachen-Diversität. In Shells Aufsatz wird unter anderem ein bemerkenswerter Satz von Benjamin Franklin aus dem Jahr 1751 zitiert, in dem der von Melville biblisch kaschierte Sprachrassismus unverhohlen zum Ausdruck kommt. Franklin schreibt, und zwar kurz nachdem eine von ihm herausgegebene deutschsprachige Zeitung unter dem Druck englischsprachiger Konkurrenzpublikationen gescheitert ist: »Why should Pennsylvannia, founded by the English, become a Colony of Aliens, who will shortly be so numerous as to Germanize us instead of our Anglifying them, and will never adopt our Language or Customs any more than they can acquire our Complexion?« (Critical Inquiry, 20/1 [1993], Autumn, 109).
5 Im selben Zusammenhang nennt Marx als Voraussetzung des Siegs der Handelsstadt über das Land das »automatische System«. Gemeint ist damit die Großindustrie und das mit ihr entstehende Monopolkapital. »Die große Industrie […] stellte die Kommunikation und den modernen Weltmarkt her, […] verwandelte alles Kapital in industrielles Kapital und erzeugte damit die rasche Zirkulation […] und Zentralisation der Kapitalien. […] Sie vernichtete möglichst die Ideologie, Religion, Moral etc., und wo sie dies nicht konnte, machte sie sie zur handgreiflichen Lüge. Sie erzeugte insofern erst die Weltgeschichte, als sie jede zivilisierte Nation und jedes Individuum darin in der Befriedigung seiner Bedürfnisse von der ganzen Welt abhängig machte und die bisherige naturwüchsige Ausschließlichkeit einzelner Nationen vernichtete.« (l.c.) Was seit einigen Jahren unter dem Begriff der Globalisierung als Novum dargeboten wird, behandelt Marx bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts als fait accompli. Das »automatische System« des Monopolkapitalismus hatte nach seiner Einschätzung schon damals alle zivilisatorischen und kulturellen Verhältnisse zwischen den »einzelnen Nationalitäten« in »Geldverhältnisse« aufgelöst (l.c.). Die Monokultur des Kapitals hatte die Einzelkulturen universalisiert, und wo es bis dahin nur Regionen und Regionalgeschichten gab, zum ersten Mal eine »Welt« und eine »Weltgeschichte« erzeugt.
6 Die Struktur des ›ideellen‹ Vorsprungs der Idee vor dem Interesse ist derjenigen analog, die Marx im »Kapital« (I,7) als Struktur der ursprünglichen Akkumulation beschreibt: Diese beruht, unter anderem, auf dem Kredit. »Der öffentliche Kredit wird zum Credo des Kapitals« (MEW 23, 782). – Weiteres zur Struktur des Kredits in meiner Studie »Faust, Geld« (Hamacher 1994, 131–187) und in »Lingua amissa« (Hamacher 1999, 168–212).
7 Die Vorbereitung einer solchen Mausoleumskultur in der Ära des Kolonialismus beschreibt eindrucksvoll Anderson 1991, 163–186.
8 Man kann dieses Argument als Argument der Reversion des Terrorismus bezeichnen. Seinen mächtigsten Proponenten hat es während der 50er und 60er Jahre des letzten Jahrhunderts in Frantz Fanon gefunden. Er zeigt in »Les Damnés de la Terre«, daß das erniedrigende Bild, das die Kolonialherren den Afrikanern aufgezwungen haben, bei diesen zu klinischen Formen der Psychose geführt, ihnen Selbstachtung unmöglich gemacht und als einzigen Ausweg die Umkehrung der Gewalt gelassen hat, die ihnen angetan wurde. Die Gewalt eines Bildes oder eines Blicks, die Gewalt eines Ideals – das ist nach Fanons Darstellung die eigentlich kolonisierende Gewalt; ihre Wirkung liegt nicht in der Erzeugung eines Bildes, sondern eines Bildzwangs, der die freie Beweglichkeit von Bildern, die Möglichkeit ihrer Umbildung und ihres Verblassens und Verschwimmens zerstört. Die Gewalt des Blicks und des Ideals – eines ›bestimmten‹ Blicks und eines ›bestimmten‹ Ideals – wird von Ralph Ellison in einer Szene von »Invisible Man« beschrieben, in der sein Protagonist, sein »I«, sich vor einem Mord an einem Weißen dadurch zurückhalten kann, daß er bemerkt: »the man had not seen me, actually« (New York 1992, 4). Die Gewalt des Blicks ist hier keine, die ein Gesicht verleiht oder es zum Vorschein bringt, noch weniger eine solche, die ihm Raum gibt und es gewähren läßt, sondern es ist eine Gewalt, die das Gesicht auslöscht, zum Verschwinden bringt, unsichtbar macht. Es ist die Gewalt eines Blicks, der nichts mehr sieht, nicht etwa, weil er in seinem Sehen aufginge, sondern weil er sein Sehen nur zeigt und in der Ostentation des Starrens, für das es kein anderes Phänomen gibt als es selbst: imperiale, sich und nur sich selbst setzende Subjektivität, die Wirklichkeit seines Gegenüber vernichtet. Ellisons »I« hält sich – das ist der ethische Moment par excellence, der Moment des Aussetzens der Bewegung der Gewalten und Gegengewalten – vor der Reversion der Gewalt zurück, weil er genau diese Gewalt des Blicks durchschaut: sie gilt nicht ihm, sie gilt niemandem und nichts und ist eben deshalb nicht nur vernichtend, sondern auch nichtig.
Literatur
Adorno, Theodor W. (1973): Gesammelte Schriften. Bd. 6. Frankfurt a.M.
Anderson, Benedict (1991): Imagined Communities. London
Ellison, Ralph (1995): Invisible Man. 2nd Ed. New York
Fanon, Frantz (1961): Les Damnés de la Terre. Paris
Freud, Sigmund (1968): Massenpsychologie und Ich-Analyse [1921]. In: Gesammelte Werke. Bd. XIII. Frankfurt a.M., S. 73–161
Ders. (1968a): Gesammelte Werke. Bd. XIV. Frankfurt a.M.
Ders. (1968b): Warum Krieg. In: Ders.: Gesammelte Werke. Bd. XVI. Frankfurt a.M., S. 13–27
Hamacher, Werner (1978): pleroma – zu Genesis und Struktur einer dialektischen Hermeneutik bei Hegel, In: Georg Wilhelm Friedrich Hegel: »Der Geist des Christentums«. Schriften 1796–1800. Hg. von Werner Hamacher. Berlin, S. 7–333
Ders. (1994): Faust, Geld. In: Athenäum – Jahrbuch für Romantik. Bd. IV. Paderborn, S. 131–187
Ders. (1999): Lingua amissa. In: Ghostly Demarcations. A Symposium on Jacques Derrida´s »Specters of Marx« (ed. Michael Sprinker). London, S. 168–212
Marx, Karl (1953): Die Frühschriften. Hg. von Siegfried Landshut. Stuttgart
Ders./Engels, Friedrich: Werke. Berlin 1969 [zit. als MEW]
Melville, Herman (1969): Redburn. His first Voyage. Evanston [The Northwestern-Newberry Edition, ed. Hayford, Parker, Tanselle]
Nietzsche, Friedrich (1966): Werke in drei Bänden. Bd. I. Hg. von Karl Schlechta. München
Rieff, Daniel (1993): Multiculturalism’s Silent Partner. In: Harper’s, August
Shell, Marc (1993): Babel in America; or; The Politics of Language Diversity in the United States. In: Critical Inquiry 20, H. 1, S. 103–127