Zwischen Transkulturalität, Transnationalität und simpler Nationalität
Identitätskonfigurationen in teentalk
In the humanities and the social sciences, the conception of cultures as national and static has been replaced by conceptions defining cultures as complex, dynamic, and very heterogeneous, as hybrid, transcultural, and transnational. However, hybridity, transculturality, and transnationality are concepts mainly used in academia; in the world of everyday life, the idea of culture as national, static, and homogenous is still very much alive. This begs the question if hybridity, transculturality, and transnationality only give etic accounts of phenomena in a globalized world, or if they are used in the world of everyday life. Analyzing interactions in a virtual network with a high percentage of immigrants in a Swiss teenage chat-room, I demonstrate that hybridity, transculturality, and transnationality are indeed emic categories used in identity constructions, and highly valued ones. Yet I also demonstrate that these conceptions do not replace the former notion of national cultures. They only index the specific position of immigrants, which is then contrasted with a »Swiss« position, a »Swiss« identity. Therefore, these conceptions are not used to dissolve boundaries between cultures, but they are used to re-iterate differences between what is perceived as pure »Swiss,« and what is perceived as »Non-Swiss.«
1. Hybridität, Transkulturalität, Transnationalität – etische Begriffe der Cultural Studies oder emische Teilnehmerkategorien im globalisierten Alltag?
Das Bewusstsein um die Problematik eines Kulturbegriffs, der Kulturen als statische Nationalkulturen begreift, ist in den Sozial- und Geisteswissenschaften heute weit verbreitet. Die Vorstellung, dass sich Nationalkulturen klar unterscheiden lassen und dass damit auch Differenzen zwischen diesen einfach objektiviert werden können, wird zunehmend ersetzt durch Konzepte, in denen Kulturen nicht mehr als abgeschlossene Einheiten verstanden werden, sondern als vielschichtige, komplex strukturierte, dynamische und heterogene Gebilde. Ein Begriff, der in diesem Zusammenhang immer wieder auftaucht, ist derjenige der Hybridität.
Der Begriff der Hybridität hat eine lange und komplexe Geschichte, und seine Verwendung in den Geistes- und Sozialwissenschaften ist, wie etwa Robert Young (1995) zeigt, nicht unproblematisch. Ursprünglich aus der Genetik stammend, nahm er spätestens im 19. Jahrhundert in kolonialen Diskursen eine zentrale Stellung ein, als hier über die Frage debattiert wurde, ob die Menschheit in unterschiedliche Spezies einzuteilen sei, und folglich, ob Nachkommen aus »gemischten« Beziehungen fortpflanzungsfähig seien.1 Die Bedeutungsaspekte aus der Genetik sind in den geistes- und sozialwissenschaftlichen Verwendungsweisen heute allenfalls noch in metaphorischer Weise präsent. Wichtiger sind diejenigen Aspekte, die seit Michail Bakhtin und Homi Bhabha neu dazukamen. Bakhtin verwendet den Begriff zur Analyse der Alltagssprache und der Sprache der Literatur. Er bezeichnet etwa den Stil der Commedia dell’ Arte als »intentional dialectological hybrid«, weil hier unterschiedliche italienische Dialekte kunstvoll zusammengebracht werden (Bakhtin 1981, 83). Der intentionalen Hybridisierung in der Sprache der Literatur schenkt Bakhtin besondere Aufmerksamkeit. Er erkennt aber ein ähnliches Prinzip in der Alltagssprache und bezeichnet dieses als wichtigsten Faktor in der historischen Entwicklung der Sprache (vgl. ebd., 358f.). Erst aber Bhabha und die Postcolonial Studies machen den Begriff populär (vgl. etwa Dirlik 1997). Ausgehend von Walter Benjamins Übersetzungsbegriff, Jacques Derridas Konzept der Différance und Jacques Lacans Psychoanalyse konturiert der postkoloniale Theoretiker Bhabha einen neuen Kulturbegriff, in welchem Hybridität eine zentrale Stellung einnimt. Für Bhabha sind Kulturen prinzipiell unabgeschlossen, weil Prozesse kultureller Signifikation immer schon durch die kulturelle Differenz im Akt der Äußerung, der immer ein Akt der Wiederholung ist, verfremdet werden:
The enunciative process introduces a split in the performative present of cultural identification; a split between the traditional culturalist demand for a model, a tradition, a community, a stable system of reference, and the necessary negation of the certitude in the articulation of new cultural demands, meanings, strategies in the political present, as a practice of domination, or resistance. (Bhabha 2007, 51)
Kulturelle Bedeutung wird also nur qua Iterierung generiert, ohne dass auf ein Original zurückgegriffen werden könnte. Daraus leitet Bhabha die Hybridität der Kultur ab:
The ›originary‹ is always open to translation so that it can never be said to have a totalised prior moment of being or meaning – an essence. What this really means is that cultures are only constituted in relation to that otherness internal to their own symbol-forming activity which makes them decentered structures – through that displacement or liminality opens up the possibility of articulating different, even incommensurable cultural practices and priorities. (Bhabha in Rutherford 1990, 209)
Hybridität ist gemäß Bhabhas semiotisch-dekonstruktiver Analyse jeder Kultur inhärent und damit auch kein Spezifikum kolonialer und postkolonialer Kulturen. Denn, wie man mit Derrida sagen könnte, in jeder Kultur hat die différance ihre Spur hinterlassen.
Hybridität wird heute vor allem als »Gegenkonzept gegen die konventionelle Vorstellung abgegrenzter Kulturen und gegen die Objektivierung kultureller Differenz« verwendet (Sökefeld 2007, 47; vgl. auch Wierlacher 2003, 260). Dabei wird der Begriff nicht immer im Sinne Bhabhas verstanden, sondern vielmehr, und aus semiotischer Perspektive simplifizierend, einfach als Vermischung der Kulturen auf allen Ebenen im Gefolge der gesteigerten Globalisierung: »For every culture, all other cultures have tendentially come to be inner-content or satellites.« (Welsch 1999, 198)2 Hybridität wird damit synonym mit Transkulturalität, denn mit diesem Terminus wird die Idee bezeichnet, dass Kulturen generell in komplexer Weise miteinander verknüpft sind. Allerdings ist Transkulturalität eher als Gegenkonzept zu Interkulturalität und Multikulturalität entwickelt worden. Letztere setzten, so die Analyse von Wolfgang Welsch, die Vorstellung von Kulturen als sozial homogen, ethnisch einheitlich und klar voneinander abgegrenzt voraus.3 Innere Differenzierungen sowie übergreifende Gemeinsamkeiten würden außer acht gelassen. Interkulturalitätsansätze setzten die Homogenität und Abgeschlossenheit von Kulturen in ihren Analysen der Kulturkonflikte voraus; Multikulturalitätsansätze würden zwar kulturelle Vielfalt innerhalb von Gesellschaften oder Nationalstaaten wahrnehmen, doch blieben die Grenzen zwischen den Kulturen vorausgesetzt, was ebenfalls zu kulturellem Fundamentalismus führen könne. Transkulturalität dagegen hebe darauf ab, dass Kulturen nicht mehr einheitlich und homogen seien, sondern heterogen und komplex und gleichzeitig in extremem Maße miteinander verknüpft. Lebensstile differierten stärker innerhalb einer Gesellschaft als zwischen verschiedenen Kulturen, und die Globalisierung mit ihrer Mobilisierung von Menschen und Gütern habe dazu geführt, dass heute im Prinzip nichts und niemand mehr exotisch, nichts mehr absolut fremd sei. Transkulturalität führt laut Welsch auf einer Mikroebene zur Hybridisierung von Identität, zur Konstruktion neuer Formen von Diversität, in welcher Lokales und Globales in überraschender Weise neu kombiniert wird (vgl. Welsch 1999).
Transkulturalität wird auch als Ergebnis von Migration beschrieben (vgl. Pennycook 2007, 47; Welsch 1999, 198). Werden indessen die vielfältigen Verbindungen fokussiert, die Migrierende zwischen ihrem neuen Wohnort und ihrer Herkunft unterhalten, dann wird insbesondere innerhalb der Migration Studies der Begriff der Transnationalität verwendet. Dieser Begriff wurde in den 1990er Jahren von einer Richtung der US-amerikanischen Migration Studies geprägt, die Migration nicht als linearen Prozess begreift, an dessen Endpunkt die vollständige Eingliederung steht, sondern die berücksichtigt, dass Migrierende stärkere und schwächere Verbindungen zu zurückgebliebenen Verwandten, ehemaligen Nachbarn, politischen Kameraden und Mitgliedern ihrer religiösen Gruppierungen pflegen. Diesen Prozess des Aufrechterhaltens sozialer Beziehungen, sei dies in Form von Besuchen, Remittenzen pekuniärer oder sozialer, d.h. symbolischen Art, wurde als Transnationalismus bezeichnet (vgl. Levitt/Jaworsky 2007, 130f.; Vertovec 2004, 970f.). Die weite Verbreitung des Begriffs in der Migrationsforschung führte dazu, dass transnational heute synonym mit in der Diaspora lebend verwendet wird (vgl. Grewal/Kaplan 2001, 665) und spezifische Identitäten, die Menschen in der Diaspora entwickeln, bezeichnet. Für Sara Fürstenau und Heike Niedrig ist die Tatsache, dass sich jugendliche herkunftsfremde4 Deutsche einmal auf ihre Herkunft berufen, in anderen Kontexten aber darauf beharren, »einfach wie die«, das heißt die Deutschen zu sein, ein Hinweis auf die Entstehung eher transnational orientierter, hybrider Identitätsmuster (Fürstenau/Niedrig 2007, 114–116).
Die Begriffe Hybridität, Transkulturalität und Transnationalität versuchen kulturelle und soziale Aspekte des globalisierten Lebens zu erfassen. Innerhalb akademischer Diskussionen haben sie sich etabliert und sind alltäglich geworden. Dies gilt aber nicht für die außerakademische Welt. Die Vorstellung, dass Kulturen abgrenzbare Einheiten sind, dass Kultur und Nation eine Einheit bilden, ist, wie sich in zugespitzter Weise in medialen, politischen und alltäglichen Diskursen über Einwanderung zeigt, präsent wie eh und je. Ethnisierend-kulturalisierende Erklärungsmuster sind weit verbreitet (vgl. Weber 2010; Yildiz 2006),5 und die Grenzen zwischen dem Eigenen und dem Fremden werden je und je re-iteriert: Die Migrantin bleibt Migrantin, selbst in der dritten Genera-tion.6 Kultur wird als determinierender Faktor der Identität betrachtet, der nicht ablegbar ist, sondern quasi-genetisch vererbt wird: Türke bleibt Türke, Albaner bleibt Albaner, Somali bleibt Somali (vgl. Sökefeld 2007, 45) – natürlich mit all den stereotypen Attributen, die solchen Erklärungsmustern eigen sind. Interessanterweise werden solch stereotype Attribute auch von Betroffenen im Sinne einer positiven Umdeutung der stigmatisierenden Zuschreibung übernommen (Goffman 1975). Beispiele dafür lassen sich in unterschiedlichen sozialen Gruppen finden: Italienische Migrantengruppen zelebrierten in der Schweiz in den 1970er Jahren ihre Verschiedenheit in identitären Vereinen. Heute stilisieren sich jugendliche Migranten aus dem Kosovo als »gewalttätig, sexistisch und autovernarrt« (Cattacin 2010, 128). In der türkischen Diaspora in Deutschland lassen sich junge Türken die Bezeichnung als »Scheißtürken« mit der Begründung gefallen: »Obwohl, wir sind schlimm, damit haben die auch recht« (Ismail in Weber 2010, 319).
Diese Beispiele sind nicht nur relevant, weil sie zeigen, dass sich ethnisierend-kulturalisierende Zuschreibungen im Sinne von self fulfilling prophecies bestätigen können. Sie weisen ebenfalls darauf hin, dass möglicherweise auch für diejenigen, die im Nexus der Kulturen und Nationen leben, Hybridität, Transkulturalität und Transnationalität nicht zwingend Alltagskategorien sind, in welchen sie denken und nach denen sie handeln. Dies lässt die Frage aufkommen, ob denn die von den Cultural und den Migration Studies profilierten Begriffe überhaupt Entsprechungen in den Lebenswelten der Betroffenen haben, oder ob sie nur in den Sprachspielen diverser Wissenschaftszweige beheimatet sind. Haben die Begriffe als etische auch emische Entsprechungen, oder, anders formuliert, sind sie als Konstruktionen zweiten Grades im Sinn von Alfred Schütz in den Konstruktionen ersten Grades, den Konstruktionen des Alltags, verankert (vgl. dazu Nederveen Pieterse 2001 u. Schütz 1971)? Antworten auf diese Fragen lassen sich dort finden, wo Migranten und deren Nachkommen ihre kulturellen, räumlichen und sozialen Verortungen thematisieren und diskutieren. Dies geschieht heute auch im Internet, und zwar nicht nur in Foren und auf Websites, die explizit für bestimmte Diasporagemeinschaften eingerichtet wurden, sondern auch in öffentlichen, anonymen Chatrooms, etwa in dem an ein unspezifisches Teenagerpublikum adressierten Schweizer Chatroom teentalk.7
2. Die Daten aus teentalk
teentalk wurde vom größten Schweizer Telekommunikationsunternehmen als einer von vielen Chatrooms auf der sogenannten bluewin-Chat-Plattform angeboten; diese Plattform wurde im Herbst 2009 geschlossen. Heute wird sie von einem anderen Betreiber unter anderem Namen weitergeführt.8 Die Daten, die ich hier verwende, wurden noch auf der bluewin-Plattform per Chat-Logging gesammelt, und zwar vom 2. bis 16. November 2007. Während dieser zwei Wochen wurde jede Äußerung, jede Statusmeldung, jeder Handlungseintrag im öffentlichen Raum von teentalk aufgezeichnet; das waren insgesamt 307.498 Einträge. Im Durchschnitt erschien in diesem Zeitraum alle 3,7 Sekunden eine neue Nachricht, eine neue Statusmeldung oder ein neuer Handlungseintrag auf dem Bildschirm. teentalk wurde also während dieses Zeitraums rege besucht. Das zeigt auch ein Vergleich mit dem Chatroom für Christen. Hier sind im selben Zeitraum nur 11.726 Einträge verzeichnet. Das ist weniger als 4 % dessen, was in teentalk geschah.
Die Zugangsschwelle zu allen Chatrooms war unter bluewin sehr niedrig: Eine Registrierung mit Angabe von Name und Alter war nicht notwendig. Nach der Wahl eines Nicknames konnte sofort mitgechattet werden. Die Möglichkeit, anonym zu bleiben, war also hoch. Zwar waren alle Chatrooms moderiert, und der Teentalk wäre Jugendlichen bis 20 Jahren vorbehalten gewesen. Allerdings führte der Anbieter keine Alterskontrollen der Teilnehmenden durch, und einzig Nicknames, die Altersangaben über 20 Jahren enthielten (z.B. zh_23) wurden aus dem Chatroom verbannt. Wie auch die hier verwendeten Daten zeigen, reduzieren Chatter aber Anonymität und etablieren einen Zustand, den man als Halbanonymität bezeichnen könnte. Die Fragen nach dem Alter, der Herkunft und dem Geschlecht des Gegenübers sind omnipräsent, und es wird auch versucht, die gelieferten Angaben zu überprüfen. Der Austausch von Fotos und MSN-Adressen – eigentlich verboten – ist in teentalk gang und gäbe. Außerdem wird in den Interaktionen ebenfalls ersichtlich, dass sich Teilnehmende auch außerhalb der Chatrooms treffen.
Der Datenerhebungszeitraum ist relevant. Im Herbst 2007 fanden in der Schweiz Parlamentswahlen statt. Im Wahlkampf spielte nicht nur der banale Nationalismus, wie Michael Billig (2006) ihn nennt, eine Rolle. Der Wahlkampf war vielmehr bestimmt durch Ethnonationalismus und gar Rassismus, denn die größte Partei der Schweiz, die Schweizerische Volkspartei (SVP), versuchte, mit einer vom UNO-Sonderberichterstatter für Rassismus als rassistisch bezeichneten Kampagne ihren Wähleranteil zu erhöhen – was ihr schließlich auch gelang.9 Die damals verwendete Kampagne mit dem sprichwörtlichen schwarzen Schaf (vgl. Abb. 1) sorgte weltweit für Schlagzeilen (vgl. New York Times v. 8. Oktober 2007, A1).
Zeitpunkt und Ort waren geeignet, um Daten zu sammeln, die zeigen, ob Hybridität, Transkulturalität und Transnationalität Teilnehmerkategorien sind. Denn in teentalk trafen sich viele multilinguale Chatter, viele verwiesen darauf, dass sie herkunftsfremd sind, und Debatten und Diskussionen über Herkunft und Zugehörigkeit waren omnipräsent.
3. Diskurse der Differenz im Chatroom
Noch in den 1990er Jahren versuchten uns Medieneuphoriker glauben zu machen, dass im Internet ein virtuelles Paralleluniversum entstanden sei, in welchem die Bedingungen der realen Welt außer Kraft gesetzt seien. Ebenfalls beliebt war die These, dass Internet-User sich laufend neu erfinden, sich laufend neue Identitäten geben können (vgl. etwa Danet, 1998; Haraway, 1991; Turkle, 1998). Wie jedoch die stärker empirisch ausgerichtete Internetforschung zeigt, sind diese Thesen zu undifferenziert. Online-Kommunikation ist heute zum integralen und wichtigen Bestandteil des sozialen Lebens geworden (vgl. Valkenburg/Peter 2011).10 Zudem hat sich das Internet längstens ausdifferenziert, es sind unterschiedlichste Plattformen mit den unterschiedlichsten Zielsetzungen entstanden, welche die Kommunikation bestimmten Zwängen unterwerfen (vgl. etwa Döring, 2000). Zwar sind Spiele mit Identitäten in Spielumgebungen durchaus üblich. Zwar ist es richtig, dass im primär textbasierten, öffentlichen Chatroom, um den es im Folgenden gehen wird, die Konstruktion von Identität vor allem sprachlich-performativer Art ist, was neue Spielräume des Möglichen eröffnet. Doch ist es nicht so, dass es Chattern egal wäre, mit wem sie interagieren. Die Reduktion der Sinneskanäle, das Fehlen des visuellen, akustischen, haptischen und olfaktorischen Kanals führt nicht dazu, dass Informationen über Alter, Geschlecht, Herkunft und Hautfarbe irrelevant würden (vgl. Burkhalter, 1999; Kennedy, 2006; Rellstab, 2007, 2009). Der Wille zu Wissen, mit wem man es zu tun hat, ist, wie schon ein kurzer Blick in den Chat zeigt, sehr verbreitet. Sich mit einem gesichtslosen Gegenüber zu unterhalten, scheint keine Option zu sein. Selbst- und Fremdkategorisierungen sind omnipräsent.
Die soziale Verbindlichkeit in öffentlichen, anonymen Chatrooms ist jedoch gering. Nonkonformes, aggressives Verhalten, sogenanntes flaming, ist häufig (vgl. Avgerinakou 2003). Die Gründe dafür liegen in der spezifischen »Kommunikationstechnologie« (Beißwenger 2005). Zwar haben Selbstachtung und Rücksichtnahme immer noch eine doppelte Wirkung, aber gewissermaßen unter negativen Vorzeichen: Die Regel, dass man sich in der Interaktion üblicherweise so verhält, dass sowohl das eigene Image wie auch dasjenige des Gegenübers gewahrt wird, ist nämlich außer Kraft gesetzt (vgl. Goffman 1999, 16 et passim). Weil Chatter im anonymen, öffentlichen Chatroom ihr lebensweltliches Image nicht bedrohen können, müssen sie weder auf ihr eigenes Image noch auf dasjenige der anderen Rücksicht nehmen. Das ebnet aggressivem Verhalten den Weg, eröffnet die Möglichkeit, über Tabuthemen zu diskutieren (vgl. Brown/Levinson 1987, 67), und erlaubt es, Positionen einzunehmen, die man sich in der Face-to-Face-Kommunikation, jedenfalls in der Öffentlichkeit, nicht zu vertreten trauen würde. In teentalk sind diese teilweise offen xenophob, neo-rassistisch und gar nationalsozialistisch:
[3:15:51 AM:] Helvetica: Sensemann, nur will ich eidgenossin bin, heisst das no lang nöd das ich nöd is süüd tirol chan go bordä
[3:15:51 AM:] Sensemann[Eidgenosse]: Helvetica will usland kake isch?
[…]
[3:16:07 AM:] Sensemann[Eidgenosse]: jääääää
[3:16:09 AM:] Helvetica: gege s usland hani eig nüüt. nur gege d immigrante
[…]
[3:17:29 AM:] Helvetica: süd tirol isch öschtrich und germany (scheisse aber no anemmbar) und so sind ja au Arier
[3:17:32 AM:] Helvetica: also wo ischs problem
Öffentliche Chatrooms sind also nicht von der gesellschaftlichen Realität abgekoppelt. Sie können vielmehr als Lupen wirken, unter denen brisante Diskurse vergrößert wahrgenommen werden können. Deswegen ermöglichen es Analysen von Chat-Interaktionen mit Hilfe diskursanalytischer, an die medialen Gegebenheiten des Chatrooms angepasster Instrumente (vgl. dazu Beißwenger 2005; Rellstab 2007 u. 2009), der Frage nachzugehen, ob Hybridität, Transkulturalität und Transnationalität Teilnehmerkategorien sind oder nicht.
4. Ein multilinguales virtuelles Netzwerk in teentalk
Virtuelle Angebote werden in vielfältiger Weise genutzt, und wie meine Daten zeigen, diente teentalk einer Gruppe von Jugendlichen, unter ihnen viele, die sich als herkunftsfremd bezeichnen, als Plattform, um sich regelmäßig zu treffen. Sie machten teentalk damit zu ihrem Raum.11 Dieses virtuell zu nennende soziale Netzwerk entdeckte ich, indem ich Methoden der Analyse sozialer Netzwerke, wie sie für die Soziolinguistik entwickelt wurden (vgl. Milroy 2002; Milroy/Milroy 1992), für die Verhältnisse im Chatroom adaptierte. Als Anker wählte ich den aktivsten Chatter, KrEuZbErG-kRuNk. Er hat 18.963 Einträge, das sind etwa zweimal soviel wie die nächste Chatterin, hon3jj, hat.12 In einem ersten Schritt analysierte ich, mit wem KrEuZbErG-kRuNk interagierte. Um zu entscheiden, ob all diejenigen, mit denen er sich unterhält, ein soziales Netzwerk bilden, berechnete ich die Dichte der kommunikativen Verbindungen zwischen all seinen Interagierenden. Da, wie Ernst von Kardoff (2006) darlegt, virtuelle Netzwerke üblicherweise weniger dicht sind als solche in der nicht-virtuellen Lebenswelt, war das Resultat nicht sonderlich überraschend: Das Netzwerk hatte nur eine Dichte von 32,9 %, das heißt, nur knapp ein Drittel aller möglichen kommunikativen Verbindungen war realisiert. In einem zweiten Schritt schloss ich diejenigen von KrEuZbErG-kRuNks Interaktionspartnern aus, die nur einmal mit ihm interagierten und die an weniger als sieben Tagen in teentalk präsent waren. Zurück blieben diejenigen, die sich eine konstante Netzidentität gaben, häufig präsent waren und mit KrEuZbErG-kRuNk interagierten. Meine Restriktionen führten zu einem Zuwachs der Dichte um über 20 % auf 54,7 %. Dies legt nahe, dass ich so ein «virtuelles Netzwerk« im Sinne von Kardoffs identifizieren konnte (2006, 75). Dieses Netzwerk bestand aus folgenden Mitgliedern:13
Name | Behauptete Identitäten | |
1 | KrEuZbErG-kRuNk | Kroatien – Schweiz |
2 | goaner | Schweiz |
3 | Lionm | Schweiz |
4 | Hon3jj | Italien – Schweiz |
5 | FCL-Bubchen | Schweiz |
6 | Locita | Spanien – Dominikanische Republik |
7 | KeKsi_BaTo | Bosnien |
8 | Kat_deluna_w | Dominikanische Republik – Kuba |
9 | Emy | Schweiz – Italien |
10 | Electro/aMaca | Bosnien (Serbisch) |
11 | LA | Schweiz |
12 | uNiKKaTiL19 | Kosovo (Albanisch) |
13 | gG | ? |
14 | Eichhoefli | ? |
15 | Laura17 | Schweiz |
16 | KaTiL_FrOm_PrEsHeVa | Serbien (Albanisch) |
17 | Zig-Zag | Schweiz |
18 | The^Us-DivaH | Albanien |
19 | JETONI_BONBONI | Bosnien (Albanisch) |
20 | Principe_m | Portugal – Kuba – Brasilien |
21 | Rammstein | Schweiz |
22 | Tschewap | Kroatien |
23 | Maincore | ? |
24 | Flame | Schweiz |
25 | FreshPrince | Schweiz – Pakistan |
26 | KoSoVa_StYlIsH_LaDy | Kosovo (Albanisch) |
27 | psycho_woman | Schweiz |
28 | aMeLie-nix-p | Kosovo (Albanisch) |
29 | Ethnobarbie | Schweiz |
30 | Fabulous | Kosovo (Albanisch) |
31 | dani_playa_shipi | Kosovo (Albanisch) |
32 | Aaliyah | Spanien – Schweiz |
33 | RaFaEl | Russland – Türkei – Kosovo (Albanisch) – Spanien |
34 | Whitetigerli | Schweiz |
35 | sweet_style_menzh | Mazedonien |
36 | chronic | Nicht Schweiz |
37 | babyphat | Schweiz |
38 | prince_deluxe | Balkan |
Das Netzwerk ist äußerst multilingual. Die Basisvarietäten, wie man sie in Anlehnung an François Grosjeans nennen könnte (vgl. Grosjean 2008), sind zwar schriftliche Varianten der von den Teilnehmenden gesprochenen schweizerdeutschen Dialekte. Standardsprache wird, wie dies nicht anders zu erwarten ist (vgl. Siebenhaar 2006), sehr selten verwendet. Neben den schweizerdeutschen Dialekten werden vor allem die in der Schweiz unter schulpflichtigen Kindern und Jugendlichen verbreiteten nicht-deutschen Herkunftssprachen Kroatisch, Serbisch, Bosnisch, Mazedonisch und Albanisch, aber auch Spanisch und Türkisch verwendet.14 Englisch kommt, wie in einem eher jugendlichen Kontext nicht anders zu erwarten ist, in Form von Begrüßungen, Floskeln und Sprüchen relativ häufig vor. Französisch findet man dagegen praktisch nie.
5. Transkulturalität und Transnationalität = Ausländermerkmale
Nicknames sind die wichtigsten Bausteine in der Konstruktion von Netzidentitäten. Neben denjenigen, die ihre Namen aus popkulturellen Repertoires wie etwa demjenigen des HipHop beziehen (The^Us-DivaH, babyphat, prince_deluxe), benutzen andere Indizes, die auf eine fremde Herkunft hinweisen: Tschewap spielt auf die Cevapcici an; Kat_deluna_w benutzt Spanisch, KeKsi_BaTo verwendet Kroatisch und zeigt damit eine Verbindung zum Balkan an. Im Prinzip sind alle diese Nicknames Hybride im Sinne von Bhabha, und zwar in offensichtlicher Weise. Denn sie sind bewusste Wiederholungen und bewusste Abwandlungen von kulturellen Types, teilweise sogar mit spezifischen ethnischen Indices. Doch Transkulturalität oder gar Transnationalität signalisieren sie nur bedingt.
Andere Nicknames indizieren deutlich Transkulturalität und Transnationalität: Electro_Maca kombiniert Maca, serbisch oder kroatisch für Kätzchen, mit dem englischen Adjektiv ihrer Lieblingsmusikrichtung. KoSoVa_StYlIsH_LaDy verortet sich zwar im Kosovo, doch signalisiert sie mit dem Englischen gleichzeitig ihre transkulturelle, den Kosovo transzendierende Ausrichtung. KaTiL_FrOm_PrEsHeVa, was mit das Ungeheuer aus Presheva übersetzt werden könnte, verweist einerseits auf die südserbische Stadt, markiert durch die Verwendung des Albanischen aber seine ethnische Herkunft und stellt durch die Verwendung des Englischen gleichzeitig seine Zugehörigkeit zu einer globalisierten Welt zur Schau. dani_playa_shipi wiederum zeigt seine transkulturell-transnationale Ausrichtung gleich doppelt an: Indem er die in der Schweiz gültige Kurzform ›Dani‹ des Vornamens Daniel mit ›shipi‹, einem Lehnwort aus dem Albanischen (vgl. »shqip«, Albanisch, und »shipetar«, albanisch) kombiniert, indiziert er seine räumlichen und kulturellen Verortungen. Indem er diese mit dem ›playa‹ (BEV für »player«, d.h. »womanizer«15) verbindet, markiert er gleichzeitig auch seinen Anschluss an das globale, per se transkulturelle Phänomen des HipHop.16
Fragen nach dem ethnischen oder nationalen Hintergrund sind in teentalk üblich. Über die ethnische, nationale oder gar religiöse Herkunft des Gegenübers informiert zu sein, ist genauso wichtig, wie etwa über dessen Gender Bescheid zu wissen:
[3:57:07 AM] KoSoVa_StYllsH_LaDy: er is
[3:57:11 AM] KoSoVa_StYllsH_LaDy: pakistaner oder?
[…]
[3:58:24 AM:] LIHI: woher kommst?
[…]
[3:58:29 AM:] LIHI: Pakistan!
[3:58:30 AM:] FreshPrince: pakistan ;)
[3:58:33 AM:] FreshPrince: yup
[3:58:35 AM:] FreshPrince: :)
[3:58:37 AM:] FreshPrince: :D
[3:58:39 AM:] LIHI: moslem oder
[…]
[3:58:43 AM:] FreshPrince: klar!
[3:58:43 AM:] FreshPrince: :D
[3:58:50 AM:] LIHI: Selam Aleykum
[3:58:51 AM:] LIHI: :)17
[3:58:55 AM:] FreshPrince: wa aleikum salam
[3:58:56 AM:] FreshPrince: :)
So ist es auch nicht erstaunlich, dass sich transkulturelle und transnationale Selbstkategorisierungen auch in den Interaktionen selbst finden lassen:
[7:23:11 PM:] Oo-SuKaina-oO: hesch du CH-Pass
[7:23:15 PM:] KrEuZbErG-kRuNk: jo und cro18
[7:23:16 PM:] KrEuZbErG-kRuNk: xD
[…]
[7:23:22 PM:] KrEuZbErG-kRuNk: muaha
[7:23:23 PM:] KrEuZbErG-kRuNk: xD
[7:23:25 PM:] Oo-SuKaina-oO: ok
[7:23:25 PM:] KrEuZbErG-kRuNk: i beides
Die eigene Transkulturalität und Transnationalität wird aber nicht einfach nur beschrieben, sondern teilweise in bildhafte Sprache und in emotionalisierende Metaphern gefasst. Auf die Frage, ob dani_shipi_playa in Zurzach, einer Schweizer Kleinstadt lebe, schreibt er, seine Origo gleichsam in den Kosovo versetzend:
[9:51:36 PM:] dani_shipi_playa: da leb ich körperlich
[…]
[9:51:43 PM:] dani_shipi_playa: aber mti herz leb ich in kosovo
Er inszeniert damit seine eigene Transnationalität als Gegensatz zwischen der körperlichen Präsenz in der Schweiz und seiner eigentlichen Heimat. Transnationalität und Transkulturalität werden von den Chattenden gar mit alltagssprachlichen Termini gefasst: »[10:47:04 PM:] JETONI_BONBONI: ech be en balkan miiix«. Und sie haben einen hohen Wert, wie in der folgenden Interaktion sichtbar wird.
[1:19:16 PM:] KrEuZbErG-kRuNk: ne ihr münd remix sie
[1:19:18 PM:] KrEuZbErG-kRuNk: das isch kuul
[1:19:19 PM:] KrEuZbErG-kRuNk: xD
[1:19:23 PM:] KrEuZbErG-kRuNk: so eien wie ih
[1:19:23 PM:] KrEuZbErG-kRuNk: xD
[1:19:24 PM:] KrEuZbErG-kRuNk: hahahahaha
[1:19:25 PM:] Principe_m: ich habe den charme der portugiesen. die wildniss der cubaner und denn flair der brasilianer
[1:19:26 PM:] Principe_m: ^^
[1:19:39 PM:] KrEuZbErG-kRuNk: uhhhh principe de ish nice gsi!!
[1:19:40 PM:] KrEuZbErG-kRuNk: :D
[1:19:44 PM:] Principe_m: ^^
[1:19:44 PM:] emy: naja ich hab da eh gelogen xD ich bin zu 75 prozent schweizerin und zu 15 italo ^^
[1:19:51 PM:] Principe_m: eine italienerin
[1:19:53 PM:] Principe_m: haha
[1:19:53 PM:] KrEuZbErG-kRuNk: aussländer!!!
Als Teilnehmerkategorien nehmen Transkulturalität und Transnationalität im Mitgliedschaftskategoriensystem der Chattenden eine bestimmten, beschreibbaren Platz ein (vgl. dazu Sacks 1972; Schegloff 2007). Diesen Platz indiziert KrEuZbErG-kRuNk in seinem die angeführte Interaktion abschließend kommentierenden Eintrag (vgl. »1:19:53 PM«): Transnationalität und Transkulturalität sind mit der Kategorie »Ausländer« verknüpft. Diese Systematik der Kategorisierung findet sich nicht nur an dieser Stelle. Sie wird auch dort sichtbar, wo die Zugehörigkeit zur Kategorie des Transkulturellen, Transnationalen und die Mitgliedschaft in der Kategorie ›Schweizerin oder Schweizer‹ als sich gegenseitig ausschließend dargestellt wird. Das bedeutet in letzter Konsequenz auch, dass für die Chattenden Transkulturalität und Transnationalität zwar Kategorien sind, an denen sie sich orientieren und die sie in ihren Identitätskonfigurationen je und je rekonstruieren. Diese Kategorien ersetzen die hergebrachten Vorstellungen von Nationalkulturen aber nicht, sondern sie treten zu dieser in Konkurrenz.
6. Schweizer sein
Nicht anders als in der realen Welt hängt die Zugehörigkeit zu spezifischen Mitgliedschaftskategorien im Chat nicht allein von der Selbstverortung ab, sondern ist das Resultat von Interaktionen, in welchen spezifische Merkmale, die für die Kategorienzuweisung relevant sind, bearbeitet werden. Die interaktive Aushandlung der Kategorienzugehörigkeit ist umso wichtiger deshalb, weil die Kategorien emotional besetzt und mit Werten verknüpft sind. »Remix« ist cool, wie KrEuZbErG-kRuNk formuliert, Schweizer zu sein dagegen nicht: »[11:49:29 AM:] afrikaner-ZH: schwizer sind eifach un cool«. Über eine fremde Herkunft zu verfügen, wird von den herkunftsfremden Chattern als prestigeträchtig wahrgenommen, Schweizer zu sein dagegen als Stigma. Dies führt in einem Chatroom, wo die Identitäten de facto frei gewählt werden können, zum Problem: Jeder kann behaupten, etwas zu sein, das er vielleicht gar nicht ist. Dieses Problem wird dadurch gelöst, dass die Identitäten im Chat auf ihre Konsistenz hin geprüft werden (vgl. Herring/Martinson 2004). Wie im realen Leben auch müsste ein Chatter, der über das Stigma verfügt, Schweizer zu sein, Techniken entwickeln, um dieses zu verbergen (vgl. Goffman 1975). Gelingt ihm das nicht, dann wird sein Stigma enthüllt. Eine solche Stigma-Enthüllung wird in folgender Interaktion inszeniert. Hon3jj und KrEuZbErG-kRuNk diskutieren darüber, ob Fabulous, wie er behauptet, auch wirklich Albaner ist:
[1:41:30 AM:] hon3jj: gel de fabi isch schwizer?
[…]
[1:41:43 AM:] KrEuZbErG-kRuNk: aber er sseit daddy sig shipi
[…]
[1:41:50 AM:] hon3jj: er mir au
[…]
[1:42:05 AM:] hon3jj: nacher ich so wieso heissisch den zum nachname ma…
[1:42:06 AM:] hon3jj: hahahaha
[1:42:09 AM:] hon3jj: so en schwizername
[…]
[1:42:18 AM:] hon3jj: er so bö
[1:42:18 AM:] hon3jj: hahahaha
[1:42:21 AM:] hon3jj: ich so ok
[1:42:23 AM:] KrEuZbErG-kRuNk: lol
[1:42:26 AM:] hon3jj: ich so red emal albanisch
[1:42:29 AM:] hon3jj: er so nei chan nöd so guet
[1:42:30 AM:] hon3jj: ich so aha
[1:42:32 AM:] hon3jj: hhahahahahah
[1:42:33 AM:] KrEuZbErG-kRuNk: ka er ned
[1:42:34 AM:] KrEuZbErG-kRuNk: xD
[1:42:40 AM:] hon3jj: er lügt sowiso
[1:42:45 AM:] hon3jj: er gseht nöd wie en shipi us
hon3jj initiiert die Diskussion mit einer assertiven Frage, die, wie auch die Partikel gel zeigt (vgl. Schlieben-Lange 1979), Zustimmung von ihrem Interaktionspartner fordert. Sie ist also überzeugt, dass Fabulous nicht Shipi, sondern Schweizer ist. KrEuZbErG-kRuNk verweigert ihr die Zustimmung vorerst (vgl. »1:41:43 AM«). Er verweist darauf, dass Fabulous angegeben hat, dass sein Vater shipi, also Albaner sei. KrEuZbErG-kRuNks Argument indiziert, welcher Logik die Interagierenden hier folgen: Schweizer ist derjenige, dessen Elternteile beide Schweizer sind. Mit der Behauptung, einen albanischen Vater zu haben, kann Fabulous schon für sich in Anspruch nehmen, Mitglied der Kategorie der Nichtschweizer zu sein. Diese Behauptung muss nun belegt werden. Die Belege sind, wie hon3jj in ihrer anschließenden Erzählung zeigt, empirischer Art: Sie fragt nach dem Familiennamen und den Sprachkenntnissen, und wie sie erzählend enthüllt, sprechen die Belege, die Fabulous anführt, gegen ihn: Er nannte ihr einen sehr schweizerisch klingenden Familiennamen (»1:42:05 AM« – »1:42:09 AM«), und Albanisch kann er, wie sie zitierend erzählt, nicht so gut (»1:42:26 AM« – »1:42:30 AM«), offensichtlich, wie KrEuZbErG-kRuNk folgert, weil er überhaupt nicht Albanisch spricht (»1:42:33 AM«). Fabulous kann zudem, wie hon3jj abschließend meint, gar kein Albaner sein, weil er nicht wie ein Albaner aussieht. Hon3jj und KrEuZbErG-kRuNk orientieren sich, wie hier deutlich sichtbar wird, an der Idee, dass zwischen Aussehen, kulturellen Ressourcen und Herkunft Kohärenzen bestehen müssen und dass durch Belege und Systematik Zuteilungen entweder zur Gruppe der Schweizer oder der Nichtschweizer möglich sind. Die Merkmale dafür, ein Schweizer zu sein, werden hier ex negativo definiert: Ein Schweizer hat keinen albanischen Vater, spricht nicht albanisch und sieht nicht albanisch aus. Diese Definition könnte man ethno-nationalistisch nennen.
7. Schweizer sein: Nein!
Obwohl sich technisch gesehen jede und jeder an jeder Unterhaltung im Chat beteiligen kann, kann es für Außenstehende schwierig sein, sich in laufende Unterhaltungen einzuklinken, besonders dann, wenn es die Unterhaltung einer Ingroup ist. Die Strategien, die eingeschlagen werden, um Zugang zur Unterhaltung zu kriegen, sind unterschiedlich; hier das Beispiel eines misslungenen Versuchs. Mister_Balkan wendet sich nach ungefähr 90 Minuten erfolglosen Versuchs, sich in die Interaktion zwischen psycho-woman, KrEuZbErG-kRuNk, uNiKKaTiL19, Lion_m und Kat_deluna_w einzuklinken, direkt an Kat_deluna_w, um sie in eine Zweierinteraktion zu verwickeln. Diese schenkt ihm jedoch anfänglich keine Beachtung, vielleicht weil sie, eine »Latina«, gerade dabei ist, in einem speziellen Akt von »Crossing« ein »alba-Lied«, das heißt ein albanisches Lied, zu singen (vgl. Rampton 1995):
[2:40:16 PM:] Kat_deluna_w: ich bin shipi bin so richtig khaste, wenn gwüsi
monät da sind tueni faste, ab und zue usraste,vorallem bi lütt
mit glatze… pfust han ich immer parat, en bmw m3 ir
garage… *sing* albani – albani ghetto life
[…]
[2:41:04 PM:] Mister_Balkan: heyyy kat _deluna
[2:41:05 PM:] Mister_Balkan: ciaoo
[2:41:06 PM:] Kat_deluna_w: ich sing es alba lied
[…]
[2:41:07 PM:] Mister_Balkan: hesslichiiii
[2:41:07 PM:] Kat_deluna_w: -.-
[2:41:09 PM:] Mister_Balkan: alles klaar bi dir
[…]
[2:41:14 PM:] Mister_Balkan: hesslichi
[…]
[2:41:17 PM:] Mister_Balkan: schwizer choppf
[…]
[2:41:21 PM:] Kat_deluna_w: hahahhaah
[2:41:22 PM:] Mister_Balkan: jajaja
[2:41:25 PM:] Mister_Balkan: deluna
[2:41:25 PM:] Kat_deluna_w: balkan psssst
[2:41:27 PM:] Kat_deluna_w: ich und ch
[2:41:28 PM:] Mister_Balkan: die hessliche
[…]
[2:41:38 PM:] Mister_Balkan: ja chum
[…]
[2:41:40 PM:] Mister_Balkan: frässi man
[2:41:41 PM:] Mister_Balkan: du grussigi
[2:41:42 PM:] Kat_deluna_w: voll süess wie du versuechsch vo mir
ufmerksamkeit zbecho
[…]
[2:41:50 PM:] Mister_Balkan: hahahhahhahaa
[2:41:50 PM:] Mister_Balkan: man
[2:41:50 PM:] Kat_deluna_w: und Ch bini nid
[…]
[2:41:53 PM:] Kat_deluna_w: ^^
[…]
[2:41:56 PM:] Mister_Balkan: ja denhalt
[2:41:59 PM:] Mister_Balkan: ne anderi scheiss nationalität
[2:42:02 PM:] KrEuZbErG-kRuNk: man man man de isch so unterbelichtet
[2:42:03 PM:] KrEuZbErG-kRuNk: xD
Während Kat_deluna_w »singt«, damit das Footing wechselt (vgl. Goffman 1981) und dabei gleichsam auch die Identität einer Albanerin übernimmt, versucht Mister_Balkan, eine Interaktionsachse mit ihr zu etablieren: Er schreibt sie direkt an (»2:41:04 PM«), grüßt sie anschließend (»2:41:05 PM«), was eigentlich unnötig wäre, denn Kat_deluna_w hat vorher, wenn auch nur kurz, mit ihm interagiert, und versucht sie dann zu provozieren, indem er sie als »Hässliche« anspricht (»2:41:07 PM«). Dass dies ein Mittel sein soll, um ihre Aufmerksamkeit zu erhalten, zeigt sich daran, dass er anschließend gleich nach ihrem Wohlbefinden fragt (»2:41:09 PM«). Er erwartet also eine Antwort. Sein Versuch der Etablierung einer Interaktionsachse scheitert aber, und seine Provokation verpufft und wird interaktiv nicht zur Beleidigung. Kat_deluna_w hat, wie sie in ihrem nächsten Eintrag zeigt, keine Lust zu interagieren: Ihr Emoticon schläft (vgl. »2:41:07 PM«).19 Nach ungefähr sieben Sekunden wiederholt Mister_Balkan seinen Versuch. Noch einmal benutzt er die Adressierung »hessliche«, noch einmal reagiert Kat_deluna_w nicht.
Das ändert sich, als er Kat_deluna_w als »Schweizerkopf« anspricht (»2:41:17 PM«). Diese Adressierung lässt sich Kat_deluna_w offensichtlich nicht gefallen: Sie selbst interpretiert sie als schlechten Witz (»2:41:21 PM«), fordert dann Mister_Balkan auf, zu schweigen (»2:21:25 PM«), stellt anschließend die Konjunktion von ihr und der Schweiz (»ch«) in lakonischer Weise als absurd dar (»2:41:72 PM«), und weist sie etwas später noch einmal zurück (»2:41:50 PM«). Dass sie kein Problem hat, andere nationale Identitäten zu übernehmen, hat sie als »Animatorin« (Goffman 1981, 226) eines albanischen Lieds gezeigt. Dass die Bezeichnung als »hessliche« sie nicht aus der Ruhe zu bringen vermag, demonstriert sie mit Schweigen. Ein »schwizer choppf«, ein ›Schweizerkopf‹, will sie aber nicht sein. Da wehrt sie sich.
8. Schweizer sein: Nur im Spiel
Rollenspiele, während denen zeitweilig die übliche Chat-Identität abgelegt wird, sind im Chatroom gang und gäbe (vgl. Rellstab 2009). Und so ist es auch nicht erstaunlich, dass die Chattenden des Netzwerks andere Rollen erproben, unter anderem auch die Rolle des Schweizers. KeKsi_BaTo spielt in der folgenden Interaktion einen Schweizer Bauern, also einen Typus, der sicherlich nicht für die progressive, sondern für die ländliche, traditionelle Schweiz steht. Dass zwischen ihm und seiner Rolle ein Unterschied besteht, markiert er schon zu Beginn dadurch, dass er seine Identität öffentlich wechselt:
[8:37:08 PM:] ***: KeKsi_BaTo ist jetzt bekannt als Schwiizer_PuuuR.
[8:37:10 PM:] Schwiizer_PuuuR: hahaha
[…]
[8:37:14 PM:] Schwiizer_PuuuR: hajde etz erkäris ehm (los, ablbanisch)
[…]
[8:37:22 PM:] Gjakova--ladyyyy89: hahahah schweizerr
[8:37:24 PM:] Schwiizer_PuuuR: villicht loster zue
[…]
[8:37:31 PM:] Gjakova--ladyyyy89: hahah schwizerr gell
[…]
[8:37:38 PM:] Gjakova--ladyyyy89: probiers mal
[8:37:41 PM:] Schwiizer_PuuuR: eehmm hets do au puurine xD
[8:37:44 PM:] Schwiizer_PuuuR: hahahah
[…]
[8:37:52 PM:] Hot_balkaner: superschwizer:-)
[8:37:52 PM:] Gjakova--ladyyyy89: jaaaa ich bins sheidiii
[8:37:52 PM:] Schwiizer_PuuuR: smilee du jugo
[8:38:05 PM:] Hot_balkaner: ehjj voll krass man
[8:38:06 PM:] Schwiizer_PuuuR: gjakiii freut mich i bi de hanspeter
[…]
[8:38:10 PM:] smile_: i ha emmer gseit wäredem chrieg het mer det onde alls selle i hage all tag e flüger met jugos ond waffe abeschecke… de hette mer iez die plog nöm…
[8:38:24 PM:] Hot_balkaner: smile halt schnure
[8:38:27 PM:] Schwiizer_PuuuR: smile ta cift nane (ich fick deine mutter, albanisch)
[…]
[8:38:32 PM:] sexy_balkaner: ej hot was schnurrt de für en sprach man?
[8:38:33 PM:] Schwiizer_PuuuR: du grussige shwizer
[…]
[8:39:20 PM:] ***: Schwiizer_PuuuR ist jetzt bekannt als KeKsi_BaTo.
Durch den Wechsel des Namens etabliert KeKsi_BaTo auch einen neuen Rahmen (vgl. Goffman 2000). Rahmen und Namen ändert er aus didaktischen Gründen, um den ausländerfeindlichen smile, der Bosnier als »Jugos« bezeichnete, eines Besseren zu belehren (»8:36:03 PM«). KeKsi_BaTo will, wie er in (»8:37:14 PM«) klarmacht, dem Schweizer smile auf gleicher Ebene begegnen: Er hofft so, ihm erklären zu können, was der Unterschied zwischen »Jugos« und »Bosniern« ist (vgl. »8:37:24 PM«). KeKsi_BaTo geht nicht vollständig in seiner neuen Rolle auf: Er kommentiert seinen Wechsel mit einem Lachen und distanziert sich damit von seiner Rolle, die er mit seinem Lachen auch als lächerlich darstellt (»8:37:10 PM«). Er benutzt die albanische Aufforderung »hadje« (›komm!‹, ›los!‹) zu Beginn seines ersten Eintrags als Schweizer Bauer und transformiert damit diesen Bauern in einen, der über albanische Sprachkenntnise verfügt (»8:37:14 PM«). Dass KeKsi_BaTo den Bauern nur spielt, wird auch von den anderen laufend bestätigt: Gjakova-ladyyyy89 findet Rollenwechsel und Idee, als Bauer auf smile_ zuzugehen, lustig, und sie teilt seine Ansicht, dass dies klappen könnte (»gell«) (»8:37:22« – »8:37:38 PM«). Hot_balkaner findet den Rollenwechsel einfach »voll krass« (»8:38:05 PM«).
Die Belehrung smiles lässt auf sich warten. KeKsi_BaTo schmückt vorerst seine Rolle etwas aus und gibt vor, eine Bäuerin zu suchen, was zu einer kurzen »Bauer sucht Frau«-Episode führt (vgl. »8:37:52« – »8:38:05 PM«). Er adressiert smile_ während dieser Episode nur in einer Nebensequenz: Er nennt ihn »Jugo«, benutzt also die gleiche pejorative Charakterisierung, die dieser vorher verwendet hat (»8:37:52«). smile_ reagiert vorerst nicht. Erst gut eine Minute, nachdem KeKsi_BaTo die Rolle getauscht hat, postet smile_ einen in verstärktem Maße rassistischen und diffamierenden Eintrag (»8:38:10 PM«). Damit provoziert er, dass KeKsi_BaTo aus seiner Rolle als Schweizer Bauer fällt: Er beschimpft smile_ zuerst auf Albanisch (»8:38:27 PM«) und adressiert ihn dann als »grussige[n] shwizer« (»8:38:33 PM«), als ›ekligen Schweizer‹, und damit in einer Zwei-Wort-Formulierung, wie sie für rassistische Beleidigungen typisch ist (vgl. Stokoe/Edwards 2007, 352). Damit re-iteriert er die Differenz zwischen sich und smile, die er ja gerade mit seiner Rolle als Schweizer Bauer wenigstens vordergründig überbrücken wollte, und kurz darauf nimmt er ganz Abschied von seinem Rollenspiel.
9. Transkulturalität und Transnationalität versus simple Nationalität: Ein Fazit für teentalk
Die Episoden zeigen, wie in Interaktionen innerhalb und an den Rändern des Netzwerks Differenz geschaffen wird. In ihnen wird auch gut sichtbar, dass Transkulturalität und Transnationalität zwar Teilnehmerkategorien sind, diese aber die alten Vorstellungen davon, dass Kulturen geschlossen und abgeschlossen sind, nicht ersetzen, sondern vielmehr ergänzen. Zwar suchen die herkunftsfremden Mitglieder des Netzwerks nicht Zuflucht in Identitätskonstruktionen, in welchen die eigene Herkunft absolut gesetzt würde. Die Aspekte, die sie selbst zu Schweizerinnen oder Schweizern machen könnten, etwa der Umstand, dass sie zum größten Teil Schweizerdeutsch verwenden, werden aber ständig ausgeblendet. Dies setzt eine Logik voraus, die prinzipiell das, was Schweizerisch ist, als eigenständig und abgeschlossen versteht. Die herkunftsfremden Chattenden des Netzwerks ziehen also eine Grenze zwischen sich und den Schweizern. Dies ist angesichts der Tatsache, dass in politischen Diskursen »das Nationale« als Kategorie Verwendung findet und gegen »das Fremde« ausgespielt wird, sicherlich nicht erstaunlich: Herkunftsfremde Jugendliche reagieren auf ethnonationalistische Positionen, die in politischen Diskursen in der Schweiz üblich geworden sind. Das wird zuweilen auch deutlich sichtbar, wie etwa in folgender Interaktion, wo s-stylez_m zur Konstituierung einer Rap-Formation aufruft:
[1:41:20 AM:] s-stylez_m: ey jungs für min nechste rap bruchi sooooo viel uslender wi es nur gat
[1:41:32 AM:] FreshPrince: [s-stylez_m] ok:P
[1:41:33 AM:] s-stylez_m: min rap heisst das schwarze schaff
[…]
[1:41:56 AM:] FreshPrince: nur ausländer erlaubt!
[1:41:56 AM:] FreshPrince: :D
Die Differenz wird also auch von Seiten derjenigen, die für sich eine transkulturelle-transnationale Identität in Anspruch nehmen, je und je rekonstruiert. Dies ist im Resultat unheimlich, denn damit re-iterien auch sie die Vorstellung, dass sie nicht zur Schweiz gehören.
Anmerkungen
1 Vgl. dazu auch den Begriff »Mulatte/Mulattin«: »Die Bezeichnung ›M.‹ leitet sich ab aus dem spanisch-portugiesischen mulato von mulo ›Maulesel, Maultier‹ – einem Tier, das aus einer Kreuzung von Pferd und Esel entsteht und nicht fortpflanzungsfähig ist. Mit dieser semantischen Anlehnung wird nicht nur der seit der Aufklärung gehegte Irrglauben transportiert, dass Menschen nach ›Rassen‹ unterteilt werden könnten. Zudem wir im Duktus dieser ›Rassentheorien‹ eine metaphorische Nähe zwischen Schwarzen und dem Tierreich hergestellt. Analog zu ›Bastard‹, das oft als Synonym oder generischer Oberbegriff zu ›M.‹ angeführt wird, wird dabei mit ›M.‹ zudem die Vorstellung transportiert, dass Schwarze und Weiße ›zusammen einen Hybriden hervorbringen, der unfruchtbar ist‹.« (Arndt/Theuerkauf 2004, 319)
2 Vgl. dazu etwa auch Reckwitz (2006, 21), der Bhabhas Konzeption von Hybridität auf die »Mischungsverhältnisse zwischen westlichen und nicht-westlichen Praktiken und Codes« bezieht.
3 Diese Kritik stimmt nur bedingt. Vgl. dazu etwa Wierlacher (2003).
4 Der Terminus »herkunftsfremd« wird vom deutsch-türkischen Schriftsteller Feridun Zaimoğlu anstelle der Phrase »mit Migrationshintergrund« oder der Charakterisierung »Migrant« verwendet. Vgl. dazu http://www.migazin.de/2010/11/23/ich-bestehe- darauf [15.05.2011].
5 Prominentes Beispiel dafür ist Thilo Sarazin und sein Bestseller »Deutschland schafft sich ab« (2010).
6 Vgl. dazu etwa Skenderovic 2007, der die Politisierung der Einbürgerungsverfahren in der Schweiz beschreibt.
7 Zu Websites und Foren für bestimmte Diasporagemeinschaften vgl. Androutsopoulos 2007 u. Brinkerhoff 2009.
8 Vgl. http://www.chatmania.ch/index.php?module=aboutus [15.05.2011]. »Chatmania.ch« versteht sich als Nachfolgerin des bluewin-Chats. Das Angebot von »Chatmania« ist mit dem von »bluewin« identisch.
9 Zum politischen Diskurs über Fremde und die Rolle der rechten Parteien, insbesondere der SVP, vgl. Riaño/Wastl 2006 u. Skenderovic 2007.
10 Allerdings scheinen Chatrooms unter Jugendlichen an Popularität eingebüßt zu haben. Vgl. dazu Tynes 2007.
11 Damit sind meine Daten auch etwas anders als diejenigen von Androutsopoulos 2007, der sich mit Interaktionen auf Plattformen auseinandersetzt, die explizit bestimmte Diaspora-Gemeinschaften adressieren.
12 Die Nicknames der Teilnehmenden wurden nicht geändert. Dies widerspricht prima facie einer ethischen »netnography«, wie Robert Kozinets sie definiert. Da teentalk inzwischen von einem anderen Unternehmen geführt wird, ist es aber nicht mehr möglich, die Beiträge der Chatter aufzurufen, was vielleicht Rückschlüsse auf ihre reale Existenz möglich machen würde. Aus rechtlicher – nicht ethischer – Perspektive scheint das Nennen der Pseudonyme und das Zitieren zudem unproblematisch zu sein. Kozinets schreibt für den US-Kontext: »However, even if the identification of culture members occurs, because the online forum is legally viewed as a public place, this should undermine claims of invasions of privacy« (Kozinets, 2010, 146).
13 Ein Jahr später, als ich im selben Chatroom wieder Daten erhob, war das Netzwerk nicht mehr da.
14 Zu den nicht-deutschen Herkunftssprachen, die von schulpflichtigen Kindern und Jugendlichen gesprochen werden, vgl. etwa für den Kanton Bern (Böni/Salm 2008). Gesamtschweizerische Statistiken gibt es nicht, da das Schulwesen in der Schweiz förderalistisch strukturiert ist. Herkunftssprachen der Gesamtbevölkerung wurden zuletzt im Jahr 2000 erhoben; vgl. dazu Lüdi/Werlen 2005. Die Kategorisierung der Sprachen der ehemaligen jugoslawischen Republik stellt ein besonderes Problem dar; vgl. dazu Greenberg 2004. In dieser Hinsicht nehme ich eine emische Perspektive ein, übernehme also die Kategorisierungen der Chattenden.
15 Vgl. dazu den urban dictionary: »uses women for sex or other favors usually by charming the girl till they fall in love with them« http://www.urbandictionary.com/ define.php?term=playa [15.05.2011].
16 Zum HipHop als transkultureller Erscheinung vgl. Pennycook 2007.
17 Um die Lesbarkeit der Chat-Logfiles zu erhöhen, werden diejenigen »Diskursstränge« (vgl. dazu Bittner 2003) aus den Zitaten gelöscht, die nichts mit dem zentralen, fokussierten Diskursstrang zu tun haben.
18 | Abkürzung für Kroatien/kroatisch.
19 Zur Beleidigung als interaktiver Kategorie vgl. etwa Hutchby 2008.
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