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Zeitschrift für interkulturelle Germanistik - 6. Jahrgang, 2015, Heft 1: Rüdiger Zymner / Achim Hölter (Hg.): Handbuch Komparatistik. Theorien, Arbeitsfelder, Wissenspraxis (Arne Klawitter)

Zeitschrift für interkulturelle Germanistik - 6. Jahrgang, 2015, Heft 1

Rüdiger Zymner / Achim Hölter (Hg.): Handbuch Komparatistik. Theorien, Arbeitsfelder, Wissenspraxis (Arne Klawitter)

Rüdiger Zymner / Achim Hölter (Hg.): Handbuch Komparatistik. Theorien, Arbeitsfelder, Wissenspraxis

Stuttgart: Metzler 2013 – ISBN 978-3-476-02431-2 – 69,95 €

Zwar ist die Komparatistik in Deutschland etwa zeitgleich mit der Germanistik entstanden, doch konnte sie sich an deutschen Universitäten als eigenständiges Fach bis heute nicht so recht behaupten – im deutlichen Gegensatz zu anderen Ländern wie Frankreich, Großbritannien oder den USA. Es hat sogar den Anschein, als spiele die Komparatistik in der Auslandsgermanistik eine weit größere Rolle, während sich die deutsche Komparatistik hauptsächlich an der Romanistik und Anglistik orientiert und eben fast ausschließlich französisch- und englischsprachige Texte untersucht oder sich auf das Gebiet der Allgemeinen Literaturwissenschaft beschränkt. In dieser Situation kann die Veröffentlichung des 2013 bei J.B. Metzler erschienenen Handbuchs Komparatistik nur begrüßt werden.

Die Herausgeber haben sich zum Ziel gesetzt, die Konturen der Komparatistik ebenso synthetisierend-deskriptiv wie kritisch analysierend zu umreißen, was auch für Komparatisten nichtliteraturwissenschaftlicher Disziplinen aufschlussreich sein könnte und literaturinteressierte Laien anzusprechen beabsichtigt, deren Lektürewege in und durch die Weltliteratur führen. Aus diesem Grund versucht das Handbuch allgemeinverständlich zu sein, was allerdings auch gewisse Nachteile mit sich bringt, von denen noch zu sprechen sein wird.

Nach einer bündigen Einleitung (Kapitel A), in der kurz und knapp der Gegenstand der Komparatistik umrissen und ihre »tragenden Säulen« (3) dargestellt werden – das sind zum einen die allgemeine Literaturwissenschaft mit der Theorie, Methodologie und dichtungsbezogenen Poesiologie und zum anderen die vergleichende Literaturwissenschaft, die umgekehrt von der dichtungsbezogenen Poesiologie zur Theorie voranschreitet –, erläutern die Verf. die Ausrichtungen der literaturwissenschaftlichen Komparatistik (B), und zwar gemäß einer dreifachen Gliederung: einer systematischen, historischen und räumlich-sprachlichen Einteilung. Während die systematische Ausrichtung sich an den beiden literaturwissenschaftlichen ›Säulen‹ der Komparatistik und die historische Ausrichtung an der literaturgeschichtlichen Epocheneinteilung orientiert, wird die räumlich-sprachliche Einteilung entsprechend der etablierten regionalen Grenzen und Sprachräume vorgenommen. Hierbei wird einerseits entweder zwischen einzelnen Nationalsprachen, z.B. denen Frankreichs oder Italiens, unterschieden oder aber zwischen Ländern mit einer großen Sprachvielfalt wie Indien. Andererseits werden Teilkontinente wie Ostasien oder sogar ganze Kontinente wie Afrika mit starker Binnendifferenzierung zusammengefasst, was bereits einen ausgeprägten Eurozentrismus erkennen lässt.

Der dritte Teil des Bandes (C) legt die Arbeitsfelder und Methoden der literaturwissenschaftlichen Komparatistik dar, darunter die Denkfiguren der Komparatistik, Epochen, Fremd- und Selbstbilder, Gattungen, Grenzen, Thema, Stoff, Motiv, Vergleich, Übersetzung und Weltliteratur. Weniger als die Hälfte der besprochenen Begriffe und Denkfiguren stammen jedoch aus der komparatistischen Forschung; die meisten kommen aus der allgemeinen Literaturwissenschaft. Der vierte Teil (D) widmet sich dann verschiedenen Problemstellungen wie z.B. Ästhetik, Ethnologie, Eurozentrismus, Gender, Globalisierung und Hybridität, die jeweils zur Komparatistik in Bezug gesetzt werden. Gerade diese Beiträge, in denen es wirklich um komparatistische Fragestellungen geht, hätten durchaus auch länger sein dürfen und ausführlicher ihren Gegenstand behandeln können.

Die Teile E und F befassen sich dann mit den Ansätzen der literaturwissenschaftlichen Komparatistik und der Geschichte der Literaturkomparatistik. Auch hier fallen die Beitrage recht knapp aus: Jeweils drei bis vier Seiten werden für so wichtige Themen wie »Komparatistik als vergleichende kulturkritische Metatheorie« oder »Komparatistik als Brücke zwischen den Kulturen« aufgewendet. Aufschlussreich und breit gefächert sind diejenigen Kapitel, in denen relativ kurz – oft sind es nur eine oder zwei Seiten – Gründungstexte aus dem 18. und 19. sowie Klassiker der Literaturkomparatistik aus dem 20. Jahrhundert vorgestellt werden, darunter einschlägige Texte von Herder, Humboldt, Lessing, A.W. Schlegel, Mme. de Staël, aber auch von Stendhal und Vico, und aus dem 20. Jahrhundert u.a. von Adorno, Bloom, Curtius, Genette, Greenblatt, Jakobson, Sontag, Todorov und Wellek / Warren. Doch bieten die Texte nur einen sehr beschränkten Einblick in die jeweiligen Forschungsaspekte und -ergebnisse.

Das neunte Kapitel (I) mit nur sechs Seiten bietet einige Anschlüsse an die Biologie, Politik-, Wirtschafts-, Geschichts- und Rechtswissenschaften, während der letzte Teil (J) schließlich die Instrumente, Medien und Organisationen der literaturwissenschaftlichen Komparatistik zusammenfasst. Behandelt werden Anthologien, Bibliotheken, Bilder und Diagramme, Literaturgeschichten, Lexika, Netzseiten, Periodika, Verbände sowie Institute innerhalb und außerhalb des deutschsprachigen Raums.

Das Handbuch macht deutlich, wie schwierig es ist, ein so breites und komplexes Feld wie die Komparatistik auf nur 400 Seiten zu erfassen. Es muss notwendigerweise an vielen Stellen allgemein bleiben und eine Auswahl treffen, die nicht selten willkürlich scheint. Man hätte durchaus auch andere Grundlagentexte auswählen und andere Texte zu Klassikern der Literaturkomparatistik machen können. Entscheidend ist aber, was das Handbuch letztlich leistet, und das ist in erster Linie, einen Überblick über die vielfältigen Problemstellungen der komparatistischen Forschung zu geben. Auch wenn die Veröffentlichung dabei zu wenig ins Konkrete geht, erweist es sich als ein nützliches Kompendium, das zahlreiche Facetten beleuchtet und das thematisch und historisch ein breites Spektrum abdeckt: Literaturhistorisch wird das Mittelalter einbezogen, die Gründungstexte gehen bis zu Johann Elias Schlegel zurück und die Präsentation der Grundlagentexte reicht bis zu relativ aktuellen Forschungsarbeiten von Harold Bloom, Stephen Greenblatt und Edward Said.

Die Leitlinie des Handbuches bildet die allgemeine Literaturwissenschaft, weniger die vergleichende, was die Besonderheit des Fachs etwas in den Hintergrund treten lässt. Das Handbuch ist eindeutig für die deutsche Komparatistik konzipiert und geschrieben. Der Begriff ›Interkulturalität‹ wird nur beiläufig bei der Methode des Vergleichs erwähnt, sie konstituiert aber kein eigenes komparatistisches Arbeitsfeld und wird auch bei den Problemkonstellationen nicht eigens behandelt. Begriffe wie ›Heterotopie‹ und ›Differenz‹, Methoden wie der ›Umweg‹ über eine andere Kultur, der »Ortswechsel des Denkens« oder die »Dekonstruktion von außen« (Jullien 2002: 176) finden keinerlei Berücksichtigung. Auch einen Verweis auf das Gebiet der Fremdheitsforschung sucht man vergeblich. Es wäre an der Zeit, ein weiteres Handbuch zu konzipieren, das den Vergleich in den Mittelpunkt der Komparatistik stellt und die Methoden der Dialoge und Umwege vorstellt, um, wie es Jullien einmal formuliert hat, »das Denken den Ort wechseln zu lassen« mit dem Ziel, »andere Arten von Intelligibilität zu berücksichtigen« (Jullien 2002: 84) und schließlich durch einen ›Umkehreffekt‹ die Ausgangsbedingungen der allgemeinen Literaturwissenschaft zu hinterfragen, die den Vergleich in der Literaturkomparatistik immer noch erschweren.

Arne Klawitter

Literatur

Jullien, François (2002): Der Umweg über China. Ein Ortswechsel des Denkens. Berlin.

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