»From my difficult Russian into pedantic English«1
Vladimir Nabokov und sein Sprachwechsel
AbstractAfter a short presentation of Vladimir Nabokov’s language-biography, the article traces the path of his language transition. Self-translations, lepidopterological studies, and Nabokov’s autobiographical writings are considered as language- and style-forming steps in the development of his English-language virtuosity. The ways in which Nabokov’s literary writings in his new language were influenced by his native language (Russian) are highlighted through the example of two techniques, translation and linguistic games.
Title:»From my Difficult Russian into Pedantic English«. Vladimir Nabokov and his Language Transition
Keywords:Nabokov, Vladimir (1899-1977); language transition; autobiographical writing; translation; linguistic games
1. »Weil ich seit meiner Kindheit Englisch und Französisch perfekt beherrsche«: Zu Nabokovs Sprachbiografie
Vladimir Nabokov wurde am 23. April 1899 in St. Petersburg geboren und wuchs mit seinen vier jüngeren Geschwistern in einer wohlhabenden und gebildeten Aristokratenfamilie auf. Von Kind an bewegte er sich in einer mehrsprachigen Umgebung: Man sprach neben Russisch auch Französisch, und die ersten Gouvernanten kamen aus England, was zur Folge hatte, dass der künftige Schriftsteller Englisch früher lesen lernte als Russisch (vgl. Nabokov 1966: 79). Beide Eltern legten großen Wert darauf, den Kindern die englische Literatur nahezubringen. »In the drawing room of our country house, before going to bed, I would often be read to in English by my mother.« (Ebd.: 81) Diese Selbstzeugnisse aus Nabokovs autobiografischem Roman Speak, Memory zeigen, dass er mit Englisch von Kind an nicht nur vertraut war, sondern dass Englisch als Bildungssprache gegenüber dem Russischen als Kommunikationssprache einige Zeit bevorzugt wurde: »During one of his short stays with us in the country that summer, he [der Vater] ascertained, with patriotic dismay, that my brother and I could read and write English but not Russian (except KAKAO and MAMA).« (Ebd.: 28) Die englische Phase wurde von der französischen abgelöst, und rückblickend beschwor Nabokov »eine gewisse französische Tradition« im alten Russland:
[I]n diesem Rußland gab es nicht nur das Französisch, das von Hauslehrerinnen wie Mademoiselle gelehrt wurde, sondern auch eine gewisse französische Tradition, ein Alltagsfranzösisch, das man sich unmittelbar vom Vater auf den Sohn weitergab. Das war Teil unserer Tradition. In erster Linie waren dies eine Reihe französischer Wörter und Sätze, die sich in die russische Konversation mischten (Nabokov 1995b: 500f.).
Über eine seiner französischen Gouvernanten, Mademoiselle Miauton, schrieb der Lolita-Autor 1936 die autobiografische Erzählung Mademoiselle O, sein erstes und einziges längeres, auf Französisch verfasstes Prosastück, sieht man von dem einige Jahre später entstandenen Essay über Puschkin ab. Der französischen Phase folgte die russische, denn die heranwachsenden Jungen sollten von russischen Privatlehrern auf die weiterbildenden Schulen vorbereitet werden. Mit elf Jahren wurde Vladimir Nabokov auf die Tenischew-Schule, eine der bekanntesten Bildungseinrichtungen St. Petersburgs, geschickt, um seinen fortdauernden Privatunterricht zu ergänzen. Seine Dreisprachigkeit war für den jungen Nabokov absolut natürlich, jedoch nicht für seine Schullehrer: »They accused me […] of ›showing off‹ (mainly by peppering my Russian papers with English and French terms, which came naturally to me)« (Nabokov 1966: 185). Diese Sprachkenntnisse erlaubten dem literaturinteressierten Jugendlichen die Lektüre der Klassiker der Weltliteratur im Original. Spätestens in Berlin, wohin Nabokov nach seinem Studium in Cambridge umsiedelte und wo er 15 Jahre lang lebte, lernte er Deutsch. Vermutlich war er bereits in Russland mit Deutsch in Berührung gekommen, denn seine Großmutter väterlicherseits, Maria, war Tochter von Baron Ferdinand von Korff, eines deutschen Generals in russischen Diensten (vgl. ebd.: 54). Nabokov stritt seine Deutschkenntnisse aber entschieden ab, was mit seinem angespannten Verhältnis zu Deutschland zusammenhing.
Sein erstes Gedicht schrieb Nabokov mit 15 Jahren. 1916, als er 17 war, erschien sein erster Gedichtband Стихи (Gedichte). Über die Sprachwahl für seine Dichtung sagte er Jahrzehnte später: »My medium happened to be Russian but could have been just as well Ukrainian, or Basic English, or Volapük.« (Ebd.: 217) In den zwanziger Jahren avancierte Nabokov unter dem Namen Sirin zu einem der bekanntesten russischen Exilschriftsteller. »Bis Ende der dreißiger Jahre hatte er acht russische Romane und eine Novelle, zahlreiche Erzählungen, mehrere Dramen und hunderte Gedichte geschrieben.« (Balestrini 2009: 2) In die Geschichte der Weltliteratur ging Nabokov als Meister gleich zweier Literaturen ein, der russischen und der englischen, was jedoch mit vielen Anstrengungen und Schwierigkeiten verbunden war.
2. »Mehrfache Metamorphose, wie sie Schmetterlingen geläufig ist«: Nabokovs Sprachwechsel
Wie lässt sich erklären, dass Nabokov im Exil zunächst auf Russisch und erst Anfang 1940 auf Englisch schrieb? Was waren seine Motive, knapp zwanzig Jahre lang an Russisch als seiner Literatursprache festzuhalten und dann doch ins Englische zu wechseln? Wie verlief dieser Wechsel? Nachdem Nabokov bereits im ersten Semester im britischen Cambridge eine auf Englisch verfasste naturwissenschaftliche Arbeit über Lepidopteren der Krim und im November 1920 sein englischsprachiges Gedicht Home in der Universitätszeitschrift Trinity Magazine veröffentlicht hatte (vgl. Nabokov 1973: 5), hörte er plötzlich auf, auf Englisch zu schreiben und wandte sich dem Russischen zu. In Speak, Memory bekennt er: »The story of my college years in England is really the story of my trying to become a Russian writer.« (Nabokov 1966: 261) Dieser Versuch steht zweifelsohne im Zusammenhang mit dem rauen und fremden Alltag am Trinity College, mit Sehnsucht und Einsamkeit des jungen Studenten und nicht zuletzt mit der Sympathie seiner Kommilitonen, liberaler Engländer, dem Leninismus gegenüber. Seine Beweggründe, sich dem Russischen zuzuwenden, erklärt Nabokov folgenderweise:
My fear of losing or corrupting, through alien influence, the only thing I had salvaged from Russia – her language – became positively morbid and considerably more harassing than the fear I was to experience two decades later of my never being able to bring my English prose anywhere close to the level of my Russian. (Ebd.: 265)
Hängt Nabokovs Zuwendung zum Russischen bzw. die im Zitat beschriebene Angst nicht mit dem Umzug seiner Familie aus England nach Berlin zusammen? Diese Trennung, bedingt durch finanzielle Knappheit im kostspieligen London, musste die Erinnerungen an die verlassene Heimat wecken, sodass der junge Student die russische Sprache um jeden Preis bewahren wollte. Antiquarisch erwarb er ein Exemplar von Vladimir Dahls Erklärendem Wörterbuch der lebenden russischen Sprache in vier Bänden:
I bought it and resolved to read at least ten pages per day, jotting down such words and expressions as might especially please me, and I kept this up for a considerable time. […] I used to sit up far into the night, surrounded by an almost Quixotic accumulation of unwieldy volumes, and make polished and rather sterile Russian poems not so much out of the live cells of some compelling emotion as around a vivid term or a verbal image that I wanted to use for its own sake. (Ebd.: 265f.)
In der russischen Sprache wähnt sich Nabokov zu Hause und verbindet sie mit seiner Familie, insbesondere mit seinem Vater. Ist es nicht auffällig, dass die literarische Produktion Nabokovs auf Russisch nach dem tragischen Tod seines Vaters im März 1922 bei einem Attentat auf Pawel Miljukow beinahe explodiert? Das Loslassen vom Russischen bzw. der Wechsel zum Englischen fällt dagegen mit dem Tod seiner Mutter Anfang Mai 1939 zusammen. 1939 / 1940 schreibt er seinen ersten englischen Roman, The Real Life of Sebastian Knight. Mit dem Wechsel in die englische Sprache ging die Erkenntnis einher, den eigenen individuellen Stil, den »persönlichen Dialekt«, den Nabokov sich in der russischen Sprache angeeignet hatte, zu verlieren, und die Angst, sich der »Schablonen« bedienen zu müssen:
Als ich mich 1940 entschloß, in die englische Sprache überzuwechseln, bestand mein Unglück darin, daß ich vorher schon mehr als fünfzehn Jahre lang auf russisch geschrieben und mein Werkzeug, mein Medium bereits geprägt hatte. Als ich dann in die andere Sprache wechselte, sagte ich mich damit nicht von der Sprache Awwakums, Puschkins, Tolstojs los – oder Iwanows, meiner Njanja, der russischen Publizistik –, mit einem Wort, nicht von der allgemeinen Sprache, sondern von deren individuellem, ganz persönlichem Dialekt. Die langjährige Gewohnheit, sich auf eigene Art auszudrücken, gestattete es nicht, sich in der neuen Sprache mit Schablonen zufriedenzugeben – und die ungeheuren Schwierigkeiten der bevorstehenden Veränderung, das Entsetzen vor der Trennung von einem lebendigen, zahmen Wesen versetzten mich zunächst in einen Zustand, über den sich auszubreiten hier nicht nötig ist; ich will nur sagen, daß vor mir kein Schriftsteller eines bestimmten Niveaus derartiges durchgemacht hat. (Nabokov 1995a: 447f.)
Seinen Sprachwechsel verglich Nabokov mit dem von Conrad, den er sehr schätzte, verwies aber auf den zentralen Unterschied zwischen ihnen: Conrad hinterließ in der polnischen Literatur »keinerlei Spur«, wogegen Nabokov einen Spurwechsel unternahm und sich dem Vergleich zwischen der Fahrt in der alten und der neuen »Spur« permanent stellen musste.
Weil ich seit meiner Kindheit Englisch und Französisch perfekt beherrsche, wechselte ich für die Bedürfnisse des Schreibens problemlos von der russischen in die Fremdsprache, als wäre ich, sagen wir, Joseph Conrad, der, bevor er auf englisch zu schreiben anfing, keinerlei Spur in seiner Heimatliteratur (der polnischen) hinterlassen hatte, der sich aber in der gewählten Sprache (Englisch) gekonnt der fertigen Formeln bediente. (Ebd.: 447)
Sein 1941 in den USA erschienener Debütroman The Real Life of Sebastian Knight brachte Nabokov Anerkennung als englischer Autor und großes Lob für seinen Stil. Im Brief vom 20. Oktober 1941 schrieb Edmund Wilson, der Literaturkritiker und Freund Nabokovs:
I’ve just read Sebastian Knight […] and it’s absolutely enchanting. It’s amazing that you should write such fine English prose and not sound like any other English writer, but be able to do your own kind of thing so subtly and completely. […] It is all on a high poetic level, and you have succeeded in being a first-rate poet in English. (Nabokov /Wilson 1979: 49)
1940 beginnt Nabokov noch einen russischen Roman, Solus Rex. Dieser bleibt jedoch unvollendet. Mit dem Tod der Mutter und angesichts der verzweifelten Lage – seit 1937 fand der junge Familienvater keine Beschäftigung im westeuropäischen Literaturbetrieb – gibt er Russisch als Literatursprache auf. In einem Interview aus dem Jahr 1965 antwortete Nabokov auf die Frage, wie er begann, auf Englisch zu schreiben, Folgendes:
I had started rather sporadically to compose in English a few years before migrating to America […]. In the late thirties, when living in Germany and France, I had translated two of my Russian books into English and had written my first straight English novel, the one about Sebastian Knight. Then, in America, I stopped writing in my native tongue altogether except for an occasional poem which, incidentally, caused my Russian poetry to improve rather oddly in urgency and concentration. My complete switch from Russian prose to English prose was exceedingly painful – like learning anew to handle things after losing seven or eight fingers in an explosion. (Nabokov 1973: 54)
Bei den selbstübersetzten Romanen handelt es sich um Камера Обскура und Отчаяние. Nabokov ignoriert Winfried Roys englische Übersetzung, die 1936 als Camera Obscura herauskam. In der Selbstübersetzung schrieb er den Roman teilweise um und veröffentlichte ihn 1938 unter dem neuen Titel Laughter in the Dark. 1937 arbeitete Nabokov an der englischen Übersetzung seines Romans Отчаяние, der allerdings erst 1965 unter dem Titel Despair erschien. Dass in den Selbstübersetzungen Änderungen, Ergänzungen und Modifikationen vorgenommen wurden, kann kaum verwundern. Besonders deutlich wird dies am autobiografischen Roman Speak, Memory, der in vier Versionen vorliegt.2 Über die Arbeit an der englischen Ausgabe 1966 sagte Nabokov in seinem Vorwort:
For the present, final, edition of Speak, Memory I have not only introduced basic changes and copious additions into the initial English text, but have availed myself of the corrections I made while turning it into Russian. This re-Englishing of a Russian re-version of what had been an English re-telling of Russian memories in the first place, proved to be a diabolical task (Nabokov 1966: 12f.).
Dass Vladimir Nabokov als Meister von zwei Literaturen in die Literaturgeschichte einging, dass er trotz seiner Befürchtungen, sich mit seiner englischen Prosa dem Niveau der russischen nicht angleichen zu können, Virtuosität in der englischen Sprache erreichen konnte, ist neben den Selbstübersetzungen seinen lepidopterologischen Studien zu verdanken. Über den Einfluss seiner Arbeit an einem wissenschaftlichen Artikel über den Bläuling auf die Entwicklung seiner englischen Literatursprache schrieb Nabokov an Wilson am 28. November 1943: »The labour involved has been immense; […] I have dissected and drawn the genitalia of 360 speciments and unraveled taxonomic adventures that read like a novel. This has been a wonderful bit of training in the use of our (if I may say so) wise, precise, plastic, beautiful English language.« (Nabokov / Wilson 1979: 116)
Auch in einem der letzten Kapitel des Romans Ada scheint Nabokov die Bedeutung seiner naturwissenschaftlichen Publikationen zu offenbaren, indem er Van folgende Erkenntnis zuschreibt:
[I]t suddenly occurred to our old polemicist that all his published works – even the extremely abstruse and specialized Suicide and Sanity (1912), Compitalia (1921), and When an Alienist Cannot Sleep (1932), to cite only a few – were not epistemic tasks set to himself by a savant, but buoyant and bellicose exercises in literary style. (Nabokov 1969: 578)
Als heitere und kriegslüsterne Stilübungen in der englischen Sprache betrachtet Nabokov also seine lepidopterologischen Aufsätze. Neben der Übersetzungsarbeit schulten diese sein literarisches Schreiben, denn als Entomologe war er sich seines Stoffes sicher und konnte sich auf die englische Sprache konzentrieren. Dass Nabokov ein besonders geschultes Auge hatte und diese Beobachtungsgabe sich in seinem literarischen Stil niederschlug, stellt man schon nach ein paar Seiten Lektüre fest. Auf die Frage nach der Verbindung zwischen seiner Schmetterlingsforschung und seiner literarischen Tätigkeit antwortete Nabokov: »There is a general way, because I think that in a work of art there is a kind of merging between the two things, between the precision of poetry and the excitement of pure science.« (Nabokov 1973: 10) Entomologische Studien und wissenschaftliche Beiträge des Lolita-Autors hinterließen eine unverkennbare Spur in seinem literarischen Schreiben: Nicht Handlung, sondern Beschreibung, Ausführlichkeit und Genauigkeit der Schilderung, Detailverliebtheit und Differenziertheit, Gelehrtheit und Komplexität kennzeichnen Nabokovs Stil, der auch Verspieltheit, Witz und Ironie nicht missen lässt.
3. Techniken des mehrsprachigen Schreibens bei Nabokov
Wie schreibt ein Sprachwechsler bzw. ein zwei- oder mehrsprachiger Autor? Wie zeigen sich in der Sprache des literarischen Werkes andere dem Autor zur Verfügung stehende Sprachen? Dass in der neuen Literatursprache des Sprachwechslers die Erstsprache und -kultur präsent / inkorporiert ist, leuchtet ein, doch wie sich dies konkret in literarischen Werken äußert, wurde selten untersucht. Anzunehmen ist, dass die neue Sprache des Sprachwechslers sich über seine Erstsprache legt, wodurch beide Sprachstrukturen und -systeme permanent verglichen und Überlappungen, Überschneidungen, Verschränkungen sichtbar werden. Diese meistens unterbewusste kognitive Spracharbeit verleitet den Autor zu Spielereien mit Wörtern und Sprachen, die sich mitunter als Stilübungen gestalten mögen, jedoch auch einen neuen Geltungsbereich zu etablieren scheinen, der insbesondere durch Kontakt und Zusammenspiel zweier oder mehrerer Sprachen geprägt ist. Im Folgenden werden zwei von Nabokov besonders häufig und besonders kreativ verwendete Techniken – Übersetzung und Sprachspiel – anhand des Romans Ada or Ardor vorgestellt und analysiert.
3.1 Übersetzung
Vladimir Nabokov war bei weitem nicht der erste Autor, der Übersetzungen seiner eigenen Werke ins Englische oder später ins Russische anfertigte. Er gehört jedoch zu denjenigen Autoren, für die die übersetzerische Tätigkeit zum Meilenstein in ihrer schriftstellerischen Entwicklung geworden war. Hierzu wären Namen wie Rainer Maria Rilke, Stefan George, Ernst Weiß u.a. zu nennen. Auch Nabokov begann sehr früh mit Übersetzungen. Bereits mit elf Jahren übertrug er die Erzählung Der Reiter ohne Kopf von Mayne Reid ins Französische, und zwar nicht in Prosa, sondern in Alexandrinern (vgl. Balestrini 2009: 27). Er übersetzte aus dem Englischen und Französischen ins Russische und aus dem Russischen in diese zwei Sprachen. Bereits 1941 schrieb Wilson über das Talent Nabokovs als Übersetzer: »You’ve got the compression and energy of the language which is what the translators usually don’t get.« (Nabokov / Wilson 1979: 42)
Die Selbstübersetzung des autobiografischen Romans Speak, Memory hat sich auf seine schriftstellerische Arbeit, aber auch auf die Historisierung seiner eigenen Vergangenheit, die Archivierung seines Gedächtnisses ausgewirkt. Es kann kaum verwundern, dass Nabokov von einem Literaturübersetzer zu einem nicht unumstrittenen Übersetzungstheoretiker avancierte, der mit seinen radikalen Ansichten und der Prosaübersetzung von Puschkins Eugen Onegin einen Diskurs eröffnete. Als Verfechter einer worttreuen Übersetzung schrieb Nabokov einen Kommentar zu seiner Prosaübersetzung, der fünfmal umfangreicher ist als der übersetzte Text selbst. Über ein Jahrzehnt arbeitete er an diesem Philologenunternehmen und beschrieb Zeile für Zeile all die Anspielungen, historischen Hintergründe und poetischen Beziehungen im Werk Puschkins. In Nabokovs literarischem Werk nimmt Übersetzung als Thema und Motiv einen großen Raum ein und avanciert zu einer der Techniken des mehrsprachigen Schreibens, was sich vor allem in der Parallelität der Sprachen niederschlägt.
Parallelität des Russischen im Englischen und seine Funktion
Anders als französische Einsprengsel3, die weder übersetzt noch kommentiert werden, begleitet Nabokov russische Textstellen in seinen englischen Werken immer mit englischer Übersetzung bzw. Erläuterung. Dies dient jedoch nicht nur dem Verständnis der russischen Textstellen und der Erklärung von Realien, die so in einem anderen Kulturkontext nicht geläufig sind, sondern auch der Hervorbringung eines für die englische Sprache neuen Laut- und Klangbildes. Dies sei an zwei Beispielen aus dem Roman Ada veranschaulicht:
(1) Her poor little letters from the homes of madness to her husband were sometimes signed: Madame Shchemyashchikh-Zvukov (»Heart rending-Sounds«). (Nabokov 1969: 20)
(2) She developed a morbid sensitivity to the language of tap Water […] she felt tickled at the thought that she, poor Aqua, had accidentally hit upon such a simple method of recording and transmitting speech […] that were to replace those that had gone k chertyam sobach’im (Russian »to the devil« ) with the banning of an unmentionable »lammer«. (Ebd.: 23)
Diese Beispiele beziehen sich inhaltlich auf Aqua, die unter einer Geisteskrankheit leidet und in einem Heim wohnt. In beiden Beispielen wird der russische Ausdruck in der englischen Übersetzung wiedergegeben, sodass der Leser keine Verständnisschwierigkeiten hat. Dabei lässt sich beobachten, dass der Autor seinen Leser auf fremde Worte vorbereitet. Im ersten Satz wird durch Alliterationen in »little letters« und »sometimes signed« auf den wehmütigen Klang des Namens eingestimmt, mit dem Aqua ihre Briefe unterzeichnet. Darüber hinaus führt die Formulierung »poor little letters« den Leser auf den noch fremden, unleserlichen und unaussprechlichen Namen hin, der dann in der englischen Übersetzung aufgelöst wird.
Im zweiten Beispiel wird der Leser schon eine halbe Seite vor der Verwendung des russischen Ausdrucks durch Aquas »krankhafte Sensibilität für die Sprache von fließenden Hähnen« auf das Thema Sprache gelenkt. Die von Aqua entdeckte Methode »of recording and transmitting speech« fokussiert weiterhin das Thema Sprache, bis der Leser schließlich in der russischen Formulierung »k chertyam sobach’im«, insbesondere durch die drei darin enthaltenen Zischlaute, mit einer ihm fremden Sprache konfrontiert wird. Zwar folgt der russischen Redewendung unmittelbar die englische Übersetzung in Klammern, jedoch geht es an dieser Stelle weniger um das Verständnis als vielmehr um das Erlebnis der Sprachen bzw. des Klanges. Das Verfahren Nabokovs, seinen Leser in der englischen Sprache das Russische durch Beschreibungen des Klangs erleben zu lassen, scheint zu einem seiner Lieblingskunstgriffe zu gehören. Dabei zeigt sich, dass russischen Passagen häufig eine rhythmus- bzw. melodiebildende Funktion auf der Ebene der Prosodie zukommt, wie im folgenden Beispiel: »›Nehoroshaya, nehoroshaya sobaka,‹ crooned Ada with great aspiratory and sibilatory emphasis as she gathered into her arms the now lootless, but completely unabashed, ›bad dog‹.« (Ebd.: 69)
Die englische Übersetzung der russischen Sequenz erscheint erst am Ende des Satzes, zum einen, um die Melodie nicht zu stören, zum anderen, um die Aufmerksamkeit des Lesers für das Nachempfinden der russischen Stelle in der Beschreibung des Klangs, »with great aspiratory and sibilatory emphasis«, zu lenken. Neben der rhythmus- und melodiebildenden Funktion, insbesondere wenn die russische Sequenz eine Wortwiederholung enthält, scheinen russische Textstellen und ihre englischen Übersetzungen häufig eine veranschaulichende bzw. verdeutlichende Funktion aufzuweisen.
Übersetzung als Thema und Motiv
Darüber hinaus etablierte sich die Übersetzung zu einem der wichtigsten Motive Nabokovs, die mit Sprache, Sprachwechsel und Mehrsprachigkeit zusammenhängen und zum Vehikel des literarischen Schreibens werden, was im Folgenden an einem Beispiel aus dem Roman Ada illustriert wird. Im zehnten Kapitel des ersten Teils werden nicht nur Übersetzen, literarisches Missverstehen und Fehlinterpretieren thematisiert, sondern der Autor spannt den Bogen von Tolstoi zu Rimbaud, wodurch beide Sprachen – Russisch und Französisch – und das Motiv des Übersetzens eingeführt werden.
›As in the case of many flowers,‹ Ada went on, with a mad scholar’s quiet smile, ›the unfortunate French name of our plant, souci d’eau, has been traduced or shall we say transfigured –‹
›Flowers into bloomers,‹ punned Van Veen.
›Je vous en prie, mes enfants!‹ put in Marina, who had been following the conversation with difficulty and now, through a secondary misunderstanding, thought the reference was to the undergarment. (Ebd.: 63f.)
Ada doziert über die Namen der Sumpfdotterblume in verschiedenen Sprachen und empört sich über ihre falsche Übersetzung, die im Französischen sogar »transfigured«, verunstaltet, wird. Um ihren Gedanken auf den Punkt zu bringen, kalauerte Van »Flowers into bloomers«. Durch die Mehrdeutigkeit des Wortes »bloomer« – »Blüte«, »Stilblüte« und »grober Fehler« – wird die von Ada beklagte »transfiguration« veranschaulicht. Marina missversteht dieses Wortspiel, denn sie dachte »the reference was to the undergarment«. Dass Marina an Unterwäsche denkt, hängt mit der von Amelia Bloomer, einer amerikanischen Frauenrechtlerin, erfundenen Pluderhose zusammen, die Frauen mehr Bewegungsfreiheit erlauben sollte. Das nach Bloomer genannte Kleidungsstück ist ein Homonym zu »bloomer« und wird von Nabokov zur Erzeugung des Wortspiels und Sprachwitzes verwendet. Dadurch leitet er zu einer weiteren Verunstaltung über, einer Missbildung von Rimbauds Gedicht Mémoire in der englischen Übersetzung, die von Ada beklagt wird:
[O]ur learned governess, who was also yours, Van, and who […] drew my attention – my wavering attention – to some really gorgeous bloomers, as you call them, Van, in a Mr. Fowlie’s soi-disant literal version – called ›sensitive‹ in a recent Elsian rave – sensitive! – of Mémoire, a poem by Rimbaud (which she fortunately – and farsightedly – made me learn by heart […]) (ebd.: 64).
Nabokov verhöhnt Wallace Fowlies4 wörtliche Übersetzung von Rimbauds Gedichten ins Englische, die offensichtlich positive Kritiken erhielten, indem er ihr »some really gorgeous bloomers« zuschreibt, auf die Ada von ihrer Gouvernante aufmerksam gemacht wurde.
Als Van Rimbaud im Original zitiert, »les robes vertes et déteintes des fillettes«, fährt Ada mit Fowlies Übersetzungsschnitzern fort:
– the nuance of willows, and counting the little sheep on her ciel de lit which Fowlie turns into ›the sky’s bed‹; instead of ›bed ceiler.‹ But, to go back to our poor flower. The forged louis d’or in that collection of fouled French is the transformation of souci d’eau (our marsh marigold) into the asinine ›care of the water‹ – although he had at his disposal dozens of synonyms, such as mollyblob, marybud, maybubble, and many other nick-names associated with fertility feasts, whatever those are. (Ebd.: 64f.)
In diesem Zitat scheint das Leitmotiv nicht nur des ganzen Kapitels, sondern des gesamten Romans verschlüsselt zu sein. Dieses verbirgt sich hinter den Farben. Die im zweiten Teil des Zitats genannten Blumennamen, wie auch im gesamten botanischen Exkurs Adas, sind Variationen der fremdsprachigen Namen für die Pflanze Caltha palustris, deren Blüten glänzend gelb sind. Die Farbe Gelb korrespondiert mit Blau, das bei Rimbaud sehr explizit erwähnt wird – »ayant le ciel bleu pour ciel-de-lit« –, während Ada Fowlies Übersetzungsfehler akzentuiert, wodurch die Aufmerksamkeit des Lesers auf das französische Original und das gesamte Gedicht gelenkt wird. Die hier angesprochene Farbkombination kulminiert leitmotivisch im 31. Kapitel des Romans: Das englische »yellow-blue« stellt ein Homophon des russischen »я люблю« (ich liebe) dar. Somit deutet Nabokov bereits zu Beginn des Romans, in einem der ersten Gespräche zwischen Ada und Van, die verbotene Liebe der Geschwister an.
3.2 Sprachspiel
Nabokovs Sprachspiele weisen eine Dynamik auf: In der Anfangsphase seines literarischen Sprachwechsels sind sie besonders verbreitet und oft plakativ verwendet, während in späteren Werken Wortspiele zwar seltener vorkommen, dafür jedoch ausgefallener und raffinierter sind. Eine der Erklärungen für diese Beobachtung könnte Sprachneuheit sein, die den Moment des Entdeckens, Staunens sowie der Faszination und Erschütterung beinhaltet. Dadurch eröffnet sich für einen Autor, der seine literarische Sprache wechselt, eine Goldgrube an stilistischen Möglichkeiten, die auf das Spiel mit Sprachen zurückgehen. Solange sich eine vollkommene Vertrautheit mit der neuen Sprache nicht einstellt, die eine Voraussetzung für den Sprachautomatismus bildet, konstituiert sich der Schreibprozess eines Sprachwechslers aus zwei Sprachen, die in einem dynamischen Hierarchieverhältnis zueinander stehen. Die Selbstverständlichkeit der Sprache ist nicht gegeben und das Neue wird unterbewusst mit dem bereits abgespeicherten System der Muttersprache abgeglichen. Auf der phonetischen Ebene beispielsweise hallt das fremdsprachige Wort in das vorhandene muttersprachliche Lautbild hinein, weil man bemüht ist, das Vertraute wiederzuerkennen. Wenn die Andersdeutigkeit des homophonen Wortes aufgegriffen und als Stilmittel verwendet wird, bekommt das Wort einen doppelten Boden: Bedeutungen in beiden Sprachen treten in Bezug zueinander, überlagern und verdichten sich bzw. entlarven und karikieren einander. Das Spiel mit Wörtern und ihren Bedeutungen avanciert bei Nabokov zu einem seiner unverkennbaren Stilmittel. Dies sei am folgenden Beispiel veranschaulicht.
In einem Brief an Wilson schreibt Nabokov: »My pigeon-English is developing feathered feet and a primadonna’s bosom.« (Nabokov / Wilson 1979: 96) In einem früheren Brief aus dem Jahr 1941 findet sich ein russisches Zitat mit dem gleichen Motiv: »Крепко жму вашу руку; кажется, скоро разучусь писать по-русски, такъ много пишу на своемъ ›пиджин‹’е.« (Ebd.: 39) Im russischen Zitat kann das Wort »пиджин«, das als Kauderwelsch verstanden wird, kaum das Spiel der Mehrdeutigkeiten im englischen Satz wiedergeben. Die Schreibweise »Pigeon-Englisch« überrascht insofern, als man die Schreibweise »Pidgin« erwartet und stattdessen das gleichklingende Wort »pigeon« (Taube) sieht. Nabokov scheint diese Bedeutungen absichtlich überlagern zu wollen und nimmt im zweiten Teil des Zitats auf beide Bezug: Während »pigeon« mit »gefiederte[n] Füße[n]« und »-busen« korrespondiert, lässt sich der beschriebene Fortschritt des Autors im Englischen – »entwickelt allmählich«, »Primadonnen-« – auf »Pidgin« beziehen. Nabokov ging es allerdings nicht um eine bloße Überlagerung dieser zwei Bedeutungen, sondern um eine Aussage, die er darin verschlüsselt. Mit dem »Tauben«-Englisch, das »gefiederte Füße und einen Primadonnenbusen« entwickelt, rekurriert er auf sein literarisches Schreiben in russischer Sprache, und zwar unter dem Pseudonym Sirin. Dieser Name leitet sich vom lateinischen Wort Sirene ab, einer Sagengestalt, die in der russischen Folklore mit Kopf und Brust einer schönen Frau dargestellt wird. Indem Nabokov auf seine Fortschritte im Englischen verweist, gibt er ein Selbstzeugnis von der Qualität seines literarischen Schreibens in der neuen Sprache, und zwar dahingehend, dass es sich seiner literarischen Produktion in der russischen Sprache annähert.
Während dem obigen Beispiel das englische Homophonenpaar »Pidgin«-»pigeon« zugrunde liegt, verwendet Nabokov im Titel seines letzten Romans Ada or Ardor: A Family Chronicle ein Homophonenpaar, dessen Teile englischer und russischer Sprache angehören. Die Bedeutung des englischen Wortes »ardor« – Glut, Inbrunst – avanciert zur Eigenschaft Adas, da ihr Name in der Aussprache ihrer Mutter in Vans Ohren mit dem Klang des englischen »ardor« gleichgesetzt wird: »›Presently Ada will show you all the rooms in the house. Ada?‹ (She pronounced it the Russian way with two deep, dark ›a‹s, making it sound rather like ›ardor.‹)« (Nabokov 1969: 39) Durch den Gleichklang des Namens Ada (der im Roman auf das russische Wort »ад«, die Hölle, verweist) und des englischen Wortes »ardor« exponiert der Autor ein homophones interlinguales Paar und somit die seinen Text konstituierende Mehrsprachigkeit.
Das Wortspiel ist eine komprimierte, subtile Dokumentation eines komplexen, oft kritischen, entlarvenden oder witzigen Gedankenganges oder Sachverhaltes. Wenn das Geheimnis des Wortspiels in der Qualität der gegenübergestellten Bedeutungen und ihrer Entfernung voneinander bestehen soll, so ist das Spiel mit gleichen Wörtern verschiedener Sprachen eine Goldgrube für mehrsprachige Autoren. Nabokovs Sprachsensibilität wurde darüber hinaus durch »einen Aspekt einer weitverbreiteten Strömung in der Literatur der russischen Moderne« potenziert, worauf Simon Karlinsky treffend hinwies:
Ein Interesse an der Paronomasie, an der Entdeckung bis dahin unerkannter Beziehungen zwischen den semantischen und phonetischen Aspekten der Sprache, und zwar nicht zum Zweck des Spiels mit Worten, sondern um verborgene neue Bedeutungen zu enthüllen, bildete eine Grundlage der Prosa von Remisow, Belyj und anderen russischen Symbolisten. (Karlinsky 1995: 60)
Diese Reihe kann mit Nabokov fortgesetzt werden, und dies sei auf der Ebene des Buchstabenspiels, des Anagramms, veranschaulicht. Hierzu seien zunächst zwei längere Passagen aus Ada zitiert. Bei seinem ersten Besuch auf Ardis Hall erinnert sich Van beim Anblick von Marina und ihrer elfjährigen Tochter Ada an seine erste Begegnung mit Marina:
Some ten years ago, not long before or after his fourth birthday, and toward the end of his mother’s long stay in a sanatorium, »Aunt« Marina had swooped upon him in a public park where there were pheasants in a big cage. She advised his nurse to mind her own business and took him to a booth near the band shell where she bought him an emerald stick of peppermint candy and told him that if his father wished she would replace his mother and that you could not feed the birds without Lady Amherst’s permission, or so he understood. (Nabokov 1969: 37)
Zehn Jahre später betrachtet Van beim Teetrinken auf Ardis Hall Marinas Porträt:
Marina’s portrait, a rather good oil by Tresham, hanging above her on the wall, showed her wearing the picture hat she had used for the rehearsal of a Hunting Scene ten years ago, romantically brimmed, with a rainbow wing and a great drooping plume of black-banded silver; and Van, as he recalled the cage in the park and his mother somewhere in a cage of her own, experienced an odd sense of mystery as if the commentators of his destiny had gone into a huddle. (Ebd.: 38)
»A great drooping plume of black-banded silver« ruft bei Van Erinnerungen an »pheasants in a big cage« und an »his mother somewhere in a cage of her own« hervor. Dass diese Erinnerungen nachträglich aus der Perspektive eines gebildeten Mannes niedergeschrieben wurden, verraten zwei Details, die einem vier- bzw. vierzehnjährigen Kind unmöglich geläufig sein konnten: der Name »Lady Amherst«, ohne deren Erlaubnis man keine Vögel füttern durfte, und »Tresham«, der Maler von Marinas Porträt. Beide Namen weisen gleiche Buchstaben auf und sind durch ihre Umstellung, also durch das Anagrammieren, gebildet worden. Der gemeinsame Nenner in den beiden Erinnerungsepisoden ist der Käfig: einmal der Vogelkäfig und ein anderes Mal das Irrenhaus, in dem Vans Mutter eingesperrt ist. Warum verbindet der Erzähler Jahrzehnte später beide Erinnerungen durch das vermeintlich unwesentliche Detail, die überflüssigen Namen? Eine der möglichen Deutungen könnte sein, dass es nicht um die Namen des Malers und der Lady geht, sondern um das Verfahren des Anagrammierens, der Permutation. So wie die Buchstaben umgestellt werden, können auch Erinnerungen durcheinander geraten. Dadurch könnte Nabokov auf einen unzuverlässigen Erzähler und das Erzählte als Konstrukt des Gedächtnisses anspielen: »Memory met imagination halfway in the hammock of his boyhood’s dawns.« (Ebd.: 70) Das Anagramm veranschaulicht somit das Versatzstückhafte der Erinnerung und hebt jegliche Objektivität auf.
Bereits die wenigen hier vorgestellten Beispiele verdeutlichen, dass der sprachlichen Gestaltung von Nabokovs Werken eine besondere Aufmerksamkeit zuteilwerden muss, denn sein Schreiben konstituiert sich aus dem Changieren, Ineinanderwirken und gegenseitigen Inkorporieren der Sprachen. In die englische Sprache des Textes sind hauptsächlich russische und französische Einsprengsel sowie lateinische Fachbegriffe integriert, und zwar so, dass sie oft eine neue Bedeutungsebene eröffnen. Dadurch generiert Nabokov Wortspiele, Sprachwitz, Doppelbödigkeit, Mehrdeutigkeit, hintergründige Anspielungen und Codierungen, die eine Entschlüsselung verlangen. Die Herausforderung besteht darin, dass Nabokovs Verschlüsselungen häufig die Technik der Übersetzung zugrunde liegt, wodurch eine andere Sprache (meistens Russisch, aber auch Französisch, Italienisch, Latein, Griechisch u.a.) in die englische Sprache seines Werkes bedeutungsgenerierend hineinwirkt. Durch diese palimpsestähnliche Verschachtelung der Sprachen verleiht Nabokov seinen Werken einen besonderen ästhetischen Reiz.
Anmerkungen
1 | Dieses Zitat ist dem Vorwort des Autors in Strong Opinions (Nabokov 1973: xiii) entnommen.
2 | 1951: Conclusive Evidence, New York; 1951: Speak, Memory, New York; 1954: Drugije berega, New York; 1966: Speak, Memory, New York.
3 | Französische Einsprengsel gehen auf die Tradition des 19. Jahrhunderts zurück, als Französisch in den Kreisen des russischen Adels den Stand einer Bildungs- und Kultursprache genoss. Dies manifestiert sich u.a. darin, dass Nabokov französische Autoren im Original zitiert.
4 | Wallace Fowlie (1908-1998) war amerikanischer Schriftsteller und Literaturwissenschaftler.
Literatur
Balestrini, Nassim Winnie (2009): Vladimir Nabokovs Erzählwerk. Eine Einführung. Berlin.
Karlinsky, Simon (1995): Einleitung. Lieber Bunny, Lieber Volodya – oder Affinität einer Differenz. In: Vladimir Nabokov: Gesammelte Werke. Bd. XXIII: Briefwechsel mit Edmund Wilson. 1940-1971. Hg. v. Dieter E. Zimmer. Reinbek bei Hamburg, S. 17-69.
Nabokov, Vladimir (1951a): Conclusive Evidence. New York.
Ders. (1951b): Speak, Memory. New York.
Ders. (1954): Drugije Berega. New York.
Ders. (1966): Speak, Memory: An autobiography revisited. New York.
Ders. (1969): Ada or Ardor: A Family Chronicle. New York.
Ders. (1973): Strong opinions. New York.
Ders. (1995a): Anhang II. Textstellen, die in der russischen Fassung (Drugije berega, 1954) anders lauten oder nur in ihr stehen (deutsche Übersetzung von Katrin Finkemeier). In: Ders.: Gesammelte Werke. Bd. XXII: Erinnerung, sprich. Wiedersehen mit einer Autobiographie. Hg. v. Dieter E. Zimmer. Reinbek bei Hamburg, S. 447-491.
Ders. (1995b): Anhang III. Längere Passagen in der französischen Urfassung von Kapitel 5 (Mademoiselle O), die in den späteren Fassungen weggelassen wurden (deutsche Übersetzung von Christel Gersch). In: Ders.: Gesammelte Werke. Bd. XXII: Erinnerung, sprich. Wiedersehen mit einer Autobiographie. Hg. v. Dieter E. Zimmer. Reinbek bei Hamburg, S. 492-503.
Ders. / Wilson, Edmund (1979): The Nabokov-Wilson Letters. Correspondence between Vladimir Nabokov and Edmund Wilson 1940-1971. Hg. v. Simon Karlinsky. New York.