Editorial
Es ist seit Bestehen der Zeitschrift für interkulturelle Germanistik eines ihrer Anliegen, neben den literaturwissenschaftlichen in vergleichbarem Umfang auch linguistische und mediävistische Themenstellungen im Feld der Interkulturalität abzubilden. Das vorliegende Heft löst dieses Anliegen zwar nicht vollständig ein, es greift aber Aspekte aus allen drei Bereichen auf und ergänzt sie durch Arbeiten, die das Spektrum und Potential der Interkulturalitätsforschung exemplarisch widerspiegeln, indem Fragen aus dem Gebiet der Translationswissenschaft, der vergleichenden Literaturwissenschaft und der Tourismusforschung in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt werden.
Nach dem Vorbild des letzten Heftes kommt es mit dem »Beitrag zur Kulturtheorie und Theorie der Interkulturalität« und dem »Literarischen Essay« zu einer thematischen Zusammenführung. In ihrem Zentrum steht das Werk Franz Kafkas. Überraschenderweise ist es im Kontext der Interkulturalität bislang auf eine vergleichsweise zurückhaltende Resonanz gestoßen – ganz zu Unrecht, wie die 1917 entstandenen und im Rahmen des »Literarischen Essays« abgedruckten Texte Beim Bau der chinesischen Mauer und Ein altes Blatt auf eindrucksvolle Weise dokumentieren. Sie weisen bei entsprechender Lektüre eine geradezu bedrückende Aktualität auf und nehmen sich wie Glossen zu den globalen Migrationsbewegungen einerseits und zu den Absperrmaßnahmen andererseits aus, mit denen man weltweit auf diese Bewegungen reagiert. Auf der anderen Seite soll daran erinnert werden, dass wesentliche Impulse für die interkulturell orientierte Kafka-Forschung nicht etwa aus Europa oder Amerika, sondern aus Afrika hervorgegangen sind. Als eine Art Pionier-Arbeit darf dabei Simos Habilitationsvortrag Interkulturalität als Schreibweise und als Thema Franz Kafkas aus dem Jahre 1991 gelten. Er wird in dem vorliegenden Heft als »Beitrag zur Kulturtheorie und Theorie der Interkulturalität« vollständig abgedruckt.
Die Bedeutung der Interkulturalitätsforschung und das Interesse an ihr lassen sich allgemein an der Breite und Differenziertheit der wissenschaftlichen Literatur ablesen. Dass die ZiG in diesem Zusammenhang zu einem nachgefragten Diskussionsforum avanciert ist, verdeutlichen die zahlreichen Bucheinsendungen und Rezensionsangebote, die uns kontinuierlich erreichen. Die aktuelle Ausgabe hat diese Situation zum Anlass genommen, mehr Buchbesprechungen als sonst üblich zu publizieren, wobei nicht ausgeschlossen ist, dass auch in Zukunft an dieser Publikationspraxis festgehalten wird. Verlags- und Rezensionsangebote sind daher weiterhin ebenso willkommen wie Veröffentlichungsangebote für unsere »Aufsatz«-Rubrik.
Das kommende Heft wird sich turnusgemäß einem Schwerpunktthema widmen. Es lautet Vielfältige Konzepte – Konzepte der Vielfalt. Zur Theorie der Interkulturalität und wird von Renata Cornejo, Gesine Lenore Schiewer und Manfred Weinberg betreut.
Bayreuth und Esch-sur-Alzette im Mai 2017
Dieter Heimböckel, Georg Mein, Gesine Lenore Schiewer und Heinz Sieburg