Interkulturalität und Wissensproduktion
AbstractIntra-cultural interactions constitute a situation full of tensions wherein subject’s position and positioning are driven by self-evaluation and the expectation of recognition. These tensions gain in intensity and complexity in intercultural interactions. This makes non dialogic production of knowledge on others, and especially on other cultures, problematic. That is why the notion of cultural difference has been coined to put the emphasis not on the knowledge produced on self or on the other by one of the partners in the interaction but on the dialectical process of generating this knowledge which is therefore to be analyzed as the expression of a space of differences of differences.
Title:Interculturality and Knowledge Production
Keywords:interculturality; knowledge production; monological representation modus; cultural difference, transculturality; interaction; discourse production
Nach dem französischen Philosophen, Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Roland Barthes ist jede Porträtaufnahme ein Moment, in dem sich vier Phantasien, vier Vorstellungen kreuzen, in Streit miteinander geraten und sich deformieren. Der Fotografierte ist zugleich das, was er glaubt zu sein, und das, was er erwartet, dass andere in ihm sehen. Der Fotograf hat seine eigene Vorstellung von dem, was der Fotografierte ist, aber zugleich ist dieser für ihn ein »Motiv«, wodurch er sein Können, seine Kunst demonstrieren möchte (vgl. Barthes 1980: 29-31). Durch die Aufnahme möchte jeder Beteiligte seine eigene Vorstellung durchsetzen, sich nicht zum Objekt machen lassen, also Subjekt bleiben, derjenige bleiben, der bestimmt, was am Ende als Ergebnis herauskommt. Und dies erfolgt bei einem Darstellungsmodus, in dem das Medium transparent zu sein, in dem sich das Dargestellte einfach zu wiederholen scheint.
1. Interkulturelle Situationen: Objekte und Subjekte der Wissensproduktionen
Wenn schon hier die Beziehungen so komplex sind, wenn der Akt des Darstellens zu einer so spannungsvollen Szenerie wird, kann man sich vorstellen, dass sich das Verhältnis noch komplexer gestaltet, wenn es darum geht, das Dargestellte sprachlich zu artikulieren. Nicht ein Gerät der Wiederholung ist dann das Mittel, wodurch ein Sehenkönnen, ein Darstellenkönnen demonstriert wird, sondern ein Medium, die Sprache, die durch die Geschichte, durch die Gesellschaft vorstrukturiert ist, sodass hier zusätzlich zu den zwei Personen, die unmittelbar involviert sind, weitere Kräfte mitwirken, deren man sich nicht immer bewusst ist. Schon bei der Fotografie, bei der man den Eindruck hat, dass sich zwei Individuen begegnen, sind immer andere Instanzen mit am Werk, die dem Individuum Gewissheiten, Glaubenssätze, Skripte und Begriffe liefern, mit denen es das eigene Sein und das Sein der Anderen zu bestimmen versucht. »Obwohl nur zwei Hauptdarsteller auf der Bühne stehen, sind auch andere, nur dem Publikum sichtbare Spieler anwesend. Somit kann sich jeder Darsteller, indem er sich auf den anderen einstellt, zugleich auf einen unsichtbaren Dritten einstellen, als wäre dieser tatsächlich anwesend« (Strauss 1968: 58).
Die Situation, auf die Barthes anspielt, ist eine intrakulturelle Begegnung. Im Fall einer interkulturellen Beziehung ist das Verhältnis selbstverständlich noch komplexer. Aber das Grundmodell, das Barthes entwirft, bleibt. Es ist ein spannungsvolles Beziehungsgeflecht, das sich allein dadurch kristallisiert, dass ein Subjekt ein anderes Subjekt als Objekt der Darstellung nimmt, hier gar mit dessen Einverständnis. Daraus ergeben sich kognitive und emotionale Relationen sowie Machtprozesse, in denen Phantasien mobilisiert werden, die in Streit miteinander geraten und sich gegenseitig affizieren. Im interkulturellen Fall besteht selten das Einverständnis des Dargestellten. Aber vor dem Blick des Anderen spürt der Beobachtete, dass er hier gemustert wird, und schon entsteht die spannungsvolle Beziehung. Gerade in kolonialen und oft in postkolonialen Situationen ist der Dargestellte nicht informiert über die Medien, die Mittel und die Sprache, mit denen er erfasst werden soll, und befindet sich in einer Lage, in der sogar auch seine Bemühungen, ein gutes Bild von sich abzugeben, Objekt der Beobachtung sind und als Zeichen wahrgenommen werden, wodurch seine Eitelkeit dechiffriert wird. Bei Barthes kennt der Dargestellte die Strategien des Darstellers, er weiß auch, was aus der Darstellung wird, welche Funktion sie haben und welche Rezeption sie ermöglichen wird. In interkulturellen Relationen ist das ganz anders. Nehmen wir ein extremes Beispiel. Der Indio konnte sich nicht einmal vorstellen, dass die Herrschaften, die ihn beobachteten, ihre Beobachtung dazu nutzen würden, um sein Menschsein in dem berühmten Streit in Valladolid 1550 und 1551 zu bestimmen. Bei Barthes weiß der Dargestellte, dass sich die Absichten des Darstellers am Ende durchsetzen werden. Im interkulturellen Kontext, in dem der Dargestellte nicht einmal von der Medienlandschaft und den Techniken, mit denen die Aufmerksamkeit der Adressaten mobilisiert wird, informiert ist, setzen sich die Phantasien der Darsteller umso krasser durch, weil sich hier Darsteller und Dargestellte aus identifizierbaren sozialen Gruppen mit unterschiedlichem sozialem und kulturellem Kapital rekrutieren. In kolonialen und in den meisten postkolonialen Situationen können die Dargestellten ihre Phantasien nur in nichtsprachlichen Ausdrucksformen artikulieren, wie z.B. Revolte, Verweigerung der Mitarbeit, Mimikry, psychosomatische oder neurotische Reaktionen usw. Und diese Ausdrucksformen erscheinen umso irrationaler, als sie nicht begleitet werden durch einen systematischen Diskurs, der alles erklärt und legitimiert.
In Bezug auf solche neurotischen Formen möchte ich hier eine Erzählung von Franz Kafka vorstellen:
Der Neger, der von der Weltausstellung nachhause [sic!] gebracht wird und, irrsinnig geworden vom Heimweh, mitten in seinem Dorf unter dem Wehklagen des Stammes mit ernstestem Gesicht als Überlieferung und Pflicht die Späße aufführt, welche das europäische Publikum als Sitten und Gebräuche Afrikas entzückten. (Kafka 1994: 188)
Dieser Text steht in dem Oktavheft G (früher ›Drittes Oktavheft‹ genannt) unter dem Datum 17. Dezember 1917. Er wurde also geschrieben, viele Jahre bevor der Psychiater Frantz Fanon in den 1950er Jahren seine berühmten Analysen der kolonialen Neurosen und Psychosen verfasste. Manche Schriftsteller können Konstellationen viel früher als die Wissenschaftler erkennen. Es gibt aber keine Garantie, dass seine Leser ihn verstehen. Diese kurze Geschichte wird in der Kafka-Forschung als Parabel gedeutet. Erst der Schriftsteller Hubert Fichte hat sie als realistische Darstellung von historischen Fakten verstanden und sie in sein Lesebuch aufgenommen. Schon früher hat es Versuche der diskursiven Formulierung der Position und der Vorstellungen der Dargestellten gegeben, aber sie wurden kaum zur Kenntnis genommen. Erst seit einiger Zeit erhalten ›writing-backs‹ und die Selbstnarrationen der Marginalisierten eine gewisse Aufmerksamkeit.
Vor allem das Ergebnis des Darstellers steht also im Mittelpunkt der Rezeption. Seine Phantasien siegen über die Phantasien des Dargestellten, und zwar dank der schriftlichen Fixierung und der dadurch gegebenen Möglichkeit der Rezeption zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten, aber vor allem aufgrund des Funktionierens der Ökonomie der Aufmerksamkeit in einer asymmetrischen Welt. Daher sind auch die verschiedenen Gattungen und Wissensordnungen, zu denen diese Schriften gehören, bekannter: Reiseliteratur, Entdeckungsreisebeschreibungen, exotische und koloniale Romane, Theaterstücke und Gedichte, ethnographische oder ethnologische Abhandlungen usw. – und dies unabhängig von den Verhältnissen zur Zeit der Beobachtung. Georg Schweinfurth, Mungo Park, Réné Caillé und andere sind z.B. zu einer Zeit durch Afrika gereist, in der sie nicht mit der Unterstützung einer Kolonialmacht rechnen konnten. Trotzdem zittern wir uns mit ihnen durch die Seiten, auf denen sie ihr Leiden in so gefährlichen Gegenden erzählen, die Probleme darstellen, die sie mit Menschen hatten, welche mal naiv und nett, mal böswillig und hinterhältig waren, aber alle kein Verständnis für ihre wissenschaftliche Neugier hatten. Ihr Schreiben wird zum Denkmal für Pioniergeist, Mut und Opferbereitschaft. Das Schreiben ist so organisiert, dass der Leser nur die Perspektive des Erzählers einnehmen kann und sich mit ihm identifizieren muss. Ihre Informanten werden manchmal genannt, aber das, was sie zu vermitteln haben, braucht die Aufarbeitung und die Translation durch den Darsteller, um als Wissen zu gelten. Mungo Park arbeitete für The Association for Promoting the Discovery of the Interior Parts of Africa. Die anderen genannten Autoren arbeiteten auch für Auftraggeber in Europa, und diese hatten nicht nur wissenschaftliche Ziele. Erst das produzierte Wissen ermöglichte später die Kolonisation der Länder, die sie bereisten. Der Argwohn der Menschen in Afrika, ihre Ängste kann man im Nachhinein als durchaus begründet betrachten, aber in der Darstellung erscheinen sie nur als Ausdrücke des Fremdenhasses, der Unwissenheit und des Aberglaubens.
2. Kritische Auseinandersetzungen mit monologischen Darstellungsmodi
Erst in den letzten Jahren werden diese Texte nicht nur als Wissensvermittlung über historische Realitäten, sondern auch als Ausdruck der Phantasien und Vorstellungen der Darsteller und als Inszenierung eines Wissenkönnens wahrgenommen.
So wurden Fragestellungen formuliert, die sich auf das Verstehenkönnen des Anderen und auf die Beziehung zwischen den Darstellern und den Dargestellten beziehen. Die Bedingungen der Möglichkeit der Verständigung, der Verlauf der Kommunikation, die Kräfte, die dabei positiv oder negativ mitwirken, wurden genau untersucht. In Bezug auf das produzierte Wissen über den Anderen, speziell im interkulturellen Kontext, wurden verschiedene Fragestellungen entwickelt, die von unterschiedlichen paradigmatischen Perspektiven her formuliert werden und daher sehr stark fluktuieren. Essentialistische und primordialistische Fragestellungen gehen davon aus, dass Menschen gruppenmäßig in klar unterscheidbare Kulturen, Rassen oder nach sonstigen Unterscheidungsmerkmalen eingeteilt werden können, die ihre Denkweise, ihre Gefühle und ihre Lebensweise bestimmen. Kulturen werden hier als autopoetische Systeme aufgefasst, die sich aus sich heraus reproduzieren und auf sich selbst beziehen. Diese Vorstellung schließt nicht unbedingt die Idee der Transformation aus, postuliert aber die Veränderung als einer inneren Gesetzmäßigkeit gehorchend und daher teleologisch auf ein Ziel hin orientiert. Auch wenn diese Vorstellung weiterhin in Alltagsdiskursen wirksam ist und die Grundlage mancher politischer Parteien ausmacht, wird er in wissenschaftlichen Diskursen weitgehend verworfen. Inzwischen scheinen sich interaktionistische und konstruktivistische Postulate durchgesetzt zu haben. Diese Postulate beziehen sich sowohl auf die Beziehung zwischen Individuen und Gesellschaften oder Gruppen als auch auf das Verhältnis zwischen Gruppen oder Kulturen.
Der amerikanische Anthropologe James Clifford schreibt: »At times the concept [cultural difference; Simo] was purely differential: cultural integrity involved recognized boundaries; it required merely an acceptance by the group and its neighbors of a meaningful difference, a we-they distinction.« (Clifford 1988: 323)
Er dekonstruiert die Idee der kulturellen Tradition, der geschichtlich aus sich selbst gewachsenen Entität, die sich durch ihre Einzigartigkeit charakterisiert. Mit Clifford ist kulturelle Differenz vielmehr eine Konstruktion, die im Spannungsverhältnis zwischen Gruppen entsteht, also im dialektischen Verhältnis von Selbstdefinition und Fremddefinition. Sie verweist nicht auf reale Unterschiede und objektive distinktive Merkmale, sondern entspringt aus dem Bedürfnis, sich vom Anderen zu unterscheiden, sich eine Identität zuzuschreiben und sich somit als einzigartig zu betrachten. Kulturen als diskursive Entwürfe entstehen also in einem Austauschvorgang und drücken den Willen zur Absetzung, zur Einschließung und zur Ausschließung aus. In diesem Prozess werden Grenzen gezogen, die im Grunde keine Demarkationslinien zwischen geschlossenen Systemen darstellen, sondern in ständigen Aushandlungsprozessen begriffen sind. Die wechselseitigen Bestimmungen eines Binnen- und Außenraums fluktuieren also.
Clifford entwickelt seine relationale und interaktionistische Idee der kulturellen Differenz als Kritik der ethnographischen Forschungspraxis. In dieser Praxis beobachtet er eine Machtausübung auf fremde Kulturen, die darin besteht, ein Können zu demonstrieren. Dieses Können besteht in der Fähigkeit, diese Kulturen zu erkennen und zu beschreiben, d.h., sie in eine Sprache zu übersetzen, die nur der Forscher beherrscht, nämlich die wissenschaftliche Sprache. Auch der deutsche Schriftsteller Hubert Fichte betrachtet dies als Anmaßung, den Anderen zu erkennen, als eine Machtausübung über das Objekt (vgl. Fichte 1976). Daher verwirft er die Idee, dass die Kultur etwas Vorgegebenes ist, das einfach beschrieben oder interpretiert werden kann. Gerade im Akt der Darstellung und der Erklärung, sowohl durch Insider als auch durch Outsider, entstehe sie als diskursive Konstruktion. Insofern sind monologische Selbstdarstellungen immer polyglossisch in dem Sinne, dass in der Konstruktion des Anderen, also in der Fremdbeschreibung, die Selbstwahrnehmung mitklingt und umgekehrt, wenn auch meistens implizit. Dies gilt auch für die Selbstbeschreibung jener Kulturen, die Gegenstand gewaltsamer herablassender Darstellungen geworden sind und sich jetzt bemühen, ihr eigenes Selbst zu präsentieren.
Aber Clifford meint vor allem jene Selbstdarstellungen mächtiger Gesellschaften, wie der USA und Europas, die dadurch, dass sie sich als Selbstverständigungsgesellschaft, also als eine geschlossene Gruppe betrachten, eine Harmonisierungsgewalt ausüben, die viele Gruppen in der Gesellschaft zu marginalisierten Randgruppen macht. Die monologische Selbstdarstellung komplexer Gesellschaften ist insofern eine diskursive Machtausübung. Sie ist es umso mehr, als sie über eine epistemologische Macht verfügt, nämlich die Macht zu nennen, zu katalogisieren, zu hierarchisieren und zu organisieren sowie Wissensordnungen zu institutionalisieren. Wenn man bedenkt, dass sogar das Menschsein vieler Gruppen erst durch diese ordnende Macht akzeptiert werden musste, und zwar nach langen Debatten, wird deutlich, welche Konsequenzen diese Machtausübung haben kann. Das produzierte Wissen über den Anderen war und ist immer noch in vielen Fällen ein Urteil, das über sein Überleben entscheidet, auf jeden Fall sein Schicksal bestimmt. Das Machtverhältnis zwischen dem Subjekt und dem Objekt der Erkenntnisse spielt also eine entscheidende Rolle bei der Konsequenz des produzierten Wissens. Denn das Wissen vermittelt zugleich eine Handlungslegitimation und die Grundlage für eine Sozialtechnologie, d.h. für die soziale, politische und ökonomische Intervention bezüglich des Wissensobjekts.
Deswegen verfolgten kolonisierte Völker mit großer Aufmerksamkeit die Bilder, die die Kolonialherren über sie produzierten. Deswegen interessieren sich marginalisierte Gruppen für die Vorstellungen, oder um mit Barthes zu sprechen, für die Phantasien, die über ihre Verortung entscheiden, weil sie sich dessen bewusst sind, wie entscheidend diese Phantasien für ihr Schicksal sein können.
Die postkoloniale Kritik hat daher die diskursive Analyse dieser Phantasien zu einer ihrer zentralen Aufgaben gemacht. Und dabei schreibt sie sich in den Horizont ein, den wir bei James Clifford beobachtet haben. Auch hier ist der Ansatz relational interaktionistisch. Es wird nach dem Impetus, nach dem Modus und nach der Funktion der Generierung von Wissen in asymmetrischen Machtkonstellationen gefragt. Die Analysen von Edward Said und Gayatri Chakravorty Spivak versuchen genau wie Clifford zu zeigen, wie sehr die Produktion von Wissen über Kolonisierte verwoben ist mit der kolonialen Machtausübung und der ökonomischen Ausbeutung. Beiden ist vorgeworfen worden, dass sie trotz des interaktionistischen Ansatzes weiterhin mehr oder weniger dem essentialistischen Paradigma verpflichtet bleiben. Moniert wird vor allem ihre Subjektkonstruktion. Handlungsobjekte werden als eine geschlossene, koordinierte und kohärente Gruppe vorausgesetzt, genauso wie Wissensobjekte. Bei dieser Kritik wird übersehen, dass beide Autoren diese Subjekte und Objekte als Ziele und Ergebnisse diskursiver Konstruktionen betrachten. Dabei handelt es sich um Konstruktionen, die es ermöglichen, Fiktionen oder Narrationen zu erdichten, die eine mobilisierende Funktion haben, Konstruktionen, welche wirksam sind, zumal sie Tatsachen und Habitus schaffen. Europa, Amerika oder der Westen sind Konstruktionen, aber sie sind wirksame Konstruktionen. Es gibt Menschen, Institutionen, die in ihrem Namen sprechen und handeln und dadurch reale soziale, politische und ökonomische Verhältnisse schaffen, die man nicht ignorieren kann. Und es gibt auch eine Dritte Welt oder Länder des Südens oder Entwicklungsländer, die als solche behandelt werden, als solche handeln oder handeln müssen. So entstehen historische Verhältnisse und Handlungen wie die Kolonisation, die Dekolonisation, Machtstrukturen, Marktbeziehungen usw., die reale Sachverhalte sind.
Homi K. Bhabha richtet sein Augenmerk auf etwas Anderes. Während die anderen postkolonialen Kritiker vor allem daran interessiert sind, herauszuarbeiten, wie sich unsere Welt konstituiert hat, und aufzuzeigen, wie Handlungssubjekte und Wissensobjekte miteinander umgehen, befasst sich Bhabha mit dem Funktionieren der globalisierten Welt und vor allem mit den Strategien, durch die sich Objekte als Subjekte zu etablieren versuchen. Er hat aber etwas Gemeinsames mit Said oder Spivak. Er entwickelt eine kritische Theorie, die aufzeigen soll, wie dem Marginalisierten trotz der gewaltsamen imperialistischen Geschichte und trotz der Asymmetrie der globalisierten Welt die geschichtliche Initiative nie ganz verloren gegangen ist und er Wege gefunden hat, weiterhin handelndes Subjekt zu bleiben. Dafür braucht er eine andere Subjektauffassung und ein anderes Kulturkonzept. Auch er argumentiert aus dem von Barthes identifizierten Unbehagen heraus, das ein Subjekt verspürt, das dabei ist, in ein Objekt verwandelt zu werden. Er analysiert die Phantasien, die dieses Subjekt dabei mobilisiert, um doch die Idee, die es von sich hat, und die Idee, die es von sich vermitteln möchte, zu konstruieren. Ihm geht es also darum, jene Diskurse zu dekonstruieren, die dieses Subjekt als ein Anderer, ein Fremder, ein Marginalisierter in der Weltgemeinschaft zu fixieren versuchen. Ähnlich wie Clifford schreibt er:
Cultural difference is the process of the enunciation of culture as »knowledgeable,« authoritative, adequate to the construction of systems of cultural identification. […] The concept of cultural difference focuses on the problem of the ambivalence of cultural authority: the attemp to dominate in the name of a cultural supremacy which is itself produced only in the moment of differenciation. And it is the very authority of culture as knowledge of referential truth which is at issue in the concept and moment of enunciation. The enunciative process introduces a split in the performative present of cultural identification; a split between the traditional culturalist demand for a model, a tradition, a community, a stable system of reference, and the necessary negation of the certitude in the articulation of new cultural demands, meanings, strategies in the political present, as a practice of domination, or resistance. (Bhabha 1994: 34f.; Hervorh. i.O.)
Mit dem Begriff der ›cultural difference‹ zeigt er, genau wie James Clifford, die Konstruiertheit der Wissensordnungen, die über Kulturen produziert werden. Damit weist er auch darauf hin, dass die Narrationen der Differenz ein Produkt der interkulturellen Situation sind und aus der Dialektik der Identitätskonstruktion von Selbst und Anderen resultieren. Aber genauer als Clifford beschreibt er, wie diese Dialektik auf einem Machtverhältnis gründet. Die Konstruktion von Traditionen, Gemeinschaft und Alterität gehört zur Strategie der Herrschaftsausübung. Die Dekonstruktion, d.h. das Aufzeigen der Widersprüche in dieser Konstruktion, das Sichtbarmachen seines performativen Charakters, wird auch als ein Akt des Widerstandes konzipiert. Dekonstruiert wird also eine Säule, wodurch die Herrschaft sich als natürlich präsentiert, als etwas, das sich zwingend aus den Tatsachen ergibt und als eine notwendige Aufgabe erscheint. Das Aufzeigen der strategischen Konstruiertheit der Kultur mündet in die Dekonstruktion ihrer vorgegebenen Verfasstheit. Und dies erreicht Bhabha durch den Begriff der kulturellen Hybridität.
Hybrid hyphenations emphasize the incommensurable elements – the stubborn chunks – as the basis of cultural identifications. What is at issues is the performative nature of differential identities: the regulation and negotiation of those spaces that are continually, contingently, »opening out«, remaking boundaries, exposing the limits of any claim to a singular or autonomous sign of difference – be it class, gender or race. Such assignations of social differences – where difference is neither One nor the Other but something else besides, in-between – find their agency in a form of the »future« where the past is not originary, where the present is not simply transitory. It is, if I may stretch a point, an interstitial future, that emerges in-between the claims of the past and the needs of the present. (Ebd.: 313; Hervorh. i.O.)
Damit meint er vielerlei: In der Differenzkonstruktion ›Wir / Sie‹ wird eine vermeintliche homogene Gemeinschaft postuliert, und dadurch werden andere marginale Minoritätsdiskurse zum Schweigen gebracht. Wie in einem Palimpsest verschwinden diese aber nicht und suchen immer Zwischenräume der Artikulation. Auch wenn Herrschaftsdiskurse diese ignorieren, bleiben sie in der Latenz erhalten und unterminieren das binäre Modell von Selbst und Anderem. Gerade in den kolonialen Metropolen stellen diasporische Minderheiten, Migranten, aber auch andere immer dagewesene Minoritäten hegemoniale Nationalkonstruktionen in Frage. Die Hybridität bezieht sich also auf die Pluralität von kulturellen Konstruktionen im nationalen Raum. Sie bezieht sich aber auch auf Zwischenräume, die aufgrund dieser Pluralität entstehen. Diese Zwischen-Räume, die Bhabha ›Dritten Raum‹ nennt, sind durch soziale und symbolische Praktiken charakterisiert, die sich als transkulturelle Orte der kreativen Vermischung unterschiedlicher Elemente aus unterschiedlichen kulturellen und geschichtlichen Erfahrungen etablieren. Gerade diese neuen Praktiken präfigurieren die Zukunft. Sie sind also Experimente, in denen sich die Zukunft anbahnt. Der ›Dritte Raum‹ ist durch Unbestimmtheit, Ungewissheit und Unentschiedenheit charakterisiert. Er hat daher einen subversiven Charakter, weil er einen Bruch mit gewohnten Praktiken und Diskursen darstellt. Er hat auch ein emanzipatorisches Potenzial. Er ist also ein heterotopischer Raum, der sich neben gewohnten und normalen ›Mainstream-Räumen‹ zu behaupten versucht. Diesen ›Dritten Raum‹ beobachtet Bhabha vor allem in künstlerischen Produktionen.
3. Kulturelle Differenz und Transkulturalität
Es scheint mir wichtig, genau zwischen diesen Vorstellungen der kulturellen Differenz, die sich in der Auseinandersetzung mit essentialistischen Auffassungen der Kultur entwickelt haben, und postmodernen Ideen, die sich in dem Begriff ›Transkulturalität‹ herauskristallisiert haben, zu unterscheiden. Beide Vorstellungen verwerfen die Idee der Homogenität von Kulturen. Beide unterstreichen die Möglichkeit von Kulturtransfer und von hybriden kulturellen Konstellationen. Aber während mit dem Begriff ›kulturelle Differenz‹ der Akzent auf symbolische interaktionale Prozesse der Identitätskonstruktion gelegt wird, werden mit dem Begriff ›Transkulturalität‹ real gewordene Praktiken beschrieben. »›Transkulturalität‹«, so schreibt Welsch, »will den heutigen kulturellen Verhältnissen gerecht werden« (Welsch 2010: 26). ›Kulturelle Differenz‹ ist dagegen ein kritischer Begriff, durch den die vorherrschenden asymmetrischen diskursiven und sozialen Praktiken dekonstruiert und die Möglichkeit ihrer Überwindung herausgearbeitet werden. ›Transkulturalität‹ ist ein affirmativer Begriff, mit dem eine Wirklichkeit postuliert wird, die als Ergebnis des geistigen Fortschritts und als Zeichen der Perfektibilität des Menschen betrachtet wird. Die Hybridität wird in der Theorie der kulturellen Differenz als ein subversives Prinzip behandelt, wodurch vorherrschende hegemoniale Praktiken unterminiert und dekonstruiert werden. Sie stellt also einen experimentellen Versuch dar. In der Theorie der Transkulturalität ist die Hybridität die normale Verfasstheit der ›zeitgenössischen Kulturen‹:
Zeitgenössische Kulturen sind extern denkbar stark miteinander verbunden und verflochten. Die Lebensformen enden nicht mehr an den Grenzen der Einzelkulturen von einst (der vorgeblichen Nationalkulturen), sondern überschreiten diese, finden sich ebenso in anderen Kulturen. Die Lebensform eines Ökonomen, eines Wissenschaftlers oder eines Journalisten ist nicht mehr einfach deutsch oder französisch, sondern – wenn schon – europäisch oder global geprägt.
Und intern sind zeitgenössische Kulturen weithin durch Hybridisierung gekennzeichnet […]. Das gilt auf der Ebene der Bevölkerung, der Waren und der Information: Weltweit leben in der Mehrzahl der Länder auch Angehörige aller anderen Länder dieser Erde. (Ebd.: 28; Hervorh. i.O.)
In diesen Aussagen Welschs zeigt sich das Problematische an der postmodernen Argumentationsweise, die ich hier der Kürze halber nur in einigen Stichwörtern zusammenfassen möchte. Die gewagte Verallgemeinerung: Aus der Lebensweise einiger sozialer Akteure, nämlich des Ökonomen, des Wissenschaftlers, des Journalisten, werden die Charakteristika der zeitgenössischen Kulturen abgeleitet, und im selben Zug, in dem eine universelle Wirklichkeit behauptet wird, wird eine partikulare europäische Kultur postuliert. Am Ende schrumpft die allgemeine zeitgenössische Kultur auf die Einstellung und Praxis einer sehr dünnen Schicht der europäischen Gesellschaft, nämlich jener Schicht, die als kultiviert bezeichnet wird. Die ›zeitgenössische Kultur‹ ist also die elitäre Kultur der gebildeten kosmopolitischen Europäer. Ähnlich verfährt Welsch, wenn er Beispiele aus der Geschichte oder aus anderen Erdteilen nimmt. Diese zeitgenössische Kultur ist nicht selbstkritisch genug, um in ihrer Selbstdarstellung schon vorhandene, im Laufe der Dialektik von Fremdbeschreibung und Selbstbeschreibung konventionalisierte Darstellungsformen zu erkennen und zu hinterfragen. Sie vermag sich zwar von manchen tradierten Kategorien und Diskursen zu emanzipieren – z.B. von der Idee der Kugelform der Kultur –, aber sie reproduziert manchmal unbewusst nomische, also vorfabrizierte ordnende Begriffe und Skripte, was ihre Argumentation am Ende problematisch erscheinen lässt. In den Texten von Welsch finden sich beispielsweise weltbürgerliche Attitüden und ein implizites evolutionistisches Denken. Das teleologische Denken ist bei ihm so selbstverständlich, dass er das Bedürfnis nach Nation, nach Einheit, nach »vorgeblicher Reinheit unter Ausschluss des Fremden« (ebd.: 35) unter heutigen Bedingungen nur phylogenetisch als antiquierte regressive Reflexe verstehen kann, die einen Rückfall in eine von Menschen überwundene Phase seiner Entwicklung darstellen. Auch wenn er von Machtdisparitäten spricht, die dafür verantwortlich sind, dass die Identitäten »heutiger Menschen – der Armen wie der Reichen – zunehmend transkulturell werden« (ebd.: 36), so ist der Duktus und die Logik von Hegel mit seinem Weltgeist und die Argumentationsweise von Karl Marx unverkennbar. Marx stellt fest, dass die kapitalistische Eroberung der Welt, wie grausam sie für viele Völker sein mag, einen Moment des unaufhaltsamen Fortschritts der Menschheit darstellt und daher ein Mittel der geschichtlichen Emanzipation dieser Völker sei (vgl. Marx 2009: 34f.).
Auf jeden Fall erscheint für Welsch die Transkulturalität zunehmend als eine »Realität und nicht bloß ein Wunsch« (Welsch 2010: 37). Mit dem Begriff wird ein Zustand postuliert, in dem eine Geisteshaltung der Öffnung und der Akzeptanz von Diversität herrscht.
Denn ein Individuum, in dessen Identität eine ganze Reihe kultureller Muster Eingang gefunden hat, besitzt bezüglich der Vielzahl kultureller Praktiken und Manifestationen, die sich in seiner gesellschaftlichen Umwelt finden, größere Anschlusschancen, als wenn die eigene Identität nur durch ein einziges Muster bestimmt wäre. (Ebd.: 31)
Das Problem: Die erlebte Wirklichkeit spricht eine ganz andere Sprache. Tagtäglich entstehen politisch und kulturell motivierte Spannungen zwischen Ländern und zwischen Menschengruppen. Die Konvulsionen in angeblich transkulturellen zeitgenössischen Gesellschaften, wo Alteritäts- und Reinheitsdenken sowie Fremdenfeindlichkeit Institutionen zum Wanken bringen, bezeugen, dass die Transkulturalität vielleicht doch eher ein performativer Begriff ist, mit dem Zukunftsideale entworfen werden, und der nur bedingt als deskriptiver Begriff taugt.
Postmoderne Denker, denen eigentlich Meisterdiskurse zuwider sind, neigen dazu, dogmatische Meisterdiskurse über die Wirklichkeit zu produzieren, und vermögen nicht, die Komplexität des Zusammenlebens und Zusammenhandelns von Menschen zu erfassen. Das Bild von aufgeklärten, souveränen, weltbürgerlichen Individuen, die längst den Gemeinschaftsgeist und die Hordenreflexe überwunden haben und per Natur eine harmonische, rationale, voraussetzungslose, machtfreie Beziehung zu anderen Mitmenschen anstreben, bleibt im Allgemeinen ein Wunschbild. Und wenn ein Wunschbild mit der Realität verwechselt wird, geht der Realitätssinn verloren und damit die Einsicht in die Notwendigkeit, ethische, aufklärende, organisatorische, politische Arbeit zu leisten, um das Zusammenleben weniger konfliktuell zu gestalten. Daher ist ein Wissen notwendig, das Einsicht gewährt, Dynamiken aufzeigt und Möglichkeiten der Veränderung sichtbar macht.
4. Interkulturalität, Interaktion und Diskursproduktionen
Eingangs habe ich Barthes zitiert. Kommen wir nochmals kurz auf ihn zurück. Barthes spricht in der ersten Person. Er zentriert also seine Ausführungen auf die Gefühle des Fotografierten, auf dessen Unbehagen, dessen Ängste. Auf die Anstrengungen des Fotografen verweist er zwar; aber vor allem die Empfindungen des Fotografierten, die Erfahrungen seiner Verwandlungen in ein Objekt, das zur Verfügung gestellt wird, stehen im Mittelpunkt seiner Überlegungen:
On dirait que, terrifié, le photographe doit lutter énormément pour que la Photographie ne soit pas la Mort. Mais moi, déjà objet, je ne lutte pas. Je pressens que de ce mauvais rêve il faudra me réveiller encore plus durement; car ce que la société fait de ma photo, ce qu’elle y lit, je ne le sais pas (de toute façon, il y a tant de lectures d’un même visage); mais lorsque je me découvre sur le produit de cette opération, ce que je vois, c’est que je suis devenu Tout-Image, c’est-à-dire la Mort en personne; les autres – L’Autre – me déproprient de moi-même, ils font de moi, avec férocité, un objet, ils me tiennent à merci, à disposition, rangé dans un fichier, préparé pour tous les truquages subtils. (Barthes 1980: 30f.)1
In der subtilen poetischen Sprache Barthes’ wird deutlicher als in theoretischen Abhandlungen, welcher Sturm von Gefühlen in jeder Begegnung bei den Beteiligten ausgelöst wird. Im Grunde ist jede Begegnung, auch eine interindividuelle, immer eine Gefahr. Der Blick des Anderen neigt dazu, mich in ein Objekt zu verwandeln, oder ich neige dazu, aufgrund von ähnlichen Erfahrungen in der Vergangenheit bei ihm diesen Willen zu vermuten, und organisiere Abwehrstrategien. Nicht nur in Situationen, wo es wie bei Barthes ausdrücklich darum geht, ein Bild zu produzieren, werden alle diese Phantasien in Gang gesetzt.
Das wichtigste Wissen, das gerade über interkulturelle Situationen notwendig ist, ist das Wissen um diese Phantasien und ihre Ausdrucksmodalitäten. Theorien der kulturellen Differenz, wie sie von Arjun Appadurai, Homi K. Bhabha, Edward Said, Stuart Hall, Toni Morisson, Ash Amin und anderen formuliert wurden, vermögen diese Spannungen am besten zu erfassen. Diese Autoren haben selber diese Erfahrung der Verwandlung in ein Objekt und der Anstrengung gemacht, eine Subjektposition wiederherzustellen. Aufgrund dieser Theorien lassen sich Hypothesen und Erkenntnisziele formulieren, die historische Kontexte, subjektive individuelle Motivationen, vorhandene nomische Sprachen und Diskurse, Ängste, strukturelle Dispositionen, Gedächtnisse usw. erfassen, welche in sozialen und symbolischen Interaktionen und speziell in interkulturellen Dynamiken wirken. Mit diesen Theorien kann der Komplexität der Prozesse Rechnung getragen werden. Erlauben Sie mir einige dieser Hypothesen thesenartig zu formulieren:
- Personen und Institutionen mobilisieren ethno-linguistische, kulturelle, religiöse historisch konstituierte Markierungen, und zwar aus bestimmten Anlässen und in manchen räumlichen Kontexten, um Diskurse über sich und andere zu produzieren.
- Gerade bei ethnischen Minoritäten, Migranten und anderen marginalisierten Akteuren werden Werte und Identitäten auf eine bestimmte Art und Weise eingesetzt, um sie dazu zu befähigen, Subjektpositionen zu konstruieren und einzunehmen.
- Partikulare historische Gedächtnisse und Gedächtnispolitiken werden konstruiert und eingesetzt und tragen zu Prozessen von sozialen und räumlichen Differenzierungen und zu ihrer Konsolidierung bei.
- Migrantengemeinschaften und Gastgesellschaften und ihre jeweiligen Vertreter bemächtigen sich spezifischer symbolischer Räume der Diversität.
- In interkulturellen Interaktionen und Dialogen tragen die Stilisierung der Alterität und die Belegung von Räumen mit kulturellen Bedeutungen zur Behauptung von Unterschieden und Ausschließungen bei.
- Tagtägliche diskriminierende Ausschließungs- und Einschließungspraktiken, aber auch Mediationen und Translationen werden in Narrationen dargestellt, aber auch in Institutionen organisiert.
- Multikulturelle Räume werden von bestimmten Akteuren bei bestimmten Anlässen problematisiert und in Frage gestellt.
- Multikulturelle Räume und Diversitäten werden aber auch in bestimmten zeitlichen und räumlichen Begriffen formuliert.
- Formen, Strategien und Modalitäten der Darstellung und der Reflexivität tragen zur Sedimentierung und Perpetuierung der Differenz oder auch zur Förderung von transkulturellen Räumen und Praktiken bei.
- Makro- und Mikroverhältnisse bedingen sich oder beeinflussen sich gegenseitig in der Narration von Selbst und Anderem.
Kontakte, auch tagtägliche, garantieren an sich keinen Austausch und keinen Kulturtransfer. Sie können eher die Feindseligkeit und die Ablehnung der Anderen verstärken, und zwar dadurch, dass Praktiken und Gebräuche erlebt werden, die als befremdend erscheinen. Eine Pädagogik der gegenseitigen Annäherung und des Austausches ist daher oft notwendig, so auch die Schaffung von Spezialräumen und Kanälen, durch die Vorurteile abgebaut und kooperative anstatt von kompetitiven Dynamiken entfacht werden.
Aus diesen als Hypothesen formulierten Erfahrungen und Erkenntnissen (vgl. dazu u.a. Lehmkuhl u.a. 2016; Amin 2002) lassen sich genaue Fragestellungen formulieren über die Akteure, die Kontexte, den Impetus und die Modalitäten der kulturellen Differenz sowie über die Konflikte, die Gefahren, aber auch die Chancen und die Möglichkeiten, die daraus resultieren. So lässt sich ein Zusammenlebenswissen produzieren, das die Schwierigkeiten, aber auch die Potenzialitäten, die Irrwege, aber auch die Zukunftswege, die Gesetzmäßigkeiten, aber auch die Handlungsmanöverräume, die schlechten Erfahrungen, aber auch die glücklichen und positiven Momente dokumentiert.
Anmerkungen
1 Übersetzung: »Man könnte meinen, der vom Schrecken gebannte Photograph müsse gewaltig kämpfen, damit die Photographie nicht der Tod sei. Ich aber, Objekt schon, kämpfe nicht. Ich ahne, daß es noch weit unsanfterer Mittel bedarf, mich aus diesem schlimmen Traum zu wecken; denn was die Gesellschaft mit meinem Bild anstellt, was sie darin liest, weiß ich nicht (schließlich läßt sich so vieles in ein und demselben Gesicht lesen); doch wenn ich mich auf dem aus dieser Operation hervorgegangenen Gebilde erblicke, so sehe ich, daß ich ganz und gar Bild geworden bin, das heißt der Tod in Person; die anderen – der Andere – entäußern mich meines Selbst, machen mich blindwütig zum Objekt, halten mich in ihrer Gewalt, verfügbar, eingereiht in eine Kartei, präpariert für jegliche Form von subtilem Schwindel« (Barthes 1989: 23; Hervorh. i.O.).
Literatur
Amin, Ash (2002): Ethnicity and the Multicultural City: Living with Diversity. In: Environment and Planning A. 34, H. 6, S. 959-980.
Barthes, Roland (1980): La chambre noire. Notes sur la photographie. Paris.
Ders. (1989): Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photographie. Aus dem Franz. v. Dietrich Leube. Frankfurt a.M.
Bhabha, Homi K. (1994): The Location of Culture. London / New York.
Clifford, James (1988): The Predicament of Culture. Twentieth Century Ethnography, Literature and Art. Cambridge.
Fichte, Hubert (1976): Xango. Die afroamerikanischen Religionen. Bahia, Haiti, Trinidad. Frankfurt a.M.
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