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Zeitschrift für interkulturelle Germanistik – 9. Jahrgang, 2018, Heft 2: Interkulturelle Mediävistik: Nicole Colin, Patrick Farges und Fritz Taubert (Hg.): Annäherung durch Konflikt: Mittler und Vermittlung (Jennifer Pavlik)

Zeitschrift für interkulturelle Germanistik – 9. Jahrgang, 2018, Heft 2: Interkulturelle Mediävistik

Nicole Colin, Patrick Farges und Fritz Taubert (Hg.): Annäherung durch Konflikt: Mittler und Vermittlung (Jennifer Pavlik)

Nicole Colin, Patrick Farges und Fritz Taubert (Hg.): Annäherung durch Konflikt: Mittler und Vermittlung

Heidelberg: Synchron 2017 – ISBN 978-3-939381-91-4 – 39,80 €

Der von Nicole Colin, Patrick Farges und Fritz Taubert herausgegebene Sammelband Annäherung durch Konflikt: Mittler und Vermittlung dokumentiert die Ergebnisse einer interdisziplinären Tagung, die 2015 vom französischen Germanistenverband Association des Germanistes de l’Enseignement Supérieur in Zusammenarbeit mit der Vereniging van Germanisten aan de Nederlandse Universiteiten und dem Duitsland Instituut Amsterdam auf Einladung der Universitäten Amsterdam und Utrecht veranstaltet wurde. Ausgangspunkt der Tagung war die Beobachtung, dass die Figur des ›Mittlers‹ in der Transferforschung zunehmend an Bedeutung gewonnen hat, wie die Herausgeber in ihrem Vorwort mit Blick auf Akteure der zivilgesellschaftlichen Annäherungspolitik hervorheben, die insbesondere im Zusammenhang deutsch-französischer Beziehungen zu regelrechten »Helden der Versöhnung« (9) avanciert seien. Unter ›Mittlern‹ verstehen die Autoren in einem sehr weiten Sinn Personen (Übersetzer, Missionare, Diplomaten, Reisende), Texte (Reiseliteratur, Wörterbücher, internationale Vorträge), Objekte (Bücher, Zeitschriften, Erbgüter), Institutionen (Botschaften, Missionen) sowie Prozeduren (Schlichtungsverfahren), formale Vermittlungsprozesse (Verflechtungen, Hybridisierungen, Intermedialität) und Interaktionen (Interkulturalität), die in unterschiedlichsten Formen zu Kulturaustauschprozessen beitragen (vgl. 10).

Die Herausgeber betonen in ihrem Vorwort, dass es ihnen mit Blick auf die so verstandenen ›Mittler‹ vor allem darum gehe, diese Figuren, Institutionen und Prozesse usw. in ihrer Komplexität und Ambivalenz zu untersuchen, um aus literaturwissenschaftlicher, historischer, linguistischer und ideengeschichtlicher Perspektive kritische Blicke auf sie entwickeln zu können. Hierfür verweisen sie auf die für den Band zentralen Begriffe ›Konflikt‹ und ›Interferenz‹, die »nicht nur eine fruchtbare Verbindung zwischen Literatur-, Kulturwissenschaft, Geschichte und Linguistik erlauben«, sondern auch den »Bruch der Homogenität oder Kontinuität als krisenhaft erlebte Grenzsituation« hervorheben (11).

Das erklärte Ziel der Tagung und der ›Fluchtpunkt‹ des Sammelbandes bestehen vor diesem Hintergrund darin, »in einem weiten theoretischen Feld die Grundlagen dieser neuen Mittler in methodischer Hinsicht sowie in ihren konkreten Erscheinungsformen zu analysieren« (10), um »tiefere Einblicke in einen nicht eindimensional verstandenen Kulturtransfer« zu gewinnen, »wie er sich faktisch in den letzten 70 Jahren in Europa trotz Krisen und Konflikten beständig weiterentwickeln und entfalten konnte« (12).

Der umfangreiche Band, der sich dieses hehre Ziel setzt, besteht aus 25 Aufsätzen und gliedert sich in vier Abteilungen. Der erste Teil widmet sich mit fünf Beiträgen dem Themengebiet »Mittler im Konflikt«. Die hier versammelten Beiträge untersuchen einerseits Motive der Mittler und andererseits Ansprüche, die von anderen Seiten an sie gestellt werden und sie mit der politischen, ökonomischen und / oder moralischen Fragwürdigkeit ihrer Tätigkeit bis hin zum Scheitern derselben konfrontieren. Nicole Colin, Britta Bendieck, Ute Lemke, Corine Defrance und Annie Lamblin beschäftigen sich mit so verstandenen »Grenzsituationen« (11), indem sie Mittler als Verräter (Colin) oder als Provokateure (Bendieck) entlarven, sie in ihrer Tätigkeit als Völkerbundbeamte (Lemke), als Germanisten (Defrance) oder Dichter (Lamblin) beleuchten. Beispielhaft zeigt hier z.B. Nicole Colin das »Unbehagen«, das der Mittlerfigur bei genauerer Betrachtung anhafte, und ihrer, oftmals auf den ersten Blick zugesprochenen, positiven Konnotation diametral entgegenstehe. Dies liege vor allem an der Position des Mittlers selbst, der als Zwischenraum, als Medium, fungiere und per se Täuschungen und Verschleierungen produziere, die aus seiner gleichzeitigen An- und Abwesenheit resultierten. Er könne nie ganz ›da‹ sein und nie das einlösen bzw. übertragen, was er eigentlich verspreche. Colin widmet sich dieser Aporie, indem sie am Beispiel Heinrich Heines Eigenschaften und Aktionsfelder von Vermittlern beschreibt, um daraus allgemeine Schlüsse mit Blick auf das Feld des Verrats im Kulturtransfer zu ziehen. Sie will dadurch den Blick darauf lenken, dass »der Diskurs des Verrats maßgeblich auf einer spezifischen Verknüpfung antimodernistischer, antizivilisatorischer und antisemitischer Klischees beruht, die den Mittler […] im 20. Jahrhundert mehr und mehr zu dem Typus des modernen Menschen avancieren lassen.« (19)

Im zweiten Teil »Netzwerke« stehen anhand von ebenfalls fünf Beiträgen »Prozeduren im Vermittlungsverfahren« zur Debatte, die »Bedeutungen verarbeiten und zuweilen modifizieren« (11): Hier werden internationale Institutionen wie der DAAD (Ton Nijhuis), Zeitschriften bzw. Herausgeber im deutsch-französischen Raum der 1950 und 60er Jahre (Agathe Mareuge), die Beziehung zwischen Verlegern und Übersetzern (Leslie Brückner), Frauenrechtlerinnen bzw. Forscherinnen und Forscher zur Geschlechterdifferenz (Christina Stange-Fayos / Agathe Bernier-Monod) und Genderdiskurse (Sylvie Marchenoir) genauer betrachtet. So geht etwa Marchenoir in ihrem Beitrag der Mittlerfunktion von Frauenliteratur zur Zeit der Aufklärung nach und untersucht am Beispiel von Diskursen zur Geschlechterdifferenz die Rezeption und Produktion von Aufklärungsideen durch Frauen. Sie betrachtet hierfür exemplarisch Briefliteratur, Erziehungsromane und Frauenzeitschriften von Autorinnen wie Amalie von Gallitzin, Sophie von La Roche, Friederike Unger und Therese Huber. Dabei lenkt sie den Blick vor allem darauf, wie das männlich-aufklärerische Gedankengut von den Frauen kritisiert, modelliert und modifiziert wird, um Ungleichheiten zu kritisieren, auch wenn sie diese noch nicht überwinden können. Die beispielhaft untersuchten Mittlerfiguren eines modern-emanzipierten Frauenbildes werden von Marchenoir daher eher als Pionierinnen denn als Revolutionärinnen verstanden und vor dem Hintergrund des Zeitgeistes in ihrer Vermittlungsfähigkeit als eingeschränkt ausgewiesen.

Teil drei beschäftigt sich anhand von acht Aufsätzen mit dem Themenfeld der »Interferenz als Motor kultureller Vermittlung«, wobei die Autorinnen und Autoren (auch) in dieser Abteilung sehr unterschiedliche Schwerpunkte setzen: Jürgen Ritte untersucht die Funktion von Übersetzerinnen und Übersetzern, Marie-Laure Pflanz vergleicht englisch-deutsche Sprachinterferenzen, Anna Seidl erforscht die Rezeption von Pina Bausch in den Niederlanden, Britta Jallerat-Jabs, Natalie Le Bouëdec und Dominique Dias beleuchten die soziale Vermittlungsfunktion der direkten Rede in der mündlichen Kommunikation, Elke Huwiler betrachtet Wilhelm Tell als Mittler im Schweizer Theater, und Béatrice Gonzalés-Vangell versteht Moses Mendelssohn als Schwellenphilosophen, der zwei verschiedenen Welten angehöre, einerseits dem orthodoxen jüdischen Glauben und andererseits dem aufklärerischen Rationalismus. Ausgehend von der Frage, warum man ihn nicht als einen deutschen Philosophen ansehe, der sich für die politische Freiheit eingesetzt habe, versucht Gonzalés-Vangell am Beispiel von Mendelssohn die Rolle des Mittlers zu beleuchten. Sie identifiziert Mendelssohn in mehreren Hinsichten als Vermittelnden, als eine Person, die zwischen den »Sprachen, den Religionen und den Kulturen« situiert sei und ihre Aufgabe nicht nur als Übertragung, sondern als »politischen Kampf« begreife (250):

Mendelssohn versteht sich als deutscher Aufklärer und verkörpert zugleich den perfekten Maskil, d.h. jüdischen Aufklärer. […] Mit seiner Übersetzung der für die jüdische religiöse Praxis grundlegenden Schriften, wie z.B. die Psalmen, beabsichtigt er die geistige Emanzipation der Juden vorzubereiten und sie zu deutschen Juden zu machen. (251)

Dabei laste ihm vor allem von orthodox jüdischer Seite der Verdacht der »Doppelzüngigkeit« an, da behauptet werde, dass es unmöglich sei, »Jude und Philosoph zugleich zu sein« (252). Der in diesem Sinne als Mittler verstandene Mendelssohn wird von Gonzalés-Vangell als Vorkämpfer der Emanzipation interpretiert, nicht aber als Vertreter der Assimilation, wie ihm von vielen zeitgenössischen Stimmen vorgeworfen wurde; er bleibe daher eine Figur auf der Schwelle.

Der vierte Teil lenkt den Blick mit sieben Artikeln auf »Ost-West-Turbulenzen«. Hier fragt Catherine Teissier nach den Möglichkeiten von Satire als Medium der Vermittlung, Ferdinand Schlie untersucht das Doku-Drama als Beispiel der Geschichtsvermittlung und Ulrich Pfeil die Bemühungen von Ernst Weisenfeld als Mittler zwischen Deutschland und Frankreich sowie Rumänien. Till R. Kuhnle beleuchtet die Mittlerrolle Karl Mays, Johannes Müller den deutsch-niederländischen Kulturtransfer in Nordamerika, Hanco Jürgens die Niederlande im Spannungsfeld zwischen Deutschland und der angloamerikanischen Welt, und Christine Roger betrachtet die deutschsprachige Presse in New York zur Zeit des Ersten Weltkrieges. Beispielhaft sei auf den Beitrag von Teissier hingewiesen, die die Werke von Andrzej Stasiuk und Wladimir Kaminer analysiert, in denen die Beziehungen zwischen Deutschen und Russen bzw. Polen verhandelt und ihre gegenseitige Wahrnehmung hinterfragt bzw. dekonstruiert werden. Zentrale Frage ihres Aufsatzes ist, ob sich Satire für Kulturvermittlungsprozesse eignet: »Ziel der Satire ist, durch Lachen Missstände zu entlarven. Da Lachen prinzipiell angenehm ist, übernimmt der Rezeptor sozusagen willentlich den Standpunkt des Satirikers. Der Rezeptor (hier der Leser) wird durch sein Lachen zum Komplizen des Autors.« (271) Dadurch sei es möglich, so folgert Teissier, eine Nähe zwischen Satiriker und Leser entstehen zu lassen, die als Vermittlung interpretiert werden könne – zumindest dann, wenn die Satire mehrdeutig bleibe und das adressierte Opfer die Möglichkeit habe, mitzulachen. Ansonsten werde die Satire schnell zu einem Angriff, der auf den Leser als Opfer abziele. Dies zu vermeiden gelinge bei Kaminer besser als bei Stasiuk, da sein Schreiben »das Einverständnis und die Nähe« (271) der Leser suche und sich selber als Opfer mitdenke. Daher weiche seine Satire »zunehmend einem Humor«, der als »ideales Medium der Vermittlung« bezeichnet werden könne und »keine Barrieren« aufstelle, sondern »im Gegenteil Abgrenzungen zwischen dem Ausgelachten und dem Lachenden« abbaue (ebd.).

Insgesamt kann das von den Herausgebern formulierte Ziel, »in einem weiten theoretischen Feld die Grundlagen [der] neuen Mittler in methodischer Hinsicht sowie in ihren konkreten Erscheinungsformen zu analysieren« (10), als grundsätzlich gelungen bezeichnet werden, auch wenn der Sammelband lediglich vor allem spotlightartige Über- und Einblicke gewähren kann. Die in sich sehr disparaten und in ihrer Anzahl beeindruckenden, aber auch überfordernden Beiträge lassen dennoch einige Fragen offen, die vor allem die Kohärenz des ihnen zugrundeliegenden ›Mittlerbegriffs‹ betreffen, der schon in der zu Beginn des Bandes gegebenen Definition unscharf bleibt. So wirken auch die vier Abteilungen zum Teil inkonsistent, was auch an der interdisziplinären Breite liegen mag, mit der die Herausgeber versuchen, das Themengebiet zu beleuchten. Insgesamt wäre es hilfreich und leserfreundlich gewesen, die einzelnen Beiträge mit kurzen Abstracts zu versehen und die jeweiligen Abteilungen, wenn es denn überhaupt möglich ist, durch kurze Einführungen und Resümees thematisch und / oder methodisch zu bündeln, um dem Eindruck unverbindlicher Pluralität entgegenzuwirken.

Bei aller Kritik leistet der Band dennoch eine anregende Übersicht über grundlegende Fragestellungen und Perspektiven, die Vermittlungsgeschehen, -figuren, -institutionen u.v.m. betreffen, und bietet dem lesenden Publikum einen breitgestreuten Fundus an beispielhaften Begegnung mit dem Themenfeld.

Jennifer Pavlik

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