Editorial
Es wird behauptet, wir lebten im »Zeitalter der Interkulturalität« (Braun/Scheidgen 2008, 24). Man mag dagegen Einwände vorbringen, andere Schwerpunkte setzen oder angesichts der sich verstetigenden Unübersichtlichkeiten auf eindeutige Zuschreibungen dieser Art eher verzichten wollen: Im öffentlichen wie im wissenschaftlichen Diskurs hat sich die Rede über Interkulturalität als eine zentrale Größe der Auseinandersetzung mit kulturübergreifenden Themen mittlerweile fest etabliert. Dass man nicht immer weiß, wovon eigentlich gesprochen wird, hängt mit der Vielstimmigkeit dieser Rede zusammen: So wie sie in allen Bereichen des öffentlichen Lebens gegenwärtig ist, so gibt es kaum noch ein Fach innerhalb der großen Fakultäten, das sich, zumindest der Benennung nach, nicht dem Interkulturellen verschrieben hätte. Weniger überrascht daher die Klage über die Inflationierung der Begriffsverwendung als vielmehr deren Konstanz. Denn seit sich Interkulturalität Ende der 1970er Jahre als Leitbegriff und viel beachtetes Forschungsparadigma profiliert hat, steht sie in dem Verdacht, zu einem mehr oder minder substanzlosen Konzept degeneriert zu sein und allenfalls noch modischen Studieninteressen zu dienen. Die ungebrochene Aktualität des Interkulturalitätsparadigmas straft die Kritiker indes nicht Lügen, sondern erinnert daran, dass sie als Denknotwendigkeit unserer Zeit prozessual begriffen und damit einer beständigen Neuauslegung unterzogen werden muss.
In diesen Prozess schreibt sich die Gründung der Zeitschrift für interkulturelle Germanistik (ZiG) ein. Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass sich in der nationalen und internationalen Germanistik die Kategorie der Interkulturalität zu einer leitenden und innovativen Forschungskategorie entwickelt hat. Die Zeitschrift für interkulturelle Germanistik möchte daher den breiten und weit verzweigten Forschungsaktivitäten zu diesem Thema ein wissenschaftliches Forum bieten, das aktuelle Fragestellungen im Bereich der germanistischen Literatur-, Kultur- und Sprachwissenschaft aufgreift und auf diese Weise auch die Einheit der Germanistik abbildet. Darüber hinaus soll sie einen Beitrag dazu leisten, die unterschiedlichen Ausrichtungen in der Interkulturalitätsforschung zu bündeln und ihr Profil nach Möglichkeit theoretisch zu schärfen. Insofern das Forschungsparadigma der Interkulturalität prinzipiell nicht mehr einzelfachlich gedacht werden kann, versteht sich die Zeitschrift bewusst als ein interdisziplinär und komparatistisch offenes Organ, das sich im internationalen Wissenschaftskontext verortet sieht. Anders als es die gegenwärtige Diskussion über Sinn und Unsinn der Verbundforschung suggeriert, gibt es aus interkultureller Perspektive keine Alternative zu einem Denken, das fächerübergreifend ausgerichtet ist. Ungeachtet dieser Zielsetzung will die Zeitschrift für interkulturelle Germanistik ausdrücklich keine Anleitung zu Denk- und Handlungsnormen liefern. Es geht insofern weniger darum, das Forschungsparadigma der Interkulturalität gegen seine Kritiker zu verteidigen, als vielmehr darum, den Begriff vor seinen Liebhabern zu schützen.
Die ökonomische Krise, die nach allgemeinem Dafürhalten vor allem eine Krise des Kapitalismus ist und die deutlicher als bislang vermutet Differenzen und Unterschiede selbst noch in den Nachbarländern Europas bloßlegt, eröffnet auch die Gelegenheit, sich neu zu orientieren oder Positionen zu reaktivieren, die durch unterschiedliche Usurpationstendenzen zurückgedrängt wurden. Denn während Interkulturalität ihrem Selbstverständnis nach gegen machtpolitische Instrumentalisierung und Ökonomisierung der internationalen Beziehungen Widerstand zu leisten beabsichtigte, mutiert sie (wenn auch unfreiwillig) immer wieder zu deren Erfüllungsgehilfin (vgl. Isar 2006, 14). Versteht sich aber die interkulturelle Germanistik als ein Lehr- und Forschungsbereich, der seinen wesentlichen Impuls aus dem provozierenden Akt der Transgression von Grenzen erhält, so muss es eines seiner Anliegen sein, Formen der Hierarchisierung und Dominanz wissenschaftlich nicht zu reproduzieren, sondern zu deren Offenlegung bzw. Aufdeckung beizutragen. Die Zeitschrift für interkulturelle Germanistik will sich als Periodikum auch in dieser Hinsicht in die Pflicht nehmen lassen.
Die Zeitschrift für interkulturelle Germanistik erscheint zweimal jährlich und enthält neben Abhandlungen, Diskussions- und Forschungsbeiträgen in deutscher oder englischer Sprache (ab dem zweiten Heft) eine Übersicht sowie einen Rezensionsteil zu aktuellen Beiträgen aus dem Bereich der Interkulturalitätsforschung. Fallweise sind auch Sonderhefte mit Schwerpunktthemen vorgesehen. Die Zeitschrift ist als Peer reviewed Journal konzipiert, d.h. alle eingereichten Beiträge werden in anonymisierter Form von zwei Gutachtern gelesen und beurteilt, wobei sie ausdrücklich junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dazu ermuntern möchte, an der Profilschärfung der interkulturellen Germanistik und der Interkulturalitätsforschung insgesamt mitzuwirken.
Die Zeitschrift für interkulturelle Germanistik wird herausgegeben vom Institut für deutsche Sprache, Literatur und Interkulturalität der Universität Luxemburg sowie der Gesellschaft für interkulturelle Germanistik (GiG).
Bern und Luxemburg im Februar 2010
Dieter Heimböckel, Ernest W.B. Hess-Lüttich, Georg Mein, Heinz Sieburg
Literatur
Braun, Ina/Scheidgen, Hermann Josef (Hg.; 2008): Interkulturalität. Wozu? Hamid Reza Yousefi und Peter Gerdsen im Gespräch. Nordhausen
Isar, Yudhishthir Raj (2006): Tropes of the »Intercultural«: Multiple Perpectives. In: Nancy Aalto/Ewald Reuter (Hg.): Aspects of Intercultural Dialogue. Theory – Research – Applications. Köln, S. 9-25