Pazifikismus

Die diskursive Konstruktion des Pazifiks. Internationale Konferenz der Abteilung für Germanistik an der Rikkyo University Tokyo am 7. und 8. Juni 2014. Ein Tagungsbericht

Johannes Görbert

Die private, 1874 gegründete Rikkyo University unterhält eines der renommiertesten Institute für Germanistik in Japan. Im Juni 2014 versammelte die Abteilung um das Organisationsteam von Keiko Hamazaki, Manshu Ide und Thomas Schwarz Experten aus Japan, Deutschland, der Schweiz, Australien und China, um intensiv über europäische, amerikanische und asiatische Pazifik-Diskurse in Literatur und Film, in Geschichte und Anthropologie zu diskutieren. Der behandelte Zeitraum umfasste die Frühe Neuzeit und die drei vergangenen Jahrhunderte ebenso wie die unmittelbare Gegenwart. Lesungen des Schweizer Autors Christian Kracht aus seinem für die Thematik einschlägigen Roman Imperium komplettierten das Programm. Übergreifende Fragestellungen richteten sich auf die literarische und filmische Darstellung des Pazifiks, auf wissenschaftliche, geostrategische und kolonialistische Herangehensweisen an die Region und auf das Ineinander von realhistorischer und künstlerischer Auseinandersetzung mit dem Meeres- und Inselterritorium.

In seiner Eröffnung der Tagung ging Thomas Schwarz (Tokyo) auf die verschiedenen Begriffe ein, mit denen der Ozean im deutschsprachigen Raum zu unterschiedlichen Zeiten belegt wurde. Er verwies auf die Rede vom »Océano Pacifíco«, dessen Namensprägung Alexander von Humboldt in seinem Kosmos auf Fernão de Magalhães zurückführt. Als weitere Termini nannte Schwarz »Südsee« etwa bei Georg Forster sowie »Großer Ozean«, der sich zum Beispiel bei Adelbert von Chamisso und auch bei den Kolonialisten des 19. und 20. Jahrhunderts aus Deutschland wiederfindet. Der Begriff »Pazifik« hingegen ist untrennbar mit der Öffnung Japans in Richtung der »westlichen« Welt verbunden und schließt eine diskursive Fokusverschiebung auf nördlichere Regionen des Meeresraums mit ein. Zusätzlich betonte Schwarz einen wichtigen Unterschied zwischen den diskursiven Konstruktionen des Orients und des Pazifks: Während jener zum Zielort hauptsächlich kulturwissenschaftlicher (z.B. theologischer und historiografischer) Initiativen auserkoren wurde, zog dieser zwar nicht ausschließlich, aber doch vornehmlich naturwissenschaftliche Interessen seitens Europas und Amerikas auf sich.

Die Reihenfolge der nachfolgenden Vorträge und Diskussionen richtete sich ungefähr nach der Chronologie der behandelten Pazifik-Diskurse. Den Anfang machte Manshu Ide (Tokyo) mit einer Präsentation zur Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen in Carl Friedrich Behrens’ Reiseberichten über die Expedition von Jacob Roggewein in den Jahren 1721 bis 1723. Methodisch wählte Ide eine Kombination aus texthermeneutischer bzw. -immanenter und diskursanalytischer Lektüre. Behrens’ Reisebericht erschien aus diesem Fokus maßgeblich geprägt durch eine biblische Geschichtsauffassung, die das Gesehene permanent vor der Hintergrundfolie der geoffenbarten religiösen »Wahrheit« interpretiert und gerade dadurch als »authentisch« belegt. Eine naturwissenschaftlichere »Einsicht in das Wesen der Dinge« erfolgt laut Ide erst zu einem späteren Zeitpunkt in der Geschichte der Reiseliteratur, wobei er besonders Georg Forster als Beispiel anführte.

Alexander Honold (Basel) konzentrierte sich in seinem Vortrag auf eine postkoloniale Herangehensweise an einige Hölderlin-Verse über den Pazifik. Anhand einer weitausgreifenden, stark kontextualisierenden Argumentation arbeitete Honold heraus, wie sich Hölderlin beim Verfassen seiner Fragmente bzw. seiner Elegie Der Wanderer sowohl durch die real stattgefundene, von Richard Walter beschriebene Reise George Ansons in den Pazifik als auch durch deren Echo in der Literatur, etwa bei Rousseau, Goethe oder Kleist, anregen ließ. Ein besonderer Stellenwert kommt dabei künstlerischen Darstellungen der Insel Tinian in den Nördlichen Marianen zu, die dadurch, obwohl geografisch marginal, zu einem der bedeutendsten Fixpunkte in der deutschen Literatur über den Pazifik avancierte. Als weitere wichtige Aspekte in der dichterischen Auseinandersetzung Hölderlins mit der Inselwelt behandelte Honold die topischen Qualitäten von pazifischen loci amoeni und Idyllen sowie die besondere Faszination, die Seefahrer- und Entdeckerfiguren auf den Autor des Hyperion ausübten.

Johannes Görbert (Bangkok) verdeutlichte in seinem Beitrag, dass Techniken der Literarisierung nicht erst bei fiktionalen Texten, sondern bereits bei den faktualen Reiseberichten über den Pazifik eine wichtige Rolle spielen. Anhand von Georg Forsters literarischer Tahiti-Darstellung zeigte Görbert, wie der junge Weltreisende entscheidend über seine beiden Hauptquellen, die Reisejournale seines Vaters Johann Reinhold Forster und des Kapitäns James Cook, hinausgeht. Wo die Diarien nüchtern-protokollarisch das Grundgerüst der Reisebegebenheiten festhalten, kapriziert sich Georg Forsters Reisebericht auf eine ästhetisch wesentlich anspruchsvollere Schreibweise. Dazu zählt etwa, über Zitate von antiken Koryphäen wie Vergil und Horaz in einen selbstbewussten Dialog mit Klassikern der Weltliteratur zu treten sowie zusätzlich zu einem naturwissenschaftlichen »Struktur- und Funktionswissen« auch das »kulturelle Handlungswissen« der Literatur in den Kapiteln über Tahiti zu seinem Recht kommen zu lassen.

Durch den Vortrag von Christiane Weller (Melbourne) wurde deutlich, dass sich nicht nur literaturästhetische, sondern auch psychoanalytische Theoreme mit Gewinn auf Pazifik-Reiseberichte anwenden lassen. Ihr Kerninteresse richtete sich auf Gebote und Verbote des kindlichen Blicks in den Texten von Adelbert von Chamisso über seine Weltreise mit der russischen Rurik-Expedition zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Mithilfe einer von den Ansätzen Jacques Lacans und Hinrich Fink-Eitels inspirierten Lektüre stellte Weller heraus, dass sich Chamisso wesentlich über die Figur des Kindes inszeniert, um ironisch-resignativ und affektiv-aufgeladen über seine Erlebnisse im Pazifik zu berichten. Dazu zählt auch der enge, schwärmerisch-anhängliche Bezug zu einer autoritären Vaterfigur, die Weller in der Figur des Rurik-Kapitäns Otto von Kotzebue identifizierte. Weitere Selbstinfantilisierungen in Chamissos Reisebericht betreffen etwa die Schilderungen der »kindlichen Freude« bzw. der »Naturkinder« auf den Pazifikinseln oder die Stilisierung des Schiffs zur »Wiege«, auf dem der Reisende über Träume in die Zeiten seiner eigenen Kindheit in Frankreich oder als Infanterist in Berlin zurückgeführt wird.

Abschließend für den ersten Konferenztag diskutierte Gabriele Dürbeck (Vechta) gemeinsam mit Christian Kracht über dessen 2012 erschienenen Roman Imperium, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der damaligen Kolonie Deutsch-Neuguinea spielt. Dürbeck hob zu Beginn ihres Vortrags die Konjunktur von Büchern über die Kolonialvergangenheit in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur hervor, die auch in der germanistischen Forschung keineswegs unbemerkt geblieben ist. Anschließend stellte Dürbeck die ihrer eigenen Habilitationsschrift zum deutschen »Ozeanismus« im 19. und frühen 20. Jahrhundert zugrunde gelegte Typologie von Diskursen und Interdiskursen vor, die sie direkt auf Krachts Imperium bezog. Krachts Roman, so Dürbeck, ist vor allem geprägt von einer selektiven Aneignung des ökonomisch-kolonialen Diskurses. Hinzu kommen literarische Verfahren der Metafiktion, der Stilimitation und des »allusionshaften Erzählens« über den Pazifik, mit denen Imperium historische Versatzstücke für ästhetisch-komische Effekte nutzt und anhand eines selektiv-überspitzten Sprachduktus ein gebildetes Publikum anvisiert. Im Anschluss an den Vortrag ergab sich eine lebhafte Diskussion mit dem nicht in sämtlichen Punkten einverstandenen Autor. Kracht verwehrte sich u.a. gegen Interpretationen seines Romans als »ironisch« oder »popliterarisch« seitens einer »sekundären Intelligenz.«

Der zweite Konferenztag begann mit Vorträgen zu kolonialen Stützpunkten des wilhelminischen Kaiserreichs im Pazifik, die jeweils für sich schwerwiegenden Gewaltakten ausgesetzt waren. Yixu Lü (Sydney) widmete sich den Metamorphosen in der Geschichte des Marinestützpunktes Tsingtau, der ersten und einzigen deutschen Kolonie in China. Lü wies nach, dass der Standort zwar niemals strategische Relevanz für die militärische oder wirtschaftliche Politik des Kaiserreichs besaß, dafür aber einen beträchtlichen symbolischen Stellenwert erlangte. Als »Triumph des Heimatlichen über den Exotismus« bzw. als »Paradies des Deutschtums in Miniatur« feierte die Publizistik Tsingtau als mustergültigen Ausflugs- und Kurort in Asien. Neben diesem »Fortschrittsdiskurs« etablierte sich während der Kämpfe um den Stützpunkt, die schlussendlich zur Kapitulation der wilhelminischen Streitkräfte führten, auch ein »Opferdiskurs.« Die vermeidbare und letztlich sinnlose Zerstörung Tsingtaus wurde darin überhöht als biblischer »Exodus« bzw. als Nibelungentreue »bis in den Tod« gegen eine »Welt von Hass, Neid und Raublust«; eine Argumentation, die dem theatralischen Regierungsstil des wilhelminischen Kaiserreichs entsprach.

Auch Thomas Schwarz (Tokyo) thematisierte mit der deutschen Strafexpedition gegen die Insel Ponape im Jahre 1911 ein militärisches Manöver des in Tsingtau stationierten Geschwaders. Ähnlich wie im Fall der angeblich deutschen »Musterkolonie« arbeiteten die deutschen Medien auch bei ihrer Darstellung dieses historischen Ereignissen sehr stark mit Symbolen und Mythologemen: Zum Beispiel wurden die Aufständischen zu »Infamen« oder »Bestien« stilisiert, um die koloniale Gewalt zu legitimieren. Schwarz zeichnete demgegenüber die historischen Vorgänge anhand von Berichten, Prozessakten und Presseartikeln präzise im Einzelnen nach, wobei es ihm um eine »Mikrophysik der Macht« (nach Michel Foucault) sowie um eine »Kritik der imperialen Vernunft aus postkolonialer Perspektive« (nach Johannes Fabian) ging. In der anschließenden Diskussion wurde unter anderem danach gefragt, weshalb dieser Aufstand kaum einen Widerhall im kulturellen Gedächtnis fand, anders als das vergleichbare historische Ereignis des Aufstands der Herero und Nama im heutigen Namibia im Jahre 1904, und inwieweit koloniale Szenarien stets eine gewisse Paranoia bedingen, bei denen die Akteure das eigene Verhalten auf ihr jeweiliges Gegenüber projizieren.

Angefangen mit dem Vortrag von Stefan Keppler-Tasaki (Tokyo) über Japan-kritische und anti-japanische Propaganda in der deutschen Exilliteratur beschäftigte sich die Konferenz in ihrem letzten Drittel mehr und mehr mit dem Pazifik-Diskurs im Tagungsland selbst. Keppler-Tasaki bezog sich insbesondere auf deutsche Exil-Autoren in den USA während des Zweiten Weltkriegs, die gegen Japan als Verbündeten Nazi-Deutschlands anschrieben. Ein besonderer Schwerpunkt lag auf Erzähltexten und Drehbüchern Alfred Döblins, der sich, als ein im Übrigen äußerst sinophiler Autor, maßgeblich an Anti-Japan-Produktionen Hollywoods beteiligte. Dabei zeichneten sich laut Keppler-Tasaki markante Unterschiede zwischen der Propaganda gegen das ›Dritte Reich‹ und gegen das Japanische Kaiserreich ab. Während im Fall Deutschlands Regierung und Bevölkerung häufig sehr unterschiedlich bewertet wurden und die Ästhetisierung und Personalisierung der nationalsozialistischen Politik gegen deren Urheber gewendet wurde, dominierten im Fall Japans rassistische Positionen, die weniger den Einzelnen als das Kollektiv zum Ausgangspunkt ihrer schriftstellerischen Angriffe erhoben.

Markus Joch (Tokyo) widmete sich am Beispiel der Okichi, der sog. Judith von Shimoda, ebenfalls einem prominenten Beispiel der Japan-Darstellung durch ›westliche‹ Autoren. Gerät der dahinter stehende historische Präzedenzfall bei dem Drama des japanischen Autors Yamamoto Yuzo noch zum Narrativ einer tragischen Heldin, die ihre Ehre durch eine Liaison mit einem amerikanischen Konsul dem Wohl ihres Vaterlands opfert und dafür doch keinen Dank erntet, verschieben ein gemeinsam mit einer finnischen Kollegin angefertigter Text von Bertolt Brecht und erst recht ein Film von John Hensh wesentliche Akzente. Brechts Judith von Shimoda unterlegt den Stoff, nicht nur durch die Umbenennung der Titelfigur nach der alttestamentarischen Judith des Holofernes, deutlich mit biblischen Bezügen, d.h. mit einem abendländischen Prätext, während Henshs The Barbarian and the Geisha Stereotype des unwiderstehlichen, militärisch-technisch überlegenen Amerikaners in Asien bedient. Während Brechts Text heroisiert, kommentiert und didaktisiert sowie das frühfeministische Drama einer emanzipierten Frau aus der japanischen Vorlage bewahrt, glorifiziert Henshs Film die »Kanonenbootpolitik« und den Handelsimperialismus Amerikas anhand der Figur des Konsuls, den er als Entwicklungshelfer für ein rückständiges japanisches Shogunat in Szene setzt.

Im Beitrag von Kai Köhler (Marburg/Berlin) rückten die Pazifik-Romane des weniger kanonischen, gleichwohl in der DDR vielgedruckten und -gelesenen Autors Harry Thürk in den Blick. Thürk gehörte zu der Generation der Schriftsteller, denen durch ihre nur kurze, aber außergewöhnliche Kriegserfahrung während ihrer Kindheit eine besondere Auffassungsgabe und Sensibilität in ihren literarischen Texten nachgesagt wurde. Seine von ihm selbst als »Dokumentarromane« bezeichneten Bücher kennzeichnet ein durchgängiges Nebeneinander von Fakt und Fiktion, bei dem Darstellungen geschichtlicher Abläufe, Fotografien und Landkarten gleichberechtigt neben imaginierten Textpassagen auftauchen, die u.a. die Innenperspektive der beteiligten Figuren schildern. Der Pazifik interessiert Thürk, der sich auch als Kriegskorrespondent in Korea und Vietnam aufhielt, in erster Linie als Schauplatz von militärischen Gefechten, wobei in der Regel soldatische »Profis bei der Arbeit« ohne bemerkbare Sympathielenkung seitens des Erzählers präsentiert werden. Thürks Raumdarstellung orientiert sich dabei an der Beherrschung des ozeanischen Territoriums durch Waffentechnik, vor allem durch eine militärische Präsenz aus der Luft.

Der Vortrag von Yukio Toyoda (Tokyo) läutete anschließend eine Sektion ein, in der anthropologische Zugänge zur Pazifikregion im Fokus standen. Sein Erkenntnisinteresse richtete sich auf den Status des in Papua-Neuguinea weit verbreiteten »Melanesian Pidgin.« Wie Toyoda nachwies, entwickelte sich diese offiziell nicht anerkannte Sprache im 19. Jahrhundert aus der Notwendigkeit, eine gemeinsame Verständigungsform für den einsetzenden Austausch auf Neuguinea mit europäischen Händlern und Missionaren zu schaffen. Gegenwärtig konkurriert »Melanesian Pidgin« mit der Amtssprache Englisch sowie mit ca. 800 indigenen Inselsprachen. Dass es de facto die Landessprache darstellt, belegt neben der allgemeinen Popularität auch die Verwendung von »Melanesian Pidgin« bei Inlandsflügen und in der Armee Papua-Neuguineas. Der überwiegende Teil der Sprachanwender findet sich in den Städten des Inselstaats, Anwendungsfelder der Sprache umfassen insbesondere Populärkultur, untere Gesellschaftsschichten sowie informellere Kommunikationssituation. Obwohl sich das Vokabular stark am Englischen orientiert, weichen Aussprache und Grammatik des »Melanesian Pidgin« stark von der offiziellen Landessprache ab.

Inwieweit der Kontakt zwischen Europäern, Amerikanern und Asiaten im Pazifik zu idiosynkratischen, höchst ambivalenten administrativen Akten führen kann, verdeutlichte die Präsentation von Matori Yamamoto (Tokyo) zum Thema Racial Categorization in Western Samoa. Ausgehend von der Kategorie ›Rasse‹ unterwarfen die unterschiedlichen Verwalter der Kolonie die multi-ethnische Bevölkerung der Inseln jeweils verschiedenen Rastern, die allesamt unbefriedigende, diskriminierende Ergebnisse nach sich zogen. Hinter diesen Einteilungen standen hauptsächlich ökonomische Interessen bzw. Statusprobleme, die sich aus Hochzeiten und Beziehungen zwischen Angehörigen unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen ergaben. Auf Basis des vorgelegten Bevölkerungsrasters legitimierte die Kolonialverwaltung anschließend weitreichende Diskriminierungen, die sich zum Beispiel auf das Wahlrecht, die Vergabe von Titeln oder das Recht auf Grundbesitz erstreckten. Obwohl ›Rasse‹ nach der Unabhängigkeit als entscheidender Parameter für die Klassifizierung der eigenen Bevölkerung abgeschafft wurde, bleiben Probleme dieses Systems bestehen: etwa in dem sehr eigenwilligen Wahlmodus in West-Samoa, das bis heute in der Kolonialära erworbene Adelstitel privilegiert.

Zum Abschluss der Tagung standen wiederum japanische Perspektiven auf den Pazifik im Vordergrund. Keiko Hamazaki (Tokyo) behandelte in ihrem Vortrag Leben und Werk des Schriftstellers Nakajima Atsushi, der während des Zweiten Weltkriegs, mit dem Auftrag, die dortigen Schulbücher neu zu gestalten, in das japanische Mandatsgebiet auf die Palau-Inseln geschickt wurde. Atsushis Aufarbeitung seines Aufenthalts, die er aus der Perspektive einer sehr nah am Autor positionierten Erzählerfigur vorlegt, verdankt sich sehr stark Anregungen aus der ›westlichen‹ Literatur. Atsukis Erzähler betrachtet die Inselszenerie »wie mit Schuppen auf den Augen«, die ihm Motive etwa von Melville liefern. Erst im Anschluss an diese präfigurierte Sicht des Exotischen folgt die eigenständige literarische Komposition. In seiner Einstellung gegenüber den Einheimischen, etwa den Schülerinnen, überwiegt Mitleid, aber auch, wie es der Erzähler selbst nennt, »freundliche Verachtung.« Hamazaki beschloss ihren Vortrag mit der hypothetischen Frage, wie sich der Autor, wenn er nicht schon zuvor gestorben wäre, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zur Kolonialpolitik Japans im Pazifik im Sinne einer »Vergangenheitsbewältigung« geäußert hätte.

Am Beispiel des »Godzilla«-Mythos in Japan beschäftigte sich der Vortrag von Mario Kumekawa (Tokyo) zuletzt mit einer Thematik, die wie kaum eine andere Aktualität im gegenwärtigen Pazifik-Diskurs für sich beanspruchen kann. Das Monster Godzilla, das häufig als eine Mischung aus Gorilla und Wal definiert wird, wurde in seiner nun schon 60 Jahre umspannenden Filmgeschichte zu den unterschiedlichsten Zwecken eingesetzt: Mal symbolisierte es die amerikanischen Kriegsschiffe und die erzwungene Öffnung Japans, mal das »Gespenst der Strahlungsopfer« und damit die Gefahren radioaktiver Energie, mal die Kriegstoten des Zweiten Weltkriegs und die Umwandlung der Werte in der Nachkriegszeit hin zu Demokratie und Pazifismus. Als »Retter und Zerstörer gleichermaßen« kann die Figur aber auch im Sinne eines japanischen Sendungsbewusstseins interpretiert werden, das die »Südsee« von europäischem Kolonialismus bzw. von indigener Rückständigkeit befreien möchte. Anhand der gigantischen, ebenfalls verstrahlten Motte »Mothra« wies Kumekawa außerdem auf ein filmisches Nebenprodukt des Godzilla-Diskurses hin, das jedoch zu keinem Zeitpunkt eine annähernd gleiche Popularität wie sein reptiliengleicher Kompagnon erreichte.

Insgesamt behandelte die Tagung ein äußerst breites Spektrum an Themen und historischen, künstlerischen und medienspezifischen Zugangsweisen zur titelgebenden Weltgegend. Einige wiederkehrende Diskursbahnen waren jedoch deutlich zu erkennen. Zu ihnen zählte die realhistorische Bedeutsamkeit des Pazifiks als Kolonialisierungs- und Kriegsschauplatz ebenso wie die symbolische Prägnanz der insularen Weltgegend als Ort kulturdiagnostischer Standortbestimmungen und Zielpunkt eskapistischer Verheißungen und Sehnsüchte.

Eine Publikation der Tagungsbeiträge ist in der Reihe »Rezeptionskulturen in Literatur- und Mediengeschichte« vorgesehen, die, herausgegeben von Mathias Herweg, Stefan Keppler-Tasaki, Cordula Lemke und Claudia Wiener, im Würzburger Verlag Königshausen & Neumann erscheint. Für Sommer 2015 ist außerdem ein Workshop zur Vorbereitung der Publikation geplant.