Begegnungen in Transiträumen / Transitorische Begegnungen

Bericht über ein GiG-Kolloquium Ende Mai 2014 in Limerick, Irland

Ernest W.B. Hess-Lüttich und Anna Stiepel1

1. Das Thema

Irland im kalten, dunklen, regennassen November: das trübe, gaben die Organisatoren in Limerick zu bedenken, aus rein meteorologischen Gründen vorhersehbar die Stimmung ein. Das sei einer Tagung möglicherweise nicht zuträglich. Man solle sich doch lieber im Wonnemonat Mai versammeln, da seien alle sicher bester Laune. Das hat mir sofort eingeleuchtet. Die ursprünglich für Ende 2014 geplante Konferenz der Gesellschaft für interkulturelle Germanistik (GiG) wurde vorverlegt und fand im Mary Immaculate College der University of Limerick in Verbindung mit dem Irish Centre for Transnational Studies, dem Centre for Irish-German Studies und dem Department for German Studies vom 29. Mai bis zum 1. Juni 2014 statt. Womit der Termin zum Jahresende wieder frei wurde für eine weitere, ebenfalls aus lokalen Gründen (dem 2014 begangenen Centenniums-Jubiläum der Germanistik in Indien) von 2015 auf den Dezember 2014 vorverlegte Tagung im tropischen Mumbai.

Unsere Einladung zur Tagung hatte ein unerwartet großes Echo gefunden, es hatten sich über 120 Teilnehmer angemeldet (etliche weitere Anmeldungen konnten nach Ablauf der Fristen aus Kapazitätsgründen nicht mehr angenommen werden), über 90 Referenten trugen aktuelle Erträge ihrer Forschung zum Thema der Tagung vor, zu dem deren Organisatoren Sabine Egger (Limerick), Withold Bonner (Tampere) und ich in der Einleitung zum Programm noch einmal festgehalten hatten, dass sich in der Literatur, im Film und anderen Medien der deutschsprachigen Länder in den letzten 25 Jahren ein kulturelles Raumbewusstsein herausgebildet habe, in dem dichotomische Konzepte des ›Anderen‹ bzw. ›Fremden‹ und ›Eigenen‹ zunehmend brüchig geworden seien und alles in Bewegung geraten scheine. Der Fall des Eisernen Vorhangs, die Erweiterung der Europäischen Union und manch andere Formen der Globalisierung hätten das Phänomen der Migration auf europäischer und globaler Ebene verstärkt, was sich teilweise auch in einer Ästhetik der Bewegung, Hybridität und Transnationalität niedergeschlagen habe. Die (auch medial vermittelte) Alltagserfahrung transnationaler Mobilität nicht nur innerhalb des ›neuen Europa‹ habe zur Folge gehabt, dass »Transiträume« (Foucault) oder »Räume« (de Certeau) wie Züge, Bahnhöfe, Flughäfen und ihre direkten Umgebungen zu einem Topos in den deutschsprachigen Literaturen und anderen Medien geworden seien. Der ›spatial turn‹ in den Literatur-, Kultur- und Sprachwissenschaften trage dem zwar Rechnung, aber zugleich erwüchsen daraus neue Fragestellungen.

Die Tagung hat sich daher zum einen befasst mit der Repräsentation solcher Transiträume in Texten verschiedener Epochen innerhalb vor allem der neueren, aber auch der älteren deutschsprachigen Literatur sowie anderer Medien oder Diskurse aus inter-/transkultureller Sicht. Zum anderen hat sie die Relevanz des Konzepts eines Transitraums – und damit des Übergangs, des Transitorischen, der Transformation, des Hybriden bzw. der Bewegung – aus der Perspektive der Sprachwissenschaften und des DaF-Unterrichts exponiert. Die Referenten aus Europa, Asien, Afrika, Nordamerika und Australien setzten sich im Rahmen der Tagung mit diesen Fragen auseinander, die hier auf knappem Raum nicht angemessen resümiert werden können. Ich beschränke mich daher im Folgenden auf eine Wiedergabe meiner kurzen Ansprache zur Eröffnung der Tagung (2.), die Zusammenfassung der Plenarvorträge (3.) und den Hinweis auf das kulturelle Rahmenprogramm ( 5.); Anna Stiepel wird kurz über den Verlauf der Tagung und ausgewählte Referate berichten (4.).2

2. Die Eröffnung

Nach den Grußworten des Präsidenten des Mary Immaculate College Michael Hayes und der Direktorin des Department of German Studies Christiane Schönfeld eröffnete der Präsident der GiG mit einem engagierten persönlichen Statement den Kongress, das auf vielfachen Wunsch hin hier auch für diejenigen Leser noch einmal dokumentiert sei, die nicht Mitglieder der GiG sind und die nicht an der Tagung teilnehmen konnten. Vorauszuschicken ist, dass die Tage in Limerick noch ganz unter dem Eindruck von drei unmittelbar vorausgegangenen, aber völlig unterschiedlichen Ereignissen standen, die gleichwohl für die Einstellung, Identität und Selbstwahrnehmung der Völker Europas zum Symptom wurden: Die Wahlen zum europäischen Parlament mit der ersten Direktwahl des Präsidenten der Europäischen Kommission, die russische Aggression gegen ein zaghaft sich Europa zuwendendes Nachbarland, die Ukraine, was vielen den Sinn der europäischen Gemeinschaft erst wieder jäh ins Bewusstsein hob, und schließlich, fast zeitgleich, die unbeschwerte Feier der europäischen Jugend im freundschaftlich ausgetragenen Gesangswettbewerb, dem European Song Contest, dessen Ergebnis die europäische Botschaft liberaler Werte der bürgerlichen Aufklärung in die Welt trug und ihr die Bereitschaft signalisierte, für diese Werte gegen alle Widerstände einzustehen. Diesem aktuellen dissonanten Dreiklang galt meine kurze Ansprache zum Auftakt.

»Irlande douze points. Ireland twelve points.« Zwölf Punkte, die Bestwertung, vergab das einst erzkatholische Irland beim Grand Prix Eurovision de la Chanson in Kopenhagen an Tom Neuwirth, einen jungen Mann mit Vollbart aus Bad Mitterndorf in der Steiermark, der »in full drag« in einer Lichtkathedrale auf der Bühne stand und im Stile von Shirley Bassey einem begeisterten Publikum sein Lied Rise like a Phoenix entgegenschmetterte. »Die erste Frau mit Bart beim Eurovision Song Contest« gewann als »Conchita Wurst« den europaweiten Wettbewerb und wurde (z.B.) von der Zeit (Nr. 21 v. 15. Mai 2014) zu Europas bärtiger Königin, zur Queen of Europe gekürt.

Das Votum für Conchita oder Tom ist eine politisch bedeutsame Botschaft in doppelter Hinsicht. Erstens: Die sexuelle Orientierung eines Menschen ist für die Beurteilung der Person oder ihrer Leistung »wurst«, egal, einerlei, unerheblich. Ein Mensch im Übergang zwischen den binären Modellen stereotyper Geschlechtsrollen, die ›Transe‹ im Transitraum zwischen Mann und Frau, stellt Gender-Grenzen in Frage. Die irritierende Grenzüberschreitung ist im (mehr oder weniger klangvollen) Künstlernamen kondensiertes Programm: ›Conchita‹, im kolloquialen Spanisch ein Kosewort für Vagina, und die konische Form der ›Wurst‹ assoziiert für manche im Deutschen durchaus spezifisch Männliches. Die semiotische Verkoppelung von femininem Outfit und maskulinem Bart lässt im Sinne Platons die von den Göttern getrennten Halbwesen zu einem androgynen Ganzen verschmelzen.

Das Befremdende dieser hybriden Ästhetik der provokanten Inszenierung einer transitorischen Identität ist für viele eine Herausforderung, die mit zuverlässig erwartbarer Konsequenz angenommen wird. Abgeordnete der russischen Duma, wie (stellvertretend für viele) der einschlägig berüchtigte Wladimir Schirinowski, twittern ihren Furor umgehend in die Welt: »Unsere Empörung ist grenzenlos. Das ist das Ende Europas!« Einst habe die sowjetische Armee Österreich besetzt, es freizugeben, das sehe man ja jetzt, sei ein Fehler gewesen.

Und damit bin ich bei der zweiten Botschaft, die von diesem Votum für den jungen Tom vom oberösterreichischen Traunsee ausgeht: Wir Europäer wollen ein liberales, freiheitliches, rechtsstaatliches modernes Europa, in dem Minderheiten rechtlichen Schutz vor Diskriminierung genießen. Wir haben die Nase voll von den homophoben Sprüchen und xenophoben Ausfällen der Putins und der Patriarchen, von den selbstgerechten Pharisäern und bornierten Reaktionären, die ausgrenzen, was immer ihrem vernagelten Weltbild widerspricht, von den Hassern und Hetzern, die aus aggressiv verteidigtem Unwissen und im Namen archaischer Traditionen oder missverstandener religiöser Ideologien gleich welcher Branche zu vernichten fordern, was immer ihnen fremd erscheint und anders ist als sie. »Wider die Natur!«, schreien sie, die Ahnungslosen, und klerikal-konservative Autoren (wie Jürgen Elsässer oder Matthias Matussek) donnern im Chor: »Entartete Kunstfigur!« Das ist der Sound der lingua tertii imperii, der manchem offenbar schon wieder wie Wohllaut klingt. Wir haben genug von Popen, Priestern und Politbonzen, die auf Transvestiten mit Würgreflexen reagieren, genug von evangelikalen Cowboys, islamistischen Einpeitschern und katholischen Exorzisten, die Teufelswerk wittern hinter allem, was nicht in die verstaubten Schubläden ihrer Schädel passt. Das war die Botschaft des 25-jährigen Tom, der seinen Song und Sieg all jenen widmete, »die an eine freie und friedliche Welt glauben«.

Schnitt. Zwei Wochen später der Rückschlag. Wieder eine Wahl in Europa. Das Ergebnis wird in diesen Tagen (Ende Mai 2014) ausgewertet und ausgedeutet. Schwache Wahlbeteiligung, was immer die rechten Ränder stärkt (13 % in der Slowakei, ganze 22 % der Polen, obwohl sie zu 86 % pro-europäisch sind). Die Mehrheit der Deutschen zu lahm und zu faul, am letzten Wochenende zur Wahl zu gehen, statt stumpf in den Stadtparks zu lagern und Grilldunst zu atmen. Der rechte Front National stärkste Partei in Frankreich, Ukip ›earthquake‹ rocks Labour and Tories titelt der britische Telegraph am 23. Mai 2014, die offen antisemitisch-rassistische Jobbik-Partei von Gábor Vona auf Platz zwei in Ungarn, die rechtspopulistische FPÖ holt mehr als ein Fünftel aller Stimmen in demselben Österreich, das eben noch im Triumph seines Landeskindes sich sonnte. Twelve Points for Tom, den Transvestiten.

Sie wittern Morgenluft, die Feinde des liberalen Europas, Rechtspopulisten wie Marine Le Pen in Frankreich, Geerd Wilders in Holland, Heinz-Christian Strache in Österreich, Bernd Lucke in Deutschland, Viktor Orbán in Ungarn oder auch Christoph Blocher in der Schweiz finden zunehmend Gehör für ihre simplen Parolen. Voller Bewunderung pilgerten Le Pen und andere zu Wladimir Putin – der russische Macho-Held ist ihr Vorbild: stark, männlich, breitbeinig, triefend von Testosteron, zupackend, der weiß, was ›normal‹ ist und was nicht, der sich nimmt, was er für sein Eigenes hält, der für Tradition steht und für die alten Werte – und das ganz alte Denken. Was für eine bizarre unheilige Allianz!

An solchen Leuten und denen, die ihnen folgen, scheint völlig vorbeigegangen, was in Europa im letzten Vierteljahrhundert geschehen ist und nicht nur dort. Die jungen Europäer haben mit Erasmus-Programmen den Kontinent bereist, sie haben ihren Horizont erweitert und ihr Denken durchgelüftet in der Begegnung mit Fremden, mit Menschen, die anders sind und doch wie Du und Ich. Der europäische Raum ist für sie nicht mehr Ferne und Fremde, sondern Heimat und Identität. Als bekennender Kosmopolit und überzeugter Europäer setze ich meine letzte Hoffnung auf die aufgeklärte Generation ›Erasmus‹, die sich von den gestrigen Sprüchen der Alten und Unbelehrbaren, aber leider auch manchen jungen ›Neo-Kons‹ und Neo-Nazis, nicht mehr einschüchtern lässt, die Globalisierung nicht als Drohung, sondern als Chance begreift, die lernend sich einlässt auf Neues und Anderes, die Vertrautes in Frage stellt und stellen lässt und sich nicht auf die unbefragt-ewigen Wahrheiten derer beruft, die sich aller Rechtfertigungspflichten meinen entziehen zu dürfen. Dafür hat Conchita gesungen, der die Gender-Grenzen ›wurst‹ sind.

Neugier, Offenheit, Toleranz, Respekt vor dem Anderem, Einsicht in die eigenen Grenzen und Begrenztheiten – und der »Mut, den eigenen Verstand zu gebrauchen«: das wünsche ich den Jungen und geistig jung Gebliebenen. Kants Definition der Aufklärung, die meine Studenten, gerade auch die aus anderen und fernen Ländern, auswendig lernen müssen, wenn sie bei mir Examen machen wollen, ist für mich immer noch das stärkste Band, das den Kontinent zusammenhält:3

Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.

Das sapere aude des Horaz ist für Kant und uns der ›Wahlspruch der Aufklärung‹. Er verleiht die Kraft, den Sirenengesängen der Populisten und Prediger zu widerstehen. Er ist der Impuls zu selbstständigem kritischen Denken. Die Aufklärung bietet das Rüstzeug geistiger Mobilität, die Bedingung ist für die Erfahrung der Welt. Die Welt im wörtlichen Sinne zu ›er-fahren‹, kann dabei helfen. Leben ist unterwegs sein. Der Mensch ist keine Topfpflanze, kein sessiler Tiefseeschwamm. Er ist ein durch Umwelt und Erfahrung lernendes System. Er weiß: Europa ist nicht überall. Europäische Werte sind fragil, sie sind – historisch mühsam genug errungen in Jahrhunderten – nun zu verteidigen und immer neu zu erklären. Europa nicht als Festung, an dessen Dublin-II-Mauern die Flüchtenden zerschellen, wie sie uns die Medien täglich vor Augen führen und wie sie in Elfriede Jelineks jüngstem Stück Die Schutzbefohlenen auf bitterste Weise zu Wort kommen, sondern Europa als Campus, Forum, Agorá, Raum des gemeinsamen Gesprächs über Gesichertes und Strittiges. In der Scientific Community funktioniert das auch weltweit schon ganz gut. Werden wir nicht müde, darin auch für andere ein selbstkritisches Vorbild zu werden im Bewusstsein der Vorläufigkeit unseres Wissens, das wir nicht mit Wahrheit verwechseln.

Soweit mein Gruß an die Teilnehmer der GiG-Tagung 2014, die vom Vorläufigen und Transitorischen handelte, von Hybridität und Transnationalität, es ging um die Ästhetik der Bewegung und die Pluralität der Perspektiven, um Identität und ›Transdifferenz‹, um Versuche der Verständigung über Grenzen hinweg, um die Suche nach Ähnlichkeiten in der Verschiedenheit. Die Stichworte aus der Einladung zu diesem Col-loquium und die Themen des Programms boten reichen Stoff zum colloquor, zum Reden miteinander, innerhalb und außerhalb des Hörsaals, zum dialegesthai im Sinne der ›Alten‹, die ›miteinander etwas ins Klare zu bringen‹ strebten, und der Jungen, die neugierig auf Fremdes nach Limerick kamen, viele zum ersten Mal, in das idyllische Städtchen, das, wer weiß, vielleicht einer lyrischen Form den Genre-Namen gab, als dessen Meister bekanntlich Edward Lear gilt, dessen berühmten Limerick No. 1 ich für die bärtige Lady verfremde:

Es war mal ’ne Lady mit Bart

Besorgt, was an Vögeln sich paart

An Lerchen, Pirolen

An Eulen und Dohlen:

»Sie alle tun’s in meinem Bart!«

Und für die Gebildeten unter den Lesern, die jetzt an das 20. Sonett von Shakespeare denken, hier noch als Zugabe dessen Parodie in der strengen Form des Limericks:

Ein hermaphroditisches Wesen

wär‘ mir was Apartes gewesen,

da fand ich ’n Teil,

das macht’ mich ganz geil,

an diesem befremdlichen Wesen.

3. Die Plenarvorträge

Den eigentlichen Auftakt zur Tagung in Limerick machte dann anschließend der brilliante indische Germanist, Kompararatist und Kulturwissenschaftler Anil Bhatti von der renommierten Jawaharlal Nehru University in New Delhi. Angesichts des großen öffentlichen Publikums über den engeren Bezirk der Germanistik hinaus sprach er in freier Rede auf Englisch über Overlapping Worlds and Similarity (Ähnlichkeit): Space-time Displacement and Cultural Translation in a World of Migration. Er fragte nach den Antworten der Kulturtheorie auf die Lage der durch Mobilität und Migration geprägten Welt voller Grenzen, Barrieren, Hürden – und die oft vergeblichen Versuche ihrer Überwindung. In nüchternem Blick auf die faktischen Machtverhältnisse und ihre Folgen plädierte er für ein ›neues Denken‹ mit dem Ziel, die bisherige ›Hermeneutik der Differenz‹ (von Eigenem und Fremdem) zu ergänzen oder gar zu überwinden durch die (durchaus empirisch gemeinte) Suche nach Analogien und das subversive Aufspüren von ›Ähnlichkeiten‹. Das erlaube es nämlich, mit transitorischen Prozessen und Transiträumen fruchtbarer umzugehen und von der Linearität der Abgrenzung zur Simultaneität des Verschiedenen zu gelangen. Macht bediene sich nicht selten des Gestus der Abgrenzung, während die Überschneidungen des Unterschiedlichen ein Kontinuum erzeugten, eine Zone des Übergangs (›fuzzyness‹), was das Betongefüge der Macht unterminiere. Die daraus entstehenden ›Transiträume‹ schüfen gleichsam Freiräume für Veränderungen, im Glücksfalle auch für die Unterminierung autoritärer Machtstrukturen. Die kulturtheoretisch daraus dann abzuleitenden methodologischen Konsequenzen würden uns besser befähigen, mit der Topologie des Heterogenen umzugehen, mit Polylingualität, Plurikulturalität und Multireligiosität, wovon er sich eine Stärkung säkularer und integrativer, vielleicht synkretischer Positionen erhofft. (Am Rande der Tagung stand Bhatti den postgraduate students diverser Fächer zur Verfügung, um mit ihnen das Thema in einem Workshop zu vertiefen.)

Der zweite Plenarvortrag trug den Titel Vom Finden und Suchen von Transiträumen: Zur Theorie und Praxis von Forschungsprojekten im Kontext der Reise-, Exil- und Migrationsliteratur: Gisela Holfter von der gastgebenden University of Limerick stellte ein Projekt (German Traces) des Centre for Irish-German Studies vor, das nach Brasilien und Israel, Bratislava und Stockholm nun auch in Irland »Deutsche Spuren« aufzufinden und der Öffentlichkeit in Form von Text-, Audio- und Videodateien zugänglich zu machen sucht.

Der dritte Plenarvortrag von Arnd Witte von der irischen Maynooth University im schönen County Kildare war dem Thema Fremdsprachenlernen und Dritte Orte: Verstrickung und Entfaltung des interkulturellen Selbst gewidmet. Sein Interesse galt der individuellen Erfahrung eines Menschen in fremden Kulturräumen vor dem Hintergrund seiner sozialisatorischen Prägung durch seine eigene Kultur, die, wiewohl ihm selbst möglicherweise nur teilweise bewusst, seine Wahrnehmung gleichwohl sowohl kognitiv als auch emotional beeinflusst. Im Kontext von raumtheoretischen Ansätze des sog. conceptual blending und des ›third space‹ bzw. ›third place‹ zog Witte daraus Schlussfolgerungen für eine neue Konzipierung der Vermittlung von Fremdsprachen, die auf eine Verschmelzung mentaler Räume ziele, die mit benachbarten Räumen netzartige Strukturen herausbildeten, was semantische Ähnlichkeiten zwischen Mutter- und Fremdsprache abzurufen erlaube.

4. Die Sektionsvorträge

Liminalität, Überlappungen sowie Zwischenräume wurden von Neeti Badwe (Pune) in Texten Kafkas als Orte symbolischer Interaktion herausgearbeitet. Die gewonnenen Erkenntnisse zu untersuchten Transiträumen lassen sie als ambivalente Bereiche erscheinen, an denen sich nicht nur Mobilität, Hybridität und transnationale Grenzüberschreitungen ablesen lassen, sondern auch der Verlust von Zeit- und Raumbewusstsein, wie Ute Seiderer an Péter Esterházys Roman Donau abwärts (1992) zeigte, sowie die Umkehr von Bewegung in statisches Warten, wie in Yoko Tawadas Schwager in Bordeaux (2008; Yvonne Dudzik, Bochum). Es wurde danach gefragt, wie sich die Wahrnehmung von Ferne und Mobilität in der literarischen Moderne wandelt und wie dadurch sinnliche und kulturelle Perspektiven verändert werden. Die umfassende Mobilität generiert neben Freiräumen jedoch auch Einschnitte in Biografien (Carmen Schier, Coburg), die Erschütterung bestehender Identitätskonzepte und die Ausbildung hybrider Identitäten. Das Motiv der Lebensreise, von Adalbert von Chamisso bis hin zu Yadé Kara, Radek Knapp oder Feridun Zaimoğlu, war Thema von Michael Ewerts (München) Untersuchung. Interessant war in diesem Kontext auch der Vortrag Christina Jurcics (Oviedo), die den Ansatz der feministischen Philosophin Sara Ahmed zu emotionalen Ökonomien in transnationalen Gesellschaften auf Bewegung in den Texten Melinda Nadj Abonjis, Yade Karas und Ulrike Ulrichs anwandte. Während in Krisenzeiten oft Tendenzen bestehen, individuelles Glück in nostalgische Bilder von Sesshaftigkeit und geringer physischer und sozialer Mobilität zu übersetzen, ermöglicht das Zulassen von Unglück »eMotion«, d.h. eine Form der Bewegung, die positive Veränderungen in transnationalen Gesellschaften zulässt. Zwei weitere Vorträge zu Nadj Abonjis Tauben fliegen auf zeigten, wie der Roman selbst (Jürgen Barkhoff, Dublin) bzw. das Auto darin (Elin Nesje Vestli, Oslo) zu einem transitorischen Raum wird, von dessen Rücksitz aus Spielarten eines transitorischen Daseins ausprobiert werden.

In den Vorträgen wurde deutlich, dass Transiträume in vielfältiger Gestalt in Literatur und Film reflektiert und/oder kodiert werden. Dabei kann es sich um Länder, Städte, Bahnhöfe, Flugplätze, Transportmittel, Varietés, Hotellobbys, Büroräume oder Bordelle handeln. Ein Hauptcharakteristikum der untersuchten Transiträume ist, dass sie Berührungspunkte und Begegnungen zwischen Bekanntem und Unbekanntem, Eigenem und Fremden ermöglichen, die als Konsequenz eines Kontakts Veränderungen des Individuums und/oder des Ortes nach sich ziehen. Dabei wurde den Fragen nachgegangen, welche Begegnungen und Interaktionen sich in und durch Transiträume aufgrund ihres inhärenten Wertesystems ergeben, und inwieweit Transiträume sich durch die Handlungen der sich in diesem Raum befindenden Individuen konstituieren.

Als zwischenkontinentaler, nicht dauerhaft bewohnbarer Aufenthaltsraum, bzw. als symbolischer Raum, der Nationen und Kulturen gleichzeitig voneinander abgrenzt und miteinander verbindet (Marja-Leena Hakkarainen, Turku), wurde das Meer bzw. der Ozean vorgestellt. Das Wasser kann zudem geopoetische Konzepte und semiotische Stereotype befördern. Das trifft auch auf das Eis zu, dem sich der Reisende in literarischen (Dmitrij Dobrovol’skij und Artem Šarandin, Moskau) und filmischen Texten (Dorit Müller, Berlin) in Polarregionen gegenüber sieht, und das sowohl als leere Naturlandschaft als auch in Gestalt seiner indigenen Bewohner extreme Fremdheit repräsentieren kann. Doch gerade aufgrund dieser Fremdheit widerstrebt es konventionellen Mustern der medialen Inszenierung und kann so zur Folie instabiler und oszillierender Ordnungen werden. Am Beispiel deutscher Afrika-Reiseberichte aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ermittelte Florian Krobb (Maynooth), dass der zu Studienzwecken durchquerte Raum über die Begegnungsszenen als instabil definiert wurde, um die Notwendigkeit einer Stabilisierung durch europäisches Eingreifen nachzuweisen und so koloniale Bestrebungen zu legitimieren.

Groß- und Hauptstädte werden von Zuziehenden als Niederlassungsorte ersehnt oder als Durchgangsstation gedacht und erlebt, so in Josef Roths Essay Juden auf Wanderschaft (Astrid Starck-Adler, Bern). Vor allem Berlin wird in neueren Texten, wie denen von Carmen-Francesca Banciu, zum Raum der Transformation, und – durch das Erleben des Individuums – zum kulturellen Bedeutungsträger, wodurch der Transitraum nicht nur Durchgangsort, sondern Handlungsraum wird (Hiltrud Arens, Montana). Umgekehrt können historisch als polyglotte Begegnungsräume wahrgenommene Städte wie Berlin in Fernsehserien aufgrund dieser Bedeutung zugleich als Schauplatz und Hauptakteur fungieren, wie Jonas Nesselhauf und Markus Schleich (Saarbrücken) anhand von Dominik Grafs zehnteiliger Fernsehserie Im Angesicht des Verbrechens überzeugend zeigten.

Begegnungen und Grenzüberschreitungen, d.h. die geografische und soziale Mobilität des Individuums, erfahren in Transportmitteln und Verkehrsknotenpunkten oft eine Intensivierung. Verkehrsknotenpunkte, allen voran Bahnhöfe, sind das Ergebnis kultureller (Margit Dirscherl, Bristol) und wirtschaftlicher Prozesse, die den Raum und die Gesellschaft markieren. Elena Giovannini (Bologna) strich heraus, dass der Bahnhof ein polyfunktionaler Transitraum ist, ein Knotenpunkt im Verkehrs- und Wirtschaftsnetz, der den Übergang zum Kapitalismus und die darauffolgenden sozialen Transformationen verräumlicht. Verliert der Bahnhof jedoch seine transitorische Funktion, dann erhält er den Status einer peripheren Abweichungsheterotopie. Der Flughafen kann dagegen aufgrund seiner Ortlosigkeit zum Ausgangs- und Ankunftspunkt für Landesgrenzen überschreitende Bewegungen und zum Katalysator für die Reise in eigene Innenwelten werden (Agata J. Łągiewka, Barcelona). Aleya Khattab (Kairo) sprach über das Taxi in den tragikomischen Geschichten von Chalid Al-Chamissi als literarische Projektionsfläche für Leid und Wut, aber damit auch als Raum des Aufbegehrens der Mehrheit in Ägypten.

Transportmittel spielen als Transiträume, als Zwischen- und Grenzräume im Übergang zwischen Abfahrts- und Zielort eine zentrale Rolle. In literarischen Repräsentationen von Zügen und Zugreisen von DDR-Autoren werden sie als Symbole des Übergangs und als heterotopischer Raum par excellence entworfen (Withold Bonner, Tampere). Sabine Egger (Limerick) untersuchte die Bahnfahrt in Herta Müllers Roman Reisende auf einem Bein (1989) als zentrale Metapher des Vagabundentums und die aktive/passive Rolle des Subjekts in der dabei entstehenden Dynamik im Kontext zeitgenössischer Vagabondage-Texte. In Müllers transmedialen Collagen entsteht Bewegung durch zentrale Figuren wie die »ich-Verteilmaschinerie« und Text-Bild-Relationen, auf die Iulia-Karin Patrut (Trier) einging. Gerald Bär (Lissabon) untersuchte frühe fiktionale und empirische Flugberichte über die entgrenzende Erfahrung des Aufstiegs mit dem Fesselballon als neuem Transportmittel.

Öffentliche oder halböffentliche Begegnungsorte wie Varietés, Hotellobbys, Büroräume oder Bordelle können ebenfalls zu Transiträumen werden. Die Hotellobby mit ihrer Drehtür in Verfilmungen von Vicky Baums Menschen im Hotel (1929) wurde von Christiane Schönfeld (Limerick) als Metapher für das Transitorische des Lebens und das Flüchtige des Seins und damit zu Spiegel und Maß der Gesellschaft interpretiert. Ebenso die Varietés der 1920er- und 30er-Jahre, in denen vor allem die Lust an der Durchbrechung gesellschaftlicher Tabus im Vordergrund stand. Mit Franz Kafkas Ein Bericht für eine Akademie (1917) als Analysewerkzeug warf Herbert Uerlings (Trier) einen Blick auf die Karriere Josephine Bakers und fragte, inwiefern für sie das Varieté im Paris der 1920er-Jahre zum Transitraum für ihre Flucht vor Rassismus wurde, ihre Performance als Inszenierung unauflöslicher Ambivalenzen und des kolonialen Begehrens.

Corinna Albrecht (Göttingen) und Monika Shafi (Delaware) zeigten in ihren Vorträgen auf, wie die Kernfragen des Globalisierungsdiskurses in deutschsprachigen Gegenwartstexten räumlich verhandelt werden. In inszenierten Transiträumen wie Büros, Messehallen, Ferienresorts und Restaurants werden nicht nur Begegnungssituationen, sondern auch ökonomische und kulturelle Globalisierungsprozesse manifest. Dabei geht es vor allem um die Auseinandersetzung mit den Auswirkungen transitorischer Erfahrungen auf individuelle Lebensentwürfe der Protagonisten, welche durch eben jene transitorischen Orte produziert, problematisiert und gespiegelt werden.

Die Thematisierung von Reise, »Transmigration«, aber auch Sehnsucht nach ›Heimat‹ steht im Zentrum neuer interkultureller Literatur, wie verschiedene Vorträge zeigten (u.a. Nuria Codina, Chemnitz/Tübingen; Gunther Pakendorf, Stellenbosch; Szilvia Lengl, Limerick), und in der ›Vertreibungsliteratur‹. Vertreibung, Identitätsverlust sowie die nostalgische Sehnsucht nach der verlorenen Heimat und die Wiederbegegnung damit sind Themen dieser Literatur. Für viele Vertriebene ist jeder Ort jenseits der Heimat, ob Flüchtlingslager, Unterschlupf auf dem Fluchtweg oder das neue Zuhause nicht nur ein Raum zur Begegnung mit fremden Menschen und Kulturen, sondern auch mit dem verfremdeten, sich erinnernden bzw. im Hinblick auf kulturelle und soziale Identität neu wahrgenommenen Selbst (Hala Farrag, Kairo; Johnny Johnston, Dublin; Julia Augart, Windhoek).

In der Gegenwartsliteratur werden virtuelle Bewegungsräume entworfen, in denen Protagonisten gender-Identität vergegenwärtigen, performativ konstruieren, aber auch entgrenzen, wie von Björn Hayer (Landau) anhand ausgewählter Texte aus der Perspektive von gender studies und Medialitätstheorien gezeigt wurde. Das Internet ermöglicht es durch seine Anonymität, störungsfrei den Geschlechterwechsel zu vollziehen, es übernimmt im Hinblick darauf eine ähnliche Funktion wie Aufenthalte in der Illegalität es für homosexuelle Palästinenser tun können (Joachim Warmbold, Tel Aviv). Zehra İpşiroğlu (Duisburg-Essen) untersuchte Stücke des heutigen interkulturellen Theaters, in denen Gender-Fragen gemeinsam mit kulturell, sozial und individuell bedingten Konflikten behandelt werden. Die Theaterstücke aus der Perspektive des Transit-Konzepts zu untersuchen stellt dabei einen innovativen Ansatz dar.

Norbert Mecklenburg (Köln) verglich in seinem Vortrag mit Hilfe von inter- und transkulturellen wie auch postkolonialen Ansätzen zwei nicht-europäische Adaptationen von Euripides Iphigeneia mit der Goethes im Hinblick auf die Konfrontation von Griechen und ›Barbaren‹ darin. Inszeniert der mexikanische Autor Alfonso Reyes seine Ifigenia cruel (1923) als kulturelle Überläuferin, ist die Ifigenia Tauris’te (1942) des türkischen Autors Selahattin Batu gezielt anti-orientalistisch konzipiert, wobei beide aus interkultureller Sicht problematisch seien. Das treffe nicht auf Perikızı zu, Emine Sevgi Özdamars Bearbeitung von Homers Odyssee, mit der sie am Projekt Odyssee Europa der RUHR.2010 teilnahm, wie Ana Calero (Valencia) ausführte. Die junge Heldin, Perikızı, begibt sich darin durch einen Spiegel von ihrem Zuhause in Istanbul (Ithaka) nach Europa und macht damit die Bühne zu einem – interkulturellen –Transitraum, wie ihn Foucault in Verbindung mit der Heterotopie definiert.

Betrachtet man das Konzept des Transitraums als Metapher für einen Übergang, in dem eine Transition von einem Status in den anderen stattfindet, eröffnen sich hier auch neue Blickwinkel auf Adoleszenzprozesse. Dabei stellte sich heraus, dass auch ›totale‹ Bildungs- und Erziehungsanstalten als transitorische Räume interpretiert werden können, beispielsweise in Josef Holubs Lausige Zeiten (1997; Britta Jung, Groningen/Limerick) oder Joseph Zoderers Das Glück beim Händewaschen (1979; Anna Stiepel, Limerick). Transportmittel, Wege, Reisen sind laut Cornelia Zierau (Paderborn) in der Adoleszenzliteratur zunehmend als Transiträume zu finden, in denen soziale, religiöse und sexuelle Differenzen auf ästhetisch anspruchsvolle Weise verhandelt werden. Insofern sollten diese Texte nicht nur im Kontext der Kinder- und Jugendliteratur untersucht werden.

Im Themenschwerpunkt der Intermedialen Sprachräume ging Peter Colliander (Kopenhagen) der Frage nach, ob die deutsche Sprache eine engere Beziehung von Zeit und Raum im lexikalischen sowie morphosyntaktischen Bereich zum Ausdruck bringe. Nachgewiesen wurde dies u.a. am Beispiel der Kasusrektion der Präposition ›in‹, die lokale und temporäre Zusammenhänge regiert und somit eine Beziehung zu Raum und Zeit entwirft. Unter dem Stichwort ›Mehrsprachigkeit‹ arbeitete Csaba Földes (Erfurt) mit Hilfe von empirischen Daten eines kontaktlinguistischen Feldforschungsprojektes bilinguale kommunikative Praktiken im aktuellen ungarndeutschen Sprachgebrauch heraus. Daraus ging hervor, dass in transkulturellen Kommunikationssituationen mitunter eine ›dritte Größe‹, ein ›hybridisierter Code‹ entsteht, der für die Symbolisierung sozialer Identität der Ungarndeutschen von Bedeutung ist. Andrea Bogner und Barbara Dengel (Göttingen) aktualisierten in ihrem Beitrag de Certeaus ›space‹ als ›practiced place‹ und schrieben ihn anknüpfend an das Konzept des kommunikativen Raumes fort. Yüksel Ekinci-Kocks (Bielefeld) stellte ein Projekt vor, in dem die sukzessive Erweiterung eines mehrsprachigen Wortschatzes von Schülern mit der Zweitsprache Deutsch untersucht wurde. Die DaZ-Lerner erschaffen sich lernend einen dritten, transkulturellen sprachlichen Raum.

Im Bereich der Übersetzungswissenschaften gingen Beiträge den Transferleistungen nach, die bei der Übersetzung von literarischen Texten, in denen insbesondere eine interkulturelle Konstellation verhandelt wird, zu erbringen sind. Texte wurden dabei als Transitraum in den Blick genommen, in dem nicht nur Begegnungen möglich sind, sondern auch kontinuierlich Austauschprozesse ablaufen für die das Vorübergehende bzw. Übergängige ästhetisch und inhaltlich selbst konstitutiv wird (Dieter Heimböckel, Luxemburg; Sabine Strümper-Krobb, Dublin). Die Übersetzung vermittelt einerseits den Eindruck eines fremden kulturellen Raumes, andererseits muss sie das polyphone ›Fremde‹, das schon an sich transitorische Effekte aufweist, vor dem Hintergrund des ›Eigenen‹ verständlich machen, um die adäquate Rezeption des Werkes zu gewährleisten. Es ist zu fragen, ob dies als überbrückender oder eher als dynamischer Transferprozess zu denken ist. Turgut Gümüşoğlu (Istanbul) nahm die eigenen Schwierigkeiten bei der Beantragung eines Visums für Irland, welche die Erfahrung anderer Teilnehmer aus ›östlichen‹ Ländern außerhalb der EU spiegelten, als praktisches Beispiel für Hindernisse im Prozess ›kulturellen Übersetzens‹, dem Transfer der Vorstellungen und Denkweisen eines Lebensraumes in einen anderen.

5. Das Rahmenprogramm

Das reichhaltige kulturelle Rahmenprogramm bot in entspannter Atmosphäre vielfältige Gelegenheit zum Austausch über das am Tage Gelernte. Am Abend des ersten Tages lud der deutsche Botschafter, seine Exzellenz Dr. Eckhard Lübkemeier, zu einem Empfang auf den schön gelegenen Plassey Campus. Anschließend las der vielfach ausgezeichnete Münchener Schriftsteller Hans Pleschinski aus seinem jüngsten Bestseller, dem virtuosen und von der Kritik zu Recht hochgelobten Roman Königsallee (2013 bei C.H. Beck erschienen), der kunstvoll Thomas Manns Lotte in Weimar im Nachkriegsdeutschland 1954 re-inszeniert und nach dem Vorbild der späten Begegnung zwischen Goethe und Charlotte Kestner, geborene Buff, 1816 in Weimar, den gefeierten Großschriftsteller im Düsseldorfer Breidenbacher Hof unversehens auf Klaus Heuser treffen lässt, seinen »Geliebten von einst« (wie das Tagebuch am 29. August 1954 diskret notiert). Die mit lässiger Eleganz vorgetragene Lesung von Passagen des ebenso kenntnisreich-quellenbelesenen wie ironisch-sublimen Romans quittierte das animierte Publikum mit anhaltendem Applaus.

Einen Empfang einschließlich eines üppigen Dinners im Dolan’s spendierte die Botschafterin der Schweiz Marie-Claude Meylan am zweiten Abend. Danach ließen sich die Teilnehmer verzaubern von einer durch gälische Sean-Nós-Gesänge, vorgetragen von der ebenso begabten wie schönen Sängerin Saili NiDhroighneains, gerahmten Lesung Ilma Rakusas, die auf Deutsch und Englisch aus ihrer Lyrik und Prosa las, vor allem Auszüge aus Mehr Meer (2009) und aus ihrem neuen Erzählband Einsamkeit mit rollendem »r« (2014).

Den Abschluss der Tagung bildete ein wunderbarer Akkord aus klassischem Konzert, Mozarts Divertimenti in der College Chapel, ein Empfang der Botschaft Österreichs in Anwesenheit des Gesandten und Botschaftsrates Ralf Hospodarsky und ein Abendessen mit anschließendem Spaziergang durch die eindrucksvollen Lichtinstallationen Particles of Waves? Wer zwischendurch noch Zeit fand, konnte am Tage auch noch andere Projekte irischer und internationaler Künstler bestaunen, Filme, Ausstellungen, die im Rahmen von Limerick als nationaler City of Culture 2014 bildlich und akustisch auf Transiträume Bezug nahmen, etwa eine sich zwischen Malerei und Fotocollagen bewegende Ausstellung Transient Spaces oder Kurzfilme und Fotografien von in und um Limerick ansässigen Künstlern wie Patrick Horgan oder Gottfried Helnwein oder die im Rahmen der Limerick-Konferenz über Urban Soundscapes and Critical Citizenship im April 2014 entwickelte Installation Soundscapes: Echo Location – The Sounds of Elsewhere (http://limericksounds.wordpress.com/echo-location).

Die GiG-Tagung 2014 in Limerick war mit insgesamt über 120 Teilnehmern eine der größten germanistischen Fachtagungen in der Konferenzsprache Deutsch überhaupt, die bisher in Irland oder Großbritannien stattgefunden haben. Sie wurde vom DAAD, vom Goethe-Institut, von den Botschaften Deutschlands, Österreichs und der Schweiz sowie von Fáilte Ireland unterstützt. In diesem Zusammenhang ist aus der Sicht des GiG-Präsidenten auch die umsichtige Vor- und Nachbereitung der Tagung durch Sabine Egger lobend hervorzuheben, die die Sponsoren gewann und etwa die zuständige Abteilung des DAAD mit perfekten Anträgen und Abrechnungen beglückte.

Eine angemessene Auswahl aus der Vielzahl der Beiträge zu diesem dicht gedrängten Programm soll allen GiG-Mitgliedern wieder in der Reihe der GiG Publikationen im Rahmen der Buchreihe Cross Cultural Communication zugänglich gemacht werden und voraussichtlich Anfang 2016 im Verlag Peter Lang erscheinen. Thematisch enger aufeinander bezogene Beiträge werden außerdem für ein Sonderheft der Zeitschrift für Interkulturelle Germanistik (ZiG) ausgewählt sowie für einen Themenband von Germanistik in Ireland, dem Jahrbuch der German Studies Association of Ireland.

Anmerkungen

1  | Die Abschnitte 1 bis 3 sowie 5 wurden verfasst von Ernest W.B. Hess-Lüttich (Berlin), Abschnitt 4 von Anna Stiepel (Limerick).

2  | Es versteht sich, dass in Abschnitt 4. nicht alle 91 Referate angemessen gewürdigt werden können; die Auswahl der hier erwähnten Vorträge ist kein Qualitätsindikator, sondern reflektiert auch ein wenig die Interessen der Berichterstatterin, die bei vier parallelen Sektionssträngen nicht überall zugleich anwesend sein konnte, sich dafür aber auch der Zuarbeit anderer Hörerinnen und Hörer versicherte.

3  | Immanuel Kant: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? [1784]. In: Ders.: Werke in zehn Bänden. Hg. v. Wilhelm Weischedel. Band 9. Darmstadt 1975, S. 53-61, Zit. S. 53 (Hervorh. in der zit. Ausg. gesperrt).