Poetiken des Übergangs

Interkulturelle Literatur als poetische Gesellschaftskritik

Iulia-Karin Patrut

Abstract

The article reveals the potential of a poetic of transition by pointing out how intercultural literature copes to comment upon societal barriers and epistemic patterns. It takes up concepts of transition such as Roland Barthes’ transgressions between signs and practices of signification, Walter Benjamins reflections upon space and transition, Friedrich Hölderlins ideas on historical transformation and elaborates upon Novalis’ idea of the genuine poetical character of transitions. Subsequently, the article differentiates some tasks and opens questions for the expertise on intercultural literature, as far as levels of transitions are concerned. Finally, it presents the articles on poetics of transition, which were part of the conference Europe in Transition. Intercultural Transfers – International Interpretations which took place from Sept. 9 to Sept. 15, 2017 at the Europe University Flensburg, Germany.

Title:

Poetics of Transition. Intercultural literature as poetical critique

Keywords:

poetics of transition; Novalis (1772-1801); intercultural literature; GiG-Conference Europe in Transition. Intercultural Transfers – International Interpretations

Eine systematische Evaluierung der Potentiale des Begriffs ›Übergang‹ für die interkulturelle Literaturwissenschaft fehlt bislang. Zwar liegen Einzelinterpretationen insbesondere zu Texten der letzten Jahrzehnte vor, in denen das Übergängige gleichsam als generalisierte conditio nach 1989 und im Zeitalter globaler Migration wie auch als literarisches Verfahren herausgearbeitet wird. Es fehlt aber noch an einer überzeugenden Profilierung und Abgrenzung vom allgemein ›Transitorischen‹. Im übergreifenden Sinn bestehen – auch und gerade wissenschaftspolitisch – Affinitäten zu Dieter Heimböckels Konzept der Germanistik als »Schwellenkunde« (Heimböckel 2015), an das hier vielerorts angeschlossen werden kann.

Dieses Heft hat es sich zur Aufgabe gemacht, erstens literarhistorische Potentiale des ›Übergängigen‹ auch für ältere literarische Texte aufzuzeigen, zweitens darzulegen, dass poetische Übergänge trotz der genuin damit einhergehenden sistierten Referentialität gerade in Texten mit interkulturellen Szenarien als Verfahren der Gesellschaftskritik eingesetzt wurden, und drittens einige konzeptionelle Präzisierungen des Übergängigen mit Blick auf die interkulturelle Literatur im letzten Teil des Bandes zu präsentieren.

Ein Themenheft zu Poetiken des Übergangs verspricht auf den ersten Blick weniger eine Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Fragen als mit der Erweiterung des Denkbaren. In der Tat leitet sich die germanistische Forschungstradition auf diesem Gebiet über Roland Barthes’ Das Reich der Zeichen von Walter Benjamins Passagen-Werk her, beides Arbeiten, die sich mit sprachphilosophischen und literaturtheoretischen Fragen, weniger aber mit gesellschaftlichen Effekten und Implikationen von Übergängen befassen. Im Gegenteil: Für Roland Barthes eröffnen Metaphern, die auf nichts Gegebenes verweisen, die er »reine Signifikanten« (Barthes 1981: 124) nennt – etwa, wenn im japanischen traditionellen Theater ein Schauspieler eine weibliche Figur spielt –, neue Bedeutungsspielräume. Merkwürdigerweise läuft dieser Abschnitt in Barthes’ Das Reich der Zeichen darauf hinaus, dass die binäre Unterscheidung zwischen Mann und Frau idealistisch verbrämt und restituiert wird, indem es dem Schauspieler gelingt, »die Zeichen der Frau zu versammeln«. Durch das Zeichenspiel des Schauspielers »ist die Frau eine Idee« und wird »in die Wahrheit ihres reinen Andersseins zurückgeführt« (ebd.: 126; Hervorh. I.P.). Die so aufgefasste ›Übergangskunde‹ bleibt somit anfällig für die Wiederkehr altbekannter Kategorien, und zudem läuft sie Gefahr, blind gegenüber den gesellschaftlichen Praktiken zu sein – im konkreten Beispiel gegenüber dem Ausschluss von Schauspielerinnen. Dennoch scheint hier das Potential kreativer, innovativer Weltbezeichnung auf.

Bereits Walter Benjamin untersuchte den Übergang vorrangig als Eigenschaft von Zeichen: Eine zeichenhaft markierte Grenzziehung erweist sich als unzuverlässig, überwindbar und durchlässig. Zwar hatte schon Ferdinand de Saussure darauf hingewiesen, dass »jedes in einer Gesellschaft rezipierte Ausdrucksmittel im Grunde auf einer Kollektivgewohnheit, oder, was auf dasselbe hinauskommt, auf der Konvention« (Saussure 1967: 80) beruht. Damit war die historische und kulturell bedingte Relativität von Grenzen, die in und mit der Sprache gezogen werden, ebenso ausgesprochen wie die Möglichkeit der Umgestaltung und des Übergangs zu neuen Sinngebilden. Benjamin nimmt aber insofern einen Perspektivenwechsel vor, als er nicht von den stabilen Zeichen und Sinngebilden, sondern von den Übergängen her denkt: »Grenzpforten«, so Benjamin, »sind Triumphorte. Geheimnis des ins Innere der Stadt einbezogenen Grenzsteins, der ehemals den Ort markierte, wo sie zu Ende war« (Benjamin 1982: 139). Benjamin beschreibt die räumliche und symbolische Architektur der französischen Hauptstadt Paris als Konglomerat alter und neuer Schwellen unterschiedlicher Provenienz. Analog zu einem sprachlichen Arrangement unterschiedlicher Metaphern beschreibt Benjamin in seinem Passagen-Werk ein viel beachtetes architektonisches Ensemble von Übergangsräumen, die »[a]us dem Erfahrungskreise der Schwelle« (ebd.) hervorgegangen sind. Raumgestaltung und Sinngebung bedingen sich hier wechselseitig. Schon Benjamin hat somit erkannt, dass kulturelle Transformation, Geschichte und Zukunft von Gesellschaften auf der Fähigkeit beruhen, Übergänge zu gestalten, ihre Funktionalität zu überschreiben und auch zu vergessen – so wie aus einem Stadttor ein Triumphbogen, aber auch ein Grenzübergang werden kann. In jedem Falle gilt: Wer eine kulturell aktive Schwellenfunktion nutzt und durchs Tor geht, wird zu jemand anderem.

So anregend es ist, dass Walter Benjamin oft von Übergängen her denkt, spart er doch zwei zentrale Aspekte weitgehend aus: Erstens bleibt ungeklärt, wie sich literarisch-poetisch gestaltete Übergänge zu den bloß denkbaren sowie zu den räumlich-architektonischen verhalten. Zweitens bleiben soziale Fragen offen, zum einen jene nach der Unterscheidung zwischen Übergang und Übergriff, zum anderen umgekehrt nach dem Übergang als Privileg. All dies wird im Passagen-Werk zwar angedeutet, dennoch stellt sich der Eindruck ein, als lägen städteplanerische, mythologische und poetische Übergänge auf einer Ebene.

Die Beiträge in diesem Themenheft gehen dagegen davon aus, dass poetisch-literarisch gestaltete Übergänge in anderer Weise bestimmt werden müssen – nicht als ontologische Erfahrungen des Übergangs – und dass ästhetische Figurationen der Schwelle einer anders gelagerten Analyse und Interpretation bedürfen als beispielsweise Zeremonien, Rituale oder Architekturen mit Schwellencharakter. Literarische Texte sind selbst Produkte einer Kulturtechnik, die u.a. als »sekundäres sinnbildendes System« (Lotman 1973: 22f. u. 30) bezeichnet wurde und die sich dadurch auszeichnet, dass der Anspruch von Sprache aufgehoben wird, unmittelbar auf die Wirklichkeit zu verweisen. Sensibilisieren Schwellen und Übergänge schon in der alltäglichen Gesellschaftspraxis für die Möglichkeit, Sprache, Sinn, Raumgestalt, Identität und Machtverhältnisse umzuformen, tun sie dies in literarischen Texten, deren Metier es ist, Möglichkeitsräume durch Verzicht auf unmittelbare Weltverweise zu eröffnen, in potenzierter und reflektierter Weise. Weil Schwellen und deren Übertritt innerhalb eines bestimmten Textes und primär im Kontext des jeweiligen Textes gestaltet und gelesen werden, muss immer noch eine zweite Ebene des Übergängigen berücksichtigt werden, nämlich die der volatilen, dynamischen Bezüge zwischen Textlogik und Welt.

Selbst ein einfaches Beispiel wie Ilse Aichingers Spiegelgeschichte vermag zu veranschaulichen, dass literarische Texte Schwellenerfahrungen und Übergänge mit ästhetischen Mitteln wie der Differenz zwischen der erzählten Zeit und der Erzählzeit, einer unzuverlässigen Erzählerstimme etc. gestalten. In der Spiegelgeschichte erlebt die Erzählerin ab dem Moment der Beisetzung ihre Lebenszeit rückläufig, wobei ihre Identität ungewiss wird, bis dahin, dass offen bleibt, ob in der Rückschau ihre eigene Erfahrung des Geboren-Werdens oder jene ihres Kindes erscheint und ob es sich um eine Lebend- oder Totgeburt handelt. Diese Kumulation von Schwellenerfahrungen ist Ergebnis von Erzähltechniken: Inversion der Temporalität, Überblendung von Identitäten und Perspektiven, Überschreitung der Schwelle zwischen Leben und Tod in beide Richtungen sind literarische Verfahren der Gestaltung eines Ensembles von Übergängen, das in seinem Zusammenwirken aufgefasst werden will.

Das Themenheft führt die angesprochenen Aspekte zusammen: Die meisten Beiträge gehen von poetischen und poetologischen Aspekten literaturästhetisch gestalteter Übergänge aus und richten das Augenmerk dabei auf die Darstellung konkreter historischer Übergangssituationen – etwa auf den Neubeginn Europas nach dem Fall des ›Eisernen Vorhangs‹ und dem Ende des Sozialismus. Dass die literarischen, poetischen Übergänge geeignet sind, historisch-politische mitzugestalten und zu verhandeln, wusste bereits Friedrich Hölderlin. Im Werden im Vergehen geht es um die eingeschränkten Möglichkeiten der Wahrnehmung und Mitgestaltung historischer Übergänge, die gerade deshalb so eindrucksvoll und erhaben auf das Individuum wirken: Der »Übergang aus Bestehendem ins Bestehende« (Hölderlin 1998: 75) bleibt uneinsehbar, alles Reale lässt sich jedoch als aus einem Übergang hervorgegangen beschreiben und auch als »entstehend zu jenem Übergange« (ebd.: 76). In den Übergängen sind für Hölderlin die Potentiale unendlich vieler unterschiedlicher Entwicklungen aufgehoben, die der Konkretion bedürfen, um in die Welt zu treten.

»[I]m Übergehenden ist die Möglichkeit aller Beziehungen vorherrschend, doch die besondere ist daraus abzunehmen, zu schöpfen, so dass durch sie als Unendlichkeit die endliche Wirkung hervorgeht« (ebd.: 72). Für Literatur als Kunst tun sich hier Spielräume auf: durch Verfahren wie Multiperspektivität und Mehrfachcodierung, durch den dialogischen Charakter von Fiktionalität und die offenen Möglichkeiten der Referentialität können metaphorisch entworfene Übergänge auf die Welt bezogen werden.

Novalis thematisiert die spezifischen Möglichkeiten von Poesie und Literatur bei der Gestaltung von Übergängen noch eingehender als Hölderlin: »Nichts ist poëtischer als alle Übergänge und heterogène Mischungen« (Novalis 1968: 587; Hervorh. i.O.). Unmittelbar im Anschluss spricht er von den Vorteilen der Multiperspektivität, Komposition und Reduktion in literarischen Texten. Von der poetischen Gestaltung von Übergängen – nicht von dem Übergängigen als kulturellem Phänomen oder gar als transzendentem Merkmal der Geschichte – verspricht sich Novalis neue mythologische Erzählweisen, mit denen auch neue Auffassungen von Subjekt, Gesellschaft und möglicher Lebensführung einhergehen. Die so aufgefassten poetischen Übergänge machen nicht das vorbestehende Ideale im Weltlichen sichtbar, sondern entwerfen umgekehrt, wie Herbert Uerlings am Beispiel der Hymnen an die Nacht erwiesen hat, »immanente Transzendenz« (Uerlings 1991: 317; Hervorh. i.O.), also ein im Weltlichen und Erfahrbaren aufblitzendes Momentum des Unendlichen, seien es überraschende Ähnlichkeiten, sonstige Verschiebungen vertrauter Kategorien der Welterfassung oder Irritationen von Schemata der Identität und Differenz. Zu den »heterogène[n] Mischungen« (Novalis 1968: 587) gehören auch interkulturelle und interreligiöse Erfahrungen, wie etwa jene zwischen Heinrich und Zulima in Heinrich von Ofterdingen. Dort erlebt der Protagonist, dass sich seine persönliche Haltung gegenüber dem Leben und sein Verhältnis zu sinnlicher Naturerfahrung, zu Musik und Poesie erheblich unterscheidet von der Haltung der heimgekehrten Kreuzzügler – wenngleich deren heroische Gesänge ihn zunächst ergreifen. Umso größer ist seine Ähnlichkeit mit der aus dem ›Morgenland‹ mitgebrachten Gefangenen Zulima, obwohl die ihm bekannten zeitgenössischen Diskurse sie als Frau, Muslimin und ›Orientalin‹, also als sein genaues Gegenteil, beschreiben. Heinrich ist von ihren Schilderungen der alten Kulturen Kleinasiens, von den fremden Buchstaben ihres goldenen Haarbandes, aber auch von Zulimas poetischer Erzählweise und ihrem Lautenspiel affiziert. Er erkennt, dass all dies mit ihm selbst aufs Innigste verbunden ist, und diese Erkenntnis verpflichtet ihn zur Reziprozität. Zulima wiederum kommt Heinrich bekannt vor, indem er sie an ihren Bruder, einen Dichter und Sänger, erinnert. Deshalb tauschen Zulima und Heinrichs Mutter symbolisch Haarband und Schleier beim Abschied – als Unterpfand für Übergänge, die in Zukunft noch herzustellen seien. Erscheinen die Übergänge anfangs bloß als Potentiale, ist es Aufgabe der Dichtung und Lebensführung, sie zu konkretisieren und in die Welt hereinzuholen.

Dies kann geschehen, indem eine »Mischung des Groben, Gemeinen, sprüchwörtlichen mit Edel[m], Hohe[m], Poëtische[m]« (ebd.) erfolgt – also durch eine literarische Hybridisierung des Bekannten, die bei Novalis oft durch eine Bezugnahme auf kulturell ›Fremdes‹ (insbesondere auf persische, kleinasiatische, indische und ägyptische Überlieferungen) stattfindet. »Das Ich glaubt ein fremdes Wesen zu sehen – durch Approximation desselben entsteht ein anderes Mittelwesen – das Produkt – was dem Ich zugehört, und was zugl[eich] dem Ich nicht zuzugehören scheint – Die Mittelresultate des Processes sind die Hauptsache – das zufällig gewordene – oder gemachte Ding« (ebd.: 372f.; Hervorh. i.O.).

Die Beiträge in diesem Band decken viele der Implikationen der obigen Textstelle ab, denn sie thematisieren interkulturelle Situationen in der Literatur – Darstellungen, denen es nicht allein auf Begegnungen mit ›fremden‹, unvertrauten Kulturen ankommt, sondern vor allem auf die imaginativ und sprachlich entworfenen Übergänge. Diese sind für Novalis besonders wichtig: Sie sind das eigentlich wertvolle poetische ›Produkt‹, sie sind als Sinnfiguren ›Mittelwesen‹, die in bisherigen Denkkategorien und im bisherigen Wissen noch nicht aufgehoben waren. ›Dichtung‹ und ›interkulturelle Erfahrung‹ rücken bei Novalis eng zusammen, denn er beschreibt die Notwendigkeit der Herstellung einer Mittelebene angesichts des ›Fremden‹ als poetischen Vorgang.

Dies gilt für interkulturelle Begegnungen in der Welt wie auch für solche, die in literarischen Texten dargestellt werden – Letztere steigern das poetische Potential der Texte –, und dies gilt auch für den Vorgang der Rezeption literarischer Texte, erfolge er in einer interkulturellen Situation oder nicht. Falls ja, kommt mit den zusätzlich erforderlichen ›Mittelebenen‹ weitere Sinnanreicherung zustande. Alle angesprochenen interkulturellen Vorgänge erfordern es, dass das Vorstellungsvermögen eingesetzt wird, um Übergänge zu entwerfen – Übergänge, die für Novalis ›Gemachtes‹ (Poiesis) und zugleich ›Zufälliges‹ (ins Unendliche offenes Produkt von Subjektivität) sind.

Die Beiträge in diesem Band fokussieren nicht selten auf Darstellungen problembehafteter Übergänge – sei es, dass die Figuren der untersuchten Texte Vertriebene, Verfolgte oder Flüchtende sind oder dass sie als ›Fremde‹ wahrgenommen werden, denen der Schwellenübertritt in einen kulturellen Raum oder in die Ingroup einer imaginierten Gemeinschaft nicht gestattet wird. Solche Textkonstellationen finden sich schon bei Novalis mit Zulima, unterscheiden sich jedoch von dem ausgehend von Barthes angesprochenen Szenario der Herstellung von Übergängen als Zeichenspiel, in dem die ›Idee der Frau‹ auftaucht. Problematisiert werden Binnen- und Außengrenzen Europas und deren literarische Formbarkeit, individuelle Erfahrungen des Übergangs ebenso wie deren Darstellbarkeit zwischen zwei Sprachen. Verbunden werden die Beiträge durch die Frage nach Möglichkeiten und Grenzen spezifisch literarischer Übergänge: Wo liegen die Potentiale der poetisch gebrauchten Sprache, wenn es darum geht, Grenzen durchlässiger und wandlungsfähiger werden zu lassen? Oder wenn es darum geht, Gewaltmomente in Übergangssituationen zu thematisieren – sei es ein Initiationsritus, Gründungsgewalt von Gesellschaften, seien es Exklusionen durch verweigerte Übergänge oder Übergriffe, die die legitimen Grenzen des Individuums überschreiten?

Im September 2017 fand an der Europa-Universität Flensburg die Tagung Europa im Übergang. Interkulturelle Transferprozesse – Internationale Deutungshorizonte unter Beteiligung von 185 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern von vier Kontinenten statt. Dieses Themenheft vereint acht Beiträge von Tagungsteilnehmerinnen und -teilnehmern, die sich mit Poetiken des Übergangs befassen. Vorangestellt ist ihnen ein Grundsatzartikel von Dieter Heimböckel: Krisenrhetorik und Legitimationsritual. Einsprüche gegen Deutungsmonopole (nicht nur) in der Germanistik. Dieser Beitrag, der als Plenarvortrag auf der Tagung gehalten wurde, hinterfragt die Verfahren der Selbstreflexion in der Germanistik. Anhand zahlreicher Beispiele, die von wissenschaftlichen Aufsätzen, Umfragen im Fach, Stellungnahmen, Rundfunksendungen und Zeitungsartikeln bis hin zu Blogeinträgen reichen, belegt Dieter Heimböckel eindrücklich, dass die Selbstbeschreibungen und Selbstdiagnosen der Literaturwissenschaft fehleranfällig sind und einseitig ausfallen. Einzelne Akteurinnen und Akteure bedienen sich immer wieder einer Krisenrhetorik, um ihre jeweilige Herangehensweise als Rettung in der Not zu profilieren oder um eine Rückbesinnung auf mittlerweile überholte, zum vermeintlichen ›Kernbestand‹ erklärte Herangehensweisen einzufordern, ohne die Folgen dieser so betriebenen Problematisierungen zu bedenken: In der Öffentlichkeit entsteht der falsche Eindruck eines desorientierten Fachs, das nicht nur keine Antworten auf aktuelle gesellschaftliche Fragen fände, sondern sogar für Relativismus und Radikalisierung mit verantwortlich sei. Dabei liegen, so Dieter Heimböckel, gerade in der theoretischen und methodischen Öffnung dieser philologischen Disziplin Chancen und Potentiale, um den Gegenstand selbst – die Literatur – unter neuen Gesichtspunkten zu betrachten, interdisziplinäre Arbeit zu ermöglichen und vor allem die überfällige Internationalisierung des Fachs voranzubringen. Paradoxerweise wurden, so der Verfasser, diese Möglichkeiten wohl noch nie so intensiv genutzt wie von dieser Generation von Literaturwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern – was jedoch keinerlei Auswirkungen auf den missbräuchlichen Einsatz der Krisenrhetorik zu haben scheint. Der Aufsatz entledigt die Germanistik aber nicht aller Probleme: Diese hängen, so die zentrale These des Beitrags, gerade mit jenen Deutungsmonopolen zusammen, die alles ›Abweichende‹ als krisenhaft darstellen. Sie entstehen infolge der Trennung zwischen Inlands- und Auslandsgermanistik, weil damit die wahre Stärke der Internationalität des Fachs ebenso verkannt wird wie echte Notlagen infolge sinkender Studierendenzahlen in außerdeutschen Germanistiken; statt dort Solidarität zu zeigen, werden Legitimationszwänge auferlegt; statt die auf einem soliden philologischen Boden entstandene Pluralität als Stärke anzuerkennen, werden kleinlich-puristische Kämpfe ausgefochten; statt die Ansätze aus der interkulturellen Germanistik und die internationalen Impulse aufzunehmen, werden sie oftmals schlicht ignoriert, nur um sich noch stärker in der eigenen Krisenrhetorik zu verbeißen. Das alles ist sehr ›deutsch‹, aber dem ebenfalls ›deutschen‹ Gegenstand, genauer der deutschsprachigen Literatur, nicht angemessen. Das, was der Krisenrhetorik fehlt, ist dort im Überfluss vertreten: gestaltete Übergänge, Vermittlungen, Multiperspektivik und Internationalität. Der Germanistik täte eine Entscheidung für die Übergänge gut: zum einen Übergänge politisch-institutioneller Natur zwischen Germanistiken weltweit; zum anderen wäre innerhalb des Fachs eine angemessene Wahrnehmung der Leistung unterschiedlicher Ansätze und die theoretisch-konzeptionelle Gestaltung von Übergängen zwischen ihnen wünschenswert.

Nach Dieter Heimböckels Grundsatzartikel sind die Beiträge innerhalb einer chronologischen Reihung zweigeteilt: Die ersten vier Aufsätze analysieren literarische und essayistische Texte, in denen ›Übergang‹ sowohl Analysegegenstand als auch Untersuchungskategorie ist. Drei weitere Texte enthalten textübergreifende Ansätze zur Theoretisierung von Übergang als Analysekategorie in der interkulturellen Literaturwissenschaft.

Die Lektüren werden eröffnet von einem Beitrag von Heinz Sieburg, der anhand mittelalterlicher Texte jenem Thema gewidmet ist, das neben Natalität aufs Engste mit Übergang verbunden ist: dem Tod, der in Übergangs- und Jenseitsvorstellungen in zahlreichen literarischen Texten des Mittelalters eingebettet ist. Heinz Sieburg vergleicht deutsche und französische, aber auch irische und weitere europäische Texte und Erzählstoffe aus den Gattungen des Heldenepos und der Visionsliteratur und konstatiert nicht allein die Bedeutung des Motivs im Kontext des mittelalterlichen christlichen Weltbilds, sondern registriert spezifische Unterschiede zwischen den kulturellen Räumen und den zwei untersuchten Textsorten. Im Nibelungenlied stirbt Hagen, der letzte Burgunder, infolge des Racheplans Kriemhilds, die ihn mit seinem Heer an den Hof Attilas und in eine Falle gelockt hatte. Der Tod Hagens ist allerdings insofern doppelbödig gestaltet, als der Text offen lässt, inwiefern tatsächlich Kriemhilds Plan ursächlich für Hagens Sterben ist oder ob sich nicht vielmehr eine jenseitige Gerechtigkeitsforderung gegen Siegfrieds Mörder geltend macht. Für Letzteres spricht die Weissagung der Meerfrauen aus der ›Anderwelt‹. Allerdings trägt auch Hagens Reaktion auf diese Weissagung, nämlich sein provozierendes Verhalten am Hof Attilas, zur katastrophalen Wendung entscheidend bei; damit ist sein Tod, so Sieburg, nicht in einen eindeutig zu klärenden Sinnzusammenhang eingeflochten. Demgegenüber bettet das an das französische Chanson de Roland angelehnte Rolandslied des Pfaffen Konrad laut Sieburg den Heldentod ganz in christliche Metaphysik ein. Was die Visionsliteratur angeht, stellt der Verfasser europaweit gemeinsame Merkmale fest, zu denen die Überblendung von Leben und Tod, genauer gesagt: die Unschärfe der Grenze zwischen diesen zwei Phasen, gehört; der Beobachterstandpunkt ist ein im Übergang befindlicher, der Betrachterblick kann von der einen Seite auf die andere schwanken. Zu den eindrucksvollen Beispielen zählen die Visionsliteratur Hildegards von Bingen, deren Schriften etwa göttlichen Glanz und Engel beschreiben, aber auch die Legende um den irischen Ritter Tnugdalus, ein Stoff, zu dem der Übergang in die Hölle und die Rückkehr in den eigenen Körper gehört; die Version des Priesters Alber enthält auch eine sehr plastische Schilderung des Teufels. Kulturraumübergreifend gilt: In der Literatur des Mittelalters werden Übergänge zwischen Leben und Tod als Überlappung der Frage nach der Grenze menschlicher Wahrnehmungsfähigkeit und jener nach der Grenze zwischen diesseitigen und jenseitigen Weltdimensionen imaginiert – seien diese christlich konnotiert oder nicht und sei das Jenseits lebensspendend oder vernichtend.

Caroline Mannweiler untersucht mit dem 1839 von Giuseppe Mazzini verfassten Essay Byron and Goethe einen auch aus heutiger Sicht hoch aufschlussreichen Text, der die Notwendigkeit eines kritischen Kanons hervorhebt und Kriterien dafür ins Spiel bringt. Mazzini hatte bereits erkannt, dass die Perpetuierung eines unkritisch aufgefassten Bildungskanons kaum mit einer demokratischen, postrevolutionären Gesellschaft vereinbar war, andererseits aufgrund der Rekursivität und Historizität von Kultur, Kunst und Identität die Auseinandersetzung mit früheren, qualitativ anspruchsvollen Texten jedoch sinnvoll, ja unumgänglich sei. Deshalb fordert Mazzini zu einer Neuinterpretation damals schon kanonischer Texte auf, mit der ihre Relevanz für die damalige Gesellschaft neu bewertet werden sollte . So interpretiert er beispielsweise Goethes Leiden des jungen Werter als Aufschrei gegen die sozialen Verhältnisse, das Leid von Byrons Helden als Artikulationsform eines Bedürfnisses nach Solidarität etc. Wenngleich man Mazzinis Interpretationen im Einzelnen nicht zustimmen muss, ist sein Vorgehen hoch interessant: Er schafft Übergänge zwischen unterschiedlichen Literaturen, indem er gemeinsame – europäische – Problemdiagnosen in den Texten ausfindig macht, Problemdiagnosen, die nicht direkt, d.h. propositional artikuliert werden, sondern sich in der ästhetischen Differenz der Texte zu den damaligen Gesellschaften manifestieren und interpretationsbedürftig sind. Am Übergang zwischen Literaturen und am Übergang zwischen der ästhetischen Dimension der Texte und der revolutionsbedürftigen Gesellschaft soll ein neuer kosmopolitischer Kanon ausgehandelt werden. Mannweilers Aufsatz thematisiert einen diskussionswürdigen Ansatz des italienischen Freiheitskämpfers, der ins Schweizer Exil ging und die transnationale Bewegung »Junges Europa« mit initiierte, die auf ein demokratisches Europa (damals noch auf der Grundlage der Nationen) zielte. Bemerkenswert ist, dass Mazzini Literatur gerade nicht als kontrarevolutionär empfand, sondern sie aufgrund ihrer ästhetischen Differenz als wichtige Ressource für den Übergang zu einem demokratischen Europa wahrnahm.

Iulia-Karin Patruts Aufsatz ist Wilhelm Raabes Erzählung Prinzessin Fisch (1882 / 1883) gewidmet. Er untersucht, inwiefern poetische Figurationen des Übergangs in realistischen Texten wie dieser Erzählung Wilhelm Raabes gesellschaftliche Missstände reflektieren und möglicherweise Gewaltmuster, insbesondere aber kindlichen Missbrauch und väterlichen Sadismus, offenlegen. So gewendet, leisten poetische Übergänge Widerstand gegen Übergriffe, die in der Gesellschaft tabuisiert sind und noch nicht in Sprache gefasst werden können. Gleichzeitig zeigt die Interpretation von Prinzessin Fisch auf, dass Raabe der Vorstellung von der bürgerlichen ›heilen Welt‹ als vermeintlichem Gegenpol von Modernisierung und globalem Kapitalismus eine Erzählung entgegensetzt, in der Gewaltmuster eigene intergenerationelle und interkontinentale Übergänge generieren und kulturelle Zuschreibungen falschen Fährten gleichkommen.

Swati Acharya befasst sich mit dem ebenfalls zu Unrecht weniger bekannten Werk der 1950 im damals tschechoslowakischen Bratislava geborenen deutschsprachigen Schriftstellerin Irena Brežná. Im Kontext der Übergänge zwischen Ost- und Westeuropa nach 1989 entwirft Brežná ein Konzept transnationaler Literatur, die sich quer zu sprachlichen und nationalen Grenzen verhält. Interessant werden die Texte Brežnás aber durch die Schilderung individueller Alltagserfahrungen, die sich dem Übergängigen sperren: Es geht um kleine Alltagsverrichtungen, Gewohnheiten oder den Sprachgebrauch selbst, die in einem Koordinatensystem fixiert bleiben, welches gerade nicht ›ohne festen Wohnsitz‹ ist, sondern in einem partikulären historischen Kontext im europäischen Osten verankert bleibt. Brežnás Falsche Mythen. Reportagen aus Mittel und Osteuropa nach der Wende (1996) veranschaulichen, so die Interpretation von Swati Acharya, gedeckt durch die Grundannahme der grundsätzlichen Übergängigkeit von Kultur, den Kontrast zwischen dem Anspruch der heutigen deutschen Gesellschaft auf Transnationalität und deren uneingestandenen Partikularismen. Diese ›deutschen‹ Partikularismen werden sprachlich und literarisch in Übersetzungssituationen, oft veranlasst durch Erfahrungen migrantischer Figuren, greifbar. Swati Acharya ordnet Brežná dem eastern turn zu und diskutiert ihre Texte in einer Reihe mit Terézia Mora, Ilija Trojanow, Ilma Rakusa, Catalin Dorian Florescu oder Saša Stanišić.

Dina Aboul Fatouh Hussein Salama befasst sich mit einem ganz anderen literarischen Verfahren der Übergängigkeit, nämlich mit Ulrike Draesners Grenzgängen zwischen Quantenphysik und einer literarischen Arbeit an Kultur und Gesellschaft. Das Konzept der Quantensprünge in der Physik und die literarisch gestaltete intergenerationelle Übertragung von Traumata und Gewalterfahrungen werden als Wissenspoetik des Übergangs am Beispiel von Draesners Sieben Sprüngen vom Rand der Welt (2014) untersucht. Das eigentliche Geheimnis dieser Übertragung wird nicht gelöst, aber durch eine Darstellungsweise, die physikalische Konzepte und Verfahren adaptiert, in ein neues Licht gerückt. Unter Berücksichtigung poetologischer Äußerungen Draesners zu Sprache, Körper und Darstellungsparadigmen (insbesondere Atem, Puls und Bahn. Das Denken des Körpers im Zustand der Sprache, 1999, sowie Zauber im Zoo. Vier Reden zur Herkunft von Literatur, 2007) weist Dina Aboul Fatouh Hussein Salama nach, wie die Autorin Übergänge zwischen dem Sprachgebrauch der Literatur und jenem der Physik schafft, um Einblicke in ansonsten kaum zugängliche Übergänge zu gewähren. In Absehung von der Zweiwertlogik erschafft Draesner, so die These der Verfasserin, eine innovative Quantenpoetik, die es ermöglicht, transgenerational und quer durch Europa innerhalb und zwischen zwei Familien, einer schlesischen und einer polnischen, Traumata infolge von Vertreibungen zu ›überspringen‹. Es geht dabei um nicht kalkulierbare emotionale Vorgänge, zwischen denen Analogien bestehen, die sich nur durch das Vorhandensein auf den ersten Blick undenkbarer Übergänge erklären lassen. Sehr figurennah untersucht Dina Aboul Fatouh Hussein Salama Spielarten der Quantenpoetik Draesners: Quantenteleportation, Superposition und Messung werden aus den Textfigurationen heraus beschrieben und in ihrer erhellenden Kraft für die literarische Darstellung europäischer Geschichte und individueller Erfahrungen in einem von Flucht und Vertreibung geprägten Jahrhundert offengelegt.

Den Reigen theorieorientierter Beiträge eröffnet Miriam Llamas Ubietos Aufsatz zur ›Kulturinteraktion‹ als produktivem Modell für die Literaturwissenschaft. Unter eingehender Bezugnahme auf Michail M. Bachtins Konzept der Dialogizität wie auch auf die bereits bei Bachtin anklingende und von Kristeva geprägte Intertextualität entwickelt Miriam Llamas Ubieto das Konzept dialogischer Kulturinteraktion in Texten als Konkretion einer Poetik des Übergangs und exemplifiziert dies anhand von Hans Christoph Buchs Haiti Chérie (1990). Gründungsgewalt unter den Bedingungen kultureller Fremdheit sowie – anders gelagert – Erzählverfahren, die auf Übergänge zwischen gespaltenen Perspektiven (junge, unerfahrene bzw. alte, animalisierte Figur Erzulie) setzen, fasst Miriam Llamas Ubieto neu ein, indem sie sie als Spielart dialogischer Textverfahren eines ›kulturellen Interaktionismus‹ definiert. Dies führe, so die Verfasserin, insofern über Modelle der Hybridität hinaus, als der Fokus auf die konkreten interkulturellen Interaktionen es ermögliche, paradoxe Momente des Übergangs genauer zu lokalisieren, und erweitere das hergebrachte Modell der Intertextualität um eine nach allen Seiten offene kulturelle Dialogizität.

Der zweite theorieorientierte Beitrag stammt von Aglaia Blioumi. Sie lanciert die These einer migrantischen Erinnerung in der europäischen Literatur, die gerade aus der so genannten Balkanmimikry hervorginge. Unter der Maßgabe, dass der Balkan seit Jahrhunderten Zielscheibe eines abwertenden Inauthentizitätsdiskurses ist, der fehlende kulturelle Kohärenz und Eignung zur Nation auf diesen Teil Europas projizierte, untersucht Aglaia Blioumi die ›Balkanmimikry‹ – ein Begriff, den die Verfasserin in diesem Aufsatz prägt. Dabei untersucht sie Schreib- und Erzählweisen, die Strukturanalogien mit Homi K. Bhabhas Beschreibung postkolonialer Diskurse und Literaturen aufweisen, und geht besonders auf den deutschsprachigen Roman der kroatischen Schriftstellerin Marica Bodrožić Sterne erben, Sterne färben. Meine Ankunft in Wörtern (2007) sowie auf den griechischsprachigen Roman Gazment Kapllanis My Name is Europe ein, der 2010 erschien und in zahlreiche europäische Sprachen (leider noch nicht ins Deutsche) übersetzt wurde. Ein Schriftsteller und eine Schriftstellerin, die in zwei unterschiedlichen Ländern des ›Balkans‹ (der Begriff ist eine westeuropäische Erfindung) aufgewachsen sind und in dem einen Fall Kroatisch, in dem anderen Albanisch sprachen, migrieren nach Griechenland bzw. nach Deutschland und bringen in den Sprachen dieser Länder die gemeinsame conditio eines Gebiets zum Ausdruck, das in Europa liegt und doch zum ›Anderen‹ Europas erklärt wurde. Sowohl die Schriftstellerin als auch der Schriftsteller fiktionalisieren ähnliche Erfahrungen der Migration, des Kommunismus und des ›Balkans‹ als Kulturraum der Mimikry. Den Texten ist eine besondere Art der Mehrdeutigkeit gemeinsam, die ästhetisch innovativ ist, weil sie die Diskrepanz zwischen der Diskursgeschichte Europas und tatsächlichen europäischen Erfahrungsräumen aufzeigt, weil sie sich subversiv gegenüber ost- / westeuropäischen Machtasymmetrien verhält und gerade aus der Mehrsprachigkeit und insbesondere aus der Darstellung von Übergängen poetische Authentizität gewinnt.

Der letzte Beitrag befasst sich mit den Bedingungen, unter denen afrikanisches Erzählen in Deutschland gelingen kann. Adriana Haro-Luviano de Rall und Dietrich Rall schreiben aus einer deutsch-mexikanischen Perspektive, wie die Geschichten des seit 25 Jahren im Saarland lebenden senegalesischen Erzählers Ibrahima Ndiaye Vermittlungsarbeit zwischen kulturellen Kontexten leisten. Die märchenhaften Erzählungen stellen nicht nur im Zeitalter transkontinentaler Migration notwendig gewordene Übergänge zwischen Erfahrungsräumen her, sondern auch zwischen literarischen Traditionen und Auffassungen von Literarizität. Die Rezeption von Texten wie Mini-Mini, die Schlange, die Füße haben wollte durch Vertreterinnen und Vertreter von Verwaltung und Politik leistet, so die These von Haro-Luviano de Rall und Rall, auch einen Beitrag zur Transformation der europäischen, speziell der deutschen Gesellschaft. Nicht nur die Übergänge hin zu einer von Diversität und unterschiedlichen kulturellen Erinnerungen geprägten Gesellschaft werden anvisiert, sondern auch Übergänge zwischen verschiedenen Formen der Literarisierung von Selbst-, Körper- und Welterfahrung stehen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit von Haro-Luviano de Rall und Rall. Damit beschließt ein Beitrag den Band, der sich für die Bedeutung eines sozialpolitischen Niederschlags interkultureller Literatur stark macht.

Literatur

Benjamin, Walter (1982): Gesammelte Schriften. Band V / I. Hg. v. Rolf Tiedemann. Frankfurt a.M.

Barthes, Roland (1981): Das Reich der Zeichen. Aus dem Franz. v. Michael Bischoff. Frankfurt a.M.

Heimböckel, Dieter (2015): Im Grenzgang. Für eine Germanistik als Schwellenkunde. In: Zeitschrift für interkulturelle Germanistik 6, H. 1, S. 151-161.

Hölderlin, Friedrich (1998): Sämtliche Werke und Briefe. Bd. II. Hg. v. Michael Knaupp. Darmstadt.

Lotman, Jurij M. (1973): Die Struktur des künstlerischen Textes. Hg. v. Rainer Grübel. Aus dem Russ. v. Rainer Grübel, Walter Kroll u. Hans-Eberhard Seidel. Frankfurt a.M.

Novalis (1968): Schriften. Dritter Band. Das philosophische Werk II. Hg. v. Richard Samuel in Zusammenarbeit mit Hans-Joachim Mähl u. Gerhard Schulz. Darmstadt.

Saussure, Ferdinand de (1967): Grundfragen der Allgemeinen Sprachwissenschaft. Aus dem Franz. v. Hermann Lommel. Berlin.

Uerlings, Herbert (1991): Friedrich von Hardenberg, genannt Novalis. Werk und Forschung. Stuttgart.