Abû Al-Faradj Ibn Al-Djauzi: Das Buch der Weisungen für Frauen (Kitâb ahkâm al-nisâ)

Aus dem Arab. übers. u. hg. v. Hannelies Koloska

Frankfurt a.M.: Verlag d. Weltreligionen 2009 – ISBN 978–3–458–70018–0 – 26,00 €

»Die Frau ist eine rechtsfähige Person wie der Mann.«

Es ist eine Pflicht der Frau (wie des Mannes) nach Wissen zu suchen. Abû Al-Faradj Ibn al-Djauzis Buches der Weisungen für Frauen liegt in deutscher Übersetzung vor.

Abû Al-Faradj Ibn Al-Djauzî (1116–1201), dessen Werk weit mehr als 500 Texte umfasst, wie der iranische Literaturwissenschaftler Abd al-Hamid Alwadji vor einem halben Jahrhundert bereits nachweisen konnte,1 ist einer der meistgelesenen islamischen Autoren. Seine Popularität und Bedeutung zeigt sich darin, dass seine Schriften bis heute immer wieder neu aufgelegt werden, darunter auch das Kitâb ahkâm al-nisâ (Das Buch der Weisungen für Frauen). Es wird sowohl unter Muslimen als auch von Vertretern der Arabistik und Islamwissenschaft und gelegentlich von Anhängern der Gender Studies diskutiert.

Vor über 800 Jahren verfasste der bis heute bekannte sunnitische Koran- und Rechtsgelehrte, Abû Al-Faradj Ibn Al-Djauzi (Abu Al-Faraj Abd Al-Rahman Ibn Ali Ibn Al-Jawzi), der nach der Überlieferung in Bagdad ein asketisches und spirituelles Leben anstrebte, ein Buch über die Unterweisung der Frauen und damit ein Buch mit Anweisungen für Frauen. Überrascht über die Ausmaße der Unkenntnis religiöser Pflichten und des in seiner Perspektive mangelnden Wissens über eine islamische Lebensweise unter seinen Zeitgenossen und insbesondere unter den Frauen, fertigte er dieses Buch als eine Art Leitfaden für die muslimische Frau an.

In diesem Kompendium stellte der Autor die aus seiner Sicht relevanten religiösen und bedeutsamen rechtlichen Vorschriften für die Frauen seiner Zeit zusammen. Ibn Al-Djauzi kompilierte und kommentierte Texte, die über Reinigung und Gebet, Fasten und Almosen, Pilgerfahrt und Moscheebesuch berichten und ebenso über scheinbar tabuisierte Themen wie Sexualität und Eheleben, Abtreibung und Tod sprechen. Er war damit der erste Autor in der islamischen Welt, der versuchte, den von der offiziellen Bildung ausgeschlossenen Frauen ein grundlegendes religiöses Wissen zu vermitteln und sie an der islamischen Gelehrsamkeit teilhaben zu lassen.

Für Abû Al-Faradj Ibn al-Djauzi war religiöse Bildung das Fundament eines frommen und gottgefälligen Lebens. Im Kitâb ahkâm al-nisâ finden sich in dessen Entstehungszeit zentrale religiöse und rechtliche Regelungen für muslimische Frauen. Die Vorschriften und Bestimmungen wurden vor allem anhand von Zitaten aus dem Koran und durch Mitteilungen des Propheten begründet, die der bedeutende islamische Gelehrte Muhammad ibn Ismâîl ibn Ibrâhîm ibn al-Mughîra al Buchârî al-Dschufî (810–870) in seiner Sammlung der Hadithe öffentlich zugänglich gemacht hatte. Der mündlichen Überlieferung zufolge soll Al-Buchârî aus 600 000 Mitteilungen des Propheten (Hadith) ungefähr 2 800 nach strengen Kriterien ausgewählt haben, um sie als authentische Überlieferung (Sahih) in seine Sammlung aufzunehmen. Al-Buchârî teilte seine Hadith-Sammlung in 97 Kapitel und circa 3 450 Abschnitte mit jeweils eigener Überschrift ein. Dieses Schema ist der tradierten islamischen Rechtslehre entnommen und wird durch knapp 7 400 Hadithe gefüllt.

Es ist bezeichnend, dass Ibn Al-Djauzi sich in seinem Buch der Weisungen für Frauen eines ähnlichen Schemas bediente. Hier soll nicht unerwähnt bleiben, dass der sunnitische Gelehrte Muhyî ad-Dîn Abû Zakkariyya Yahyâ bin Saraf bin Murrî bin Hasan bin Husayn bin Muhammad bin Guma bin Hizâm al-Hizâmî ad-Dimasqî an-Nawawî as-Sâfiî (1233–1278) eine Sammlung der Hadithe von Abu l-Husain Muslim bin al-Haddschadsch bin Muslim al-Quschairi al-Naisaburi (817–875) kommentierte und zwei bis heute beliebte Sammlungen dieser Überlieferungen ebenso verfasste. In der Mehrzahl enthält diese Sammlung ähnliche Überlieferungen wie die von Al-Buchârî. Diese und weitere Überlieferungen fanden Eingang in das Buch der Weisungen für Frauen.2 Bis heute sind insgesamt sechs sunnitische, kanonische Sammlungen mit Hadithen erhalten, die in einer islamischen Gesellschaft als Sunna, also als nachahmenswerte und zu befolgende Normen verstanden werden. Somit sind diese Textsammlungen nach dem Koran – als der Mutter aller Bücher (Umm al-Kitab) – die zweite Quelle der islamischen Rechtslehre. Diese Verbindung mit Texten der Tradition (Koran-Text und Hadith-Sammlung) verleiht dem Kitâb ahkâm al-nisâ auf der einen Seite als einem stark religiösen Buch einen aktuellen Autoritätsstatus und auf der anderen Seite als einem bedeutenden historischen Text eine Gültigkeit bis in die Gegenwart.

Als vor wenigen Jahren die erste deutschsprachige Ausgabe des Buches der Weisungen für Frauen in der deutschen Übertragung und Edition von Hannelies Koloska im Verlag der Weltreligionen erschien, sorgte das allerdings für nur wenig Aufmerksamkeit und bestätigte in den wenigen Reaktionen mehrheitlich immer noch vorhandene und allgemein populäre Vorstellungen, ohne dass man sich dabei auf den Text selbst genauer bezogen hätte.3

Es führt allerdings kein Weg daran vorbei, sich intensiv mit historischen Texten insbesondere dann auseinanderzusetzen, wenn man sie nicht von vornherein abstempeln und ablehnen will und die Texte für sich nach wie vor eine religiöse Autorität reklamieren, die nicht zuletzt als Ideengeber für die Zukunft von Bedeutung sein könnten. Reflexion wird meist dann angeregt, wenn historische Texte dazu führen, bestimmte tradierte Lebensentwürfe auf ihre Bedeutung in der gegenwärtigen Welt zu prüfen oder aber eine – den Muslimen zumeist von außen zugeschriebene – Identität zu hinterfragen.4 Die hier vorliegende Edition zitiert viele Überlieferungen zu den einzelnen Themen und bildet darüber hinaus unterschiedliche Ansichten verschiedener Gelehrter ab. Als historisches Dokument gelesen, ist es darum ebenso interessant wie unterhaltsam. Neben der Übersetzung des Textes finden sich ausführliche Anmerkungen, eine zeitliche Einordnung und ein Verzeichnis ausgewählter Literatur im Anhang.

Dass es sich bei diesem Buch der Weisungen für Frauen gegebenenfalls um eine aus europäischer Sicht auf den ersten Blick wenig erfreuliche Lektüre handeln könnte und diese insbesondere wenig vorbereitete Leser

ärgern dürfte, ist weder dem Verlag noch der Editorin anzulasten. Es bleibt allerdings zu fragen, ob eine kritische Auseinandersetzung mit dem historischen wie aktuellen Frauenbild im Islam nicht überzeugender hätte realisiert werden können, beispielsweise durch ein um Verständnis werbendes und auf Verständigung zielendes Nachwort, welches den aktuellen Bezug für heutige Leser herstellen könnte. Vielleicht auch darum wird zu konstatieren sein, dass das Buch leider nur und hauptsächlich für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der islamischen Geschichte geeignet zu sein scheint. Es wird vermutlich ungelesen in den Regalen deutscher Bibliotheken verschwinden. Das ist umso frappierender, als dieser Text besonders in den vergangenen drei Jahrzehnten in der arabischen Welt eine Vielzahl von Neuauflagen von Marokko bis in den Libanon erlebte. Erneut wurde die Möglichkeit einer ernsthaften Debatte um arabische Tradition und europäische Gegenwart, historische Texte und zeitgenössische Rezeption, islamische Autorität und religiöse Lebenswelt verschlafen. Die erste deutschsprachige Veröffentlichung des Kitâb ahkâm al-nisâ hätte hierfür eine gute Gelegenheit geboten.

In diesem Buch werden Angelegenheiten wie die Beschneidung der Frau, das Schlagen der Ehegattin, das Verbot, dem ehelichen Lager zu entfliehen, und die Art und Weise des Geschlechtsverkehrs ausführlich behandelt. Heute würde Michel Foucault darauf hinweisen, dass Thematisierungen, Regelungen und Bestrafungen über die Bereiche der menschlichen Sexualität kodierte (und zumeist von Männern inszenierte und über deren geleitete Institutionen geprägte) Formen der Machtausübung über das (in diesem Fall weibliche) Individuum sind. Allerdings lassen sich die mit großer Berechtigung von Michel Foucault geäußerten Zweifel nicht eins zu eins rückdatieren. Die Lebensumstände im mittelalterlichen und islamischen Bagdad waren schließlich andere als die des aufgeklärten und säkularisierten Paris 800 Jahre später.

Nach wie vor sind die großen Themen der europäischen Antike in den Gesetzbüchern sowohl des katholischen Abendlandes als auch des protestantischen Europas erhalten. Diese strukturieren bis heute unter anderem eine allgemeine Ethik der Sexualität. Diese Themen sind nach Michel Foucault die Tendenz zur sexuellen Mäßigung im Umgang mit dem eigenen Körper (Enthaltsamkeit), die Tendenz zur ehelichen Treue in Bezug auf die Frau (Monogamie) und die Tendenz zur Unberührbarkeit des eigenen Geschlechts und zur Diskriminierung der Homosexualität (Perversion). In diesen drei Bereichen wird nach wie vor eine moralische Lebensführung selbst noch im säkularisierten Abendland der Gegenwart erwartet.

Michel Foucaults geforderte individuelle Führung des Selbst (im Sinne einer Körperkultur und beispielsweise in der Problematisierung der Onanie), der ökonomische Bereich des Hauses (Ehe und Familie, Geschlechtsverkehr und Ehebruchs) und der erotisch-sexuelle Bereich der oftmals und immer noch so irrig bezeichneten Perversion (Unterdrückung von Homosexualität und so weiter) sind bis heute europäische Realität. Während sowohl fromme Gelehrte als auch religiöse Kleriker die Bereiche Eros und Askese zu trennen vermögen, sieht Michel Foucault die Lösung gerade in der Verbindung beider. In seiner Inauguralvorlesung von 1970, also noch vor dem Entstehen der Gender Studies, betont der französische Denker:

Eros und Askese sind die beiden bedeutenden Formen, in denen in der abendländischen Gesellschaft die Modalitäten gedacht werden, denen gemäß das Subjekt sich zu wandeln hat, um schließlich ein der Wahrheit fähiges Subjekt zu werden.5

Die Perspektive der Betrachtung auf Foucaults aktuell wirksame Äußerungen könnte durchaus einer Kontextualisierung mit dem Buch der Weisungen für Frauen dienen, denn der religiöse und historische Text erfordert mehr als nur eine aktuelle Rückkoppelung auf die anerkannten Diskussionen der Gender Studies. Umso überraschender erscheint es, wenn in den ersten Kapiteln des Buches der Weisungen für Frauen zu lesen ist, dass die Frau ebenso wie der Mann eine rechtsfähige Person sei, dass die Frau wie der Mann nach Wissen suchen sollte und dass es keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen, zumindest in dem, was ihnen verboten ist, gebe.

Die Frau ist wie der Mann eine rechtsfähige Person, deswegen obliegt es ihr nach Wissen über ihre religiösen Pflichten zu suchen, damit sie zur Gewissheit gelangt. Wenn sie keinen Vater, Bruder, Ehemann oder nahen Verwandten hat, der sie die Pflichten lehrt oder sie darin unterweist, wie die Gebote zu erfüllen sind, so soll ihr das vergolten werden. Wenn sie niemanden hat, den sie fragen und von dem sie lernen kann, so solle eine Frau sie unterweisen, wenn diese es vermag. Wenn es eine solche nicht gibt, dann soll sie von den alten Leuten lernen. Wenn sie von jungen Leuten lernt, dann nicht in Einsamkeit, und diese sollen sich dabei auf das Notwendigste beschränken. Wenn irgendein religiöses Problem auftaucht, soll die muslimische Frau fragen und sich nicht fürchten, denn Gott schämt sich der Wahrheit nicht.

Es erscheint bemerkenswert, dass es sich bei diesem Text keineswegs um ein reines Frauenbuch in dem Sinne handelt, dass es ausschließlich Anweisungen zur Lebensgestaltung weiblicher Personen enthält, im Gegenteil werden in vielen Teilen ganz allgemeine Anweisungen gegeben, um in vielen Situationen nach islamischen Regeln handeln zu können. Durch besondere Berücksichtigung der Unterschiede von Männern und Frauen werden die Belange von Frauen hier zusätzlich erläutert.

Die aus heutiger Sicht zu Recht angeprangerte Beschneidung der Frau wird im Buch der Weisungen für Frauen damit kommentiert, dass die Beschneidung eine Pflicht sei sowohl für den Mann wie die Frau und dass nur das beschnitten werden soll, was sichtbar sei, also nur wenig und ohne das Begehren der Frau zu schwächen. Bei genauer Lektüre fällt auf, dass eine allgemeine Verurteilung des Textes aus der Perspektive heutiger Leser unzureichend sein muss. Der traditionelle Islam scheint oftmals mit einem modernen Frauenbild nicht vereinbar zu sein und insbesondere die Frauenbeschneidung bestimmt hier die öffentliche Diskussion.6

Was aber sagen die Quellentexte des Islams wie beispielsweise das Buch der Weisungen für Frauen zu dieser Thematik? Eine Darstellung hierzu ist jene von manchen Kritikern als skandalös bezeichnete Passage, in der Ibn Al-Djauzi für die Frauenbeschneidung plädiert. Über die Sitte der Beschneidung wird von ihm überliefert:

In Medina gab es eine Frau, die beschnitt. Der Prophet, Gott segne ihn und spende ihm Heil, sprach zu ihr: Beschneide nicht viel! Das ist zum Vorteil der Frau und ist für den Mann anziehend.

Der Gesandte Gottes meinte mit seiner Rede: »Beschneide nicht viel!«, dass man vom Geschlecht der Frau nur so ›viel‹ abschneide, dass es ihr zur ›Mäßigung‹ verhelfe, denn wenn die ›Begierde‹ gänzlich abnehme, versiege auch der ›Genuss‹ und das wiederum führe zur Verminderung der Liebe zwischen den Eheleuten. Ein genauer Blick auf den von Abû Al-Faradj Ibn Al-Djauzi als Beweis angeführten Propheten-Hadith beweist, dass dieser unter den meisten Rechtsgelehrten als nicht echt gilt und damit nicht verpflichtend ist. Selbst die Vertreter der Rechtsschule von Ibn Al-Djauzis, die konservativen Hanbaliten, lehnen die Frauenbeschneidung ab. All das scheint wie gewöhnlich auf die Fragen der Rechtsschule (usul al-fiqh) hinauszulaufen.

Die hanbalitische Jurisprudenz ist auf der Arabischen Halbinsel vorherrschend, namentlich in Saudi-Arabien, wobei die »hanbaliya« im saudi-arabischen Westen genannt »al-higâz«, der immerhin Mekka und Medina umfasst, erst um 1925 zwangsweise eingeführt wurde. 1932 geriet dieses Gebiet unter die Obhut der wahhabitischen Dynastie der Saudis und wurde Teil von Saudi-Arabien. Der Wahhabismus beziehungsweise das Salafitentum ist eine Sekte, die aus einer internen Veränderung der Lehren der Hanbaliten entstand. Gegründet im 18. Jahrhundert von Muhammad ibn Abd al-Wahhâb (1703–1792), wurde diese Bewegung von der Dynastie der Saudis übernommen. Zwar gehören weltweit nur fünf Prozent der sunnitischen Muslime dieser besonders strengen Rechtsschule (madhab) an, doch über die Verbreitung im arabischen Raum und über das Wächteramt über die höchsten islamischen Pilgerstätten Mekka und Medina kommt der sog. islamisch konservativen »madhab« der Hanbaliten bis heute die Rolle eines islamischen Referenzmodells zu. Interessant erscheint in diesem Zusammenhang, dass in dieser orthodoxen Denklinie auch der hanbalitische Jurist und Theologe Ibn Qayyim al-Gauziyya Abu Abdullah Schams ad-Din Muhammad ibn Abi Bakr ibn Ayyub (1292–1350) aus Damaskus im 14. Jahrhundert seine Mitteilungen über die Frauen entsprechend weiter geführt hat, was damals im sunnitischen Islam keineswegs einhellige Meinung war.7

Wer, bevor man zur Lektüre des Buches der Weisungen für Frauen greift, über die Rolle der Frau im Islam nachdenkt, kommt nicht umhin, sich die bekannte Sure 4:34 im Koran anzusehen:

Die Männer stehen für die Frauen ein,

deshalb, weil Gott den einen von ihnen den Vorzug vor den anderen gewährte

und weil sie etwas von ihrem Vermögen aufgewendet haben.

Die frommen Frauen sind demütig

ergeben,

Die aber, deren Widerspenstigkeit ihr

befürchtet, die ermahnt,

haltet euch fern von ihnen auf dem Lager, und schlagt sie.

Wenn sie euch gehorchen, dann unternehmt nichts weiter gegen sie.

Gott ist hoch erhaben, groß.8

Die vierte Sure an-nisâ (Die Frauen) ist medinensisch und umfasst 176 Verse und sie gilt als die erste Schrift über die Frau, sozusagen als die erste Verschriftlichung der Frau im Islam. Hierin werden rechtliche Regeln, welche die Frau betreffen, artikuliert. Wenn heute der Vers 34 aus seinem historischen Kontext herausgelöst rezipiert wird, dann wirkt er für westliche Hörer und Leser abstoßend. Den Frauen wird in diesen Zeilen empfohlen, sich zu fügen, unterwürfig zu sein und die Intimität zwischen Eheleuten (hâfizâtun li-l-gaybi) zu hüten. Frauen, die sich widersetzen oder deren Widerspenstigkeit (nusûza-hunna) schon zu befürchten ist, sollen bestraft werden, unter anderem damit, dass sie von ihrem Mann im Ehebett gemieden und/oder geschlagen werden (wa-dribû-hunna).9 Westliche Interpreten lesen diesen Vers so, als seien Frauen in der koranischen Darstellung hilflos abhänGiG und besäßen nichts als sich selbst. Dabei heißt es schon zu Beginn dieses Verses, dass die Männer für die Frauen einstehen (ar-rigâlu qawwâmûna ’alâ n-nisâ’i). Es kann hierbei nicht um eine zeitgenössische Relativierung, sondern es sollte um eine historisch-kritische Rezeption gehen.

Diese medinensische Sure wurde dem Propheten frühestens im Jahr 622 offenbart, also in der Zeit der Hidschra. Am 9. September 622 verlässt Muhammad mit seiner Gemeinde Mekka und trifft am 20. September in Qubâ ein. Dieser Tag wird als der Tag der Hidschra bis heute begangen. Vier Tage später, am 24. September 622, erreicht der Prophet Medina und schließt damit die Hidschra ab. Sozusagen rückdatiert beginnt mit dem 16. Juli 622 die islamische Zeitrechnung. Freitag, der erste Muharram, ist damit der erste Tag des Jahres der Hidschra. Ungefähr 560 Jahre später verfasst Abû Al-Faradj Ibn Al-Djauzi sein Buch der Weisungen für Frauen. Allerdings ist, so vermerkt es die Editorin in ihrem Kommentar, »nicht zu klären, wann genau er das Buch verfasst hat«. Ihre Übersetzung stützt sich auf eine zeitgenössische Edition von 1981, die sich wiederum auf das vollständige Istanbuler Manuskript einer von vier Abschriften aus dem Jahr 1336 bezieht. Es existiert kein weiterer Autograf, dafür eine sog. Leipziger Abschrift.10

Bezüglich dieses Textes ist eine zeitliche Abfolge der Jahre 622 (Hidschra), 1182 (vermutete Niederschrift), 1981 (arabische Neuedition) und 2009 (deutsche Übersetzung) zu sehen. Es erscheint unsinnig, sowohl die knapp 1400 Jahre alte Sure als auch diesen knapp 830 Jahre alten Text als veraltet beiseite legen und sowohl den Koran als auch den Autor als frauenfeindlich bezeichnen zu wollen, vor allem in Anbetracht der vielen muslimischen Leser, die beiden Büchern ungebrochene Aktualität zuschreiben. Der Islam als Ganzes wird leichtfertig verdächtigt, frauenfeindlich zu sein. Das lässt sich zwar aus dem Koran nicht belegen, aber immer wieder hat es Koran-Ausleger gegeben, die dieses behaupteten und dazu die passenden Empfehlungen herausgaben. Um es pointiert zu sagen: Männer beschlossen in vielen islamischen Gesellschaften und beschließen immer noch über das Verhalten von Frauen in der Familie und der Öffentlichkeit. Indes lautet mindestens eine herausfordernde Frage, ob der mittelalterliche Autor das zeitgenössische Bild einer oftmals gescholtenen islamischen Frauenfeindlichkeit bestätigt oder ob sich aus den Quellen nicht auch ein differenziertes Frauenverständnis ergibt. Selbstredend lassen sich frauenfeindliche Schriften im christlichen und jüdischen Mittelalter ebenso finden, allerdings beruft sich kaum jemand mehr hierauf. Abû Al-Faradj Ibn Al-Djauzi wurde und wird allzu oft als ein Musterbeispiel patriarchalischer und frauenfeindlicher Denkstrukturen verurteilt. Und weil Das Buch der Weisungen für Frauen ein solches Musterbeispiel sein könnte, erfreut es sich in konservativen Islamkreisen bis heute großer Beliebtheit. Nicht als ein Gegenbild, sondern als Fixpunkt des islamischen Frauenbildes ist darum die Veröffentlichung dieses Textes in deutscher Sprache wichtig.

Michael Fisch

Anmerkungen

1 Vgl. Abd al-Hamid Alwadji: Mu’allafât Ibn al-Djauzî. Bagdad 1992 (überarb. Neuaufl., zuerst 1965).

2 Al-Buchârî: Die Sammlung der Hadithe. Ausgewählt, aus dem Arab. übers. u. hg. von Dieter Ferchl. Stuttgart 2010 (11991.); Al-Nawawî: Der Buch der vierzig Hadithe. Mit dem Komm. v. Ibn Daqîq al-Îd. Aus dem Arab. übers. u. hg. v. Marco Schöller. Berlin 2010 (12007.) Muslim ibn al-Haddschadschs al-dschâmi as-sahîh (Sammlung authentischer Traditionen) liegt als eigenständiges Werk nicht vor. Vgl. auch Michael Fisch: Umm al-Kitab: Verzeichnis deutschsprachiger Koran-Ausgaben. Berlin 2013.

3 Hier vor allem Hilal Sezgin: Sie wollen, was auch ihr verlangt. In: Die Zeit v. 16. August 2009 und Karen Krüger: Das neue Buch der Unruhe. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 14. Oktober 2009.

4 Dagegen Stefan Weidner: Denn die meisten von Euch sind Brennholz der Hölle. In: Qantara v. 17. Januar 2010 und ebenso Hannelies Koloska: Von den einen gehasst, von den anderen verehrt. Der veraltete Blick aufs Geschlecht: Ibn al-Djauzî. In: Fikrun wa fann v. Januar 2011.

5 Michel Foucault: Die Ordnung des Diskurses. Inauguralvorlesung am Collège de France vom 2. Dezember 1970. München 1974, S. 46. Vgl. hierzu Michael Fisch: Werke und Freuden. Michel Foucault – eine Biografie. Bielefeld 2011, S. 415–427.

6 Vgl. zuletzt das Urteil des Kölner Landgerichts vom 7. Mai 2012 (Az. 151 Ns 169/11), das in der Beschneidung von Jungen aus religiösen Motiven den Straftatbestand einer Körperverletzung sieht (Spiegel online v. 26. Juni 2012).

7 Vgl. Ibn Qayyim al-Gauziyya: Über die Frauen. Liebeshistorien und Liebeserfahrung aus dem arabischen Mittelalter. Hg. von Dieter Bellmann. München 1986.

8 Zit. n. Der Koran. Aus dem Arab. neu übertr. v. Hartmut Bobzin unter Mitarb. v. Katharina Bobzin. München 2010, S. 74.

9 Weitere koranische Regeln für die Frauen stehen in Sure 2 (V. 178, 221–223, 226, 228, 234–235, 240, 241 u. 282) in Sure 3 (V. 195), in Sure 4 (V. 1–4, 15, 19, 20–21, 25, 32, 34, 36, 98–99, 124 u. 127–129), außerdem in Versen der Suren 9, 12, 13, 16, 23, 24, 30, 33, 6, 40, 43, 47, 48, 57, 58, 64, 65, 66, 70, 75 u. 81.

10 Kitab Ahkâm an-Nisâ, Hg. v. Alî ibn Muhammad Yûsuf al-Mahdî, Beirut: 1981.