›w/White‹ werden

Zur Repräsentation von whiteness in Max Frischs Stiller

Melanie Rohner

Abstract

The article demonstrates the extent in which the main characters’ actions, thoughts and emotions in Max Frisch’s novel Stiller (1954) are prompted by normative concepts of whiteness. First, Julika’s asexuality, lifelessness, virtual immaterialness and moral integrity can be correlated to an image of ›white‹ femininity with a long tradition. Second, making visible the apparent invisibility of white skin, Stiller’s pseudonym, »White«, shall be taken literally. The character is read as a wishful projection by Stiller, who fails to conform to an explicitly ›white‹ ideal of masculinity – an ideal widely evoked in the 1950s, e.g. in numerous Western films and in the work of Ernest Hemingway.

Im Zentrum von Max Frischs Roman Stiller steht mit dem Schweizer Anatol Ludwig Stiller eine Person, die sich erbittert weigert, diese Person zu sein. »Ich bin nicht Stiller« (III, 361),1 lautet denn schon der erste Satz des eponymen Erzählers und Protagonisten, der stattdessen darauf insistiert, ein amerikanischer Staatsbürger namens James Larkin White zu sein – und zwar so hartnäckig, dass der zürcherischen Polizei nichts anderes übrig bleibt, als ihn gleich nach seiner Rückkehr in die Schweiz zu inhaftieren. Nicht nur durch die Vehemenz seiner Weigerung indes verrät sich Stiller. Auch seine Aufzeichnungen im Gefängnis – als die sich der erste Teil des Romans präsentiert – machen rasch klar, dass es sich beim vermeintlichen Amerikaner um den verschollenen Stiller handeln muss. Die zentrale Frage des Romans lautet denn auch nicht, ob White Stiller ist, sondern ob einer, der etliche Jahre woanders war, in Amerika vieles erlebt und sich also verändert hat, immer noch die gleiche Person ›ist‹ wie zuvor.

Stillers neuer Name White hat in der Forschung Anlass zu verschiedenen Spekulationen gegeben. Meistens wird in ihm ein Symbol für den selbst gewählten Neuanfang Stillers gesehen: Indem Stiller seine Vergangenheit von sich werfe, beginne er gleichsam als ›unbeschriebenes Blatt‹ ein neues Leben.2 Manchmal ist freilich auch positivistisch argumentiert worden: Frisch habe den Namen James Larkin White von dem Entdecker jener Carlsbader Kavernen übernommen, die im Roman Bühne für die vermeintliche Begegnung des Protagonisten mit seinem Doppelgänger sind (vgl. Naumann 1986, 698f.) und die Frisch als Tourist tatsächlich besucht hat. Und positivistische Erklärung und symbolische Interpretation wurden auch schon kombiniert:

The use of the actual name of the caves’ discoverer provided Frisch’s narrative with ready-made symbolic nuances. White or Weiß, as the protagonist asks to be called in Switzerland, indicates the tabula rasa, the blank page on which the character remains to be written or come to self-realization. (Fickert 1978, 479)

Die naheliegende Möglichkeit aber, dass das Pseudonym Stillers auch eine ethnische Bedeutung haben könnte, dass es als Appellativ explizit auf die whiteness seines Trägers verweist, ist in der Forschung noch nicht einmal in Erwägung gezogen worden. Tatsächlich nennt sich Stiller erst von einem ganz bestimmten Zeitpunkt an, der bei einer positivistischen Herleitung nicht erfasst wird, White: erst nach einem Selbstmordversuch beziehungsweise nachdem er in der Karlsbader Kavernen-Episode seinen Doppelgänger, einen sogenannten Mexican boy (III, 521), getötet haben will. Dass die ethnischen Markierungen sowohl des Protagonisten wie auch dieses Doppelgängers in der Forschung bisher ignoriert wurden, überrascht umso mehr, als diese in der »Identität« ja regelmäßig ein Hauptthema des Romans ausmacht und es keiner besonders forcierten Lektüre bedarf, um die Carlsbader Kavernen-Episode als Veranschaulichung der Identitätsbildung Whites über einen Prozess der Alterisierung zu erkennen: Was nach Stillers Dafürhalten nicht zu einer ›weißen‹ männlichen Identität, zur Identität Whites eben, gehört, wird über die fiktive Tötung des eigenen Fremden – in diesem Fall des »Mexican boy« – ausgelöscht.

In Whites Abenteuergeschichten, die Stiller vornehmlich für seinen Gefängniswärter Knobel erfindet, imaginiert und bezeichnet er White explizit als amerikanischen »Cowboy« (III, 506), wie er in zahlreichen Wildwestfilmen mythisiert wurde, die gerade in den 1950er Jahren ihre Blütezeit erlebten (vgl. Grob/Kiefer 2003, 31). Den Klischees dieses Genres entsprechend reist White als Lonesome Cowboy pfeifend durch Amerika und Mexiko:

Ich sah die Prärie, die Schlächtereien von Chikago, […] die Indianer, die größte Kupfergrube der Welt, die größte Hängebrücke der Welt, ich redete mit fremden Gesichtern […], ich arbeitete einen Monat in Detroit […], Geld hatte ich fast nie, aber ich pfiff vor Seligkeit[.] (III, 685)

White ist wie ein echter Westernheld stets mobil, hält sich sowohl in der Wildnis (bei den »Indianern«) als auch in Städten auf (»Chikago«, »Detroit« sowie San Francisco, wo 1952 noch »die größte Hängebrücke der Welt« stand),3 kann aber keinem der beiden Bereiche ganz zugeordnet werden. Somit erscheint er weder zu zivilisiert noch zu wild: Eine zu starke Assoziation mit Zivilisation und städtischem Leben würde ihn in gefährliche Nähe zu Vorstellungen von Weichlichkeit, Weiblichkeit und dergleichen rücken, während in der Wildnis des Westerns nur »die ›Wilden‹ selbst zu Hause [sind] und daneben höchstens noch brutale Verbrecherbanden und verrohte weiße Männer« (Weidinger 2006, 97). Im Gegensatz zu diesen hat der Cowboy auch Glück bei Frauen, nutzt es sexuell allerdings nie aus: »He is a fighting monk, […] whose soul is as white as his hat« (Savage 1986, 103). Als White einmal eine »schöne« »junge Mulattin« aus einem »brennenden Sägewerk« rettet, geht er mit ihr denn auch lediglich »zum Fischen« (III, 404–407).

Als ›Westerner‹ ist White freilich auch Individualist, der, wenn er seine Gründe hat, sich in Selbstjustiz üben und seinen Nebenbuhler Joe etwa, der

»[e]ine Limousine […] gestohlen[ ]« (III, 403) hat, in bester Cowboy-Manier in der Wüste einfach niederschießen kann: »Und Schuß. Und kein Wort mehr von Joe« (ebd.). Die Durchsetzungskraft und Entschlossenheit, die White hier in der lebensbedrohenden Wildnis zeigt, verdeutlichen genauso wie seine lakonisch abgehackten Sätze, dass der Westernheld in ein Männlichkeitsparadigma eingeschrieben ist, das auf Taten, nicht auf Worte gerichtet ist. Schließlich ist es die Aufgabe eines rechten, eben immer im Bereich zwischen Wildnis und Zivilisation agierenden ›Westerners‹, diesen Grenzbereich stetig Richtung Westen zu verschieben, der Zivilisation neues Land zugänglich zu machen – das Frontierprojekt voranzutreiben (vgl. Grob/Kiefer 2003, 22): White entdeckt in bereits erwähntem Abenteuer immerhin die Karlsbader Kavernen – wie 1901 sein realer Namensspender James Larkin White, den Stiller am Ende seiner Erzählung über Whites Entdeckung sogar namentlich nennt. Damit kennzeichnet Stiller aber nicht nur seine Berichte als Erfindungen, sondern verweist eben auch auf die Genre-Topoi, anhand derer er die Figur White inszeniert: »James (Jim) Larkin White« soll, wie für Touristen auf einem »Denkstein« mit »metallenen Lettern« zu lesen sei, »a young cowboy« gewesen sein (III, 521). Als solch ein legendärer Cowboy entspricht White den in den 1950er Jahren vorherrschenden Männlichkeitsidealen, die der Western transportierte und tradierte (vgl. Zurstiege 1998, 63–67); der Norm einer, wie sich noch erweisen wird, ganz spezifisch ›weißen‹ Männlichkeit, die sich über »Christianity, ›race‹ and enterprise/imperialism« (Dyer 1997, 14) definiert.

Im Gegensatz zu White ist Stiller eine Figur, die immer Angst hat, »in irgendeinem Sinn nicht zu genügen« (III, 440). Vor allem leidet er seit seiner von ihm selbst so bezeichneten »Niederlage in Spanien« unter der Angst, kein »richtiger Mann zu sein« (III, 496). Als Freiwilliger im »Spanischen Bürgerkrieg« hat er seine »Feuerprobe«, »eine kleine Fähre am Tajo zu bewachen«, nicht bestanden und die feindlichen »Franco-Spanier« »die Fähre benutzen [lassen], ohne zu schießen, wiewohl es für ihn […] eine Leichtigkeit gewesen wäre, die vier Feinde auf der Fähre abzuschießen« (III, 489). Als Hypotext dieser Episode, über dessen intertextuellen Bezug Stillers Versagen akzentuiert wird, nennt die Forschung mit For Whom the Bell Tolls (1940) jeweils einen Roman Ernest Hemingways. Gerade 1954, also im Erscheinungsjahr des Stiller, erhielt dieser den Nobelpreis für Literatur. Zwar wurde ihm der Nobelpreis nicht für diesen Roman, sondern für The Old Man and the Sea (1952) zugesprochen, aber Frisch dürfte an Hemingways For Whom the Bell Tolls interessiert haben, was in allen Romanen des Amerikaners zum Ausdruck kommt: dessen Modell eines »twentieth-century masculine literary hero« (Rodriguez 2003, 204), das sich in etlichen Aspekten mit jenem des Westernhelden deckt: »[T]he man of action, a lone individualist with primitive emotions who struggles bravely against personal or cosmic circumstances« (ebd., 204). So ist denn auch Robert Jordan in For Whom the Bell Tolls ein überaus viriler Mann, der wie Stiller als Freiwilliger am spanischen Bürgerkrieg teilnimmt, aber im Unterschied zu Stiller ernsthaft bereit ist, für seine Ideale sein Leben zu riskieren. Tatsächlich ist die ganze Episode von Stillers Versagen am Tajo im genauen Gegensatz zu Jordans Abenteuer konzipiert: »Jordan ist ein erfahrener Experte, Stiller ein unerfahrener Dilettant. Stiller soll die Brücke bewachen, Jordan zerstört sie. Jordan gewinnt Liebe und Achtung, Stillers Feigheit kostet ihn beides« (Köpke 1977, 160). Diese oppositive Konstellation lässt sich zusätzlich an den beiden Frauenfiguren nachvollziehen: Anja, der Stiller erfolglos zu imponieren versucht, ist als »Polin« mit »volle[m] Temperament, etwas Tatarenblut, eine Kämpferin von Geburt« (III, 614), ein ›Flintenweib‹ par excellence, wie es Klaus Theweleit in Männerphantasien analysiert hat. Die Angst vor dem Kommunismus sowie der ›Frau‹ und dem ›Osten‹ im Allgemeinen vereinen sich in ihr zu einem Schreckens- und Faszinationsbild (vgl. Theweleit 2000, I, 78–87). Maria hingegen ist ein junges, schüchternes und verschüchtertes Mädchen, das erst kürzlich vergewaltigt wurde, vom amerikanischen Womenizer und Hero Jordan aber so stark angezogen wird und zu ihm so großes Vertrauen fasst, dass es sich ihm schon in der ersten Nacht nach dessen Ankunft hingibt. Dadurch kann Jordan Maria von ihrem Vergewaltigungstrauma erlösen, kurz bevor er sich während eines feindlichen Angriffs für sie opfert.

Die Erlöserfunktion, die Jordan für Maria hat und die einzunehmen Stiller bei der ihm überlegenen Anja nie in den Sinn käme, will Stiller schließlich bei Julika einnehmen, um nach seinem Versagen in Spanien wenigstens in dieser Hinsicht mit Hemingways Protagonisten gleichzuziehen, um »kein armer und schwacher Mensch« zu sein, sondern eben ausdrücklich »ihr Erlöser« (III, 766): »Dich [Julika] zum Blühen zu bringen, eine Aufgabe, die niemand sonst übernommen hatte, das war mein schlichter Wahnsinn. Dich zum Blühen zu bringen!« (III, 496) Letztlich besteht Stillers selbst gestellte Aufgabe also darin, sich wenigstens auf sexuellem Gebiet nachträglich als Mann zu beweisen.

Die Ehe mit Julika stellt für Stiller eine »Bewährungsprobe« dar wie sein Spanienerlebnis; doch muss er auch seine Ehe später als »Niederlage« (III, 768) bezeichnen. Dieser Kriegsmetaphorik entspricht übrigens die Engführung von Julikas und Stillers Ehekrieg mit dem Zweiten Weltkrieg. Beide enden 1945 und dauern in etwa gleich lang (vgl. Schößler/Schwab 2004, 41). Vor allem aber lässt Stillers Leidensgeschichte Parallelen zur Passionsgeschichte Jesu Christi erkennen: Stiller erzählt Julika einen Traum, in dem sein Alter Ego Isidor »seine beiden Hände mit Wundmalen« zeigt (III, 408); er bleibt – wie Christus im Totenreich – drei Tage lang in den Karlsbader Kavernen; seine Doppelgänger verletzen sich darin Hände und Füße; wie Christus seinem Jünger Petrus stellt Stiller Julika die dreimalige Christusfrage: »Liebst du mich?« (III, 713f.);4 und in einer ersten Version des Romans wäre Stiller innerhalb der erzählten Zeit auch gestorben.5 Stattdessen stirbt nun Julika am Ostermontag, was die Erlöserpose Stillers zwar gleichsam doppelt ironisiert, aber auch und gerade noch durch diese Ironisierung desto nachdrücklicher auf sie hinweist.

Vom christlichen Menschenbild ist auch Stillers Verhältnis zu seinem Körper geprägt. Geht das Christentum von einer Spaltung zwischen Geist und Leib aus, reproduziert es, so Richard Dyer, »such dualistic thought only, magically, incomprehensibly, to transcend it in the spirit-in-the-body of Mary and Christ« (Dyer 1997, 16). Christus ist sowohl Fleisch als auch Geist, erlebt Schmerz während der Passion, zeigt in der Auferstehung aber, dass er seine Leiblichkeit transzendieren kann. Maria ihrerseits wird ohne eigenes Zutun vom Geist erfüllt. Um die gender-ideologischen Folgen dieser Konfiguration grob vereinfacht zu skizzieren, beerben vor allem die bürgerlichen Geschlechtscharaktere ab dem ausgehenden 17. Jahrhundert mit dem Marien- ein Weiblichkeitsideal, dessen paradoxe Forderung nach jungfräulicher Mutterschaft nur eine Lösung zulässt: ein möglichst unwissendes und damit ›unschuldiges‹ Verhältnis zur eigenen wie zur Sexualität überhaupt, um seelisch und körperlich ›rein‹ zu bleiben. Christlich-europäische Männlichkeit hingegen ist und darf nicht sexuell ›unschuldig‹ sein – der sozusagen nur scheu-verschämt sich sehnende Mann wäre unweigerlich ›weiblich‹. In diesem Männlichkeitskonzept konstituiert sich der Mann im Wissen um seine Triebe und durch das Verhältnis, in das er sich zu ihnen setzt. Christlich-europäische und damit ›weiße‹ Männlichkeit befindet sich in einem stetigen »internal struggle between mind (God) and body (man)« (Dyer 1997, 17). Der Anspruch lautet idealiter: wie Jesus über die eigene Leiblichkeit zu triumphieren, durch »suffering, self-denial and self-control, and also material achievement, if it can be construed as the temporary and partial triumph of the mind over the body« (Dyer 1997, 17).

Vor dem Hintergrund der in Europa seit dem 18. Jahrhundert entstandenen Rassenkonzepte folgte aus diesem christlichen Dualismus sozusagen ›natürlich‹, dass eine so definierte Männlichkeit weißen Männern vorbehalten blieb. Erstens war in der christlichen Symbolik und Ikonografie Geist immer schon mit Weiß, der Farbe des Lichts und des Göttlichen, assoziiert (Husmann-Kastein 2006, 46). Und zweitens wurden »non-whites« in rassisch-anthropologischen Diskursen ›traditionell‹ auf ihre Naturnähe und ihren Körper reduziert, die ihr Empfinden, Denken und Handeln angeblich determinierten, so dass ein Triumph über die eigene Physis für sie gar nicht in Frage kommen konnte. Die weiße Hautfarbe hingegen verwies immer schon auf ein zusätzliches Anderes, auf etwas Unkörperliches, den Spirit, der das Leibliche kontrolliert (vgl. Dyer, 18–30).

Auf diesen, neben »enterprise/imperialism« (auch im Imperialismus organisiert ein ›weißer‹ Geist ›nicht-weiße‹ Körper) für ›weiße‹ Männlichkeit zentralen Aspekt der Körperbeherrschung wird also rekurriert, wenn Stillers Männlichkeitsgeschichte mit der Passionsgeschichte verknüpft wird und Stiller gegen seinen Körper einen Kampf ficht, der immer wieder fokussiert wird: Stiller leidet über die Maßen unter »seinem Zerwürfnis mit dem Körper« (III, 460). Es ist ihm »furchtbar, wenn er schwitzt[ ]« (III, 459). Vor allem quält ihn seine Sexualität, er kommt sich »als der Besudelnde vor« (III, 459) oder »wie ein öliger, verschwitzter, stinkiger Fischer« (III, 449), wenn er sich Julika nähert – kurzum: Er hat das »Pech, in einem Körper zu wohnen, der sein Liebstes beschmutzt[ ]« (III, 460).

Um seiner zeitweiligen Geliebten Sibylle dieses Dilemma in einem kleinen Rollenspiel zu veranschaulichen, übernimmt Stiller einmal die Rolle eines Stiers und weist Sibylle den Part des »silbern-weiße[n] Matador[s]« zu, der die Aufgabe hat, den »Sieg des Geistes über das tierische Leben« zu erringen:

Der Geist erscheint als silbern-weißer Matador, die blanke Klinge unter dem roten Tuch, nicht um zu töten, o nein, sondern um zu siegen, um die Figuren äußerster Todesgefahr zu bestehen, eine nach der andern, ohne je einen Schritt zurückzuweichen, Eleganz ist alles, Feigheit ist schlimmer als der Tod, es geht um einen Sieg des Geistes über das tierische Leben, und dann erst, wenn er seine Gefahren bestanden hat, dann erst darf er seine Klinge gebrauchen […]. (III, 607f.)

Dass Sibylle hier die Rolle übernimmt, die eigentlich Stillers Frau zukommen sollte, der Balletttänzerin Julika, deren Stelle die Geliebte also auch hier wieder bloß vertritt, wird deutlich, wenn man einen Artikel Frischs aus dem Jahr 1951 hinzuzieht, Spanien – Im ersten Eindruck. Darin beschreibt Frisch den Matador als »Tänzer«, dessen Auftritt »balletthaft« wirke und der »auf den Zehen« stehe, wenn er dem anstürmenden Stier »Spieße [in den] Nacken« (III, 182) stecke:

[U]nd schon ist er da, der erste Stier, schwarz wie Pech, straff und jung, wild vor Kraft. Die Arena liegt halb in der Sonne, halb im Schatten; Leben und Tod. Und dann kommen die weißen, fast silbrigen Toreros mit ihrem schwarzen Dreispitz und ihren roten Tüchern, balletthaft; noch bleibt es Spiel, waffenlos. (III, 181; Hervorh. d. Verf.)

Diese Stierkampfmetapher – die vermutlich ebenfalls Frischs Hemingway-Lektüre geschuldet ist6 – greift der Autor auch in seinen 1953 in der Neuen Zürcher Zeitung publizierten Nachbemerkungen zu Don Juan oder Die Liebe zur Geometrie auf: Don Juan bestreite den »tödlichen Kampf des Geistes« gegen die »naturhafte Gewalt des Geschlechts, das er aber, im Gegensatz zum Torero, nicht töten könne, ohne sich selbst zu töten« (III, 173). Beide Figuren, Julika und Don Juan, können also mit dem Torero gleichgesetzt werden, aber der Kampf, den die beiden Figuren bestreiten, unterscheidet sich aufgrund ihrer Geschlechterzugehörigkeit: Während Julika – als ›weiße‹ Frau oder eben »weißer Matador« – lediglich die Aufgabe hat, sich der offensichtlich ›schwarzen‹ Sexualität des Mannes zu erwehren wie der Torero des Stiers, ficht Don Juan auf beiden Seiten: Er ist Stier und Torero zugleich, er kann den Stier »nicht töten […], ohne sich selbst zu töten« (III, 173). Und genauso geht es Stiller, der in dem kleinen Stierkampfrollenspiel zwar die Rolle des Stiers, der ›dunklen‹ aggressiven Sexualität, aber eben auch jene der Regie übernimmt und damit beide Seiten kontrolliert oder doch zu kontrollieren versucht. Sinnigerweise wird Stiller mit einem »Minotaurus« (III, 411) gleichgesetzt. Und ebenso sinnig ist die Farbsymbolik des Rollenspiels: Die Farbe Weiß, wie bereits erwähnt, wurde seit je »als Symbol des Lichts mit Geist und Männlichkeit assoziiert« (Husmann-Kastein 2006, 46). Das heißt indes nicht, dass sich ideale ›weiße‹ Männlichkeit nur über Geist manifestiert, sondern ›weißer‹ Männlichkeit liegen eben zwei Prinzipien zugrunde: das Prinzip der whiteness und das der Männlichkeit. Ohne eine gleichsam stierhafte, animalische, ›dunkle‹ Seite, ohne Begehren, würde die Maskulinität des ›weißen‹ Mannes in Zweifel gezogen, denn »the darkness is a sign of his true masculinity, just as his ability to control it is a sign of whiteness« (Dyer 1997, 28). Gerade dieser Widerspruch, dieser Widerstreit zwischen ›gut‹ und ›böse‹, Licht und Dunkel, Verstand und Trieb bildet den Nukleus eines bestimmten Heldennarrativs, für das etwa Hemingways Helden als Beispiele firmieren können: »For Hemingway, man is always at war with himself« (Rodriguez 2003, 204). Kein anderer Held indes hat sich so stark unter Kontrolle wie der Westernheld: Er lebt asketisch, eben als »fighting monk«.

»Wer hätte nicht zuweilen den Wunsch, Mönch zu werden!« (III, 534), notiert auch Stiller, dessen Selbstbeherrschung aber große Mängel aufweist: Als er etwa Julika in Davos besucht, packt er sie auf einem Spaziergang »wie ein Tarzan«, der er »nun, weiß Gott, nicht« ist, küsst sie »mit unbegreiflicher Heftigkeit«, wird immer ›fassungsloser‹ und beißt sie schließlich unter »Tränen« und ›Schluchzen‹ und »naß von Schweiß« »in ihren Schoß«, beißt »wie ein Hund«, während er sie mit »Hände[n] wie Krallen« am Gesäß hält (III, 473f.).

Dass Stiller in dieser Situation mit einem »Tarzan« verglichen wird, ist ein beachtenswertes Detail. Denn Tarzan, »the ape-man«, steht seinerseits wieder geradezu prototypisch für den Kampf des ›weißen‹ Mannes gegen sein dunkles »tierisches Leben«, das Stiller hier so offensichtlich übermannt – Tarzan soll, so steht es in der ersten Tarzannovelle, in der Sprache der Affen »White-Skin« bedeuten (Burroughs 2008, 48). Stiller hat im Gegensatz zu Tarzan seine ›dunkle Seite‹ nicht unter Kontrolle. Er ist »weiß Gott« kein Tarzan, der gerade ein Musterbild ›weißer‹ Männlichkeit verkörpert. So wie Stiller sich Julika hier nähert, würde sich der moralisch integre Tarzan selbstverständlich nie an Jane heranmachen. Zeichen von Tarzans starkem Willen und Manifestation seiner Triebkontrolle, Zeichen also seiner whiteness, ist seine in allen Verfilmungen prominent in Szene gesetzte Muskelkraft, sein built body:

The built white body is not the body that white men are born with, it is the body made possible by their natural mental superiority. The point after all is that it is built, a product of the application of thought and planning, an achievement. It is the sense of the mind at work behind the production of this body that most defines its whiteness. (Dyer 1997, 164)

Der ›magere‹ (III, 387) Stiller ist Tarzan folglich genauso unterlegen, wie er dem Ideal eines Westernhelden nicht entspricht. Diese Unterlegenheit zeigt sich jedoch nicht nur in seiner Lüsternheit, also darin, dass er seinen ›inneren Schweinehund‹ beziehungsweise den ›Affen oder Stier‹ in sich nicht zu beherrschen vermag. Wird es ernst, findet sich die Lüsternheit von der Physis im Stich gelassen: »Jahrelang habe ich noch davon geträumt: ich möchte schießen, aber es schießt nicht – ich brauche dir nicht zu sagen, was das heißt, es ist der typische Traum der Impotenz« (III, 617). Nicht nur Stillers whiteness erscheint folglich als labil, auch seine Männlichkeit steht offensichtlich in der Krise, immer wieder erscheint er effeminiert: So ist beispielsweise von Stillers »feminine[m] Talent zur Anpassung« (III, 743) die Rede; bezeichnet ihn Sibylle als »Schwester« (III, 632); und vermerkt auch Stiller selber als Erzähler: »[E]r ist wohl sehr feminin« (III, 600). Seine ›Krise der Männlichkeit‹ ergibt sich aber nicht nur militärisch (weil er in Spanien versagte) und sexuell (weil er seine Triebe nicht unter Kontrolle hat und Julika nicht »zum Blühen« bringt), sondern auch ökonomisch: Einer traditionell männlich kodierten Versorgerrolle kann er, der von seiner Frau ausgehalten wird, nicht nachkommen. Zudem gelingt es ihm nicht, den genealogischen Fortbestand seines Geschlechts zu sichern: Julika will nicht schwanger werden und Sibylle treibt ihr gemeinsames Kind ohne sein Wissen ab.

Als Reaktion auf diese Krise flüchtet Stiller einerseits in die USA der 1950er Jahre. Andererseits und vom Vorsatz geleitet, »westwärts zu fahren, gleichviel wohin« (III, 685), folgt er dem »Helden-Initiationsprogramm[ ], das […] der Western propagiert«, dem »Go west« (Liebrand 2003, 65), und entflieht in ein imaginäres, anachronistisches, semi-koloniales Amerika, in welchem er explizit als White agiert. Whites Geschichten spielen sich denn – das dürfte aus obigen Erörterungen klar hervorgegangen sein – nicht im ›realen‹ Amerika der 1950er Jahre ab, sondern in einem Amerika, das dem Wilden Westen nachempfunden ist, wie er in zahlreichen zeitgenössischen Filmen inszeniert wurde. Friedrich Dürrenmatt strich in seinem Fragment einer Kritik von 1954 an Stillers Amerikaberichten denn auch die »ganz und gar uneuropäisch[en]« Landschaftsschilderungen heraus. Whites Abenteuer aber bezeichnete er als »verunglückte Schriftstellerei«, als »billiges Kino«.7

Die Welt im »Kino«, namentlich der Wilde Westen, ist für Stiller insofern attraktiv, als krisenhafte Männlichkeit hier – anders als auf Stillers ›realem‹ Herkunftskontinent und in seinem ›realen‹ Herkunftsland – nicht vom zunehmenden Einzug der Frauen in die männlich kodierten Räume von Wissen und Macht, Politik und Arbeit bedroht wird, wo männliche Versagensängste mit politisch engagierten Kommunistinnen und Ärztinnen wie Anja konfrontiert werden oder Frauen wie Julika die männliche Versorgerrolle übernehmen. Der Wilde Westen funktioniert vielmehr als Raum, in dem Strategien des othering noch greifen. Hier lässt sich männliche Identität noch von einem klar markierten ›Anderen‹ abgrenzen und hier kann ein Mann seinen Spirit, seinen ›weißen‹ Geist mit ›unternehmerischen/imperialistischen‹ Abenteuern noch unter Beweis stellen und so dem hegemonialen ›weißen‹ Männlichkeitsideal gerecht werden – eben als Westernheld und »Cowboy«, der seinen Geist etwa über seine Entschlossenheit und Willenskraft im Kampf gegen seine oft ›nicht-weißen‹ Widersacher demonstriert. Folgerichtig ist der »Mexican boy«, den White während seines ›imperialistischen‹ Abenteuers in den Carlsbader Kavernen tötet, denn auch ›rassisch‹ markiert – sprich ›nicht-weiß‹ – , und zwar nicht nur, weil er höchstwahrscheinlich – wie angeblich alle »Mexikaner« – eine »rötliche« (III, 381) Hautfarbe hat,8 sondern weil er offensichtlich auch all jene unterlegenen Eigenschaften Stillers personifiziert, die nicht ins Paradigma von James oder Jim Larkin Whites whiteness passen. So wird beispielsweise Rationalität dem ›weißen‹ Jim zu- und dem ›mexikanischen‹ Doppelgänger-Jim abgesprochen; plant der ›weiße‹ Cowboy mit »bare[r] Vernunft« (III, 516) jeden Schritt und beschwört den »Mexican boy« mehrmals, »vernünftig« (III, 516 u. 518) zu sein; handelt dieser dennoch völlig irrational, zerschlägt etwa eine Laterne, verliert wiederholt die Beherrschung, »weint[ ]« (III, 517), »jammert[ ]« (III, 519) und provoziert einen Faustkampf. Vor allem aber ist es der ›mexikanische‹ Jim, den »die Weiber« locken, der Natur und Triebe verkörpert, während der ›weiße‹ Jim den Traum hegt, als »Gärtner[ ], wenn möglich in einer fruchtbaren Gegend«, die Natur zu kultivieren (III, 518). Der ›mexikanische‹ Jim ist offensichtlich Stillers ›innerer Stier‹ und ›Schweinehund‹, den es für den ›weißen‹ Mann eben zu kontrollieren, zu unterwerfen und zu kolonialisieren gilt. Als Verkörperung verdrängter und ›abzutötender‹ Selbstanteile erfüllt der »Mexican boy« im Übrigen die gleiche Funktion wie Joe, ein »Negro« und Ehemann von Florence (III, 403), den White als Nebenbuhler in der Wüste niederschießt und der wohl ebenfalls einen Teil Stillers verkörpert, der dem normativen Ideal von whiteness nicht entspricht: Joe ist wie Stiller selbst ein zwar verheirateter, aber einsamer Mann und voller Eifersucht (vgl. Goetsch 1995, 456).

Mit seiner Flucht vor der heimischen Krise in einen solchen kolonialen – wenngleich kinematografisch-imaginären – Raum, um sich, wie Frisch selbst meinte, eine »Kinotopp-Biographie« zu schaffen (Arabella 2003, 169), folgt Stiller auch in der Zeit des eben angebrochenen Postkolonialismus noch einem klassisch-kolonialen Erzählmuster: Seine Verwandtschaft mit Gottfried Kellers Pankraz, dem Schmoller, der aus dem weiblich dominierten Haushalt ins koloniale Indien und Afrika flüchtet, um dort ein ›rechter Mann‹ zu werden – oder eben auch nicht –, wurde gerade auch in einer zeitgenössischen Rezension herausgestrichen.9

Diesem Modell der Rekonstituierung ›weißer‹ Männlichkeit in einem kolonialen Raum folgt auch Isidor, Stillers Alter Ego, der Protagonist einer kleinen eingeschobenen und von Frisch selbst so genannten »Scherzgeschichte« (Arabella 2003, 174),10 die Stiller in seinen Heften notiert und die ihrerseits minutiös der kellerschen Novelle entlang geführt ist: Isidor, ein »Apotheker« und explizit »gewissenhafter Mensch« und »getreuer Ehemann«, hat schon lange genug von der »steten Fragerei« seiner Frau, »wohin er ginge« und »wo er gewesen wäre«, und landet eines Tages, weil er »aus purem Trotz« vor dieser Fragerei nicht rechtzeitig auf den »Mallorca-Dampfer« zu seiner Frau zurückkehrt, in der Fremdenlegion. Da »Frankreich […] noch immer gegen den Verlust seiner Kolonien« kämpft, lernt er die Welt kennen und wird »zum Mann erzogen«. Nach sieben Jahren entschließt sich dieser »gewissenhafte[ ]« Isidor aus »pure[r] Anständigkeit«, seine Frau und »fünf Kinder, alle nicht ohne Ähnlichkeit mit ihm«, wieder einmal zu besuchen. Mit dem »Tropenhelm unter dem Arm« und einem »Gürtel mit Revolver« erscheint er bei seiner Familie »als der Mann, der er in den harten Kämpfen geworden« ist. »Er schlendert[ ] den Rasen hinauf, als käme er wie gewöhnlich aus seiner Apotheke, nicht aber aus Afrika und Indochina«. Da aber seine Gattin sich anmaßt, den gestandenen Mann zu fragen, wo er die letzten sieben Jahre gewesen sei, zieht Isidor den »sichtlich vom Gebrauch etwas abgenutzt[en]« »Revolver aus dem Gurt« und gibt »drei Schüsse in die […] Torte« ab, um »mit gelassenen Schritten« wieder zu verschwinden (III, 393–395). Er hat in der Fremde die Krisenhaftigkeit seiner Männlichkeit offensichtlich überwunden, ist »w/White« geworden, kann jetzt ›schießen‹ und seiner stetig fragenden Frau Paroli bieten.

Ungleich schwieriger gestaltet sich das Verhältnis Stillers zu seiner Frau Julika. Auch er verlässt zwar wie Isidor wegen seiner Gattin die Schweiz und kehrt ihretwegen zurück, weil er – so gesteht er Rolf – »sie nicht vergessen« könne, »[w]ie man eine Niederlage nicht vergessen kann« (III, 768). Nach seiner Rückkehr als vermeintlich gestandener Mann beziehungsweise ›Westerner‹ – ein neu gewonnenes Rollen- und Selbstverständnis, das er sogleich mit brachialer Gewalt oder doch einer Ohrfeige am Zoll und mit Whiskykonsum demonstriert – ist denn auch sein vordringliches Ziel, Julika doch noch zu erlösen und von ihr erlöst zu werden. Als in der Fremde erprobter ›weißer‹ Mann, als der er sich in seinen Amerikageschichten inszeniert, will er sich nun auch in der Heimat bewähren und erreichen, was ihm vormals verwehrt blieb. An seiner Frau beißt er sich aber – und im Gegensatz zu Isidor – einmal mehr die Zähne aus, seine Beziehung zu ihr bleibt eine »Nußknacker-Suite« (III, 437 u. 685), gerade weil Julika nicht nur sexualisiert, sondern auch rassialisiert wird.

Etwas vom Erstem, was Leserinnen und Leser, und zwar vonseiten eines Kommissärs, über Stillers Gattin erfahren, ist, dass Julika »eine bildschöne Frau« (III, 367) sei. Auch Knobel findet Julika »bildschön« (III, 370); Stillers Verteidiger ist von ihr »sehr charmiert« (III, 401); und Stiller selber unterstreicht, sie sei so »schön, daß man einfach betroffen ist« (III, 420). Dass Julika schön ist ›wie ein Bild‹, deutet schon an, dass sie einem tradierten Schönheitsideal entspricht. Sie gleicht mit ihrer »[m]askenartige[n] […] fixierte[n] Mimik« (III, 407), ihrem ›Alabaster-Teint‹ (III, 724) und dem »antikische[n] Gelock« (III, 523) ihrer Haare denn auch offensichtlich einer klassisch-antiken Statue. Zudem wird sie mit verschiedenen, topisch ›wunderschönen‹ Märchenprinzessinnen assoziiert: mit Schneewittchen, wenn sie auf der Jugendstilveranda in Davos gebettet liegt wie in einem gläsernen »Sarg« (III, 501); und mit Dornröschen, wenn sie, ungeachtet ihrer Ehe mit Stiller, wie die schlafende Prinzessin immer noch auf den Mann oder Prinzen wartet (vgl. Pickar 1978, 96), »der sie einmal erwecken wird«. Trotz ihres ehelichen Geschlechtsverkehrs hat sie

Augenblicke von entwaffnender Unschuld, ein plötzliches Erblühen in Mädchenjahren […]. Sie ist […] wie erstaunt [sic!], daß noch kein Mann sie erkannt hat. […] Sie ist ein Mädchen, das da wartet in der Hülle fraulicher Reife […] und ihre Augen […] haben einen Glanz der offenen Erwartung, daß man eifersüchtig ist auf den Mann, der sie einmal erwecken wird. (III, 420f.; Hervorh. d. Verf.)

Dass Julika nicht »erweck[t]« oder – in biblischer Rhetorik – »erkannt« worden ist, heißt hier offensichtlich, dass sie noch nie einen »sogenannten Orgasmus erf[a]hr[en]« (III, 449) hat und entsprechend ›unschuldig‹, gewissermaßen jungfräulich geblieben ist. Darin ist der Text dem bereits erwähnten protestantisch-bürgerlichen Diskurs über asexuelle Weiblichkeit verpflichtet, wonach Frauen die »Jungfräulichkeit der Seele« durchaus bewahren können, wenn sie die »fleischlichen Ehepflichten« leidenschaftslos über sich ergehen und damit ihre »dramatische Leiblichkeit hinter sich« lassen (Koschorke 2001, 190). Diesem asexuellen Ideal wird Julika auch angenähert, wenn sie wiederholt als »Nonne« (III, 438 u. 483) bezeichnet wird; wenn der heimgekehrte, erfahrene Stiller sofort glaubt, an ihr Zeichen »hochgradige[r] Frigidität« und einen Ekel »vor männliche[r] Sinnlichkeit« (III, 449) beobachten zu müssen; wenn ihr Körper von Stiller als toter wahrgenommen wird, etwa in Davos, wo sie ihm »einer Mumie sehr ähnlich« erscheint (III, 492) und er sie zum Abschied küsst, als »läge [sie] schon im Sarg« (III, 501); und wenn Sibylle eine Plastik, die Stiller von Julika gefertigt hat, mit auffällig tautologistischem Adjektiv als »schöne, seltsame, tote Vase« beschreibt (III, 608; Hervorh. d. Verf.).

Wegen dieser Stilisierung zu einer Toten wurde Julika in der Forschung teilweise als »schöne Leiche« bezeichnet (vgl. Goetsch 1995, 465; Schößler/Schwab 2004, 72), in dem Sinn, den Elisabeth Bronfen dieser Wendung gegeben hat. Bronfen beschreibt in Over her dead body die Etablierung der kulturellen Ordnung durch die Umwandlung eines »body that is perceived or culturally constructed as an animate natural material into the inanimate aesthetic form« (Bronfen 1994, 72). So ist denn auch nicht nur Julika »einer Mumie sehr ähnlich« (III, 492), sondern auch Stillers Plastiken »erinner[n] an Mumien« (III, 707). Und seiner Geliebten stellt Stiller eines seiner Werke sogar als seine Frau vor:

[Sibylle] stand mit dem Gläslein in der Hand vor irgendeinem Gips, als Stiller […] hervortrat und sagte: »Das ist meine Frau.« Es war ein Kopf auf einem langen, säulenhaften Hals, eher eine Vase als eine Frau, seltsam, und Sibylle war froh, daß keine Äußerung von ihr erwartet wurde. »Ist das nicht furchtbar für deine Frau?« fragte sie immerhin, »ich fände es furchtbar, wenn du mich so in Kunst verwandeln würdest!« (III, 604f.)

Gleichsam als umgekehrter Pygmalion hat der Bildhauer Stiller aus seiner lebendigen Frau ein »totes« Kunstwerk geschaffen. Stiller hat Julika zu einer Statue gemacht und bezeichnet diese Statue – ihre Zeichenhaftigkeit bezeichnenderweise quasi überspringend – auch explizit als »[s]eine Frau«. Er hat Julika, wie er auch selber meint, »in Kunst verwandel[t]« und sie insofern wirklich, wie er wiederholt behauptet, ermordet.

Zu einer ästhetischen Gestalt wird Julika aber nicht nur in ihrer Darstellung als Tote, sondern ihr Körper scheint sich auch in ihrem Tanz gewissermaßen zu verflüchtigen – tanzen Primaballerinas doch auf ihren Zehenspitzen wie gewichtslos oder, mit Julikas eigenem Wort »schwerelos[ ]« (III, 479). Dazu passt auch, dass Julika »tuberkulös[ ]« (III, 442) ist, an Lungenschwindsucht leidet, ihr Körper also eigentlich immer im Ver-›schwinden‹ begriffen ist: Tuberkulose, schreibt Susan Sontag, »macht den Körper transparent« (1978, 14). Zu dieser Isotopie des sich verflüchtigenden Körpers zählt auch Julikas immer wiederkehrende Assoziation mit Wasser: Stiller beschreibt sie als »ein Meertier, das nur unter Wasser zu seinem Farbwunder gelangt« (III, 438; Hervorh. d. Verf.), oder als »kalte[s] Meertier« (III, 534). In ihrer Gegenwart kommt sich Stiller wie gesehen als »öliger, verschwitzter, stinkiger Fischer mit einer kristallenen Wasserfee!« vor (III, 449; Hervorh. d. Verf.). Wenn Julika auf der Bühne steht, schwimmt sie sozusagen in »den bläulichen Fluten des Scheinwerfers« (III, 482). Und nachdem Stiller mit ihr auf einem Segelausflug war, erinnert er sich vornehmlich an »die Wasserperlen auf ihren Armen« (III, 523). Theweleit hat die literarische Topik dieser Verbindung von Wasser und Weiblichkeit ausführlich dargelegt und sie als »Ableger des Marienkultes« gewertet, da die »fleischliche[ ] Realität« (Theweleit 2000, I, 294) der Frau über die Verbindung mit Wasser tendenziell aufgelöst werde. Auch er geht davon aus, dass der Mann in der idealisierten Frau einer Marienfigur begegne, was unweigerlich zu Schuldgefühlen des Mannes führe, wenn er sie mit seiner ›dunklen‹ Sexualität bedränge:

Man kann […] sagen, daß der eheliche Geschlechtsverkehr in die Klammer eines double-bind gerät: der Auftrag, Kinder zu zeugen, ist mit der Funktion der ›weißen‹ Ehefrau, die der […] Mann […] heiratet, schon gar nicht mehr vereinbar. Was in einem solchen System auch getan wird, irgendein Gebot wird verletzt, das Resultat ist das drückende Gefühl permanenter Schuld. (Theweleit 2000, I, 393)

Auch wenn Theweleit hier mit »›weiß[ ]‹« nicht auf die Ethnizität der »Ehefrau« anspielt, sondern figurativ auf deren asexuelle Reinheit, lässt sich seine Beobachtung mit Dyer als charakteristisch für das Ideal der ›weißen‹ Frau, der »pure white woman«, spezifizieren, deren Bild sich gleichermaßen aus dem Schönheitsideal der antiken Plastik und der christlichen Engels- und Marienlehre ergeben habe und das sich gerade in den 1950er Jahren großer Beliebtheit erfreute – in Hollywoodfilmen und nicht zuletzt als Werbemittel der Kosmetikindustrie. Den Prototyp dieser »pure white woman« beschreibt Dyer als ›unschuldig‹, ›asexuell‹, ›makellos‹, ›tadellos‹, (rassisch) ›unvermischt‹, ›entkörperlicht‹ sowie ›unfehlbar‹ und zeigt damit auch gleich auf »what is at the heart of the conception of whiteness as virtue, namely absence« (Dyer 1997, 74).

Julikas ›Unfehlbarkeit‹ und ›Tadellosigkeit‹ manifestieren sich immer wieder in ihrer moralischen Überlegenheit, die mit der Symbolik ihrer Hautfarbe korrespondiert und die Stiller so zu schaffen macht. Dazu gehört zum Beispiel die Loyalität, mit der sie ihn finanziell unterhält, ohne ihm »daraus« »einen Vorwurf« zu machen (III, 441), ihm ihr Portemonnaie jeweils »unter [s]eine[n] Ellbogen« (III, 435) schiebt, damit er bezahlen kann, sowie ihm den »ärztlichen Rat […] verschweigt«, auf Kur zu gehen, »um ihm nicht das Gefühl zu geben, daß er zu wenig verdiene« (III, 441). Und dazu gehört auch, dass nach Meinung eigentlich aller Romanfiguren Julika keine Schuld am Scheitern ihrer Ehe trifft.11 Zwar betrügt Julika Stiller auch einmal, aber für ihren Ausbruch aus der Ehe wird einzig ihr Ehemann verantwortlich gemacht: »Stiller trieb sie dazu« (III, 452).

Das zeitgenössische Publikum freilich oder mindestens die Rezensenten des Romans sympathisierten offensichtlich und beinahe ausschließlich mit Stiller.12 Hermann Hesse etwa beschrieb Stiller als »sehr liebenswerte[n] Mensch[en], dem man wünscht, es möge ihm Verständnis und Liebe […] entgegenkommen«.13 Und auch noch 1978 ging aus einer empirischen Erhebung unter deutschen und österreichischen Studentinnen und Studenten hervor, dass auch sie bei der Lektüre des Romans für Stiller und nicht etwa für Julika Partei nahmen.14 Über die am nächsten liegende Erklärung hinaus, dass nämlich die Erzählperspektive zur Identifizierung mit Stiller einlädt, lässt sich diese Rezeption vielleicht auch darauf zurückführen, dass das Idealbild der pure white woman gerade als Ideal sowohl anziehend als auch distanzierend wirken kann. Zwar weist es der ›weißen‹ Frau, die es verkörpern soll, einerseits eine Position moralischer Superiorität zu und macht sie zu einem Objekt demütiger Andacht. Aber andererseits kann wohl gerade diese Superiorität und die damit verbundene sexuelle Unerreichbarkeit Ressentiments hervorrufen. Entsprechend ambivalent wirkt Julika jedenfalls auf Stiller, der sich ihrer quasi-körperlosen Reinheit mit seiner eigenen, ›dunklen‹ Sexualität nicht nähern kann, ohne eben Angst zu haben, »sein Liebstes [zu] beschmutz[en]«.

Julikas whiteness resultiert also aus einer Summe von Faktoren: aus ihrer Reinheit, Asexualität, Leblosigkeit, virtuellen Körperlosigkeit, moralischen Integrität und ihrer Schönheit. Denn als explizit »bildschöne« Frau wird Julika über die Abbildungstradition von Frauen in der europäischen Malerei ebenfalls mit einer rein weißen Hautfarbe assoziiert. Wie wichtig es Frisch gewesen sein muss, Julikas Hautfarbe so weiß wie überhaupt möglich darzustellen, zeigt sich schon darin, dass Julika in einer Vorstufe des Stiller-Romans, im Hörspiel Rip van Winkle, noch »blond« (III, 805) war und damit durchaus einem abendländischen Schönheitsideal entsprach, dessen Tradition sich bis in die Antike zurückverfolgen lässt. Im Stiller indes muss sie schließlich sogar rote Haare zugeschrieben bekommen. Immer wieder wird ihre »Alabasterhaut« (III, 473, 523, 687 u. 724) herausgestrichen, erst recht natürlich, wenn Julika in der Davos-Episode eben zu einem Schneewittchen stilisiert wird (vgl. Pickar 1978, 98), das bekanntlich eine Haut »so weiß wie Schnee« (Grimm 31837, 313) hat. Als Julika im Lungensanatorium auf ihrer »Jugendstil-Veranda« (III, 469) beziehungsweise innerhalb ihrer »Jugendstil-Verglasung« (III, 433, 472) wie in einem gläsernen »Sarg« liegt, beschäftigt sie sich fast während ihres ganzen Gesprächs mit Stiller denn auch damit, weißen »Schnee« (III, 499) von ihrer Decke zu blasen.15

Wie sehr Julikas weiße Haut, ganz der Tradition der abendländischen Farbsymbolik entsprechend, als Zeichen ihrer Moral und Integrität, ihrer Asexualität fungiert, erhärtet insbesondere ein Vergleich mit der »Mulattin namens Florence« (III, 536), die in genauem Kontrast zu Julika konzipiert ist (vgl. Pickar 1978, 94–97). Diese Kontrastposition ist sogar dem Namen Florence schon eingeschrieben, was in der Forschung bemerkenswerterweise noch keine Erwähnung gefunden hat: Versucht Stiller krampfhaft, Julika »zum Blühen zu bringen«, begegnet er in Florence einer Frau en fleur, einer Frau, deren sprechender Name eindeutig darauf verweist, dass sie schon ›blüht‹. Darüber hinaus vermittelt dieser ›blühende‹ Name auch die Opposition Natürlichkeit/Künstlichkeit, die das Verhältnis zwischen Florence und der Figur mit dem »Künstlername[n]« (III, 367) Julika strukturiert: Ist diese »bildschön«, also in ästhetisch sublimierter Weise ›schön‹, wird jene im Gegenteil nur als »ein Geschöpf, schön wie ein Tier« (III, 406) bezeichnet. Gleicht Julika einer Märchenprinzessin, so Florence einer ›Gazelle‹ (III, 536). Sind Julikas Augen wie »farblose[s] Fensterglas« (III, 407), schauen Florences Augen aus wie »Tollkirschen« (III, 407). Und hat Julika schließlich wie gesehen ›alabasterfarbene‹ Haut, ist die Hautfarbe der »Mulattin« vergleichbar mit der Farbe der prototypischen Kolonialware, des »Kaffee[s]« (III, 407). Insbesondere Florences Tanz aber, den Stiller beobachtet, verrät den diametralen Unterschied zwischen ihr und Stillers Ehefrau:

Ihr Partner war gerade ein halbdunkler US-Army-Sergeant […], ein großer Kerl mit den schmalen Hüften eines Löwen, mit zwei Beinen aus Gummi und mit dem halboffenen Mund der Lust, mit den blicklosen Augen der Ekstase, ein Kerl, der den Brustkorb und die Schultern eines Michelangelo-Sklaven hatte, er konnte nicht mehr; Florence tanzte allein. Ich hätte jetzt einspringen können; wenn ich gekonnt hätte. Florence tanzte noch immer allein; jetzt kam ein anderer, um sie zu drehen […]; dazu machte Florence eine so königliche Gebärde so seligen Triumphes; daß man sich in seiner körperlichen Ausdruckslosigkeit wie ein Krüppel vorkam, […] jetzt hörte man nur noch eine dumpfe Trommel aus dem Urwald […], während sie weitertanzte. Ein dritter Tänzer wurde verbraucht, ein vierter. (III, 537f.)

In einer signifikanten Verknüpfung von race und gender projiziert Stiller hier seine Sexualfantasien und -ängste auf Florence. Zur Sexualisierung der »Mulattin« trägt natürlich schon die Blickkonstellation bei, vor allem aber klingt in ihrer Repräsentation ein gängiges Stereotyp rassistischer Diskurse an: das Stereotyp der ›lüsternen schwarzen Frau‹ mit ihrem vermeintlich »insatiable sexual desire« (Collins 2000, 83). Nicht einmal ein dem Klischee des physisch starken ›Schwarzen‹16 entsprechend ›löwenähnlicher‹ »US-Sergeant« und drei weitere Männer scheinen dieser Wiedergängerin der tanzenden Salome zu genügen, die als verlockende Orientalin und belle juive ihrerseits ethnisch markiert war.

Florences Tanz unterscheidet sich somit fundamental von jenem Julikas, die ihre disziplinierte Ballettkunst isoliert vom Publikum allein auf einer Bühne vorführt. Zwar schreibt Stiller auch Julikas Tanz ein sexuelles Moment ein, soll ihr Ballett doch »die einzige Möglichkeit ihrer Wollust« darstellen (III, 450). Aber diese Wollust scheint sie – falls sie eine solche denn überhaupt empfindet und hier nicht vielmehr die Lust ›des Mannes‹ wieder auf das Objekt seiner Begierde wechselt – mit niemandem teilen zu wollen oder zu können. Zwar lassen sich durchaus auch Äquivalenzen zwischen Julika und Florence ausmachen: Beide nehmen etwa innerhalb des Romans eine untergeordnete Position ein, werden tendenziell auf ihre Körper reduziert und öfters infantilisiert. Florence jedoch wird nicht nur nachdrücklicher, konsequenter noch verkindlicht, als »unbefangen wie ein Kind, ein sehr glückliches Kind« beschrieben (III, 538); sondern ihre konstant emphatisierte Körperlichkeit ist eben keine künstliche, ihr Tanz ein »Urwald«-Tanz und ihr »Gang« »gazellenhaft[ ]« (III, 536). Im Gegensatz zur Europäerin Julika wird Florence mit ihrem »braunen Gesicht« (ebd.) mit Afrika assoziiert; und diese vermeintliche Herkunft schlägt sich in einer Binnenstrukturierung der Kategorie ›Weiblichkeit‹ nieder, in die die westlichen Grundoppositionen Mann/Frau und Kultur/Natur ihrerseits projiziert werden: Julika als ›weiße‹ Europäerin erscheint als entschieden männlicher, intellektueller und künstlicher als die ›Afrikanerin‹ Florence, die offensichtlich den als weiblich und ›natürlich‹ semantisierten »dark continent« repräsentiert. Diese Binnenstruktur erklärt auch die Widersprüche in den Beschreibungen Julikas: Sie wird zwar tendenziell auf ihren Körper reduziert, diesem Körper geht Natürlichkeit aber völlig ab. Er ist so künstlich, dass er eben, wie oben gesehen, zum Kunstwerk wird, ja als degeneriert erscheint, was nicht zuletzt ihre kariösen Zähne verdeutlichen. Außerdem ist Julika im Gegensatz zu Stiller zwar weiblich, aber in Opposition zu Florence, der sie nie begegnet, eher männlich konnotiert. In letzter Konsequenz muss ihr daher trotz ihrer Kindlichkeit auch Männlichkeit oder jedenfalls androgyne Knabenhaftigkeit zugesprochen werden. Und tatsächlich hat sie »etwas Knappes, etwas Knabenhaftes […], etwas Ephebenhaftes« (III, 407f.). Sie neigt dazu, sich »in Prinzen und Pagen« (III, 450) zu verkleiden, und hat eine »heimliche Angst, keine Frau zu sein« (III, 440).

Der einzige und daher äußerst bemerkenswerte Bruch in dieser dualistischen Konzeption der beiden Figuren ergibt sich in der Davos-Episode, als Julika entgegen ihrer Art beginnt, »ein bisher unbekanntes und verwirrendes Verlangen nach dem Mann« zu verspüren und »von Oberärzten, Bäckerburschen und Männern träumt, die [sie] nie gesehen hat[ ]« (III, 482). Nun wird ihre Hautfarbe jener Florences angeglichen und plötzlich als »sonnenbraun[ ]« (III, 473; Hervorh. d. Verf.) beschrieben – eine offensichtliche Veränderung ihres Körpers, die von Stiller obendrein noch gegen »ihre gewöhnliche Alabasterblässe« abgesetzt wird (III, 473). Die Koppelung von brauner Haut und Sexualität, die in der Beschreibung Florences ihren gleichsam hypertrophen Ausdruck findet, bestätigt sich im Übrigen auch bei Sibylle, deren Hautfarbe nur gerade zweimal erwähnt wird: Als sie in Pontresina bemerken muss, dass sich »der Weg von der Frau zur Dirne […] als erstaunlich kurz« (III, 654) erweist und sie »in zwei aufeinanderfolgenden Nächten mit zwei verschiedenen Herren« (III, 653) schläft, hat sie ebenfalls »von der Sonne gebräunt« zu sein (III, 644; Hervorh. d. Verf). Und als Stiller sie im Krankenhaus besucht, wo sie auf der Wöchnerinnenstation liegt und also eine Extremsituation von weiblichem Körperglück gerade hinter sich hat, wird »[i]hr Gesicht« ausdrücklich als »braun« (III, 599; Hervorh. d. Verf.) apostrophiert.

Anmerkungen

1 Zitiert wird, wenn nicht anders angegeben, nach Frisch 1998 mit römischer Bandzahl und arabischer Seitenangabe.

2 Eine Liste von Forschern, die diese These vertreten, findet sich bei Naumann 1986, 702, Anm. 2.

3 Auch wenn die genannten Städte natürlich größer sind als jene in Wildwestfilmen, ruft das beschriebene, stetige Oszillieren Whites zwischen Land und Stadt doch den Mythos des ewig mobilen Westernhelden auf, der eben nie allzu lange in der Stadt oder Wildnis verweilt, sondern meist in einer Gegend zwischen den beiden Bereichen (der »Prärie«) unterwegs ist.

4 Johannes 21, 15–17; Vgl. dazu Wierlacher 1986, 275–277.

5 Das geht aus dem Lektoratsbericht des Suhrkamp Verlags von Friedrich Podszus hervor (Max Frisch-Archiv der Eidgenössischen Technischen Hochschule, Zürich).

6 Vgl. Ernest Hemingways »Stierkampf-Buch« (III, 706) – »The Sun Also Rises« – steht auch in Stillers Bücherregal.

7 Friedrich Dürrenmatts »Fragment einer Kritik« findet sich in Walter Schmitz’ Materialienband zum »Stiller« (Schmitz 1978, 1, 82; Hervorh. d. Verf.).

8 Auch Frisch selbst vermerkte in einem 1952 publizierten Reisebericht, in Mexiko seien »die meisten […] reine Indianer« (III, 203; Hervorh. d. Verf.).

9 Die Rezension stammt von Max Rychner und erschien erstmals in »Die Tat« (Zürich) am 27. November 1954 (ND: Schmitz 1978, 2, 404).

10 Dass Frisch selbst die »Isidor«-Geschichte als »Scherzgeschichte« bezeichnet hat, erklärt wahrscheinlich die Namenwahl Frischs. »Isidor« hieß nämlich auch eine ›Scherzfigur‹, die in der Propaganda der NSDAP immer wieder zur Diffamierung der Juden instrumentalisiert wurde (vgl. die Hetzkampagnen Joseph Göbbels gegen den Berliner Polizei-Vizepräsident Bernhard Weiß, den Göbbels als»Isidor Weiß« diffamierte). Offenbar ist Frisch der Name »Isidor« aber nur als ›scherzhafter‹ Name und nicht als stark stigmatisierter jüdischer Name im Gedächtnis geblieben, da es keinen weiteren Hinweis auf eine jüdische Identität Isidors zu geben scheint. Vgl. auch eine weitere Figur dieses Namens in »Bin oder Die Reise nach Peking« (I, 648).

11 Vgl. III, 461, 463, 471, 719, 749 u. 648.

12 Vgl. etwa die Rezensionen von Karl Kron, Claude R. Stange und Rudolph Wahl (ND: Schmitz 1978, II, 385, 408 u. 454).

13 Hermann Hesses Rezension erschien erstmals in »Die Weltwoche« (Zürich) am 19. November 1954 (ND: Schmitz 1978, II, 396).

14 Die empirische Untersuchung führten Helene Karmasin, Walter Schmitz und Marianne Wünsch an den Universitäten Wien und München durch (Schmitz 1978, II, 493–537).

15 Vgl. auch III, 495, wo die »Schneekristalle«, die Julika wegbläst, gleich zweimal herausgestrichen werden.

16 Vgl. Mercer/Julien 1994, 137.

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