Danksagung

1Wenn man eine Doktorarbeit schreibt, durchlebt man eine ganze Reihe an unterschiedlichen Gemütszuständen. Hierzu gehören unter anderem (in alphabetischer Reihenfolge): Angst, Aufregung, Begeisterung, Dankbarkeit, Eifersucht, Einsamkeit, Enttäuschung, Erstaunen, Freude, Geborgenheit, Geduld, Gelassenheit, Glück, Heiterkeit, Hilflosigkeit, Hoffnung, Interesse, Kummer, Langeweile, Misstrauen, Nachdenklichkeit, Nervosität, Neugierde, Panik, Ratlosigkeit, Selbstvertrauen, Sicherheit, Sorge, Spaß, Stärke, Stress, Stolz, Ungeduld, Unsicherheit, Verbitterung, Verblüffung, Vergnügen, Verwirrung, Wut, Zorn und Zuversicht.

2Doch ich habe nicht nur viel über mich selbst gelernt, sondern auch viel über die luxemburgische Sprache, allem voran natürlich über die Syntax. Es ist erstaunlich (Stichwort Erstaunen), wie viel man über die eigene Sprache lernen kann, wenn man in die strukturelle Beschreibung eintaucht, bzw. wie schnell man auch an terminologische Grenzen gerät (Stichwort Ratlosigkeit). Daneben konnte ich auch die sprachpolitischen und sonstigen Sprachrangeleien erfahren, die mit dem Luxemburgischen verbunden sind (Stichwort Verblüffung, Nachdenklichkeit).

3Bedanken (Stichwort Dankbarkeit) möchte ich mich zunächst bei den Betreuern meiner Doktorarbeit: meinem Doktorvater Prof. Peter Gilles, der diese Arbeit nicht nur ermöglicht hat, sondern auch immer zahlreiche Ideen, Quellen und Daten bereithielt. Ich bin froh, dass Prof. Guido Seiler mich bereits in meinem Bachelor- und Masterstudium für die syntaktische Variation begeistern und mich auch während der Anfertigung meiner Doktorarbeit mit konstruktiven Gesprächen weiterhin unterstützen konnte. Britta Weimann danke ich besonders für die unermüdliche Korrekturlesearbeit und die Hinweise zur Optimierung meiner Arbeit.

4Ein herzliches Dankeschön geht an meine Eltern, die mir während dieser Zeit immerzu unterstützend zur Seite standen und stehen (Stichwort Sicherheit, Glück).

5Auch meinen Arbeitskollegen und -kolleginnen (vor allem meinen geschätzten Mitdoktorandinnen Fabienne, Judith und Maike) danke ich für die gemeinsame Zeit, die anspruchsvollen sowie anspruchslosen Gespräche, die mich immer aufgemuntert und im Nachhinein auch ermutigt haben, ins Büro zu kommen und an diesem persönlichen Projekt weiterzuarbeiten (Stichwort Spaß, Zuversicht).

6Meinem Ehemann Flo Döhmer danke ich aus ganzem Herzen für alles, vor allem jedoch für seine unendliche Geduld und die Eigenschaft, in jeder Situation die richtigen Worte zu finden (Stichwort Geborgenheit, Stärke). Es ist auch ein großes Glück, zwei so wundervolle Hunde und Pferde in meinem Leben zu haben, die mir immer den richtigen (seelischen) Ausgleich zu meiner wissenschaftlichen Arbeit bieten können.

7Diese Arbeit ist das Resultat zahlreicher Revisionen und Denkprozesse, an denen auch unterschiedliche Korrekturleser und Diskussionspartner maßgeblich beteiligt waren (Stichwort Dankbarkeit, Geduld): Amaru W. Flores Flores, Christian Zimmer, Christoph Purschke, Fabienne Gilbertz, Johanna Schwalm, Judith Manzoni, Maike Edelhoff (u.v.m.).

8Vielen Dank an alle, die mich auf diesem Weg begleitet haben (auch wenn leider nicht alle namentlich erwähnt werden konnten).

Abkürzungsverzeichnis

AbkürzungBedeutung
AdjPAdjektivphrase
AKK/AkkAkkusativ
APPAppellativ
DAT/DatDativ
Def.Art.Definitartikel
Dem.Art.Demonstrativartikel
DFCdoubly filled complementizer
Fem.Femininum
FMFlexionsmarker
GEN/GenGenitiv
HSHauptsatz
HVHilfsverb
INFInfinitiv
KHVKonjunktivhilfsverb
KLITKlitikon/klitisch
KORRKorrelat
LKlinke Klammer
Mask.Maskulinum
MFMittelfeld
MVModalverb
Neutr.Neutrum
NFNachfeld
NOM/NomNominativ
NPNominalphrase
NSNebensatz
PartPartizip
PHORphorisch
Poss.Possession/possessiv
PPPräpositionalphrase
Präp.Präposition
PROpronominal
PRTVPartitiv
PtklPartikel
QUANQuantifizierung
REDreduziert
Ref.Referent
RKrechte Klammer
RufNRufname
SPEZSpezifizierung
ststark
swschwach
VFVorfeld
VPVerbalphrase
VVVollverb

1 Ziel und Aufbau der Arbeit

9Das Ziel dieser Arbeit ist eine empirische und systematische Beschreibung ausgewählter syntaktischer Phänomene im Luxemburgischen. Im Vordergrund der deskriptiven Analyse stehen vier Themenbereiche: Kasussyntax und -funktionen (Genitiv, Possession, Partitiv), Pronominalsyntax (Syntax und Semantik von Personalpronomen), Verbcluster (2-, 3- und 4-gliedrige Cluster im Nebensatz) sowie die syntaktischen Eigenschaften von Nebensatzeinleitungen (Kongruenz und Verdopplungen). Die Arbeit soll einerseits dazu beitragen, die luxemburgische Sprache in ihren strukturellen Eigenschaften besser verstehen zu können und andererseits die (syntaktische) Erschließung des Kontinentalwestgermanischen weiter voranbringen. Somit liefert diese Dissertation einen wichtigen Beitrag in der derzeit aufblühenden Forschungsrichtung der linguistischen Luxemburgistik und ordnet sich gleichzeitig in die allgemeine westgermanische Syntaxforschung ein.

10Ein wichtiger Punkt bei der vorliegenden syntaktischen Analyse ist die phänomengebundene Herangehensweise, da hierdurch die linguistischen Kategorien objektiv – d. h. ohne spezifisches Theoriemodell – beschrieben werden können und somit eine übersichtliche, leicht zugängliche Studie gewährleistet werden kann. Dies schließt jedoch nicht aus, dass phänomenrelevante Einzeltheorien in den entsprechenden Kapiteln besprochen werden.

11Zu Beginn der Arbeit (Kapitel 2) werden die wichtigsten Informationen zur luxemburgischen Sprache (Genealogie, Sprachbenutzung und nationale Mehrsprachigkeit) sowie zum Forschungsstand der strukturellen Beschreibung des Luxemburgischen (innerhalb und außerhalb des Landes) genannt. Da sich die Arbeit in den Kontext der allgemeinen westgermanischen Syntaxforschung einreiht, werden auch die wichtigsten Arbeiten der vergangenen 20 Jahre vorgestellt (u.a. die großen Projekte zum Schweizerdeutschen, Niederländischen und Hessischen). Auf viele der in Kapitel 2 vorgestellten Werke (luxemburgische Grammatiken sowie Syntaxprojekte) wird im Laufe der Arbeit immer wieder zurückgegriffen.

12In Kapitel 3 wird das empirische Herzstück vorgestellt: das Korpus. Hier werden die wichtigsten Eckdaten der empirischen Grundlage aufgezeigt und die Charakteristiken einzelner Textsorten problematisiert. Da das Korpus nicht annotiert ist und als nicht standardisiertes und somit „rohes“ Textkorpus vorliegt, ergeben sich hier zusätzliche methodische Herausforderungen, die für die Analyse berücksichtigt werden müssen.

13Vor dem eigentlichen empirischen Hauptteil (Kapitel 5 bis 9) steht eine kleine, für diese Arbeit zusammengestellte Wortarten- und Flexionslehre (Kapitel 4), die einen Einblick in die luxemburgischen Wortarten und die wichtigsten Paradigmen gewähren soll. Dies hilft einerseits den Nichtmuttersprachlern, einen guten Zugang zur luxemburgischen Sprachstruktur zu finden und andererseits können hier die (morphologischen) Grundlagen definiert werden, die für die anschließenden empirischen Kapitel zu den syntaktischen Themen benötigt werden.

14Die Auswahl der syntaktischen Themen beruht auf drei Leitgedanken: Erstens wurden „traditionelle“ Themen aus der Syntaxforschung aufgenommen, wie etwa Possessivkonstruktionen (Ausdruck von Relationsverhältnissen), die Abfolge von Pronomen oder Verbcluster (vgl. Phänomenkataloge bei SADS, SAND, SyHD). Zweitens sollen im Zuge der Korpusanalyse auch Annahmen aus der Forschungsliteratur sowie aus luxemburgischen Grammatiken überprüft werden, wie etwa der Status des Genitivs im Luxemburgischen oder die Kategorisierung des s-Morphems bei „flektierenden“ Komplementierern (Typ: wann s de mengs ‚wenn {s} du meinst’). An dritter Stelle stehen schließlich noch allgemeine syntaktische Besonderheiten wie doppelt besetzte Nebensatzeinleitungen des Typs wéini dass hien do ass ‚wann dass er da ist’ oder Partitivkonstruktionen des Typs ech hunn nach däers Kéis doheem ‚ich habe noch solchen/von diesem Käse zuhause’.

15Aus diesen drei Leitgedanken resultieren nun die folgenden vier Kerngebiete, die sich in vielen Bereichen mit Glasers (2006) „Skizze und Forschungsprogramm“ zur luxemburgischen Syntax überschneiden:1

16

17Diese Themenblöcke beinhalten jeweils eine ausführliche Einleitung zum Themenkomplex, in dem die wichtigsten Kategorien und Prinzipien erläutert werden. Ein zweiter Schritt ist die Analyse möglicher Variation. Neben der qualitativen Beschreibung des Phänomens spielen auch quantitative Aspekte eine wichtige Rolle, da häufig Frequenzeffekte beobachtet werden können, die Aufschluss über die Verteilung liefern. Leider ist das Korpus aufgrund seiner technischen Voraussetzungen nicht für jede Fragestellung geeignet, sodass sich die Interpretation der Daten in solchen Fällen auf strukturelle Hinweise und Tendenzen beschränken muss. In den empirischen Kapiteln sollen in erster Linie Kategorien erstellt und Varianten aufgezeigt werden, die sich aus der Exploration der Korpusdaten ergeben. Ergänzt wird jeder Themenblock durch einen Vergleich mit anderen westgermanischen Varietäten, wobei die herangezogenen Varietäten je nach Phänomen und vorhandener Forschungslage variieren können. Jedes empirische Kapitel wird am Ende mit einer Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse abgerundet.

18Die kleine Wortartenlehre aus Kapitel 4 sowie die empirischen Kapitel 5 bis 9 zeigen in mehrfacher Hinsicht Züge einer (morphosyntaktisch ausgelegten) Orts- bzw. Regionalgrammatik, einer Textsorte, die – in meinen Augen zu Unrecht – ein wenig in Vergessenheit geraten und zugunsten von großen, überregionalen Atlasprojekten abgelöst worden ist. Doch auch im Hinblick auf große Atlanten kann es durchaus sinnvoll sein, die unterschiedlichen Varietäten im Detail zu beschreiben, um den genauen einzelsprachlichen Ausprägungen der jeweiligen syntaktischen Eigenschaft gerecht werden zu können. Syntaktische Variation lässt sich schließlich nicht immer durch das Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein einer Eigenschaft darstellen, denn syntaktische Eigenschaften sind als Untersuchungsgegenstand sehr subtil und lassen sich häufig erst durch einen tieferen Einblick in die Sprachstruktur herausarbeiten (vgl. Kortmann 2010: 846). Der Anspruch liegt in diesem Kontext allerdings auf einer „modernen“ Regionalgrammatik – empirisch fundiert und aufbauend auf den Erkenntnissen der syntaktischen Forschung zum Westgermanischen.

19Das vorletzte Kapitel (Kapitel 10) rekapituliert die Ergebnisse aus dem empirischen Hauptteil, fasst die offenen Fragen der jeweiligen Themenblöcke zusammen und skizziert die darauf aufbauenden Forschungspfade für die Zukunft. Kapitel 11 ist mir ein besonderes Anliegen, denn es zeigt noch einmal die wichtigsten Erkenntnisse und Ergebnisse dieser Arbeit auf und ist dabei sowohl inhaltlich als auch äußerlich auf ein laienlinguistisches, luxemburgischsprachiges Zielpublikum abgestimmt.

2 Linguistik des Luxemburgischen

20Die Linguistik des Luxemburgischen ist ein sehr junges Forschungsfeld, in dem es noch viele offene Forschungsfragen gibt. Als eine der jüngsten europäischen Sprachen ist die Erschließung der Sprachstruktur des Luxemburgischen noch sehr lückenhaft.

21In diesem Grundlagenkapitel möchte ich zuerst auf den politischen und soziolinguistischen Aspekt des Luxemburgischen eingehen (Kapitel 2.1). Hierzu gehören unter anderem der Sprachstatus des Luxemburgischen, die Luxemburgischkompetenz der Wohn- und Arbeitsbevölkerung sowie die soziale und sprachliche Diversität des Landes. Im Anschluss (Kapitel 2.2) werden die wichtigsten Sprachbeschreibungen zur luxemburgischen Sprachstruktur gezeigt, von den Anfängen im 19. Jahrhundert bis heute (2018). Durch die Auflistung unterschiedlicher Grammatiken soll ein Gesamtbild der „innerluxemburgischen“ Forschungstradition gezeichnet werden. Im Anschluss wird dieser Gesamtüberblick auf das Thema „Syntax des Luxemburgischen“ reduziert, sodass am Ende deutlich gemacht werden kann, welche Erkenntnisse zu diesem Thema bislang vorliegen. Diese Zusammenfassung der Forschungsliteratur wird daraufhin problematisiert (in Bezug auf Forschungskontext und Zielpublikum). Zudem wird auf Werke verwiesen, welche die luxemburgische Syntax als Exkurs oder kontrastiv einsetzen. Auf diese Weise können zusätzliche interessante Theorien und Aspekte für die Erschließung der syntaktischen Muster gewonnen werden. Des Weiteren lohnt sich auch ein Blick auf syntaktische Beschreibungen benachbarter bzw. verwandter Varietäten, um strukturelle Eigenschaften zu vergleichen oder einfach um weitere methodische Aspekte zu berücksichtigen (dies betrifft in erster Linie die breit angelegten syntaktischen Atlanten der vergangenen 15 Jahre, vgl. Kapitel 2.3).

2.1 Luxemburgisch: eine junge europäische Sprache

22Das Luxemburgische (Lëtzebuergesch [ˈlətsəbuəjəʃ])2 ist die Nationalsprache des Großherzogtums Luxemburg (2586 km2). Durch die geografische Lage des Landes zwischen Belgien, Deutschland und Frankreich (vgl. Abbildung 1) sowie aufgrund diverser historischer Ereignisse pflegt das Land eine Dreisprachenpolitik: Als offizielle Amtssprachen gelten Deutsch und Französisch, als Nationalsprache gilt Luxemburgisch (vgl. Gilles & Moulin 2003: 303).3 Dieser politische Status als Sprache hat zwar keine direkte Auswirkung auf den Sprachgebrauch, stärkt jedoch die Position des Luxemburgischen, vor allem als Schriftsprache (vgl. Berg 2006: 320), worauf im weiteren Verlauf noch eingegangen wird.

Abbildung 1: Geografische Lage Luxemburgs
Abbildung 1: Geografische Lage Luxemburgs

23Luxemburg ist ein Land mit einer sehr hohen Migrationsrate, was sich auch in seiner Mehrsprachigkeit widerspiegelt. Die folgende Tabelle zeigt die Staatsangehörigkeiten der in Luxemburg wohnhaften Bevölkerung (563 000 Einwohner). Fast die Hälfte der Einwohner Luxemburgs verfügt nicht über die luxemburgische Staatsbürgerschaft. Vor allem romanischsprachige Ausländer machen einen großen Anteil der Einwohner aus.

NationalitätAnzahl Einwohner
Luxemburger304 300
Ausländer (total)258 700
...Portugal92 100
...Frankreich39 400
...Italien19 500
...Belgien18 800
...Deutschland12 800
...Großbritannien6 000
...Niederlande4 000
...Andere EU-Länder29 600
...Andere Nicht-EU-Länder36 500
Gesamtbevölkerung563 000
Tabelle 1: Einwohnerzahlen Luxemburgs nach Nationalität (Stand 1.1.2015, vgl. Statec 2015)

24Im luxemburgischen Alltag trifft man neben den zwei Amtssprachen Deutsch und Französisch sowie der Nationalsprache Luxemburgisch ebenfalls auf Portugiesisch und Italienisch. Auch das Englische ist Teil der luxemburgischen Mehrsprachigkeit. Die nachfolgende Statistik zeigt die im Alltag gesprochenen Sprachen (Umfrage aus dem Jahr 2011 mit 458 900 befragten Personen). Luxemburgisch scheint demnach die am häufigsten verwendete Sprache zu sein, gefolgt von Französisch, Deutsch und Englisch (Mehrfachnennungen möglich).

SpracheHäufigkeitProzent
Luxemburgisch323 55770,5 %
Französisch255 66955,7 %
Deutsch140 59030,6 %
Englisch96 42721 %
Portugiesisch91 87220 %
Italienisch28 5616,2 %
Sonstige Sprachen55 29812,1 %
Tabelle 2: Statistik der verwendeten Sprachen im Alltag in Luxemburg, Zahlen aus dem Jahr 2011 (vgl. Fehlen et al. 2013)

25Das Luxemburgische genießt sehr hohes Prestige bei der einheimischen Bevölkerung und wird – hauptsächlich als identitätsstiftender Faktor – als eigenständige Sprache betrachtet (Gilles 2000: 201). Dies führt auch dazu, dass Standarddeutsch und Luxemburgisch als zwei getrennte Systeme wahrgenommen werden, wobei strukturelle Ähnlichkeiten aufgrund der nahen Verwandtschaft nicht zu vernachlässigen sind.

26Aus genealogischer Perspektive ist das Luxemburgische ein moselfränkischer Dialekt, der sich zu einer Ausbausprache entwickelt hat (Kloss 1978). Die folgende Karte aus Paul (2007: § E 5) verortet das Land Luxemburg im moselfränkischen Sprachgebiet innerhalb des Westmitteldeutschen.

Abbildung 2: Gliederung des Westmitteldeutschen (Karte nach Paul 2007: § E 5)
Abbildung 2: Gliederung des Westmitteldeutschen (Karte nach Paul 2007: § E 5)

27Auf einer Landesfläche von 2586 km2 zeichnen sich in Luxemburg vier Dialektgebiete ab: eine Leitvarietät im Zentrum des Landes (Gebiet um die Hauptstadt Luxemburg) sowie drei Gebiete, die sich im Norden (Ösling), Osten (entlang der Mosel und Sauer) und Süden (Minett) daran anschließen (vgl. Gilles & Moulin 2003). Ziel der vorliegenden Untersuchung ist eine syntaktische Beschreibung des Gemeinluxemburgischen (d. h. der supraregionalen Leitvarietät), sodass dialektale Ausprägungen eine untergeordnete Rolle spielen. Darüber hinaus wurden viele Ortsdialekte zugunsten dieser Leitvarietät abgebaut (vgl. Gilles 1999; 2000; 2006a).

28Insgesamt wird die Zahl der Luxemburgischsprecher auf etwa 400 000 geschätzt, wobei sowohl L1- als auch L2-Sprecher berücksichtigt werden (vgl. Fehlen & Heinz 2016). Nahezu alle Personen mit Wohnsitz in Luxemburg und luxemburgischer Staatsbürgerschaft sprechen Luxemburgisch – bei der ausländischen Wohnbevölkerung ist es nur etwa die Hälfte. Bei den Grenzpendlern hängt die Kompetenz vor allem davon ab, ob sie aus dem deutschen oder französischen Sprachraum kommen. Fehlen (2009, zit. nach Fehlen & Heinz 2016: 29) legt dabei die folgenden Zahlen vor (Ergebnisse aus dem Jahr 2008).

WohnbevölkerungAnzahlAnteil der Luxemburgischsprecher
Luxemburger278 00098 %
Ausländer200 60054 %
Grenzpendler
...aus Frankreich73 00018 %
...aus Belgien38 00029 %
...aus Deutschland35 00074 %
Tabelle 3: Statistik zur Sprachkompetenz im Luxemburgischen der Wohn- und Erwerbsbevölkerung (vgl. Fehlen 2009, zit. nach Fehlen & Heinz 2016: 29)

29Die soziolinguistische und die politische Situation des Luxemburgischen hat sich seit Mitte des 20. Jahrhunderts deutlich verändert. Drei zentrale Punkte sind hier hervorzuheben (vgl. Gilles & Moulin 2003: 310):

30

31Der letzte Punkt bietet eine große Chance für die empirische Sprachbeschreibung, da durch den Ausbau im Schriftbereich immer mehr Daten entstehen, die u.a. für die linguistische Forschung verwendet werden können.

2.2 Die Grammatikografie des Luxemburgischen: Forschungsstand und -desiderate

32Dieses Kapitel skizziert die Geschichte der Forschung zur luxemburgischen Grammatik von den Anfängen bis heute (2018). Der Fokus liegt auf der strukturellen Sprachbeschreibung (Kerngrammatik: Phonologie, Morphologie, Satzbau) – allgemeine Wörterbücher und rein phonologische Abhandlungen werden hier nicht besprochen. Der Großteil dieser Beiträge und Volksgrammatiken ist in Luxemburg entstanden bzw. von Luxemburgern verfasst.4 Das nachfolgende Kapitel 2.3 nimmt expliziten Bezug auf die Forschung zur luxemburgischen Syntax, auch aus internationaler Perspektive. Die „innerluxemburgische“ Perspektive des vorliegenden Kapitels ermöglicht es, die zentralen Werke der luxemburgischen Grammatik in ihrem Entstehungskontext zu beschreiben und die Beschreibungslücke zur luxemburgischen Syntax aufzuzeigen.

33Das Luxemburgische rückt erst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in das Interesse verschiedener luxemburgischer Lehrer und Philologen.5 Den Anfang macht ein promovierter Mathematiker: Antoine Meyer veröffentlicht 1829 erstmals einen Gedichtband auf Luxemburgisch. Das Vorwort beinhaltet grundlegende Regeln und Reflexionen zur Verschriftlichung seiner Muttersprache. Im Anschluss an die Texte schreibt der Autor gemeinsam mit Heinrich Gloden eine neunseitige Kurzübersicht zu den „grammatischen Mechanismen von unserer Mundart“. Peter Klein, Lehrer für Deutsch und Französisch in Luxemburg, schreibt 1855 eine Übersicht zum luxemburgischen Lautsystem und ermittelt aus diachroner Perspektive die Zugehörigkeit des Luxemburgischen zu den deutschen Mundarten. Auf knapp 60 Seiten beschreibt er Vokalismus und Konsonantismus, im Anschluss widmet er sich auf wenigen Seiten dem Flexionssystem und der Rechtschreibung. Am Ende gelangt der Autor zum Fazit, dass man das Luxemburgische u.a. mangels „grammatischer Bestimmtheit“ – im Vergleich zur deutschen Schriftsprache – als deutsche Mundart charakterisieren muss.

34Im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts erscheinen noch weitere kleinere Abhandlungen zu Phonetik, Morphologie und Orthografie, wie etwa die Arbeiten von Joseph Weber (1890-1899), mit denen er wichtige Vorarbeit zur Erarbeitung einer Orthografie sowie eines Wörterbuchs leistet.

35Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts ist gekennzeichnet durch unterschiedliche Ortsgrammatiken bzw. deren Teilaspekte. Zu nennen wären hier etwa Alfred Bertrangs „Syntax der Areler Mundart“ (1921) oder Hélène Palgens Arbeiten zur Mundart von Echternach (1931; 1932). Es versteht sich von selbst, dass diese Werke aufgrund ihres Entstehungskontextes nicht mit heutigen Beschreibungen vergleichbar sind. Allein die Beispiele und die damaligen Überlegungen der Autoren können für die heutige Wissenschaft oder auch für die Wissenschaftsgeschichte interessant sein.

36Robert Bruch arbeitet als promovierter Romanist und Germanist vor allem sprachhistorisch und liefert mit seiner 1955 erschienenen Grammatik einen wichtigen Beitrag zur Dokumentation der luxemburgischen Sprachstruktur.6 Das Werk zeigt alle Kapitel auf Deutsch und Französisch und liefert zahlreiche luxemburgische Beispielsätze. Bruch (1955) beginnt sein Werk mit einer 40seitigen Beschreibung der Orthografie. Im Anschluss folgt ein Kapitel zur Flexionsmorphologie (S. 41-87) und – erstmals in der luxemburgischen Grammatikschreibung – ein Kapitel zum Satzbau (S. 88-108), in dem er auf verschiedene Aspekte der Wortstellung und die Nebensatztypen eingeht. Auf den letzten Seiten seiner Grammatik beschäftigt sich der Autor mit dialektgeografischen Phänomenen (u.a. Lokalmundarten) und zeigt auf 16 Sprachkarten die Variation von Flexionsendungen und Pronomen. Bruch ist der erste Autor, der für seine linguistischen Ausführungen zahlreiche Beispiele aufführt, wobei die genaue Herkunft der Beispielsätze unklar bleibt. Die Grammatik von Bruch (1955) beinhaltet keine Paradigmen, dafür aber diachrone Erklärungen und Sprachvergleiche (in erster Linie mit den Standardsprachen Deutsch, Französisch und Englisch). Somit ist Bruchs Monografie keine „Gebrauchsgrammatik“ im engeren Sinn. Es ist auch kein Werk, das außerhalb eines akademischen Kontextes herangezogen wird oder in den Buchhandlungen des Landes auffindbar ist.

37Der Schweizer Rudolf Ernst Keller veröffentlicht 1961 eine Monografie mit dem Titel „German Dialects“. In diesem Zusammenhang entsteht auch sein etwa 50seitiger Artikel zur Struktur des Luxemburgischen, von denen die letzten 20 Seiten jedoch nur Textsammlung und Glossar darstellen. Der Autor bietet dabei ein solides Formeninventar zu den wichtigsten Wort- und Funktionsklassen im Luxemburgischen. Keller ist sozusagen der erste Wissenschaftler, der sich „von außen“ mit dem Luxemburgischen beschäftigt.

38Knapp 20 Jahre nach Veröffentlichung von Bruchs Grammatik (1955) erarbeitet Christophory (1974) eine kleine Flexionslehre des Luxemburgischen, basierend auf Bruch (1955), und ergänzt diese durch Bilder, Lieder, Gedichte und Gesprächssequenzen. Doch auch dieses Werk wird trotz der mehrsprachigen Ausrichtung (Englisch, Französisch, vereinzelt mit deutschen Übersetzungen) nur wenig rezipiert (dennoch wurde 2008 ein unveränderter Nachdruck veröffentlicht). Obwohl Christophorys Buch den Untertitel „Bilingual Guide to Grammar and Reading“ trägt, erhält der Leser wenig „Führung“ durch die Grammatik des Luxemburgischen und sein Werk wirkt inhaltlich und gestalterisch unausgereift (zudem liefert es neben einem neuen Layout nur einen geringen Erkenntnisgewinn neben Bruchs Grammatik von 1955).

39Russ veröffentlicht 1996 eine knapp 30seitige Kurzgrammatik zum Luxemburgischen. Nach einer kurzen Einführung zu Lautung und Orthografie geht der Autor besonders auf Morphologie und Syntax ein. Erneut wird hier in erster Linie Wert auf den Formenbestand und weniger auf die Diskussion oder die funktionale Verteilung der Formen eingegangen.

40Die Arbeiten von François Schanen legen den Schwerpunkt vermehrt auf die Morphologie und die Syntax des Luxemburgischen. Im Jahre 1980 vollendet François Schanen seine über tausendseitige Thèse d’Etat (ähnlich wie Habilitationsschrift) zur Syntax von Schengen (Originaltitel: Recherches sur la syntaxe du luxembourgeois de Schengen). Die in erster Linie theoretischen Ausführungen basieren auf der Dependenzgrammatik nach Tesnière und wirken aus heutiger Perspektive unnötig kompliziert und ohne echten Erkenntnisgewinn. Die Arbeit, die leider nicht publiziert worden ist, beschäftigt sich stark mit den semantischen Zusammenhängen von Teilsätzen und funktionalen Satzgruppen, wobei der allgemeine Aufbau des Werkes sehr intransparent bleibt. Zwar beinhaltet das Werk zahlreiche Passagen mit Erklärungen, doch es kann aufgrund der fehlenden Überblicksdarstellungen und der geringen Anzahl an Beispielsätzen nicht als Ortsgrammatik gewertet werden.

411984 schließt Pierre Schmitt seine „Untersuchungen zur luxemburgischen Syntax“ ab. Auch er orientiert sich an der Dependenzgrammatik von Tesnière, präsentiert daneben mehrere (gemeinluxemburgische) Flexionsparadigmen sowie Übersichten zu den Tempora und Funktionsverben. Durch die Anlehnung an diese Schule sind viele Seiten gefüllt mit (semantischen) Satzbauplänen und Dependenzstrukturen. Der Aspekt der Wortstellung oder die allgemeine syntaktische Variation finden nur wenig Beachtung. Obwohl die empirische Herangehensweise mit einem Korpus sowie die unterschiedlichen Paradigmen positiv hervorzuheben ist, ist der Erkenntnisgewinn im Vergleich mit Bruchs Grammatik (1955) oder Kellers Beitrag (1961) nur gering. Insgesamt wird dieser Beitrag auch nur wenig rezipiert.

42Neben kleineren Abhandlungen und Arbeiten im Bereich Deutsch als Fremdsprache veröffentlicht Schanen (2004) ein Taschenbuch mit dem Titel „Parlons Luxembourgeois“ ‚Lasst uns Luxemburgisch sprechen’, in dem er sich mit dem „Gemeinluxemburgischen“ beschäftigt. Dieses Buch besteht aus drei Teilen: Eine 40seitige Einführung in die soziokulturellen Zusammenhänge des Landes, eine 160 Seiten umfassende Übersichtsgrammatik (mit Fokus auf Phonetik, Orthografie, Wortartenbeschreibung) sowie ein Anhang, bestehend aus Sätzen für Alltagsgespräche und einem kleinen Lexikon mit 5000 Einträgen.

43Zusammen mit der luxemburgischen Übersetzerin Jacqui Zimmer veröffentlicht Schanen 2006 eine aktualisierte Form seiner 2004 erschienenen Übersichtsgrammatik in neuer Aufmachung. Das dreibändige französische Werk bietet zahlreiche Paradigmen und Beispielsätze, deren genaue Herkunft allerdings ungeklärt bleibt. Es beinhaltet auch Übungen mit Lösungsschlüssel für didaktische Zwecke. Die drei Bände setzen sich aus drei Themen zusammen: Verbalgruppe (Volume 1: Le groupe verbal, 2005, 111 Seiten), Nominalgruppe (Volume 2: Le groupe nominal [et les autres groupes], 2006, 151 Seiten) und Rechtschreibung (Volume 3: L'orthographe [avec index et bibliographie], 2006, 138 Seiten). 2012 erscheint eine komplette Ausgabe dieser drei Bände (Lëtzebuergesch Grammaire Luxembourgeoise, 475 Seiten). Diese Gesamt-Grammatik von Schanen & Zimmer (2012) stellt das bislang umfassendste und aktuellste Werk zur luxemburgischen Sprachstruktur dar. Ähnlich wie bei Bruch (1955) nimmt auch in diesem Werk die Orthografie einen erheblichen Teil ein, wobei lediglich orthografische Normen abgebildet werden. Obwohl das Werk über eine kleine Bibliografie verfügt, enthalten die einzelnen Kapitel keine Verweise auf andere Werke oder Theorien. Zudem bleiben viele Ausführungen und Beispiele unkommentiert.

44Auch wenn die Autoren selbst das Werk als Referenz- und Gebrauchsgrammatik verstehen, wird der Anspruch des Buches beim Lesen nicht ganz klar. In meinen Augen ist die Grammatik durch die ungewohnte Kapitelaufteilung in verschiedene syntaktische Gruppen und die teilweise unkonventionelle terminologische Handhabung wenig anwenderfreundlich. Der Aufbau der Grammatik ist angelehnt an Schanens in Frankreich publizierten DaF-Grammatiken, die in Luxemburg und Deutschland allerdings kaum rezipiert werden. Auch der wissenschaftliche Nutzen der 1,2,3 Lëtzebuergesch Grammaire wird durch den ungewohnten Aufbau und die unkonventionelle Terminologie eingeschränkt. In vielen Fällen muss man das Buch als Ganzes durchlesen, um die einzelnen Bausteine eines Themas zusammenzutragen. Hinzu kommt, dass das Buch nur selten Fragen zu Varianten aufwirft und multifaktorielle Erklärungen häufig vernachlässigt.

45Zwar gelingt es den Autoren, viele wichtige Themen anzusprechen und zahlreiche Beispiele zu liefern, doch sie verpassen es, einen transparenten Aufbau zu wählen, um einen leichten Zugang zur Sprachstruktur des Luxemburgischen zu ermöglichen. Unklar ist auch, weshalb das Buch auf Französisch publiziert worden ist, da es für frankophone Personen sicherlich noch schwieriger ist, die hohe Anzahl an Beispielsätzen sowie die knappen Erläuterungen der Themen nachzuvollziehen. Für das luxemburgische Publikum hingegen wäre eine luxemburgische oder deutsche Metasprache sicherlich hilfreicher. Alles in allem erhält man beim Lesen dieser „Gebrauchsgrammatik“ den Eindruck, dass es für einen Laien zu schwierig und für einen Sprachwissenschaftler zu ungenau ist.

46Die ebenfalls französischsprachige Grammatik von Braun et al. wird 2005 vom Bildungsministerium für den Bereich der Erwachsenenbildung herausgegeben und umfasst 155 Seiten. Die fünf Autoren widmen sich zunächst der Lautung, dann der Orthografie und schließlich den unterschiedlichen Wortarten (kein expliziter Syntaxteil). Trotz der teilweise stark vereinfachten Themenkomplexe liefert das Buch eine gute Übersicht zum luxemburgischen Formeninventar. An vielen Stellen wird jedoch deutlich, dass das Buch primär als Unterrichtsgrundlage konzipiert worden ist, da es zum Selbststudium oder als Nachschlagewerk nicht differenziert genug ist.

47In vielen Grammatiken des Luxemburgischen fällt auf, dass der Bereich der Syntax deutlich unterrepräsentiert ist. Bei Schanen & Zimmer (2012) werden zwar zahlreiche syntaktische Themen angesprochen, aber leider nur selten substantiiert. Die Syntax bildet jedoch neben Phonologie und Morphologie den Kern der Sprachstruktur und sollte dementsprechend eine vergleichbare Aufmerksamkeit in der Sprachbeschreibung erhalten. Gerade beim Abbilden unterschiedlicher Wortarten und Paradigmen stellt sich die Frage, welche Funktionen diese Formen im Satz übernehmen können. Vor allem verfügt das Luxemburgische über unterschiedliche syntaktische Besonderheiten, die es zu erklären gilt. Als Referenzpunkte für die vorliegende Arbeit gelten an erster Stelle die mehrsprachige Grammatik zum Luxemburgischen von Bruch (1955), die auch häufig von anderen Autoren rezipiert wird (vgl. Zwart 1996; Glaser 2006; Nübling 2005; 2006), sowie die Grammatik von Schanen & Zimmer (2012).

48Bevor ich nun zur syntaktisch orientierten Forschungslage übergehe, werden alle wichtigen Werke nun noch einmal in einer Tabelle zusammengefasst.

JahrAutorMeta-spracheBemerkungen
1829MeyerDGedichtband "E' Schrek ob de' Lezeburger Parnassus", orthografische Überlegungen im Vorwort und kurze Übersicht zu den “grammatikalischen Mechanismen von unserer Mundart” (S. 45) im Anhang
1845GlodenDkurze Einleitung in Meyers Gedichtband „Luxemburgische Gedichte und Fabeln“ zur Grammatik und dialektalen Ausdrücken
1855KleinDdiachrone und diatopische Übersicht zu Phonologie und Flexion
1895BourgDAbhandlung zu Phonetik, Morphologie und Orthografie
1899WeberDVorarbeiten zur luxemburgischen Orthografie und Grammatikschreibung
1921BertrangDBeschreibung der Mundart von Arlon (Belgien)
1933PalgenDphonetische Abhandlungen, Dialekt von Echternach (Moselnähe)
1936-1940GodefroidDkleine Laut- und Wortlehre (Paradigmen) des Luxemburgischen
1955BruchD/FRbreit angelegte Grammatik mit diachronen Beschreibungen
1961KellerENKurzgrammatik (Phonetik und Morphologie), Formeninventar, kein luxemburgischer Autor
1974ChristophoryFR/ENFormeninventar und Textsammlungen, 2008 neu aufgelegt
1980SchanenFRSyntaxbeschreibung angelehnt an die Dependenzgrammatik von Tesnière (Habilitationsschrift)
1984SchmittDFlexionsparadigmen, Fokus auf Funktionsverben und Valenzen von Vollverben, angelehnt an die Dependenzgrammatik von Tesnière
1996RussENAufsatz mit grammatischer Kurzübersicht, viele Parallelen zu Keller (1961), kein luxemburgischer Autor
2004SchanenFRÜbersichtsgrammatik im Taschenbuchformat
2005Braun et al.FRÜbersichtsgrammatik (herausgegeben vom luxemburgischen Bildungsministerium)
2012Schanen & ZimmerFR2005/2006 als dreibändige Grammatik erstmals erschienen, als Einzelgrammatik 2012 neu aufgelegt
Tabelle 4: Übersicht zur Grammatikografie des Luxemburgischen (innerluxemburgische Publikationen)

49Am Ende stellt sich noch die Frage, was eine Gebrauchsgrammatik des Luxemburgischen leisten können muss. Durch das wachsende Interesse an der luxemburgischen Sprache – innerhalb und außerhalb der akademischen Welt – wird auch die Nachfrage an strukturellen Sprachbeschreibungen immer größer. Die derzeitigen luxemburgischen Grammatiken weisen jedoch deutliche Schwächen auf und werden weder der Textsorte noch den Bedürfnissen der Benutzer gerecht. Auch auf der Meta-Ebene spielen Sprachwahl (Deutsch, Französisch oder auch Luxemburgisch) sowie Terminologie und Aufbau eine wichtige Rolle.

50Insgesamt ist es jedoch unerlässlich, fundierte Studien mit transparenter Empirie und klaren Argumentationen vorzulegen. Diese können dann den Grundstein für eine empirisch solide grammatische Beschreibung des Luxemburgischen legen. Alles in allem ist es keine leichte Aufgabe, ein solches Gesamtwerk am Ende zusammenzutragen. Diese Problematik, eine Grammatik zu konzipieren, die gleichermaßen leicht verständlich, fundiert und präzise ist, wird von Zifonun (1986: 14) auf den Punkt gebracht:

Es ist nicht ganz leicht, diese Ideale einer ‚wissenschaftlichen’ Präsentation der Urteile mit den Prinzipien der Übersichtlichkeit, des Aufbereitetseins, der Komprimiertheit, die sich aus der Tradition der Textsorte grammatisches Handbuch herleiten, zu vereinbaren. (Zifonun 1986: 14)

51Zudem muss für das Luxemburgische die Frage gestellt werden, inwieweit Variabilität oder auch Normativität in die Grammatikbücher aufgenommen werden kann, was gerade im Hinblick auf den derzeitigen Standardisierungsprozess des Luxemburgischen und die öffentliche Aufmerksamkeit der Sprache besonders spannend ist (vgl. Moulin 2006).

2.3 Mikro- und Makroebene der kontinentalwestgermanischen Syntaxforschung

52Dieses Kapitel bietet eine Übersicht zur Forschungslage der luxemburgischen Syntax (Mikroebene) und weist darüber hinaus auf allgemeine Forschungsprojekte und -ziele in der derzeitigen Syntaxforschung zum Kontinentalwestgermanischen hin (Makroebene). Die Beschreibung der Mikroebene dient als Zusammenfassung der bisherigen Erkenntnisse zur luxemburgischen Syntax. Da die Zahl an Publikationen zu diesem Thema überschaubar ist, lohnt sich ein Blick „über den Tellerrand hinaus“ auf die Makroebene der Syntaxforschung.

53Der luxemburgischen Syntax wurde bislang verhältnismäßig wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Im Grunde genommen gibt es zwei Textsorten, in denen sie thematisiert wird: luxemburgische Grammatiken (vgl. Kapitel 2.2) und sprachvergleichende Studien, die vorrangig aus einer germanistisch orientierten Perspektive stammen. In den sprachvergleichenden Studien werden luxemburgische Beispiele meist kontrastiv oder als Exkurs verwendet (u.a. zu Verbclustern bei Lötscher 1978 oder Relativsätzen bei Fleischer 2005). Dass Luxemburgisch im Zentrum einer Analyse steht, ist verhältnismäßig selten der Fall. Dabei kommt Nübling (2005: 166) zu dem Schluss, dass „[d]ie Erforschung der lëtzebuergeschen Sprache [...] die allgemeine Linguistik nicht nur bereichern, sondern zu einigen Revisionen und Neubewertungen herausfordern [würde].

54Viele Arbeiten zur luxemburgischen Syntax befassen sich vorrangig mit Themen der Morphosyntax, wobei an prominenter Stelle Studien zu Hilfsverben und Grammatikalisierungspfaden zu nennen sind (u.a. Dammel 2006; Nübling 2006b; Schanen 2006; Lenz 2007). Zentral für die vorliegende Arbeit ist der Aufsatz von Glaser (2006) – basierend auf ihrem Aufsatz von 2005 – mit dem programmatischen Titel: „Zur Syntax des Lëtzebuergeschen: Skizze und Forschungsprogramm“. Im Rahmen ihrer vergleichenden Syntaxforschung kennzeichnet die Autorin besondere Phänomene im Luxemburgischen, die weiterer Forschung bedürfen.

55

56Glasers (2006) liefert somit einen soliden Phänomenkatalog, der in seinen wesentlichen Zügen als Orientierung für die vorliegende Arbeit dienen soll. Weitere Orientierungspunkte für die phänomenbasierte Auslegung dieser Arbeit sind Forschungsarbeiten zur Syntax in anderen westgermanischen Sprachen.

57Generell hat die Erforschung syntaktischer Variation in den letzten 15 Jahren einen deutlichen Aufschwung erfahren. Viele (umfassendere) syntaktische Beschreibungen von Orts- und Gebietsdialekten sind teilweise hundert Jahre alt (vgl. Glaser 2008: 85). Zu den neueren Arbeiten zählen vor allem große Syntaxprojekte wie die Arbeiten an den syntaktischen Atlanten der niederländischen Dialekte (SAND) und der deutschen Schweiz (SADS) sowie das Projekt zur Syntax des Hessischen (SyHD). Nach einer kurzen Vorstellung dieser drei zentralen Projekte werden im Anschluss die genauen Anknüpfungspunkte dargelegt.

58De Syntactische Atlas van de Nederlandse Dialecten (SAND)

59Das Ziel des SAND ist klar definiert: Barbiers et al. (2008a, b) wollen eine Datenbank, einen online verfügbaren und einen gedruckten Atlas zur syntaktischen Variation zusammenstellen. Dies soll für sämtliche niederländische Varietäten in den Niederlanden, Belgien und Frankreich durchgeführt werden (vgl. Barbiers & Bennis 2007: 53). Die Auswahl der Phänomene beruht auf vorherigen Beschreibungen in der Forschungsliteratur sowie auf der dialektologischen Kompetenz der Projektmitarbeiter. Die Phänomene umschließen vier syntaktische Komplexe: 1) linke Satzperipherie (Bsp.: double complementizers), 2) rechte Satzperipherie (Bsp.: IPP-Konstruktionen), 3) Negation und Quantifikation (Bsp.: Negationspartikeln), 4) Pronominalisierung (Bsp.: schwache und starke Pronomen) (vgl. Barbiers & Bennis 2007: 57).

60Neben den entsprechenden Dialektkarten werden im Rahmen des SAND auch zwei sehr hilfreiche Kommentarbände publiziert, in denen die Forschungsliteratur aufbereitet wird und die wichtigsten Ergebnisse kommentiert und problematisiert werden. Nicht nur, dass die areale Verteilung der Varianten auf den Atlas-Karten erklärt wird, auch das Phänomen wird in einem übersichtlichen Text adäquat beschrieben und um zahlreiche Literaturangaben ergänzt. Insgesamt liefert SAND sauber aufbereitete Ergebnisse und gute Erklärungen zu den Einzelphänomenen, die sehr übersichtlich in zwei großen Atlanten mit Karten und Kommentarband zur Verfügung stehen.

61Der syntaktische Atlas der deutschen Schweiz (SADS)

62Die Universität Zürich arbeitet seit 2000 an einem syntaktischen Atlas der deutschen Schweiz (vgl. Glaser & Bart 2016: 88). Das Projekt verfolgt drei Hauptziele: Die Erarbeitung syntaktischer Isoglossen (mit einer breiten empirischen Datengrundlage), die Vertiefung syntaktischer Theorien und Typologien auf Basis von Dialektdaten und die Etablierung einer Forschung der syntaktischen Mikrovariation bzw. Verfeinerung der Syntaxtheorie im Allgemeinen (vgl. Bucheli & Glaser 2002: 46-51). Die Zahlen des Projekts sprechen dabei für sich: vier Fragebögen (Fragetypen: Übersetzung, Satzkomplettierung, Multiple Choice) mit insgesamt 118 Fragen für 383 Orte bei 3187 Gewährspersonen, um 54 (morpho-)syntaktische Variablen zu überprüfen (vgl. Glaser & Bart 2016: 85). Hierunter fallen auch Phänomene, die in der vorliegenden Arbeit analysiert werden (u.a. Stellung von Pronomina und Klitika, Verbcluster oder doppelt besetzte Nebensatzeinleitungen). Seit Beginn des Projekts entstehen kontinuierlich Aufsätze zur Methodik sowie zu den unterschiedlichen elizitierten syntaktischen Phänomenen (bislang 60 Beiträge, vgl. SADS online 2017). Da die komplette Aufbereitung der Daten noch nicht abgeschlossen ist, können nur bestimmte Phänomene in den empirischen Kapiteln mit den schweizerdeutschen Daten abgeglichen werden.

63Syntax Hessischer Dialekte (SyHD)

64Zwischen 2010 und 2016 wird unter der Leitung von Alexandra N. Lenz (Universität Wien), Helmuth Weiß (Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main) und Jürg Fleischer (Philipps-Universität Marburg) erstmals ein deutsches, politisch eingegrenztes Dialektgebiet (Bundesland Hessen) syntaktisch erschlossen (vgl. Fleischer 2013; Fleischer et al. 2017). Die Projektziele sind eine systematische Dokumentation und Analyse syntaktischer Phänomene in den Dialekten Hessens (das Areal umfasst alle Mundarten, die innerhalb des Bundeslandes gesprochen werden, plus 12 außerhessische Erhebungspunkte). Das Erhebungsortsnetz umfasst 161 Ortspunkte, an denen die ausgewählten Phänomene zunächst anhand eines Fragebogens (indirekte Methode) elizitiert worden sind, um anschließend gezielte Interviews durchzuführen (vgl. Fleischer et al. 2017). Die getesteten syntaktischen Variablen lassen sich in fünf Gruppen zusammenfassen:

65

66Die Ergebnisse sind mittlerweile online (mit Karten und sehr guten Übersichtsartikeln zu den Phänomenen und arealen Strukturen) und in zahlreichen Aufsätzen publiziert (vgl. SyHD 2016).

67Weitere Projekte zur arealen Erschließung syntaktischer Phänomene entstehen derzeit im alemannischen (SynAlm, Universität Konstanz) sowie im bairischen Sprachraum (SynBai, Universität Wien), zu denen es jedoch bislang nur wenige Informationen gibt. Die Internetseite von SynAlm weist bislang auf drei thematische Schwerpunkte hin: Infinitive, Adjektive und Relativsätze. Zudem besteht die Möglichkeit, als Dialektsprecher online einen Fragebogen auszufüllen.7 Neben den syntaktischen Großprojekten macht sich das „Aufblühen“ der Dialektsyntax auch in Einzelstudien bemerkbar, wie etwa die kürzlich abgeschlossene Dissertation zur Syntax des Moselfränkischen von Kallenborn (2016).8

68Der Blick auf die allgemeine Syntaxforschung zum Kontinentalwestgermanischen bietet für die Erschließung der luxemburgischen Syntax zwei Vorteile: Einerseits zeichnet sich beim Vergleich der erforschten Gebiete die Forschungslücke der Syntax des Luxemburgischen ab und andererseits können die Phänomenbeschreibungen sowohl als Orientierung als auch als Vergleich dienen.9

69Stellt man sich nun den Dialektraum der hier angeführten Projekte auf einer Karte vor, bilden sie von den Niederlanden über Hessen bis hin zum Alemannischen einen Halbkreis um das Luxemburgische (Luxemburg grenzt im Südwesten an primär französischsprachiges Gebiet). Die vorliegende Arbeit versucht nun, die luxemburgische Syntax auf empirischer Basis zu erschließen, um das Luxemburgische besser charakterisieren und verschiedene Aspekte der syntaktischen Typologie des Westgermanischen vervollständigen zu können. Über den typologischen Aspekt hinaus kann auch die Präsentation der Ergebnisse aus den angeführten Projekten als Orientierungspunkt herangezogen werden. So zeigt etwa der publizierte Kommentarband aus dem SAND, wie unterschiedliche Phänomene sinnvoll aufbereitet und unter variationslinguistischen Aspekten analysiert werden können. Bei SyHD sind vor allem die einzelnen Publikationen interessant, da hier auch unterrepräsentierte Phänomene wie Partitivkonstruktionen im Detail erschlossen werden (vgl. Strobel 2016).

3 Das empirische Herzstück: Das Korpus

70Ein breites Korpus bietet die empirische Datengrundlage für die Analysen im Hauptteil. Für die syntaktische Untersuchung werden gezielte Stichproben aus dem Korpus extrahiert, um den aktuellen Sprachgebrauch zu dokumentieren. Auf diese Weise können verschiedene Aspekte der luxemburgischen Syntax erfasst und systematisiert werden. Dieses Kapitel wird auf die zentralen Eigenschaften der empirischen Grundlage näher eingehen. In Kapitel 3.1 wird die Zusammensetzung des Korpus besprochen: die genauen Textsorten, die technischen Voraussetzungen sowie die Präsentation der Belege in der Arbeit. Kapitel 3.2 geht auf die generellen methodischen Vor- und Nachteile einer korpusbasierten Studie ein.

3.1 Das luxemburgische Korpus: Textsorten und Handhabung

71In diesem Teil werden zunächst die Grundeigenschaften des Gesamtkorpus erläutert, d. h. Größe, Textsorten und Textgruppierungen. Da die beiden empirischen Kapitel 6 und 8 mit einem Subkorpus bzw. einzelnen Textsorten arbeiten, werden diese im Anschluss näher beschrieben. Des Weiteren werden die technischen Voraussetzungen des Korpus und des Konkordanzprogramms sowie die formale Präsentation der Daten in der vorliegenden Arbeit besprochen.

72Das Gesamtkorpus

73Die Texte10 im Korpus sind Teil einer groß angelegten Textsammlung des Instituts für luxemburgische Sprach- und Literaturwissenschaft der Universität Luxemburg und entsprechen dem Stand des Jahres 2013.11 Das Korpus beinhaltet unterschiedliche Texte, die zwischen 1993 und 2013 auf Luxemburgisch entstanden sind und in der Form eines Buches, Transkripts oder online zur Verfügung stehen.12 Das Korpus hat eine Größe von 61,8 Millionen Wortformen (Token) und wurde in acht größere Textgruppen unterteilt. Die unterschiedlichen Größen der Gruppen lassen sich dadurch erklären, dass es sich um natürliche (d. h. nicht elizitierte) Texte handelt, die nach und nach in das Korpus eingeflossen sind. Die genaue Aufstellung dieser Textgruppen kann der nachfolgenden Tabelle entnommen werden.

TextgruppeInhalteToken13
Online-KommentareOnline-Kommentare der Nachrichtenseite rtl.lu19 671 136
Online-NewsOnline verfügbare Nachrichten der Radiosender RTL und ELDORADIO (vgl. rtl.lu; eldo.lu)9 782 831
ChatÖffentliche Chatlogs aus den Jahren 2004-200720 552 864
InternetForen, wikipedia.lu, Internetblogs6 884 506
PolitikSitzungsprotokolle der Abgeordnetenkammer und Kommunalratssitzung aus Differdingen und Esch3 314 356
InterviewDaten/Transkripte aus IDENT, Familiengespräche und Politikerinterviews876 496
ProsaLiteratur (u.a. Manderscheid, Hoscheid)
Übersetzungen: Bibel + Harry Potter
402 334
wiss. ArbeitHausarbeiten und Abschlussarbeiten der Luxemburgistik (Universität Luxemburg)349 216
Gesamt61 833 739
Tabelle 5: Textgruppen, Inhalte und Token im Gesamtkorpus

74Bei der Gliederung soll nicht der Eindruck erweckt werden, dass es sich hierbei um homogene Textgruppen handelt. Vielmehr wird hier ein Versuch unternommen, die einzelnen Korpusdateien sinnvoll zu bündeln, um sie im Verlauf der Arbeit mit selbsterklärenden Textgruppennamen verwenden zu können.

75Jede dieser acht Textgruppen verfügt über besondere Merkmale, die sich entweder auf einzelne Textsorten in der Gruppe oder auf bestimmte mediale Aspekte beziehen. Ich möchte im Folgenden auf die wichtigsten Merkmale dieser acht Gruppen eingehen. Die ersten vier Gruppen beziehen sich auf die – aus textlinguistischer Perspektive – schwierigeren online Textsorten (Online-Kommentare, Online-News, Chat und Internet), die durch die „Komplexität und Variabilität des digitalen Schriftgebrauchs“ (Androutsopoulos 2007: 84) gekennzeichnet sind. Dies hängt zu einem Großteil an der „multiplicity of speech genres“, mit denen man sich auseinandersetzen muss (Coleman 2010: 494). Diese Variabilität führt Androutsopoulos (2007: 91) nicht zuletzt darauf zurück, dass sich die Akteure im Internet der Situation entsprechend verhalten und auf diese Weise einen Stil wählen, der jeweils „in schlüssiger Relation zum Inhalt ihrer Texte und ihrer gesamten Selbstdarstellung“ steht.

76

77Online-Kommentare stellen ein in der Text- und Medienlinguistik kaum repräsentiertes Repertoire dar. Gemeint sind hiermit die Kommentarspalten unter einem eigentlichen Nachrichtenbeitrag, wie man sie beispielsweise auch auf Spiegel Online findet. In Luxemburg gehört die Seite rtl.lu zu einer der beliebtesten Internetseiten, wenn es um regionale und überregionale Informationen geht. Die RTL-Redaktion liefert auch die Nachrichten für den gleichnamigen Radiosender und das Fernsehprogramm (RTL Télé Lëtzebuerg). Die meisten Beiträge sind auf Luxemburgisch verfasst und für Kommentare freigeschaltet, sodass angemeldete User mit einem selbstgewählten Namen (real oder fiktiv) Kommentare veröffentlichen können.14

78Sämtliche Beiträge müssen allerdings von einem Online-Redakteur freigeschaltet werden. Ein nachträgliches Bearbeiten der Kommentare ist nach der Veröffentlichung nicht mehr möglich (auf Nachfrage können eigene Beiträge allerdings nachträglich entfernt werden). Durch die mögliche Anonymität und manche brisanten Themen ist das Konfliktpotenzial der Beiträge verhältnismäßig hoch. Inhaltlich fällt zudem auf, dass sich die Teilnehmer oft hyperkorrekt und intendiert intellektuell ausdrücken, was zu einem schwer einschätzbaren Stil- bzw. Registerfaktor der Textsorte führt. Auch die Art der Interaktion ist schwierig zu definieren, da sich die Teilnehmer entweder auf das Thema direkt, einen vorangegangenen Beitrag oder beides beziehen. Aus diesem Grund schwankt die Redekonstellation zwischen Monolog und Dialog sowie zwischen explikativem und narrativem Ansatz. Letzteres hängt davon ab, ob der Beitrag eher persönlich-anekdotisch oder allgemein-belehrend aufgebaut ist.

79

80Die Online-News beziehen sich auf die kurzen Nachrichtensequenzen, die auf den Seiten rtl.lu und eldo.lu zu finden sind. Die Sequenzen beinhalten in der Regel zwischen 20 und 300 Wortformen. Inhaltlich reichen die Beiträge von Straßensperrungen, über Sport- und Musikveranstaltungen bis hin zu allgemein politischen Themen auf nationaler sowie internationaler Ebene.

81Der Reflexionsgrad und die konzeptionelle Schriftlichkeit (nach Koch & Österreicher 1985) sind bei dieser Textgruppe besonders hoch.

82

83Trotz des drastischen Rückgangs dieser ehemals stark verbreiteten Kommunikationsform konnte eine große Anzahl an so genannten Logfiles, also Textdateien, die den Gesprächsverlauf aus dem öffentlichen Chat aufgezeichnet haben, aus den Jahren 2004 bis 2007 zusammengetragen werden.15 Bei diesen Sequenzen handelt es sich um die öffentlich einsehbaren Gruppenchats und nicht um private Zweierchats.

84Da es im zentralen Fenster eines Chatrooms zeitweise sehr turbulent zugehen kann, sind die Textproduzenten auf Schnelligkeit angewiesen, damit ihre Beiträge rechtzeitig erscheinen und sie noch in den derzeitigen Verlauf thematisch eingebettet werden können. Diese Schnelllebigkeit der Themenbeiträge resultiert in einem geringen Reflexionsgrad. Viele Beiträge können unterschiedlichen Zwecken dienen: der spontanen Kontaktaufnahme, dem Grüßen von bekannten und unbekannten Teilnehmern, dem Ausdiskutieren von bestimmten Themen oder einfach der Aufforderung zum Privatchat.

85Ein zusätzlicher Hinweis zu dieser besonderen Textsorte erfolgt von Dürscheid (2004: 155):

Schreibt ein Kommunikationspartner in dem Bewusstsein, dass der andere im nächsten Moment darauf reagieren wird [...], dann formuliert er seine Beiträge spontaner, informeller als in der asynchronen Kommunikation.

86Das Konzept der Synchronizität der Redebeiträge wurde hier zwar nicht übernommen, jedoch steht fest, dass die angesprochene Schnelligkeit der Textproduktion und -rezeption einen anderen Planungsaufwand darstellt als bei anderen Textsorten. Es muss also berücksichtigt werden, dass es zu häufigen Tippfehlern, stilbedingten (jugendsprachlichen) Varianten (alternative Orthografie, graphostilistische Mittel) sowie zu knapp formulierten Beiträgen kommen kann.

87

88Unter diesem Label werden unterschiedliche Textsorten zusammengefasst: sämtliche Inhalte von wikipedia.lu (Stand 2013) sowie diverse Einzelseiten, d. h. öffentliche Blogs oder Foren, zu denen beispielsweise der Blog der Luxemburger Studenten in Wien zählt. Die luxemburgische Wikipedia bietet den Vorteil, dass hier viele Texte zu vielen Themen in standardisierter Orthografie öffentlich zugänglich sind. Der Nachteil besteht allerdings darin, dass es sich häufig um Übersetzungen aus einem anderssprachigen Wikipedia-Eintrag handelt, wodurch die luxemburgischen Texte strukturell beeinflusst werden können. Die Texte von wikipedia.lu machen etwas mehr als die Hälfte dieser Textgruppe aus.

89Die letzten vier Gruppen sind sozusagen „offline“ Textsorten: Politikprotokolle, Interview, Prosa und wissenschaftliche Arbeiten.

90

91Diese Gruppe beinhaltet die schriftlich verfassten Protokolle der nationalen Parlamentssitzungen (Chambre des Députés) sowie der Gemeinderatssitzungen der Gemeinden Esch und Differdange. Zwar sind die Beiträge der Teilnehmer mündlich vorgetragen, doch es ist davon auszugehen, dass diese mit bestimmten Notizen oder einer anderen Art der schriftlichen Vorbereitung einhergehen. Zudem ist im politischen Bereich ein anderes Sprachregister zu erwarten als in „regulären“ gesprochensprachlichen Daten. Auch die sachbetont-explikative Themenentfaltung grenzt diese Textgruppe von der Gruppe „Interview“ ab. Der Hauptteil der Beiträge ist monologisch aufgebaut mit einer verhältnismäßig hohen argumentativen und strukturellen Elaboriertheit.

92Es bleibt unklar, wie präzise die gesprochenen Texte anschließend im Protokoll festgehalten wurden und ob eventuelle (textstrukturelle) Nachbesserungen vorgenommen wurde. Aufgrund des formalen Aufbaus ist allerdings davon auszugehen, dass die Sitzungsbeiträge – sicherlich aus Verständnis- und Leserfreundlichkeitsgründen – nachträglich ein wenig angepasst wurden.

93

94Die spontansprachlichen Interview-Daten stammen größtenteils aus den Aufnahmen und Transkripten unterschiedlicher Projekte an der Universität Luxemburg. Zum einen sind dies die Aufnahmen aus dem IDENT1- und IDENT2-Projekt sowie aus der soziologisch-historischen Dissertation von Neuenkirch (2014) und der phonetisch-phonologischen Dissertation von Gilles (1998). Die Transkripte sind größtenteils so aufgebaut, dass es eine Input-Frage des Interviewers gibt und die Informanten frei und spontan darauf antworten (der Gesprächskontext ist meistens im Vorhinein bekannt). In den soziologischen Familieninterviews, die den Großteil dieser Textsorte bilden, gibt es zahlreiche Gruppengespräche unter Gleichaltrigen und innerhalb von Familien, sodass auch hier dynamischere Gesprächsbeiträge empirisch eingebunden werden können. Da es sich um prototypische face-to-face-Kommunikation handelt, sind diese Interviews durch einen narrativen Aufbau gekennzeichnet.

95

96Die Literatursammlung umfasst Werke der luxemburgischen Prosaliteratur, die nach 2000 entstanden sind. Dass sich hier auf Prosa beschränkt wurde, dient dem einfachen Zweck, dass Metrum und Stilistik als „Störfaktoren“ für die Wortstellung weitestgehend eliminiert werden können. Da es sich um Erzählliteratur handelt, ist der Reflektiertheitsgrad hoch und die Themenbehandlung erfolgt auf fiktiv-narrativer Ebene. Das Evangelium sowie Harry Potter (Band 1) liegen als luxemburgische Übersetzung vor. Da Harry Potter aus dem englischen Original übersetzt wurde, ist hier nicht mit sprachlichen Interferenzen in Bezug auf die Syntax zu rechnen. Beim Evangelium wird nicht explizit erwähnt, aus welcher Sprache übersetzt wurde.

97

98Die kleinste Textgruppe im Gesamtkorpus setzt sich aus luxemburgischen Haus- und Abschlussarbeiten zusammen, die am Institut für luxemburgische Sprach- und Literaturwissenschaft eingereicht worden sind. Die Themenentfaltung ist sachlich-argumentativ und stammt aus den Bereichen der luxemburgischen Kultur-, Literatur- oder Sprachwissenschaft.

99In Bezug auf den Produktionsaspekt dieser Texte finden sich zwei zentrale Faktoren, die sich auf die Syntax auswirken können: Dies ist zum einen der Grad der Reflektiertheit sowie die Konfliktbezogenheit des Themas. Die Reflektiertheit wird hier im Sinne von Planungsgrad verstanden. Man kann davon ausgehen, dass Texte, die mündlich realisiert oder reaktionsschnell im Chat verfasst werden, einen geringeren Planungsgrad aufweisen als schriftlich verfasste Texte einer Nachrichtenseite. Dies führt dazu, dass strukturelle Unterschiede auf Performanzbedingungen zurückgeführt werden können (vgl. Schwitalla 2006: 24). Dass das Konfliktpotenzial einen Einfluss auf die Sprache haben kann, zeigt etwa Androutsopoulos (2007: 91) im Rahmen einer Analyse eines Hiphop-Chats. Der Autor stellt fest, dass sich Personen in einem konfliktgeladenen Gespräch („Streitgespräch“) deutlich standardnäher ausdrücken, d. h. ein höheres Sprachregister verwenden als in anderen Beiträgen. Dies steht in gewisser Weise im Gegensatz zur Annahme von Koch & Österreicher (1985), welche Expressivität und Affektivität als „Sprache der Nähe“ kategorisieren. Androutsopoulos’ Ergebnisse verweisen jedoch eher auf eine „Sprache der Distanz“, in der sich die Sprecher in einem Streitgespräch besonders elaboriert ausdrücken.

100Das Subkorpus

101Manche Phänomene, die im empirischen Teil untersucht werden, lassen sich als high frequency bzw. low frequency phenomena kennzeichnen. Gerade bei quantitativen Auswertungen von high frequency phenomena bietet sich deshalb ein Subkorpus an, d. h. eine reduzierte Textsammlung, in der die einzelnen Textgruppen in ungefähr gleichen Teilen vertreten sind. Dieses Subkorpus wird im Besonderen für die gesamten Verbclusteranalysen aus Kapitel 8 verwendet. Die genaue Zusammenstellung ist der nachfolgenden Tabelle zu entnehmen.

TextgruppeToken
Chat1 229 901
Online-Kommentare1 243 930
Online-News1 262 594
Politik1 267 579
Interview876 496
Gesamt5 880 500
Tabelle 6: Textgruppen und Token im Subkorpus

102Die geringe Anzahl an spontansprachlichen Daten resultiert aus dem hohen Produktions- und Beschaffungsaufwand dieser Daten. Demnach wurden für diese Arbeit keine Audioaufnahmen gemacht und transkribiert. Es wurde lediglich auf vorhandene Transkripte zurückgegriffen, zu denen auch keine Audiodateien vorliegen, sodass prosodische Muster nicht überprüft werden können. Der restliche Teil des Subkorpus setzt sich zusammen aus je 1,2 Millionen Wortformen der Textgruppen Chat, Online-Kommentare, Online-News und Politik.

103Auch für die semantische Fragestellung in Kapitel 6.2 zu den referentiellen Bedingungen von Personalpronomen wird aus methodischen Gründen nicht auf das Gesamtkorpus, sondern nur auf das Wikipedia-Sample zurückgegriffen (die Vorgehensweise wird im entsprechenden Kapitel motiviert).

104Abfragen im Korpus

105Die zuvor beschriebene Datensammlung liegt als rohes Textkorpus vor, d. h. bei diesem Korpus handelt es sich um eine große, unstrukturierte Datenmasse ohne Tags, Lemmatisierung oder andere Regularisierungen. Die meisten Texte entsprechen zudem nicht der luxemburgischen Orthografie. Obwohl das Luxemburgische über eine standardisierte Orthografie verfügt, wird diese nur selten angewendet,16 sodass viele grafische Varianten zu den im Korpus befindlichen Wortformen existieren. Dies führt dazu, dass die formalen Abfragen im Korpus nicht immer einfach umzusetzen sind, schließlich müssen verschiedene Schreibvarianten berücksichtigt werden. Dies bedeutet allerdings auch, dass bestimmte Belege bei der Suchanfrage im Korpusprogramm nicht angezeigt werden, wenn die Schreibung des Autors von der Schreibung in der Suchanfrage abweicht.

106Das Korpus, das aus zahlreichen Dateien im TXT-Format besteht, wird mithilfe des Programms CasualConc® zu einer Datenbank zusammengefügt.17 Innerhalb der Korpus-Datenbank bietet das Konkordanzprogramm die Möglichkeit, Suchanfragen über einfache Textsuche oder reguläre Ausdrücke durchzuführen. Die Ergebnisse werden dann im Programmfenster dargestellt. Zudem werden auch Informationen zu den Quelltexten angezeigt, sodass nachvollzogen werden kann, welcher Satz aus welcher Datei stammt. Das Hauptfenster zeigt eine Liste mit allen Treffern und liefert im linken und im rechten Satzkontext bis zu fünf Wortformen (kann variabel eingestellt werden). Zudem besteht die Möglichkeit, sich den ganzen Satz im jeweiligen Äußerungskontext anzuschauen (im unteren Teil des Programmfensters). Die nachfolgende Abbildung zeigt einen Screenshot des Konkordanzprogramms. Als Beispielsuche wurde hier die Wortform Gebai ‚Gebäude’ eingegeben.

Abbildung 3: Ausschnitt des Konkordanzprogramms CasualConc®)
Abbildung 3: Ausschnitt des Konkordanzprogramms CasualConc®)

107Die Ergebnisse im listenähnlich aufgebauten Hauptfenster können bei Bedarf als CSV- oder RTF-Datei exportiert werden, sodass in einem anderen Tabellen- oder Textverarbeitungsprogramm manuell an den Daten gearbeitet werden kann.

108Die Vor- und Nachteile dieser empirischen Herangehensweise sowie die methodischen Besonderheiten dieses unstrukturierten Korpus werden ausführlich im anschließenden Kapitel 3.2 besprochen.

109Präsentation der Korpusdaten in der Arbeit

110Aufgrund der empirisch-deskriptiven Ausrichtung werden in dieser Arbeit insgesamt über 400 luxemburgische Belege gezeigt. Beispiel (00) zeigt eine schematische Darstellung eines Korpusbelegs.

111(00) luxemburgischer Originalbeleg (Quelle)
lexikalische Glossierung
‚optionale freie deutsche Übersetzung’

112Die luxemburgischen Belege werden jeweils in der Originalschreibung verwendet, d. h. die Beispiele sind nicht orthografisch angepasst. Optische Hervorhebungen wie Unterstreichen sind allerdings möglich und dienen der Leserfreundlichkeit. In der nachfolgenden Klammer steht die Quelldatei (Textgruppe) des Belegs (vgl. die Übersicht zu Beginn von Kapitel 3.1). Wenn keine Textgruppe oder kein Literaturhinweis als Quelle angegeben sind, handelt es sich um ein konstruiertes Beispiel.

113Die lexikalische Glossierung wird durch eine andere Schriftart markiert. Die Wort-für-Wort-Glossierung kann bei bestimmten Argumentationen durch grammatische Informationen ergänzt werden (Bsp.: <KLIT> für klitisch). Groß- und Kleinschreibung sowie Interpunktion werden aus dem luxemburgischen Beleg auch in der deutschen lexikalischen Glosse übernommen (die diesbezüglichen luxemburgischen orthografischen Regeln entsprechen den deutschen). In bestimmten Fällen kann der luxemburgische Beleg durch eine freie deutsche Übersetzung ergänzt sein. Diese wird mit einfachen Anführungszeichen und ohne Schriftartwechsel markiert.

3.2 Die Analyse der Korpusdaten: Grenzen und Möglichkeiten

114Die Fragestellung in diesem Kapitel ist eine methodologische: Inwieweit kann ein Korpus als Grundlage einer deskriptiven Syntaxstudie dienen? Neben allgemeinen Fragen der Korpuslinguistik soll hier im Besonderen auf den Umgang mit dem vorliegenden Korpus eingegangen werden (zur allgemeinen Problematik der Korpuslinguistik vgl. u.a. Lemnitzer & Zinsmeister 2006).

115Die positiven Eigenschaften dieser Korpusstudie sind der Zeitfaktor (verhältnismäßig schnelle Beschaffung von Datenmaterial), der Zugriff auf eine große Datenmenge, die Natürlichkeit der Äußerungen (Gewährleistung der Authentizität) sowie die Repräsentativität der Daten (im Sinne von unterschiedlichen Textsorten und Äußerungskontexten als „Querschnitt“ des Sprachgebrauchs). Zu den negativen Eigenschaften zählen in erster Linie die unvollständige Datenabdeckung, die fehlende negative Evidenz und die fehlende Aufbereitung der vorliegenden Texte (rohes Textkorpus).

116Korpusstudien bieten im Allgemeinen den Vorteil, dass – gerade bei einer syntaktischen Fragestellung – auf viele Belege in unterschiedlichen Satzkontexten zurückgegriffen werden kann. Dabei können die Daten qualitativ und unter den geeigneten technischen Voraussetzungen auch quantitativ erforscht werden. Gerade für das Luxemburgische bietet sich hier die Möglichkeit, anhand eines großen Korpus mehreren Forschungsfragen nachzugehen bzw. einen Phänomenkatalog wie den hiesigen zu analysieren. Durch die Ausbreitung des Luxemburgischen in den Schriftbereich stehen immer mehr Textquellen zur Verfügung, die für die empirische Sprachwissenschaft nutzbar gemacht werden können. Auf diese Weise können in verhältnismäßig kurzer Zeit viele authentische Daten zusammengetragen werden (in diesem Fall 61,8 Millionen Wortformen). Für ein solches Korpus sind weder Informantenakquise noch Pre-Tests oder Transkriptionen zur Generierung von Datenmaterial nötig.18

117Bei der Interpretation bzw. dem Ableiten von Regeln ist allerdings zu beachten, dass ein Korpus immer nur eine Stichprobe des Sprachgebrauchs darstellt. Ein Nachteil des Korpus besteht also in der Zufälligkeit des sprachlichen Materials, wodurch es bei bestimmten Einzelphänomenen zu einer ungenügenden Datenabdeckung kommen kann.19 Darüber hinaus liefert ein Korpus keine negative Evidenz für bestimmte grammatische Strukturen. Seiler (2010: 513) weist darauf hin, dass Korpora nicht aufzeigen können, welche Konstruktionen nicht vorkommen. Demnach sind Aussagen zu Nichtgrammatikalität von Konstruktionen nur mit entsprechender Vorsicht zu formulieren bzw. durch ergänzende Sprecherbefragungen abzusichern.

118An diese Problematik schließt sich auch die Frage an, wie viele Belege nötig sind, um auf eine syntaktische Regularität hinzudeuten (vgl. Lemnitzer & Zinsmeister 2006: 56). Da es sich hier um einen explorativen Zugriff auf eine große unstrukturierte Datenmenge handelt, werden in dieser Arbeit hauptsächlich erste Kategorisierungen, Tendenzen und Varianten dargelegt. Einzelne quantitative Auswertungen können dabei helfen, Verteilungen zu erklären und Muster abzuleiten. Im Prinzip besteht das Risiko voreiliger struktureller Generalisierungen bei fast allen empirischen Analysemethoden, sodass dieses Problem nicht auf die hier gewählte Methode reduziert werden kann (zur Problematik der Dokumentation von Sprache in Bezug auf den Erkenntnisgewinn in der Linguistik vgl. u.a. Lemnitzer & Zinsmeister 2006: 14-39; Lehmann 2007). Vielmehr bietet das Korpus die Möglichkeit, Strukturen zu analysieren und zu vergleichen, um die Grundprinzipien der luxemburgischen Syntax nach und nach freizulegen.

119Um einen Teil dieser Problematik aufzulösen, wurden bei Einzelphänomenen kleine informelle mündliche Befragungen mit sechs Sprecherinnen durchgeführt. Diese Befragungen sind nicht als solides Forschungssetting zu verstehen, sondern dienen lediglich als Ergänzung der Korpusdaten, wodurch bestimmte Erkenntnisse der empirischen Analyse an Aussagekraft gewinnen. Befragt wurden in diesem Fall jeweils sechs Muttersprachlerinnen im Alter von 30 bis 70 Jahren. Die jeweiligen Ergebnisse werden in der Arbeit entsprechend gekennzeichnet.

120Methodische Hürden entstehen des Weiteren durch die technischen Voraussetzungen des Korpus. Da die Daten als rohes Textkorpus vorliegen, können bestimmte Fragestellungen nicht hinreichend analysiert und müssen teilweise als offene Fragen formuliert werden. Dies ist vor allem problematisch für eine syntaktische Untersuchung, denn je komplexer die Konstruktion, desto schwieriger die Suchanfrage in einem nicht annotierten Korpus. Lemnitzer & Zinsmeister (2006: 37) schreiben dazu:

Erschwerend kommt hinzu, dass in den Korpora nach relativ komplexen Konstruktionen aus lexikalischen und grammatischen Elementen, die hohe Variabilität haben können, gesucht werden muss. Dem sind die meisten Korpusabfragesprachen nicht gewachsen. Die Benutzung eines Korpus gleicht also oftmals der Suche nach einer Nadel im Heuhaufen. (L. & Z. 2006: 37)

121Die „Suche nach einer Nadel im Heuhaufen“ geht in vielen Fällen mit einem gewissen zeitlichen Aufwand einher, da die meisten Korpusabfragen manuell gefiltert werden müssen. Als Resultat bleibt allerdings immer noch eine erhebliche Menge an analysierbarem Material, das als Grundlage einer syntaktischen Beschreibung dienen kann, sodass diese methodische Hürde nicht unüberwindbar ist.

122Aufgrund der Anonymität der Korpusdaten können keine Sprecherprofile erstellt werden, d. h. Hypothesen aufgrund sozio-demografischer Angaben wie Alter, Geschlecht oder Wohnort können nicht aufgestellt werden. Dies geht unter anderem mit der Anonymität der Internetkommunikation einher. Dadurch können keine Angaben zu dialektaler Variation oder anderen sprachlichen Diasystemen im Luxemburgischen gemacht werden. Dies entspricht jedoch auch nicht dem zentralen Forschungsziel dieser Dissertation.

123Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass eine korpusgestützte Herangehensweise die beste Möglichkeit bietet, eine erste Kategorisierung unterschiedlicher Phänomene der luxemburgischen Syntax vorzunehmen. Die Arbeit mit einem Korpus hebt somit den methodischen Anspruch einer strukturellen Sprachbeschreibung, denn obwohl die meisten traditionellen Grammatiken morphologische und syntaktische Prinzipien als Regeln festhalten, offenbart ein Korpus den tatsächlichen Gebrauch und zum Teil neue Zusammenhänge morphologischer und syntaktischer Strukturen (vgl. Lehmann 2007).

4 Kleine Wortarten- und Flexionslehre des Luxemburgischen

„Sätze und andere syntaktische Einheiten sind ja nicht Folgen von Wörtern, sondern von Wortformen. Die Wortformen bilden in einer flektierenden Sprache [...] Flexionsparadigmen [...].“ (Eisenberg 2016a: 18)

124Dieses Grundlagenkapitel ebnet den Weg für eine syntaktisch-distributionelle Analyse. Die Darstellungen sind in erster Linie deskriptiv und beziehen sich auf das synchrone Formeninventar des Gemeinluxemburgischen. Dazu werden die wichtigsten Wortarten, Kategorien und Paradigmen vorgestellt. Die hier vorgenommene Einteilung in flektierbare und nicht flektierbare Wortarten ist in zahlreichen Grammatiken und Nachschlagewerken zu finden und dient als struktureller Leitfaden für das vorliegende Kapitel (vgl. u.a. Pittner & Berman 2004; Dudengrammatik 2006; Eisenberg 2016a). Die genaue Einteilung der Wortarten kann der folgenden Abbildung entnommen werden.

Abbildung 4: Wortartenunterteilung nach morphologischen Kriterien (vgl. Pittner & Berman 2004: 15)
Abbildung 4: Wortartenunterteilung nach morphologischen Kriterien (vgl. Pittner & Berman 2004: 15)

4.1 Substantive

125Das luxemburgische Substantiv ist in Bezug auf Kasus unterspezifiziert, sodass eigentlich nur noch Numerus (Singular, Plural) am Nomen markiert wird (vgl. Bruch 1955: 45f.). Die Genuszuweisung (Maskulinum, Neutrum, Femininum) ist beim Substantiv inhärent. Bei der Pluralmarkierung ist vor allem der Umlaut ein häufig verwendetes Mittel und weist dabei zahlreiche Vokalwechsel auf, wie bei den folgenden Beispielsubstantiven: Daach – Diecher (Mask.) ‚Dach/Dächer’, Rass – Rëss (Mask.) ‚Riss/Risse’, Kou – Kéi (Fem.) ‚Kuh/Kühe’, Duch – Dicher (Neutr.) ‚Tuch/Tücher’ (vgl. auch Nübling 2006a; 2008: 221; Schanen & Zimmer 2012: 101f.).

126Zur Pluralmarkierung stehen die folgenden morphologischen Mittel zur Verfügung:

127

128Die folgende Tabelle zeigt überblicksartig die morphologischen Mittel der Pluralbildung für die eben aufgeführten Beispiele.

SingularPluralmorph. Mittel
MaskulinaDaachDiecherLautwechsel +{er}
EcranEcranenLautwechsel +{en}
NeutraHausHaiserLautwechsel +{er}
SchwäinSchwäin Ø
FemininaKouKéiLautwechsel
FläschFläschenLautwechsel +{en}
Tabelle 7: Pluralbildung beim luxemburgischen Substantiv (exemplarisch)

4.2 Artikel und Pronomen

129In vielen Grammatiken werden Artikel und Pronomen nicht ausreichend voneinander getrennt, dabei sind sie formal und vor allem auch syntaktisch voneinander abzugrenzen. Artikel treten immer zusammen mit einem Substantiv auf und übernehmen dabei mehrere Funktionen: Aus informationsstruktureller Sicht dienen sie dazu, den Referenten näher zu bestimmen, sie zeigen Kasus und Genus an und sie bilden das eröffnende Element einer Nominalklammer (vgl. Ronneberger-Sibold 1994;2010). Pronomen stehen – wie der lateinische Name verrät – anstelle eines Nomens, sodass ein Pronomen im Gegensatz zum Artikel alleine eine NP bilden kann. Eine Übersicht aller Artikel und Pronomen mitsamt ihren Funktionen im Luxemburgischen zeigt die folgende Tabelle (Kategorien und Darstellung angelehnt an Dudengrammatik 2006: 259ff.; Musan 2013: 17).

Funktionlux. ArtikelÜbersetzunglux. PronomenÜbersetzung
definitden, d’der, die
indefiniten, eng,
iergendwellech,
e puer,
vill,
munch,
all
ein, eine,
irgendwelche,
ein paar,
viele,
manche
alle
een,
keen,
jiddwer een,
eppes, näischt,
villes, alles,
munches
einer/man,
keiner /niemand,
jeder
etwas, nichts
vieles, alles
manches
demonstrativdësen, deendieser, derdëst, datdieses, das
referentiellech, du, hien, hatt, si, mir, dir, siich, du, er, es, sie, wir, ihr, sie
reflexivmech, dech, sech, eis, iechmich, dich, sich, uns, euch
reziprokPräp.+{-eneen} een deen aneren, sechPräp.+{-einander}, einer den anderen, sich
partitivdär, däersvon diesem/ solchedär/der, däers/esdavon, welche
possessivmeng, säinmeine, seinmäint, sengmeins, seine
interrogativwéi een,
wat fir eng
welcher,
was für eine
wéi eent, wat, wien, wiemwelches, was, wer/wen, wem
relativdéi, deen, watdie, den, was
Tabelle 8: Funktionen von Artikeln und Pronomen

130Die funktionalen Bereiche sind mitunter schwierig voneinander zu trennen (definit vs. demonstrativ) oder unklar als Konzept („referentiell“ als Funktion von Personalpronomen). Nichtsdestotrotz zeigt Tabelle 8, dass Pronomen und Artikel in unterschiedlicher Gestalt identische Funktionen ausüben können und sich auch teilweise formal überschneiden.

131Im Folgenden werden nun einige dieser Bereiche näher betrachtet: der definite, demonstrative und indefinite Artikel, Personalpronomen, Indefinita, Possessiva sowie Interrogativa und Relativa. Die ausführliche Auseinandersetzung mit den Partitivstrukturen im Luxemburgischen befindet sich in Kapitel 5.3.

Artikel: definit, demonstrativ, indefinit

132Das Artikelparadigma in der folgenden Tabelle zeigt alle Flexionsformen des bestimmten Artikels in seiner starken (links) und in seiner schwachen Form (rechts).

MaskulinumNeutrumFemininumPlural
Nom/Akkdeen20/ dendat / d’déi / d’
Datdeem / dem / emdär / derdeenen / den
Tabelle 9: Paradigma des definiten Artikels (stark und schwach)

133Durch die Kasusnivellierung im nominalen Bereich wird die Kasusmarkierung im Luxemburgischen vornehmlich über den Artikel realisiert. Auffällig ist dabei der Formzusammenfall von Nominativ und Akkusativ, wobei die Nominativform durch die Akkusativform verdrängt wurde (Bruch 1955: 44).21 Die Unterscheidung Nominativ vs. Akkusativ besteht nur noch als Tiefenkasus.22 Aus diesem Grund zeigen die meisten der hier vorgestellten Paradigmen zwei Kasusformen: [Nom/Akk] und [Dativ].

134Der starke Definitartikel kann auch die Rolle eines Demonstrativartikels übernehmen. Zur Verdeutlichung können die postnominalen Lokaladverbien hei (‚hier’, nähedeiktisch) oder do (‚da’, ferndeiktisch) hinzugefügt werden:23 dee Bréif hei ass net geduecht fir ze stëppelen ‚der Brief hier ist nicht zum Provozieren gedacht’ oder Wie bezuelt dann déi Rechnung do? ‚Wer zahlt denn die Rechnung da?’.

135Bei deiktischer Referenz kann auch ein „typischer“ Demonstrativartikel verwendet werden: dësen Text ass d’Resultat vu ganz vill Aarbecht ‚dieser Text ist das Ergebnis von sehr viel Arbeit’.24 Das Paradigma ist in der folgenden Tabelle abgebildet.

MaskulinumNeutrumFemininumPlural
Nom/Akkdësendëstdësdës
Datdësemdëserdësen
Tabelle 10: Paradigma des Demonstrativartikels

136Die Demonstrativartikel sind auf der Formseite identisch mit den Demonstrativpronomen: dëst Zitat kennen ech net ‚dieses Zitat kenne ich nicht’, dëst ass éischter onwahrscheinlech ‚dies ist eher unwahrscheinlich’.

137Der indefinite Artikel lautet im [Nom/Akk] een für Maskulinum und Neutrum und eng für Femininum. Nur die Form {een} verfügt über eine schwache Form. Tritt ein Dativsuffix {-em} an die Grundform im Maskulinum oder Neutrum verändert sich der Stamm von {een} zu {eng}. Im Femininum wird im Dativ {-er} angehängt.

MaskulinumNeutrumFemininumPlural
Nom/Akkeen / enengØ25
DatengemengerØ
Tabelle 11: Paradigma des indefiniten Artikels

138Der starke Indefinitartikel een oder eng ist identisch mit dem numeralen Determinierer ‚eins’. Die schwache Variante en hingegen kann nicht als Zahlwort verwendet werden und existiert nur als unbestimmter Artikel.

139Die unterschiedlichen Funktionen (Zahlwort oder Indefinitartikel) können auch anhand der Satzprosodie festgemacht werden. Zur Verdeutlichung des Satzakzents (durch kontrastive Lesart) werden die entsprechenden Kontexte in Klammern angegeben. Der unterstrichene Teil trägt jeweils den Satzakzent.

140(1)a) Et war just nach eng Fläsch Äppeljus do. (keng dräi)
Es war nur noch eine Flasche Apfelsaft da. (keine drei)
b) Et war just nach eng Fläsch Äppeljus do. (kee Waasser)
Es war nur noch eine Flasche Apfelsaft da. (kein Wasser)

141Eine Besonderheit im Luxemburgischen ist das Einsetzen des Indefinitartikels im Femininum Singular (eng) für pluralische Mengenangaben. Bei Schätzungsangaben für Mengen- oder Zeitwerte besteht die Möglichkeit, den Femininumartikel eng vor ein Substantiv im Plural zu setzen, vorausgesetzt das Nomen wird von einer Kardinalzahl begleitet (vgl. Schanen & Zimmer 2012: 112): eng 300 Leit (‚fast 300 Leute’), eng 10 Minutten (‚circa 10 Minuten’), eng 45 Gramm Marihuana (‚fast 45 Gramm Marihuana’). Wird die NP durch ein Adjektiv begleitet, flektiert dieses nach dem Artikel (Femininum Singular) und nicht nach dem Plural-Nomen: no enger gudder 15 Minutten ‚nach guten 15 Minuten’.

142Das Zahlwort zwee ‚2’ flektiert im Luxemburgischen nach Genus, jedoch nicht nach Kasus (keine Numerusflexion durch inhärenten Plural). Bei Maskulina exisitert noch die (ältere) Form zwéin, die allerdings nach und nach von der Form zwee verdrängt wird (Zusammenfall mit Neutrum).

MaskulinumNeutrumFemininum
zwee (ältere Form: zwéin)zweezwou
Tabelle 12: Flexion des Zahlworts zwee ‚zwei’

Personalpronomen

143Das Flexionsparadigma der Personalpronomen gliedert sich nach drei Personen (1.,2.,3.), drei Kasus (Nominativ, Akkusativ, Dativ), zwei Numeri (Singular, Plural) und die Formen der dritten Person Singular zusätzlich nach Genus (Maskulinum, Neutrum, Femininum). Viele Formen verfügen über eine starke und schwache Variante (zur Vertiefung und Problematisierung der Kategorien vgl. Kapitel 6).

Num.Pers.GenusNominativAkkusativDativ
Sg.1.echmech mir / mer
2.du / dedechdir / der
3.Mask.hien / enhim / em
Neutr.hatt / et / ‘t
Fem.si / sehir / er
Pl.1.mir / mereis~ons
2.dir / deriech
3.si / sehinnen / (en)
Tabelle 13: Personalpronomen
144
  • 1. und 2. Person Singular

145Die Formen ech (Nominativ), mech und dech (Akkusativ) können nicht weiter reduziert werden. In gesprochenen Kontexten kann die starke Form ech [əɕ] zu ch [ɕ̩] getilgt werden. Eine grafische Umsetzung dieser Reduktion kommt nur in wenigen, stilistisch markierten Kontexten vor, etwa im Jugendchat: chkann sou net schaffen ‚ich=kann so nicht arbeiten’.

146Die Nominativform du/de und die Dativpronomen mir/mer sowie dir/der verfügen jeweils über eine starke und eine schwache Variante: Wosst [du/de] dat schonn? ‚Wusstest du das schon?’. Dat ass [mir/mer] egal ‚Das ist mir egal’.

147
  • 3. Person Singular

148Das Paradigma in Tabelle 13 zeigt, dass – wie bei den Substantiven – die Formen der 3. Person Singular im Nominativ und Akkusativ übereinstimmen (vgl. Bruch 1955: 45). Da die Personalpronomen der 3. Person Singular meistens einen phorischen Charakter haben, werden sie zusätzlich nach Genus differenziert. Insgesamt gibt es für die 3. Person Singular drei verschiedene Pronomen (Maskulinum, Neutrum, Femininum) in einer starken und einer schwachen Variante (bei Neutrum zwei schwache Formen): hien/en, hatt/et/’t und si/se.

149Die schwachen Formen im Neutrum et/‘t haben weitere besondere Funktionen, die in der folgenden Tabelle zusammengefasst sind (angelehnt an Dudengrammatik 2006: 830f.).

synt. Funktion von et/‘tBeispiel
PersonalpronomenEt ass immens spannend (d’Buch). ‚Es ist sehr spannend (das Buch).’
PseudoaktantEt ass kal ginn. ‚Es ist kalt geworden.’
KorrelatEt nervt, dass alles sou deier ass. ‚Es nervt, dass alles so teuer ist.’
Vorfeld-DummyEt gëtt vill geklaut. ‚Es wird viel geklaut.’
Tabelle 14: Syntaktische Funktionen von et/‘t (3. Pers.Sg.Neutr.)
150
  • 1. und 2. Person Plural

151Die Personalpronomen der 1. und 2. Person Plural zeigen identische Formen für den Dativ und den Akkusativ: eis~ons, iech. Diese Formen können nicht weiter reduziert werden. Eine weitere Besonderheit ist der Synkretismus zwischen den Nominativformen mir/mer und dir/der mit den Dativformen der 1. und 2. Person Singular.26 Bei den beiden Formen eis~ons handelt es sich um ehemalige dialektale Varianten (vgl. Krier 2002: 45; Bruch 1963, Karte 84). Bei Schanen & Zimmer (2012: 108) gelten sie als koexistierende Varianten.

152
  • 3. Person Plural

153Die Formen si/se referieren auf Plurale (ohne Genusunterscheidung). Aus formaler Perspektive sind sie identisch mit der Femininumform der 3. Person Singular. Das schwache Pronomen en erscheint nur selten und oft in Begleitung von pluralischen Attributen: mat en alleguer ‚mit ihnen allen’.

154Eine tiefere Auseinandersetzung mit den Personalpronomen und ihren syntaktischen sowie semantischen Eigenschaften (Referenzspektren, Klitisierung, Serialisierung) befindet sich in den Kapiteln 6 und 7.

Possessiva

155Das, was in der Linguistik oft als „Possession“ beschrieben wird, behandelt weitaus mehr als nur Besitzrelationen (Possession). Im eigentlichen Sinn handelt es sich um verschiedene Arten von Zugehörigkeitsrelationen: Teil-von-Beziehungen, Teil-Ganzes-Beziehungen, Verwandtschaftsrelationen, Macht- oder Urheberrelationen, Besitzverhältnisse usw. Da der Begriff Possession allerdings häufig als Oberkategorie verstanden wird, wird dieser Begriff im Folgenden stellvertretend für mehrere Relationskonzepte verwendet (nähere Informationen finden sich in Kapitel 5.2).

156Das zugrundeliegende funktionale Prinzip der Possession kann wie folgt generalisiert werden: A (Possessum) steht in relationalem Verhältnis zu B (Possessor). Adnominale Possession kann im Luxemburgischen auf unterschiedliche Weise ausgedrückt werden:

157
  • Possessivartikel und -pronomen (deng ‚deine’, mäint ‚meins’)
  • possessiver Dativ (dem Pol säi Buch ‚Pauls Buch’)
  • vun-PP (d’Buch vum Pol ‚das Buch von Paul’)

158Possessivartikel werden wie reguläre Definitartikel verwendet und markieren Bestimmtheit oder Bekanntheit des bezüglichen Substantivs (vgl. Dudengrammatik 2006: 284). Possessivpronomen und ‑artikel sind im Luxemburgischen weitestgehend formgleich (bis auf das t-Suffix bei neutralen Possessivpronomen, vgl. Tabelle 15 und 16). Darüber hinaus gibt es bei diesen Pronomen und Artikeln keine starken und schwachen Varianten.

159(2)Dat ass hiert Buch. Ech fanne mäi Buch net.
‚Das ist ihr Buch. Ich finde mein Buch nicht.’

160(3)Ech hu mer hiert geléint, well ech mäint net fonnt hunn.
‚Ich habe mir ihres geliehen, weil ich meins nicht gefunden habe.’

161Unter dem Aspekt der Flexionskategorien (Numerus, Person, Genus und Kasus) besteht die Darstellung des Possessivartikels und des -pronomens aus zwei Tabellen, die nach Kasus unterteilt sind: Neben den Kategorien Numerus, Person und Genus wurde aus Gründen der Übersichtlichkeit eine Spalte für das korrespondierende Personalpronomen hinzugefügt, auch wenn sich diese aus den Flexionskategorien ableiten ließen.

Num.Pers.GenusPers.-Pro.Possessivartikel
(Mask. - Neutr. - Fem./Pl.)
Possessivpronomen
(Mask. - Neutr. - Fem./Pl.)
Sg.1.echmäin - mäin - mengmäin - mäint - meng
2.dudäin - däin - dengdäin - däint - deng
3.Mask.hiensäin - säin - sengsäin - säint - seng
Neutr.hattsäin - säin - sengsäin - säint - seng
Fem.sihiren - hiert - hir
Pl.1.mireisen - eist - eis
2.dirären - äert - är
3.sihiren - hiert - hir
Tabelle 15: Possessiva (Nom/Akk)
Num.Pers.GenusPers.-Pro.Possessivartikel
(Mask. - Neutr. - Fem. - Pl.)
Possessivpronomen
(Mask. - Neutr. - Fem. - Pl.)
Sg.1.echmengem - mengem - menger - mengen
2.dudengem - dengem - denger - dengen
3.Mask.hiensengem - sengem - senger - sengen
Neutr.hattsengem - sengem - senger - sengen
Fem.sihirem - hirem - hirer - hiren
Pl.1.mireisem - eisem - eiser - eisen
2.dirärem - ärem - ärer - ären
3.sihirem - hirem - hirer - hiren
Tabelle 16: Possessiva (Dat)

162Beispiel (4) zeigt, wie die Zuweisung der grammatischen Eigenschaften von Possessor und Possessum im Satz angewendet werden. Der zugrunde liegende Possessor gibt die Grundform des Possessums vor und die strukturellen Kasus-, Numerus- und Genusmerkmale resultieren aus dem syntaktischen Kontext.

163(4)Du kanns däin Account net selwer läschen. (Chat)
‚Du kannst deinen Account nicht selbst löschen.’
Possessor: du (2.Pers.Sg.)
Possessum:
Account (Mask.Sg.)
syntaktischer Kontext: Objekt zu läschen ‚löschen’ (Akkusativ)

164Das Verhältnis zwischen Possessor und Possessum spielt auch bei der possessiven Dativkonstruktion eine zentrale Rolle. Diese und weitere Possessivkonstruktionen werden ausführlicher in Kapitel 5.2 besprochen.

Indefinita

165Im Luxemburgischen gibt es verschiedene Möglichkeiten, Indefinitheit zu markieren. Hierzu zählen eine Reihe an Pronomen und Artikeln, die in der folgenden Tabelle aufgelistet sind.

lux. IndefinitumÜbersetzungBemerkung
eenjemand
man
In der Bedeutung von ‚man’ ist een nicht vorfeldfähig.
keenniemand
keen / kengkeinohne Schwa-Variante
eppesetwas
näischtnichts
iergend een / eppes /-wel(le)ch /-wéiirgendjemand /
-etwas / -welche / -wie
möglich in mehreren Verbindungen, teilweise lautlich abgewandelt: iergendwuer > anzwousch ‚irgendwo(hin)’
munch / munchereen / munchesmanchART /
mancheinerPRO /
manchesPRO
Artikelvariante munnech
etlechetlichAuch mit vorangestelltem Indefinitartikel en / eng.
vill / méi / am meeschtenvielSteigerungsformen
wéineg / manner / am mannstenwenigSteigerungsformen
e bëssen / e bëssi / e bësselchenein bisschen
e puerein paar
jiddwer / jiddwer eenjederART / jederPRO
all / alleguer(ten)jederART / allePRO
allesamt
allesallestritt auch unflektiert auf: mat alles.27
Tabelle 17: Indefinita

166Mitunter werden auch Indefinitpronomen und -artikel nach standarddeutschem Muster verwendet. In den Korpusdaten etwa tritt das Indefinitpronomen eineges sieben Mal auf (et huet zwar sou eineges drop ‚sie hat allerdings so einiges drauf’). Auch der Indefinitartikel jeglech hat 53 Treffer: fern vu jeglecher Realitéit ‚fern von jeglicher Realität’.

Interrogativa und Relativa

167Im Luxemburgischen stehen unterschiedliche Fragepronomen (w-Wörter) zur Verfügung, je nachdem, auf welchen Bereich sie verweisen (lokal, kausal, usw.). Interrogativpronomen und -artikel können darüber hinaus auch Subjekt-, Objekt- oder Adverbialsätze einleiten (Typ: ech froe mech, wéi laang dat dauert ‚ich frage mich, wie lange das dauert’).

Bereichlux. InterrogativaÜbersetzung
PersonwienNOM/AKK / wiemDATwer / wen / wem
Objekt / Identifizierungwatwas
Ortwouwo
Zeitwéiniwann
Zielwuer / wouhin(ner)28wohin
Grundw(é)isou / firwatwieso / warum
Qualität/Modalitätwéiwie
Quantität/Modalität (+ Adv)wéi laang / wéi grousswie lang / wie groß
Identifizierungwéi een / welch~wellech / wat firwelche / was für
Ort / Instrument / ...
(interrogative Präpositionaladverbien)
wouvun(ner) /
wouduerch(er) /
wouran(ner)
wovon / wodurch / worin
Tabelle 18: Interrogativa

168Die w-Pronomen wien, wat, wéi und wou können auch (freie) Relativsätze einleiten. Sie können dabei als phorisches Pronomen auf ein Null-Element (5), ein Bezugsnominal (6) oder auf einen ganzen Satz (7) referieren.

169(5)Ø (=do) wou hien ass, schéngt d’Sonn
Ø (=da) wo er ist, scheint die Sonne

170(6)dat Buch, wat am meeschte kaaft ginn ass
das Buch, was am meisten gekauft worden ist

171(7)Hien ass gutt ukomm, wat mech freet.
er ist gut angekommen, was mich freut

172Zur Relativsatzeinleitung werden allgemein die von den starken Definitartikeln abgeleiteten Relativpronomen deen/déi/dat verwendet, die nach nominalen Kategorien (Genus, Numerus, Kasus) flektiert werden, wie die folgende Tabelle zeigt.

Mask.Neutr.Fem.Pl.
Nom/Akkdeendatdéidéi
Dativdeemdeemdärdeenen
Tabelle 19: Relativpronomen

173Die Wahl der Relativsatzeinleitung beruht einerseits auf den grammatischen Eigenschaften des Bezugsnominals im Matrixsatz (Genus und Numerus) und andererseits auf der syntaktischen Funktion im Nebensatz (Kasus).

174(8)dat Buch, dat ech liesen
das Buch, das ich lese
Bezugsnominal: d’Buch = Neutr.Sg. dat
synt. Funktion: ech liesen [d’Buch] = Akk dat

175Ein Relativpronomen, das im Standarddeutschen im Genitiv stehen würde, wird im Luxemburgischen in den meisten Fällen mit einem possessiven Dativ (Relativpronomen im Dativ + Poss.-Artikel) ausgedrückt (vgl. Kapitel 5.2).

176(9)de Client, deem seng Heizung ausgefall ass (Internet)
der Kunde, dem seine Heizung ausgefallen ist

177Relativsatzeinleitungen, die aufgrund der Nebensatzstruktur in eine Präpositionalkonstruktion eingebettet sind, können entweder in der Kombination Präposition+Relativpronomen (vun deenen ‚von denen’, vgl. (10)) auftreten oder anhand eines interrogativen Präpositionaladverbs (wouvun(ner) ‚wovon’) gebildet werden. Letzteres wird häufig für freie Relativsätze gewählt (vgl. (11)), kann sich aber auch auf ein Bezugsnominal beziehen (vgl. (12)).

178(10)Gebaier, vun deenen 1986 eng Partie zu der Weltierfschaft vun der UNESCO opgeholl gi sinn (Internet)
Gebäude, von denen 1986 eine Reihe zum Weltkulturerbe von der Unesco aufgenommen worden sind

179(11)bei der Douane hätt et e gewëssene Laxissem ginn, wouvun den Ugeklote profitéiert hätt (Online-News)
beim Zoll hätte es eine gewisse Fährlässigkeit gegeben, wovon der Angeklagte profitiert hätte

180(12)e Koup Statuen an Tounmaterial [...], wouvun der haut e puer am Louvre zu Paräis ausgestallt sinn. (Internet)
ein Haufen Statuen und Tonmaterial [...], wovon PRTV heute ein paar im Louvre in Paris ausgestellt sind.

181In der westgermanischen Forschung zu den Relativsatzeinleitungen hat vor allem die Partikel wo großes Interesse hervorgerufen, da sie ganze Relativpronomenparadigmen ersetzen kann (vgl. Zifonun et al. 1997: 42). Viele alemannische Dialekte verwenden die nicht flektierbare Partikel wo als universelle Relativsatzeinleitung (vgl. u.a. Heitzler 1975; Noth 1993).

182Eine komplette Austauschbarkeit zwischen Relativpronomen und wou ‚wo’ liegt im Luxemburgischen nicht vor. Allerdings gibt es Kontexte, in denen Relativsätze mit wou ‚wo’ eingeleitet werden können – häufig als Alternative zu Präposition+ Relativpronomen (so auch im Deutschen, vgl. Dudengrammatik 2006: 1041).

183(13)eng Plaz wou Leit sech begéinen an austauschen (Online-News)
ein Ort wo Leute sich begegnen und austauschen

184(14)op der Plaz, op där d'Schlass stoung (Internet)
an dem Ort, an dem das Schloss stand

185Wou hat in diesem Fall lokaldeiktischen Charakter und kann zum Teil auch auf andere Bereiche (z.B. bei temporalem Bezug) metaphorisch ausgeweitet werden (vgl. auch Zifonun et al. 1997: 42; Eisenberg 2016b: 276f.). Eine solche lokal-temporale Verwendung zeigt sich bei dem folgenden Beleg mit dem Bezugsnomen Zäit ‚Zeit’.

186(15)eng Zäit wou Europa eng gewësse Stabilitéit kannt huet (Politik)
eine Zeit wo Europa eine gewisse Stabilität gekannt hat

187Dennoch finden sich auch Beispiele, bei denen der Relativsatz ohne lokal-temporale Lesart mit wou eingeleitet wird. Diese Relativsatzeinleitung mit wou wird jedoch nicht von allen Muttersprachlern akzeptiert.

188(16)ass hei en leiwt meedchen wou mat mer chatten well? (Chat)
ist hier ein liebes mädchen wo mit mir chatten will?

189(17)Also eng Saach wou bei Nikon ganz flott ass (Internet)
Also eine Sache, wo bei Nikon ganz schön ist

4.3 Adjektive

190Für die Deklination von Adjektiven ist zunächst der distributionelle Aspekt wichtig, da nur attributive Adjektive flektiert werden. Bei den attributiven Adjektiven ist die Unterscheidung zwischen starker, gemischter sowie schwacher Flexion größtenteils abgebaut. Bis auf das starke Suffix {-em} im Dativ Singular bei artikellosen Maskulina und Neutra gelten durchgehend die gleichen Adjektivendungen, sodass ein einziges Übersichtsparadigma ausreicht, um die jeweiligen Flexive zu klassifizieren.

MaskulinumNeutrumFemininumPlural
Nom/Akk-en-t
Dat-ensw/ -emst-er-en
Tabelle 20: Flexive am Adjektiv

191Die folgenden Beispiellisten zeigen die Flexionsendungen des attributiven Adjektivs innerhalb einer NP (mit den Substantiven Erfolleg ‚Erfolg’ und Fräiheet ‚Freiheit’) mit wechselndem Artikel (Ø, definit, indefinit, demonstrativ, Präp.+definit, Präp.+Ø).

Ø [groussen]NOM/AKKErfolleg‚Ø großer Erfolg’
de [groussen]NOM/AKKErfolleg‚der große Erfolg’
e [groussen]NOM/AKKErfolleg‚ein großer Erfolg’
dëse [groussen]NOM/AKKErfolleg‚dieser große Erfolg’
un deem [groussen]DAT_SWErfolleg‚an dem großen Erfolg’
mat Ø [groussem]DAT_STErfolleg‚mit großem Erfolg’
Tabelle 21: Adjektivflexion bei Maskulinum Singular
Ø [grouss]NOM/AKKFräiheet‚Ø große Freiheit’
d’ [grouss]NOM/AKKFräiheet‚die große Freiheit’
eng [grouss]NOM/AKKFräiheet‚eine große Freiheit’
dës [grouss]NOM/AKKFräiheet‚diese große Freiheit’
un der [grousser]DATFräiheet‚an der großen Freiheit’
mat Ø [grousser]DATFräiheet‚mit großer Freiheit’
Tabelle 22: Adjektivflexion bei Femininum Singular

192Der Komparativ wird bis auf einzelne Ausnahmen analytisch realisiert. Hierzu wird das Adverb méi ‚mehr’ vor das Adjektiv gestellt (méi hell ‚heller’). Zur Bildung des Superlativs wird das Suffix {-sten} an das Adjektiv angehängt (hellsten). Manche Adjektive müssen dabei umgelautet werden. Bei prädikativ und adverbial verwendeten Adjektiven wird noch die Präposition am ‚am’ davorgestellt. Bei attributiven Adjektiven, die ein Nomen im Neutrum (Sg.), Femininum (Sg.) oder Plural begleiten, besteht die Möglichkeit, das en-Suffix im Superlativ zu tilgen (déi gréisst(en) Eeër ‚die größten Eier’).

schéinméi schéin(am) schéinsten‚schön’
neiméi nei(am) neisten‚neu’
ellenméi ellen(am) ellensten‚hässlich’
waarmméi waarm(am) wäermsten‚warm’
Tabelle 23 analytische Adjektivsteigerung

193Synthetische Steigerungsformen zeigen sich bei gutt und der Steigerung bestimmter Adverbien.

guttbesser(am) beschten‚gut’
wéinegmanner(am) mannsten‚wenig’
villméi(am) meeschten‚viel’
gärléiwer(am) léifsten‚gerne’
Tabelle 24 synthetische Adjektivsteigerung

194Bestimmte Adjektive variieren zwischen einem analytischen (méi) und einem synthetischen Komparativ.

aleeler // méi al(am) eelsten‚alt’
groussgréisser // méi grouss(am) gréissten‚groß’
laanglänger // méi laang(am) längsten‚lang’
Tabelle 25 Adjektive mit analytischer und synthetischer Steigerung

195Die beiden Komparative sind in den meisten Fällen funktional zu differenzieren: eng gréisser Alkoholskontroll etwa steht für eine ‚umfangreiche Alkoholkontrolle’, wohingegen eng méi grouss Alkoholskontroll auf das Größenverhältnis eingeht und somit mit einer zuvor stattgefundenen Kontrolle verglichen wird. Zudem können Ansätze erkannt werden, in denen der synthetische Komparativ als Positiv refunktionalisiert wird. So kommt es mitunter zu Formen, bei denen der synthetische Komparativ (länger oder gréisser) in eine analytische méi-Konstruktion eingebaut wird.

196(18)viru méi länger Zäit (Online-News)
vor mehr längerer Zeit

197(19)wann éen geséit wéi schéin kleng oder méi gréisser Haiser einfach verfaulen geloss ginn (Online-Kommentar)
wenn man sieht, wie schöne kleine oder mehr größere Häuser einfach verfaulen gelassen werden

198Dabei spielt auch der syntaktische Gebrauch des Adjektivs eine wichtige Rolle: synthetische Komparative treten vor allem attributiv auf und nur selten prädikativ (dat ass eng länger Geschicht ‚das ist eine längere Geschichte’; déi Geschicht ass méi laang ‚die Geschichte ist mehr lang’). Durch Analogiebildung (oder einen eventuellen deutschen Einfluss) kann es auch zur Synthetisierung von Komparativen kommen, wie der folgende Beleg zeigt. Der Komparativ zu schlecht lautet im Luxemburgischen eigentlich méi schlecht.

199(20)Wat ass elo besser, wat schlechter? (Online-Kommentar)
Was ist jetzt besser, was schlechter?

200Nachdem nun die Substantive, Artikel und Adjektive aufgelistet wurden, folgen nun Paradigmen mit ganzen Nominalphrasen (mit definiten und indefiniten Artikeln sowie attributiven Adjektiven). Bemerkenswert ist in diesem Fall, dass die schwachen Nom/Akk-Artikel mit der Form d’ (Neutr.Sg./Fem.Sg./Pl.) dispräferiert werden, sobald die NP durch ein attributives Adjektiv ergänzt wird (vgl. Schanen & Zimmer 2012: 105).

NP im Maskulinum (Det-Adj-N) ‚der alte Hase’
def.indef.
Sg.Nom/Akkdeen/den alen Hueseen/en alen Hues
Datdeem/dem alen Huesengem alen Hues
Pl.Nom/Akkdéi al HuesenØ al Huesen
Datdeenen alen HuesenØ alen Huesen
Tabelle 26: Paradigma einer maskulinen NP
NP im Neutrum (Det-Adj-N) ‚das alte Pferd’
def.indef.
Sg.Nom/Akkdat aalt Päerdeen/en aalt Päerd
Datdeem/dem ale Päerdengem ale Päerd
Pl.Nom/Akkdéi al PäerdØ al Päerd
Datdeenen ale PäerdØ ale Päerd
Tabelle 27: Paradigma einer neutralen NP
NP im Femininum (Det-Adj-N) ‚die alte Kuh’
def.indef.
Sg.Nom/Akkdéi al Koueng al Kou
Datdär/der aler Kouenger aler Kou
Pl.Nom/Akkdéi al KéiØ al Kéi
Datdeenen ale KéiØ ale Kéi
Tabelle 28: Paradigma einer femininen NP

4.4 Verben

201Im Luxemburgischen gibt es verschiedene Verbtypen: Vollverben, Hilfsverben, Kopulaverben und Modalverben. Sämtliche Verben werden nach den folgenden Kategorien flektiert:29

202

203Vollverben können aufgrund morphophonologischer Kriterien in zwei Klassen geteilt werden: regelmäßige (ohne Vokalwechsel) und unregelmäßige (mit Vokalwechsel) Vollverben.31 Die Flexionsendungen sind für beide Typen identisch. Die nachfolgende Tabelle zeigt das Paradigma des regelmäßigen Verbs laachen ‚lachen’.

Indikativ Präsens
Pers.Sg.Pl.
1.ech laachen{-en}mir laachen{-en}
2.du laachs{-s}dir laacht{-t}
3.hien/hatt/si laacht{-t}si laachen{-en}
Indikativ Perfekt
Sg.Pl.
1.ech hu gelaachtmir hu gelaacht
2.du hues gelaachtdir hutt gelaacht
3.hien/hatt/si huet gelaachtsi hu gelaacht
Konjunktiv
Sg.Pl.
1.ech géif laachenmir géife laachen
2.du géifs laachendir géift laachen
3.hien/hatt/si géif laachensi géife laachen
Imperativ Laach!Laacht!Partizip II32 gelaacht
Tabelle 29: Konjugation des regelmäßigen Verbs laachen ‚lachen’

204Der starke Präteritumschwund führt im Luxemburgischen dazu, dass die meisten Verben nur noch über analytische Verfahren Vergangenheit und Konjunktiv anzeigen können (ech hu gelaacht ‚ich habe gelacht’, ech géif laachen ‚ich würde lachen’).

205Allein eine Reihe hochfrequenter unregelmäßiger Verben weist noch synthetische Präteritum- und Konjunktiv-II-Formen auf (vgl. Schanen & Zimmer 2012: 39f.): ech koum ‚ich kam’, ech louch ‚ich lag’, ech kéint ‚ich könnte’, ech séiz ‚ich säße’. Die folgende Tabelle zeigt das volle Paradigma des unregelmäßigen Vollverbs kommen.

Indikativ Präsens
Pers.Sg.Pl.
1.ech kommen{-en}mir kommen{-en}
2.du kënnsVokW +{-s}dir kommt{-t}
3.hien/hatt/si kënntVokW +{-t}si kommen{-en}
Indikativ Perfekt
Sg.Pl.
1.ech si kommmir si komm
2.du bass kommdir sidd komm
3.hien/hatt/si ass kommsi si komm
Indikativ Präteritum
Sg.Pl.
1.ech koumVokW +{Ø}mir koumenVokW +{-en}
2.du koumsVokW +{-s}dir koumtVokW +{-t}
3.hien/hatt/si koumVokW +{Ø}si koumenVokW +{-en}
Konjunktiv
Sg.Pl.
1.ech kéimVokW +{Ø}mir kéimenVokW +{-en}
2.du kéimsVokW +{-s}dir kéimtVokW +{-t}
3.hien/hatt/si kéimVokW +{Ø}si kéimenVokW +{-en}
Imperativ Komm!Kommt!Partizip II komm
Tabelle 30: Konjugation des unregelmäßigen Verbs kommen ‚kommen’

206Einige Verben verfügen nicht mehr über ein Präteritum, zeigen allerdings im Indikativ Präsens bei der 2. und 3. Person Singular einen Vokalwechsel, wodurch sie ebenfalls zu den unregelmäßigen Verben gehören. Zu diesen Verben mit Wechselflexion zählen u.a. bestueden ‚heiraten’, iessen ‚essen’ oder fueren ‚fahren’ (vgl. auch Nübling 2001): ech bestueden / du bestiits; ech iessen / du ëss; ech fueren / du fiers.

207Vollverben bilden die größte Verbklasse und unterliegen drei generellen Kriterien (vgl. Dudengrammatik 2006: 395):

208

209Es gibt allerdings auch Vollverben mit besonderen grammatischen Eigenschaften. Dazu gehören in erster Linie Vollverben, die einen Infinitiv regieren können wie Perzeptionsverben (mit AcI), loossen ‚lassen’ oder kausativ verwendetes doen ‚tun’.

210(21)Héiers de hie Piano spillen?
Hörst du ihn Klavier spielen?

211(22)An elo d’Kupplung lues komme loossen.
Und jetzt die Kupplung langsam kommen lassen.

212(23)Du dees mech laachen!
Du tust mich lachen!
‚du bringst mich zum Lachen’

213Die nächste große Verbklasse bilden die Hilfsverben. Sie helfen dabei, analytische Tempora, Konjunktiv oder Passiv zu bilden. Dabei stehen jeweils unterschiedliche Hilfsverben mit unterschiedlichen Funktionen zur Verfügung.

Tempus/Modus/ Genus verbiHilfsverbBeispielÜbersetzung
Perfektsinn, hunnech si gesprongen
ech hu gekacht
ich bin gesprungen’
ich habe gekocht’
Plusquamperfektsinn, hunnech war gesprongen
ech hat gekacht
ich war gesprungen
ich hatte gekocht
Futur
(temporal-modal)
wäertech wäert hie froenich würde/werde ihn fragen
Konjunktiv33ginn (géif)34
goen (géing)
ech géif hie froen
ech géing hie froen
ich würde ihn fragen
Passivsinn (Zustand)
ginn
(Vorgang)
kréien
(Rezipient)
d’Dier ass opgespaart
d’Dier gëtt opgespaart
hie kritt d’Dier opgespaart
die Tür ist aufgesperrt
die Tür wird aufgesperrt
er kriegt die Tür aufgesperrt
Tabelle 31: Übersicht der Hilfsverben für Tempus, Modus und Genus verbi

214Das Ansetzen des Futurs als Flexionskategorie ist im Luxemburgischen nicht unproblematisch. In den meisten Fällen wird Futur durch Präsens und ein entsprechendes Temporaladverbial (beispielsweise muer ‚morgen’) angezeigt. Das Hilfsverb wäert35 übt eine temporal-modale Funktion aus, d. h. dass wäert u.a. auf potentielle Ereignisse in der Zukunft verweisen kann (vgl. Braun et al. 2005: 22). Dass eine wäert-Konstruktion eine temporal-modale Lesart zulässt, soll an den folgenden Beispielen gezeigt werden.

215(24)a) Si gëtt hir Aufgab muer of. Bezug: temporal
Sie gibt ihre Aufgabe morgen ab.
b) Si wäert hir Aufgab muer ofginn. Bezug: temporal-modal
Sie wird ihre Aufgabe morgen abgeben.

216Bei (24)a) handelt es sich um eine Tatsache, die mit höchster Wahrscheinlichkeit eintreten wird. Satz (b) hingegen drückt einen Sachverhalt aus, der aufgrund bestimmter Informationen wahrscheinlich stattfinden wird. Der Gebrauch von wäert kann auch eine gewisse Skepsis des Sprechers gegenüber eines Sachverhalts verdeutlichen.36

217Kopulaverben dienen dazu, Elemente im Satz logisch-semantisch gleichzusetzen. Sie werden im Zusammenhang mit Prädikativstrukturen verwendet. Zu den wichtigsten luxemburgischen Kopulaverben gehören sinn ‚sein’, ginn ‚werden’ und bleiwen ‚bleiben’.

218(25)Hien ass / gëtt / bleift Schoulmeeschter.
Er ist / wird / bleibt Lehrer.

219In der folgenden Tabelle werden noch einmal alle Hilfsverben des Luxemburgischen zusammengefasst und nach ihren funktionalen Einsatzmöglichkeiten klassifiziert (zur Grammatikalisierung von goen, ginn und kréien vgl. u.a. Nübling 2006b; Lenz 2007; 2013).

hunnsinngoenginnkréienwäert
Vollverb+++++
Kopula++
Vergangenheit++
Passiv+++
Konjunktiv+++/–
Futur+/–
Tabelle 32: Übersicht der Hilfsverben und Hilfsverbfunktionen (Tabelle angelehnt an Nübling 2006b: 183)

220Modalverben dienen dazu, besondere Modalitäten auszudrücken wie Erlaubnis, Fähigkeit oder Notwendigkeit (vgl. Pittner & Bermann 2004: 19). Das Luxemburgische kennt fünf Modalverben: kënnen ‚können’, mussen ‚müssen’, sollen ‚sollen’, däerfen ‚dürfen’, wëllen ‚wollen’. Als zum Teil ehemalige Präteritopräsentia weisen sie sehr unregelmäßige Flexionsformen auf. Viele Modalverben haben zudem defektive Paradigmen, da sie viele (analytische) Verbformen nicht bilden können (kein Perfekt, kein Passiv, kein analytischer Konjunktiv) (vgl. dazu Dammel 2006).

ModalverbModalitätStammzeiten (1./3. Pers. Sg.: Präs. - Prät. - Konj.)
kënnenFähigkeitkann – konnt - kéint
mussenNotwendigkeitmuss - Ø - misst
sollenAufforderungsoll – sollt - sollt
däerfen37Erlaubnisdäerf – duerft - dierft
wëllenWunsch/Willewëll - wollt - wéilt
Tabelle 33: Übersicht der Modalverben mit Modalitätsbeschreibung und Stammzeiten

4.5 Übersicht der flektierbaren Wortarten

221An dieser Stelle werden noch einmal die zentralen Aspekte der flektierbaren Wortarten im Luxemburgischen in einer Übersichtstabelle aufgeführt.

WortartFlexionskategorienbesondere UnterartenBeispiel
SubstantivNumerus
Genus
Kou, Äppeljus, Buch
ArtikelNumerus
Genus
Kasus
Form variiert je nach Funktion (interrogativ, indefinit, usw.)däin Hues
eng Aufgab
wéi ee Päerd
PronomenNumerus
Genus38
Kasus
Form variiert je nach Funktion (interrogativ, indefinit, usw.)hien, wat, näischt
Adjektiv
(attributiv)
Numerus
Genus
Kasus39
schwaarz, laang, wichteg, nei
VerbPerson
Numerus
Tempus
Modus
Genus verbi
Vollverbendrénken, schwätzen, laachen
Hilfsverbenhunn, sinn, ginn, kréien
Konjunktivhilfsverbenginn {géif-}, goen {géing-}
Modalverbenkënnen, däerfen, mussen
Kopulaverbensinn, ginn, bleiwen
Tabelle 34: Übersicht der Wortarten und Flexionskategorien mit Beispielen

4.6 Nicht flektierbare Wortarten

222Die Präpositionen bilden die komplexeste Wortart dieser Klasse. Im Luxemburgischen können Präpositionen nach zwei Grundtypen unterteilt werden: einfache und mehrteilige Präpositionen. Präpositionen verfügen über spezifische strukturelle Merkmale (Kasusrektion und Verschmelzung von Präposition und Artikel), die in der folgenden Tabelle dargestellt werden.

PräpositionstypBeispielBemerkung
einfache Präp.zu+Dat
vun+Dat
mat+Dat
op+Dat/+Akk
duerch+Akk
Bei Wechselpräpositionen richtet sich Kasus nach lokaler (+Dat) oder direktionaler (+Akk) Verwendung.
mehrteilige Präp.a Relatioun zu+Dat
mat Bezuch op+Akk
mat Hëllef vun+Dat
opgrond vun+Dat
amplaz vun+Dat
vis-à-vis vun+Dat
zu béide Säite vun+Dat
iwwer+Akkewech
Komplexe Präpositionen können keinen Kasus regieren, sondern nur in Kombination mit einfachen Präpositionen. In den meisten Fällen ist dies vun.
Tabelle 35: Einfache und mehrteilige Präpositionen mit Rektionskasus

223Bei Wechselpräpositionen steht bei lokaler Verwendung Dativ und bei direktionaler Akkusativ. Die folgenden Präpositionen gehören zu dieser Klasse (Liste nach Schanen & Zimmer 2012: 172f.): bei ‚bei’, niewen(t)/nieft ‚neben’, virun/vrun ‚vor’, hanner(t) ‚hinter’, ënner(t) ‚unter’, iwwer(t) ‚über’, bannen(t) ‚innen/innerhalb’, an ‚in’, baussen(t) ‚außen/außerhalb’, laanscht ‚an/vorbei’, un ‚an’, op ‚auf’, widder(t) ‚gegen’, tëschen(t) ‚zwischen’.

224Bei einsilbigen Präpositionen (ohne Diphthong), die ein maskulines oder neutrales Substantiv mit bestimmtem Artikel regieren, verschmelzen Präposition und Artikel. Diese Art der Klitisierung ist in den meisten Fällen obligatorisch (vgl. auch Krier 2002).

BeispielKlitisierung [Präp.+Art.]Übersetzung
mam Bus fueren[mat + dem] Busmit dem Bus fahren
um Dësch danzen[op + dem]40Dëschauf dem Tisch tanzen
vum Krunn drénken[vun + dem] Krunnvom Wasserhahn trinken
am Haus sinn[an + dem] Hausim Haus sein
Tabelle 36: Klitisierung bei Präpositionen

225Die weiteren nicht flektierbaren Wortarten, zu denen Junktionen, Präpositionen, Adverbien und Partikeln zählen, sind der folgenden Überblickstabelle zu entnehmen.

WortartUnterkategorieBeispiel
JunktionKonjunktionan, sou wéi, (entweder...) oder, bis, weder...nach, mee~mä, awer, souwuel...wéi och, respektiv, ausser
Subjunktionob, dass/datt, wärend, wéi, wann, säit(deem), iwwerdeems, nodeems, bis, ier, falls
Präpositioneinfache Präp.ënner(t), op, vun
mehrteilige Präp.amplaz vun, iwwer...ewech
AdverbAdverbmuer, deelweis
Pronominaladverbdoraus(er), heimat/heimadder, dovun(ner)41
Partikel42Gradpartikelimmens, déck, enorm, net sou
Fokuspartikeljust, souguer, wann iwwerhaapt, grad
Negationspartikelnet, net méi
Gesprächspartikelma, gell, mh, asou, pardon, jo, nee, dach, ajo, naja, oder esou
Ausdruckspartikel aua, so, aha, ei
Abtönungspartikelzwar, eben, jo, awer, vläicht, dach, amfong, eigentlech, schonn, wuel
Tabelle 37: Übersicht der nicht flektierbaren Wortarten

5 Genitiv, Possession und Partitiv

226Für die Kasuskategorien in Kapitel 4 wurde der Genitiv bei den Pronomen- und Artikelparadigmen zunächst ausgeklammert. In den Grammatiken des Luxemburgischen variiert die Kasusdarstellung zwischen einem Zwei-Kasus- (Nom/Akk vs. Dat) und einem Drei-Kasus-System (Nom/Akk vs. Dat vs. Gen), welche sich im Prinzip dadurch unterscheiden, ob der Genitiv als Kasus integriert wird oder nicht.43

227Dieses Kapitel widmet sich einerseits der Frage, ob und in welcher Form sich der Genitiv im Luxemburgischen manifestiert und zeigt in zwei weiteren Kapiteln, wie sich zwei verwandte Funktionsbereiche verhalten. Mit verwandten Bereichen sind einerseits Possessivkonstruktionen des Typs mengem Papp säin Auto ‚das Auto meines Vaters’ und andererseits Partitive des Typs zevill däers Eewäiss ‚zuviel von diesem Eiweiß’ gemeint. Da Possession und Partitivität im ursprünglichen Funktionsbereich der formalen Kategorie Genitiv liegen, werden diese Bereiche hier in einem Kapitel vorgestellt. In Kapitel 5.1 wird der Genitiv aus morphosyntaktischer Perspektive beschrieben. Hier werden die morphologischen Sichtbarkeitsbedingungen sowie die syntaktischen Kontexte diskutiert. Kapitel 5.2 widmet sich der adnominalen Possession. Da Possession im Luxemburgischen nicht anhand eines Genitivs realisiert werden kann, wird hier die Verteilung von possessivem Dativ und Präpositionalphrasen untersucht. Das anschließende Kapitel 5.3 dreht sich um die Form und die Semantik von Partitivpronomen (Typ: ech hunn der ‚ich habe welche’) und Partitivartikeln (Typ: däers Wäin ‚von diesem Wein’), die anhand von zahlreichen Beispielen ausführlich behandelt werden. Zur besseren Darstellung werden Genitive und Partitive zunächst als zwei Einzelphänomene betrachtet, selbst wenn diese Partitive aus ursprünglichen Genitiven entstanden sind (vgl. u.a. Glaser 1992; Strobel 2016). Das letzte Kapitel 5.4 dieses Themenblocks wird die hier vorgestellten Bereiche Genitiv, Possession und Partitiv im Hinblick auf die Ergebnisse reflektieren und kategorisieren, sodass sie in einen systematischen Zusammenhang gebracht werden können.

5.1 Genitiv

228Das Hauptaugenmerk dieses Kapitels liegt auf den Verwendungsmustern des Genitivs im Luxemburgischen: Gibt es den Genitiv im Luxemburgischen und wenn ja, welche syntaktischen Stellen nimmt er ein? Kann er als Strukturkasus definiert werden?44

229Zunächst soll gezeigt werden, wie der Genitiv bislang in den luxemburgischen Grammatiken und Wörterbüchern dargestellt wurde (Kapitel 5.1.1). Darüber hinaus werden auch Fragen nach morphologischer Sichtbarkeit, Authentizität, Textsortenrelevanz und Lexikalisierungsgraden aufgeworfen. In der anschließenden Analyse (Kapitel 5.1.2) werden die Genitivbelege aus dem Gesamtkorpus in morphosyntaktische Kategorien eingeteilt und diskutiert. Neben Flexions- und Rektionsmustern soll ebenfalls gezeigt werden, welche Strukturen mit den Genitiven konkurrieren und welche Funktionen der Genitiv im Luxemburgischen übernimmt.

230Ein weiteres Kapitel (5.1.3) geht auf die typologischen Besonderheiten des Genitivs ein. Hier wird unter anderem gezeigt, wie sich Genitive in verwandten Sprachen verhalten, um Kontraste oder Parallelen aufzudecken. Auch die Frage von Sprachstilistik und Registerbildung wird in diesem Kapitel thematisiert. Kapitel 5.1.4 fasst alle Ergebnisse noch einmal zusammen.

5.1.1 Der Status des Genitivs im Luxemburgischen

231Die Kategorisierung des Genitivs in den Beschreibungen des Luxemburgischen ist teilweise inkohärent und bleibt häufig unkommentiert. Aus kasusstruktureller Sicht tauchen Genitivformen in unterschiedlichen Paradigmen auf: teils bei Demonstrativa (däers), bei Possessiva (senges), bei Indefinita (enges) oder als bestimmter Artikel (des) (vgl. Bruch 1955: 47; Schanen 1980: 702; Schmitt 1984: 55f.; Krier 2002: 50f.; Schanen & Zimmer 2012). Wie Formen wie däers oder senges zu bewerten sind, d. h., wie sie sich in ihrer Syntax und Semantik verhalten und wie häufig sie in unterschiedlichen Kontexten vorkommen, bleibt meistens unbeantwortet.

232Insgesamt wird dem Genitiv hauptsächlich ein Platz in lexikalisierten Fügungen, Redensarten oder adverbialen Bestimmungen zugewiesen, wie etwa in enges Daags ‚eines Tages’, des Däiwels sinn ‚des Teufels sein’ oder der Meenung sinn ‚der Meinung sein’ (vgl. Bruch 1955; Russ 1990; Schanen & Zimmer 2012: 10645).46

233Genitivregierende Verben und Adjektive werden meistens nicht explizit benannt, tauchen aber in unterschiedlichen Beispielsätzen auf. Bei Keller (1961) und Christophory (1974) regieren die Verben sech schummen ‚sich schämen’ oder brauchen sowie die Adjektive sécher ‚sicher’ und midd ‚müde’ jeweils einen Genitiv: ech brauch denger net (Keller 1961: 273) oder e Kand as enges schéine Liewe sécher ‚ein Kind ist eines schönen Lebens sicher’ (vgl. Bruch 1955: 48; s. auch Christophory 1974; Schanen & Zimmer 2012).

234Bei den hier vorgestellten Beschreibungen werden häufig Form und Funktion vermischt und auch bei der terminologischen Handhabung mangelt es zunehmend an Kohärenz. Auch andere Quellen – wie das Luxemburger Wörterbuch (LWB 1950-1975) – neigen dazu, Kategorien unreflektiert aufzulisten. Im LWB finden sich neben Genitivzuordnungen dénger Mamm ‚deiner Mutter’ (Fem.Sg., Genitiv, Dativ) auch unzutreffende Partitivzuordnungen wie dénges Krom ‚deines Krams’ (Mask. Sing.) (vgl. LWB 1950-1975 Bd. 1: Sp. 188a). Da diese Beispiele hier ohne syntaktische Kontexte dargestellt werden, fällt es dem Leser schwer, die Systematik und den möglichen Zusammenhang dieser Kategorien zu erkennen. Es gibt durchaus enge Verstrickungen zwischen Genitiv und Partitivität – weshalb sie in dieser Arbeit auch gemeinsam in einem großen Kapitel behandelt werden – doch eine derartige Vermischung von Form und Funktion trägt nicht zum Verständnis der strukturellen Kasusmuster bei (vgl. dazu Kapitel 5.4).

235An dieser Stelle soll nun versucht werden, diese Bereiche systematisch zu erschließen. Als Grundlage dient das Gesamtkorpus, das aus verschiedenen Textsorten besteht (vgl. Kapitel 3.1). Generell ist bei der Einstufung des Genitivs im Luxemburgischen auf gewisse Grundfaktoren zu achten, die vor der Korpusauswertung problematisiert werden müssen: die morphologischen Sichtbarkeitsbedingungen (Wie kann der Kasus erkannt werden?), Textsorte (Ist der Genitiv Teil eines Stilregisters?), Authentizität (Wie repräsentativ sind die Formen?) sowie der Lexikalisierungsgrad (Ist der Genitiv Teil einer verfestigten Wendung?).

236
  • Morphologische Sichtbarkeit und Synkretismen

237Bei einer Kasusanalyse müssen zunächst die morphologischen Sichtbarkeitsbedingungen des Genitivs aufgedeckt werden. Ein einfacher Fragetest (Wessen?) steht zur Erkennung des Genitivs nicht zur Verfügung, da es im Luxemburgischen keine Interrogativa im Genitiv gibt. Zugehörigkeitsrelationen werden beispielsweise mit possessiven Dativen erfragt (vgl. Kapitel 5.2):

238(26)Wiem seng Jackett ass dat? (Lehrbuch)
wem seine Jacke ist das?

239Bei Femininum Singular gibt es im Luxemburgischen einen Formzusammenfall von Genitiv und Dativ, sodass diese beiden Formen nicht ausreichend disambiguierbar sind: denger léiwer Mamm ‚deiner lieben Mutter’ (Dativ + Genitiv). Da die Genitivrektion dadurch nicht von der Dativrektion unterschieden werden kann – und diese häufig bei der Kasusvergabe konkurrieren – sind Beispiele mit Feminina wenig zielführend und werden somit nicht weiter berücksichtigt. Aus diesem Grund können zahlreiche „prädikativen Genitive“ (nach Willems 1997: 189) nicht analysiert werden, da hier häufig Substantive im Femininum Singular verwendet werden: der Meenung sinn ‚der Meinung sein’, der Usiicht sinn ‚der Ansicht sein’, usw.

240Einen eindeutigen morphologischen Genitivmarker tragen nur die Artikel von Maskulinum- und Neutrumformen im Singular ({es} als Kasusmerkmalträger). Hierzu gehören der Definitartikel des ‚des’, der Possessivartikel menges ‚meines’ oder der Indefinitartikel enges ‚eines’. Der Genitiv verfügt demnach noch über eine eigene Morphologie im Luxemburgischen.

241
  • Register und Textsorte

242Ähnlich wie im Deutschen kann der Genitiv der sozialen Markierung dienen (vgl. Szczepaniak 2014: 36). Es ist denkbar, dass Genitivkonstruktionen verwendet werden als Abgrenzungsmerkmal vom ‚einfachen’ Sprachgebrauch (als Stilmittel). Demnach sollte darauf geachtet werden, in welchen Kontexten die Genitive besonders häufig verwendet werden. Auch der Textsortenvergleich (mündlich vs. schriftlich) kann hier gewinnbringend sein.

243Dieses Thema wird in Kapitel 5.1.3 noch einmal aufgegriffen und näher betrachtet. Im Hinblick auf die empirischen Daten wird demnach die Frage aufgeworfen, ob sich der Genitiv im Luxemburgischen unter dem Aspekt des Registerausbaus nach und nach als Registermarker einer „neuen Schriftlichkeit“ entwickelt.

244
  • Authentizität

245Dieser Punkt bezieht sich auf standarddeutsche Interferenzen. Es kann vorkommen, dass Genitivkonstruktionen aus dem Deutschen übernommen werden und diese Entlehnungen unter Umständen zu ‚nicht nativen’ Genitiven im Luxemburgischen führen. Diese Formen können in erster Linie nur durch kompetente Sprecher identifiziert werden. Alle hier vorgestellten Beispiele wurden von sechs Muttersprachlerinnen diesbezüglich bewertet. Zweifelsfälle werden dementsprechend gekennzeichnet.

246
  • Lexikalisierungsgrad

247Die Auseinandersetzung mit dem ‚aktiven’ Genitivgebrauch ist an die zentralen Konzepte von Produktivität, Lexikalisierung und Idiomatisierung gebunden. Selbst wenn das Luxemburgische Genitive aufweist, können diese lexikalisiert sein und dadurch nicht mehr als produktives Muster gewertet werden. Lexikalisierungen bzw. Phraseologismen erkennt man an den strukturell verfestigten Wortverbindungen, die nicht oder nur bedingt lexikalisch ausgetauscht werden können (Burger 2010: 19ff.). Auch wenn Produktivität ein Terminus aus der Morphologie ist, kann er auf die Syntax projiziert werden: Findet sich im Korpus nur ein Type eines Genitivbelegs, d. h. identische Wortfolge mit identischen Lexemen, kann die Konstruktion als unproduktiv angesehen werden. Wird sie jedoch in unterschiedlichen Kontexten mit verschiedenen Lexemen verwendet, kann sie als (verhältnismäßig) produktiv angesehen werden. Lexikalisierung und Idiomatisierung werden in der Forschungsliteratur unterschiedlich definiert. Lexikalisierung wird hier verstanden als strukturelle Verfestigung einer Phrase, in der die Bestandteile als Mehrworteinheit lexikalisch fest besetzt sind. Dies kann teilweise mit morphosyntaktischen Irregularitäten oder anderen strukturellen Restriktionen einhergehen (vgl. Burger 2010: 19ff.).

248Die Idiomatisierung beschreibt eine verfestigte Phrase, deren Bedeutung nicht durch die Einzelbestandteile hergeleitet werden kann: das ist kalter Kaffee ist beispielsweise idiomatisiert, da die Bedeutung dieses Idioms nichts mit kaltem Kaffee, sondern mit nicht aktuellen Nachrichten zu tun hat. Die Bedeutung entsteht somit nicht durch die Einzelbestandteile, sondern durch spezifisches Wissen (vgl. Fillmore et al. 1988; Burger 2010: 29f.).

249Durch die Lexikalisierung einer Mehrworteinheit entsteht eine phraseologische Wendung. Ziel dieses Kapitels ist es jedoch, den lebendigen Gebrauch des Genitivs im Luxemburgischen aufzuzeigen oder gegebenenfalls zu widerlegen. Demnach werden phraseologische Wendungen entsprechend gekennzeichnet und gesondert interpretiert.

5.1.2 Korpusanalyse zum Genitivgebrauch

250Genitive werden oft im Zusammenhang mit ihren semantischen Funktionen beschrieben (Genitivus possessivus, subiectivus, usw.). In diesem Kapitel wird jedoch eine morphosyntaktische Perspektive angestrebt, sodass die Beschreibungskategorien den syntaktischen Gebrauchsmustern entsprechen: Genitivattribute, Präpositionen mit Genitiv, Genitiv regierende Verben und Adjektive, adverbiale Konstruktionen mit Genitiv, Genitive in prädikativer Funktion sowie Familiennamen im Genitiv.

251
  • Genitivattribute

252Genitivattribute treten in den allermeisten Fällen in lexikalisierten Wendungen auf. Relationale Zeitangaben etwa, wie Enn des Mounts ‚Ende des Monats’ oder Ufank des Joers ‚Anfang des Jahres’ sind eindeutig als Genitive zu klassifizieren, jedoch beschränken sie sich auf genau vier attributive Zeitnomen: Dag ‚Tag’, Woch ‚Woche’, Mount ‚Monat’, Joer ‚Jahr’. Da Woch Femininum ist, Genitiv und Dativ somit formgleich sind, ist eine genaue Kasusanalyse hinfällig. Für die Maskulina Dag und Mount sowie für das Neutrum Joer gilt, dass sie innerhalb dieser temporalen Genitiv-Konstruktion weder erweiterbar noch substituierbar sind. Demzufolge sind Erweiterungen oder Substitutionen wie *Enn dëses Mounts ‚Ende dieses Monats’ oder *Ufank des Schaltjoers ‚Anfang des Schaltjahres’ unzulässig. Auch das Temporaladverbial Zäit senges Liewens ‚zeit seines Lebens’ verfügt über ein Genitivattribut. Die Konstruktion Zäit senges Liewens existiert auch im Deutschen, mit dem Unterschied, dass zeit als Präposition reanalysiert und dadurch klein geschrieben wird. Di Meola (2009: 202) nennt diese Kategorie „Genitiv-Präpositionen mit der Form eines Substantivs“. Es ist davon auszugehen, dass es sich auch im Luxemburgischen bei dieser Konstruktion um eine feste Fügung handelt, da das Substantiv Zeit bereits seine Wortformeigenschaften aufgegeben hat (was sich daran erkennen lässt, dass Zeit ohne Artikel verwendet werden kann). Darüber hinaus existiert diese Wendung ausschließlich mit der NP senges Liewens, was wiederum auf die Verfestigung der Phrase hinweist.

253Relationale oder explikative Attribute – oft als Possessivkonstruktionen zusammengefasst – werden überwiegend mit possessivem Dativ (Typ: dem X säin Y) oder mit einer vun-PP (Typ: den Y vum X) umgesetzt. Eine genauere Betrachtung des syntaktischen Aufbaus von Zugehörigkeitsrelationen befindet sich in Kapitel 5.2. Der so genannte possessive Genitiv mit Eigennamen (‚Ernas Hut’) kann bis auf die Ausnahme Europas Zukunft (n=2) im Korpus nicht belegt werden. Hier kann man sich allerdings die Frage stellen, ob die Wendung Europas Zukunft aufgrund ihrer hohen Frequenz in den deutschen Medien einfach übernommen wurde. Häufiger findet sich allerdings die Konstruktion mit vun: d’Zukunft vun Europa ‚die Zukunft von Europa’.

254In Bezug auf die vorhandenen Korpusbelege kann man behaupten, dass Attribute im Luxemburgischen hauptsächlich ohne einen Genitiv ausgedrückt werden. Dabei stehen mehrere morphosyntaktische Mittel der (genitivlosen) Verknüpfung zur Verfügung, wie am Beispiel von Méiglechkeet ‚Möglichkeit’ illustriert werden kann.

NPAnschlussBeispielÜbersetzung
d’Méiglechkeetvun-PPvu Wirtschaftsspionage (Online-Kommentar)von Wirtschaftsspionage
op-PPop eng gutt Zukunft (Online-Kommentar)auf eine gute Zukunft
ze-VPSubsiden ze kréien (Internet)Fördergelder zu bekommen
datt-NSdatt mir [...] all déi Coursen do kënnen ofhalen (Politik)dass wir alle diese Kurse da halten können
fir...ze-VPfir matzeschwätzen (Online-Kommentar)um mitzureden
Tabelle 38: Appositionen zu der NP Méiglechkeet47

255Je nach Valenz des Substantivs oder Funktion bzw. Komplexität des Attributs gibt es unterschiedliche Präferenzmuster. So kann ein ganzer Nebensatz oder nur eine PP angehängt werden. Auch die Präpositionen richten sich nach dem Substantiv, sodass für jedes Attribut unterschiedliche Bedingungen zugrunde liegen. Genitive wurden in diesem Zusammenhang keine gefunden.

256Die wenigen Genitivattribute aus dem Korpus zeigen deutliche Anzeichen von deutscher Lehnprägung. Dabei handelt es sich entweder um Übertragungen aus dem Deutschen (bei Sprichwörtern: jidereen as senges Glecks Schmad (Online-Kommentar) ‚jeder ist seines Glückes Schmied’)48 oder um direkte Übersetzungen. Bei manchen luxemburgischen Wikipedia-Autoren kann man erkennen, dass sie den attributiven Genitiv dem Anschein nach aus der deutschen Vorlage (27) übernommen haben (als komplette Nominalphrase mit kasusmarkiertem Substantiv).

257(27)de mëttlere Bunnradius senges Massezentrums vum kollektive Schwéierpunkt (wikipedia.lu)
Vorlage: der mittlere Bahnradius seines Massezentrums vom gemeinsamen Schwerpunkt (wikipedia.de)

258In diesem Artikel zum Zwergplaneten Pluto ist eindeutig zu erkennen, dass der Autor den Beitrag nicht selbst formuliert hat, sondern dass er den Text aus dem deutschen Artikel einfach übernommen hat. Wikipedia-Texte verfügen jedoch über die Funktion, denselben Artikel in einer anderen Sprache aufzurufen, wodurch sich der gesamte Pluto-Artikel als direkte Übertragung aus dem Deutschen entpuppt.

259(28)geméiss de Konventioune fir Benennung verännerlecher StäreGEN (wikipedia.lu)
Vorlage: gemäß den Konventionen zur Benennung veränderlicher Sterne (wikipedia.de)

260Auch an dieser Stelle lohnt sich ein Blick auf die deutsche Vorlage bei Beispiel (29), an der deutlich zu erkennen ist, dass die Konstruktion mit einem Genitivattribut adaptiert wurde. Darüber hinaus ist dem Übersetzer entgangen, einen Artikel für Benennung einzufügen, da er offensichtlich nicht bemerkt hat, dass zur im Deutschen eine Klitisierung von zu und der darstellt. Dies ist ein weiteres Indiz dafür, dass an dieser Stelle nahezu blind übersetzt wurde, ohne eigenständig umzuformulieren.

261Diese Beobachtungen können auch bei anderen Wikipedia-Artikeln gemacht werden, in denen ein Genitiv entlehnt wurde. In Satz (35) zeigt sich eine besondere Form der Entlehnung, da hier deutlich wird, dass der Autor nicht die Gesamtkonstruktion in seine Sprache übersetzt hat, sondern Wort für Wort übertragen hat.

262(29)sou léisst sech e beschtuschléissendes Ellipsoid (Referenzellipsoid) vun enger ganzer Regioun oder enges KontinentsGEN ofleeden (wikipedia.lu)
Vorlage: so lässt sich ein bestanschließendes Ellipsoid (Referenzellipsoid) einer ganzen Region oder eines KontinentsGEN ableiten (wikipedia.de)

263In Beispiel (29) wird der erste Teil des Attributs zu Ellipsoid wie erwartet als vun-Periphrase realisiert. Der dazu koordinierte Teil zeigt jedoch ein Genitivattribut mit einem Genitiv-s sowohl am Artikel als auch am Nomen: enges Kontinents ‚eines Kontinents’. Dass an dieser Stelle die feminine NP (eng ganz Regioun) als vun-PP, die maskuline NP (ee Kontinent) hingegen als Genitivattribut verwendet wird, ist eine bemerkenswerte Tatsache. Es wäre denkbar, dass die Genitiv-NP durch den eindeutigen Genitiv-Marker im Maskulinum (enges) für den Autor akzeptabel ist. Da die Form enger ganzer Regioun keinen eindeutigen Genitiv anzeigt (da es auch ein Dativ sein könnte), ist es möglich, dass der Autor diese NP in eine PP mit Dativ einbettet. Dass dieses Beispiel strukturell sehr auffällig ist, zeigt auch das falsch deklinierte Adjektiv beschtuschléissendes, denn im Luxemburgischen existiert keine {es}-Adjektivendung für Neutra, wodurch dieses Adjektiv als morphologische Übersetzung der deutschen Vorlage gewertet werden kann („bestanschließendes“).49 Somit bleiben die Genitivattribute aus der luxemburgischen Wikipedia (mit standarddeutscher Vorlage) ein problematischer Fall. Hinzu kommt, dass diese Genitive von den hier befragten sechs Muttersprachlerinnen in dieser Form abgelehnt werden. Auch abgelehnt wurde das folgende Genitivattribut aus einem medial schriftlichen Äußerungskontext.

264(30)NET CONFORME mat den Normen enges DRENKWASSER (Online-Kommentar)
nicht konform mit den Normen eines Trinkwassers

265Bei manchen Attributen ist die Kasusidentifikation nicht eindeutig, da es sich auch um so genannte „Apposition[en] mit Maßangabe“ handeln kann (Eisenberg 2016b: 260ff.). Hierbei handelt es sich um kasusunterspezifizierte Attribute (dementsprechend Appositionen), die nach Mengen- oder Maßangaben folgen. Da das luxemburgische Substantiv im Allgemeinen keine Kasusmerkmale trägt, werden hier Beispiele mit attributivem Adjektiv herangezogen. Die Kasusendungen der Adjektive können somit Aufschluss über vorhandene Kasusmuster geben.

266(31)Des Zort pflanzlech-en Diesel (Internet)
diese Sorte pflanzlicher Diesel

267(32)e Grupp jonk-Ø Hollaenner (Online-Kommentar)
eine Gruppe junge Holländer

268Die Flexionsendungen {-en} für Maskulinum Singular (Diesel) und {-Ø} für Femininum Singular und Plural (Hollänner) zeigen eine einfache Nominativmarkierung. Keiner der Belege zeigte an dieser Stelle eine NP im Genitiv.

269In Bezug auf Genitivattribute kann man behaupten, dass diese im Luxemburgischen kaum auftreten. Allein in Fällen von direkten – nicht immer akzeptablen – Entlehnungen (bei deutscher Vorlage) oder bei Lexikalisierungen ist er gelegentlich anzutreffen. Letztere werden allerdings aufgrund ihres Lexikalisierungsgrades für eine strukturelle Kasusanalyse des Luxemburgischen ausgeklammert. Die Funktion des Attributs übernehmen je nach Äußerungskontext Präpositionalphrasen, Nebensätze oder kasuslose Appositionen.

270
  • Präpositionen mit Genitiv

271Die Korpusauswertung zeigt, dass Genitive im Zusammenhang mit Präpositionen kaum anzutreffen sind. Allein die Präposition wéinst/wéint ‚wegen’ findet sich gelegentlich mit ausschließlich pronominalen Genitiven. Hier wird neben dem Dativ (mir/dir), auch der Genitiv (menger/denger) verwendet, obwohl wéinst/wéint bei Substantiven nur Dativ regiert.

272(33)wéin(s)t menger (Genitiv, n= 60)
wegen meiner

273(34)wéin(s)t mir (Dativ, n=17)
wegen mir

274Auch die Präpositionen innerhalb und trotz (Bsp. (35), (36)) wurden jeweils einmal mit einem Genitiv verwendet. Interessanterweise handelt es sich bei dem Genitivbeleg nach der Präposition innerhalb erneut um die Form Europas, die auch bereits beim relativ untypischen pränominalen Genitiv Europas Zukunft vorgefunden wurde. Es ist denkbar, dass diese Form per se, also voll flektiert, aus dem Deutschen ins Luxemburgische integriert wurde. Hinzu kommt die Tatsache, dass das luxemburgische Substantiv im Allgemeinen keine Kasusmarker trägt, hier allerdings ein {s} erhält. Weitere Belege machen in diesem Kapitel deutlich, dass diese s-Markierung am luxemburgischen Substantiv durchaus schwanken kann (zum Standarddeutschen vgl. u.a. Zimmer 2018).

275(35)e Machtkampf innerhalb Europas (Online-Kommentar)
ein Machtkampf innerhalb Europas

276(36)trotz senges mol méi mol manner souveränen Optriedens an der Ëffentlechkeet (Online-News)
trotz seines mal mehr mal weniger souveränen Auftretens in der Öffentlichkeit

277Der folgende sanktionierte Genitiv in der Wikipedia zeigt, dass dieser Kasus für Präpositionen eigentlich nicht zur Verfügung steht. Ein Wikipedia-Autor bildet in einem Text die Konstruktion op Grond enges Strukturfeelers (parallel zur deutschen Vorlage ‚auf Grund eines Strukturfehlers’). Durch die Artikelverlaufsfunktion der Seite kann man erkennen, dass diese Version von einem weiteren Nutzer ein halbes Jahr später korrigiert wurde. Die Konstruktion wurde auf eine andere kausale Präposition mit Dativrektion umgestellt (wéinst ‚wegen’):

278(37)Awer schonns no 59 Sekonnen hat d’Rakéit wéinst engem StrukturfeelerDAT gesprengt misse ginn. (wikipedia.lu: 19.8.13)
Aber schon nach 59 Sekunden hat die Rakete wegen einem Strukturfehler gesprengt müssen werden.

279Bei der Rektion von Präpositionen kann man festhalten, dass Präpositionen nur selten den Genitiv regieren (Einzelbelege mit trotz, innerhalb sowie wéinst+GenitivPRO) und als stark markiert wahrgenommen werden. Anders als im Deutschen gibt es im literaten Bereich im Luxemburgischen keine verstärkte Genitivpräsenz bei Präpositionen, sondern eher das Gegenteil ist der Fall (zum Standarddeutschen vgl. Szczepaniak 2014).

280
  • Genitiv regierende Verben und Adjektive

281Tatsächlich gibt es einige Belege für luxemburgische Verben und Adjektive mit Genitivrektion. So finden sich beispielsweise Genitivobjekte, die vor allem im Zusammenhang mit dem so genannten Genitivus Criminis, dem Genitiv der Rechtssprache, zusammenhängen. Hierzu zählen in erster Linie Konstruktionen mit iwwerféieren ‚überführen’ und sech schëlleg maachen ‚sich schuldig machen’. Der Genitiv steht allerdings immer in Konkurrenz zu anderen – meistens bevorzugten – Varianten, wie an de Tabelle (39) dargelegt werden kann. Aufgrund der geringen Trefferanzahl können hier keine quantitativen Angaben gemacht werden. Es soll lediglich deutlich gemacht werden, dass der Genitiv mit den anderen Varianten koexistiert.

VerbErgänzungBeispielÜbersetzung
iwwerféierenwéinst-PPwéngst Doping iwwerfouertwegen Doping überführt
vum-PPvum Doping iwwerfouertvon Doping überführt
Dativdem Doping iwwerfouertdem Doping überführt
Genitivdes Doping(s) iwwerfouert50des Doping(s) überführt
sech schëlleg maachenan-PPsech an der selwechter Saach schëlleg gemaachsich in derselben Sache schuldig gemacht
un-PPsech un engem Massaker [...] schëlleg gemaachsich an einem Massaker [..] schuldig gemacht
Genitivsech enges Fehlverhalens schëlleg gemaachsich eines Fehlverhaltens schuldig gemacht
Tabelle 39: Ergänzungen zum Verb iwwerféieren und zum Funktionsverbgefüge sech schëlleg maachen

282Die beiden von Christophory (1974: 58) erwähnten Verben mit Genitivrektion konnten im Korpus nicht nachgewiesen werden (sech schummen ‚sich schämen’, net brauchen ‚nicht brauchen’). Das Verb sech schummen ‚sich schämen’ kommt im Korpus allgemein selten vor und fordert wahlweise eine PP mit fir ‚für’, wéinst ‚wegen’ oder einen Nebensatz (dass-Satz51 oder ze-Infinitiv), jedoch kein Genitivobjekt. Auch für brauchen bzw. die negierte Form net brauchen konnten keine Genitivbelege gefunden werden. Im Korpus fordert brauchen stets ein Akkusativobjekt: brauch dech net (Chat) ‚brauch dich nicht’.52

283Zu den genitivregierenden Adjektiven zählt in erster Linie die Form (on)würdeg bzw. (on)wierdeg53 ‚(un)würdig’. Doch auch hier koexistiert eine Dativ-Variante.

AdjektivErgänzungBeispielÜbersetzung
wierdeg/ würdegDativdeen awer dësem Gemengerot würdeg ass
dem Chrëschtentum wierdeg
der aber diesem Gemeinderat würdig ist
dem Christentum würdig
Genitivkenges Sportlers a kenges Staatschefs wierdeg
eng Pei di enges Letzebuergers würdeg as
keines Sportlers und keines Staatschefs
würdig ein Gehalt, das eines Luxemburgers würdig ist
GenitivPROop enger Plaz, déi senger net onbedéngt wierdeg assan einer Stelle, die seiner nicht unbedingt würdig ist
Tabelle 40: Ergänzungen zum Adjektiv wierdeg/würdeg

284Die Adjektive sat und midd regieren mitunter auch Genitive, allerdings nur in der Form däers/es, die in dieser Arbeit als Partitivpronomen eingeordnet werden (vgl. Kapitel 5.3). Zudem sind Konstruktionen wie es midd sinn ‚es leid/müde sein’ bereits bis zu einem gewissen Punkt lexikalisiert, da sie nur in dieser Kombination auftreten.

285Bei Verben und Adjektiven lässt sich der Genitiv demnach in bestimmten Konstruktionen nachweisen. Häufig findet sich allerdings ein koexistierender Dativ oder Akkusativ. Der Einsatz des Genitivs hat womöglich stilistische Eigenschaften, auf die im Anschluss (Kapitel 5.1.4) noch einmal eingegangen wird.

286
  • adverbiale Konstruktionen mit Genitiv

287Die meisten luxemburgischen Adverbialkonstruktionen sind zwar historisch aus einem Genitiv entstanden, heute allerdings lexikalisiert, d. h. als Muster nicht mehr produktiv vorhanden (ähnlich wie im Deutschen, vgl. Dudengrammatik 2006: 982). Zu diesen Formen gehören unter anderem folgende Adverbiale: mëttwochs ‚mittwochs’, blannemännerchers ‚blindlings’, gréisstendeels ‚größtenteils’, kengesfalls ‚keinesfalls’.

288Auch komplexere Phrasen gehören zu diesem Bereich dazu: rouege Gewëssens ‚ruhigen Gewissens’, schwéieren Häerzens ‚schweren Herzens’, menges Wëssens ‚meines Wissens’ oder menges Erachtens / menges Eruechtens ‚meines Erachtens.

289Es handelt sich meistens um substantivierte adverbiale Genitive in modaler oder temporaler Funktion (parallel zum Gebrauch im Deutschen, vgl. Hentschel & Weydt 2003: 237). Eine kleine Sammlung an festen Wendungen mit solchen Genitiven findet sich in Christophory (1974: 50). Bemerkenswert ist auch hier die variable s-Markierung am Substantiv: Monn-s bei (38), aber Doud-Ø bei (39).

290(38)en huet e laaches Monns gesot (Christophory 1974: 50)
er hat es lachenden Mundes gesagt

291(39)wou [...] eng aal Fraa enges natierlichen Doud stierwt (Interview)
wo [..] eine alte Frau eines natürlichen Todes stirbt

292(40)wat ech schonn des Öfteren hei gesot hunn (Politik)
was ich schon des Öfteren hier gesagt habe

293Die Verfestigung, inklusive der lexikalischen Restriktionen, und die Formelhaftigkeit dieser Wendungen reichen eigentlich nicht aus, um heute noch einen lebendigen Genitiv erkennen zu können. Zudem sind die Elemente dieser adverbialen Konstruktionen häufig nicht erweiterbar und können auch nicht durch andere Substantive ersetzt werden. Aus diesem Grund werden sie als lexikalisierte Genitive klassifiziert.

294
  • Genitive in prädikativer Funktion

295Zu den prädikativen Genitiven gehören Wendungen mit dem Kopulaverb sinn ‚sein’ und einer NP im Genitiv (zu diesem Genitivtyp im Deutschen, vgl. Pittner 2009). Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass hierunter auch Fälle wie der Meenung sinn ‚der Meinung sein’ fallen, die aufgrund der Formgleichheit im Femininum von Dativ und Genitiv nicht berücksichtigt werden können.

296In den Grammatiken des Luxemburgischen wird häufig das Beispiel des Däiwels sinn ‘des Teufels sein’ (Bsp. u.a. bei Christophory 1974: 50; Schanen & Zimmer 2012: 106) erwähnt. Hierbei handelt es sich jedoch um eine lexikalisierte Wortverbindung mit einer festen, nicht veränderbaren Struktur. Parallele Bildungen führen dazu, dass die Konstruktion ungrammatisch wird: *des Engels sinn ‚des Engels sein’, *des Satans sinn ‚des Satans sein’. Diese einfache Substitutionsprobe zeigt, dass es sich hierbei also nicht um eine freie Wortverbindung, sondern vielmehr um eine Lexikalisierung handelt (vgl. Burger 2010: 19). Behaghel (1923 Bd.1: 580) geht davon aus, dass dieser Genitiv des Teufels früher einmal ein Possessionsverhältnis darstellte und die Grundbedeutung zunehmend verblasst ist, was die These der Lexikalisierung hier unterstützt.

297Ein weiterer Genitiv in prädikativer Funktion findet sich bei Possessivpronomen, die persönliche Vorlieben ausdrücken, wie bei dat ass net esou menges ‚das ist nicht so meins’ (124 Belege). Diese prädikativen Possessivpronomen im Genitiv (menges, denges, hires) werden in diesem Kontext für den Ausdruck des persönlichen Geschmacks verwendet, allerdings vorrangig im Singular, obschon sie auch gelegentlich im Plural vorkommen: dat ass net grad eises ‚das ist nicht gerade unseres’, im Sinne von ‚das passt nicht zu uns / das ist nicht unser Geschmack’. Obwohl hier eine gewisse Austauschbarkeit in Bezug auf Person und Numerus besteht, gilt diese Kombination nur für Personalpronomen.

298
  • Familiennamen im Genitiv

299Die Verwendung des Familiennamens im Genitiv ist ein Phänomen, dem bislang nur wenig Aufmerksamkeit gewidmet wurde (bis auf Bach 1952; Dammel & Berchtold 2014; Flores 2014). Im Luxemburgischen besteht die Möglichkeit den Nachnamen von Personen dem Vornamen voranzustellen, sodass der Nachname ein starkes oder schwaches Genitivsuffix erhält. Gesetzt sei der Fall einer Person mit dem Namen Anne Weber (oder Anne Thill), so kann man auf unterschiedliche Weise von dieser Person sprechen (ohne Gebrauch eines Pronomens).

300
  1. kasus-unmarkiert: d‘Weber Anne
  2. Genitiv (stark): d‘Thills Anne
  3. Genitiv (stark+assimiliert): d‘Webesch Anne (< d’Weber+s Anne)
  4. Genitiv (schwach): d‘Weberen Anne

301Diese Konstruktion ist so zu verstehen, dass ein Träger des Familiennamens Weber durch die Nennung des Rufnamens Anne näher bestimmt wird (vgl. Bach 1952: 68-69). Der Familienname wirkt in diesem Fall wie ein attributives Adjektiv. Dies scheint zudem eine ursprüngliche Funktion des Genitivs gewesen zu sein. Behaghel (1923 Bd 1: 508) nennt dies den „Verhältnisgenitiv“, der in erster Linie „ein Verwandtschafts- oder Freundschaftsverhältnis“ bezeichnet. Ein Gebrauch außerhalb dieser Familiennamendomäne ist für das Luxemburgische jedoch auszuschließen.

302Strukturell gesehen gibt es hier einige Besonderheiten: Zunächst werden sämtliche Namen im Luxemburgischen mit einem Artikel versehen. Hervorzuheben ist ebenfalls die Tatsache, dass der attributive Nachname sowohl unflektiert (1) als auch flektiert (2-3) verwendet werden kann. Im Fall (3) wird die Endung -ers sogar lautgesetzlich zu -esch assimiliert. Bei (4) zeigt sich zudem eine schwache Genitivendung auf -en. Viele dieser Punkte ergeben sich allerdings aus der Tatsache heraus, dass es sich hier um einen Namen mit auslautendem -er handelt. Für andere Namen wie Thill bleiben dann nur die kasuslose Variante (1) oder die Genitiv-s-Variante (2) übrig: Den Thill(s) Marc.

303Zudem kann der Nachname im Genitiv auch ohne Vornamen verwendet werden. Er steht dann stellvertretend für die Familie (Müllesch hunn eis invitéiert ‚Müllers haben uns eingeladen’) und wurde früher auch zur Bezeichnung von Hausnamen verwendet (a Müllesch ‚wörtl.: in Müllers’). Diese Genitivvariante kann auch in einen possessiven Dativ integriert werden, wie im folgenden Beispiel gezeigt wird.

304(41)Müllesch hiren Hond ass wierklech e Problem (Lehrbuch)
Müllers ihr Hund ist wirklich ein Problem

305Bei den vorangestellten Familiennamen im Genitiv (Typ: den Thills Marc) handelt es sich um eine vornehmlich gesprochensprachliche Variante, die größtenteils von älteren Sprechern verwendet wird.54 Früher war diese Art der Namensnennung besonders frequent in den Dorfgemeinschaften. Bei jüngeren Sprechern scheint diese Form nur noch passiv bekannt zu sein.

5.1.3 Die Verwendung des Genitivs in anderen westgermanischen Varietäten

306In diesem Kapitel möchte ich einen kurzen Blick auf die Verwendung (bzw. Nichtverwendung) des Genitivs in den verschiedenen germanischen Sprachen werfen (u.a. im Englischen, Niederländischen, Jiddischen, in verschiedenen deutschen Varietäten sowie im Standarddeutschen). Im Anschluss wird die offene Frage gestellt, ob sich der Genitiv – parallel zu seiner Funktion im Deutschen – auch im Luxemburgischen allmählich als Registermarker etabliert.

307Aus diachroner Perspektive gehörte der Genitiv zum Kasusinventar des Indogermanischen, auch wenn das heutige Niederländische oder das Englische kaum noch Genitive aufweisen. Das Indogermanische verfügte über ein System mit acht Kasus: Nominativ, Vokativ, Akkusativ, Dativ, Ablativ, Lokativ, Instrumentalis und Genitiv (vgl. Hentschel & Weydt 2003: 167f.). In vielen germanischen Sprachen hat sich dieses System durch unterschiedliche Formzusammenfälle und Suffixveränderungen im Laufe der Zeit deutlich reduziert. Im Englischen etwa wurde das Kasussystem – bis auf die Pronomen – ganz abgebaut (Allen 2008: 1). Im Standardniederländischen geht der Gebrauch des Genitivs seit dem Mittelniederländischen ebenfalls stark zurück und existiert nur noch als postnominales Attribut in mehr oder weniger stark lexikalisierten Wendungen (vgl. Weerman & de Wit 1999: 1184). So gilt der Sonntag beispielsweise als de dag des Heeren ‚der Tag des Herrn’ (vgl. ebd., vgl. auch Scott 2013).

308Im Jiddischen wird der Genitiv nur noch als pränominales Attribut verwendet (der adverbale Genitiv wurde durch den Akkusativ verdrängt, vgl. Lockwood 1995: 110f.). Jiddische adnominale Genitive haben drei Kerneigenschaften: (a) sie stehen meistens im Singular, (b) sie beziehen sich auf Personen und (c) sie stehen vor dem bezüglichen Nomen: mit zayn waybs visn ‚mit dem Wissen seiner Frau’ (vgl. Lockwood 1995: 110). Relationsverhältnisse werden häufig anhand der Präpositionen bay oder fun ausgedrückt: der vaydl bay/fun a leyb ‚der Schwanz bei/von einem Löwen’ (vgl. Lockwood 1995: 111).

309In vielen Varietäten des Deutschen zählt der Genitiv überhaupt nicht mehr zum Kasusinventar und existiert nur noch in erstarrter Form (vgl. Behaghel 1923 Bd.1: 479; Zifonun 2003: 122). Vereinzelte Schweizer Dialekte verfügen hingegen noch über Genitive, so etwa im Tessin, im Wallis oder in Graubünden (vgl. Behaghel 1923 Bd.1: 479; Russ 2002: 88). Den Beispielen zufolge gelten hier scheinbar ähnliche semantisch-syntaktische Bedingungen wie für den adnominalen Genitivgebrauch im Jiddischen (Singular, Bezug auf Person, pränominal).

310(42)ds Chenns Chappi (Russ 2002: 88)
des Kindes Kappe

311Bart (2006: 51) beschreibt in ihrer Analyse zum Ausdruck von Possession im Schweizerdeutschen, dass adnominale possessive Genitive (Typ: (s) Leerers Hund) von den meisten Sprechern aus den Kantonen Bern, Schwyz, Glarus, St. Gallen und Graubünden akzeptiert werden. Im schweizerischen Gesamtbild gaben allerdings 74 % der Befragten an, den possessiven Dativ zu präferieren (vgl. Bart 2006: 50). Selbst wenn Dative bei der Possession bevorzugt werden, kann für die Schweiz kein radikaler Genitivschwund – wie er für andere Dialekte angenommen wird – notiert werden. Außerdem existieren in der schweizerdeutschen Schriftsprache auch noch Präpositionen mit (alternativer) Genitivrektion (Bsp.: während, vgl. Gelhaus 1972: 105f., zit. nach Elter 2005: 132).

312Aufgrund der reichhaltigen Forschungsliteratur zum Genitiv im Standarddeutschen sowie der typologischen Ähnlichkeit zum Luxemburgischen soll nun die Entwicklung des Genitivs im Deutschen skizziert werden. Der Genitiv diente ursprünglich zur Markierung von Zugehörigkeitsrelationen im weitesten Sinn (Besitz, Ähnlichkeit, usw.) sowie zum Anzeigen von bestimmten Verhältnissen (Verwandtschafts- oder Freundschaftsverhältnissen, Verhältnis der Über- oder Unterordnung, Partitivität) (vgl. Behaghel Bd. 1 1923: 508). Wie bereits erwähnt, werden einige dieser Funktionen (Bsp. Possession) in vielen Sprachen mit anderen Konstruktionen ausgedrückt. Hierzu zählen etwa Dativ im Schweizerdeutschen, of im Englischen oder van im Niederländischen (zum Englischen und Niederländischen vgl. Rijkhoff 2009). Hinzu kommt die Verwendung des Genitivs im Deutschen als Rektionskasus (Verben, Adjektive, Präpositionen).

313Insgesamt gilt der Genitiv im Standarddeutschen allerdings als “unproduktiv und größtenteils außerdem reliktär” (Willems 1997: 189). Darüber hinaus ist der Genitiv in der gesprochenen Alltagssprache nur selten anzutreffen (Hentschel & Weydt 2003: 171). An seine Stelle treten vornehmlich Dativ- oder Präpositionalkonstruktionen (vgl. Scott 2011: 59). Insgesamt geht Scott (2011) allerdings weniger von einem Reliktstatus des Genitivs aus als vielmehr von einer komplexen Neuordnung possessiver Strukturen und Rektionsmuster. In der deutschen Schriftsprache hat der Genitiv noch seine relativ uneingeschränkte Daseinsberechtigung und wird hier vor allem als Stilmarker oder – wie ihn Szczepaniak (2014: 33) treffend benennt – als „Prestige-Genitiv“ verwendet.

314Dass sich eine solche Prestige-Form etablieren konnte, führt Szczepaniak (2014) auf die Unsicherheit bei der Verwendung des Genitivs zurück, da es mitunter zu Rektionsschwankungen von Präpositionen kommt, bei denen Dativ und Genitiv koexistieren. Neben der Stigmatisierung des Dativs erhält der Genitiv immer mehr Prestige und gilt insgesamt als schriftsprachlicher, wodurch aus einer strukturellen Variation eine wertgebundene wird (vgl. Szczepaniak 2014: 36). Darüber hinaus kommt es im Schriftdeutschen zu Fällen, in denen Genitive an Präpositionen angehängt werden, die eigentlich einen Dativ regieren. Zu diesen ‚ursprünglichen’ Dativpräpositionen gehören u.a. binnen, entlang, dank, trotz und inmitten. Im geschriebenen Standarddeutschen wird bei diesen Präpositionen in über 50 % der Fälle ein Genitiv verwendet. Trotz und inmitten zeigen bei über 90 % Genitivrektion (vgl. Di Meola 2000: 207ff.). Der Genitiv kennzeichnet Äußerungen somit als besonders formell und standardsprachlich (vgl. Barbour & Stevenson 1998: 172).

315Im Luxemburgischen spielt der Genitiv eine sehr spezifische Rolle. Im Laufe dieses Kapitels wurde der Terminus der Pseudoproduktivität angeführt. Die Idee dahinter ist mit einer Art restriktiver Produktivität vergleichbar: die Daten zeigen, dass Verben und Adjektive durchaus Genitive regieren können. Dabei lohnt sich auch ein Blick auf die Textsorten, in denen Genitive vorkommen: Viele der hier aufgezeigten Genitivbelege stammen vor allem aus dem konzeptionell schriftlichen Bereich (Wikipedia, Online-Kommentare). Dies könnte ein Indiz dafür sein, dass mit dem Ausbau der luxemburgischen Schriftsprache auch ein gewisser Registerausbau einhergeht.

316Szczepaniak (2014: 33) spricht bei der Entwicklung des Genitivs im Deutschen (seit dem Frühneuhochdeutschen) von aufkommenden sozialen Kontrasten, die dem Genitiv eine mehr und mehr soziale Funktion zukommen lassen. Zudem weist sie darauf hin, dass Varianz (Bsp.: Präp. mit Dativ oder Genitiv) zu Unsicherheit bei den Sprechern führen kann. Durch das Aufkommen dieses „Prestigegenitivs“, wie die Autorin ihn nennt, kann diese Unsicherheit aufgehoben werden.

317Ich möchte an dieser Stelle die offene Frage formulieren, ob es sich beim Genitiv im Luxemburgischen nicht auch um eine Prestigeform handeln kann. Durch den Ausbau des Luxemburgischen im Schriftbereich und das schnelle Wachstum der luxemburgischen Onlinetextsorten kann es durchaus sein, dass hier bestimmte Stilregister aufgebaut werden. Denkbar wäre demnach eine Lehnprägung mit stilistischer Funktion, indem sich das Luxemburgische an Stilelementen konzeptioneller Schriftlichkeit der standarddeutschen Sprache (in diesem Fall am Genitiv) orientiert. Dabei geht es nicht darum, dass bestimmte lexikalische Ausdrücke übernommen werden. Es geht vielmehr um Norm und Assoziation: Dadurch, dass eine Teilidentität des deutschen Genitivs als Prestigemarker übernommen wird, kann es dazu führen, dass luxemburgische Sprecher ihre Äußerungen durch die Verwendung von Genitiven als besonders schriftsprachlich markieren wollen. Bei Szczepaniak (2014: 36) heißt es in Bezug auf den deutschen Genitiv: „Diese wertgebundene Variation kann zur Selbstdarstellung und Abgrenzung von anderen genutzt (und so auch verfestigt) werden.“ Ob sich das Luxemburgische eine ähnliche Art der wertgebundenen Variation derzeit aufbaut, kann hier allerdings nur als Vermutung geäußert werden. Der Aufbau des Korpus (etwa 90 % medial schriftlich realisierte Sprache) sowie die Anonymität der Sprecher lassen leider kaum Rückschlüsse auf Stil- und Registerebenen zu. Durch den Domänenausbau des Luxemburgischen auf den Schriftbereich wäre ein solcher struktureller Wandel durchaus vorstellbar. Durch das Entstehen neuer Register erhalten demnach auch neue Sprachmuster Einzug in die Struktur des Luxemburgischen. In Zukunft sollte diese Art der stilistischen Assoziation weiter – vor allem auch unter soziopragmatischen Aspekten – untersucht werden.

5.1.4 Zusammenfassung

318Der Status des Genitivs im Luxemburgischen wurde hier aus zwei Blickwinkeln betrachtet: historisch-diachron (reliktärer Genitiv) oder synchron (produktiver Genitiv). Dass ehemals produktive Genitive immer stärker schwinden bzw. in festen Phraseologismen weiter existieren, ist eine Entwicklung, die sich durch viele germanische Sprachen zieht. Die Frage nach der diachronen Entwicklung des luxemburgischen Genitivs kann aufgrund der geringen Datenlage und auch aufgrund der methodischen Ausrichtung dieser Arbeit nicht hinreichend beantwortet werden. Dennoch kann festgehalten werden, dass Präpositional- und Dativkonstruktionen im Vergleich zu Konstruktionen mit Genitiv deutlich überwiegen, der Genitiv allerdings noch in vereinzelten Strukturen auffindbar ist.

319Insgesamt führt die Kasusunterspezifizierung am luxemburgischen Nomen dazu, dass häufig präpositionale Fügungen verwendet werden.

320(43)e Geste vum Commerçant (Online-News)
eine Geste vom Händler

321Die nachfolgende Tabelle zeigt eine Übersicht aller im Korpus zusammengetragenen luxemburgischen Genitivtypen. Dabei werden sowohl der jeweilige Status beschrieben und bei Bedarf im Feld Bemerkungen kommentiert sowie prägnante Beispiele aufgeführt, um den Status des Genitivs noch einmal zu rekapitulieren.

GenitivtypStatusBeispielBemerkung
AttributlexikalisiertEnn des Mountslexikalische Restriktionen (Kalenderangaben)
Präposition+Gennur Einzelfällewéinst mengerLehnprägung durch das Deutsche nicht ausgeschlossen,
häufig pronominaler Genitiv
Verb+Genproduktiv bei bestimmten Verben (Genitivus Criminis)iwwerféieren, sech schëlleg maachenKoexistenz mit Dativ, PP oder Nebensätzen
Adjektiv+Genproduktiv bei bestimmten Adjektivenwierdeg/würdeg sinnmidd/sat häufig mit Partitivpronomen
Adverbiallexikalisierthautdesdaagskein transparentes Muster
prädikative Funktionlexikalisiertdes Däiwels sinnnur wenige Belege
Familiennamen- formfrequent bei älteren Sprechernd’Webesch Anneeher ältere Sprecher und eher im Mündlichen
Tabelle 41: Übersicht der Genitivtypen im Luxemburgischen

322Eine Verankerung des Genitivs im luxemburgischen Kasusparadigma ist demnach möglich, jedoch mit deutlichen Einschränkungen, da es sich in vielen Fällen um verfestigte Wendungen handelt (Lexikalisierung).

5.2 Adnominale Possession

5.2.1 Prinzipien der Possession

323Possession ist in zweierlei Hinsicht mit dem Genitiv in Relation zu setzen. Zum einen gehört Possession zum ehemaligen Funktionsbereich des Genitivs, denn diese Bereiche (Kasus und Funktion) sind aus historischer Perspektive eng verknüpft. Zum anderen wurde im vorangegangenen Kapitel darauf hingewiesen, dass Possession im Luxemburgischen nicht mit dem Genitiv ausgedrückt wird. An dieser Stelle sollen also nun die unterschiedlichen Ausdrucksmöglichkeiten für Possession aufgezeigt werden. Auf diese Weise wird das Bild des Funktionsbereichs Genitiv vervollständigt, auch wenn sich in diesem Unterkapitel keine Genitivbelege befinden.

324Zunächst muss allerdings der Terminus Possession problematisiert werden, denn das, was in der Linguistik oft als „Possession“ beschrieben wird, behandelt weitaus mehr als nur Besitzrelationen (also Possession im engeren Sinn). Im weiteren Sinn handelt es sich um verschiedene Arten von Zugehörigkeitsrelationen. Hierzu gehören unter anderem Teil-von-Beziehungen, Teil-Ganzes-Beziehungen, Verwandtschaftsrelationen, Macht- oder Urheberrelationen, Besitzverhältnisse sowie allgemeine Relationen zwischen Personen, Gegenständen und Eigenschaften (vgl. auch McGregor 2009: 1). Demnach steht der Begriff Possession stellvertretend für mehrere Relationskonzepte. Das zugrundeliegende funktionale Prinzip der Possession kann wie folgt generalisiert werden: A (Possessum) steht in relationalem Verhältnis zu B (Possessor). Bei Pauls Buch ist demnach Paul der Possessor (der Besitzer) und das Buch das Possessum (der Besitz). In dieser Terminologie ist bei Pauls Tante auch Paul der Possessor und seine Tante das Possessum, da hier ein verwandtschaftliches Verhältnis vorliegt (Possession im weiteren Sinn).

325Dieses funktionale Prinzip kann im Luxemburgischen durch unterschiedliche syntaktische Konstruktionen ausgedrückt werden, die im vorliegenden Kapitel anhand von Korpusbelegen näher beschrieben werden:

326
  • Possessivartikel und -pronomen (seng Bicher ‚seine Bücher’, mäint ‚meins’)
  • possessiver Dativ (dem Pol säi Buch ‚dem Paul sein Buch’)
  • vun-PP (d’Buch vum Pol ‚das Buch vom Paul’)

327Im Anschluss an diese Beschreibung wird es kein gesondertes sprachvergleichendes Kapitel geben, da viele Charakteristiken der Possession in anderen westgermanischen Sprachen bereits im Genitiv-Kapitel (5.1.3) besprochen wurden. Dort finden sich auch Literaturhinweise zur Vertiefung.

5.2.2 Ausdruck von Zugehörigkeitsrelationen

328Es gibt mehrere Möglichkeiten, Zugehörigkeitsrelationen syntaktisch auszudrücken. Im Fokus dieses Kapitels stehen Possessivartikel und -pronomen (säin Auto ‚sein Auto’), der adnominale oder possessive Dativ (dem Noper säin Auto ‚dem Nachbarn sein Auto’) sowie vun-PPs (den Auto vum Noper ‚das Auto vom Nachbarn’). Zunächst wird das Formeninventar von Possessivartikeln und -pronomen vorgestellt. Im Anschluss werden die strukturellen Eigenschaften des possessiven Dativs und der vun-PP aufgezeigt. Vor allem die spezifische Besetzung von Possessor und Possessum wird beim possessiven Dativ eingehend untersucht, da es hier zu Restriktionen kommen kann. Eine Korpusanalyse soll anschließend erste Hinweise auf die Verteilung zwischen der Possession mit Dativ und derjenigen mit vun-PP liefern. Ausgangspunkt ist dabei die These, dass possessive Dative nur dann möglich sind, wenn der Possessor belebt ist wie beispielsweise bei Noper ‚Nachbar’ (vgl. u.a. Bruch 1955).

329Der Possessivartikel und das Possessivpronomen

330Für jedes Personalpronomen steht ein Possessivartikel bzw. ein entsprechendes Possessivpronomen zur Verfügung. Die Formen des Artikels und des Pronomens werden nach Kasus, Genus, Person und Numerus flektiert, die wiederum von den grammatischen Eigenschaften des Possessums und von der syntaktischen Funktion der possessiven NP im Satz vorgegeben werden.

331In Beispiel (54) muss der Possessivartikel mengem (Possessivartikel zu ech, 1.Pers.Sg.) im Dativ stehen, da das Verb gratuléieren ‚gratulieren’ ein Dativobjekt verlangt. Das Nomen, das vom Possessivartikel begleitet wird, hat die Merkmale [Singular] und [Maskulinum].

Abbildung 5: Zuweisung von Possessionsartikeln
Abbildung 5: Zuweisung von Possessionsartikeln

332Da die Grundaspekte der Possession bereits in Kapitel 4 beschrieben wurden, sollen hier nur noch einmal die Flexionstabellen mit den Possessivpronomen und -artikeln aufgeführt werden. Tabelle 42 zeigt Nominativ/Akkusativ, die durch ihre identische Oberflächenstruktur gemeinsam dargestellt werden können, und Tabelle 43 zeigt die Dativformen.

Num.Pers.GenusPers.-Pro.Possessivartikel
(Mask. - Neutr. - Fem./Pl.)
Possessivpronomen
(Mask. - Neutr. - Fem./Pl.)
Sg.1.echmäin - mäin - mengmäin - mäint - meng
2.dudäin - däin - dengdäin - däint - deng
3.Mask.hiensäin - säin - sengsäin - säint - seng
Neutr.hattsäin - säin - sengsäin - säint - seng
Fem.sihiren - hiert - hir
Pl.1.mireisen - eist - eis
2.dirären - äert - är
3.sihiren - hiert - hir
Tabelle 42: Possessiva (Nom/Akk)
Num.Pers.GenusPers.-Pro.Possessivartikel
(Mask. - Neutr. - Fem. - Pl.)
Possessivpronomen
(Mask. - Neutr. - Fem. - Pl.)
Sg.1.echmengem - mengem - menger - mengen
2.dudengem - dengem - denger - dengen
3.Mask.hiensengem - sengem - senger - sengen
Neutr.hattsengem - sengem - senger - sengen
Fem.sihirem - hirem - hirer - hiren
Pl.1.mireisem - eisem - eiser - eisen
2.dirärem - ärem - ärer - ären
3.sihirem - hirem - hirer - hiren
Tabelle 43: Possessiva (Dat)

333Die Formen von Possessivartikeln/-pronomen leiten sich aus historischen Genitiven ab (vgl. Olsen 1989, zit. nach Zifonun 2004). Die folgenden Sätze zeigen einige Beispiele mit Possessivartikeln (vgl. (44), (45)) und -pronomen (vgl. (45), (46)).

334(44)Och mäin Dag huet nëmme 24 Stonnen. (Politik)
Auch mein Tag hat nur 24 Stunden.

335(45)Ech nennen hien nët „eisen Andy“, well mäin ass en nët. (Online-Kommentar)
Ich nenne ihn nicht ‚unsren Andy’, weil meiner ist er nicht.

336(46)Wat mäint ass, ass däint. (Online-News)
Was meins ist, ist deins.

337Possessivartikel und -pronomen sind nur dann verfügbar, wenn die Referenz anaphorisch auf bereits erwähnte Bezugsgrößen stattfindet, d. h. bei säin Auto muss deutlich werden, um wessen Auto es sich handelt. Außerdem können diese Possessivartikel und -pronomen keine Relationsverhältnisse zwischen zwei nominalen Referenten anzeigen, da sie immer nur eine verweisende Funktion haben. Um die Possession nominaler Referenten auszudrücken, muss auf den possessiven Dativ oder auf vun-PPs zurückgegriffen werden.

338Possessiver Dativ

339Das Verhältnis zwischen Possessor und Possessum spielt auch bei der possessiven Dativkonstruktion eine zentrale Rolle. Possessive Dative verfügen über den folgenden formalen Aufbau: der Possessor (den Andy) bildet eine Dativ-NP (dem Andy), die vor der Possessum-NP steht (vgl. (47)). Das Possessum wird von einem entsprechenden Possessivartikel begleitet (seng) und nimmt den Kasus an, der ihm vom Verb zugewiesen wird (Beispiel (47) zeigt eine Possessivkonstruktion ohne syntaktischen Kontext, wodurch das Possessum im Nominativ steht). Die einzelnen Bestandteile dieser possessiven Konstruktion stehen gewöhnlich zusammen und werden nicht durch andere Konstituenten unterbrochen.

340(47)dem Andy seng Ausried
dem Andy seine Ausrede
Det + N(Possessor) + Poss.-Art. +N(Possessum)

341Possessive Dative sind im Luxemburgischen sehr frequent. Im folgenden Beispiel etwa gibt es eine Aufzählung von mehreren (teils elliptischen) possessiven Dativkonstruktionen mit dem Possessum Schold ‚Schuld’.

342(48)De Fehler ass bestëmmt den Schüler hir Schold. Oder hiren Elteren hir? Dem Portier seng? (Online-Kommentar)
Der Fehler ist bestimmt den Schülern ihre Schuld. Oder ihren Eltern ihre? Dem Portier seine?

343Der Gebrauch des possessiven Dativs ist nicht nur im Luxemburgischen, sondern nahezu im gesamten deutschen Sprachraum auffindbar (vgl. Behaghel 1923; Russ 1990, zit. nach Zifonun 2003: 98). Der possessive Dativ hat dort allerdings keinen offiziellen schriftsprachlichen Status (vgl. Dudengrammatik 2006: 835, 1224) und gilt insgesamt als Form des Substandards oder als dialektale Variante, u.a. im Hessischen, Pfälzischen, Bairischen und Thüringischen sowie im Niederdeutschen (vgl. Zifonun 2003: 97f.). Für die Zusammensetzung des possessiven Dativs sind im Deutschen laut Zifonun (2003) zwei zentrale Elemente zu beachten: Einerseits funktioniert die Possession nur bei der 3. Person, d. h. 1. und 2. Person sind ausgeschlossen. Demzufolge ist mir meine Sachen ungrammatisch, ihm seine Sachen hingegen akzeptabel. Andererseits heißt es bei Zifonun (2003), dass der Possessor eine Person oder zumindest belebt sein muss. Die Autorin räumt allerdings ein, „dass die prototypische Possessor-Relation ohnehin einen menschlichen Possessor fordert“ (Zifonun 2003: 102).

344Auch für das Luxemburgische wurden bereits ähnliche Belebtheitseinschränkungen erwähnt (Bruch 1955: 50). Zunächst gilt es nun zu bestimmen, welche Wortarten im Allgemeinen in der Possessorposition stehen können. Bei Zifonun (2003) findet sich dafür eine Liste mit Wortartkombinationen, die in deutschen Dialekten bzw. im Substandard zulässig sind. Diese Liste wird nun mit luxemburgischem Datenmaterial dargestellt. In dieser Liste werden zunächst nur die möglichen Wortarten für den Possessor und ein passendes Beispiel aus dem Korpus sowie eventuelle Besonderheiten angeführt. Das Thema Belebtheit sowie die Ambiguität zwischen possessivem Dativ (him säi Buch ass do ‚ihm sein Buch ist da’) und freiem bzw. valenzgesteuertem Dativ (him säi Buch ginn ‚ihm sein Buch geben’) werden im Anschluss erklärt.

345In der syntaktischen Leerstelle für den Possessor können unterschiedliche nominale und pronominale Konstituenten stehen. Neben Eigennamen (d. h. Ruf- und Familiennamen mit Definitartikel, vgl. (49) und (50)) können auch definite (vgl. (51)) und indefinite (vgl. (52)) Phrasen in der Possessor-Leerstelle stehen.

346(49)„nee“ ass dem Pol seng äntwert (Interview)
„nein“ ist dem Paul seine Antwort

347(50)Dem Juncker säin Afloss am Ausland (Online-Kommentar)
Dem Juncker sein Einfluss im Ausland

348(51)Ech kann dem Auteur seng Meenung net deelen (Online-Kommentar)
Ich kann dem Autor seine Meinung nicht teilen

349(52)enger Fra hire Schal huet sech ëm déi hënnescht Achse vun hirem Kaart gewéckelt (Online-News)
einer Frau ihr Schal hat sich um die hintere Achse von ihrem Kart gewickelt

350Auch pronominale Konstituenten können als Possessor Teil einer possessiven Dativkonstruktion sein. Konstruktionen mit Personalpronomen sind nur bei der 3. Person möglich. Ein Satz wie *dat ass iech ären Hutt ‚das ist Euch Euer Hut’ (2.Pers.Pl.) (Bsp. angelehnt an Zifonun 2003: 30) ist im Luxemburgischen daher nicht möglich. Im Korpus finden sich nur Belege für die 3. Person Singular Maskulinum und Neutrum (vgl. (53)) sowie für die 3. Person Plural (vgl. (54)).

351(53)well him seng witzer sou domm ann awer witzeg sinn (Online-News)
weil ihm seine witze so dumm und aber witzig sind

352(54)Hir eege Fantasie gëtt hinnen hir Realitéit. (wikipedia.lu)
Ihre eigene Fantasie wird ihnen ihre Realität

353Die Kombination von zwei femininen Pronomen ist für das Luxemburgische nicht belegt, was unter Umständen damit zusammenhängt, dass in diesem Fall zwei identische Pronomen kombiniert werden (das feminine Personalpronomen im Dativ und der Possessivartikel lauten beide hir), sodass es zu folgender Konstruktion käme: ?hir hir Saachen ‚ihr ihre Sachen’.

354Man mag sich bei diesen Belegen die Frage stellen, warum diese Redundanz im Satz nötig ist, schließlich verweist bereits der Possessivartikel seng in seng Witzer ‚seine Witze’ auf eine bestimmte Person (in der Rolle des Possessors). Die Redundanz entsteht nun dadurch, dass ein zusätzliches Personalpronomen in die Leerstelle des Possessors gesetzt wird, das auf dieselbe Person wie der Possessivartikel verweist (him seng Witzer). Die Antwort liegt in der Pragmatik, denn häufig wird die Kombination von Personalpronomen und Possessivartikel verwendet, um die referentiellen Möglichkeiten des Pronomens einzugrenzen oder einfach um sie hervorzuheben. Zifonun (2005: 42) zufolge handelt es sich bei einem einfachen Possessivartikel (seng Witzer) um eine „schwache“ Variante und bei der Verstärkung durch ein Personalpronomen im possessiven Dativ (him seng Witzer) um die „starke“ Variante.

355Als „starke“ Variante können demnach auch possessive Dative mit Demonstrativpronomen in der Possessor-Leerstelle verstanden werden. Als Demonstrativpronomen stehen hier die starken Formen des pronominalisierten Definitartikels (deen/déi/dat) oder das Demonstrativum (dësen, dës, dëst) zur Verfügung.

356(55)säi Brudder, seng Schwëster an där hir Filsen (Online-News)
sein Bruder, seine Schwester und der ihre Söhne

357(56)si këmmert sech nie sou gutt ëm e Kand wéi dësem seng eege Mamm (Online-Kommentar)
sie kümmert sich nie so gut um ein Kind wie diesem seine eigene Mutter

358Zu den weiteren Pronomentypen, die in einen possessiven Dativ integriert werden können, zählen Indefinita (57), Fragepronomen (58) und Relativpronomen (59). Wie bereits in der Wortartenlehre (Kapitel 4) dargelegt wurde, kennt das Luxemburgische kein direktes Indefinitpronomen, das dem Deutschen niemand entspricht. Demzufolge wird für Personen keen/keng (keiner/keine) verwendet. Im possessiven Dativ steht demzufolge häufig kengem säin oder kenger hir.

359(57)daat schengt kengem säin problem ze sin (Online-Kommentar)
das scheint keinem sein problem zu sein

360(58)Wiem säi Bild a wiem seng Opschrëft ass dat hei? (Prosa)
Wem sein Bild und wem seine Aufschrift ist das hier?

361(59)Kanner, deenen hir Elteren schaffen gin (Online-Kommentar)
Kinder, denen ihre Eltern arbeiten gehen

362Neben der unterschiedlichen Besetzung der Possessor-Leerstelle gibt es noch weitere strukturelle Eigenschaften, die den possessiven Dativ auszeichnen. Hierzu zählen

363
  • Rekursion (Einbettung mehrerer possessiver Dative),
  • Reanalyse (unterschiedliche Lesarten von Dativen als possessives Dativattribut oder Dativobjekt) und
  • Belebtheitskriterien (semantische Eigenschaften des Possessors).

364Possessive Dative können auch rekursiv verwendet werden, das bedeutet, dass eine Possessivkonstruktion in eine weitere eingebettet sein kann, sodass der Possessor ebenfalls aus einem possessiven Dativ besteht wie im folgenden Teilsatz.

365(60)dem Jakobus an dem Jouseph hir Mamm, an och dem Zebedäus senge Jongen hir Mamm (Prosa)
dem Jakobus und dem Joseph ihre Mutter, und auch dem Zebedäus seinen Jungs ihre Mutter
[[dem Zebedäus]POSSESSOR [senge Jongen]POSSESSUM]POSSESSOR [hir Mamm]POSSESSUM

366Bei dieser komplexen syntaktischen Einbettung kann es mitunter auch zu Konstruktionsfehlern kommen, sodass entweder ein falscher Kasus oder ein falscher Possessiv-artikel verwendet werden. Im folgenden Beispiel geht es um die Hochschulstudien von den Kindern einer bestimmten Person.

367(61)da sinn deem seng Kanner seng Studien finanzéiert (Online-Kommentar)
dann sind dem seine Kinder seine Studien finanziert.

368Die in (61) intendierte rekursive Possessivkonstruktion enthält allerdings zwei Fehler: Zum einen fehlt die Dativendung beim Possessivartikel seng, der eigentlich senge(n) lauten müsste. Zum anderen nimmt der hier verwendete zweite Possessivartikel Bezug auf die 3. Person Singular seng. Dabei muss der Bezug zum Plural Kanner hergestellt werden, d. h. hir Studien.

369Als nächsten Punkt möchte ich diejenigen Konstruktionen ansprechen, bei denen der Dativ zwei strukturelle Zuordnungen zulässt, sodass er entweder vom Verb abhängt (als Teil der Valenz) oder einen possessiven Dativ darstellt (als Teil einer Possessivkonstruktion). In einem strukturell ambigen Satz wie (62) kann nicht eindeutig geklärt werden, ob der Dativ als indirektes Objekt in der semantischen Rolle des Malefaktiv fungiert oder der Dativ ein adnominales Attribut zu Poche ‚Handtasche’ ist (in einer possessiven Dativkonstruktion).

370(62)Si haten esouguer enger Fra hir Poche geklaut. (Online-News)
sie hatten sogar einer Frau ihre Handasche geklaut.

371Dies trifft auch auf Beispiele mit einem Personalpronomen als Possessor zu. Das nachfolgende Beispiel zeigt das Pronomen him (3.Pers.Sg.Dativ), welches sowohl Teil der Possession sein kann (him säin Hobby ‚ihm sein Hobby’) als auch als selbstständiges Dativobjekt (erneut in der Rolle als Malefaktiv) vom Verb abhängen kann (him eppes verbidden ‚ihm etwas verbieten’).

372(63)Se konnten him säin Hobby net verbidden (Prosa)
Sie konnten ihm sein Hobby nicht verbieten

373Genau an dieser Stelle wird auch der Reanalyse-Pfad dieser possessiven Konstruktion deutlich, der dazu geführt hat, dass sich der possessive Dativ überhaupt grammatikalisieren konnte. Demnach wurde der adverbale Dativ (das eigentliche Dativobjekt) syntaktisch reanalysiert und durch den Possessivartikel mit dem darauffolgenden Substantiv assoziiert: enger Fra hir Poche ‚einer Frau ihre Tasche’.55 Demzufolge kann der Dativ wie bei (64)a) Teil der Verbvalenz sein oder wie bei b) ein Attribut zum Nomen Poche ‚Handtasche’.

374(64)a) Si haten [enger Fra]DAT [hir Poche]AKK geklaut.
Dativ als Teil der Valenz: klauen + [Dat] [Akk]
b) Si haten [[enger Fra]DAT hir Poche]AKK geklaut.
Dativ als nominales Attribut: klauen + [[Dat+]Akk]

375Beim Thema Belebtheit herrscht aus deutscher sowie aus luxemburgischer Forschungsperspektive weitestgehend Konsens darüber, dass nur belebte Possessoren für einen possessiven Dativ verwendet werden können (vgl. u.a. Behaghel 1923; Bruch 1955; Zifonun 2003). Auch wenn Zifonun (2003: 102) keine deutschen Belege (Dialekt und Substandard) für einen possessiven Dativ mit unbelebten Possessoren finden kann, so räumt die Autorin dennoch ein, dass diese Regel womöglich „durchlässig“ sein kann. Tatsächlich finden sich im Luxemburgischen vereinzelte nichtmenschliche (vgl. (65)) sowie unbelebte Possessoren (vgl. (66)) im Dativ.

376(65)dem Calamar seng Gréisst (Online-News)
dem Kalmar seine Größe

377(66)dem Kamion seng Lued vu Kräsi (Online-News)
dem LKW seine Ladung von Kies

378Die Belebtheit bzw. die Unbelebtheit des Possessors galt bis dato als distributives Kriterium zwischen dem possessiven Dativ und dem Ausdruck der Possession mit einer vun-PP (vgl. u.a. Bruch 1955; Christophory 1974). Im folgenden Abschnitt sollen nun einerseits die Eigenschaften der Konstruktion mit Präposition aufgezeigt werden und andererseits soll geklärt werden, welche Kriterien ausschlaggebend für die Wahl zwischen possessivem Dativ und der Umschreibung mit einer PP sind.

379Präpositionale Possessivmarkierung

380Possessivkonstruktionen mit PPs werden mit der Präposition vun bzw. bei klitisiertem Definitartikel mit vum ‚vom(=von+dem)’ gebildet. Die lineare Abfolge von Possessor und Possessum ist im Gegensatz zur Dativkonstruktion umgekehrt.

381(67)d’ Ausried vum(=vun+dem) Andy
die Ausrede vom(=von+dem) Andy
Det + N(Possessum) + vun + N(Possessor)

382Präpositionale Possessivmarkierung mit vun hat den Vorteil, dass semantische Rollen differenzierter ausgedrückt werden können. Beim reinen possessiven Dativ dem Grand-Duc säi Cadeau ‚dem Großherzog sein Geschenk’ wird beispielsweise nicht klar, ob der Großherzog in diesem Beispiel als Agens (sozusagen als Schenker) oder als Rezipient (er ist der Beschenkte) zu verstehen ist. Solche Ambiguitäten können nur durch den Einsatz von Präpositionen aufgelöst werden.

383(68)dem Grand-Duc säi Cadeau vum Popst Benedikt (Online-Kommentar)
dem Großherzog sein Geschenk von Papst Benedikt

384(69)de Kaddo vun der Stater Gemeng un déi jonk Koppel (Online-News)
das Geschenk von der Luxemburger Gemeinde an das junge Paar

385Darüber hinaus merkt Kasper (2017: o.S.) an, dass diese präpositionale Konstruktion (hier mit vun) „am wenigsten von strukturellen und lexikalisch-semantischen Restriktionen betroffen [ist]” und dadurch in vielen Kontexten verwendet werden kann.

386In den älteren Beschreibungen des Luxemburgischen von Bruch (1955: 50) oder Christophory (1974: 49) heißt es, dass Possession immer dann mit vun ausgedrückt wird, wenn der Possessor nicht belebt ist, wie bei d’Mauer vun eisem Gaart ‚die Mauer von unserem Garten’ (vgl. Bruch 1955: 50). Auch im Deutschen gilt nach Zifonun (2003: 123) in diesem Kontext eine Art „Domänenaufteilung“ durch das Belebtheitskriterium, d. h. „Dat+Poss ist die Konstruktion für belebte Possessoren, die von-Phrase die für unbelebte“. Für das Schweizerdeutsche wird auf eine ähnliche Belebtheits-Aufteilung hingewiesen (vgl. Reese 2007: 51).

387Diese mutmaßliche Aufteilung zwischen possessivem Dativ und vun-PPs soll nun anhand einer Korpusanalyse für das Luxemburgische überprüft werden. Hierzu wurde eine spezifische Possessum-NP (hier: Schold ‚Schuld’) gewählt und systematisch auf die syntaktische Einbettung des Possessors (PP oder Dativ) untersucht. Das Possessum Schuld bietet den Vorteil, dass es von seiner Semantik her auch unbelebte „Schuldträger“ zulässt, sodass eine breite Streuung von Possessoren zu erwarten ist.

388Nach der Auswertung der 722 Possessionskonstruktionen mit dem Possessum Schold ‚Schuld’ zeigt sich in der nachfolgenden Tabelle, dass Dativkonstruktionen des Typs de Politiker hir Schold ‚den Politikern ihre Schuld’ im Vergleich zu den von-Konstruktionen des Typs d’Schold vun de Politiker ‚die Schuld von den Politikern’ deutlich überwiegen.

Possessor = beliebig; Possessum = Schold ‚Schuld’
Possessiver Dativ (dem XY seng Schold)86,6 % (n=625)
Possessive PP (d’Schold vum XY)13,4 % (n=97)
Tabelle 44: Possessiver Dativ vs. possessive PP

389Nun gilt es, einen genaueren Blick auf die Possessoren und deren Belebtheitsaspekte zu werfen. Tatsächlich finden sich auch unbelebte Possessoren in der Dativkonstruktion (Bsp. dem Alkohol seng Schold), d. h. hier wurde trotz unbelebtem Possessor keine vun-PP gewählt, worauf ich gleich noch einmal gezielt eingehen möchte. Bei der qualitativen Analyse wird außerdem deutlich, dass die Dativkonstruktionen vor allem dann verwendet werden, wenn die Dativ-NP (Possessor) die Struktur [Det+N] aufweist. Sobald die Possessor-NP also komplexer ist als [Det+N], etwa durch Hinzufügen eines attributiven Adjektivs oder eines Relativsatzes, wird auf eine PP ausgewichen. In (70) findet sich eine beispielhafte Auflistung einiger Konstruktionen mit Dativ, in (71) mit vun-PP.

390(70)possessiver Dativ (dem XY seng Schold)
a) mengem papp seng schold (Chat) [Poss.: belebt]
meinem Vater seine Schuld
b) de Schleckbridder hir Schold (Online-Kommentar) [Poss.: belebt]
den Schleck-Brüdern ihre Schuld
c) onse Politiker hier Schold (Online-Kommentar) [Poss.: belebt]
unseren Politkern ihre Schuld
d) dem Bam séng Schold (Online-Kommentar) [Poss.: unbelebt]
dem Baum seine Schuld
e) dem Alkohol seng Schold (Online-Kommentar) [Poss.: unbelebt]
dem Alkohol seine Schuld

391(71)possessive vun-PP (d’Schold vum XY)
a) d’Schold vum Bouf a senger Mamm (Online-Kommentar) [Poss.: belebt]
die Schuld vom Sohn und seiner Mutter
b) d’Schold vum 42 Joer ale Mann (Online-News) [Poss.: belebt]
die Schuld vom 42 Jahre alten Mann
c) d’Schold vun eise Politiker (Online-Kommentar) [Poss.: belebt]
die Schuld von unseren Politikern
d) d’Schold vun der Welt, an där mir liewen (Online-Kommentar) [Poss.: unbelebt]
die Schuld von der Welt, in der wir leben
e) d’Schold vun de Waffen (Online-Kommentar) [Poss.: unbelebt]
die Schuld von den Waffen

392Dass unbelebte Possessoren wie Alkohol oder Bam ‚Baum’ in der Possessor-Leerstelle eines possessiven Dativs stehen können, hängt einerseits mit dem Prinzip der Metonymie oder Personifizierung und andererseits mit den „semantischen Möglichkeiten“ des Possessums zusammen.

393Semantisch gesehen weitet sich der possessive Dativ auf nicht menschliche Possessoren über die Mittel der Metonymie und der Personifizierung aus. Bei Metonymien werden etwa Institutionen oder Länder stellvertretend für regierende Personen oder Mitarbeiter verwendet. Kaspar (2017: o.S.) fasst dies als „abstrakte Besitzrelation“ auf. In Beispiel (72) ist zwar die Bank der Possessor, allerdings in metonymischer Lesart, denn nicht das Gebäude, sondern die Betreiber des Geldinstituts sind als Possessoren zu verstehen.

394(72)Dir hut der bank hir suen (Online-Kommentar)
Sie haben der Bank ihr Geld

395Gerade beim Possessum Schuld finden sich sehr häufig Metonymien beim possessiven Dativ: der Santé hir Schold ‚der Gesundheit ihre Schuld’ (Aufgabenbereich für zuständige Person), dem Ausland seng Schold ‚dem Ausland seine Schuld’ (Land für Regierungsmitglieder).

396Die Personifizierung ist eine weitere Option, die es ermöglicht, dass unbelebte Possessoren in der Possessorposition eines possessiven Dativs stehen können. Dabei kann dann auch Alkohol in dem Alkohol seng Schold ‚dem Alkohol seine Schuld’ ein personifizierter Schuldträger sein.

397Im folgenden Beispiel (73) werden drei Beispiele mit unterschiedlichen Possessoren gezeigt, die von (a) belebt, über (b) metaphorisch belebt bis (c) unbelebt reichen.

398(73)a) dem Voldemort seng Muecht (Prosa)
dem Voldemort seine Macht
b) dem Buedem seng Kraaft (Prosa)
dem Boden seine Kraft
c) dem Adjektiv seng syntaktesch Funktioun (wiss.Arbeit)
dem Adjektiv seine syntaktische Funktion

399Bei der Frage nach der Belebtheit des Possessors dürfen auch die „semantischen Möglichkeiten“ des Possessums nicht außer Acht gelassen werden, genauer genommen die Art der Relation, die zwischen Possessor und Possessum herrscht (vgl. auch Kasper 2017). Dass eine Konstruktion wie dem Gaart seng Mauer weniger plausibel ist als dem Bam seng Schold liegt zuletzt auch am Possessum. Hier sei auch noch einmal darauf hingewiesen, dass Possession als Begriff mehrere Relationsverhältnisse umfasst. Schaut man sich die semantische Dimension der Possessiva einmal genauer an, wird deutlich, dass Schold einen Auslöser braucht und demnach wie eine Art Urheberrelation funktioniert. Die Mauer hingegen ist im Beispiel mit dem Garten nur eine Teil-Ganzes-Beziehung und keine Besitzrelation: d’Mauer vum Gaart ‚die Mauer vom Garten’. Der possessive Dativ wäre hier nur möglich, wenn es sich um eine Besitzrelation handelt (d. h. Possession im engeren Sinn): dem Noper seng Mauer ‚dem Nachbarn seine Mauer’. Da aber im Prinzip nur ein belebtes Agens in der Lage ist, etwas zu besitzen, verfügen die meisten Besitzrelationen, die mit Dativ ausgedrückt werden, über einen belebten Possessor, sei es eine Person, eine Institution oder zumindest ein Tier (dem Mupp seng Spillsaach ‚dem Hund sein Spielzeug’). Dies verleitet wiederum zur Übergeneralisierung, dass nur belebte Possessoren mithilfe eines possessiven Dativs ausgedrückt werden können.

400Neben der Belebtheit und den semantischen Möglichkeiten scheint auch die Komplexität der Possessor-NP eine wichtige Rolle zu spielen. Aus den Daten geht hervor, dass vor allem Possessor-NPs, die attribuiert sind und somit komplexer als [Det+N], mit der vun-Konstruktion ausgedrückt werden. Zusätzlich können auch Stil und Informationsstruktur als bestimmende Faktoren gewertet werden. Tatsächlich zeigen die meisten possessiven Dative aus dem Korpus singularische, einfache NPs mit dem Aufbau [Det+N] (seltener auch Plural).

401Ein Beispiel aus einer akademischen Abschlussarbeit zeigt, wie diese Komplexitätsrestriktion auf die Possessivkonstruktion wirkt.

402(74)awer dem Tunnel seng Roll [...]d’Roll vum Gotthard-Tunnel am Portante sengem Roman (wiss.Arbeit)
aber dem Tunnel seine Rolle [..] die Rolle vom Gotthard-Tunnel im Portante seinem Roman

403Aufgrund der NP-Struktur des Possessors [Det+N] den Tunnel kann dieser in eine Dativkonstruktion eingebaut werden. Im Verlaufe des Satzes wird das Nomen durch ein onymisches Determinans als Kompositum erweitert und folglich in eine PP-Konstruktion umgewandelt, wobei das Possessum identisch bleibt (Roll). Die einzige Variable, die sich also verändert, ist die Zusammensetzung der Possessor-NP (den Tunnel vs. de Gotthard-Tunnel), sodass in diesem Fall nicht zwangsläufig Belebtheit, sondern NP-Komplexität als Kriterium ausschlaggebend zu sein scheint.

404Da es sich hier um ein verhältnismäßig kleines Sample aus einem unstrukturierten Korpus handelt, können nur Erklärungsansätze angebracht werden, die in weiteren Studien vertieft werden sollten. Dennoch lassen sich anhand der Daten drei Tendenzen erkennen:

405
  • Je komplexer die Possessor-NP, desto wahrscheinlicher wird eine vun-PP verwendet.
  • Metonymie und Personifizierung ermöglichen unbelebte Possessoren beim possessiven Dativ.
  • Durch die semantische Relation zwischen Possessor und Possessum kann die Wahl zwischen possessivem Dativ und Possession mit vun beeinflusst werden.

5.2.3 Zusammenfassung

406Relationsverhältnisse können im Luxemburgischen auf drei Arten ausgedrückt werden: durch Possessivartikel oder -pronomen, durch einen possessiven Dativ oder durch eine PP mit vun. Besonders interessant ist das Verhältnis der letzten beiden Typen, denn hier gibt es bestimmte Tendenzen, die bei der jeweiligen Konstruktion beachtet werden müssen.

407Der possessive Dativ wird vor allem dann verwendet, wenn der Possessor belebt ist. Bei Belegen des Typs dem XY seng Schold hat sich gezeigt, dass auch unbelebte Possessoren möglich sind – allerdings nur dann, wenn die NP, die in der Possessor-Position steht, nicht attribuiert ist, d. h. den Aufbau Det+N aufweist wie in dem Fleesch seng Schold ‚dem Fleisch seine Schuld’. Daneben können auch Personifizierung und Metonymie eine wichtige Rolle beim Belebtheitskriterium spielen.

408Relationsverhältnisse, die mit vun ausgedrückt werden, haben den Vorteil, dass sie für alle Arten von Possessoren, semantischen Rollen und für jede noch so komplexe NP verfügbar sind. Dennoch finden sich neben der vun-PP auch sehr viele possessive Dative. Zifonun (2003) führt dies im Deutschen auf den Umstand zurück, dass der zentrale Referent beim possessiven Dativ zuerst genannt wird und somit eine Art Topik eröffnet wird. Aus informationsstrukturellen Gründen ist die Vorerwähnung des Possessors demnach durchaus sinnvoll und nur durch einen possessiven Dativ umsetzbar. Diese Vorerwähnung des Possessors liefert einen für die Possessionskonstruktion wichtigen „referentiellen Anker“, vor allem dann, wenn dieser Possessor belebt ist (vgl. Zifonun 2003: 123).

409Eine strikte „Domänenteilung“ nach der Belebtheit des Referenten (belebt=Dativ, unbelebt=PP), wie sie von verschiedenen luxemburgischen Autoren und von Zifonun (2003: 123) für den deutschen Substandard angenommen wird, wird im Luxemburgischen nur bis zu einem gewissen Grad eingehalten. Insgesamt ist ein Belebtheitskriterium als Tendenz durchaus sinnvoll, jedoch müssen auch die Komplexität sowie die semantische Relation der Possessor-NP berücksichtigt werden.

5.3 Partitivkonstruktionen mit däers/es und där/der

5.3.1 Einleitung

410Im Allgemeinen markieren Partitivkonstruktionen unterschiedliche Teilmengen- und Spezifizitätsaspekte von Referenzobjekten. Das Luxemburgische verfügt über ein ausgebautes System an Partitivkonstruktionen, dessen Grundzüge in diesem Kapitel dargelegt werden sollen. Ausgangspunkt dieses Kapitels sind Konstruktionen, welche die Partitivformen däers/es oder där/der enthalten. Neben der Verwendung eines Partitivpronomens (Typ: ech brauch es nach ‚ich brauche noch welches’) sind auch Partitivartikel (Typ: däers Kéis doheem hunn ‚diese Art von/solchen Käse zuhause haben’)56 im Luxemburgischen belegt. Um diese Formen in ihrer Syntax und Semantik besser verstehen zu können, werden im Folgenden unterschiedliche Partitivkonstruktionen aus dem Korpus vorgestellt und erste Analysen zu ihren syntaktischen und semantischen Eigenschaften gezeigt. Insgesamt sollen diese Belege erste Beispielanalysen zu diesem Phänomenbereich liefern, die mit einem nicht standardisierten und nicht annotierten Korpus durchführbar sind.

411Zunächst werden in Kapitel 5.3.2 die strukturellen Eigenschaften besprochen: Welche sind die formalen Eigenschaften von Partitiva und für welche Referenzobjekte sind sie verfügbar? Kapitel 5.3.3 widmet sich den Verwendungsweisen und der Semantik von Partitivkonstruktionen. Dabei muss die nominale von der pronominalen Verwendung unterschieden werden, da sie über unterschiedliche Bedeutungsdimensionen verfügen. Des Weiteren werden in den Kapiteln auch Wortstellungsoptionen sowie die Konzepte von Spezifizität und synthetischen Partitiven besprochen. Im Anschluss werden die luxemburgischen Partitivkonstruktionen dann in einem größeren, typologischen Kontext betrachtet (Kapitel 5.3.4), da nicht nur das Luxemburgische über Partitiva verfügt. Abschließend werden die wichtigsten Prinzipien zum luxemburgischen Partitiv noch einmal zusammengefasst (Kapitel 5.3.5). Am Ende des Themenkomplexes wird in Kapitel 5.4 ein umfassenderes Fazit gezogen, was sowohl auf den Partitiv als auch auf Possession und Genitiv eingeht, um diese drei Bereiche systematisch in Relation zu setzen.

5.3.2 Form und Distribution von partitiven Konstruktionen

412Wie Pronomen im Allgemeinen stehen auch Partitivpronomen stellvertretend für ein Substantiv. Dieser phorische Gebrauch ist in diesem Fall jedoch nicht für alle Substantivklassen verfügbar. Je nach Art des Referenten (Zählbarkeit, Genus, Numerus) stehen die Varianten där/der (87) sowie däers/es (88) zur Verfügung, wobei die erstgenannte die starke (där [dɛə], däers [dɛəs]) und die zweitgenannte die schwache Variante (der [], es [əs]) darstellt.

413(75)Kanns du mir där/der matbréngen?
Kannst du mir PRTV57 mitbringen?
möglicher Referent 1: Mëllech ‚Milch’ (Sg., unzählbar, Fem.)
möglicher Referent 2: Kamellen ‚Bonbons’ (Pl., zählbar, Fem.)

414(76)Kanns du mir däers/es matbréngen?
Kannst du mir PRTV mitbringen?
möglicher Referent 1: Botter ‚Butter’ (Sg., unzählbar, Mask.)
möglicher Referent 2:
Gehacktes ‚Hackfleisch’ (Sg., unzählbar, Neutr.)

415Mögliche Referenten für där/der (75) können unzählbare Feminina im Singular oder Plurale sein. Die Formen däers/es (76) referieren ihrerseits ausschließlich auf unzählbare Singulare im Maskulinum und Neutrum. Am häufigsten finden sich Sätze mit dem Partitivpronomen där/der mit Pluralreferenz. Dies lässt sich dadurch erklären, dass die Anzahl an potentiell verfügbaren Referenten im Plural deutlich größer ist als die Anzahl an unzählbaren Substantiven im Singular. Die mögliche Referenz auf Plurale macht deutlich, dass Partitiva im Grunde genommen kein Zählbarkeitskriterium haben, sondern vielmehr ein Individuierbarkeitskriterium.58 Der Plural Kamellen ‚Bonbons’, auf den mit dem Partitivpronomen där/der referiert werden kann, ist durchaus zählbar, in der Pluralform allerdings nicht individuierbar (der Plural wird als indefinite Menge wahrgenommen). Das Partitivpronomen dient demnach dazu, auf Mengen zu referieren, die nicht individuierbar sind, seien es unzählbare Singulare oder Plurale im Allgemeinen. Zählbare Singulare sowie definite Plurale können nicht durch ein Partitivpronomen ersetzt werden.

416Auch Partitivartikel können nur an Plurale oder an unzählbare Substantive im Singular angehängt werden. Wie bei den Partitivpronomen sind Genus, Numerus und Zählbarkeit (i.S.v. Individuierbarkeit) ausschlaggebend für die Wahl des entsprechenden Partitivartikels. Unzählbare Maskulina und Neutra verlangen die Form däers (77), unzählbare Feminina und Plurale bekommen den Partitivartikel där (78).

417(77)Hu mer nach däers Téi?
Haben wir noch PRTV Tee?
‚Haben wir noch (etwas) von diesem Tee?’

418(78)Hu mer nach där Äppel?
Haben wir noch PRTV Äpfel?
‚Haben wir noch welche von diesen Äpfeln?’

419Bei der Verwendung als Partitivpronomen besteht Variation zwischen den starken und schwachen Varianten, wobei vornehmlich die schwachen verwendet werden. Beim Gebrauch als Partitivartikel sind hingegen nur die starken Pronomen zulässig.

420Partitiva (Pronomen sowie Artikel) kongruieren mit ihrem Referenznomen in Numerus und Genus; dabei stehen zwei Grundformen zur Verfügung: däers (schwache Form es) für Maskulina und Neutra im Singular und där (mit der pronominalen Reduktionsvariante der) für Femininum Singular und Plurale.59 Die folgende Abbildung veranschaulicht die eben genannten Kongruenzmuster (starke Form in Fettdruck).

Abbildung 6: Partitiva im Luxemburgischen
Abbildung 6: Partitiva im Luxemburgischen

421Doch nicht nur die Artikel, auch die Adjektive innerhalb partitiver NPs (d. h. NPs mit Partitivartikel) unterliegen bestimmten Flexionsbedingungen. Wie in der kleinen Wortartenlehre (Kapitel 4) bereits beschrieben wurde, wird am Substantiv nur noch Numerus markiert. Auch in partitiven NPs bleibt diese Regel konstant. Die Flexion des Adjektivs in einer partitiven NP mit dem Aufbau [däers/där + Adj. + N] kann der folgenden Tabelle entnommen werden.

NumerusGenuspartitive NP mit AdjektivFlexionssuffix
(Adj. in Partitiv-NP)
Sg.Mask.däers gudd-en Hunneg ‚PRTV guter Honig’{-en}
Neutr.däers deier-en Holz ‚PRTV teures Holz’{-en}
Fem.där gudd-er Mëllech ‚PRTV gute Milch’{-er}
Pl.där kleng-er Betrib-er ‚PRTV kleine Betriebe’{-er}
Tabelle 45: Flexionsendungen bei Adjektiven nach Partitivartikel

422Vergleicht man diese Flexionssuffixe nun mit den Suffixen, die in Kapitel 4 vorgestellt wurden, fällt auf, dass sich die partitiven Singularformen des attributiven Adjektivs nicht von den Dativformen unterscheiden, wodurch es im Singular zu einer Formgleichheit zwischen Dativ und Partitiv kommt.

423Der Plural zeigt jedoch ein gesondertes Flexiv beim Partitiv, nämlich {-er}. An dieser Stelle wird deutlich, dass dem Partitiv nicht nur eine besondere Semantik, sondern auch eine besondere Morphologie zugrunde liegt (ein Umstand, der in Bezug auf den nominalisierten Partitiv eine wichtige Rolle spielt, vgl. Kapitel 5.3.3). Die Flexionssuffixe dieser Adjektive überschneiden sich dabei mit den Genitivsuffixen im Mittelhochdeutschen (vgl. Paul 2007: § M 23), sodass hier eine Verbindung zu einem älteren Genitivflexiv zu sehen ist. Aufgrund dieser historischen Zugehörigkeit sind die Partitiva auch Teil des Genitivkapitels. Da sie aber – im Gegensatz zum sporadischen Genitiv – ein stabiles System im Luxemburgischen darstellen, werden sie dem Genitivkapitel sozusagen beigeordnet (und nicht untergeordnet). Dem genauen Zusammenhang zwischen Genitiv und Partitiv ist am Ende ein gesondertes Kapitel gewidmet (vgl. Kapitel 5.4).

424Beim Blick auf das mittelhochdeutsche Paradigma der Personal- und Demonstrativpronomen zeigen sich ähnliche Formen wie bei den luxemburgischen Partitiva däers (stark) und es (schwach), nämlich des (Demonstrativpronomen, Mask./Neutr.Gen.Sg.) und ës (Personalpronomen, 3.Pers.Mask./Neutr.Gen.Sg.) (vgl. Paul 2007: § M 41, M 44). Das Genitiv-Pronomen es (Mask.Sg./Neutr.Sg.) wurde jedoch bereits im Frühneuhochdeutschen durch die Formen sin-/seiner ersetzt (vgl. Walch & Häckel 1988: 85).

425Die Formen där (stark) und der (schwach) gehen auf die althochdeutschen Demonstrativa thëro/dëro/dëra (Dem.Pro.Sg.Gen.Fem.+Pl.Gen.) zurück (vgl. Strobel 2012: 410). Auch im Mittelhochdeutschen lauten die genitivischen Demonstrativpronomen im Femininum Singular und Plural dëre oder dër (vgl. Paul 2007: § M 44, M 46). Demnach zeigen die luxemburgischen Partitiva eine große formale Ähnlichkeit zu den genitivischen Demonstrativa und Personalpronomen im Mittelhochdeutschen.

5.3.3 Semantische und syntaktische Eigenschaften

426Luxemburgische Partitiva verfügen über besondere syntaktische und semantische Eigenschaften. Dabei ist die folgende Beschreibung in zwei Bereiche unterteilt: die Verwendungsweisen von Partitivpronomen sowie von Partitivartikeln. Danach werden Wortstellungsoptionen und syntaktische Funktionen von Partitivkonstruktionen besprochen. Ein zusätzliches Kapitel bezieht sich auf den Ausdruck von Spezifizität im Luxemburgischen. Da Spezifizität eine große Rolle bei der Semantik von Partitiva spielt, soll gezeigt werden, welche (weiteren) Möglichkeiten zur Markierung von Spezifizität bestehen. Darüber hinaus soll auch über „synthetische Partitive“ im Luxemburgischen diskutiert werden, d. h. über Partitivflexive an nominalisierten Adjektiven.

Partitivpronomen

427Partitivpronomen haben zwei zentrale Eigenschaften, die im Folgenden anhand von Korpusbelegen erklärt und diskutiert werden:

428
  • Partitivpronomen stellen einen indefiniten anaphorischen Bezug her.
  • Quantoren werden häufig von einem pluralischen Partitivpronomen (där/der) begleitet.

429Partitivpronomen stellen einen indefiniten anaphorischen Bezug her.

430Die Partitivpronomen där/der sowie däers/es haben die Eigenschaft, indefinite, unzählbare Singulare und Plurale zu pronominalisieren. Die Verwendung von där/der sowie däers/es als indefinites anaphorisches Pronomen lässt sich in seinen Grundzügen mit dem standarddeutschen Indefinitpronomen welch- (flektierbar nach Genus, Numerus und Kasus) oder dem französischen Partitivpronomen en (nicht flektierbar) vergleichen.60 Wie im Kapitel zuvor bereits gezeigt wurde, verweisen die Formen däers/es auf Maskulinum und Neutrum Singular (unzählbar), die Formen där/der auf Femininum Singular (unzählbar) und auf Plurale.

431Das Partitivpronomen däers (stark) bzw. es (schwach) kann demnach auf Substantive wie Schockela ‚Schokolade’ (unzählbar, Mask.Sg.), Salz oder Cannabis (beide unzählbar, Neutr.Sg.) referieren.

432(79)ech haat scho chokolat am printer [...] elo hun ech es an der tastatur (Chat)
ich hatte schon Schokolade im Drucker [...] jetzt habe ich PRTV in der Tastatur

433Bei diesem Beispiel wird das indefinite unzählbare Nomen chokolat (grafische Variante zu Schockela ‚Schokolade’) eingeführt. Im nachfolgenden Satz wird mittels des schwachen Partitivpronomens es darauf Bezug genommen (markiert durch Unterstreichung).

434In Satz (80) soll anaphorisch auf das indefinite unzählbare Nomen Salz (Neutrum) verwiesen werden. Auch hier erfolgt die Referenz durch das schwache Partitivpronomen es. In (81) wird die starke Form däers als Pronomen für Cannabis verwendet.

435(80)Den Ament hu mer nach e Stock vu 4.000 Tonne Salz a mir kréien es och all Dag nogeliwwert. (Online-News)
den Moment haben wir noch einen Vorrat von 4000 Tonnen Salz und wir bekommen PRTV auch jeden Tag nachgeliefert.

436(81)[...] vun deenen, déi Cannabis consomméieren [...]. Et sinn [...] ëmmer méi jonk Leit, déi däers consomméieren. (Politik)
von denen, die Cannabis konsumieren [...]. Es sind [...] immer mehr junge Leute, die PRTV konsumieren

437Deutlich häufiger sind die Partitivpronomen där/der anzutreffen. Im folgenden Satz stellt das schwache Partitivpronomen der [] einen indefinit-anaphorischen Bezug zum pluralischen Referenznomen Schnecken ‚süße Schnecken’ her.

438(82)Hutt dir Schnecken? – Jo, ech hunn der. (Lehrbuch)
haben Sie Schnecken? – Ja, ich habe PRTV.

439Bei (83) dient das Partitivpronomen der als anaphorisches Pronomen zu dem indefiniten Plural e puer Studioen ‚ein paar Einzimmerwohnungen’, der zuvor im Textverlauf genannt wurde.

440(83)Do sinn nach e puer Studioe um ieweschte Stack ze verlounen. [...] Mir hunn der vun 20 a vu 25 Quadratmeter. (Lehrbuch)
Da sind noch ein paar Einzimmerwohnungen im obersten Stock zu vermieten. [...] Wir haben PRTV von 20 und von 25 Quadratmetern.

441Das Partitivpronomen für Plurale där/der bildet in gewisser Weise das pluralische Pendant zum singularischen Indefinitpronomen een/eng/eent ‚ein/eine/eins’. Beispiel (84) zeigt, dass bei (a) der Indefinitartikel eng in (b) zum Indefinitpronomen eng wird. Bei (85) hingegen wird aus dem Ø-Artikel der indefiniten Plural-NP in (a) ein der-Pronomen bei (b), d. h. ein Partitivpronomen für Plural. Die einzige Variable, die sich bei diesem Beispiel ändert, ist Numerus, sodass das Indefinitum eng und das Partitivum der über eine parallele Funktion des indefiniten Verweises verfügen (jeweils für Singular und für Plural).

442(84)a) Hutt dir eng Äppeltaart?
Haben Sie eine Apfeltarte?
b) Jo, ech hunn eng.
Ja, ich habe eine.

443(85)a) Hutt dir Ø Äppeltaarten? (Lehrbuch)
Haben sie Apfeltartes?
b) Jo, ech hunn der.
Ja, ich habe PRTV.

444Dieser indefinite Gebrauch kommt in manchen Fällen auch ohne explizites Referenznomen aus. Der entsprechende Referent erschließt sich meistens aus dem Kontext. Im folgenden Beispiel etwa werden Prügel, Ohrfeigen oder andere Handgreiflichkeiten angedroht, in (86) als indefiniter Singular mit eng ‚eine’, in (87) als indefiniter Plural mit der ‚welche’.

445(86)Pass op, soss kriss de eng. [indef. Sg.]
Pass auf, sonst kriegst du eine.

446(87)Pass op, soss kriss de der! [indef. Pl.]
Pass auf, sonst kriegst du PRTV!

447Das Partitivpronomen där/der dient also als pluralisches Indefinitpronomen, wobei Partitivität und Indefinitheit als zwei unterschiedliche Kategorien zu bewerten sind, „die jedoch Berührungspunkte und Überschneidungen aufweisen, die zu ihrer begrifflichen Vermischung führen können“ (Glaser 1993: 100). Die Markierung von Indefinitheit ist somit nur eine Funktion des Partitivums im Luxemburgischen, wie im Laufe des Kapitels gezeigt werden wird.

448Quantoren werden häufig von einem pluralischen Partitivpronomen begleitet.

449Der Gebrauch von Partitivpronomen kann ohne Quantor (a) oder mit Quantor (b+c) erfolgen. Im folgenden Beispiel (88) finden sich drei unterschiedliche Quantifikationsmuster: (a) zeigt eine Verwendung ohne Quantor (mit einfachem Partitivpronomen, wie es zuvor beschrieben wurde), (b) und (c) hingegen zeigen eine Kombination aus Partitivpronomen (der) und Quantor (zwou ‚zwei’; e puer ‚ein paar’).

450(88)Keefs du Mëtschen? (Lehrbuch)
Kaufst du Kaffeeteilchen?
a) Jo, ech kafen der. (Quantität: unbekannt, jedoch > 1)
ja, ich kaufe PRTV
b) Jo, ech kafen der zwou. (Quantität: 2)
ja, ich kaufe PRTV zwei
c) Jo, ech kafen der (e) puer. (Quantität: ≥ 2)
ja, ich kaufe PRTV ein paar

451An dieser Stelle soll zunächst ein näherer Blick auf die Quantoren und das Verhältnis zwischen Partitivpronomen und Quantor geworfen werden. Unter einem Quantor werden in diesem Zusammenhang definite und indefinite Mengenangaben verstanden. Da die Wortartenzugehörigkeit nicht immer eindeutig ist, werden hier diejenigen Wortarten genannt, die darunter zu verstehen sind. Zahlwörter (Numeralia) werden als definite Quantoren eingestuft. Sie können als alleiniges Zahlwort (2, 345, 1000) oder in Kombination mit einem Adverb wie bei bal 200 ‚fast 200’ oder schonn dräi ‚schon drei’ auftreten. Zu den indefiniten Quantoren zählen verschiedene quantifizierende Pronomen und Adjektive wie genuch ‚genug’, e puer ‚ein paar’ oder ze wéineg ‚zu wenig’, da sie eine unbestimmte Quantität angeben.

452In den zuvor genannten Beispielsätzen aus (88) werden bei (b) und (c) die beiden Quantoren (2, e puer) pronominal verwendet, d. h. das Bezugsnomen Mëtschen ‚Kaffeeteilchen’ wird nicht ausgedrückt. Der schwache Partitivartikel der in (b) ech kafen der zwou erfüllt hier zwei Funktionen: zum einen referiert der auf das Bezugsnomen Mëtschen, das im Satz zuvor erwähnt wurde. Zum anderen verweist das Partitivpronomen auf die Referenzmenge, auf die sich der Quantor bezieht: der zwou steht demnach für ‚zwei davon’ – oder noch genauer: ‚zwei aus der zuvor genannten Referenzmenge Mëtschen’. Der entsprechende Satz (b) ohne Partitivpronomen (*Jo, ech kafen zwou.) ist im Luxemburgischen ungrammatisch.61 Das folgende Beispiel soll diese beiden Punkte (1: indefiniter Bezug auf den Referenten, 2: Bezug zur Referenzmenge) verdeutlichen.

453(89)ech kafen der1 zwou2
ich kaufe PRTV zwei
1: indefiniter Bezug zu Mëtschen
2:
Bezug auf Referenzmenge

454Das nachfolgende Beispiel aus dem Korpus dreht sich um den indefiniten Plural Fligeren ‚Flieger’. Im anschließenden Satz wird erwähnt, dass – obwohl Luxemburg nur ein Exemplar kauft – manche Länder 50 oder 60 Stück kaufen. Der Quantor lautet also 50 bis 60 und wird auch hier vom Partitivpronomen der begleitet, wodurch einerseits der indefinite Bezug zu Fligeren hergestellt und andererseits die Referenzmenge für den Quantor 50 bis 60 verdeutlicht wird.

455(90)Dofir kafe mir jo och an deem risege Programm vun 180 Fligeren [...] nëmmen een. Anerer kafen der 50 bis 60. (Politik)
darum kaufen wir ja auch in diesem riesigen Programm von 180 Fliegern nur einen. Andere kaufen PRTV 50 bis 60.

456Im folgenden Kontext geht es um das indefinite Bezugsnomen Kanner ‚Kinder’. Da im folgenden Kontext auf die Anzahl der Kinder verwiesen wird, ohne die Referenzmenge Kanner explizit zu benennen, wird auch hier ein entsprechendes pluralisches Partitivpronomen neben den pronominalen Quantor 2 oder 11 eingesetzt.

457(91)dann ass et egal ob et der 2 oder 11 sin (Chat)
dann ist es egal ob es PRTV 2 oder 11 sind

458Wie bereits zuvor erwähnt, muss ein Partitivpronomen nicht immer ein explizites Referenznomen haben. Die Referenz kann auch durch den Kontext ergänzt werden. Im folgenden Satz etwa soll ausgedrückt werden, dass eine große Menschenmenge bei einem Gottesdienst anwesend war. Der Sprecher möchte demnach ausdrücken, dass ‚genug Menschen’ dort waren, ohne im Satz das Wort ‚Menschen’ explizit auszudrücken und ohne dass dieses Wort zuvor verwendet wurde. Dies geschieht mit dem Partitivpronomen der, das mit dem Quantor genuch in Verbindung zu setzen ist (‚genug von der impliziten Referenzmenge Menschen’).

459(92)jo do waren der genuch (Chat)
ja, dort waren PRTV genug

460Ein weiteres Beispiel mit Partitivpronomen und pronominalem Quantor wird in (93) gezeigt. Bei diesem Beispiel handelt es sich um ein Vorstellungsgespräch, in dem nach weiteren Bewerbern gefragt wird. Daraufhin antwortet der Arbeitgeber, dass sich morgen noch drei Bewerber vorstellen. Da das Referenznomen Bewerber jedoch nicht wiederholt wird, kommt auch hier ein Partitivpronomen zum Einsatz: (et kommen) der dräi.

461(93)Et komme sech der mar nach 3 virstellen. (Haupert et al. 2002: 117)
es kommen sich PRTV morgen noch drei vorstellen

462Partitivpronomen und Quantor werden in (93) allerdings durch das Temporaladverb mar ‚morgen’ auseinandergeschoben. Aufgrund dieser Distanzstellung des Quantors ergeben sich für pronominale Partitive mit Quantor mehrere Wortstellungsoptionen, die im weiterenVerlauf dieses Kapitels ausführlicher besprochen werden. Dort wird auch auf das so genannte Quantorenfloating näher eingegangen (Terminus nach Hoeksema 1996).

463Aus den Daten geht also hervor, dass Quantoren, die pronominal verwendet werden, meistens ein Partitivpronomen fordern, wodurch auf die (indefinite) Referenzmenge Bezug genommen werden kann (der dräi ‚drei davon/von diesen’). Diese Aussagen beziehen sich in erster Linie auf die hier gemachten Beobachtungen im Korpus und sollten in weiteren Studien in Bezug auf Obligatorik und auch für negative Quantoren (keng ‚keine’) überprüft werden. Dass in diesem Bereich Variation besteht, zeigt der folgenden Beleg aus dem Korpus, bei dem deutlich wird, dass bei topikalisiertem Quantor das Partitivpronomen weglassbar sein kann:

464(94)Zwee sinn der vum selwen erauskomm, zwee sinn Ø vun de Beruffspompjeeën erausgeholl ginn. (Online-News)
zwei sind PRTV vom selben herausgekommen, zwei sind von den Berufsfeuerwehrleuten herausgeholt worden

Partitivartikel

465Partitivartikel zeichnen sich dadurch aus, dass sie Substantive näher spezifizieren, indem sie auf eine besondere Eigenschaft des Referenten hinweisen. Zudem können sie auf spezifizierte62 Teilmengen Bezug nehmen. Im vorliegenden Kapitel werden diese beiden zentralen Eigenschaften von Partitivartikeln nun anhand von Korpusbelegen näher beschrieben.

466Partitivartikel heben besondere Eigenschaften eines Nomens hervor.

467Der Partitivartikel (däers, där – nur in der starken Form) erfüllt im Luxemburgischen eine Funktion, die einem Demonstrativartikel nahekommt (bei Schanen & Zimmer 2012 wird er auch als genitivischer Demonstrativartikel klassifiziert). Ähnlich wie beim demonstrativen solch-Artikel im Deutschen (vgl. Dudengrammatik 2006: 330) wird durch den Partitivartikel auf eine besondere Eigenschaft des Nomens hingewiesen (Verweisfunktion), wodurch das Referenznomen näher spezifiziert wird.63 Der Partitivartikel darf jedoch nur bei nicht individuierbaren Substantiven verwendet werden (d. h. bei unzählbaren Singularen oder Pluralen).

468In einem Satz wie (95) wird durch den Partitivartikel där auf eine bestimmte Sorte von Kostümen hingewiesen, d. h. die Aussage trifft nicht auf alle Kostüme zu, sondern nur auf eine spezifizierte Referenzmenge. Diese Spezifizierung muss allerdings durch den Kontext ableitbar sein. E puer där Kostümer ‚ein paar solcher Kostüme’ bezieht sich in diesem Fall auf Halloweenkostüme, die zuvor im Text erwähnt wurden.

469(95)et ginn e puer där Kostümer64
es gibt ein paar PRTV Kostüme
‚es gibt ein paar solcher Kostüme’

470Wenn es nun e puer där Kostümer gibt, dann wird damit ausgedrückt, dass man:

471
  • über ein paar Kostüme spricht (Quantität),
  • auf eine bestimmte Art von Kostümen referiert (Spezifizität),
  • was sich wiederum aus dem Gesprächskontext oder einem zuvor erwähnten Bezugsnomen ableiten lässt (Verweisfunktion).

472Somit kann mit der partitiven NP där Kostümer auf die im Text zuvor angesprochenen Halloweenkostüme referiert werden. Da im Anschluss näher auf Quantitätsaspekte eingegangen wird, stehen hier Spezifizität und Verweisfunktion im Vordergrund.

473Wenn in diesem Zusammenhang von Spezifizität65 gesprochen wird, so handelt es sich um ein semantisch-pragmatisches Konzept, bei dem der Sprecher auf eine bestimmte Eigenschaft des Referenznomens hinweisen möchte, die er für besonders relevant („noteworthy“) erachtet (vgl. Ionin et al. 2004). Spezifizität, im Sinne eines gezielten Verweises auf eine bestimmte Eigenschaft, wird mitunter auch als „noteworthy property“ beschrieben (vgl. Ionin et al. 2004; Ionin 2006). Für den luxemburgischen Partitivartikel möchte ich hier den Begriff „Hervorhebungsprinzip“ etablieren, da durch den Einsatz dieses Artikels bestimmte Eigenschaften des Referenten hervorgehoben werden.

474Die Spezifizität einer partitiven Nominalphrase (partitive NP in (96)b) bezieht sich meistens auf einen zuvor genannten Diskursreferenten (in (96)a). Dieser thematisch relevante Diskursreferent verfügt dabei häufig über ein Attribut, das eine besondere Eigenschaft kennzeichnet.66 Dies kann wie im folgenden Beispiel eine Apposition sein, die bestimmte Käsesorten aufzählt (Diskursreferent ist bei (a) unterstrichen). Da im Verlauf des Textes auf diesen Diskursreferenten – mitsamt den spezifizierten Käsesorten – verwiesen werden soll, kommt es in (b) zur partitiven NP däers Kéis ‚diese Art von / solchen Käse’.

475(96)a) Et handelt sech ëm d'Kéiszorten „Reinhardshof, Harzer Käse“ a „Reinhardshof, Bauernkäse mit Edelschimmel“ [...] (Online-News)
Es handelt sich um die Käsesorten „Reinhardshof, Harzer Käse“ und „Reinhardshof, Bauernkäse mit Edelschimmel“ [..]
b) [...] Leit déi nach däers Kéis doheem hunn, sollen en op kee Fall iessen.
[..] Leute die noch PRTV Käse zuhause haben, sollen ihn auf keinen Fall essen.

476Der Partitivartikel kann demnach gezielt auf das Attribut der zuvor genannten NP (d. h. die genauen Sorten) verweisen. Im Gegensatz zum Partitivpronomen, das auf das Substantiv an sich verweist, wird das Referenznomen in diesem Fall wiederholt: däers Kéis. Der Partitivartikel verweist somit nicht auf das Nomen an sich, sondern nur auf eine besondere Eigenschaft, die das bezügliche Nomen näher spezifiziert und im Text hervorgehoben werden soll. Die Partitiv-NP ist dabei nur möglich, wenn das Substantiv – wie bei Kéis ‚Käse’ – nicht individuierbar ist.

477Die Referenz auf eine besondere Eigenschaft kann auch am Beispiel des Determinativkompositums Schifergas ‚Schiefergas’ verdeutlicht werden. Das Gas wird hier anhand eines Determinativkompositums näher spezifiziert: Welche Art von Gas? – Schiefergas. Im Folgesatz wird ebendiese Funktion vom Partitivartikel übernommen: Welche Art von Gas? däers Gas (stellvertretend für Schifergas).

478(97)geologesch Schichten, wou däers Gas ze fannen ass (Online-Kommentar)
geologische Schichten, wo PRTV Gas zu finden ist

479Somit erhält die partitive NP däers Gas zwei zusammenhängende Funktionen: sie markiert ein spezifiziertes Gas, indem sie auf das Kompositum Schifergas referiert, und hebt diese Eigenschaft im weiteren Textverlauf hervor. Insgesamt dient der Einsatz eines Partitivartikels hauptsächlich dazu, bestimmte Spezifizitätsaspekte darzustellen, auf die der Sprecher gezielt hinweisen möchte (Hervorhebungsprinzip).

480Partitivartikel können auf spezifizierte Teilmengen Bezug nehmen.

481Manche NPs mit Partitivartikel werden von Quantoren begleitet, auf die im Zuge der Partitivpronomen bereits hingewiesen wurde. Der Quantor sorgt dafür, dass eine Mengenangabe spezifiziert werden kann (hier: e puer ‚ein paar’, Beispiel aus (95)).

482(98)et ginn e puer där Kostümer (Online-News)
es gibt ein paar PRTV Kostüme

483Bei diesem Beispiel gibt es demnach eine spezifizierte Quantität (e puer ‚ein paar’) aus einer spezifizierten Menge (Wieviele? – ein paar. Wovon? – där Kostümer ‚solcher Kostüme’ stellvertretend für Halloweenkostüme). Der Quantor ist in diesem Beispiel indefinit. In Beispiel (99) findet sich eine partitive NP mit definitem Quantor. Hier verweist der Autor mit der partitiven NP 7 Deeg däers Congé ‚sieben Tage (eines) solchen Urlaubs’ auf eine bestimmte Art von Urlaub (hier: Sonderurlaub für Freiwillige) und auf die genaue Anzahl dieser Urlaubstage.

484(99)De Moment kréien déi 7 Deeg däers Congé d’Joer (Online-News)
der Moment bekommen die 7 Tage PRTV Urlaub das Jahr

485Da es sich um einen spezifizierten Urlaub handelt und das Wort Congé ‚Urlaub’ ein unzählbares Singularetantum (Maskulinum) ist, wird hier der Partitivartikel däers Congé verwendet, zusammen mit dem vorangestellten Quantor 7 Deeg ‚7 Tage’.

486Wie nun das Verhältnis von spezifizierten und unspezifizierten Quantitäten und Teilmengen zu verstehen ist, zeigt die folgende Tabelle (Tabellenaufbau angelehnt an Carlier 2007). Grundsätzlich gehe ich von insgesamt vier verschiedenen Quantitäts- und Spezifikationstypen aus (Typ A-D): Diese reichen von der reinen Nennung einer Masse (Typ A) bis hin zu einer spezifizierten Quantität aus einer spezifizierten Teilmenge (Typ D), wie in den Beispielen (98) und (99). Der Ausdruck Masse legt nahe, dass es sich hier – wie bei Partitiven üblich – um eine nicht individuierbare Menge handelt (unzählbare Singulare oder Plurale). Exemplarisch werden in der tabellarischen Übersicht die Referenznomen Wäin ‚Wein’ (Sg.Mask., unzählbar) und Äppel ‚Äpfel’ (Pl.Mask., zählbar) verwendet.

Aufbau der NPBeispielBedeutung
Ø + Ø + NWäin ‚Wein’
Äppel ‚Äpfel’
unspezifizierte Quantität aus unspezifizierter Masse
Quan + Ø + Ngenuch Wäin ‚genug Wein’
genuch Äppel ‚genug Äpfel’
spezifizierte Quantität aus unspezifizierter Masse
Ø + däers + N
Ø + där + N
däers Wäin ‚von diesem Wein’
där Äppel ‚von diesen Äpfeln’
unspezifizierte Quantität aus spezifizierter Masse (Teilmenge)
Quan + däers + N

Quan + där + N
genuch / e Glas däers Wäin
‚genug / ein Glas von diesem Wein’
genuch / dräi där Äppel
‚genug / drei von diesen Äpfeln’
spezifizierte Quantität aus spezifizierter Masse (Teilmenge)
Tabelle 46: Verhältnis von Quantifikation und Spezifizierung bei Mengenbezeichnungen (Tabelle angelehnt an Carlier 2007)

487Die hier aufgestellten Typen bezeichnen unterschiedliche Markierungen von Spezifizität und Quantifikation. Typ A stellt eine einfache, allgemeine Bezeichnung der Masse dar, ohne einschränkende Spezifizierung. In diesem Sinn bezeichnet Wäin ‚Wein’ den Allgemeinbegriff, ohne auf Quantität oder Teilmengen einzugehen. Dieser unspezifizierten Masse Wein kann ein Quantor hinzugestellt werden, wodurch Typ B entsteht: genug Wäin ‚genug Wein’, zwee Glieser Wäin ‚zwei Gläser Wein’. Die referierte Masse wird also durch eine Quantitätsangabe (e puer, genuch, e Glas) semantisch weiter spezifiziert. Nun verfügt das Luxemburgische über einen Partitivartikel, der es ermöglicht, weitere semantische Aspekte auszudrücken. Typ C etwa kennzeichnet eine Nominalkonstruktion mit einem Partitivartikel, der die Funktion hat, eine spezifizierte Teilmenge zu benennen: däers Wäin ‚von diesem Wein’. Diese Untermenge kann zusätzlich durch einen Quantor ergänzt werden (Typ D), der die Teilmenge in Bezug auf ihre Quantität spezifiziert: genuch däers Wäin ‚genug von diesem Wein’, e Glas däers Wäin ‚ein Glas von diesem Wein’. Dabei wird deutlich, dass der Grad an Spezifizität von A nach D zunimmt. Die Typen A und B verfügen über eine nicht spezifische Lesart, die Typen C und D über eine spezifische.

488Die folgende Abbildung soll die unterschiedlichen Quantitäts- und Spezifizitätstypen anhand des Nomens Beispiller ‚Beispiele’ erläutern. Neben der grafischen Darstellung, die eine bessere Übersicht zu den hier relevanten Teilmengenaspekten geben soll, wird zusätzlich markiert, ob bei dem jeweiligen Typ eine Quantitätsangabe vorliegt [+/–QUAN] und ob ein Partitivartikel zur weiteren Spezifizierung verwendet wird [+/–SPEZ].

Abbildung 7: Quantitäts- und Spezifizitätsaspekte bei pluralischen Mengenbezeichnungen
Abbildung 7: Quantitäts- und Spezifizitätsaspekte bei pluralischen Mengenbezeichnungen

489Zu Typ A gehören demnach alle nicht individuierbaren Substantive ohne Determinierer und ohne Quantitäts- oder Spezifikationsangabe.

490(100)Gitt Beispiller! (wiss.Arbeit)
Gebt Beispiele!

491Typ B unterscheidet sich insofern von Typ A, als dass Typ B zusätzlich über einen Quantor verfügt. Dieser kann entweder ein Zahlwort, ein Adverb oder eine andere Mengen- oder Maßangabe sein.

492(101)ech hunn hei zwee Beispiller zitéiert (Politik)
ich habe zwei Beispiele zitiert

493Beispiller ‚Beispiele’ wird hier durch das Zahlwort zwee ‚zwei’ in Bezug auf die Quantität näher spezifiziert, d. h. der Bezug von Beispiller wird durch den Quantor deutlich eingeschränkt (das Substantiv bezieht sich somit nur auf zwei Beispiele).

494Bei den Typen C und D handelt es sich um partitive NPs, da hier spezifizierte Teilmengen benannt werden. In diesen Konstruktionen wird auf bestimmte Eigenschaften des Referenznomens verwiesen. Dabei stellt Typ C einen einfachen nominalen Partitiv (där Beispiller) und Typ D eine Partitiv-NP mit Quantor dar (nach 100 där Beispiller). Der folgende Satz zeigt eine Partitiv-NP des Typs C.

495(102)mir hunn all Dag där Beispiller (Politik)
wir haben jeden Tag PRTV Beispiele

496Die Partitive des Typs D entsprechen von der Grundkonstruktion Typ C, nur dass sie zusätzlich einen Quantor haben.67 Durch den Einsatz eines Quantors wird die Menge an potentiellen Referenten noch weiter eingeengt, ohne dass dabei der indefinite Charakter der Konstruktion verloren geht.

497(103)an ech kéint nach 100 där Beispiller nennen (Online-Kommentar)
und ich könnte noch 100 PRTV Beispiele nennen

Weitere syntaktische Besonderheiten

498Dieses Kapitel beschreibt die Wortstellungsbesonderheiten und syntaktischen Funktionen der Partitiva, die im Zuge der Korpusuntersuchung herausgearbeitet wurden. An dieser Stelle wird also ein erster Versuch unternommen, einen Überblick zur Wortstellung sowie zu den syntaktischen Funktionen von Partitivkonstruktionen zu geben. Dabei sind drei syntaktische Besonderheiten hervorzuheben:

499
  • Bei topikalisierten Partitiva im Plural kann ein schwaches Resumptivpronomen (der) im Mittelfeld auftreten.
  • Bei Konstruktionen mit Quantoren kann es zum so genannten Quantorenfloating kommen, d. h., dass der Quantor an unterschiedliche Satzpositionen rücken kann.
  • Partitiva stehen meistens in der syntaktischen Funktion als direktes Objekt.

500Topikalisierte Partitiva im Plural können ein Resumptivpronomen fordern.

501Wenn eine Partitivkonstruktion im Vorfeld steht – durch Topikalisierung68 oder weil sie das Subjekt bildet – sind zwei Dinge zu beachten: Zum einen können Partitiva nur in der Vollform (däers, där) im Vorfeld stehen und zum anderen kann es bei Partitiva, die sich auf Plurale beziehen, dazu kommen, dass ein zweites, schwaches Partitivpronomen als optionales Resumptivpronomen im Mittelfeld auftritt.

502Bei den Sätzen (104) und (105) wird das Partitivpronomen topikalisiert und es erscheint ein Resumptivpronomen (der) nach dem Subjekt im Mittelfeld. Im Satz (106) erscheint das Resumptivpronomen unmittelbar hinter dem Subjekt mer ‚wir’.

503(104)Referent: <Leit, déi eng Première gemaach hunn> ‚Personen mit Abitur’
Där hu mer der awer nach haut am Chômage (Politik)
PRTV haben wir PRTV aber noch heute in der Arbeitslosigkeit

504(105)Referent: <Leit ouni Diplom> ‚Leute ohne Abschluss’
An där hu mer der vill ze vill an dësem Land. (Politik)
Und PRTV haben wir PRTV viel zu viele in diesem Land.

505Satz (106) zeigt eine Topikalisierungsstruktur ohne ein solches Resumptivpronomen (hier mit Ø gekennzeichnet).

506(106)Referent: <Terrainen, déi broochleien> ‚Grundstücke, die brachliegen’
Och där hu mer Ø hei am Land (Politik)
auch PRTV haben wir ø hier im Land

507Die drei eben gezeigten Sätze verfügen über einen ähnlichen Aufbau, d. h., dass das Partitivpronomen där vom Verb hunn (1.Pers.Pl.) regiert wird und am Satzanfang steht. Selbst die Textsorte ist identisch. Trotzdem scheint Variation zu bestehen, ob ein Resumptivum gesetzt wird oder nicht. Das folgende topologische Feldermodell soll den Gebrauch und die Stellung dieses fakultativen Resumptivpronomens noch einmal deutlich machen.

VFLKMFNFRK
Där
PRTV
hu
haben
mer (der) hei am Land
wir PRTV hier im Land
Tabelle 47: Hauptsatz mit topikalisiertem Partitivpronomen und optionalem Resumptivpronomen

508Partitive Resumptivpronomen treten nur im Plural auf. Zwar kann das Partitivpronomen däers (stellvertretend für Maskulinum und Neutrum Singular) ebenfalls topikalisiert werden, eine Wiederholung durch die schwache Form es kann allerdings nicht im Korpus belegt werden.

509(107)Referent: <Geld> ‚Geld’
[...] an däers huet déi britesch Kinneksfamill nawell net ze knapp (Online-News)
und PRTV hat die britische Königsfamilie durchaus nicht zu wenig

510Die Resumptivpronomen finden sich sowohl bei topikalisierten Partitivpronomen als auch bei topikalisierter Partitiv-NP, wie im folgenden Beispiel deutlich wird.

511(108)An där Beispiller ginn et der vill. (Online-Kommentar)
Und PRTV Beispiele gibt es PRTV viele.

512In diesem Satz passieren aus syntaktischer Perspektive zwei Dinge: Zum einen wird der Quantor vill aus der partitiven NP vill där Beispiller ans Satzende bewegt (mehr dazu im Anschluss). Zum anderen wird der restliche Teil der partitiven NP där Beispiller topikalisiert, was dazu führt, dass im Mittelfeld das optionale resumptive Partitivpronomen der eingefügt wird.

513Quantoren können bei Partitiva unterschiedliche Satzpositionen einnehmen.

514An dieser Stelle möchte ich eine Beispielanalyse vorstellen, die zeigt, welche Positionen für Quantoren verfügbar sind. Auch hier gilt es, erste Tendenzen darzulegen. Da das Korpus leider zu wenige vergleichbare Sätze aufweist, um alle möglichen Positionen aufzuzeigen, wurde hier eine kleine informelle mündliche Befragung mit sechs Muttersprachlerinnen durchgeführt. Um verschiedene Satzbaupläne mit Partitiven durchspielen zu können, wurden die sechs Informanten gebeten, die umgestellten Sätze zu bewerten.

515Der Satz, der als Startpunkt dient, ist dem Korpus entnommen und wird in der Liste als „Neutralstellung“ bezeichnet. Im Anschluss werden die Stellungsmöglichkeiten für die Kombination von Quantor (Zahlwort) und Partitivpronomen (vgl. (109)) sowie für Quantor (Zahlwort) und NP mit Partitivartikel (vgl. (110)) aufgezeigt (in beiden Fällen in der Rolle als direktes Objekt). Die variable Stellung der optionalen Resumptivpronomen (der) wird in den Beispielen entsprechend gekennzeichnet.

516(109)Referent: <Gebaier> ‚Gebäude’
a) Neutralstellung: D’Post huet där/der bal 200. (Online-News)
Die Post hat PRTV fast 200.
NP → V → PRTV → QUAN
b) PRTV-Pronomen im VF: Där huet (der) d’Post (der) bal 200.
PRTV → V → NP (→ PRTV)→ QUAN | PRTV → V (→ PRTV)→ NP → QUAN
c) PRTV-Pronomen im VF: Där huet se (der) bal 200.
PRTV → V → PRO (→ PRTV)→ QUAN
d) Quantor im VF: Bal 200 huet (där/der) d’Post (där/der).
QUAN → V → NP (→ PRTV) | QUAN → V (→ PRTV)→ NP
e) Quantor im VF: Bal 200 huet se (där/der).
QUAN → V → PRO → PRTV

517An den Beispielen kann deutlich gemacht werden, dass der Quantor als Satellit im Satz fungiert (dies gilt für definite als auch für indefinite Quantoren). Aus syntaktischer Perspektive sind mehrere Positionen für den Quantor bal 200 ‚fast 200’ verfügbar.69 Der mehrteilige Quantor bildet im Satz eine einzige Konstituente und kann nicht unterbrochen werden (*bal der 200). In neutraler Position befindet sich der Quantor hinter dem Partitivpronomen (a). Ist der pronominale Partitiv topikalisiert (b, c), befindet sich der Quantor hinter dem Subjekt. Der Quantor selbst kann auch topikalisiert werden (d, e).

518Das folgende topologische Feldermodell soll die syntaktischen Bedingungen der Topikalisierung noch einmal offenlegen. In Satz (b) und (c) ist das Partitivpronomen topikalisiert, wodurch es in seiner starken Form verwendet werden muss. Es kann jedoch im Mittelfeld als Resumptivpronomen wiederholt werden. Dabei sind zwei Positionen verfügbar: Ist das Subjekt ein Substantiv, kann das Resumptivum im Mittelfeld vor oder hinter dem Subjekt stehen (b). Liegt das Subjekt in pronominaler Form vor (c), darf das fakultative Resumptivpronomen der nur hinter dem Subjektpronomen stehen. Gleiches gilt auch bei topikalisiertem Quantor, wenn erneut Subjekt und Partitivpronomen im Mittelfeld aufeinandertreffen (d, e).

VFLKMFNFRK
b) Där
PRTV
huet
PRÄD
(der) d’Post (der) bal 200.
PRTV NP PRTV QUAN
c) Där
PRTV
huet
PRÄD
se (der) bal 200.
PRO (PRTV) QUAN
Tabelle 48: Position des optionalen Resumptivpronomens bei topikalisiertem Partitivpronomen

519Nachdem nun Stellungsoptionen für Quantoren bei Partitivpronomen des Typs der bal 200 gezeigt wurden, komme ich nun zu den syntaktischen Besonderheiten der Quantoren beim Partitivartikel (Typ: 13 där Maschinnen ‚13 solcher Maschinen’). In diesem Fall stehen zunächst zwei Optionen zur Verfügung. Besteht der definite Quantor nur aus einem Zahlwort (hier: 13), hat er eine feste Position vor dem nominalen Partitiv. Dabei kann er entweder zusammen mit dem nominalen Partitiv im Mittelfeld stehen (a) oder am Satzanfang (b). Bei (b) sind Quantor und nominaler Partitiv topikalisiert. Hier kann im Mittelfeld ein partitives Resumptivpronomen (der) auftreten. Da dieser Satz über ein nominales Subjekt verfügt, kann das fakultative Resumptivpronomen vor oder nach dem Subjekt verwendet werden.

520(110)a) D’Airline huet 13 där Maschinne bestallt. (Online-News)
die Airline hat 13 PRTV Maschinen bestellt
NP → V → QUAN → PRTV-NP → V
b) 13 där Maschinnen huet (der) d’Airline (der) bestallt.
QUAN → PRTV-NP → V → NP → V
QUAN → PRTV-NP → V (→ PRTV) → NP → V

QUAN → PRTV-NP → V → NP (→ PRTV) → V

c) Där Maschinnen huet d’Airline der 13 bestallt.
PRTV-NP → V → NP → PRTV → QUAN → V
d) Där Maschinnen huet d’Airline (der) 13 Stéck bestallt.
PRTV-NP → V → NP (→ PRTV)→ [QUAN + N] → V

521Möchte man nur die partitive NP topikalisieren wie bei (c) und (d), d. h. den Quantor 13 als Satellit verwenden, muss der Quantor von einem anderen Element begleitet werden, da isolierte Numeralia, die zu einer partitiven NP gehören, von den meisten Sprecherinnen (5 von 6) abgelehnt werden. Definite Quantoren können unter drei Voraussetzungen isoliert im Mittelfeld stehen: wie bei (c) zusammen mit dem pluralischen partitiven Resumptivpronomen der oder wie bei (d) zusammen mit einem „Hilfssubstantiv“ für Zeit- oder Mengenangaben (hier: Stéck ‚Stück’). In diesem Fall kann erneut ein fakultatives Resumptivpronomen eingefügt werden.

522Im Gegensatz zum definiten Quantor 13, der nicht als isoliertes Zahlwort hinter dem bezüglichen Partitiv stehen kann (*där Maschinnen 13), können indefinite Quantoren wahlweise vor oder hinter der Partitiv-NP stehen, wobei die nachgestellte Variante im Korpus eher selten anzutreffen ist.

523(111)Den Foto-Trade [...] huet vill dees Geschier an der Fënster leien. (Internet)
Der Foto-Trade [..] hat viel PRTV Zeug in dem Fenster liegen.

524(112)Mir brauchen däers Waasser vill (Politik)70
wir brauchen PRTV Wasser viel

525Partitiva haben meistens eine Funktion als direktes Objekt im Satz.

526In den vorangegangenen Beispielen wurden Partitiva von unterschiedlichen Verben regiert. Aus den Daten geht hervor, dass pronominale Partitive meistens in der Objektposition auftreten (22 von 30 untersuchten Sätzen). Weitere acht Sätze zeigen Partitiva in der Rolle als Subjekt oder Subjektsprädikativ71. Die Objektrolle wird meistens vom Vollverb hunn ‚haben/über etwas verfügen’ vergeben. Doch auch andere Verben mit direktem Objekt können Partitive auslösen, hierzu zählen u.a. brauchen ‚brauchen’, kafen ‚kaufen’ oder kréien ‚kriegen’. Die Subjektrolle ist ebenfalls verfügbar (vor allem als Subjektsprädikativ), kommt jedoch insgesamt seltener vor. Als indirektes Objekt werden Partitivkonstruktionen von allen sechs befragten Sprecherinnen abgelehnt (*ech vertrauen där Leit net ‚ich vertraue solchen Leuten nicht’). Auch hinter Präpositionen wird eine partitive NP als ungrammatisch eingestuft (*mat där Leit ginn ech net eens ‚mit solchen Leuten komme ich nicht zurecht’). Da Partitiva hier blockiert sind, wird in diesen Fällen auf andere Mittel der Spezifizierung zurückgegriffen (vgl. dazu die Tabellen (49) und (50) im nachfolgenden Kapitel).

527An dieser Stelle soll noch ein Einzelbeleg angeführt werden, der ein Partitivpronomen als Relativsatzeinleitung zeigt:

528(113)a villen bilateralen Gespréicher, där ech och ee ganze Koup mat dem iresche Premier hat (Interview)
in vielen bilateralen Gesprächen, PRTV ich auch einen ganzen Haufen mit dem irischen Premier hatte

529Das Bezugsnomen lautet in diesem Beispiel Gespréicher ‚Gespräche’. Im direkt anschließenden Relativsatz befindet sich das starke Partitivpronomen där sowie der Quantor ee ganze Koup ‚einen ganzen Haufen’ (Partitiv-NP: där ee ganze Koup ‚davon einen ganzen Haufen’). Das Partitivpronomen där wird neben seiner syntaktischen Funktion als Objekt zusätzlich als Relativpronomen verwendet. Dass es sich hier um einen weiteren, selbstständigen Satz handelt, kann ausgeschlossen werden, da das finite Hilfsverb hat ‚hatte’ am Satzende steht (zur Verbstellung im Nebensatz vgl. Kapitel 8). Eine Verwendung als Relativum ist für Partitiva eher ungewöhnlich und es konnten keine weiteren Belege gefunden werden.

530Neben den Satzfunktionen als Objekt oder Subjekt können Partitiva auch Teil von lexikalisierten Konstruktionen sein. Vor allem die folgenden drei Konstruktionen finden sich jeweils über 40mal in den Daten.

531(114)zevill däers Gudden sinn
zuviel PRTV Guten sein

532(115)sech däers/es bewosst sinn
sich PRTV bewusst sein

533(116)däers/es genuch hunn
PRTV genug haben

534In diesem Kapitel konnte gezeigt werden, dass bei topikalisiertem Partitiv im Plural ein entsprechendes schwaches Pronomen im Mittelfeld als so genanntes Resumptivpronomen auftreten kann. Bei den Quantoren hat sich gezeigt, dass diese unterschiedliche Positionen im Satz einnehmen können. Dabei muss neben den allgemeinen Satzbaubedingungen auch auf den Quantorentyp (indefinit / definit) sowie auf die Art des Partitivums geachtet werden (Pronomen, Artikel). Bei den syntaktischen Funktionen hat sich herausgestellt, dass Partitive in den meisten Fällen eine Rolle als direktes Objekt einnehmen. Sie finden sich allerdings auch als Subjekte bzw. Subjektsprädikative. Darüber hinaus existiert ebenfalls eine Reihe an festen Verb-Konstruktionen mit Partitiva.

Ausdrucksmittel für Spezifizität

535Partitivkonstruktionen verbinden unterschiedliche semantische Eigenschaften, u.a. Indefinitheit und Spezifizität. Letztere wurde im Zusammenhang mit dem Gebrauch des Partitivartikels als „Hervorhebungsprinzip“ gekennzeichnet (nach dem Prinzip der „noteworthy property“ von Ionin 2006). Spezifizität, d. h. der Verweis auf eine bestimmte Menge mit bestimmten Eigenschaften, kann nicht nur durch einen Partitiv ausgedrückt werden, sondern ebenfalls durch andere syntaktische Mittel (Prosodie wird hier nicht berücksichtigt). Diese Mittel variieren durchaus in ihrem Spezifizitätsgrad, sind allerdings für die textuelle Hervorhebung eines nominalen Ausdrucks gleichermaßen relevant. Außerdem sollte beachtet werden, dass Partitive nur für nicht individuierbare Substantive infrage kommen und nicht als indirektes Objekt verwendet werden können, im Gegensatz zu den meisten in Tabelle 49 genannten Mitteln, die keine solche Restriktionen haben.

Partitivartikeldäers/es, där/der
DeterminiererDefinitartikel (stark: den/déi/dat) oder Demonstrativartikel (dësen/dës/dëst)
AttributeAdjektive, restriktive Relativsätze, PP
Adverbiennicht flektierbarer Demonstrativartikel ((e)sou)
Adjunktorphrasenwéi-Vergleiche (‚wie’)
KompositaDeterminativkomposita
Tabelle 49: Ausdrucksmittel für Spezifizität im Luxemburgischen

536Im Folgenden werden diese Spezifikationsmöglichkeiten an einem Beispielsatz illustriert.

537(117)et leet een dann där klenger Steng dohinner (Politik)
es legt man dann PRTV kleine Steine dorthin

538Die Spezifikation der Steine (‚solche kleinen Steine’) kann nicht nur durch ein Partitivpronomen geleistet werden. Auch die folgenden syntaktischen Mittel in Tabelle 50 können die „kleinen Steine“ näher spezifizieren.

Partitivartikeldär klenger Steng ‚von diesen / solche kleinen Steine’
Def./Dem.-Artikeldéi /dës kleng Steng ‚die/diese kleinen Steine’
AttributeAdjektiv: déi speziell kleng Steng ‚diese speziellen kleinen Steine’
Lokaladjektiv:72 déi dote Steng ‚die dortigen Steine’
Relativsatz: déi kleng Steng, vun deenen ech geschwat hunn ‚die kleinen Steine, von denen ich sprach’
Adverbien(e)sou kleng Steng ‚so kleine Steine’
Adjunktorphrasenkleng Steng wéi déi heiten ‚kleine Steine wie die hiesigen’
KompositaGaardesteng ‚Gartensteine’
Tabelle 50: Spezifizierung der NP kleng Steng ‚kleine Steine’

539Man kann sich in diesem Zusammenhang nun die Frage stellen, warum das Luxemburgische nun ein elaboriertes Set an Partitivkonstruktionen entwickelt hat, wenn es auch andere Konstruktionen für die Markierung von Spezifizität gibt. Im Grunde genommen verfügen Partitivartikel über eine Verweisfunktion für Spezifizität, wohingegen die meisten anderen syntaktischen Mittel die Spezifizierung an sich leisten. Diese Verweisfunktion soll noch einmal an einem Beispiel verdeutlicht werden. In Beispiel (118) wird über eine bestimmte Art von Aktien gesprochen. Im Matrixsatz wird das Substantiv Aktien zunächst durch einen restriktiven Relativsatz näher spezifiziert (SPEZ_1). Im anschließenden Nebensatz wird erneut auf diese Aktien verwiesen; das Substantiv Aktien wird wiederholt (jedoch nicht als Pronomen) und der Partitivartikel verweist auf die Spezifizierung des Relativsatzes (SPEZ_1). Dadurch erhält der Partitivartikel eine phorische Funktion (PHOR_SPEZ_1), die in diesem Fall auf den semantischen Inhalt des Relativsatzes verweist.

540(118)Dat ass entstanen duerch déi Aktien, [déi déi Leit kritt hunn deemools als Kompensatioun fir d’Lounkierzungen]SPEZ_1, wou Leit nach haut [där]PHOR_SPEZ_1 Aktien hunn.
‚Das ist entstanden durch die Aktien, die die Leute damals bekommen haben als Ausgleich für die Lohnkürzungen, wo die Leute heute noch solche Aktien haben.’

541Partitivartikel benötigen stets einen bestimmten Kontext, der eine genaue Spezifizierung ermöglicht. Allerdings unterliegen Partitiva auch syntaktischen Restriktionen, sodass in bestimmten Satzkontexten auf ein anderes Ausdrucksmittel für Spezifizität ausgewichen werden muss.

542(119)Referent: <Den Här Schleck an d’Regierung> ‚der Herr Schleck und die Regierung’
esou Leit mat esou Kompetenzen brauche mer do. (Online-Kommentar)
so Leute mit so Kompetenzen brauchen wir da

543Bei (119) hätte die Spezifizierung der ersten NP esou Leit auch anhand einer Partitiv-NP ausgedrückt werden können, schließlich steht die NP satzinitial in der Rolle als direktes Objekt und Leit ist ein nicht individuierbares Nomen: där Leit brauche mer do ‚solche Leute brauchen wir da’. Nicht austauschbar durch einen Partitiv wäre die PP mat esou Kompetenzen, da Partitive nicht von Präpositionen regiert werden können.

544Im Allgemeinen ist es nicht ungewöhnlich, dass unterschiedliche Ausdrucksmittel für Spezifizität in ein und derselben Äußerungssequenz auffindbar sind, schließlich können Elemente auf unterschiedliche Weise umschrieben werden. Das Besondere beim Gebrauch des Partitivartikels bleibt allerdings die Möglichkeit, nicht individuierbare Substantive näher spezifizieren zu können.

Nominalisierte Adjektive und Partitive

545Bei der Darstellung der morphologischen Eigenschaften von Partitiva wurde auf das besondere Adjektivsuffix {er} im Plural hingewiesen: där klenger Betriber ‚solche kleinen Firmen’ (vgl. Kapitel 5.3.2). Diese mit {er} suffigierten Adjektive finden sich jedoch nicht nur in partitiven NPs, sondern auch bei nominalisierten Adjektiven. Das er-Suffix tritt allerdings nur dann bei Adjektiven auf, wenn diese nominalisiert sind, im Plural stehen und ohne Artikel oder mit Quantor verwendet werden. Die folgende Darstellung zeigt demnach das Adjektiv in seiner Grundform, eine Nominalisierung im Plural mit Definitartikel und einen nominalisierten Plural, der ein er-Suffix erhält (einmal mit Ø-Artikel und einmal mit Quantor).

546(120)schlecht > déi Schlecht > Ø Schlechter > e puer Schlechter
schlecht > die Schlechten > Ø Schlechte > ein paar Schlechte

547Das folgende Beispiel aus dem Luxemburgisch-Lehrbuch von Schintgen et al. (2000: 17) zeigt, wie diese nominalisierten artikellosen Adjektive im Kontext verwendet werden.

548(121)Ech hätt gär e Pond Drauwen. (Lehrbuch)
ich hätte gerne ein Pfund Trauben
Wat fir w.e.g.? - Schwaarzer.
Was für bitte - schwarze.PRTV
‚Welche bitte? – Von den Schwarzen.’

549Für die Form Schwaarzer sind zunächst zwei Erklärungsansätze denkbar: Einerseits kann hier eine Adjazenzellipse vorliegen. Die ausgelassenen Wortformen werden in (122) durch die Notation (#Wortform) markiert.

550(122)Wat fir w.e.g.? (#där) schwaarzer (#Drauwen)
was für bitte? (#PRTV) schwarze (#Trauben)

551Andererseits könnte man auch von einer Art synthetischem Partitiv ausgehen, d. h., dass die er-Markierung am Adjektiv eine Partitivmarkierung ist, die ohne den entsprechenden Partitivartikel vorkommt (ohne Annahme einer Adjazenzstruktur wie beim ersten Erklärungsansatz).

552An dieser Stelle soll nun gezeigt werden, wie diese nominalisierten Adjektive bislang kategorisiert wurden und welche Hinweise das Korpus liefern kann. Bei Keller (1961) wird dieses {-er} als normales Wortbildungssuffix klassifiziert. Dort heißt es, dass nominalisierte Adjektive das Genitivsuffix {-er} bekommen, wenn sie nach Numeralia oder ohne Artikel verwendet werden: dräi Grousser ‚drei Große’, dat si Schlechter ‚das sind Schlechte’ (Keller 1961: 272). Auch Schanen & Zimmer (2012: 99, 154) gehen auf diese besonderen Formen ein und kategorisieren sie als artikellose nominalisierte Adjektive im partitiven Genitiv.73 Diese nominalisierten Adjektive können ebenfalls mit den für Partitive typischen Quantoren verwendet werden: zéng / vill / e puer Jonker ‘zehn / viele / ein paar Junge’ (Bsp. nach Schanen & Zimmer 2012: 154).

553Aus formaler Perspektive handelt es sich zunächst um den morphologischen Prozess der Nominalisierung eines Adjektivs. Auffällig ist allerdings, dass nur Plurale ohne Artikel oder mit Quantor ein er-Suffix erhalten. Dabei handelt es sich um das gleiche Suffix, das sich auch in partitiven Nominalphrasen findet: där kleng-er Betriber. Auch aus funktionaler Perspektive gibt es durchaus Überschneidungen mit den Partitiva: Einerseits wird hier eine besondere Eigenschaft hervorgehoben und andererseits wird ein indefiniter Referent im Plural angegeben (dräi Grouss-er ‚drei Große’ vs. déi dräi Grouss-Ø ‚die drei Großen’). Die artikellose Form Schwaarzer aus Beispiel (121) bedeutet demnach ‚solche, auf die die Eigenschaft [schwarz] zutrifft’. Dies lässt sich auch mit verschiedenen Belegen aus dem Korpus verdeutlichen.

554Der folgende Satz ist einem Chat-Gespräch entnommen, in dem über Personen geredet wird, die man nachts auf der Straße trifft. Nachdem eine Person behauptet, nachts niemandem zu begegnen, antwortet eine andere Person mit folgendem Satz:

555(123)an wann ..dann sin et gaaaanz luscher (Chat)
und wenn..dann sind es gaaaanz zwielichtig.PRTV

556Hier wird durch die Nominalisierung des Adjektivs lusch ‚zwielichtig’ (abgeleitet von frz. louche) auf eine Personengruppe verwiesen, auf die die Eigenschaft [+zwielichtig] zutrifft. Durch die artikellose Pluralform bleibt die Gesamtmenge indefinit (Stärkung der Indefinitheit durch er-Suffix), sodass nur ihre Eigenschaft hervorgehoben wird.

557Diese synthetischen Partitive (d. h. die nominalisierten Adjektive mit dem Partitiv-Flexiv) finden sich auch nach Quantoren, wie in (124) zu erkennen ist.

558(124)Wéi eng Ham soll et sinn? (Lehrbuch)
welcher Schinken soll es sein?
Maacht mir 200g gekachtener!
macht mir 200g gekochten.PRTV
‚Geben Sie mir 200g vom gekochten.’

559An dieser Stelle wird die partitive Funktion deutlich, da hier durch den synthetischen Partitiv gekachtener, der meines Erachtens als Nominalisierung großgeschrieben werden müsste, eine Referenzmenge beschrieben wird, aus der 200g zu entnehmen sind. Die in (125) gezeigten Schritte der Wortbildung lauten demzufolge: Verb > attributives Adjektiv aus Partizip II > synthetischer Partitiv (hier mit Quantor).

560(125)kachen > gekachten Ham > 200g Gekachtener
kochen > gekochter Schinken > 200g Gekocht.PRTV

561Im Rahmen dieser vorläufigen Grundüberlegungen zu diesem Phänomen möchte ich auch noch auf den Effekt der Übergeneralisierung dieser er-Suffixe bei nominalisierten Adjektiven hinweisen. Synthetische Partitive lassen sich generell nach akkusativregierenden Präpositionen verwenden: e Buch fir Jugendlecher ‚ein Buch für Jugendliche’ (eine Eigenschaft, die nicht auf Partitivkonstruktionen mit däers/es oder där/der zutrifft). Bei dativregierenden Präpositionen hingegen zeigt sich Variation zwischen der erwartbaren en- und der partitiven er-Endung. Im Korpus findet sich die PP ‚mit Jugendlichen’ 19mal: In 12 Fällen lautet die Form mat Jugendlechen, in den restlichen 7 Instanzen zeigt sich jedoch die partitive Form mat Jugendlecher. Dies bedeutet einerseits, dass sich die er-Endung ausbreitet, und andererseits, dass synthetische Partitive keine Beschränkung in Bezug auf Präpositionen kennen.

562Die genaue Struktur dieser synthetischen Partitive, deren genauen funktionalen Merkmale sowie weitere Belege für Übergeneralisierungen müssen in zukünftigen Studien gezielt analysiert werden. An dieser Stelle sollten lediglich einige Belege und Überlegungen zu diesen Formen gezeigt und problematisiert werden.

5.3.4 Partitivkonstruktionen in anderen Sprachen

563Partitive Strukturen werden für zahlreiche Sprachen beschrieben, beispielsweise für das Finnische, Russische, Armenische, Katalanische, Französische oder Niederländische (vgl. die Überblicksdarstellungen bei Koptjevskaja-Tamm 2001 oder Martí-Girbau 2010). Die Kategorie Partitiv umfasst jedoch ein weites Feld mit unterschiedlichen formalen und funktionalen Eigenschaften in den Einzelsprachen. Demzufolge kann der Bezeichnung Partitiv eine sehr unterschiedliche Bedeutung zugrunde liegen. Im Finnischen oder im Russischen etwa stellt der Partitiv eine feste Größe dar, da es sich in diesen Sprachen um einen eigenständigen Kasus handelt.

564Der Fokus liegt in diesem Kapitel auf den Partitivkonstruktionen im Französischen, Niederländischen sowie in bestimmten Varietäten des Deutschen. Dabei wird auch ein Blick auf frühere Sprachstufen des Deutschen geworfen. Bei der typologischen Betrachtung müssen zunächst Partitivpronomen von -artikeln getrennt werden. Partitivartikel sind in den Varietäten des Deutschen sowie im Niederländischen – soweit die Quellen das Phänomen berücksichtigen – nicht belegt. Sie sind allgemein-typologisch betrachtet durchaus selten (vgl. Carlier 2007: 43). Allein ein kleines laienlinguistisches Heft (Le platt lorrain pour les nuls 2012) beschreibt einen solchen Artikel für das (germanisch-stämmige) Lothringische, das eine Nachbarvarietät zum Luxemburgischen darstellt (der nördliche Teil des Sprachgebiets ist moselfränkisch, der südliche Teil rheinfränkisch) (vgl. Haas-Heckel et al. 2012). Bis auf ein dort abgebildetes Paradigma lässt sich jedoch nichts Essentielles über die Verwendung dieses Partitivartikels sagen.

565Das Französische und das Italienische kennen noch einen Partitivartikel. Dieser hat seine partitive Funktion allerdings zugunsten von reiner Indefinitheit weitestgehend aufgegeben (vgl. Martí-Girbau 2010: 38): des livres ‚Ø Bücher’ oder un verre d’eau ‚ein Glas Ø Wasser’ (eine diachrone Analyse des Partitivartikels im Französischen findet sich bei Carlier 2007). Allein bei der Kombination mit einem quantifizierenden Ausdruck kann Spezifizität mit dem du-bzw. dem de la-Artikel markiert werden: Das unzählbare Substantiv vin ‚Wein’ kann demnach nicht spezifiziert bei un verre de vin oder spezifiziert bei un verre du vin verwendet werden. Diese Art der Opposition beim französischen Artikel de<=>du offenbart sich im Luxemburgischen mit Ø<=>däers/där.

566Deutlich verbreiteter in den indogermanischen Sprachen sind Partitivpronomen.74 Ein prominentes Beispiel sind dabei die romanischen Partitivpronomen. Ohne im Detail auf die entsprechenden Eigenschaften der jeweiligen Pronomen eingehen zu wollen, kann festgehalten werden, dass der partitiv-anaphorische Bezug im Französischen mit en, im Italienischen und im Katalanischen mit ne geleistet werden kann (vgl. u.a. Pollock 1986; Cresti 2003; Carlier 2007; Glaser 2008). Diese Pronomen gehen jedoch nicht auf Genitive zurück, sondern auf das demonstrative Pronominaladverb inde ‚von da’ (vgl. Strobel 2016: 149).

567Im Niederländischen ist der Gebrauch des Partitivpronomens er gut dokumentiert (vgl. De Schutter 1992; Corver, van Koppen & Kranendonk 2009). Neben der partitiven Funktion kann er auch lokativisch, expletiv oder präpositional verwendet werden (vgl. De Schutter 1992; Strobel 2016).75 Insgesamt sind niederländische Partitivkonstruktionen durchaus vergleichbar mit dem Luxemburgischen, d. h., dass sie einerseits eine indefinit-anaphorische Referenz herstellen (vgl. Bsp. (126)) und dass pronominal verwendete Quantoren häufig ein Partitivpronomen verlangen (vgl. Bsp. (127)).76

568(126)a) Mineraal water? – we hebben er ook dat war beter smaakt
b) De l’eau minérale? – Nous en avons aussi qui est mieux
(beide Beispiele nach De Schutter 1992: 17)
‚Mineralwasser? Wir haben auch welches, das besser schmeckt.’

569Bei (126) lautet der vorgegebene Referent Mineralwasser. Als unzählbares Substantiv im Singular kann darauf mithilfe eines Partitivpronomens (nl. er bzw. frz. en) referiert werden. De Schutter (1992: 17) macht hier deutlich, dass das niederländische Partitivpronomen er mit dem französischen Pronomen en in seiner Verwendungsweise verglichen werden kann. In dem folgenden Beispiel nach De Schutter (1992: 15) wird gezeigt, dass das Partitivpronomen er auch zusammen mit den Quantoren al twee ‚bereits zwei’ oder een paar ‚ein paar’ vorkommen kann.

570(127)Van de kandidaten hebben we er al twee / een paar gesproken77
von den Kandidaten haben wir PRTV bereits zwei / ein paar gesprochen

571Zu den Partitivpronomen in den deutschen Dialekten sind vor allem die Arbeiten von Glaser (1992, 1993, 2008) und Strobel (2012, 2016) hervorzuheben. Im Zusammenhang mit dem SyHD-Projekt zeigt Strobel (2012), dass deutsche Partitivpronomen, die aus alten pronominalen Genitiven entstanden sind, unterschiedliche Formen aufweisen: der, dere, ere oder sen. Sie können mit oder ohne Quantor auftreten, wobei die Pronomen häufiger ohne Quantor zu beobachten sind (vgl. Strobel 2016). Die folgenden Sätze illustrieren die partitiven Pronomen ere (für Plurale) und sen (für Neutr.Sg.) im Zentralhessischen.

572(128)Ref.: <Pilze> Hei sen ere! (Strobel 2012: 410)
hier sind PRTV

573(129)Ref.: <Fleisch> Soll eich sen holle? (ebd.)
soll ich PRTV holen

574Auch in den moselfränkischen Dialekten (auf deutscher Seite) sind partitive Pronomen belegt. Ihre anaphorische Funktion gilt ebenso wie im Luxemburgischen für nicht individuierbare Substantive. Für diese Formen liegen zwar keine ausführlichen Dialektbeschreibungen vor, doch das Trierer Wörterbuch (Marx & Schmitt 2011) führt die Formen däs und där als Lemmata mit entsprechenden Beispielsätzen auf.

575(130)Ref.: <Viez> hoatt er däs naoch? (Marx & Schmitt 2011)
habt ihr PRTV noch

576(131)Ref.: <Kartoffeln> eisch könnt där naoch en Dotzend verdraon (ebd.)
ich könnte PRTV noch ein Dutzend vertragen

577Die Formen däs und där sind hier parallel zu den luxemburgischen Formen däers und där zu sehen. Auch im pronominalen Gebrauch scheinen keine großen Unterschiede vorzuliegen (schwache Formen sind allerdings nicht bekannt). In diesen Beispielen werden sie einmal ohne Quantor und einmal mit Quantor (‚ein Dutzend’) verwendet.

578Für die moselfränkischen Varietäten in Belgien (im ehemaligen Herzogtum Limburg, das sich ungefähr von der nördlichen Grenze Luxemburgs bis nach Aachen erstreckt) werden auch Partitivpronomen beschrieben (vgl. Wintgens 1999). In dieser Beschreibung78 werden unter dem Kapitel „pronominale Demonstrativa“ die Partitivpronomen däs/es und ter/der/er aufgeführt (vgl. Wintgens 1999: 79). Der Autor (ebd.) kennzeichnet sie als „Sonderformen [...] in der Bedeutung <dessen, deren, derer>“. Die Pronomen werden allerdings nur nach Numerus (und nicht nach Genus getrennt), d. h. im Singular lautet das Pronomen däs/es, im Plural er/ter.79 Das Beispiel zeigt die pronominale Verwendung mit dem Quantor sechs (mit den jeweiligen regionalen Varianten).

579(132)a) Östliches Sprachgebiet (Belgien): Ech han er zé(é)s.
b) Westliches Sprachgebiet (Belgien): Ech han ter/der zé(é)s.
‚Ich habe deren sechs / J’en ai six.’
(Beispiele und Übersetzung nach Wintgens 1999: 79)

580Die folgende Karte aus Glaser (2008: 108) zeigt die Verteilung der pronominalen (d)er(e)-Formen im deutschen Sprachraum. Glaser (2008) geht auf dieser Karte ausschließlich auf die pronominalen Pluralformen des Partitivs ein.

Abbildung 8: Partitivpronomen im deutschen Sprachraum (Karte nach Glaser 2008)
Abbildung 8: Partitivpronomen im deutschen Sprachraum (Karte nach Glaser 2008)

581Insgesamt finden sich diese Partitivpronomen des Typs (d)er(e) überwiegend im mitteldeutschen Gebiet sowie in kleineren Arealen in der Schweiz.80 Somit zieht sich dieses Gebiet durch Mitteldeutschland über Luxemburg bis in das niederländische Sprachgebiet. Wobei die einzelsprachlichen Verwendungsweisen dieser Pronomen sicherlich zu differenzieren sind. Strobel (2016: 151) kennzeichnet den Bereich der pronominalen Partitivität im Deutschen als „minimal voneinander abweichende (Mikro-)Systeme“. Die Beschreibung des Luxemburgischen kann demnach dazu beitragen, das Bild dieser Mikrosysteme zu ergänzen. Ein direkter Vergleich mit deutschen, luxemburgischen und niederländischen Verwendungsweisen der Partitiva ist an dieser Stelle nur schwer umsetzbar, da die Datenlage stark variiert (Korpusdaten vs. Fragebogendaten aus SyHD und SAND vs. Einzelsätze aus Dialektgrammatiken). Eine gezielte Vergleichsstudie steht demnach noch aus und wäre vor allem im Hinblick auf starke und schwache Partitivpronomen oder Resumptivpronomen ein zukünftiges Forschungsvorhaben. Als gemeinsame Eigenschaft ist jedoch die partitiv-anaphorische Referenz (bei unzählbaren Singularen und Pluralen) anzusehen.

582An dieser Stelle sollen die sprachvergleichenden Betrachtungen diachron ausgeweitet werden, genau genommen wird hier ein Vergleich mit dem Deutschen des 19. Jahrhunderts angestrebt. Aufgrund der noch nicht abgeschlossenen Standardisierung bietet es eine gute Vergleichsbasis mit den Strukturen des Luxemburgischen. Auch im Deutschen des 19. Jahrhunderts finden sich Beispiele für partitive Genitive im Zusammenhang mit definiten und indefiniten Quantoren. Die folgenden Beispiele zeigen Texte, die im Laufe des 19. Jahrhunderts publiziert wurden, und belegen die Verwendung von deren als anaphorisches Pronomen zu einem Referenten im Plural bzw. als Referenzmenge zu einem Quantor.

583(133)Ref.: <Schwefelräucherungen> er nahm deren fünf81

584(134)Ref.: <Vorsichtsmaßregeln> es fehlen deren noch manche82

585(135)Ref.: <Försterwohnungen> es fehlen deren noch 84683

586Das Pronomen deren ist dabei ein eindeutiges Genitivpronomen, das jedoch unterschiedliche Funktionen übernehmen kann: wie hier dargestellt mit partitiver Funktion oder aber – wie heute noch gebräuchlich – als Possessivartikel (Typ: deren Garten). Hier wird deutlich, wie eng die Bereiche Genitiv, Possession und Partitiv miteinander verwoben sind: Die Grundform ist ein Genitiv(pronomen) inklusive unterschiedlicher Funktionen, die sich dann im Laufe der Zeit verändern. Eine partitive Lesart wie in den Beispielen (133) bis (135) würde man im Standarddeutschen wahrscheinlich ablehnen oder als höchst markiert einstufen. Die Kombination des Genitivpronomens deren mit Numeralia findet sich hingegen heute noch im Schweizer Hochdeutschen als „grammatische[r] Helvetismus“ (Glaser 2011: 21).

587Die Verwendung von Partitivpronomen im Niederländischen, Französischen und in manchen deutschen Dialekten scheint sich mit den luxemburgischen Entsprechungen in vielerlei Hinsicht zu überschneiden. Die genauen einzelsprachlichen Bedingungen der Partitivkonstruktionen sollen allerdings nicht Gegenstand dieser sprachvergleichenden Überblicksdarstellung sein und sind in der jeweiligen Forschungsliteratur nachzulesen.

5.3.5 Zusammenfassung

588Der luxemburgische Partitiv umfasst Konstruktionen mit den Partitivartikeln däers und där sowie mit den Partitivpronomen (mit einer starken und einer schwachen Variante) däers/es und där/der. Die Hauptfunktion von Partitiva ist das Anzeigen von Indefinitheit und Spezifizität.

589Partitivpronomen:

590
  • sind anaphorische Pronomen für unzählbare Singulare und für Plurale.
  • bilden den Plural zum Indefinitpronomen een/eng/eent ‚einer/eine/eins’.
  • werden häufig mit Numeralia und anderen Quantoren verwendet.

591Partitivartikel:

592
  • können unzählbare Singulare und Plurale begleiten, um sie näher zu spezifizieren.
  • verweisen auf eine bestimmte Eigenschaft des Nomens, die aus dem Kontext hervorgeht („Hervorhebungsprinzip“).
  • können mit Numeralia und anderen Quantoren verwendet werden.

593Partitiva finden sich im Luxemburgischen sowohl im Schriftlichen als auch im Mündlichen und sind nicht stilistisch markiert. Sie übernehmen meistens die Rolle des direkten Objekts, können jedoch auch als Subjekt verwendet werden.

594Auch in anderen mitteldeutschen Dialekten sowie im Niederländischen sind Partitivformen belegt sind, jedoch vorrangig als Pronomen und in teilweise unterschiedlichen Ausprägungen. Interessant ist jedoch, dass das Luxemburgische auch Partitivartikel vorweist, die im typologischen Vergleich – vor allem in anderen westgermanischen Sprachen84 – nur selten anzutreffen sind.

5.4 Das Verhältnis von Genitiv, Possession und Partitiv

595Genitiv ist zunächst ein Terminus, der aus der traditionellen Grammatikschreibung stammt. In vielen modernen Grammatiken wird noch an dieser Terminologie festgehalten, da etablierte Begriffe häufig beibehalten werden, selbst wenn sie nicht differenziert genug sind. Zudem sollte stets zwischen Form und Funktion getrennt werden. Aus diesem Grund ist eine Korpusanalyse (oder eine andere breite empirische Basis) auch essentiell für das Erstellen von Kategorien, da hier sowohl die Formen als auch die Verwendungsweisen deutlich werden.

596In diesem Kapitel wurden drei zentrale Themen erörtert: der strukturelle Genitiv in Attributen, Adverbialen und als Rektionskasus (als „reiner“ Kasus), das funktionale Merkmal [+possessiv], das – bis auf den Ursprung der Possessivartikel – nicht mehr durch den Kasus Genitiv ausgedrückt wird, und das funktionale Kasusmerkmal [+partitiv], das aus einem Genitiv hervorgegangen ist, sich im Luxemburgischen jedoch als eigenständige Funktion fest etabliert hat. Die reine Funktion [+possessiv] ist durch Attribuierung eines possessiven Dativs oder einer vun-PP gekennzeichnet.

597Dass eine Trennung von Form und Funktion gerade beim Partitiv besonders schwierig ist, zeigen die unterschiedlichen Terminologien und Beschreibungsmodelle in diesem Kontext. Bruch (1955: 67f.) nennt diese Konstruktionen „partitives Demonstrativum“, welches pronominal oder als Artikel verwendet werden kann. Bei Schintgen et al. (2000: 146) wird allein die Form der als unbestimmtes Pronomen eingestuft. Bei Schanen & Zimmer (2012: 106, 165f.) werden Partitivartikel als Demonstrativartikel im Genitiv kategorisiert, Partitivpronomen als anaphorische Demonstrativpronomen. Keller (1961: 272) spricht dem Partitivartikel eine eigene Funktion zu, bleibt aber aus paradigmatisch-struktureller Sicht beim Genitiv als Kasus. Der Genitivzuordnung ist entgegenzusetzen, dass bei NPs mit Partitivartikel kein Genitiv-s am Nomen möglich ist, bei einer ‚echten’ Genitiv-NP hingegen schon: kenges Sportlers ‚keines Sportlers’. Meiner Auffassung nach sollte die Funktion für die Klassifizierung des Partitivs ausschlaggebend sein. Demnach handelt es sich bei däers und där um Partitivartikel und bei däers/es sowie där/der um Partitivpronomen, auch wenn diese aus formeller (diachroner) Perspektive Genitive sind. Nichtsdestotrotz ist Partitivität an sich ein komplexes Konzept, da hierunter nicht nur Teil-Ganzes-Relationen fallen, sondern auch Indefinitheit, Quantität und Spezifizität.

598Auch in den Beschreibungen der deutschen (dialektalen) Partitivpronomen wird versucht, diese Brücke zwischen Form und Funktion zu schlagen. Strobel (2016) etwa nennt die Partitivpronomen mitunter „partitive Genitivpronomina“, um beide Aspekte gezielt zu benennen (den relikthaften Pronominalgenitiv und seine partitive Funktion). Obwohl der Genitiv u.a. im Mittelhochdeutschen zur Kennzeichnung von Teil-Ganzes-Relationen diente, wurde er im Laufe der Zeit in manchen Varietäten abgebaut (vgl. Strobel 2016). Im Luxemburgischen hat sich der Gebrauch dieser Pronomen (und Artikel) allerdings fest etabliert.

599Prinzipiell ist die ursprüngliche Funktion des Genitivs, Substantive semantisch zu modifizieren, wie etwa durch Relationsverhältnisse (Stichwort Possession) oder Partitivität. Hinzu kommt die Verwendung als Rektionskasus von bestimmten Verben und Adjektiven. Die possessiven Funktionen sind im Deutschen mit Genitiven belegt, im Luxemburgischen hingegen nicht. Aus einzelsprachlicher Perspektive scheint sich der Genitiv somit in unterschiedliche Bereiche zu spezialisieren. Für das Standarddeutsche liegt die Hauptfunktion des Genitivs im adnominalen Bereich. Bis auf vereinzelte genitivregierende Verben und Adjektive liegt die Hauptfunktion des (ehemaligen) luxemburgischen Genitivs im partitiven Bereich. Der Bereich der Possession ist im Luxemburgischen nicht mehr mit Genitiven besetzt. Für problematisch halte ich es allerdings, den possessiven Dativ hier als „Ersatzform“ des Genitivs (vgl. Zifonun 2003; Russ 1990) zu bewerten. Dies erweckt den Eindruck, als habe sich der Genitiv zurückgebildet und die Sprecher hätten aktiv nach einem passenden „Ersatz“ für diese strukturelle Lücke gesucht. Tatsächlich sind es meist andere Formen, die – wie im Fall des possessiven Dativs – durch Grammatikalisierung in das System gelangt sind und von den Sprechern immer häufiger verwendet werden, bis ebendieser den Funktionsbereich ergänzt und unter Umständen übernimmt.

6 Pronominalsyntax I: Starke und schwache Personalpronomen

600Für eine adäquate Beschreibung der Personalpronomen sowie für die Erklärung der Stark-schwach-Distinktion (du vs. de) müssen zunächst die morphologische und die syntaktische Ebene getrennt werden. Auch die Terminologie muss an diese Aufteilung angepasst werden: Demnach bezieht sich die Differenzierung zwischen starken und schwachen Formen auf die Morphologie und die Einteilung in volle, reduzierte und klitische Pronomen auf die Syntax. Das nachfolgende Schema nach Weiß (2015) verdeutlicht die Trennung der morphologischen und syntaktischen Ebene und zeigt, dass sich die (morphologisch) schwachen Formen aus syntaktischer Perspektive in reduzierte und klitische Varianten aufspalten85, was auf den Grundüberlegungen zur pronominalen Typologie von Cardinaletti & Starke (1994; 1999) beruht und in diesem Kapitel ausführlich anhand von luxemburgischen Belegen erklärt werden wird.

Abbildung 9: pronominale Typologie, angelehnt an Weiß (2015: 84)
Abbildung 9: pronominale Typologie, angelehnt an Weiß (2015: 84)

601Die morphologische Zweiteilung richtet sich nach der rein formalen Struktur des Pronomens: auf der morphologischen Oberfläche kann ein Pronomen demnach entweder stark oder schwach sein, d. h. es hat entweder die Form du oder de (2.Pers.Sg.). Auf der syntaktischen Ebene hingegen können Pronomen drei unterschiedliche Eigenschaften haben: voll, reduziert oder klitisch. Um diese Dreiteilung zu motivieren, müssen verschiedene strukturelle Eigenschaften der Pronomen analysiert werden. Cardinaletti & Starke (1994; 1999, zit. nach Harley & Trueman 2010) führen dabei die folgenden Kriterien auf:86

602
  1. Morphophonologische Reduktion: Wie ist die lautliche/morphologische Beschaffenheit des Pronomens?
  2. Bezug auf unbelebte Referenten: Kann das Pronomen auf unbelebte Entitäten referieren?
  3. Feste Satzposition: Ist das Pronomen an eine bestimmte Stelle im Satz gebunden?
  4. Möglichkeit der Koordination, Fokussierung, Dislokation: Über welche syntaktische „Eigenständigkeit“ verfügt das Pronomen?

603Die Kriterien (1-4), die den Gebrauch der Personalpronomen aus morphologischer, semantischer und syntaktischer Perspektive charakterisieren sollen, spiegeln auch den Aufbau dieses Kapitels wider: zu Beginn (Kapitel 6.1) wird das Paradigma mit sämtlichen starken und schwachen Formen dargestellt. Das anschließende Kapitel 6.2 geht näher auf die referentiellen Bedingungen von luxemburgischen Personalpronomen ein, sodass hier gezeigt wird, welche Pronomen auf welche Entitäten referieren können. Ergänzt wird der semantische Teil durch besondere pragmatische Eigenschaften der 3. Person Singular, die sich im Luxemburgischen bei der Referenz auf weibliche Personen ergeben (Kapitel 6.3). In Kapitel 6.4 steht schließlich die Syntax im Vordergrund. Hier wird der Frage nachgegangen, wie sich die unterschiedlichen Pronomentypen in Bezug auf die Satzposition und die syntaktische „Eigenständigkeit“ verhalten.87 Kapitel 6.5 zeigt mithilfe einer Rekapitulation des Paradigmas, wie die hier vorgestellten Ergebnisse zu einer Neubewertung der luxemburgischen Personalpronomen führen können. Im letzten Unterkapitel (6.6) wird aufgezeigt, dass die Unterscheidung von starken und schwachen Formen auch in zahlreichen anderen Varietäten belegt ist.

604Insgesamt soll in diesem Kapitel verdeutlicht werden, dass die Wahl zwischen einer starken oder einer schwachen pronominalen Form nicht beliebig, sondern abhängig von semantischen (nicht alle starken Formen dürfen auf alle Entitäten referieren) sowie von syntaktischen Kriterien ist (klitische Formen können nicht jede Position im Satz einnehmen), was anhand von luxemburgischen Belegen aus dem Korpus verdeutlicht werden soll.

6.1 Formeninventar und bisherige Kategorisierungen

605Wie bereits in Kapitel 4 dargestellt, verfügt das Paradigma der luxemburgischen Personalpronomen über starke (volltonige) und schwache (phonologisch reduzierte) Formen. Beide Formen werden im schriftlichen und im mündlichen Gebrauch deutlich voneinander getrennt. Das Paradigma zeigt dabei drei strukturelle Besonderheiten (eine ausführliche Formenbeschreibung findet sich in Kapitel 4):

606
Num.Pers.GenusNominativAkkusativDativ
Sg.1.ech
[əɕ]88
mech
[məɕ]
mir / mer
[miə] / []
2.du / de
[duː] / []
dech
[dəɕ]
dir / der
[diə] / []
3.Mask.hien / en
[hiən] / [ən]
him / em
[him] / [əm]
Neutr.hatt / et / ‘t
[hɑt] / [ət] / [t]
Fem.si / se
[ziː] / []
hir / er
[hiə] / [ɐ]
Pl.1.mir / mer
[miə] / []
eis~ons
[ɑɪs]~ [ons]
2.dir / der
[diə] / []
iech
[iəɕ]
3.si / se
[ziː]/ []
hinnen / (en)
[hinən] / [ən]
Tabelle 51: Morphologische und phonetische Darstellung der luxemburgischen Personalpronomen

607Das Paradigma der luxemburgischen Personalpronomen ist – in zum Teil ähnlicher Form – in zahlreichen luxemburgischen Übersichtsgrammatiken abgebildet (vgl. Bruch 1955; Braun et al. 2005; Christophory 1974; Schanen & Zimmer 2012) und auch in einzelnen Aufsätzen (vgl. Keller 1961; Krier 2002), wobei nicht alle Darstellungen die Aussprache oder bestimmte Varianten aufführen. Beim Vergleich der dort dargestellten Paradigmen fällt ebenfalls die uneinheitliche terminologische Handhabung dieser doppelten Formen auf. Die Terminologie bezieht sich in den meisten Fällen auf die verschiedenen linguistischen Teilbereiche, die mit den Personalpronomen zusammenhängen: betont vs. unbetont (Prosodie), voll vs. reduziert (Phonologie/Morphologie), stark vs. schwach (Morphologie), voll vs. klitisch (Syntax) (vgl. Bruch 1955; Krier 2002; Braun et al. 2005; Christophory 1974; Schanen & Zimmer 2012). Manche Begriffe sind jedoch auch bewusst neutral gewählt, wie die Einteilung in erste und zweite Form bei Schanen & Zimmer (2012: 156).89

608Zur Verteilung und Systematik der Personalpronomen findet sich nur wenig in den zuvor genannten Abhandlungen (denn oft liegt der Anspruch lediglich auf einer kurzen Überblicksdarstellung für Luxemburgischlerner und -interessierte). Die zentralen Erkenntnisse dieser Darstellungen beruhen einerseits auf quantitativen Verteilungen sowie teilweise intuitive Spekulationen zu Betonung und Referenzmöglichkeiten. Krier (2002) beschäftigt sich mit der Klitisierung von Pronomen und findet heraus, dass in den Protokollen der Abgeordnetenkammer 56,75 % starke und 43,25 % schwache Pronomen verwendet werden. Sie führt die diese Verteilung hauptsächlich auf individuelle Präferenzen zurück (vgl. Krier 2002: 49), problematisiert jedoch weder die Textsorte noch die syntaktische Verteilung. Krier (2002: 41f.) stellt außerdem fest, dass das Sprechtempo kein ausschlaggebender Faktor für die Wahl des Pronomens ist, denn beide Formen treten sowohl im Lento- als auch im Allegrostil auf. Bruch (1955) geht im Gegensatz zu Krier (2002) davon aus, dass die schwachen Formen häufiger auftreten, liefert dafür allerdings keinen empirischen Befund. Weiterhin heißt es in zwei anderen Grammatiken, dass die starken Formen in erster Linie bei (prosodischen) Hervorhebungen verwendet werden (vgl. Braun et al. 2005: 117; Schanen & Zimmer 2012: 157). Es soll jedoch in diesem Kapitel gezeigt werden, dass nicht die Betonung, sondern hauptsächlich Syntax und Semantik ausschlaggebend sind. In Bezug auf die Referenzmöglichkeiten gehen Schanen & Zimmer (2012: 157) davon aus, dass die starken Formen vornehmlich auf Menschen (hatt sogar ausschließlich auf weibliche Personen) und die schwachen Formen häufiger auf nicht menschliche Substantive referieren (eine ähnliche Aussage findet sich auch bei Braun et al. 2005: 117). Leider werden diese Punkte in den jeweiligen Texten meistens nicht weiter substantiiert, sodass hier nur erste Hinweise auf Semantik und Syntax geliefert werden.

609Insgesamt werden in den hier aufgeführten strukturellen Beschreibungen des luxemburgischen Pronominalsystems häufig nur Paradigmen und stichprobenhafte Charakteristika gezeigt. Bislang wurde also keine zufriedenstellende Antwort auf die Frage gefunden, wann die starken und wann die schwachen Formen benutzt werden.

6.2 Semantik: referentielle Bedingungen der 3. Person Singular (hatt / hien / si)

610Die Art der Referenz für die Pronomen der 3. Person ist phorisch.90 Dies bedeutet, dass es für jede pronominale Form der 3. Person ein textgebundenes Bezugselement gibt. Das Bezeichnete wird demnach anhand des Textes ermittelt (mit Ausnahme der exophorischen Referenz). Da Substantive (die ihrerseits Personen, Dinge und Sachverhalte denotieren) zusätzlich über ein bestimmtes Genus verfügen, werden die Pronomen der 3. Person Singular ebenfalls nach Genus unterteilt: Maskulinum, Neutrum, Femininum. Für das Pronomen der 3. Person Plural steht nur eine genusunabhängige Grundform zu Verfügung (si), die phorisch auf Mengen Bezug nimmt.

611Die Pronomen der 1. und 2. Person sind hingegen Teil der Deixis, d. h., dass es für jede pronominale Form der 1. und 2. Person ein situationsgebundenes Bezugselement gibt. Demnach ist die 1. Person Singular der Sprechende (ech), die 2. Person der Angesprochene (du), die 1. Person Plural wird durch mehrere Personen inklusive des Sprechenden repräsentiert (mir),91 die 2. Person Plural durch mehrere Personen und den Angesprochenen (dir). Die Semantik spielt bei der 1. und 2. Person (Singular und Plural) keine Rolle für die Wahl eines starken oder schwachen Pronomens.

612Im Luxemburgischen verhält sich die Referenzfixierung der starken Formen der 3. Person Singular (hatt, hien, si ‚es, er, sie’) für jedes Pronomen anders, d. h. nicht alle starken Pronomen lassen beispielsweise eine Referenz zu einem unbelebten Objekt zu. Da es hier feinere Unterschiede als nur den Faktor [+/– belebt] gibt, werden die genauen Bedingungen der starken Pronomen (hatt, hien, si) in diesem Kapitel im Detail herausgearbeitet. In der folgenden Tabelle werden die Referenzfixierungen für die (starken) Personalpronomen im Luxemburgischen als Überblick festgehalten.

Num.PersonFormReferenzfixierung
Sg.1.echsprechende Person
2.duangesprochene Person
3.hattphorisch für Menschen / Tiere mit weibl. Rufnamen
hienphorisch für Menschen / Gegenstände
siphorisch für Menschen / Gegenstände / Abstrakta
Pl.1.mirmehrere Sprecher (+ ich), inkl. / exkl.
2.dirmehrere Sprecher (+ du)
Höflichkeitsform (einer oder mehr)
3.siphorisch für Mengen
Tabelle 52: Referenzfixierung der starken Personalpronomen (nach Döhmer 2016)

613Dass hier nur für die starken Formen Referenzfixierung gezeigt werden, liegt daran, dass schwache Formen prinzipiell auf alle Entitäten referieren können. Die Semantik hat somit nur einen Einfluss auf die starken Pronomen der 3. Person. Aus diesem Grund beschränkt sich die vorliegende semantische Analyse allein auf die Pronomen der 3. Person Singular.92

614Die Referenzfixierung der starken Formen führt dazu, dass stets ein schwaches Pronomen verwendet wird, sobald das Referenznomen „außerhalb“ der Referenzfixierung liegt. Für das neutrale Substantiv Messer etwa steht das starke Pronomen hatt nicht zur Verfügung, da die Referenz mit hatt nur für Personen (und Tiere) mit weiblichem Rufnamen zulässig ist. Hier muss also ein schwaches Pronomen verwendet werden.

615(136)d’Messer ‚das Messer’ => Pronomen 3.Pers.Sg.Neutr. => *hatt / et

616Obwohl das pronominale Paradigma bei den Pronomen der 3. Person starke und schwache Formen beinhaltet, kann die Wahl des Pronomens durch die semantische Klasse des Referenten beeinflusst werden, wie es bei (136) der Fall ist. Vor der eigentlichen Analyse sollte jedoch geklärt werden, worin eine semantische Klasse besteht. Wenn man sich etwa eine Reihe potentieller Substantive vorstellt (Kind, Europa, Krankheit, Küche, Farbe, Reis, Urlaub, Freundschaft), können diese nach unterschiedlichen Kriterien geordnet werden (Belebtheit, Funktion, Form usw.). Durch die vielfältigen Beschreibungsdimensionen (Semantik, Pragmatik, Grammatik) gibt es für die Klassifikation von Substantiven keine einheitliche Terminologie oder Typologie (vgl. Bußmann 2002: 470). Sie sollte jedoch so transparent wie möglich und für den Analysezweck geeignet sein.

617Die Bedeutung jedes einzelnen dieser Substantive ist ein Bündel von semantischen Merkmalen. Die Liste dieser Merkmale ist dabei unendlich, da immer wieder neue inhaltliche Dimensionen beschrieben werden können: konkret vs. abstrakt, natürlich vs. künstlich, zählbar vs. unzählbar, groß vs. klein, käuflich vs. nicht käuflich etc.

618Um eine sinnvolle Unterteilung der Substantive im Luxemburgischen für die Beschreibung der Referenzspektren der Pronomen zu erhalten, sollte eine möglichst kleine Anzahl an Merkmalen in der Lage sein, möglichst viele Substantive klassifizieren zu können. Zudem liegt der Fokus dieser Analyse auf der phorischen Referenz von Pronomen, sodass Kategorien herausgearbeitet werden müssen, die einen nachweislichen Einfluss auf mögliche Pronominalisierungsstrategien im Luxemburgischen haben. Aus diesem Grund sollte nicht unüberlegt auf eine Einteilung zurückgegriffen werden, wie etwa auf die prominente Animacy Hierarchy von Silverstein (1976). Im Zusammenhang mit dieser Skala stellt Kasper (2015b: 368) zudem kritisch fest, dass hier mehrere Ebenen in unzulässiger Weise verbunden werden, d. h., dass Bereiche wie Diskurspragmatik, Spezifizitäts- und Belebtheitsaspekte in einer einzigen Skala untergebracht sind. Möchte man eine solche Skala empirisch verwenden, müsste sie zuvor „dekomponiert“ werden, um die einzelnen Aspekte für die Analyse greifbar zu machen (vgl. ebd.). Demnach sollte man sich die Frage stellen, welche Eigenschaften im Kern des Phänomens relevant sind.

619Die Referenzfixierung der starken Personalpronomen im Luxemburgischen beruht hauptsächlich auf den Faktoren der Belebtheit und der Individualität.93 Obschon es zahlreiche Abwandlungen der von Silverstein (1976) vorgegebenen Skala gibt, wird an dieser Stelle die Skala von Szczepaniak (2011: 345) verwendet, denn hier werden Belebtheit und Individualität sinnvoll verknüpft. Die Individualitätsgrade von Referenten sind hier zur Verdeutlichung in das Schema integriert (vgl. Timberlake 1975; 1977, zit. nach Hopper & Thompson 1980: 253).94

Abbildung 10: Belebtheits- und Individualitätsskala (angelehnt an Szczepaniak 2011: 345)
Abbildung 10: Belebtheits- und Individualitätsskala (angelehnt an Szczepaniak 2011: 345)

620Diesem Schema zufolge wäre ein Personenname wie Martha maximal individualisiert und ein indefiniter Stoffname wie Milch minimal individualisiert. Die jeweiligen grammatischen Merkmale (Name, Zählbarkeit, Definitheit) und semantischen Merkmale (Belebtheit, Abstraktheit) korrelieren nicht zwangsläufig mit den fünf nominalen Kategorien oberhalb der Skala, sie sind hier als verstärkende Eigenschaften zu verstehen. Im empirischen Teil wird gezeigt, wie sich die Korpusdaten anhand dieser Merkmale klassifizieren lassen.

6.2.1 Probleme und Möglichkeiten der empirischen Analyse

621Für die empirische Analyse wurde die luxemburgische Wikipedia (Stand 2013, 3,7 Mio. Token) ausgewählt. Da die Personalpronomen zu einem high frequency phenomenon gehören und hier quantitative Analysen durchgeführt werden sollen, muss das Korpus deutlich reduziert werden. Das Wikipedia-Sample, das einen Einzelbaustein aus dem Gesamtkorpus darstellt, hat zwei klare Vorteile: Zum einen sind die Texte weitestgehend orthografisch standardisiert, sodass die Suche nach Pronomen leicht durchführbar ist. Zum anderen weisen die Texte eine große Anzahl an nicht menschlichen Referenten auf.95 Im Vergleich zu Radionachrichten etwa, in denen es vorrangig um Personen geht, werden in der Wikipedia auch zahlreiche Tiere, Pflanzen und Gegenstände beschrieben, sodass die Ergebnisse aussagekräftiger sind in Bezug auf unterschiedliche Substantivklassen. Allein für das hatt-Pronomen (3.Pers.Neutr.) muss die Suche auf das Subkorpus ausgeweitet werden, da die Wikipedia zu wenig Belege für dieses Pronomen liefert (vgl. Kapitel 6.2.2).

622Bei der semantischen Auswertung der Korpusdaten sind hauptsächlich zwei methodische Probleme zu berücksichtigen: a) semantische Kategorisierungen und b) uneindeutige Referenz, i. S. v. mehreren potentiellen Referenten.

623a) Die große Menge an unterschiedlichen Referenztypen kann die Analyse erheblich erschweren, da es für jede der zuvor vorgestellten Kategorien mehr oder weniger prototypische Vertreter bzw. Elemente gibt, die nur schwer zu kategorisieren sind. Dennoch soll mit einer möglichst geringen Menge an Kategorien gearbeitet werden, ohne für jedes „unpassende“ Referenzobjekt eine neue Kategorie öffnen zu müssen (als Resultat der zuvor erwähnten Unendlichkeit semantischer Merkmale). Schwer kategorisierbar sind etwa Maßangaben wie d’Längteneenheet ‚die Längeneinheit’ oder Metonymien wie Stiftung. Vor allem im Bereich der Gegenstände und der Abstraka ist es schwierig, Elemente eindeutig zuzuordnen. Für diese Untersuchung werden diese Kategorien demnach etwas weiter verstanden, um eine einfache Zuordnung zu ermöglichen: ein Gegenstand wird hier als etwas verstanden, das mit den fünf Sinnen zu erfassen, aber gleichzeitig unbelebt ist: ein Planet, ein Stadtviertel, eine Schule. Abstrakta sind ebenfalls unbelebt, können jedoch nicht mit den Sinnen erfasst werden, da sie „gedacht“ werden: eine Maßeinheit, Energie, eine Zahl.

624b) Gerade bei Pronomen der 3. Person Singular kann es dazu kommen, dass mehrere potentielle Referenten im Textverlauf zur Verfügung stehen. Da in einem Satz oft mehrere Substantive stehen, ist auf den ersten Blick nicht immer klar, worauf sich das Pronomen im Folgesatz bezieht (gerade bei identischem Genus). Im Wikipedia-Korpus werden viele Sätze gebildet, in denen ein Eigenname und eine Gattungsbezeichnung in einer Prädikativkonstruktion stehen (Typ: Flipper ist ein Delfin). In Bezug auf den jeweiligen Individualitätsgrad bedeutet dies nun, dass der Eigenname Flipper ein höheres Maß an Individualität darstellt und somit semantisch anders zu bewerten ist als die indefinite allgemeine Tierartbeschreibung ein Delfin. Im Wikipedia-Korpus findet man etwa den folgenden Satz:

625(137)Al Mankib, ass e Stär am Stärebild Orion. Hie gëtt och de Schëllerstär vum Orion genannt. (wikipedia.lu)
Al Mankib ist ein Stern im Sternbild Orion. Er wird auch der Schulterstern des Orions genannt.

626Bei dem Pronomen hien ‚er’ ist unklar, ob sich das Pronomen auf den Eigennamen Al Mankib oder auf e Stär ‚ein Stern’ bezieht. In der Terminologie von Corbett (2006) bedeutet dies, dass das Target-Pronomen (hien) zwei Controller hat: Al Mankib (Eigenname) und e Stär (indefinite NP).96

ControllerTarget-Pronomen
[Al Mankib]
[e Stär] ‚ein Stern‘
[hien] ‚er‘
Tabelle 53: Controller und Target-Pronomen zu Beispiel (137)

627In diesem Kontext kann die Individualität nur schwer festgelegt werden, schließlich ist Al Mankib als Eigenname stark individualisiert und die indefinite NP e Stär wenig individualisiert. Beide kommen allerdings als Controller für das Target-Pronomen hien (3.Pers.Sg.) in Frage.

628Da bei der Pronominalisierung von Maskulina im Luxemburgischen der Faktor Individualität eine wichtige Rolle bei der Wahl der starken Formen spielt, werden diese Belege bei der Auswertung mit „mehrere Controller” vermerkt und unter Berücksichtigung dieses Faktors bei der Darstellung der Ergebnisse problematisiert.

6.2.2 Das starke Pronomen hatt (3.Pers.Sg.Neutr.)

629Für die vorliegende Analyse wurden 600 Satzkontexte mit dem Pronomen hatt ausgewertet. Da die neutrale starke Form hatt im Wikipedia-Sample insgesamt nur 42mal vorkommt, wurde die Suche auf das Subkorpus ausgeweitet. Die Suchanfrage verlief nur über die Form <hatt>. Die Daten zeigen, dass hatt zu 99,7 % auf weibliche Personen und zu 0,3 % auf Tiere mit weiblichem Rufnamen referiert.

MenschenTierePflanzenGegenständeAbstrakta
99,7 %0,3 %---
Tabelle 54: Korpussuche für die starke Form hatt (Neutr.), n= 600 (Suche: hatt ‚es‘)

630Das luxemburgische Pronomen hatt wird demnach hauptsächlich verwendet, um auf weibliche Personen zu referieren.Hatt kann dabei als Nähepronomen verstanden werden und steht dem femininen Distanzpronomen si gegenüber (vgl. Kapitel 6.3). Hatt wird in den hier ausgewerteten Daten immer dann gewählt, wenn der Referent ein weiblicher Ruf- oder Künstlername ist wie Claudine, Lena, Madonna oderBeyoncé. Da Rufnamen und Künstlernamen im Luxemburgischen allgemein Neutra sind, wird dementsprechend ein Neutrum-Pronomen gewählt (hatt in der starken Form, et und ‘t in den schwachen Varianten) – dies gilt auch für Rufnamen bei Tieren.

631(138)Eist Claudine [...] Hatt ass haut lo Directrice hei zu Esch (Interview)
unser.NEUTR Claudine [..] es ist heute jetzt Direktorin hier in Esch

632(139)Wann een d’Trixi fënnt, bréngt en hatt bestëmmt zeréck. (Lehrbuch)
wenn jemand das Trixi findet, bringt er es bestimmt zurück

633Dass weibliche Rufnamen Neutra sind, kann an der Oberfläche des Satzes nicht immer erkannt werden, denn der schwache Definitartikel d’ (Nominativ/Akkusativ) ist für Femininum und Neutrum formgleich (vgl. Kapitel 4). Erst bei einer Dativform des Definitartikels (dem im Neutrum, der im Femininum), der Wahl eines starken Definitartikels (dat im Neutrum, déi im Femininum) oder bei einem Possessivartikel (eist im Neutrum, eis im Femininum ‘unser(e)’) kann dieser Genusunterschied deutlich gemacht werden (vgl. eist Claudine, Satz (138)).

634Neben den weiblichen Rufnamen werden auch die beiden neutralen Appellative Meedchen ‘Mädchen’ und Framënsch ‘junge Frau’ (wörtl. ‘Frauenmensch’)97 mit hatt pronominalisiert (vgl. auch Nübling 2015: 254).

635(140)e Framënsch [...] oh, wéi hat hatt elo geheescht, ech weess net méi säi Virnumm (Interview)
ein Frauenmensch [..] oh, wie hat es jetzt geheißen, ich weiß nicht mehr seinen Vornamen

636Doch nicht nur Menschen, auch Tiere mit weiblichem Rufnamen werden mit hatt pronominalisiert.98 Im nachfolgenden Textbeispiel einer Vermittlungsseite für Katzen wird eine Katze namens Gipsy beschrieben und im weiteren Verlauf mit allen Varianten des Neutrumpronomens der 3. Person pronominalisiert: hatt, et, ‘t. Obwohl das Appellativ Kaz ‘Katze’ im Luxemburgischen feminin ist, kongruiert das Pronomen mit dem Genus des Rufnamens (Neutrum).99 Für die Referenz werden alle Formen des neutralen Personalpronomens verwendet: die starke Form hatt (in der Schreibvariante hat) sowie in den schwachen Formen et und ‘t.

637(141)[D’Gipsy]NEUTR huet Klenger krit an as duerno eraus geheit gin. Wou seng Kleng sin weess keen, [hat]NEUTR war voll Mëllech an doutonglecklech. Elo as [et]NEUTR operéiert, [‘t]NEUTR huet sech berouegt a gët esou lues eng richteg léif Kaz, obschon [et]NEUTR sech an Uecht hëlt virun enger Hand. (Tierheimseite, als Text neben Katzenfoto)100
Gipsy hat Junge bekommen und ist danach rausgeworfen worden. Wo seine Jungen sind, weiß niemand, es war voll Milch und todunglücklich. Jetzt ist es operiert [Anm. CD: kastriert], es hat sich beruhigt und wird allmählich eine richtig liebe Katze, obschon es sich in Acht nimmt vor einer Hand.

638Bei der Verwendung des starken Pronomens hatt bleibt festzuhalten, dass belebte Referenten (Menschen und Tiere) mit hatt pronominalisiert werden, wenn sie einen weiblichen Rufnamen tragen. Das starke Pronomen hatt kann auch auf die neutralen Appellative Framënsch ‚junge Frau‘ und Meedchen ‚Mädchen’ referieren.

6.2.3 Das starke Pronomen hien (3.Pers.Sg.Mask.)

639Das starke Maskulinumpronomen hien referiert in den meistens Fällen auf belebte Entitäten, zeigt jedoch auch die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen (Individualität) auf unbelebte Entitäten referieren zu können. Für das folgende Beispiel wäre es beispielsweise nicht möglich, das starke Pronomen hien zu verwenden, denn der Referent eise Recyclage ‚unser Recycling’ ist nicht belebt.

640(142)Well eise Recyclage ass net méi konform. En [*hien] ass net méi modern, en [*hien] ass net méi sécherheetskonform. (Politik)
weil unser Recycling ist nicht mehr konform. Er ist nicht mehr modern, er ist nicht mehr sicherheitskonform.

641In diesem Kapitel werden vor allem die Grenzfälle dieser Belebtheitseinschränkung besprochen, d. h. der Fokus der Analyse liegt auf den Referenten, die auf der Belebtheitsskala weiter rechts (im Bereich der Unbelebtheit) stehen. Auf dieser Grundlage wird gezeigt, unter welchen Umständen bestimmte unbelebte maskuline Nomen als Referent für das starke Pronomen hien dienen können.

642Für die Analyse der Referenzmöglichkeiten der starken Form hien wurde im Wikipedia-Sample gezielt nach Passivkonstruktionen gesucht, einerseits aufgrund der unüberschaubar hohen Anzahl an Treffern beim Pronomen hien bzw. hie (mehr als 23000 Treffer im Wikipedia-Korpus) und andererseits aufgrund der Tatsache, dass Subjekte in einem Passivsatz häufig auch unbelebt sein können, wodurch eine höhere Aussagekraft in Bezug auf unterschiedliche semantische Klassen erzielt werden kann.

MenschenTierePflanzenGegenständeAbstrakta
79,5 %2,5 %0 %18 %-
Tabelle 55: Korpussuche für die starke Form hien (Mask.), n= 118101 (Suche: hie gëtt ‚er wird‘)
MenschenTierePflanzenGegenständeAbstrakta
99,5 %0 %0 %0,5 %-
Tabelle 56: Korpussuche für die starke Form hien (Mask.), n= 600102 (Suche: hien ass ‚er ist‘)

643Interessant sind die unterschiedlichen Ergebnisse in Bezug auf die beiden Konstruktionen. Belege mit hie gëtt ‘er wird’ werden häufiger im Zusammenhang mit Gegenständen verwendet (vereinzelt auch mit Tieren). Dabei zeigt sich, dass vor allem der Faktor der Individualität eine wichtige Rolle spielt. Wie Individualität in den Einzelbelegen aufgezeigt werden kann und worin die Schwierigkeiten einer solchen Analyse bestehen, soll im Folgenden verdeutlicht werden. Beispiel (143) zeigt einen Beleg aus dem Korpus.

644(143)De Rumford-Präis ass e Wëssenschaftspräis fir Physik. Hie gëtt vun der American Academy of Arts and Sciences [...] verginn. (wikipedia.lu)
Der Rumfordpreis ist ein Wissenschaftspreis für Physik. Er wird von der Amercian Academy of Arts and Sciences vergeben.

645Zunächst muss der Referent des Pronomens ermittelt werden. Hier geht es darum herauszufinden, worauf sich das phorische Element hien bezieht. Dabei stehen die drei folgenden Fragen im Vordergrund:

646
  1. Welcher semantischen Klasse kann der Referent zugeordnet werden (Mensch, Tier, Pflanze, Gegenstand, Abstraktum)?
  2. Gibt es mehrere Controller, d. h. kann das Pronomen auf mehr als ein Textelement rückgeführt werden?
  3. Hat der Referent einen hohen oder niedrigen Individualitätsgrad? Trägt er einen Eigennamen oder eine andere onymische Kennzeichnung?

647Für den Referenten in (143) ergeben sich nun die folgenden Parameter:

648
  1. semantische Klasse: Gegenstand
  2. mehrere Controller: ja (1: Rumford-Präis, 2: Wëssenschaftspräis fir Physik)
  3. Individualitätsgrad: hoch bei de Rumford-Präis (definites Kompositum mit Eigenname) und niedrig bei e Wëssenschaftspräis fir Physik (indefinites Appellativ, allerdings mit Präpositionalattribut)

649Für den folgenden Satz (144) sind die Parameter leicht zu bestimmen. Dieser Typ kommt mit Abstand am häufigsten vor.

650(144)Den Nico Klopp [...]. Hie gëtt zu de postimpressionistesche Moler gerechent. (wikipedia.lu)
Der Nico Klopp [..]. Er wird zu den postimpressionistischen Malern gezählt.

651
  1. semantische Klasse: Mensch
  2. mehrere Controller: nein
  3. Individualitätsgrad: hoch (Eigenname, belebt)

652In den Ergebnissen zeigt sich, dass hien in den meisten Fällen auf Menschen referiert.103 Es finden sich allerdings auch zahlreiche Referenzen auf Gegenstände (auffallend sind dabei die vielen kosmischen Objekte). In all diesen Belegen zeigt sich jeweils ein recht hoher Grad an Individualisierung, was letztlich mit der Textsorte zusammenhängt. In einem typischen Wikipedia-Artikel werden gezielt Personen und bekannte Gegenstände mit onymischer Kennzeichnung vorgestellt, die in der Beschreibung dann weiter charakterisiert werden. Auch bei Gegenständen bezieht sich hien demnach häufig auf einen Namen bzw. ein durch einen Namen gekennzeichnetes Substantiv. In 76 % der Fälle, in denen der Referent ein Gegenstand ist, zeigt sich ein hoher Individualitätsgrad beim Referenznomen durch ebendiese onymische Kennzeichnung. In (145) etwa zeigt der Referent de Julianesche Kalenner einen hohen Individualitätsgrad, da die Nominalphrase zum einen definit ist und zum anderen durch ein Adjektiv begleitet wird, das aus einem Rufnamen abgeleitet wurde.

653(145)De Julianesche Kalenner [...]. Hie gëtt haut an der Wëssenschaft réckwierkend och nach fir d’Jore virum Julius Cäsar gebraucht. (wikipedia.lu)
Der Julianische Kalender [..]. Er wird heute in der Wissenschaft rückwirkend auch noch für die Jahre vor=dem Julius Cäsar gebraucht.

654Die Individualität kann jedoch auch im Folgekontext hergestellt werden, wie das folgende Beispiel zeigt. Zunächst findet man im vorangehenden Kontext nur die indefinite Bezeichnung Galaxiëkoup ‚Galaxienhaufen’ vor. Im Folgesatz, in dem das starke Pronomen hien steht, wird diesem Referenten jedoch sowohl ein Eigennamen-Kompositum Norma-Galaxiëkoup als auch die Bezeichnung Abell 3627 zugewiesen, was zu einer hohen Individualisierung führt.

655(146)A Richtung Norma, bal net ze gesinn duerch eis Mëllechstrooss, ass e Galaxiëkoup. Hie gëtt Norma-Galaxiëkoup (Abell 3627) genannt. (wikipedia.lu)
In Richtung Norma, fast nicht zu sehen durch unsere Milchstraße, ist ein Galaxienhaufen. Er wird Norma-Galaxienhaufen (Abell 3627) genannt.

656Das nachfolgende Beispiel illustriert das Prinzip der Individualisierung ohne onymische Kennzeichnung. Der Referent de Positiounswénkel wird durch mehrere Attribute näher bestimmt und somit individualisiert: Das Präpositionalattribut vun..., das Partizipialattribut bezunn op... sowie die Wiederholung des Referentendee Wénkel, deen inklusive attributivem Relativsatz.

657(147)De Positiounswénkel vun engem Objet 2, bezunn op den Objet 1, [...] ass dee Wénkel, deen [...]. Hie gëtt vu Nord iwwer Ost [...] a vun 0° bis 360° gezielt. (wikipedia.lu)
Der Positionswinkel von einem Objekt 2, bezogen auf das Objekt 1, [..] ist der Winkel, der [..]. Er wird von Nord über Ost [..] und von 0° bis 360° gezählt.

658Die zentralen Referenzbedingungen für die starke Form des maskulinen Pronomens hien sind demnach Belebtheit und ein hoher Individualitätsgrad. Insgesamt gelten für das starke maskuline Pronomen hien ebenfalls funktionale Restriktionen – das semantische Referenzspektrum ist jedoch weiter gefasst als beim Neutrumpronomen hatt. Somit kann hien in den vorliegenden Daten nicht nur auf Tiere und Pflanzen, sondern auch auf Gegenstände referieren, sofern diese individualisiert sind.

6.2.4 Das starke Pronomen si (3.Pers.Sg.Fem.)

659Auch für das starke Pronomen si wurde gezielt nach Passivkonstruktionen gesucht (si gëtt / si ass). Durch die gezielte Suche nach Passivkonstruktionen soll gewährleistet sein, dass sich nicht nur menschliche Referenten in den Daten finden (im Passiv finden sich mitunter auch Gegenstände in der Rolle als Subjekt). Außerdem ist das Femininumpronomen si formgleich mit dem Pluralpronomen der 3. Person (Nominativ, Akkusativ). Durch die Verbform im Singular liefert die Suche folglich keine unerwünschten Belege mit dem Pluralpronomen.

660Die Ergebnisse zeigen, dass das starke feminine Pronomen si auf sämtliche Entitäten (Konkreta und Abstrakta) referieren kann.

MenschenTierePflanzenGegenständeAbstrakta
18,5 %1,5 %7 %56 %17 %
Tabelle 57: Korpussuche für die starke Form si (Fem.), n= 118104 (Suche: si gëtt ‚sie wird‘)
MenschenTierePflanzenGegenständeAbstrakta
33 %3,5 %8,5 %52 %3 %
Tabelle 58: Korpussuche für die starke Form si (Fem.), n= 600105 (Suche: si ass ‚sie wird‘)

661Das Referenzspektrum für si umfasst alle hier aufgeführten semantischen Klassen, wobei die Klasse der Gegenstände jeweils am stärksten vertreten ist. Darunter finden sich häufig Belege, in denen Blumen, Städte, Kirchen oder Zeitschriften mit si pronominalisiert werden.

662(148)D’Meeréischen oder Kläckelchersblumm [...] ass eng Blumm, déi am Mee bléit. [...] Si gëtt betruecht als eng Blumm, déi Gléck bréngt. (wikipedia.lu)
Die Mairöschen oder Glöckchenblume [Anm. CD: Maiglöckchen] [..] ist eine Blume, die im Mai blüht. [..] Sie wird betrachtet als eine Blume, die Glück bringt.

663Ähnlich wie beim maskulinen starken Pronomen hien zeigt sich ein Unterschied zwischen der Korpussuche nach der Konstruktion si gëtt ‚sie wird’ und si ass ‚sie ist’. Bei den Sätzen mit si ass finden sich deutlich häufiger menschliche Referenten. Nichtsdestotrotz bilden die Gegenstände weiterhin die größte Klasse.

664Für die Pronominalisierung mit si spielt es auch keine Rolle, ob der Referent individualisiert ist oder nicht. So werden Substantive wie d’Hausstëbsallergie (Fem.) ‚die Hausstauballergie’ oder eng slawesch Sprooch (Fem.) ‚eine slawische Sprache’ mit der starken Form si pronominalisiert.

665Im Gegensatz zu den bisherigen starken Pronomen der 3. Person kann si auch auf Abstrakta referieren. Die folgenden drei Beispiele illustrieren diese Art der Referenz. Zu den Substantiven, auf die mit dem starken Femininum-Pronomen si referiert werden kann, zählen: typesch Ungaresch Zigeinermusek ‚typisch ungarische Zigeunermusik’,d’Quantesch Feldtheorie ‚die Quantische Feldtheorie’ sowie d’Klass vun den Insekten ‚die Klasse von den Insekten’.

666(149)Typesch Ungaresch Zigeinermusek [...]. Si gëtt vu Musekgruppen, Männer a Fraen, a faarwefreedegen Truechte gespillt. (wikipedia.lu)
Typisch Ungarische Zigeunermusik [..]. Sie wird von Musikgruppen, Männern und Frauen in farbenfreudigen Trachten gespielt.

667(150)D’quantesch Feldtheorie [...]. Si ass an de spéidere 1940er Joren entstan. (wikipedia.lu)
die quantische Feldtheorie [..]. Sie ist in den späten 1940er Jahren entstanden.

668(151)D’Klass vun den Insekten besteet aus Millioune vu verschiddenen Arten [...]. Si gëtt a 36 wëssenschaftlech Uerdnungen ënnerdeelt. (wikipedia.lu)
Die Klasse von den Insekten besteht aus Millionen von verschiedenen Arten [..]. Si wird in 36 wissenschaftliche Ordnungen unterteilt.

6.2.5 Zwischenfazit zu den referentiellen Pronomen der 3. Person

669Oft werden die starken Formen im Luxemburgischen als betonte und die schwachen als unbetonte Varianten desselben Pronomens dargestellt (vgl. Schanen & Zimmer 2012). In diesem Kapitel wurde jedoch gezeigt, dass die starken Formen auch in ihrer semantischen Funktion zu trennen sind, denn je nach Genus (Neutrum, Maskulinum, Femininum) können sie auf andere semantische Klassen referieren.

670
  • Die vorliegende Analyse der Referenzmöglichkeiten der starken Pronomen der 3. Person Singular (hatt, hien, si) hat gezeigt, dass diese Formen vor allem dann gewählt werden, wenn der Referent belebt und individualisiert ist.
  • Die starke Form hatt (Neutrum) kann nur auf weibliche Personen oder Tiere verweisen, die einen weiblichen Rufnamen tragen, sowie auf die neutralen Appellativa Meedchen ‘Mädchen’ und Framënsch ‘junge Frau’. Unbelebte Entitäten können nicht mit hatt pronominalisiert werden.
  • Die starke Form hien (Maskulinum) kann auf Menschen, Tiere, Pflanzen und Gegenstände referieren. Auf Gegenstände kann nur dann mit einem starken Pronomen im Maskulinum referiert werden, wenn sie individualisiert sind, d. h. wenn sie beispielsweise durch eine onymische Kennzeichnung spezifiziert sind (Bsp.: den Omeganiwwel ‘der Omeganebel’). Abstrakte Entitäten können nicht mit hien pronominalisiert werden.
  • Die starke Form si (Femininum) kann auf sämtliche Entitäten referieren, unabhängig von Belebtheit und Individualisierungsgrad.

671Die verschiedenen Referenzspektren der starken Personalpronomen der 3. Person werden auf der folgenden Abbildung noch einmal zusammengefasst.

Abbildung 11: Referenzmöglichkeiten der starken Formen hatt / hien / si
Abbildung 11: Referenzmöglichkeiten der starken Formen hatt / hien / si

672Durch diese Art der Darstellung wird deutlich, dass die Pronominalisierungsstrategie für die starken Formen wie eine Art Akzessibilitätshierarchie nach Keenan und Comrie (1977: 66) funktioniert. Obwohl diese Hierarchie ursprünglich für Relativisierungsstrategien entwickelt wurde, kann sie auch für die Pronominalisierung herangezogen werden. Das hier abgebildete Schema zeigt eine implikative Referenz, welche besonders für die Maskulina relevant ist. Demzufolge kann ein Pronomen, wenn es auf eine Klasse weiter rechts auf der Skala referiert, ebenfalls auf alle linken Klassen verweisen. Wenn Maskulina also auf die Klasse Gegenstände referieren können, können sie ebenfalls auf die Entitäten der Klassen auf der linken Seite der Skala referieren, also auf Menschen, Tiere und Pflanzen. Für Maskulina gilt zusätzlich, dass die starke Form vor allem auf individualisierte Gegenstände referieren kann.

673Das Referenzspektrum der schwachen Pronomen der 3. Person Singular ist im Gegensatz zu den starken Formen nicht semantisch gebunden, denn es kann auf alle Entitäten referieren. Auch die starke Femininumform si kennt keine semantischen Einschränkungen. Insgesamt sind also die schwachen und starken Formen nicht funktional gleichwertig. Zudem weisen die starken Formen unterschiedliche Referenzfixierungen auf.

674Wie sich die Pronomen hatt/hien/si in Bezug auf die Skala in Abbildung 11 verhalten, kann an dem folgenden Auszug aus einem luxemburgischen Lehrbuch noch einmal verdeutlicht werden. Die Sätze beziehen sich hier auf den Erwerb von Farbbegriffen, zeigen jedoch sehr schön, dass unbelebte Referenten (Kleidungsstücke) unterschiedliche Pronomen (stark/schwach) erhalten. Sätze (152) und (153) zeigen die schwachen Pronomen et und en (SW), (154) hingegen das starke Pronomen si (ST).

675(152)Dat ass en Hiem. Et ass gréng a wäiss. (*hatt)
Das ist ein Hemd. EsSWist grün und weiß.

676(153)Dat ass en Hutt. En ass brong. (?hien)
Das ist ein Hut. ErSWist braun.

677(154)Dat ass eng Jupe. Si ass blo. (Lehrbuch)
Das ist ein RockFEM. SieSTist blau.

678Der syntaktische und informationsstrukturelle Kontext ist in den drei Beispielen weitgehend identisch: Prädikativstruktur im ersten Satz, Referent gehört zur Gruppe der Gegenstände (Kleidungsstücke), der Nachfolgesatz beginnt mit einem referentiellen Personalpronomen und zeigt ebenfalls eine Prädikativstruktur (mit Farbadjektiv). Bei diesen Sätzen zeigt sich, dass die starken Formen (hatt, hien, si) unterschiedlich verwendet werden – bei identischer semantischer Klasse des Referenten. Eine Verwendung der starken Neutrum-Form hatt wäre in Satz (152) zudem ungrammatisch. Der Einsatz der starken Form hien ist für (153) nur bedingt akzeptabel.106 In (154) können theoretisch die beiden Formen (si und se) verwendet werden, auch wenn der Autor sich hier für das starke si entschieden hat.

679Aufgrund der in diesem Kapitel gezeigten semantischen Auswertungen zeichnet sich ein pronominales Paradigma ab, in dem die starken Formen für Maskulina und vor allem für Neutra aufgrund ihrer Referenzfixierung stark eingeschränkt sind.

680Die Wahl der Pronomen hängt jedoch nicht ausschließlich vom jeweiligen Referenten ab. Aus syntaktischer Perspektive ergeben sich neue Restriktionen, die wiederum die schwachen Formen betreffen. Wie sich syntaktische Präferenzen und Einschränkungen bei den Personalpronomen manifestieren, wird in Kapitel 6.4 gezeigt.

6.4 Pragmatik: Referenz auf weibliche Personen

681Bei der Referenz auf weibliche Personen (und teilweise auch auf weibliche Tiere) gibt es einige Sonderfälle der Pronominalisierung, da es hier zu Neutrum- oder Femininumreferenz, aber auch zu Schwankungsfällen kommen kann.107 Der Fokus dieses Kapitels liegt dabei auf allgemein grammatischen sowie pragmatischen Kongruenzbedingungen und nicht auf der Stark-schwach-Distinktion. Aus semantischer Perspektive sind starke und schwache Formen gleichermaßen verfügbar.

682Zunächst werden die drei zentralen Referenztypen für weibliche Personen, d. h. mit weiblichem Sexus, in einer Übersichtstabelle dargestellt und im Anschluss erklärt.

ReferenztypFormSexusKongruenzPron.
I (Neutrum)KünstlernameWNhatt
Rufname (RufN)WNhatt
II (Femininum)NachnameWFsi
fem. Appellative (APP)WFsi
fem. Titel (+ Nachname)WFsi
III (N/F)Kombination RufN+NachnameWN/Fhatt / si
Kombination fem.APP+RufN+Nachname WN/Fhatt / si
Kombination Titel + Künstlername/RufNWN/Fhatt / si
Sonderfälle (z.B. Schwëster)WN/Fhatt / si
Tabelle 59: Typen I-III bei der Referenz auf weibliche Personen (nach Döhmer 2016)

683In Kapitel 6.2.2 zum Neutrumpronomen hatt wurde dargelegt, dass Künstler- und Rufnamen im Luxemburgischen Neutra sind, d. h. eine Referenz auf einen weiblichen Rufnamen (bei Mensch oder Tier) wird mit hatt geleistet. Auch Künstlernamen wie Madonna fordern ein Pronomen im Neutrum. Zusammen mit den beiden neutralen Appellativen Framënsch ‘junge Frau’ und Meedchen ‘Mädchen’ bilden sie den Referenztyp I (Neutrum).

684(155)De Raymond huet dem Melusina misse verspriechen, hatt samschdes eleng ze loossen (wikipedia.lu)
Der Raymond hat dem Melusina müssen versprechen, es samstags alleine zu lassen.

685Referenztyp II (Femininum) umfasst sämtliche feminine Appellative, wie d’Olympionikin ‚die Olympionikin’,d’Wittfra ‚die Witwe’,eng Liichtathletin ‚eine Leichtathletin’,eng Schauspillerin ‚eine Schauspielerin’, aber auch Familienbezeichnungen wie meng Mamm ‚meine Mutter’,eng Tatta ‚eine Tante’ oder d’Boma ‚die Oma’ (mit der Ausnahme der Verwandtschaftsbezeichnung Schwëster ‚Schwester’, siehe Referenztyp III). Hinzu kommen Fälle, in denen Personen – wie etwa Lehrer – einfach mithilfe des Nachnamens erwähnt werden.

686(156)Ass dat déi Schmit, déi och Engleschprof ass? Si ass immens streng.
Ist das die Schmit, die auch Englischlehrerin ist? Sie ist sehr streng.

687Die beiden Referenztypen (Typ I = Neutrumreferenz, Typ II = Femininumreferenz) werden durch einen dritten Referenztypen ergänzt (Typ III = Neutrum oder Femininum), der Eigenschaften aus beiden Klassen vereint und somit zu Schwankungsfällen führen kann. Diese Substantive können mit hatt oder si pronominalisiert werden. Hierzu zählen Kombinationen von Rufname und Nachname (d’Fabienne Lentz), Kombinationen von femininen Appellativen und Namen (d’Sopranistin Mariette Kemmer), Kombinationen von Titel und Künstler- oder Rufnamen (d’Prinzessin Stéphanie) sowie der Sonderfall des femininen Appellativs Schwëster ‘Schwester’, auf das auch mit Neutrum referiert werden kann. Dabei kann es auch zu Korrekturfällen kommen. Das folgende Beispiel aus dem Korpus zeigt, wie ein Sprecher mit dieser Schwankung spielt, eine Stilebene somit greifbar macht und sich bei diesem Schwankungsfall für das distanzierte si entscheidet:

688(157)den Egalitéitsaspekt, deen d'Renée Wagener schonn ugeschwat huet, [...] wéi hatt dat a sengem, wéi si dat, pardon, an hirem overall Kommentar gemaach huet. (Online-Kommentar)
den Gleichstellungsaspekt, deen die Renée Wagener bereits angesprochen hat [..] wie es das in seinem, wie sie das, entschuldigung, in ihrem overall Kommentar getan hat.

689Die Wahl des Pronomens (hatt oder si) bei Referenztyp III hängt im Prinzip von drei pragmatischen Faktoren ab: Generation, Emotion und Stil.108 Der pragmatische Faktor der Generation bezieht sich auf das Alter, d. h. handelt es sich um eine ältere oder jüngere Person. Je älter die Person ist, desto stärker geht die Tendenz Richtung si (Fem.). Hinzu kommt der Faktor des emotionalen Bezugs, der sich darauf bezieht, wie nahe sich Sprecher und Referent stehen oder ob sie sich fremd sind.

690Zuletzt gibt es noch den Stilfaktor. Dieser Faktor ist davon abhängig, ob der Sprecher sich spöttisch oder sarkastisch zeigen möchte und deswegen Frauen mit hatt pronominalisiert, die eigentlich viele Eigenschaften für eine si-Referenz aufweisen, etwa wenn jemand die Kanzlerin Angela Merkel mit hatt (Neutrum) pronominalisiert. Dem gegenüber steht eine Art ‘politische Korrektheit’, die dazu führt, dass häufig das feminine Pronomen si verwendet wird, auch wenn die pragmatischen Eigenschaften eher für Neutrum sprächen. Die Faktoren sind dabei als beeinflussende und nicht als absolute Kriterien für die Pronominalisierung mit hatt oder si zu verstehen.

FaktorhattSi
GenerationReferentin gehört zu jüngerer Generation Referentin gehört zu älterer Generation
Emotionpersönlicher / emotionaler Bezugpersönliche / emotionale Distanz
Stilsarkastischer / spöttischer Unterton‘politische Korrektheit’
Tabelle 60: Pragmatische Faktoren bei der Referenz auf weibl. Personen (nach Döhmer 2016)

691Die pragmatischen Faktoren sind nicht nur relevant für das Verhältnis zwischen Sprecher und referierter Person, sondern auch zwischen Hörer und referierter Person: Wie ist das Verhältnis zwischen Hörer und referierter weiblicher Person? Wie groß ist deren Altersunterschied? Kennt er die betreffende Person? Die Wahl des Pronomens kann auch durch das Verhältnis zwischen Sprecher und Hörer beeinflusst werden. Hier geht es vor allem um die Stilebene, d. h. um die Art, wie sich der Sprecher dem Hörer gegenüber positionieren möchte. Die pragmatischen Faktoren von Generation, Emotion und Stil bewegen sich somit in einem diskurspragmatischen Dreieck zwischen Sprecher, Hörer und dem weiblichen Referenten, wie das folgende Schaubild zeigt.

Abbildung 12: Diskurspragmatische Faktoren für Referenztyp III (nach Döhmer 2016)
Abbildung 12: Diskurspragmatische Faktoren für Referenztyp III (nach Döhmer 2016)

692Dies soll an einem Beispiel verdeutlicht werden: Spricht man etwa mit einer älteren Person über deren Schwester, so können der emotionale Bezug und das Alter zwischen Hörer und Referentin anders ausfallen als zwischen Sprecher und Referent. Es bleibt dem Sprecher in gewisser Weise überlassen, ob er sich an seinen eigenen pragmatischen Faktoren gegenüber der referierten Person orientiert oder an denen seines Hörers.

693In manchen Fällen zeigt sich, dass das neutrale Nähepronomen hatt auch generalisierend für Personen weiblichen Geschlechts verwendet werden kann (ohne zuvor eingeführten Referenten). Somit kann das neutrale Pronomen hatt auch als Grundform für die Referenz auf weibliche Menschen dienen, parallel zum männlichen hien.

694(158)De „Coming Out“ ass den Evenement, wou eng Persoun aner Leit matdeelt, datt hien oder hatt homosexuell oder bisexuell ass. (wikipedia.lu)
Das „Coming Out“ ist das Ereignis, wo eine Person anderen Leuten mitteilt, dass er oder es homosexuell oder bisexuell ist.

695(159)<Eldoradio> nunu1994 sin en hatt a keen hien (Chat)
<..> nunu1994 bin ein es und kein er
‘<...> nunu 1994 bin eine Sie und kein Er’

696(160)Dann drënkt keen méi eng Schlupp Alkohol wann hiën/hatt Auto fiëhrt. (Online-Kommentar)
dann trinkt keiner mehr einen Schluck Alkohol wenn er/es Auto fährt

697Ein weiterer Aspekt ist die Referenz auf weibliche Tiere, wo auch wiederum zwischen Rufnamen und Appellativen unterschieden werden muss. Bezieht sich die Referenz auf den weiblichen Rufnamen des Tieres, wird ein Neutrumpronomen verwendet. Ist allerdings das Appellativ der Referent, entscheidet das grammatische Genus der Gattungsbezeichnung über die Wahl des Pronomens.

698(161)Hatt muss bei de Déierendokter. Ref.: d’Frieda (Genus: N, Sexus: F)
Es muss bei den Tierarzt. Ref.: die Frieda

699(162)Hie muss bei den Déierendokter. Ref.: den Hond (Genus: M, Sexus: F)
Er muss bei den Tierarzt. Ref.: der Hund

700Es finden sich zahlreiche Beispiele, in denen der Name des Tieres nicht explizit genannt wird und dennoch ein Neutrumpronomen gewählt wird. Satz (163) zeigt eine hatt-Pronominalisierung für einen Hund, dessen Name im Kontext nicht genannt wird. Womöglich spielen hier emotionale Nähe und der „mitgedachte“ Name des Tieres eine erhebliche Rolle, da auf der Textebene kein neutrales Substantiv verfügbar ist (nur eins im Maskulinum, nämlich eisen Hond ‚unser Hund’), auf das sich das Pronomen hatt beziehen könnte.

701(163)Fir eis war dat vun Ufank u kloer, dat mir [eisen Hond]MASK willten anständig zillen, fir dat [hatt]NEUTR a mir vill Spaass uneneen wärten hun (Online-Kommentar)
für uns war das von Anfang an klar, dass wir unseren Hund wollten anständig erziehen, für dass es und wir viel Spaß aneinander werden haben

702Ein Blick in weitere Textsorten zeigt, dass hatt auch als Referent für andere Tiere (Pferde, Katzen) verwendet werden kann, sofern sie weiblichen Geschlechts sind und einen weiblichen Rufnamen tragen. Allein die Tatsache, dass Tiere einen Vornamen tragen, deutet bereits auf eine emotionale Bindung zwischen Mensch und Tier hin. Im Internet findet man häufig zu vermittelnde Katzen aus Pflegestationen oder Pferde, für die Reitbeteiligungen gesucht werden. Diese weiblichen Tiere werden in den meisten Fällen mit hatt pronominalisiert. Es folgt eine Anzeige für eine Reitbeteiligung auf einer Internetplattform, in der hatt stellvertretend für eine Stute steht.

703(164)Ech sinn op der Sich no enger léiwer an zouverlässeger Persoun déi [meng 13 Joer al Mier]FEM an Hallefpensioun géing huelen. [Hatt]NEUTR steet zu Iermsdref am Stall. (Internet)
Ich bin auf der Suche nach einer lieben und zuverlässigen Person die meine 13 Jahre alte Stute in Halbpension würde nehmen. Es steht in Ermsdorf im Stall.

704Wie beim Hundebeispiel in (163) wird der Rufname des Tieres nicht genannt. Dennoch wird ein Neutrumpronomen verwendet, da eine emotionale Bindung besteht und der Sprecher womöglich indirekt eine exophorische Referenz zum Rufnamen aufbaut. Hinzu kommt, dass meng 13 Joer al Mier ‘meine 13 Jahre alte Stute’ als feminines Substantiv (femininer Controller) auch ein Pronomen im Femininum (si) hätte auslösen können.

705Die Pronominalisierung von weiblichen Referenten zeigt sich als komplexes Phänomen, das es weiter zu untersuchen gilt.109 Für die vorliegende Untersuchung kann festgehalten werden, dass es drei Strategien gibt:

706

6.5 Syntax: Distribution und Klitisierung

707Die zuvor verwendete Terminologie von starken und schwachen Pronomen beruht auf der Morphologie, denn auf der Oberfläche existieren zwei unterschiedliche Formen (als Ausnahme gilt das Neutrumpronomen mit drei Formen), die aufgrund ihrer morphophonologischen Eigenschaften in starke und schwache Formen eingeteilt werden können (vgl. Kapitel 6.1). In Bezug auf die syntaktische Einbettung dieser Formen gibt es jedoch drei Verwendungen: voll, reduziert und klitisch. Wie sich diese drei Verwendungen motivieren lassen, soll anhand von unterschiedlichen syntaktischen Eigenschaften gezeigt werden: der festen Satzposition für klitische Pronomen und der Möglichkeit der Koordination, Fokussierung und Dislokation von vollen Pronomen (diese entsprechen den Punkten (3) und (4) aus den zu Beginn des Kapitels genannten pronominalen Eigenschaften von Cardinaletti & Starke 1994; 1999).

708Die feste Satzposition ist ein zentrales Merkmal von klitischen Pronomen. Im Gegensatz zu vollen und reduzierten Pronomen weisen klitische Pronomen eine besondere syntaktische (und mitunter auch phonologische) Bindung auf. Dabei sind zwei Fälle zu unterscheiden: das Subjektklitikon der 2. Person Singular (Nominativ) de, das nur nach der linken Satzklammer vorzufinden ist, sowie schwache Akkusativ- und Dativformen, die entweder nach der linken Satzklammer oder nach Präpositionen vorkommen können.

709Die klitische Form de (2.Pers.Sg.Nom.) findet sich stets nach der linken Satzklammer. Sie tritt demnach nach Nebensatzeinleitungen oder nach (finiten) Verbformen in V1- oder V2-Sätzen auf. Im nachfolgenden Beispiel wird zweimal die klitische Form de verwendet: einmal nach der (flektierenden) Nebensatzeinleitung wann (s) und einmal nach dem Modalverb muss.110

710(165)Wann s de do ënne wunns, da muss de duerch de Verkéier (Interview)
wenn INFL du da unten wohnst, dann musst du durch den Verkehr

711Da de ein Subjektpronomen ist, steht es in der Regel an erster Position im Mittelfeld. Im Vorfeld und an anderen Positionen muss die Vollform du gewählt werden (vgl. (166)). Die nachfolgende Tabelle zeigt die Stellungsoptionen im topologischen Feldermodell.

712(166)du [*de] fënns och keng Parkplazen do (Interview)
du findest auch keine Parkplätze dort

VFLKMFRKNF
wann sde do ënnewunns
damussde duerch de Verkéier
dufënnsoch keng Parkplazen do
Tabelle 61: Stellungsbedingte Variation zwischen vollem und klitischem Pronomen (2.Pers.Sg.Nom.)

713Die schwachen pronominalen Formen im Akkusativ und Dativ sind ebenfalls klitisch. Sie sind allerdings nicht auf den linken Rand des Mittelfelds beschränkt. Auch Präpositionen können ein Stützwort sein, d. h. ein Element, an das sich das Pronomen „anlehnen“ kann. Die beiden nachfolgenden Sätze zeigen, dass das klitische Pronomen mer nach der linken Klammer auftritt. Sobald das Personalpronomen im Dativ in das Vorfeld rückt, wird die volle Variante mir verwendet.

714(167)dat ass mer zimlech egal (Interview)
das ist mir ziemlich egal

715(168)Mir [*mer] ass dat einfach onverständlech. (Online-Kommentar)
mir ist das einfach unverständlich

VFLKMFRKNF
datassmer zimlech egal
mirassdat einfach onverständlech
Tabelle 62: Stellungsbedingte Variation zwischen vollem und klitischem Pronomen (1.Pers.Sg.Dat.)

716Das klitische Pronomen kann sich dabei entweder an eine finite Verbform anhängen (vgl. (167)) oder wie in (169) als klitisches Dativpronomen hinter einer Nebensatzeinleitung stehen.

717(169)ouni dass em awer effektiv gehollef ginn ass (Politik)
ohne dass ihmKLITaber tatsächlich geholfen worden ist

718Auch andere Varietäten des Deutschen (Zentralhessisch, Bairisch) zeigen, dass schwache Objektpronomen nicht im Vorfeld stehen können (vgl. Reinsberg 2011: 49; Weiß 1998, zit. nach Weiß 2016: 126).

719Die klitischen Personalpronomen können im Mittelfeld auch aneinandergereiht werden, wie der nächste Satz zeigt.111

720(170)ech kann em et net schécken (Chat)
ich kann ihm es nicht schicken

VFLKMFRKNF
echkannem et netschécken
Tabelle 63: Aneinanderreihung von klitischen Personalpronomen im Mittelfeld

721Der wichtigste Aspekt der „festen Satzposition“ ist die syntaktisch motivierte Trennung von reduzierten und klitischen Pronomen. Demnach sind nicht alle schwachen Pronomen automatisch klitisch. Schwache Pronomen im Nominativ etwa können mehrere Positionen im Satz einnehmen, u.a. auch das Vorfeld, was sie zu reduzierten Pronomen macht. Die Sätze in (171) machen deutlich, dass das reduzierte Maskulinum-Pronomen im Nominativ en die gleichen syntaktischen Stellen besetzen kann wie das volle Pronomen hien. Gleiches gilt auch für die Nominativformen anderen Pronomen der 3. Person (Singular: en, et, se; Plural: se).

722(171)a) wou [hien / en] eng Fro gestallt hat
wo er eine Frage gestellt hatte
b) [hien / en] hat eng Fro gestallt
er hatte eine Frage gestellt

723Bei den Nicht-Nominativen (in diesem Beispiel Akkusativ) können die morphologisch schwachen Formen nicht im Vorfeld stehen, was sie als Klitika charakterisiert (vgl. Nespor & Vogel 2007: 148f.). Im Akkusativ (oder Dativ) kann also nur das volle Pronomen an dieser Position stehen.

724(172)a) ech hunn [si / se] eppes gefrot
ich habe sie etwas gefragt
b) [si / *se] hunn ech eppes gefrot
sie habe ich etwas gefragt

725Bei den Pronomen der 3. Person Singular und Plural wird somit deutlich, dass die Akkusativformen auf der Oberfläche zwar formgleich mit den Nominativen sind (vgl. Tabelle 61), die schwachen Akkusativformen allerdings klitisch und die schwachen Nominativformen reduziert sind. Letztere können an beliebigen Positionen auftreten, im Gegensatz zu den schwachen Akkusativen, die über eine feste Satzposition verfügen.

Pers./Num.GenusNominativAkkusativ
3.Pers.Sg.Mask.hien / enREDhien / enKLIT
Neutr.hatt / etREDhatt / etKLIT
Fem.si / seREDsi / seKLIT
3.Pers.Pl.si / seREDsi / seKLIT
Tabelle 64: Trennung von reduzierten und klitischen Personalpronomen der 3. Person im Nominativ und Akkusativ

726Die feste Satzposition der klitischen Akkusativ- und Dativformen bezieht sich allerdings nicht ausschließlich auf den linken Rand des Mittelfelds, sondern auch auf die Position hinter Präpositionen, wie die folgenden Sätze zeigen, da auch Präpositionen Stützwörter für Klitika sein können.

727(173)d’Adele wëllt wuel erëm optriede no der Gebuert vu sengem Kand, awer net mat em op Tour goen (Online-News)
das Adele will wohl wieder auftreten nach der Geburt von seinem Kind, aber nicht mit ihmKLIT auf Tour gehen

728(174)D’Belsch si sou frouh matt hieren Hausdeieren dass si souguer fir se kachen. (Online-News)
Die Belgier sind froh mit ihren Haustieren dass sie sogar für sieKLIT kochen.

729Die Verteilung von klitischen und vollen Pronomen hinter Präpositionen weist keine großen Unterschiede auf. Im direkten Vergleich zeigt sich, dass die Kombination von Präposition und klitischem Pronomen ebenso häufig anzutreffen ist wie mit einem vollen Pronomen. Ausgewertet wurden hier Chat-Daten, in denen häufig gefragt wird: „Möchte jemand [mit mir] chatten?“. Die Präpositionalphrase stand dabei stets im Mittelfeld.

730(175)mat mir (volles Pronomen, n=1015)
mit mirVOLL

731(176)mat mer (klitisches Pronomen, n=1027)
mit mirKLIT

732Auch im Alemannischen und im Zentralhessischen sind Kombinationen von Präposition und klitischem Pronomen zulässig (vgl. Nübling 1992; Reinsberg 2011, zit. nach Weiß 2016: 127). Es ist allerdings ein auffälliges Merkmal, dass die Präpositionalphrasen mit klitischem Pronomen (Typ: mat mer) nie im Vorfeld zu finden sind.

733Beispiel (177a) zeigt einen einfachen Satz, in dem eine Präpositionalphrase mit maskulinem Personalpronomen vorkommt. Im Mittelfeld kann das Pronomen wahlweise voll oder klitisch sein. Die Präpositionalphrase ist dabei innerhalb des Mittelfeldes beweglich, beide pronominale Varianten bleiben verfügbar (vgl. b). Rückt die Präpositionalphrase allerdings in das Vorfeld (vgl. c), muss das volle Pronomen verwendet werden (mat him), was auch mit der Satzbetonung einhergeht.

734(177)a) Ech hu [mat him / mat em] geschwat. (Interview)
ich habe mit ihmVOLL/KLITgesprochen
b) Ech hu scho virun zwou Woche [mat him / mat em] doriwwer geschwat.
ich habe schon vor zwei Wochen mit ihmVOLL/KLITdarüber gesprochen
c) [Mat him/ *mat em] hunn ech geschwat.
mit ihmVOLLhabe ich gesprochen

VFLKMFRKNF
a) Echhunnmat him / mat emgeschwat.
b) Echhuscho ... mat him / mat em doriwwergeschwat.
c) Mat himhunnechgeschwat.
Tabelle 65: Stellungsbedingte Variation von Präpositionalphrasen mit vollem und klitischem Pronomen

735Es bleibt weiterhin zu klären, warum Präpositionalphrasen allgemein die Klitisierung von Pronomen zulassen, schließlich wäre die „typische“ Klitikon-Position nach der linken Klammer. Klitika sind als Konzept nur schwer greifbar und in der Literatur unterschiedlich definiert (vgl. Nespor & Vogel 2007). Dies liegt zum einen daran, dass sie in ihrer Selbstständigkeit bzw. in ihrem „Anlehnungsgrad“ variieren können, und zum anderen an der Tatsache, dass Klitisierung sowohl ein syntaktischer als auch ein phonologischer Prozess ist (vgl. Nespor & Vogel 2007: 145). Ob ein Element klitisch ist oder nicht, wird in erster Linie anhand von nicht phonologischen Eigenschaften festgemacht. In vielen Fällen geben Morphologie und Syntax erste Hinweise, ob ein Element sich wie ein Klitikon verhält. Erst in einem zweiten Schritt kann nach phonologischen Erklärungen gesucht werden (vgl. Nespor & Vogel 2007: 149). Es gibt auch Ansätze, in denen zwischen phonologischen und syntaktischen Klitika unterschieden wird (vgl. Zwicky 1977; Weiß 2016). Bei den luxemburgischen Präpositionen liegt eine phonologische Erklärung durchaus nahe, schließlich klitisieren Pronomen phonologisch nach links (vgl. Cardinaletti & Starke 1996: 47; Weiß 2016: 127). Die „phonologische Stütze“ ist demnach nicht die linke Satzklammer, sondern eine Präposition.112

736Unter der Prämisse, dass klitische Pronomen ein Stützwort benötigen, das links von ihnen steht, möchte ich abschließend noch einen Sonderfall ansprechen. In einem Satz wie (178) beginnt der Satz mit dem schwachen Pronomen et, das in der Rolle eines Akkusativobjekts im Grunde genommen nicht im Vorfeld stehen darf. Da es aber nicht isoliert am Satzanfang steht, sondern als Teil der Konstituente (Objektsatz mit Infinitivkonstruktion) et him molen ‚es ihm malen’, trägt das Verb molen den Hauptakzent und erlaubt dem klitischen et (Akkusativ) davorzustehen.

737(178)Et him molen huet och kee Sënn. (Online-Kommentar)
Es ihm malen hat auch keinen Sinn.

738Im topologischen Feldermodell (vgl. Tabelle 66) steht et in der Nebensatzstruktur durchaus am linken Rand des Mittelfeldes, erhält jedoch kein Element links davon, an das sich das Pronomen anlehnen kann. Dies bedeutet also entweder, dass das Stützwort auch rechts stehen kann, oder dass die klitischen Pronomen eine feste Position hinter der linken Klammer haben, unabhängig davon, ob die linke Klammer besetzt ist.

VFLKMFRKNF
HS[Et him molen]NShuetoch kee Sënn
NSet himmolen
Tabelle 66: Hauptsatz mit satzinitialem klitischem Pronomen

739[T]here is as yet no unambiguous way of defining clitics“ (Nespor & Vogel 2007: 149). Dennoch lassen sich Pronomen identifizieren, die aufgrund syntaktischer (und phonologischer) Besonderheiten zu Klitika hinzugezählt werden können. Die feste Satzposition am linken Rand des Mittelfelds sowie hinter Präpositionen kennzeichnet bestimmte Personalpronomen als klitische Pronomen, da sie sich deutlich von den reduzierten unterscheiden, die beispielsweise auch alleine im Vorfeld stehen können.

740Volle Pronomen unterscheiden sich von den anderen Pronomentypen dahingehend, dass sie koordiniert (179), fokussiert (180) oder disloziert (181) werden können. Dies liegt unter anderem an den prosodischen Eigenschaften von Vollformen, da nur die vollen Pronomen betont werden können und die meisten dieser syntaktischen Prozesse eine prosodische Hervorhebung mit sich bringen.

741(179)ech wär dommheet numma 1, du 2 an hatt 3 (Chat)
ich wäre Dummheit Nummer 1, du 2 und es 3

742(180)och du solls deng strof kreien (Online-Kommentar)
auch du sollst deine Strafe kriegen

743(181)du??? kanns du daat iwwerhaapt?! (Chat)
du??? kannst du das überhaupt?!

744Die Fokussierung kann entweder durch Isolation, ein Adverb wie och ‚auch’ oder allein durch Prosodie geleistet werden. Auch wenn die Prosodie der Pronomen in einem schriftlichen Korpus nicht unmittelbar ausgewertet werden kann, kann sie dennoch eine Rolle bei der Wahl zwischen einem vollen und einem reduzierten oder klitischen Pronomen spielen.

6.6 Rekapitulation des Paradigmas und Defektivität der Personalpronomen

745Aus morphologischer, semantischer und syntaktischer Perspektive und unter Berücksichtigung der in Kapitel 6.1 bis 6.4 angeführten Belege und Überlegungen kann nun eine pronominale Dreiteilung im Paradigma plausibel gemacht werden.

vollreduziertklitisch
1) Morphophonologische Reduktion++
2) Bezug auf unbelebte Referenten113+/–++
3) Feste Satzposition+
4) Möglichkeit der Koordination, Fokussierung, Dislokation+
Tabelle 67: Eigenschaften von Pronomentypen (vgl. Cardinaletti & Starke 1999, zit. nach Harley & Trueman 2010)

746Die Eigenschaften (1) und (2) sind relevant für die reduzierten und die klitischen Pronomen (d. h. für schwache Formen). (3) ist ein Indiz für die klitische Verwendung eines Pronomens und (4) trifft in erster Linie auf die vollen Pronomen zu. Da sich die Punkte (3) und (4) auf die Syntax beziehen, werden hier die Hauptargumente für die syntaktische Dreiteilung der Formen geliefert.

747Diese Dreiteilung führt nun zu einer Neubewertung des Paradigmas der Personalpronomen. Die fettgedruckten Pronomen sind die Vollformen, <RED> steht für reduzierte und <KLIT> für klitische Formen. Das Neutrumpronomen ‘t stellt einen Sonderfall dar, da es nur im Vorfeld auftreten kann (‘t ass egal ‚es ist egal’), sich dort jedoch auch aufgrund der festen Satzposition wie ein Klitikon verhält.

Num.Pers.GenusNominativAkkusativDativ
Sg.1.ech / –mech / –mir / merKLIT
2.du / deKLITdech / –dir / derKLIT
3.Mask.hien / enREDhien / enKLIThim / emKLIT
Neutr.hatt / etRED/ ‘tKLIThatt / etKLIT
Fem.si / seREDsi / seKLIThir / erKLIT
Pl.1.mir / merREDeis~ons / –
2.dir / derREDiech / –
3.si / seREDsi / seKLIThinnen / enKLIT
Tabelle 68: Überblicksdarstellung der vollen, reduzierten und klitischen Pronomen im Luxemburgischen

748Im Gegensatz zum pronominalen Paradigma, das zu Beginn von Kapitel 6 gezeigt wurde (vgl. Tabelle 51), wird hier deutlich, dass es funktionale Unterschiede zwischen den Nominativ- und den Akkusativformen der 3. Person Singular und Plural gibt. Im Nominativ weisen sie volle und reduzierte Varianten auf, im Akkusativ hingegen volle und klitische.

749Aufgrund semantischer und syntaktischer Restriktionen bestimmter Personalpronomen kann es dazu kommen, dass kein entsprechendes Personalpronomen zur Verfügung steht. Es wurde einerseits beschrieben, dass schwache Pronomen auf alle Entitäten referieren können (im Gegensatz zu den starken). Andererseits wurde gezeigt, dass nur volle (starke) Pronomen fokussiert werden können. Wenn es also nun zu einem Fall kommt, in dem ein unbelebter Referent (Beispiel d’Hiem ‘das Hemd’) nur ein schwaches Pronomen wählen kann (et), dies aber als Akkusativ im Vorfeld stehen soll (nicht zulässig, da klitisch), wird die Defektivität der Personalpronomen im Luxemburgischen deutlich. In einem solchen Satz muss das Personalpronomen durch ein Demonstrativum (deen/déi/dat oder dësen/dës/dëst) ersetzt werden. Für das Hemd-Beispiel ergibt sich somit folgender Satz.

750(182)[Dat / *hatt / *et] hunn ech gëschter kaaft.
Das/es/es habe ich gestern gekauft114

751Im luxemburgischen Korpus finden sich zahlreiche Beispiele, die das Ausweichen auf ein Demonstrativpronomen zeigen:

752(183)e Finanzplang [...] Deen hunn ech mer ugekuckt. (Politik)
ein Finanzplan [..] den habe ich mir angeguckt

753Das Substantiv Finanzplang ‚Finanzplan’ darf im Luxemburgischen aufgrund seiner Unbelebtheit nicht mit hien pronominalisiert werden. Da es im Folgesatz topikalisiert werden soll, stehen weder hien (semantische Restriktion) noch en (syntaktische Restriktion) zur Verfügung. Die Lösung ist der Einsatz des Demonstrativpronomens deen, das sowohl den semantischen (unbelebt) als auch den syntaktischen (Vorfeldposition) Bedingungen folgt. Im Gebrauch erweist sich das Paradigma der Personalpronomen somit als defektiv, was wiederum durch den Einsatz einer anderen pronominalen Kategorie (Demonstrativum) gelöst werden kann.

6.7 Starke und schwache Personalpronomen in anderen westgermanischen Sprachen

754Starke und schwache Formen zeigen sich nicht nur im luxemburgischen Pronominalsystem. Auch andere – teilweise auf Mündlichkeit beruhende – Varietäten kennen starke und schwache Personalpronomen. Gerade die syntaktische Ebene der Pronomen ist für viele Varietäten leider nur unzureichend beschrieben, sodass auf viele Aspekte nicht eingegangen werden kann.

755Einen wichtigen und für dieses Kapitel zentralen Beitrag zum Pronominalsystem liefern die Autoren Cardinaletti & Starke (1994; 1996; 1999). In mehreren sprachvergleichenden Studien machen Cardinaletti & Starke (1994; 1996; 1999) anhand unterschiedlicher germanischer (Englisch, Standarddeutsch, Standardniederländisch, Westflämisch, Olanger Dialekt in Südtirol) und romanischer Sprachen (Französisch, Italienisch) deutlich, dass pronominale Systeme ein Drei-Klassen-System aufweisen, das in erster Linie aufgrund von morphologischen, semantisch-referentiellen und syntaktisch-distributiven Eigenschaften beschrieben werden kann. Gerade die syntaktisch-distributiven Eigenschaften wurden in weiteren Studien vertieft (vgl u.a. Fuß & Wratil 2013; Weiß 2015; 2016). Weiß (2015; 2016) zeigt beispielsweise, wie sich pronominale Abfolgen in den Dialekten des Deutschen (u.a. Hessisch und Bairisch) verändern können, je nachdem welche Pronomentypen (voll, reduziert, klitisch) involviert sind. Das folgenden Beispiel nach Weiß (2015) stammt aus dem Bairischen.

756(184)Dia han’e’n doch gesdan scho zrugg geem. (Weiß 2015: 80)
Dir habe’ich’ihn doch gestern zurück gegeben

757Das erste Dativpronomen dia (2.Pers.Sg.) steht als volles Pronomen am Satzanfang. Die klitischen Pronomen reihen sich dabei hinter der linken Klammer an das finite Verb han ‚haben’ an.

758In Dialekten mit pro-drop wie im Bairischen wird die Unterteilung der schwachen Pronomen zusätzlich um die Option null ergänzt, wodurch schwache Pronomen reduziert, klitisch oder nicht realisiert (null) sein können (vgl. Fuß & Wratil 2013; Weiß 2015).

759Die deutsche Standardsprache unterscheidet nur im mündlichen Gebrauch zwischen starken und schwachen Formen (kommst du mit? vs. kommsde mit?). Auch zahlreiche Dialekte bzw. Regiolekte des Deutschen kennen diese Distinktion. Dass diese schwachen Formen auch verschriftlicht werden können, zeigt ein Beispiel aus dem Gießener Anzeiger. Hier wurden die Personalpronomen du und dir durch die klitischen Formen de und der ersetzt.

760(185)Jung, däei kannst de der nomme [...] (Gießener Anzeiger online)115
Junge, die kannst du dir nehmen

761Im Pennsylvania Dutch bzw. im Pennsylvania German (historisch aus dem Alemannischen bzw. Pfälzischen entstanden) existieren ebenfalls starke und schwache Personalpronomen (mir/mər; in/ən), wobei die schwachen präferiert werden (vgl. van Ness 2002: 429f.). Andere Autoren weisen ebenfalls auf eine pronominale Stark-schwach-Distinktion hin, u.a. im Schweizerdeutschen (Schweizerisches Idiotikon digital), im Zimbrischen (Schweizer 2008) oder in der Mundart von Pforzheim (Sexauer 1927). Eine genaue funktionale Analyse, d. h. die referentiellen Einsatzmöglichkeiten und die syntaktischen Aspekte werden allerdings selten bis gar nicht erwähnt. In manchen Fällen finden sich lediglich Angaben zu allgemein präferierten Formen oder Formzusammenfällen.

762Im Standardniederländischen gibt es ebenfalls starke und schwache Personalpronomen, etwa jij/je ‚duST/duSW’oder zij/ze ‚sieST/sieSW’ (vgl. De Schutter 2002: 461f.; Broekhuis & den Dikken 2012: 775). Hier gilt, dass die starken Varianten hauptsächlich als Hervorhebung verwendet werden („in stressed positions“, vgl. De Schutter 2002: 461).116 Zudem gelten für schwache Pronomen syntaktische Restriktionen, wie etwa unzulässige Satzpositionen am rechten Rand des Mittelfelds (vgl. Broekhuis & den Dikken 2012: 777f.). Demnach scheint es sich auch hier um Klitika zu handeln.

763Semantische Referenzspektren wurden bislang kaum berücksichtigt bzw. kaum systematisch untersucht, wie es hier für das Luxemburgische gemacht wurde, sodass hier noch weiterer Forschungsbedarf besteht.

6.8 Zusammenfassung

764Dieses Kapitel lieferte einen ersten empirischen Zugang zu den unterschiedlichen Eigenschaften von Personalpronomen im Luxemburgischen. Dabei wurden verschiedene Ebenen berücksichtigt: Morphologie (Form), Semantik (Referenz), Pragmatik (Neutrum oder Femininum bei weiblichen Personen) sowie Syntax (distributive Eigenschaften). Im Folgenden sollen die Kerneigenschaften dieser Bereiche noch einmal auf den Punkt gebracht werden.

765

766Die luxemburgischen Personalpronomen flektieren nach Numerus, Person, Kasus und in der 3. Person Singular ebenfalls nach Genus. Das Paradigma der Personalpronomen zeigt im Luxemburgischen unterschiedliche Formen und Synkretismen. Auf der Oberfläche sind bei den Pronomen der 3. Person (Singular und Plural) Nominativ und Akkusativ formgleich (Sg: hien/en, hatt/et, si/se; Pl:si/se). Bei den Pronomen der 1. und 2. Person Plural sind hingegen Akkusativ und Dativ formgleich (eis~ons, iech). Darüber hinaus zeigen die meisten Formen eine starke und eine schwache pronominale Variante, die vor allem in den Bereichen Semantik und Satzposition eine wichtige Rolle spielen.

767

768Die starken und schwachen Pronomen der 3. Person Singular (hien/en, hatt/et, si/se) verfügen über bestimmte referentielle Eigenschaften, d. h., dass nicht alle Formen auf alle Entitäten referieren können. Die starke Neutrumform hatt darf ausschließlich im Zusammenhang mit weiblichen Personen oder Tieren mit weiblichem Rufnamen verwendet werden. Die starke Form hien lässt sich immer dann verwenden, wenn der Referent belebt ist. In Einzelfällen kann hien auch auf individuierte, nicht belebte Substantive Bezug nehmen (de julianesche Kalenner ‚der julianische Kalender’). Für das starke Femininumpronomen si gilt, dass es auf sämtliche Entitäten referieren kann (auch Abstrakta). Die schwachen Formen (en, et, se) können allgemein auf alle Konkreta und Abstrakta Bezug nehmen.

769

770Bei der Referenz auf weibliche Personen können entweder feminine oder neutrale Pronomen verwendet werden. Dies hängt auf der einen Seite mit dem grammatischen und auf der anderen Seite mit dem pragmatischen Genus zusammen. Im Allgemeinen stehen weibliche Rufnamen im Luxemburgischen im Neutrum, ebenso wie Künstlernamen (Bsp. Madonna). Daneben stehen Nachnamen und feminine Appellativa im Femininum (Bsp.: meng Mamm ‚meine Mutter’ oder d’Madamm Schmidt ‚Frau Schmidt’). In manchen Fällen kann die Referenz jedoch schwanken, vor allem dann, wenn Vor- und Nachname genannt werden, die jeweils einem anderen grammatischen Geschlecht zuzuordnen sind. Auch das einfache feminine Appellativ Schwëster ‚Schwester’ gehört zu dieser Kategorie, auch wenn hier keine offenkundige Neutrumreferenz vorliegt. Die Wahl zwischen Femininum und Neutrum lässt sich anhand unterschiedlicher pragmatischer Faktoren darlegen, zu denen unter anderem Alter, emotionale Nähe und Stil zählen. Dabei spielt nicht nur die Relation zwischen Sprecher und referierter Person, sondern auch diejenige zwischen Sprecher und Hörer eine wichtige Rolle.

771

772Die im Paradigma festgehaltene Zweiteilung der Formen in starke und schwache Pronomen zeigt sich aus syntaktischer Perspektive als Dreiteilung in volle, reduzierte und klitische Pronomen. Diese Dreiteilung lässt sich dadurch motivieren, dass nur volle Pronomen syntaktisch „autonom“ sind, d. h., dass sie sich dislozieren, koordinieren und fokussieren lassen. Die reduzierten Pronomen zeichnen sich durch morphophonologische Reduktion aus, können aber im Gegensatz zu den klitischen Formen an unterschiedlichen Positionen im Satz stehen. Klitische Pronomen finden sich in erster Linie zu Beginn des Mittelfelds sowie nach Präpositionen.

7 Pronominalsyntax II: Pronomencluster

773Das vorliegende Kapitel liefert einen ersten empirischen Zugang zur Abfolge pronominaler Konstituenten im luxemburgischen Mittelfeld. Anhand des Korpus soll ermittelt werden, welche Kasusabfolgen (Nom, Dat, Akk) innerhalb von Pronomenclustern im Mittelfeld als Grundstellung bzw. neutrale Stellung gelten können. Kapitel 7.1 beginnt mit theoretischen Überlegungen zur Wortstellung. Dabei steht die Frage im Vordergrund, was im Grunde genommen eine neutrale Wortstellung ist und welche Faktoren die syntaktischen Abfolgeregeln beeinflussen können. Darüber hinaus werden auch Forschungskonzepte und empirische Herangehensweisen aus der germanistischen Syntaxforschung besprochen. In Bezug auf die Empirie soll auch geklärt werden, inwieweit das hier verwendete luxemburgische Korpus nutzbar gemacht werden kann, um pronominale Abfolgen im Mittelfeld zu ermitteln. Der empirische Teil (Kapitel 7.2) widmet sich der Serialisierung im Mittelfeld und überprüft die folgende Kasusabfolge für Pronomen im Luxemburgischen: Nom>Dat>Akk („>“ bedeutet ‚steht vor’). Die pronominalen Abfolgen werden anhand von zahlreichen Korpusbelegen quantitativ und qualitativ besprochen. Kapitel 7.3 zeigt einen Exkurs zu den luxemburgischen Wenkersätzen (erhoben 1924/25 von R. Huss), da hier – anhand eines gleichbleibenden Satzes mit Pronomencluster (Wenkersatz Nr. 9)117 – noch einmal quantitativ auf die Abfolge Dat>Akk eingegangen werden kann.

774Auch aus typologischer Sicht ist die Frage nach der pronominalen Abfolge interessant, denn der Indogermanist Jacob Wackernagel (1892) fand heraus, dass klitische Elemente (klitische Pronomen oder andere unbetonte Elemente wie Adverbien oder Partikeln) in indogermanischen Sprachen dazu neigen, im Satz weiter vorne zu stehen (meistens an zweiter Stelle) (vgl. Wackernagel 1892, zit. nach Anderson 1993; vgl. auch Weiß 2016).118 In der heutigen germanistischen Forschung wird der Begriff „Wackernagelposition“ meistens stellvertretend für die Position klitischer Pronomen hinter der linken Satzklammer verwendet (im Hauptsatz hinter dem flektierten Verb, im Nebensatz hinter der NS-Einleitung) (vgl. Weiß 2016: 122). Im Standarddeutschen äußert sich diese Regel bei der Anordnung von pronominalen Objekten: Obwohl für standarddeutsche nominale Konstituenten die Abfolge Dat>Akk gilt (einem Kind ein Buch vorlesen), rückt das pronominalisierte Akkusativobjekt als schwaches Pronomen unweigerlich vor den Dativ (es ihm vorlesen).119 Dieses es kann als klitisches, unbetontes Pronomen in bestimmten Kontexten zu ‘s klitisiert werden (er hat’s ihm vorgelesen). In den Dialekten ist die Wackernagelposition noch deutlicher ausgeprägt, sodass teilweise selbst klitische Objektpronomen vor Subjektpronomen rücken (vgl. Weiß 2015; 2016).

775Auch im Standardniederländischen gibt es eine besondere syntaktische Position hinter der linken Satzklammer, in der nur schwache pronominale Objekte stehen können wie beispielsweise het ‚es’ (Neutr.sw.), nicht jedoch starke Pronomen wie das Demonstrativpronomen dat ‚das’ (Neutr.) (vgl. van Riemsdijk 1978: 33; Zwart 2011: 269).

776Die nachfolgende empirische Analyse wird allerdings zeigen, dass die präferierte Kasusabfolge im Luxemburgischen Dat>Akk lautet, sodass die Wackernagelposition keinen großen Einfluss auf die pronominale Wortstellung im Luxemburgischen hat.

7.1 Neutrale Satzgliedfolge und andere methodische Herausforderungen

777Bevor nun pronominale Serialisierungstendenzen im Luxemburgischen dargestellt werden, sollte zunächst auf die allgemeine Problematik der Bestimmung und des Begriffs der neutralen Satzgliedfolge hingewiesen werden. Die neutrale Satzstellung ist ein durchaus problematisches Konzept, schließlich existiert ein Satz nur selten in einem „neutralen” Kontext. Er steht immer im Spannungsfeld zwischen Grammatik und Pragmatik.120 Obwohl die Suche nach einer „neutralen Satzstellung“ der Suche nach einem Phantom gleicht, gibt es allgemeine Tendenzen der Anordnung von Satzgliedern, der in einem wissenschaftlichen Kontext nachgegangen werden kann. Die lineare Ordnung von Satzgliedern steht darüber hinaus auch ganz in der Forschungstradition der Sprachtypologie, in der Sprachen aufgrund ihrer syntaktischen Anordnung nach SOV/SVO usw. eingeteilt werden. Prinzipiell regelt sich die Wortstellung nach strukturell-grammatischen, aber gleichzeitig auch nach kommunikativ-pragmatischen Gesichtspunkten (vgl. Flämig 1991: 82).121 Bislang gibt es allerdings keine optimale Methode, grammatische und pragmatische Faktoren zu isolieren, um ihren unmittelbaren Einfluss „berechnen“ zu können. Es ist vielmehr ein Zusammenspiel verschiedenster Faktoren, die die syntaktische Struktur bedingen.

778Aus der Perspektive der Sprachbenutzer dient die Grundwortstellung in erster Linie dazu, Umsortierungen zu erkennen, welche durch Themabildung, kommunikative Hervorhebung oder die Kennzeichnung eines Kontrasts hervorgerufen werden. Grundsätzlich werden mit Abweichungen in der syntaktischen Abfolge bestimmte Interpretationsmöglichkeiten für den Hörer bzw. Leser vorgegeben. Ein Beispiel hierfür ist die Topikalisierung, also die Hervorhebung einer Konstituente durch das Vorrücken ins Vorfeld. Dieser Prozess gelingt nur dann, wenn die Konstituente in der neutralen Satzstellung nicht im Vorfeld steht. Die Aufmerksamkeit wird somit auf dasjenige Satzglied gelenkt, das in einem neutralen Satz an einer anderen Position steht. Die neutrale Satzstellung weist demnach die allgemeinen Abfolgeregularitäten im Satz auf, ohne besondere Lesart oder Hervorhebung. Eine neutrale Satzstellung suggeriert zwar keine besondere Lesart, schließt sie jedoch nicht zwangsläufig aus. Vor allem in den Transkripten im Korpus können Satzglieder prosodisch hervorgehoben worden sein, ohne dass dies in der Transkription (Basistranskripte) ersichtlich ist.

779Für das Standarddeutsche finden sich zahlreiche Forschungsansätze aus den vergangenen 40 Jahren, die sich mit der Konstituentenabfolge im Mittelfeld beschäftigen (vgl. u.a. Lenerz 1977; Höhle 1982; Reis 1987; Zifonun et al. 1997). Die Frage, ob nun grammatische oder pragmatische Aspekte ausschlaggebend für die Wortstellung sind, wurde in der Forschungsliteratur zum Standarddeutschen kontrovers diskutiert (vgl. u.a. Lenerz 1977; Lötscher 1984; Reis 1987). Dabei werden häufig neue Beispielsätze und Grammatikalitätsurteile angeführt, die neue Dimensionen aufzeigen oder ältere Theorien infrage stellen. Die Autoren sind sich allerdings in dem Punkt einig, dass ein neutraler Satz derjenige sein muss, der die wenigsten Einschränkungen hat und somit in den meisten Satzkontexten vorkommen kann, ohne ein Satzglied besonders hervorzuheben (vgl. Lenerz 1977; Höhle 1982; Reis 1987). Für das Standarddeutsche wurden insgesamt die folgenden Regeln zur Konstituentenabfolge im Mittelfeld als Stellungstendenzen herausgearbeitet (vgl. Lenerz 1977; Reis 1987; Uhmann 1993; Zifonun et al. 1997; zit. nach Eisenberg 2016: 381f.).

780
  1. Subjekt vor Objekt
  2. Thema vor Rhema
  3. unakzentuiert vor akzentuiert (Prosodie betreffend)
  4. Pronomen vor substantivischem Nominal
  5. definit vor nichtdefinit
  6. belebt vor unbelebt
  7. Start vor Ziel
  8. kurz vor lang (Länge der Satzglieder)
  9. Zeit vor Ort (adverbiale Bestimmungen betreffend)

781Diese Liste könnte noch durch weitere, allgemein pragmatische Elemente ergänzt werden, wie „perzeptuell Nahes vor Entferntem“ oder „Allgemeines vor Speziellem“ (vgl. Kindt 1994: 52). Bei sämtlichen Auflistungen dieser Art muss jedoch bedacht werden, dass es sich größtenteils um Tendenzen bzw. Präferenzen handelt. Ferner können auch mehrere strukturelle Eigenschaften einer Konstituente zu Konflikten in dieser Liste führen. Eine Satzkonstituente – sowie syntaktische Einheiten im Allgemeinen – unterliegen schließlich unterschiedlichen strukturellen Bedingungen, die in einem komplexen Zusammenspiel stehen und sich nicht auf einen Hauptfaktor reduzieren lassen. In der Dudengrammatik (2006: 881) werden diese Faktoren für die Grundstellung ebenfalls relativiert, „[d]a praktisch jeder Faktor in passenden Kontexten von einem anderen überspielt werden kann”. Hinzu kommt die eingangs beschriebene „Wackernagelposition“, die einen zusätzlichen Einfluss auf die Wortstellung haben kann (vgl. u.a. Lenerz 1977; Pittner & Berman 2004: 146; Dudengrammatik 2006: 884-886).

782Dies führt unweigerlich zu der methodischen Frage, wie sich Wortstellungsregeln im Allgemeinen und im Speziellen für das Luxemburgische herausarbeiten lassen. Die älteren Studien zum Standarddeutschen beruhen meistens auf konstruierten Sätzen und eigenen muttersprachlichen Bewertungen (vgl. u.a. Lenerz 1977; Reis 1987), deren Allgemeingültigkeit zumindest angezweifelt werden kann. Neuere, dialektale Projekte setzen bei der Bestimmung von Wortfolgen auf vorgegebene Satzkontexte, auf die eine Multiple-Choice- oder eine Ergänzungsaufgabe folgt (vgl. die Aufgabenbögen aus dem SyHD-Projekt bei Weiß 2016: 138). Auch hier sind die Beispielsätze konstruiert, werden jedoch von mehreren Probanden ausgefüllt, sodass die Daten deutlich repräsentativer und durch die identischen Kontexte auch sehr gut vergleichbar sind. Schwierig erweist sich bei Multiple-Choice-Aufgaben die Wahrung der „Natürlichkeit“ der angekreuzten Satzfolgen, denn auch hier können die Sprecher unbewusst Satzglieder hervorheben oder einen Satz ankreuzen, den sie in der Spontansprache tatsächlich nicht bilden würden.

783Ein anderes Hindernis ist die kognitive Anstrengung der Informanten, die bei komplexen Sätzen oder bei der Konfrontation mit mehreren Satzoptionen entsteht. Dass es Sprechern schwerfällt, Satzstellungen und pronominale Varianten zu bewerten, zeigte sich auch bei einer Pilotstudie, die ich in Vorbereitung auf dieses Kapitel durchgeführt habe. In dieser Studie wurden sechs Muttersprachlerinnen dazu aufgefordert, die Konstituenten in einem gleichbleibenden Nebensatz zu ordnen. Zwei der sechs Gewährspersonen waren nach vier Kombinationsmöglichkeiten kognitiv bereits leicht überanstrengt, was sich darin äußerte, dass sie ihre eigene Kompetenz anzweifelten und sich nicht in der Lage fühlten, weitere authentische Bewertungen abzugeben. Es ist jedoch schwierig, verschiedene Pronomenkombinationen abzufragen und gleichzeitig den (freiwilligen) Informanten kognitiv zu „schonen“. Eine breit gefächerte Analyse zur Konstituentenabfolge ist allerdings mit vier Sätzen schlichtweg nicht durchführbar. In der Theorie müssten für eine gründliche Analyse mehrere Konstituententypen (Personalpronomen, Nominalphrasen, Demonstrativa) mitsamt ihren Unterkategorien (stark/schwach) und unter Berücksichtigung semantischer Eigenschaften (belebt/unbelebt) getestet werden. Zur Darstellung der zahlreichen Optionen, die im Luxemburgischen unter anderem durch die Stark-Schwach-Opposition in den Artikel- und Pronomenparadigmen hervorgerufen werden, dient die folgende tabellarische Auflistung.

Subjekt indir. Objektdir. Objekt
dasshien
en
den
de Pierre
den Typ
deen Typ
en Typ
him
em
deem
dem Nadine
dem Meedchen
deem Meedchen
engem Meedchen
et
dat
d’Geschicht
déi Geschicht
eng Geschicht
erzielt122
Tabelle 69: Subjekt- und Objekttypen im Nebensatz (Verb: erzielen ‚erzählen‘)

784Es sei darauf hingewiesen, dass der Faktor Belebtheit hier aufgrund der semantischen Valenz des Verbs erzielen ‚erzählen’ fixiert ist, sodass eigentlich zusätzlich unterschiedliche Verbtypen verwendet werden müssten. Dem Phänomen der Wortstellung muss demnach anders begegnet werden, bzw. müssen hier einige Faktoren so weit wie möglich isoliert und im Detail betrachtet werden.

785Einen guten Zugriff auf viele unterschiedliche Sätze und Kombinationen von Objekten und Objekttypen bietet ein Korpus. Zwar weist die Arbeit mit einem Korpus auch gewisse methodische Schwachpunkte auf, aber insgesamt verfügt das Korpus über ein enormes Potential in Bezug auf die Quantifizierbarkeit und die Natürlichkeit der Daten (zu den allgemeinen Vor- und Nachteilen der Korpusanalyse vgl. Kapitel 3.2). Als schwierig erweisen sich in diesem Kontext die Vergleichbarkeit und die Auswertung der extrahierten Daten, denn bei einer Worststellungsanalyse handelt es sich meist um eine komplexe, multifaktorielle Variation, die für jeden einzelnen Satz bestimmt werden müsste. Der große Vorteil der Korpusarbeit besteht darin, dass natürliche Daten quantitativ ausgewertet werden können. Auch für die Idee der „neutralen“ Satzgliedfolge ist eine quantitative Herangehensweise sinnvoll, da viele Sätze Grundtendenzen aufzeigen können, auf die dann im Detail weiter eingegangen werden kann. Hier ist es wichtig, viele entsprechende Sätze zu sammeln, denn je größer der Datensatz ist, desto aussagekräftiger sind die Resultate (vgl. Hylen & Speelman 2003).123 Zugleich sollte sich die Forschungsfrage auf wenige Faktoren beschränken, um die Komplexität und das Ineinandergreifen der Faktoren so weit wie möglich zu minimieren. In diesem Fall wird die Abfolge nominaler Satzglieder beispielsweise ausgeklammert.

786Die vorliegende empirische Analyse zielt darauf ab, die Grundabfolge von Pronomen zu untersuchen. Im konkreten Fall bedeutet dies, dass Pronomenabfolgen per Textsuche ermittelt und manuell ausgewertet werden. Die Hauptarbeit besteht darin, den Tiefenkasus der Pronomen zu erkennen und unpassende Sätze auszusortieren, schließlich zeigen vier von sechs Personalpronomen einen Synkretismus von Nominativ und Akkusativ. Die folgenden Beispiele sollen diese Problematik des formgleichen Oberflächenkasus illustrieren. Bei der Suche nach der Beispielabfolge et hinnen ‚es ihnen’ finden sich in den Ergebnissen zahlreiche Fälle, in denen et ein durch Inversion hervorgerufener Nominativ ist wie bei (186).

787(186)Ass et hinnen egal? (Internet)
Ist es ihnen egal?

788Satz (187) zeigt einen Beleg, bei dem es durch eine fehlende Kommasetzung zu einer vermeintlichen Pronominalabfolge kommt. Auch die Formgleichheit zwischen dem Partitivpronomen der und dem Personalpronomen der (2.Pers.Sg.Dat.) führt dazu, dass zahlreiche Sätze mit der vermeintlichen Abfolge et dir ‚es dir’ aussortiert werden müssen (vgl. (188)).

789(187)soe mer eis et kéint schlëmmer sinn (Online-Kommentar)
sagen wir uns es könnte schlimmer sein

790(188)1960 waren et der genee 153. (Online-News)
1960 waren es deren genau 153.

791Von den über 1800 auf geeignete Kontexte überprüften Sätzen können insgesamt 1244 für die Analyse der pronominalen Abfolge im Luxemburgischen herangezogen werden. Ferner ist zu beachten, dass das Korpus nur selten Sätze mit identischer Informationsstruktur bereithält, d.h., dass jeder Satz neue Faktoren mit sich bringt, welche die Abfolge von Konstituenten beeinflussen können.

7.2 Pronominale Abfolge im Mittelfeld

792Wie bereits im vorherigen Kapitel beschrieben, wird nach der neutralen Satzgliedfolge für luxemburgische Pronomen gesucht. Die Kasusabfolge steht dabei stellvertretend für syntaktische Funktionen: Nominativ = Subjekt; Dativ = indirektes Objekt; Akkusativ = direktes Objekt. Die Kasus-Serialisierung Nom>Dat>Akk vereint zwei zentrale Serialisierungsprinzipien:

793

794Pronominaler Dativ vor pronominalem Akkusativ

795Im Luxemburgischen ist die Abfolge Dat>Akk dominant, das schwache Pronomen im Akkusativ (et) rückt nicht nach vorne. Die pronominale Grundfolge lautet demnach: DatPRO>AkkPRO. Dies ist umso interessanter, wenn man die Einteilung in volle, reduzierte und klitische Pronomen aus Kapitel 6.5 hinzuzieht. Demnach stellt sich das klitische et hinter ein volles Personalpronomen. Womöglich handelt es sich hier ebenfalls um eine phonologische und weniger um eine syntaktische Klitisierung. Letztere würde bedeuten, dass es auch für das Luxemburgische eine Art Vormittelfeld für klitische Pronomen geben müsste, in dem die syntaktische Position dieses Pronomentyps mehr oder weniger fest ist. Die Daten sprechen jedoch gegen eine solche Position, was erneut auf die Komplexität und die damit verbundene Beschreibungsschwierigkeit der strukturellen Eigenschaften von Klitika hinweist.

796Getestet wurden im Korpus pronominale Abfolgen mit dem schwachen Personalpronomen et (Neutrum) in der Rolle des Akkusativobjekts und einem Personalpronomen im Dativ, wobei alle Formen getestet und berücksichtigt wurden (alle Personen, starke und schwache Varianten).124 Die Ergebnisse sind in der folgenden Tabelle dargestellt.

et (3.Pers.Sg.Neutr.Akk.)in Kombination mit:Dat > AkkAkk > DatGesamt
+ mir/mer (1.Pers.Sg.Dat.)95,3 % (n=451)4,7 % (n=22)473
+ dir/der (2.Pers.Sg.Dat.)98,3 % (n=58)1,7 % (n=1)59
+ hir125 (3.Pers.Sg.Fem.Dat.)62,5 % (n=10)37,5 % (n=6)16
+ him/em (3.Pers.Sg.Mask./Neutr.Dat.)98,3 % (n=115)1,7 % (n=2)117
+ eis~ons (1.Pers.Pl.Dat.)56,3 % (n=49)43,7 % (n=38)87
+ iech (2.Pers.Pl.Dat.)99,2 % (n=352)0,8 % (n=3)355
+ hinnen (3.Pers.Pl.Dat.)97,8 % (n=134)2,2 % (n=3)137
Mittelwert94 % (n=1169)6 % (n=75)1244
Tabelle 70: Pronominale Abfolgen von Dativ und Akkusativ mit dem klitischen Pronomen et

797Im Gesamtbild dominiert eindeutig die Folge Dativ>Akkusativ. Allein bei der 3. Person Singular (hir/er) sowie bei der 3. Person Plural (eis~ons) ist Dat>Akk etwas schwächer ausgeprägt (und zeigen die kleinsten Belegzahlen), dennoch liegen die Werte auch hier bei 56,3 % bzw. bei 62,5 %.126 Die restlichen Pronomen zeigen Werte von über 95 % bei der Abfolge Dat>Akk. Auch die informelle mündliche Befragung von sechs Sprecherinnen bestätigt diese Abfolgetendenz. Zudem gaben alle Informanten an, dass die Folge him et oder eis et „leichter“ zu artikulieren sei als et him oder et eis.

798Die Abfolge Dat>Akk zeigt sich sowohl bei vollen als auch bei klitischen Personalpronomen, d.h. für diese Kasusfolge ist es unerheblich, ob – neben dem ohnehin bereits klitischen Akkusativpronomen et – das Dativpronomen in seiner starken oder seiner schwachen Form verwendet wird (him vs. em).

799(189)Molen kann een him et leider net. (Online-Kommentar)
Malen kann man ihm es leider nicht.

800(190)wann ech em et net verschreiwen, da verschreiwt den Noper em et (Interview)
wenn ich ihm es nicht verschreibe, dann verschreibt der Nachbar ihm es

801Die Abfolge Dat>Akk kann sowohl in Haupt- als auch in Nebensätzen beobachtet werden.

802(191)däi Kand wäert dir et spéider danken (Online-Kommentar)
dein Kind wird dir es später danken

803(192)datt ech iech et gesot hunn (Prosa)
dass ich euch es gesagt habe

804Allein 6 % der Belege (n=75) zeigen die pronominale Reihenfolge Akk>Dat, wie sie aufgrund der Wackernagelposition des klitischen et-Pronomens erwartbar gewesen wäre. Im Folgenden sollen also die Belege mit der weniger dominanten Abfolge Akk>Dat qualitativ beschrieben werden, um mögliche Gründe für diese Umstellung herauszuarbeiten. Für eine syntaktische Umstellung stehen verschiedene Erklärungen zur Verfügung:

805

806Aus methodischen Gründen der Überprüfbarkeit soll hier der mit der Verbvalenz im Zusammenhang stehende Faktor Grammatik im Vordergrund stehen. Für eine solche grammatische Erklärung werden nun alle Verben analysiert, die häufiger als dreimal mit der Folge Akk>Dat vorkommen. Diese frequenzbasierte Einschränkung macht es gegenüber Einzelbelegen, bei denen pragmatische Faktoren eine zentrale Rolle spielen können, einfacher, strukturell-grammatische Faktoren herauszuarbeiten. Ein Ineinandergreifen von Grammatik und Pragmatik kann jedoch auch hier nie ganz ausgeschlossen werden, sodass die grammatischen Faktoren nicht die alleinige Erklärung der Wortstellungsvariation sein müssen.

VerbÜbersetzungpronominale Kasusfolge Akk>Dat im Korpus
erlabenerlauben14
sech leeschtensich leisten5
erméiglechenermöglichen4
sech eppes einfach/schwéier maachensich etwas einfach/schwer machen4
erschéngenerscheinen3
sech erwaardensich erwarten3
sech iwwerleeënsich überlegen3
sech virstellensich vorstellen3
Tabelle 71: pronominale Kasusabfolge Akk>Dat im Korpus

807Es fällt auf, dass 5 der 8 häufigsten Verben mit der Abfolge Akk>Dat reflexiv sind. Es wäre demnach denkbar, dass sich die pronominale Anordnung bei reflexiv verwendeten Pronomen anders verhält als bei nicht reflexiven Pronomen. Alleine für die Pronomen der 3. Person steht das gesonderte Reflexivpronomen sech ‚sich’ zur Verfügung, das in dieser Studie nicht gesondert berücksichtigt wurde. Für alle anderen Personalpronomen gilt, dass ihre Dativform auch als Reflexivum verwendet wird (Reflexiv: ech hu mer iwwerluecht ‚ich habe mir überlegt’ vs. nicht reflexiv: en huet mer gehollef ‚er hat mir geholfen’).

808Viele der in Tabelle 71 genannten reflexiven Verben zeigen im Mittelfeld jedoch sowohl die Abfolge Dat>Akk als auch Akk>Dat. Bei den folgenden beiden Beispielen wird die Konstruktionen et sech iwwerleeën ‚es sich überlegen’ gezeigt: bei (193) mit der Abfolge Nom>Akk>Dat und in (194) mit der deutlich häufigeren Abfolge Nom>Dat>Akk.

809(193)do géing ech et mir 20x iwwerléen (Online-Kommentar)
da würde ich es mir 20x überlegen

810(194)da géif ech mer et méi wéi eemol iwwerleeën (Politik)
dann würde ich mir es mehr als einmal überlegen

811Demnach kann Reflexivität nicht alleine ausschlaggebend für die Akk>Dat-Folge sein, zumal nicht alle extrahierten Verben reflexiv sind. Am häufigsten zeigte das Verb erlaben ‚erlauben’ die Abfolge Akk>Dat (das reflexive sech erlaben hingegen nur einmal). Dieses Verb zeigt allerdings eine andere grammatische Besonderheit: Die 14 analysierten Sätze zeigen alle ein Neutrumpronomen et, das als Korrelat zu einem Objektsatz fungiert (und somit stets unbelebt ist).

812(195)en europäesche Pass, deen etOBJ-KORR hir erlaabt [hir Aktivitéit an der ganzer Europäescher Unioun auszeüben]OBJ (Politik)
einen europäischen Pass, der es ihr erlaubt ihre Aktivität in der ganzen Europäischen Union auszuüben

813Objektsätze rücken im Luxemburgischen generell ins Nachfeld, um das Mittelfeld nicht zu überlasten. Im Mittelfeld wird allerdings häufig ein neutrales Akkusativpronomen (et) gesetzt, das ein Korrelat zum Objektsatz bildet. Dieses korrelierende et nimmt in zahlreichen Sätzen im Korpus die Position vor dem Dativpronomen ein (Akk>Dat).

814Doch auch hier besteht Variation, d.h., dass sich ebenfalls Objektsätze mit et-Korrelat finden, in denen das Akkusativpronomen et dennoch hinter dem Dativ steht (Dat>Akk):

815(196)dass een [...] hir et erlaabt déi Formatioun [...] och ze maachen (Politik)
dass man [..] ihr es erlaubt diese Weiterbildung [..] auch zu machen

816Auch das Verb erméiglechen ‚ermöglichen’ (vier Sätzen mit Akk>Dat-Folge), zeigt einen Objektsatz mit et-Korrelat im Mittelfeld, das sich vor das Dativpronomen setzt.

817(197)dat soll et him erméiglechen, sech op d’Klo [...] virzebereeden (Online-News)
das soll es ihm ermöglichen, sich auf die Klage [..] vorzubereiten

818Das korrelierende Pronomen et ist in diesen Sätzen stets fakultativ. Da der Objektsatz bereits die Funktion des direkten Objekts belegt, kann dieses Korrelat-Pronomen auch weggelassen werden, wie der folgende Satz aus dem Korpus zeigt.

819(198)Informatiounen [...], déi him erméiglechen, säin Uerteel ze spriechen (wiss.Arbeit)
Informationen [..], die ihm ermöglichen, sein Urteil zu sprechen

820Die Weglassbarkeit des korrelierenden Akkusativpronomens könnte ein Hinweis dafür sein, dass fakultative Pronomen, die ein Korrelat zu einem Objektsatz bilden, einen Einfluss auf die Reihenfolge von Dativ- und Akkusativpronomen haben. Mit den geringen Belegzahlen lässt sich diese Hypothese aber nicht endgültig bestätigen.

821Die Analyse der grammatischen Faktoren hat ergeben, dass fast alle Sätze, die über die seltenere Folge Akk>Dat verfügen, entweder ein Dativpronomen im reflexiven Gebrauch oder ein Akkusativpronomen (et) als fakultatives Korrelat zu einem Objektsatz aufweisen. Ein weiteres Merkmal, das all diese Verben gemeinsam haben, ist, dass das von ihnen verlangte Akkusativobjekt unbelebt ist und keine prototypische Patiensrolle ausübt. Weitere Erklärungsansätze, die hier nicht weiter untersucht werden können, wären demnach u.a. die lexikalisch-semantische Struktur der Verbkomplemente. Dies legen auch Forschungsergebnisse zur Abfolgevariation bei standarddeutschen Sätzen nahe (vgl. Haider 1992; Hoberg 1997; Fortmann & Frey 1997; zit. nach Speyer 2011: 17). Demnach können für unterschiedliche Verben aufgrund der thematischen Rollen, die sie vergeben, (und die damit verbundenen Belebtheitsoptionen) unterschiedliche Objektfolgen entstehen.

822Insgesamt dominiert die Folge Dat>Akk derart deutlich in den Daten (im Durchschnitt 93 %), dass hier durchaus von einer pronominalen Grundfolge Dat>Akk gesprochen werden kann.

823Nominativ vor Nicht-Nominativ

824Nachdem nun die Grundabfolge Dat>Akk festgemacht wurde, soll nun die Position von pronominalen Nominativen geklärt werden. Es gibt durchaus die Grundtendenz, dass Nominative vor anderen Kasus genannt werden. Auch in diesem Fall wurden die Kombinationen auf die Kontexte reduziert, in denen das Pronomen et das Subjekt und somit den Nominativ bildet. Eine quantitative Studie mit einem Nominativ- und einem Dativpronomen im Mittelfeld legt diese Tendenz offen:

825(199)et mir/mer egal Nom>Dat (n= 69)
es mirVOLL/mirKLIT egal

826(200)mir/mer et egal Dat>Nom (n= 5)
mirVOLL/mirKLITes egal

827Die meisten Belege zeigen eine deutliche Tendenz dafür, das Subjektpronomen im Mittelfeld als erstes zu nennen.

828(201)ze spéit wor et mir net (Internet) Nom>Dat
zu spät war es mir nicht

829Für die Abfolge Nom>Dat oder Dat>Nom ist es unerheblich, ob das Dativpronomen klitisch verwendet wird oder nicht, d.h. auch ein klitisches Dativpronomen kann vor- oder nachgestellt werden.

830(202)dann ass et mer egal (Online-Kommentar) Nom>Dat
dann ist es mir egal

831(203)dann ass mer et egal (Chat) Dat>Nom
dann ist mir es egal

832Eine detaillierte grammatische Erklärung wie für die Abfolge Akk>Dat kann in diesem Fall leider nicht geliefert werden, da sich zu wenige Sätze finden, in denen diese Reihenfolge im Mittelfeld nachgewiesen werden kann (im optimalen Fall müssten Subjekt und beide Verbkomplemente als Pronomen im Mittelfeld stehen). Dennoch kann hier die Tendenz aufgezeigt werden, Pronomen im Nominativ voranzustellen.

833Insgesamt kann die pronominale Grundtendenz Nom>Dat>Akk für das Luxemburgische somit bestätigt werden. Der nachfolgende Satz demonstriert diese Grundabfolge für luxemburgische Personalpronomen im Mittelfeld.

834(204)da maache mer hinnen et nach méi bëlleg (Politik) Nom>Dat>Akk
dann machen wir ihnen es noch mehr billig

835Ein weiterer Aspekt, der in diesem Kontext aus qualitativer Perspektive erwähnt werden sollte, ist die Position von pronominalen Konstituenten im Verhältnis zu nicht pronominalen. Um die Variation in diesem Bereich zu verdeutlichen, möchte ich an dieser Stelle zwei Satzpaare aus dem Korpus gegenüberstellen, in denen das pronominale Objekt einmal vor und einmal hinter dem nicht pronominalen Subjekt steht.

836(205)da wert hinnen d’laachen nach vergoen (Online-Kommentar) AkkPRO>Nom
dann wird ihnen das Lachen noch vergehen

837(206)Elo waert seng Arroganz em vergooen (Online-Kommentar) Nom>AkkPRO
Jetzt wird seine Arroganz ihm vergehen

838Bei diesen Sätzen fällt auf, dass pronominale Satzglieder nicht zwingend weiter vorne im Satz stehen müssen. Dies gilt einerseits für die Abfolge von Nominativ und Akkusativ, aber auch für Dativ und Akkusativ. Bei der Analyse zeigten zwei Sätze die Abfolge Dat>Akk, obwohl das Akkusativobjekt ein schwaches Pronomen (et) ist und das Dativobjekt eine verhältnismäßig lange, nicht pronominale Konstituente darstellt.

839(207)ech [...] hun der Police et gemellt (Online-Kommentar) Dat>AkkPRO
ich [..] habe der Polizei es gemeldet

840(208)dir sidd em Land an de Leit et schëlleg! (Online-Kommentar) Dat>AkkPRO
ihr seid dem Land und den Leuten es schuldig

841Auch in der Übersichtsgrammatik von Braun et al. (2005: 117) heißt es, dass das indirekte Objekt stets vor dem direkten Objekt steht. Das dazugehörige Beispiel verdeutlicht, dass auch hier Länge und Pronominalisierung der Konstituente für die Abfolge weniger wichtig sind als Kasus bzw. die syntaktische Funktion (das schwache Neutrumpronomen et steht hier für ein Buch).

842(209)Ech brénge menger Mamm et. (Lehrbuch)
Ich bringe meiner Mutter es.

843Bevor nun die Ergebnisse der pronominalen Abfolge zusammengefasst werden, soll noch ein Blick auf die luxemburgischen Wenkerbögen geworfen werden, aus denen ebenfalls Erkenntnisse über Pronomencluster gezogen werden können.

7.3 Exkurs: Die luxemburgischen Wenkersätze (1924/25)

844Die 40 Wenkersätze werden in der modernen Linguistik gerne für die Beschreibung dialektaler syntaktischer Variation herangezogen (vgl. u.a. Fleischer 2011; 2012; 2014; 2015; Schallert 2013). In den Jahren 1924 und 1925 ließ Richard Huss die 40 Wenkersätze an bestimmten Ortspunkten in Luxemburg übersetzen. Die Kopien dieser handschriftlichen Belege liegen in Form eines Katalogs (in Papierform) vor und wurden für die vorliegende Analyse ausgewertet. Für die Abfolge pronominaler Objekte eignet sich Wenkersatz Nr. 9, der in (210) dargestellt ist.

845(210)Wenkersatz Nr. 9: Ich bin selber bei der Frau gewesen und habe es ihr gesagt, und sie sagte, sie wolle es auch ihrer Tochter sagen.

846Die luxemburgischen Übersetzungen für Abfolge der Objekte in „habe es ihr gesagt“ zeigen eine deutliche Präferenz für die Reihenfolge Dat>Akk. Es ist durchaus bemerkenswert, dass über 96 % der Bögen diese Folge aufweisen, obwohl der deutsche Satz die umgekehrte Reihenfolge vorgibt. Die folgende Tabelle fasst die Belegzahlen zusammen.

SerialisierungAnzahlKommentar
Dat>Akk
er et (n=140)
hir et (n=99)
96,4 %verschiedene Verschriftlichungsstrategien der Klitisierung (hunn er et): hun-ǝr-ǝt, hun-ǝrt, hun erret, huner et
Akk>Dat
et er (n=1)
et hir (n=1)
0,8 %et hir ist ein Beleg aus Grevenmacher an der deutschen Grenze. Das Dativpronomen hir wurde zudem über der Textzeile eingefügt.
2,8 %
(n=7)
Satz wurde umgestellt (ohne pronominale Objekte)
Gesamt100 %
(n=248)
Tabelle 72: Ergebnisse von Wenkersatz Nr. 9 (Luxemburg, Huss 1924/25)

847Es gibt insgesamt nur zwei Belege, die nicht der Grundtendenz Dat>Akk entsprechen und die Abfolge Akk>Dat zeigen. Einer dieser Belege wurde jedoch an einem Ort an der deutschen Grenze aufgezeichnet. Zudem zeigt das Schriftbild des bezüglichen Wenkerbogens, dass das Dativpronomen oberhalb der Zeile, leicht versetzt in den Satz eingefügt wurde, sodass dieser Bogen nicht hundertprozentig valide ist.

848In den Korpusdaten sowie in den fast 100 Jahre alten Wenkerdaten zeigt sich demzufolge die dominante pronominale Abfolge Dat>Akk. Allein das klitische feminine Dativ-Pronomen er findet sich in den heutigen Daten seltener.

7.4 Zusammenfassung

849In diesem Kapitel wurde ein Blick auf pronominale Objekte im Mittelfeld geworfen. Die Fragestellung wurde dabei in zwei Teile aufgespalten: In welcher Abfolge stehen Akkusativ- und Dativpronomen und steht Nominativ vor Nicht-Nominativ? Als Datengrundlage für die erste Frage dienten Kombination des Neutrum-Pronomens et (Akk.schwach) mit anderen Personalpronomen (in starker und schwacher Form). In den Daten wird deutlich, dass von den 1244 ausgewerteten Pronomenclustern 94 % die Abfolge Dat>Akk aufweisen. Ein Blick in die luxemburgischen Übersetzungen des Wenkersatzes Nr. 9 (vgl. Huss 1924/25) bestätigt die Tendenz, Dativpronomen vor Akkusativpronomen zu stellen (96,4 %). Demzufolge hat die so genannte Wackernagelposition128 für die Abfolge luxemburgischer Pronominalobjekte kaum Relevanz. Obwohl das Pronomen et, dessen Position in mehreren Kontexten quantitativ überprüft wurde, ein klitisches Neutrumpronomen im Akkusativ ist, stellt es sich in den meisten Fällen hinter das Dativpronomen, selbst wenn dieses ein volles Personalpronomen ist. Demzufolge liegt im Luxemburgischen eine recht starke Tendenz Dat>Akk vor. Einzelbelege zeigen auch, dass das schwache Akkusativpronomen et selbst hinter einem nominalen Dativobjekt stehen kann (ech gi menger Mamm et ‚ich gebe meiner Mutter es’). Dies verdeutlicht erneut, dass die Einhaltung der Folge Dat>Akk eine hohe Gewichtung bei der Anordnung der Satzglieder im luxemburgischen Mittelfeld darstellt.

850Bei der Position von Nominativen konnte beobachtet werden, dass diese sich in den meisten Fällen vor Objekte im Dativ und Akkusativ setzen. Die quantitative Herangehensweise war bei dieser Fragestellung nur bedingt möglich, da diese Sätze so beschaffen sein müssen, dass das pronominale Subjekt – zusammen mit anderen pronominalen Objekten – im Mittelfeld steht, und dieser Satztypus im Korpus kaum auffindbar ist. Demnach wurden Einzelkonstruktionen gesucht und mit unterschiedlichen Abfolgen (Nom>Dat, Dat>Nom) getestet. Auch wenn Umstellungen möglich sind, lautet die Grundtendenz, dass pronominale Nominative vor allen anderen Kasus auftreten.

851Insgesamt konnte also festgestellt werden, dass im Luxemburgischen die pronominale Satzfolge Nom>Dat>Akk deutlich vorherrscht und somit als Grundabfolge definiert werden kann, die unter bestimmten pragmatischen und grammatischen Eigenschaften allerdings umgestellt werden kann. Weitere Faktoren der Wortstellung gilt es in Zukunft zu erforschen, vor allem auch unter Berücksichtigung nominaler Satzglieder.

8 Verbcluster

852Die syntaktische Variation innerhalb von Verbclustern ist in den vergangenen 15 Jahren in den westgermanischen Sprachen umfassend erforscht worden, sodass die syntaktische Erschließung des Westgermanischen immer weiter voranschreitet. Dabei sind vor allem die Arbeiten an den syntaktischen Atlanten der niederländischen Dialekte (SAND) und der deutschen Schweiz (SADS) hervorzuheben sowie mehrere Einzelstudien und Aufsätze (vgl. u.a. Kaufmann 2007; Sapp 2007; 2011; Wurmbrand 2004; 2006). Leider ist das Luxemburgische bislang kaum berücksichtigt worden, denn selbst in vergleichenden Studien zu westgermanischen Verbclustern wird es überhaupt nicht oder nur als Randkommentar erwähnt (vgl. u.a. Zwart 1996; Wurmbrand 2004; 2006; Dubenion-Smith 2010).

853Dieses Kapitel soll die Variation in luxemburgischen Verbclustern nicht nur aufzeigen, sondern auch systematisch erklären. Nachdem Phänomen und Methodologie dargelegt wurden, werden zunächst Verbcluster im Nebensatz mit zwei Verbteilen analysiert (Kapitel 8.2). Die Ergebnisse werden dabei in vier Typen unterteilt: Kombination von einem Hilfsverb und einem Vollverb (Typ A: HV+VV), Kombination von einem Modalverb und einem Vollverb (Typ B: MV+VV), die Kombination von einem Konjunktivhilfsverb und einem Vollverb (Typ C: KHV+VV) sowie die Kombination eines Vollverbs mit Infinitivrektion und Vollverb (Typ D: VV+VV). Jeder dieser Verbtypen wird dabei ausführlich mit zahlreichen Beispielen beschrieben. In Kapitel 8.3 werden dreigliedrige Verbcluster besprochen. In diesem Kontext werden die Beispiele nach drei Haupttypen unterteilt, wobei sich die Unterteilung nach dem Verbtyp des Kopfes richtet: Hilfsverb (A), Modalverb (B) oder Konjunktivhilfsverb (C). Statistische Verfahren sollen jeweils helfen, die Bedingungen für die Stellungsoptionen bei zwei- und dreigliedrigen Verbclustern auszuwerten und ihre Signifikanz zu überprüfen. 4er-Verbcluster werden aufgrund ihrer Seltenheit und der allgemein geringeren Anzahl anhand von Einzelbelegen besprochen (Kapitel 8.4). In Kapitel 8.5 befindet sich ein – aufgrund der breiten Forschungslage in den verwandten Sprachen – umfassendes Kapitel zur Typologie der kontinentalwestgermanischen Verbcluster, inklusive einer kompakten Übersichtstabelle der beschriebenen Sprachen. Kapitel 8.6 fasst die zentralen Ergebnisse am Ende noch einmal zusammen.

8.1 Phänomen und Methodologie

854Der luxemburgische Satzbau zeichnet sich durch die verbale Klammerbildung aus (ähnlich wie im Standarddeutschen). Wie bereits mehrfach in dieser Arbeit demonstriert wurde, lassen sich Wortstellungen anhand des topologischen Feldermodells erläutern. Die verschiedenen Felder sind dabei mit bestimmten Wortarten bzw. Konstituentengruppen belegbar. Ein wichtiger Faktor ist in diesem Kontext das Verb, da das Verb im Hauptsatz eine Klammer bildet und im Nebensatz die Verbteile in der rechten Klammer „clustern“, d.h. aufeinandertreffen. Die Stellung des Verbs im luxemburgischen Haupt- und Nebensatz wird in den folgenden beiden Tabellen mit einem Beispielsatz verdeutlicht. Hierbei ist vor allem der Verbtyp zu beachten, denn gerade im Nebensatz kommt es hier zu unterschiedlichen Wortstellungen. In (211) wird der Satz se hu Konsequenze gedroen ‚sie haben Konsequenzen getragen’ einmal mit dem Hilfsverb hunn ‚haben’ gezeigt und einmal mit dem Modalverb mussen ‚müssen’.

855(211)a) Se hu Konsequenze gedroen.
Sie haben Konsequenzen getragen.
b) Se musse Konsequenzen droen.
Sie müssen Konsequenzen tragen.

VFLKMFRKNF
SehuKonsequenzegedroen.
SemusseKonsequenzendroen.
Tabelle 73: Klammerbildung bei zweigliedrigen Prädikaten im Hauptsatz

856Im Nebensatz ist die linke Klammer durch die Nebensatzeinleitung belegt und die Verbteile (finite und nicht finite) rücken in die rechte Klammer. In (212) zeigt sich, dass für die Perfektkonstruktion gedroen hunn nur eine Verbstellungsoption zur Verfügung steht, für das Modalverb + Infinitiv hingegen zwei. In der in eckigen Klammern angegebenen Reihenfolge steht die 1 für die finite Verbform und die 2 für die abhängige infinite Verbform (in manchen Beispielen wird die Reihenfolge durch weitere abhängige Verbformen mit 3 und 4 fortgeführt).

857(212)a) ...datt se Konsequenze gedroen hunn.
..dass sie Konsequenzen getragen haben.
b) ...datt se Konsequenzen droe mussen // mussen droen.
..dass sie Konsequenzen tragen müssen // müssen tragen

VFLKMFRKNF
dattse Konsequenzegedroen hunn. [2-1]
dattse Konsequenze(n)droe mussen. [2-1]
mussen droen.
[1-2]
Tabelle 74: Verbcluster bei zweigliedrigen Prädikaten im Nebensatz

858In Bezug auf die rechte Klammer stellen sich eine Reihe wichtiger struktureller Fragen, denen im Laufe dieses Kapitels nachgegangen wird: Welche Reihenfolge können die unterschiedlichen Verbtypen in der rechten Klammer annehmen? Welche Faktoren spielen eine Rolle für mögliche Variation? Können Verbcluster im Nebensatz durch andere Konstituenten unterbrochen werden und wenn ja, durch welche? Für Letzteres ist die Darstellung im topologischen Feldermodell leider ungeeignet, denn in der rechten Satzklammer dürfen bei diesem Modell nur Prädikatsteile stehen (zur Diskussion der Feingliederung in der rechten Klammer, in der auch nicht verbale Elemente möglich sind, vgl. Schallert 2014). In luxemburgischen Nebensätzen kann es jedoch beispielsweise zu Verbclusterunterbrechungen durch Objekte kommen, was in der generativen Grammatik als verb projection raising bezeichnet wird. Hierunter fallen Sätze des Typs datt se misst Konsequenzen droen ‚dass sie müsste Konsequenzen tragen’, bei denen das finite Modalverb misst ‚müsste’ zuerst genannt wird, daraufhin das direkte Objekt Konsequenzen und schließlich der vom Modalverb regierte Infinitiv droen ‚tragen’. Auch dieses Phänomen gehört zur Verbclustervariation, die in diesem Kapitel umfassend analysiert werden soll.

859In luxemburgischen Grammatiken wird dem Phänomen der Verbclustervariation nur wenig bis gar kein Platz eingeräumt. Viele Lehrbücher, in denen Stellungsoptionen von Verben im Nebensatz behandelt werden, beschränken sich auf die bloße Erwähnung der Variation, ohne Hinweise auf die genaue Distribution oder Gründe für Umstellungen zu liefern (vgl. Bruch 1955: 92-94; Schanen & Zimmer 2012: 52-54). Die Erklärungen der Autoren sind allerdings recht überschaubar. Bei Braun et al. (2005: 49) wird nur im Zusammenhang mit Modalverben auf die Tatsache hingewiesen, dass diese Verben einen Ersatzinfinitiv haben und dieser mit dem Infinitiv des Vollverbs manchmal eine andere Reihenfolge aufweist („parfois interchangeables“).129 Der Beispielsatz ist allerdings ein Hauptsatz, in dem zwei der drei Prädikatsteile in der rechten Satzklammer variabel sind. Auf Verbstellung im Nebensatz wird nicht eingegangen.130 Häufig wird hierfürder Einfluss des Standarddeutschen als Faktor für variable Verbpositionen im Nebensatz genannt, d.h., wenn im Luxemburgischen AB und BA verfügbar sind, und BA im Standarddeutschen vorkommt, wird dies von den Autoren als Einflussfaktor gewertet (vgl. Bruch 1955: 92-94; Schanen & Zimmer 2012: 52f.).131 Andere Faktoren werden nicht genannt. Wie bereits in der Einleitung zu diesem Kapitel erwähnt wurde, spielt das Luxemburgische auch in vergleichenden Studien zur Verbclustervariation kaum eine Rolle.

860Für die vorliegende Untersuchung wurden gezielt dass-Nebensätze aus dem Subkorpus extrahiert, manuell nach Verbclustertyp kategorisiert und ausgewertet.132 Nebensätze mit dass haben den Vorteil, dass sie einerseits hochfrequent sind und andererseits stets einen Nebensatz einleiten, im Gegensatz zur Subjunktion well ‚weil’, bei der auch Hauptsätze zu erwarten sind. Aufgrund der hohen Anzahl an Nebensätzen mit dass/datt und dem zeitlichen Aufwand der manuellen Einordnung wurde für diese Zwecke das Subkorpus (ca. 5,9 Millionen Wortformen) herangezogen (vgl. Kapitel 3.1).

861Die Nebensatzeinleitung dass hat im Luxemburgischen zwei funktional identische Varianten: dass und datt. Wenn im Folgenden von dass-Sätzen gesprochen wird, so kann es sich dabei auch um mit datt eingeleitete Sätze handeln. Die dass/datt-Variation ist Teil einer Intra-Sprecher-Variation, d.h., dass ein Sprecher beide Varianten verwenden kann, wie der folgende Beleg zeigt.

862(213)Dir wësst, Här Meisch, dass ech [...] éischter ‘pour’ sinn, datt een och soll mat de Leit schwätzen. (Politik)
Sie wissen, Herr Meisch, dass ich [..] eher 'pour' (frz. dafür) bin, dass man auch soll mit den Leuten reden.

863Der vorliegenden Untersuchung geht die (bislang unveröffentlichte) Verbclusteranalyse des Luxemburgischen von Döhmer (2013) voraus. Die dortigen Ergebnisse und Überlegungen sollen in diesem Fall als Pilotstudie dienen und werden im Text entsprechend gekennzeichnet. Das untersuchte Sample der damaligen Studie umfasste eine einzige Textsorte (Online-Nachrichtentexte der Seite rtl.lu) mit ungefähr 250 000 Wortformen und es wurden in erster Linie zweigliedrige Verbcluster ausgewertet. In der vorliegenden Studie wird mit einem weitaus größeren Korpus gearbeitet und der Fokus wird neben den 2er-Verbclustern ebenfalls auf drei- und viergliedrige Verbcluster gelegt. In diesem Zusammenhang werden schließlich auch Konzepte wie IPP und hybride Ersatzinfinitive besprochen.

8.2 2er-Verbcluster im Luxemburgischen

864Da im Luxemburgischen nur noch rund 40 Verben über eine synthetische Präteritum- sowie über eine Konjunktiv-II-Form verfügen (vgl. Schanen & Zimmer 2012: 327ff.), ist die Zahl der zusammengesetzten Verbformen im Luxemburgischen recht hoch. Konjunktiv I wurde bei sämtlichen Verben abgebaut und existiert nur noch vereinzelt in festen Fügungen wie in et sief dann ‚es sei denn’ (vgl. Bruch 1973: 78; Schanen & Zimmer 2012: 42). Aus diesem Grund wird der Terminus „Konjunktiv“ in dieser Arbeit stellvertretend für Konjunktiv II verwendet. Für die Perfektbildung stehen die Hilfsverben hunn ‚haben’ und sinn ‚sein’ zur Verfügung, für die Bildung des analytischen Konjunktivs die Verben géif und géing, welche im Prinzip synthetische Konjunktive der Hilfsverben ginn ‚geben’ und goen ‚gehen’ sind. Neben den Hilfsverben für die Perfekt- und Konjunktivbildung hat das Luxemburgische noch weitere Hilfsverben: die Passivhilfsverben ginn ‚geben’ (Vorgangspassiv), sinn ‚sein’ (Zustandspassiv) und kréien ‚kriegen/bekommen’ (Rezipientenpassiv) sowie das modal-temporale Hilfsverb wäert (Form ohne Infinitiv, Funktion ist je nach Kontext als Futur oder Potentialis zu verstehen).

865Aufgrund der hohen Anzahl an Hilfsverben folgt nun eine Übersicht sämtlicher Verben, die im Luxemburgischen dazu dienen, unterschiedliche grammatische Kategorien auszudrücken. Die Tabelle zeigt die genauen grammatischen Domänen der sechs Verben, die dem Luxemburgischen als Auxiliare zur Verfügung stehen (angelehnt an Nübling 2006b: 183).

hunnsinngoenginnkréienwäert
Vollverb+++++
Kopula++
Vergangenheit++
Passiv+++
Konjunktiv+++/–
Futur+/–
Tabelle 75: Hilfsverben im Luxemburgischen (vgl. Kapitel 4)

866Da eingangs bereits gezeigt wurde, dass die Verbstellung im Nebensatz mit dem Verbtyp zusammenhängt, wird die Analyse der 2er-Verbcluster in vier Kombinationstypen unterteilt. Im Anschluss werden die Verbstellungsoptionen in den jeweiligen Unterkapiteln behandelt.

867Clustertyp A: Hilfsverben mit Partizip (HV + VV)

868Die Verben hunn, sinn, kréien und ginn gelten als eine große Kategorie, da sie alle Partizipien regieren und entweder Passiv- oder Vergangenheitsformen bilden. In der Darstellung von Schanen & Zimmer (2012: 22) bilden diese vier die „klassischen“ Hilfsverben des Luxemburgischen.

869Clustertyp B: Modalverben mit Infinitiv (MV + VV)

870Zu den Modalverben gehören däerfen ‚dürfen’, kënnen ‚können’, mussen ‚müssen’, sollen ‚sollen’ und wëllen ‚wollen’ (vgl. u.a. Braun et al. 2005: 49). Das Semi-Modalverb (net) brauchen ‚(nicht) brauchen’ spielt für die Verbcluster nur eine untergeordnete Rolle, da dieses Verb als einziges in dieser Klasse einen ze-Infinitiv verlangt und somit keine vergleichbaren Ergebnisse zeigt. Das Semi-Modalverb net brauchen (stets in negierter Form) wird erst wieder in Kapitel 8.3.2 in die Beschreibungen einfließen, da es wie die anderen Modalverben modifizierte Ersatzinfinitive aufweist.

871Clustertyp C: Konjunktivhilfsverben mit Infinitiv (KHV + VV)

872Die Verben géif, géing und wäert werden für die vorliegende Untersuchung als Konjunktivauxiliare zusammengefasst. Etwas problematisch ist dabei der Status von wäert, denn es handelt sich dabei um ein Verb mit defektivem Paradigma (es kann nur als Hilfsverb im Präsens flektiert werden), das eine temporal-modale Funktion besitzt (ähnlich wie bei werden als Futurhilfsverb im Deutschen).133 Das Verb wäert wird mitunter als Modalauxiliar eingestuft, das auch zur Futurmarkierung dienen kann (vgl. Schmitt 1984: 126; Schanen & Zimmer 2012: 22). Da es einen Infinitiv regiert und eine ähnliche Lesart wie ein Konjunktiv suggeriert, wird es zu den anderen beiden Konjunktivhilfsverben hinzugezählt (vgl. Kapitel 4).

873Clustertyp D: Vollverb mit Infinitiv (VV + VV)

874Es gibt nur eine geringe Anzahl an infinitivregierenden Vollverben, welche zugleich unterschiedlich definiert werden können.134 Für diese Analyse wurden diejenigen Verben zusammengeführt, die einen reinen Infinitiv regieren (keinen zu-Infinitiv). Unter diese Kategorie fallen unter anderem die Verben loossen ‚lassen’, bleiwen ‚bleiben’, goen ‚gehen’ und kommen ‚kommen’. Da sie bei den Verbclustern über identische Stellungsoptionen verfügen, wurden sie hier als infinitivregierende Vollverben klassifiziert.

875Im Grunde genommen müsste es ebenfalls eine Kategorie für Perzeptionsverben (wie héieren ‚hören’) und andere Verben mit AcI-Konstruktion (Accusativus cum Infinitivo) geben. Da es allerdings keinen einzigen Beleg für diesen Typ gab, werden diese Verben nicht in der Analyse berücksichtigt.

8.2.1 Clustertyp A: HV + VV

876Im Korpus wurden 300 Sätze ausgewertet, die eine zusammengesetzte Form mit den Hilfsverben hunn (Vergangenheitsauxiliar), sinn (Vergangenheitsauxiliar, Passivauxiliar), ginn (Passivauxiliar) oderkréien (Passivauxiliar) aufweisen. Sie werden jeweils mit einem Vollverb im Partizip II gebildet. Bei diesem Kombinationstyp gibt es bei zweigliedrigen Clustern keine Variation, die Abfolge ist immer 2-1.

2er-Verbcluster2-1
HV (hunn, sinn, ginn, kréien) + VVPARTIZIP100 %
(n= 300)
Tabelle 76: Auswertung der 2er-Verbcluster mit HV+VV

877(214)dass de mech net ignoréiert hues (Chat) [2-1]
dass du mich nicht ignoriert hast

878(215)dass d’Rettungsaktioun net ouni Panne verlaf wier (Online-News) [2-1]
dass die Rettungsaktion nicht ohne Panne verlaufen wäre

879(216)dass hie vum Club kaf gëtt (Online-News) [2-1]
dass er vom Club gekauft wird

880(217)datt d'Leit gesot kréien, datt [...] (Politik) [2-1]
dass die Leute gesagt bekommen, dass [..]

881Von 300 Clustern stehen alle in der Abfolge 2-1. Extrapositionen, d.h. das Herausstellen von Konstituenten ins Nachfeld, sind bei diesen Verben eher selten (fünf Token). Da die Verbprojektion (die vom Verb geforderten Objekte und Adverbiale) im Nebensatz links vom jeweiligen Verb stehen muss, können in der 2-1-Reihenfolge keine Elemente den Verbcluster unterbrechen.

882Die „archaische“ 1-2-Stellung von Hilfsverb und Infinitiv, wie sie von Bruch (1955: 93) und Schanen & Zimmer (2012) angesprochen wurde, konnte in den Daten nicht gefunden werden.

883Da diese Verbkombination ausschließlich die 2-1-Stellung im Nebensatz zulässt, können auch Rückschlüsse auf andere Phänomene gezogen werden. So kann man bei Sätzen mit well ‚weil’ etwa davon ausgehen, dass bei der verbalen Reihenfolge 1-2 ein Hauptsatz vorliegt.

884(218)well ech hu mech haut ganz gutt gespiert. (Online-News) [1-2]
weil ich habe mich heute ganz gut gespürt

885Dieses Beispiel zeigt einen well-Satz mit einer demnach eindeutigen Hauptsatzstellung, d.h. nach well folgen Subjekt und die finite Verbform hunn. Die Belege für die Nebensatzstellung mit temporalen Hilfsverben (konsequente 2-1-Reihenfolge) machen deutlich, dass es sich bei Beispiel (218) eindeutig um einen Hauptsatz handelt, bei dem das finite Hilfsverb und das Partizip II eine Verbalklammer bilden.

8.2.2 Clustertyp B: MV + VV

886Sehr häufig findet man in Nebensätzen die Kombination von Modalverb (wëllen, kënnen, dierfen, mussen, sollen) und Vollverb. Anhand der Korpusdaten können zwei Grundtypen der Verbstellung extrahiert werden: Reihenfolge 1-2 sowie die Reihenfolge 2-1. Unter den 1-2-Typ fallen auch die 1-x-2-Abfolgen, d.h. Verbcluster, die durch eine oder mehrere Konstituenten unterbrochen sind. Das „x“ steht dabei für eine beliebige Konstituente. Insgesamt wurden dafür 448 Cluster aus dem Subkorpus ausgewertet. Eine Übersicht der Verteilung kann der folgenden Tabelle entnommen werden.

2er-Verbcluster1-22-1
MV + VVINFINITIV
(n= 448)
81,7 % (n= 254)18,3 % (n= 82)
davon 1-x-2
44,1 % (n= 112)
Tabelle 77: Auswertung der 2er-Verbcluster mit MV+VV

887Der häufigste Typ bei den Verbclustern mit Modalverb ist die Stellung 1-2. Dabei wird bei knapp der Hälfte der Sätze mit der 1-2-Folge eine Konstituente eingeschoben. Dass der 1-x-2-Typ (1-2 mit Unterbrechung) in dieser Einteilung nicht als eigene Option gewertet wurde, lässt sich dadurch erklären, dass nicht alle Sätze über Konstituenten verfügen, die eingeschoben werden können. Wie in Satz (219) gezeigt wird, gibt es in manchen Nebensätzen neben dem Subjekt keine weitere Konstituente, die den Cluster unterbrechen könnte (das Subjekt darf im Nebensatz nicht hinter dem flektierten Verb stehen und scheidet somit aus strukturellen Gründen aus).

888(219)dass d’Qualitéit vum Wäin kéint leiden (Online-News) [1-2]
dass die Qualität vom Wein könnte leiden

889Dennoch ist ein Kontext denkbar, in dem eine adverbiale Bestimmung wie dëst Joer ‚dieses Jahr’ den Verbcluster unterbricht, wodurch 1-x-2 als Stellung verfügbar wäre. Eine präzise Trennung von 1-2 und 1-x-2 ist methodisch also wenig sinnvoll, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass nicht realisierte Konstituenten zwischen den Verbteilen stehen könnten. Demnach kann die 1-x-2-Option nur bei geeignetem Satzbau kodiert werden und sollte nicht als generelle Kategorie, sondern als Option der 1-2-Stellung verstanden werden.

890In 81,7 % der getesteten Cluster wird im Nebensatz zuerst das Modalverb und anschließend der abhängige Infinitiv genannt (1-2).

891(220)Datt een dat ka vergläichen. (Politik) [1-2]
dass man das kann vergleichen

892(221)datt d'Eisebunn an Zukunft mat gréngem Stroum soll fonktionnéieren (Online-News) [1-2]
dass die Eisenbahn in Zukunft mit grünem Strom soll funktionieren

893Beim Typ 1-2 finden sich auch vereinzelte Belege, bei denen die Verbpartikel (Ptkl) des Vollverbs vor das Modalverb tritt. Somit lautet die Abfolge für diese Nebensätze Ptkl>MV>VV.

894(222)Datt mer weider solle kucken (Politik) [Ptkl-1-2]
dass wir weiter sollen schauen

895(223)datt eng bank [...]e client derbai keint gewannen (Online-Kommentar) [Ptkl-1-2]
dass eine Bank einen Kunden dazu könnte gewinnen

896Insgesamt ist diese Konstruktion, bei der sich die Verbpartikel vom Infinitiv abtrennt und vor das Modalverb tritt, äußerst selten.135 Solche Fälle werden auch von Cravatte (1953) für die Mundart von Herzig136 beschrieben. Der Autor illustriert das Phänomen mit dem folgenden Beispiel (mit dem Konjunktivhilfsverb giff):

897(224)as dat em vir giff kommen (Bsp. nach Cravatte 1953: 311)137 [Ptkl-1-2]
dass das ihm vor würde kommen

898Bei der Option 1-x-2 gibt es unterschiedliche Elemente, die den Cluster unterbrechen können: Häufig finden sich adverbiale Bestimmungen wie in (225) oder (226) oder Präpositionalobjekte wie in (227).

899(225)Rechent domat, datt et also do kann méi lues goen. (Online-News) [1-x-2]
Rechnet damit, dass es also dort kann mehr langsam gehen.

900(226)Dass mer déi awer kënnen a Rou liesen. (Politik) [1-x-2]
Dass wir die aber können in Ruhe lesen.

901(227)Dass all Museker eng Kéier wëllt un der Spëtzt vun den Charts stoen, ass gewosst. (Online-News) [1-x-2]
Dass jeder Musiker ein Mal will an der Spitze von den Charts stehen, ist gewusst.

902Es können auch mehrere und komplexe Konstituenten zwischen den Verben stehen, wie in (228). Hier findet man ein Modaladverbial (ganz generell) sowie ein Präpositionalobjekt (mat der Fro ...Schoul) zwischen Modalverb und Infinitiv, das durch die mehrfache Einbettung von Präpositionalattributen zudem sehr komplex ist.

903(228)datt d’Educatiouns-Commissioun vun der Chamber sech sollt ganz generell mat der Fro iwwert d’Aféirung vun esou engem Unterrecht an der ëffentlecher Schoul befaassen.(Online-News) [1-x-2]
dass die Bildungs-Kommission von der Abgeordnetenkammer sich sollte ganz generell mit der Frage über die Einführung von so einem Unterricht in der öffentlichen Schule befassen.

904(229)datt Däitschland misst am Joer 2005 ënnert een Defizit vun 3 Prozent kommen (Interview) [1-x-2]
dass Deutschland müsste im Jahr 2005 unter ein Defizit von 3 Prozent kommen

905Interessant ist auch das folgende Beispiel (230) aus einer mündlich realisierten Textsorte, wo eine Parenthese eingefügt wird. Die Parenthese ist dabei ein abhängiger Hauptsatz in der Rolle eines Präpositionalobjekts.

906(230)Datt d'Leit mussen, ech weess net wouhinner, sprangen, [...] (Interview) [1-x-2]
dass die Leute müssen, ich weiß nicht wohin, springen, [..]

907Bei den Verbclustern mit Modalverb ist auch die 2-1-Stellung möglich, wie sie bereits für die Hilfsverben beschrieben wurde. Beide Verben stehen am Ende des Satzes, wobei das finite Modalverb ganz am Ende zu finden ist: VV>MV.

908(231)dass en sech zesummen rappen muss (Online-News) [2-1]
dass er sich zusammen reißen muss

909(232)Dass d'Leit se liese kéinten, wa se virdru stinn. (Politik) [2-1]
Dass die Leute sie lesen können, wenn die davor stehen.

910Die 2-1-Stellung findet sich bei 18,3 % der analysierten Nebensätze mit Modalverb. Da die jeweiligen Ergänzungen des Verbs im luxemburgischen Nebensatz in der Regel vor dem bezüglichen Vollverb stehen, gibt es für den 2-1-Typ keine Variante mit eingeschobenen Konstituenten. Dennoch bleibt die Frage offen, warum manche Sätze mit Modalverbcluster die Anordnung 2-1 annehmen. Schanen & Zimmer (2012) führen diesen Umstand allein auf einen standarddeutschen Einfluss zurück. Es gibt jedoch auch grammatische und pragmatische Muster, die für Stellungsvarianten ausschlaggebend sein können. Nachdem alle 2er-Clustertypen deskriptiv vorgestellt wurden, wird im Anschluss die Systematik der Variation näher untersucht. Dabei werden unterschiedliche Faktoren besprochen und auf ihre Signifikanz überprüft.

911Am Ende sei noch darauf hingewiesen, dass es bei Infinitivphrasen mit Modalverb ebenfalls häufig zur Abfolge 1-2 kommt.

912(233)ouni mussen ze fäerten, dass een iwwerfall gëtt (Online-Kommentar) [1-2]
ohne müssen zu befürchten, dass man überfallen wird

913(234)fir kënnen ze beweisen, datt si exzellent ass (Politik) [1-2]
für können zu beweisen, dass die exzellent ist

914(235)dass d’ Lana wierklech schonn driwwer nogeduecht huet dowéint net nach emol mussen zréck an de Studio ze goen. (Online-News) [1-x-2]
dass die Lana wirklich schon darüber nachgedacht hat, deswegen nicht noch einmal müssen zurück in das Studio zu gehen

915Doch auch Infinitivphrasen können die 2-1-Stellung aufweisen, ohne dass eine genaue Verteilung erkennbar wäre.

916(236)fir behaapten ze kënnen dass dei aktuell e bëssen besser ass (Internet) [2-1]
für behaupten zu können dass die aktuelle ein bisschen besser ist

917Leider kann dieser Satztyp nicht weiter analysiert werden, da die Beschaffenheit des Korpus keine sinnvolle Korpussuche für dieses Phänomen zulässt und der Fokus der Analyse auf Nebensätzen mit dass/datt liegt.

918Für die Kombination von Modalverb und Vollverb wurden in diesem Kapitel zwei verschiedene Abfolgemöglichkeiten vorgestellt (1-(x)-2, 2-1), die eine eindeutige Tendenz, aber zunächst kein Indiz für die Variabilität aufweisen. Aus diesem Grund werden die (grammatischen) Faktoren, die die Stellung beeinflussen können, in Kapitel 8.2.5 ausführlich besprochen.

8.2.3 Clustertyp C: KHV + VV

919Die Kategorie der Konjunktivhilfsverben besteht aus den beiden Verben ginn ‚geben’ und goen ‚gehen’ (in der jeweiligen Konjunktivform géif und géing) sowie aus dem temporal-modalen Hilfsverb wäert. Die Bildung des analytischen Konjunktivs mit den Konjunktivhilfsverben funktioniert folgendermaßen (vgl. auch Tabelle 24 in Kapitel 4):

920(237)ginn --> géif- + VVINF Bsp.: mir géife lafen
goen --> géing- + VVINF Bsp.: mir géinge lafen
wir würden laufen

921Auch bei den Verbclustern mit KHV finden sich unterschiedliche Stellungsoptionen. In den meisten Fällen (87,4 %) gilt jedoch die Reihenfolge 1-2, wobei es auch hier zu 1-x-2-Folgen mit Clusterunterbrechung kommen kann (innerhalb von 1-2 26,4 %). 12,6 % der Belege zeigen die Reihenfolge 2-1. Die unterschiedlichen Verben verhalten sich ähnlich, d.h., dass die 2er-Verbcluster mit géif, géing undwäert eine nahezu identische Verteilung aufweisen.

2er-Verbcluster1-22-1
KHV + VVINFINITIV
(n= 230)
87,4 % (n= 159)
davon 1-x-2
26,4 % (n= 42)
12,6 % (n= 29)
Tabelle 78: Auswertung der 2er-Verbcluster mit KHV+VV

922Die dominante Stellung bei diesem Clustertyp ist die Abfolge KHV>VV. Die folgenden Belege zeigen die Abfolge 1-2.

923(238)datt mer immens vill géife spueren (Online-Kommentar) [1-2]
dass wir sehr viel würden sparen

924(239)Datt et aner Weeër géinge ginn (Politik) [1-2]
Dass es andere Wege würde geben

925(240)datt och dat eng Zäitche wäert daueren (Politik) [1-2]
dass auch das eine Zeitlang wird dauern

926Wie bei den 2er-Clustern mit Modalverb stellt sich die Frage, ob Verbpartikeln (Ptkl) vor die finite Verbform rücken können (Typ: vir géif kommen ‚vor würde kommen’). Nur ein einziger – allerdings nicht unproblematischer – Fall liegt für dieses Phänomen vor.

927(241)dass et him ganz leed géif doen. (Online-News) [Ptkl-1-2]
dass es ihm ganz leid würde tun

928Problematisch ist hier die Zuordnung von leed ‚leid’, da es sich dabei nicht zwangsläufig um eine Partikel handeln muss. Demnach kann leidtun auch als (lexikalisierte) Prädikativkonstruktion empfunden werden. Abgesehen von diesem Einzelfall konnten in den 230 extrahierten Nebensätzen keine abgetrennten Verbpartikeln gefunden werden.

929Beim Typ 1-2 kann es ebenfalls zu Sätzen kommen, in denen Konstituenten zwischen die Prädikatsteile gestellt werden (26,4 %). Auch hier verhalten sich die drei Verben weitgehend identisch.

930Bei (242) wird eine NP als temporale adverbiale Bestimmung eingefügt und bei (243) eine AdjP.

931(242)Dass hien sech dozou wäert den Owend äusseren (Online-News) [1-x-2]
dass er sich dazu wird am Abend äußern

932(243)datt ons politesch Landschaft giff ganz aaneschters ausgesinn (Online-Kommentar) [1-x-2]
dass unsere politische Landschaft würde ganz anders aussehen

933Im Beispielsatz (244) werden gleich zwei Konstituenten eingeschoben, nämlich das Präpositionalobjekt vu Cargolux ‚von Cargolux’ sowie das Akkusativobjekt Clienten ‚Kunden’.

934(244)datt Qatar géing vu Cargolux Clienten ewech huelen (Online-Kommentar) [1-x-2]
dass Qatar würde von Cargolux Kunden weg nehmen

935Bei den Clustern mit KHV findet sich auch die Abfolge 2-1, dies ist jedoch nur ein geringer Anteil (12,6 %).

936(245)Dass déi bei deem Monument stoe géif. (Politik) [2-1]
dass die bei diesem Monument stehen würde

937(246)dass Där et dann besser verstoen géingt. (Online-Kommentar) [2-1]
dass Ihr es dann besser verstehen würdet

938(247)Datt mer also och do mat de Stonnen eropgoe wäerten. (Politik) [2-1]
dass wir also auch da mit den Stunden hochgehen werden

939Auch wenn sich mit rund 87 % eine klare Stellungstendenz für diesen Clustertyp abzeichnet, sollte ebenfalls überprüft werden, welche Faktoren die 2-1- bzw. die 1-2-Stellung beeinflussen (vgl. Kapitel 8.2.5).

8.2.4 Clustertyp D: VV + VV

940Die Kombination von zwei Vollverben (Typ: datt se hinnen hëllefe kommen ‚dass sie ihnen helfen kommen’) findet sich 26mal im Korpus. Zu diesen infinitivregierenden Verben gehören im Datensample: brauchen ‚brauchen’,loossen ‚lassen’, doen ‚tun’ (kausativ), kommen ‚kommen’ und goen ‚gehen’. Sämtliche 2er-Cluster dieses Typs weisen die Serialisierung 2-1 auf und verhalten sich somit identisch wie Clustertyp A (HV+VV).

941(248)datt se hier leit schwetze loossen (Online-Kommentar) [2-1]
dass sie ihre leute reden lassen

942(249)datt net „alles“ an dee Rapport stoe kënnt. (Online-Kommentar) [2-1]
dass nicht „alles“ in diesen Bericht stehen kommt

2er-Verbcluster2-1
VV (brauchen, loossen, goen, doen, kommen) + VVINFINITIV100 %
(n= 26)
Tabelle 79: Auswertung der 2er-Verbcluster mit VV+VV

8.2.5 Welche Faktoren beeinflussen die Variation?

943Die eben beschriebenen Clustertypen verhalten sich zunächst unterschiedlich in Bezug auf den Verbtyp: Clustertyp A (HV+VV) sowie Typ D (VV+VV) zeigen keinerlei Variation, hier gilt stets die Abfolge 2-1. Die beiden anderen Typen B (MV+VV) und C (KHV+VV) verhalten sich untereinander ähnlich: Hier ist die Reihenfolge 1-(x)-2 dominant (für Typ B: 81,7 %, für Typ C: 87,4 %). Bei der 1-2-Abfolge wurden auch Fälle beschrieben, in denen mindestens eine Konstituente zwischen die Verben rückt (1-x-2), wodurch der Verbcluster im Grunde genommen aufgelöst wird. Dennoch findet sich bei den Typen B und C auch die Reihenfolge 2-1. Laut Schanen & Zimmer (2012: 52) ist die „luxemburgische“ Abfolge für diese Verbtypen 1-2, die Stellung 2-1 wird hingegen als „standarddeutsche“ Variante abgetan („sous l’influence de l’allemand standard“). Die 2-1-Abfolge kann jedoch nicht allein auf einen deutschen Einfluss reduziert werden, denn erstens ist die 2-1-Abfolge auch im Luxemburgischen etabliert (vgl. Clustertyp A und D) und zweitens gibt es bei syntaktischer Variation mehrere Faktoren, welche die Wortstellung beeinflussen können.

944Obschon Zwart (1996: 6) in der Verbclustervariation im Niederländischen, Friesischen, Flämischen und Schweizerdeutschen davon ausgeht, es wäre „not clear what triggers the various movements“, hat die Forschungslage in den vergangenen zwei Jahrzehnten deutliche Fortschritte gemacht (vgl. Kapitel 8.5 zu den Clusteroptionen in den hier aufgeführten Varietäten). In der Verbclusterforschung wurden bislang diverse Faktoren vorgestellt, die in den verschiedenen kontinentalwestgermanischen Sprachen die Abfolge von mehrteiligen Prädikaten im Nebensatz beeinflussen können (die Erkenntnisse beziehen sich in erster Linie auf zwei- und dreigliedrige Verbcluster). Der wichtigste Aspekt, der hier bereits mehrfach angesprochen wurde, ist die Zusammensetzung des Verbclusters, d.h. die Kombination verschiedener Verbarten. So zeigen unter anderem Seiler (2004) oder Schmid & Bader (2009), dass sich Verbcluster in Bezug auf ihr Kopfverb unterschiedlich verhalten. Ein weiterer Aspekt, der von vielen Autoren in puncto Verbstellung – aber auch Wortstellung im Allgemeinen – angesprochen wird, sind informationsstrukturelle Veränderungen, welche die Abfolge der Konstituenten beeinflussen können (vgl. Lötscher 1978; Sapp 2007). Sapp (2007) kommt etwa in seiner Korpusstudie zu Verbclustern im FNHD zu dem Schluss, dass die Abfolge 1-2 favorisiert wird, sobald das Objekt im Fokus steht. Fokus ist jedoch ein Kriterium, welches sich nicht immer leicht und eindeutig definieren lässt – das gilt auch für die Auswertungen von Sapp (2007). Zum einen fällt es schwer, eine neutrale Lesart anzunehmen, und zum anderen kann dieser Faktor in einer Korpusanalyse kaum kontrolliert werden, da es sich bei den Daten um natürliche Sprache handelt, die nicht in einem kontrollierten Fragebogenszenario oder Ähnlichem erhoben wurde (vgl. Sapp 2007: 311). Demzufolge wäre die Einzelauswertung jedes Satzes in Bezug auf die Informationsstruktur ein enormes und nicht unproblematisches Vorhaben. Das Bewerten der Informationsstruktur ist somit ein Faktor, der zwar wichtig, in einer Korpusstudie mit natürlichen Daten jedoch nicht ohne methodische Einwände analysierbar ist (vor allem bei einer derart hohen Anzahl an Sätzen).

945Das Thema Prosodie bleibt in der Forschungsliteratur weitgehend unbeachtet, da die meisten Autoren mit Fragebögen oder schriftsprachlichen Korpora arbeiten (u.a. SAND; SADS; Sapp 2007; 2011). Auch in dieser Studie müssen prosodische Hypothesen aufgrund der empirischen Datenlage ausgeklammert werden.

946Weiterhin werden noch andere Faktoren für die Umstellung von Verben in den Beschreibungen von kontinentalwestgermanischen Varietäten erwähnt: Präfix- bzw. Partikeltyp, extraponierte Konstituenten sowie negierte oder quantifizierte Objekte (vgl. Haegeman & van Riemsdijk 1986; Sapp 2007; 2011; Dubenion-Smith 2010). Dass negierte und quantifizierte Objekte im Zürichdeutschen und im Westflämischen zu Umstellungen im Verbcluster führen können, ist sozusagen ein Reflex der Objekt-Hervorhebung, d.h. ein Reflex unterschiedlicher Lesarten und Foki; Haegeman & van Riemsdijk (1986: 442) fassen dies als „semantische Effekte“ zusammen. Bei Korpusanalysen können auch die Textsorte und die jeweiligen Sprecherprofile wichtig sein (vgl. Sapp 2007; 2011). Dubenion-Smith (2010) kann zeigen, dass ein Infinitiv mit betonter Partikel (Bsp. mitmachen) innerhalb eines 2er-Verbclusters in einem westmitteldeutschen Nebensatz eher die 1-2-Stellung favorisiert. Weiterhin stellt der Autor fest, dass nach rechts herausgestellte Satzglieder im Nebensatz zur 2-1-Stellung tendieren.

947Aufgrund der Korpuszusammensetzung können leider keine Angaben zur Herkunft oder dem Bildungsgrad der Sprecher gemacht werden. Auch die Textsortenunterscheidung ist in dieser Untersuchung nicht ausschlaggebend, da sich sämtliche Stellungstypen in allen Textsorten wiederfinden. Darüber hinaus kann eine sprecherabhängige Variation ausgeschlossen werden, denn es finden sich zahlreiche Belege, bei denen derselbe Autor innerhalb desselben Satzes beide Abfolgen (1-2, 2-1) bei identischer Verbkombination (sollt stoen ‚sollte stehen’ verwendet.

948(250)Dat wëllt net heeschen, datt den Obama net zu séngen Iwwerzeegunge stoe sollt, ... [2-1]
das will nicht heißen, dass der Obama nicht zu seinen Überzeugungen stehen sollte

949(251)... et wëllt just heeschen, datt hien zum Numm vu sénger Partei sollt stoen (Online-News) [1-2]
es will bloß heißen, dass er zum Namen von seiner Partei sollte stehen

950Doch auch weitere, in der Literatur bisher unberücksichtigte strukturelle Faktoren könnten einen Einfluss auf die Verbstellung ausüben. Für die statistische Auswertung können auch das Verhältnis von Matrix- und Nebensatz oder der Modus der finiten Verbform eine Rolle spielen. Demzufolge sollte auch getestet werden, ob die Position oder die syntaktische Funktion des Nebensatzes eine Rolle spielen. Hinzu kommt die im Luxemburgischen variable Nebensatzeinleitung dass/datt, die auch in den Faktorenkatalog mit aufgenommen werden sollte.

951Man kann sich nun fragen, warum man überhaupt einen derart großen und komplexen Faktorenkatalog benötigt. Die Grundidee der Faktorenbestimmung besteht darin, einen oder mehrere Auslöser zu finden, die zu einer bestimmten Stellungsvariante führen. Laut Seiler (2004) gibt es drei unterschiedliche Typen von syntaktischer Variation: Neben der diatopischen Variation, die in dieser Studie nicht berücksichtigt wird,138 gibt es noch die beiden Typen der freien sowie der konditionierten Variation (aufgrund syntaktischer, semantischer oder pragmatischer Einflüsse). Dabei unterscheidet Seiler (2004: 383) weiter zwischen „harter“ und „weicher“ Konditionierung: Je deutlicher die Personen zu einer bestimmten Variante neigen, desto „härter“ ist die entsprechende Konditionierung. Es geht in dieser Untersuchung darum herauszufinden, ob es einen strukturellen Grund für die Umstellung gibt oder ob es sich um freie, d.h. grammatisch ungebundene Variation handelt. Um dies belegen oder ausschließen zu können, müssen die eben genannten Faktoren für jeden extrahierten Satz bestimmt und in einem statistischen Verfahren auf Signifikanz getestet werden. Bei variabler Wortstellung spielen demnach auch die quantitativen Aspekte eine Rolle, da hier Stellungspräferenzen bzw. die „Härte“ der Konditionierung deutlich werden.

952Die wichtigsten testbaren Faktoren wurden bereits von Döhmer (2013) in einer kleineren Studie zu den luxemburgischen Verbclustern ausgewertet. Dabei wurden die folgenden strukturellen Eigenschaften für über 240 2er-Cluster bestimmt, die eine variable Verbstellung aufwiesen (MV+VV, KHV+VV):

953
  • Verbtyp (MV, KHV)
  • Satzposition innerhalb des Matrixsatzes (initial, zentral, final)
  • syntaktische Funktion des dass-Satzes (Subjekt, Objekt, Attribut)
  • Nebensatzeinleitungstyp (dass oder datt)
  • Verben mit abtrennbarer Partikel
  • Extraponierte Satzelemente
  • Einbettungstiefe
  • Negationselemente
  • Modus des Verbs im dass-Satz
  • Satzlänge

954In Döhmer (2013) wurden alle Faktoren bereits anhand eines Chi-Quadrat-Tests139 (nach Pearson) ausgewertet und für die vorliegende Untersuchung werden nun allein diejenigen Faktoren ausgewertet, die in der Studie von Döhmer (2013) eine leichte statistische Tendenz aufwiesen oder hoch signifikant waren (nach Signifikanz absteigende Reihenfolge): Verbart, Verbmodus, syntaktische Funktion, syntaktische Position, Nebensatzeinleitungstyp (dass/datt).

955
  • Verbart

956Ein Faktor, der sicherlich am höchsten zu bewerten ist und bereits zu Beginn des Kapitels thematisiert wurde, ist die Verbart. Der strukturelle Aufbau der Analyse ist auch durch diesen Faktor bedingt und wird in den meisten Studien als Hauptkriterium gewertet. Des Weiteren soll überprüft werden, wie sich die Klasse der Konjunktivhilfsverben verhält, d.h. ob es Unterschiede in Bezug auf die Verbstellung zwischen den Verben géif, géing und wäert gibt.

957
  • Verbmodus

958Für die Modalverben gilt es herauszufinden, ob es bestimmte Stellungspräferenzen gibt, sobald das Modalverb im Konjunktiv steht. Jedes der Modalverben verfügt im Luxemburgischen über einen synthetischen Konjunktiv (jedoch teilweise formgleich mit der Präteritalform, wie etwa bei sollt ‚sollte’). Die Konjunktivauxiliare können nicht nach Indikativ und Konjunktiv bewertet werden, da sie inhärent konjunktivisch sind.

959
  • Syntaktische Funktion

960Es bleibt zu klären, welche Funktion der dass-Satz im Matrixsatz einnimmt. Generell wurden drei Grundfunktionen bewertet: Akkusativobjektsatz/Präpositionalobjektsatz, Subjektsatz/Prädikativsatz) oder Attributsatz (zu einem Nomen oder Adverb). In manchen Fällen kann im Satz eine korrelative Pro-Form stehen, die auf den dass-Satz verweist. Die Bezugselemente sind in den Beispielen jeweils fett gedruckt. Ein nicht realisiertes Korrelat wird in Klammern angegeben.

961Objektsätze oder Präpositionalobjektsätze werden vom Verb gefordert und können ein optionales Korrelat im Hauptsatz aufweisen: dat/et bei Objektsätzen (252) oder ein Präpositionaladverb bei einem Präpositionalobjektsatz (253).

962(252)Hien huet (et) scho laang gewosst, dass hie fréi a Pensioun geet.
Er hat (es) schon lange gewusst, dass er früh in Rente geht.

963(253)Hie freet sech (drop), dass e geschwënn vill Zäit huet.
Er freut sich (drauf), dass er bald viel Zeit hat.

964In den Sätzen (254) und (255) finden sich Beispiele für dass-Sätze in der Rolle als Subjekt oder Prädikativ. Et und dat müssen bei diesem Satztyp häufig als Dummy-Konstituente im Vorfeld stehen, wenn der dass-Satz im Nachfeld steht.

965(254)Dass ee reegelméisseg bei den Dokter geet, sollt een net vergiessen.
Dass man regelmäßig zum Arzt geht, sollte man nicht vergessen.

966(255)Dat wichtegst ass, dass ee reegelméisseg bei den Dokter geet.
Das wichtigste ist, dass man regelmäßig zum Arzt geht.

967Die beiden letzten Varianten aus (256) und (257) zeigen attributive dass-Sätze. Sie können entweder auf ein Nomen (die Tatsache, dass...) oder ein Adverb (so sehr, dass...) ergänzen.

968(256)Ech schwätze vun der Tatsaach, dass et net gutt erkläert ass.
Ich spreche von der Tatsache, dass es nicht gut erklärt ist.

969(257)Et ass esou erkläert, dass een et net richteg versteet.
Es ist so erklärt, dass man es nicht richtig versteht.

970Doppelte oder fest kombinierte Nebensatzeinleitung wie wéini dass ‚wann dass’, sou dass ‚so dass’ oder ouni datt ‚ohne dass’ wurden nicht in die Daten aufgenommen (zu den doubly filled complementizers des Typs wéini dass ‚wann dass’ vgl. Kapitel 9.2).

971
  • Satzposition

972Eine weitere strukturelle Eigenschaft, die bei Döhmer (2013) einen Effekt auf die Anordnung der Verben hatte, war die Position des dass-Satzes in Relation zum Matrixsatz. Hier gilt es zu überprüfen, ob die Position des dass-Satzes im Matrixsatz (initial, zentral, final) eine Auswirkung auf die Anordnung im Verbcluster hat.

973
  • Nebensatzeinleitung (Variation dass /datt)

974Ein anderer Punkt, der bereits in der Einleitung angesprochen wurde, betrifft die Nebensatzeinleitungsvariation im Luxemburgischen, da hier dass oder datt verwendet werden kann. Auch diese Variation kann als Einflussfaktor auf die Verbstellung im Nebensatz getestet werden.

975Im Luxemburgischen stehen also zwei – laut Russ (1996) funktional identische – Subjunktionen zur Verfügung. Eine regionale Verteilung dieser Varianten ist an dieser Stelle auszuschließen, da zahlreiche Sprecher beide Formen verwenden. Russ (1996: 95) vermutet, dass es sich bei dass um eine Entlehnung aus dem Deutschen handelt, die seit mindestens 1824 in Luxemburg belegt ist.140 Die Verteilung der zwei Formen ist in den Daten unerheblich: datt liegt bei 53,5 % und dass bei 46,5 %.

976Innerhalb des Rheinischen Fächers liegt das Luxemburgische in einem Gebiet mit unverschobenem t (die Dat-das-Linie verläuft schräg zwischen Trier und Frankfurt, vgl. Beckers 1980: 469). Demnach handelt es sich bei datt um die native, bei dass um die entlehnte Variante.

977Die eben aufgeführten fünf Faktoren wurden nun für jeden 2er-Cluster, der eine variable Verbstellung aufwies (Typ B und D), statistisch ausgewertet. Da es sich um kategoriale Variablen handelt und die Signifikanz der einzelnen Faktoren in Bezug auf die 1-2- oder die 2-1-Stellung überprüft werden soll, wurde ein Chi-Quadrat-Test (nach Pearson) durchgeführt. Die Kreuztabellen geben Aufschluss über die Verteilung der beiden Stellungsoptionen innerhalb der unterschiedlichen Faktorenklassen. Der p-Wert141 zeigt an, ob ein bestimmter Faktor signifikant für eine bestimmte Stellung ist. Auf diese Weise können faktorenabhängige Präferenzmuster dargelegt werden und erste Antworten auf die Frage gefunden werden, nach welchen Regeln luxemburgische Verbcluster funktionieren. Die hier abgebildeten Kreuztabellen zeigen die verschiedenen Stellungstypen (1-2 oder 2-1) innerhalb einer Faktorenkategorie. Die prozentuale Verteilung in Kombination mit dem p-Wert gibt Aufschluss darüber, ob sich ein Faktor auf die Stellung auswirkt oder nicht.

978Zwei der fünf Faktoren zeigten keine Relevanz für die Abfolge der Verben, hierzu zählen die syntaktische Position des dass-Satzes sowie die Art des Komplementierers (dass oder datt).

979Die syntaktische Funktion des dass-Satzes zeigt eine hohe Signifikanz (p<0,001), d.h. Attributsätze neigen stärker zur 2-1-Reihenfolge als andere Satzfunktionen. Im gesamten Sample dominiert ansonsten die 1-2-Reihenfolge.

Abfolge nach SatzfunktionObjektSubjektAttributGesamt
1-287,2 %85,7 %72,4 %83,6 %
2-112,8 %14,3 %27,6 %16,4 %
p< 0,001
Tabelle 80: Verteilung der Satzfunktionen in Relation zur Abfolge im 2er-Verbcluster

980Bei der Bewertung des Verbtyps wurden die Konjunktivhilfsverben aufgespalten in die beiden Formen géif undgéing sowie in die modal-temporale Form wäert. Dabei zeigt sich, dass die Verbcluster mit géif/géing etwas häufiger in der 1-2-Stellung stehen als andere Verbtypen. An dieser Stelle kann jedoch nur von einer statistischen Tendenz gesprochen werden (p= 0,071).

Abfolge nach VerbtypMVgéif/géingwäertGesamt
1-281,7 %89,6 %82,9 %83,6 %
2-118,3 %10,4 %17,1 %16,4 %
p= 0,071
Tabelle 81: Verteilung der Verbtypen in Relation zur Abfolge im 2er-Verbcluster

981Eine weitere statistische Tendenz zeigt sich bei der Kategorie Modus. Da dieser Faktor allein für die 2er-Verbcluster mit Modalverb gilt, wurden hier ausschließlich Modalverben mit den Werten Indikativ und Konjunktiv ausgezählt und es zeigt sich, dass Modalverben im Konjunktiv die 1-2-Stellung favorisieren. Dies bedeutet, dass das Modalverb im Konjunktiv im Satz häufiger nach vorne rückt.

Abfolge nach ModusIndikativKonjunktivGesamt
MV>VV (1-2)78,2 %88,7 %81,7 %
VV>MV (2-1)21,8 %11,3 %18,3 %
p= 0,007
Tabelle 82: Verteilung der Modi (Indikativ, Konjunktiv) in Relation zur Abfolge im 2er-Verbcluster

982Dieses Voranstellen der Konjunktivform soll kurz an einem Beispiel verdeutlicht werden. Bei diesem Satz betont der Autor, dass es sich um einen Konjunktiv handelt, indem er den Verbcluster zunächst unterbricht, um besonderen Nachdruck auf die Modalität seiner Aussage zu legen.

983(258)Datt een ugaanks 2008 kéint – ech betounen – kéint eng Konklusioun zéien (Politik) [1-x-2]
dass man anfangs 2008 könnte – ich betone – könnte ein Fazit ziehen

984Man könnte sich demnach die Frage stellen, ob es kognitive Gründe gibt, warum ein Modalverb im Konjunktiv häufiger vorangestellt wird. Schließlich ist es für die Aussage erheblich, ob es sich um eine hypothetische Aussage handelt. Auch Fokus spielt bei diesem Beispiel eine wichtige Rolle.

985Insgesamt bleibt der deutsche Einfluss als Faktor nicht auszuschließen. Hierbei wird allerdings nicht die Stellungsoption an sich beeinflusst (schließlich ist diese bei den Hilfsverben bereits etabliert), es handelt sich vielmehr um eine Orientierung an der deutschen konzeptionellen Schriftlichkeit. Zwei Muttersprachlerinnen gaben in einer informellen Befragung an, dass sie in schriftlichen Texten häufig die 1-2-Abfolge spontan bilden und sich beim Überlesen teilweise für die 2-1-Abfolge entscheiden, weil es im Geschriebenen korrekter wäre. Solche Einstellungen müssten in Zukunft weiter erforscht werden. Schließlich ließ sich bereits ein gewisser schriftdeutscher Einfluss beim luxemburgischen Genitiv erkennen (vgl. Kapitel 5.1).

8.2.6 Zwischenfazit

986Zweigliedrige Verbcluster verhalten sich grundsätzlich unterschiedlich, je nachdem welche Verbtypen kombiniert werden. Verbcluster mit Hilfsverben oder mit infinitivregierenden Vollverben zeigen ausnahmslos die Folge 2-1. Anders verhält es sich bei Verbkombinationen von Modal- oder Konjunktivhilfsverben: Hier gilt die dominante Stellung 1-2, wobei auch Verbcluster mit der Abfolge 2-1 zu finden sind. In der Forschungsliteratur wird teilweise beobachtet, dass infinitivregierende Verben dazu neigen, in der Abfolge 1-2 im Nebensatz zu stehen (vgl. Behaghel 1932: 105). Dies ist im Luxemburgischen nur bedingt der Fall, schließlich zeigen infinitivregierende Vollverben (Typ: VV+VV) keine Option zur 1-2-Stellung.

987Die folgende Tabelle fasst diese Stellungsoptionen noch einmal mit den entsprechenden Belegwerten zusammen.

2er-Verbcluster1-22-1
HV + VVPARTIZIP (n= 300)100 %
VV + VVINFINITIV (n= 25)100 %
MV + VVINFINITIV (n= 448)81,7 % (n= 254)18,3 %
(n= 82)
davon 1-x-2
44,1 % (n= 112)
KHV + VVINFINITIV (n= 230)87,4 % (n= 159)12,6 %
(n= 29)
davon 1-x-2
26,4 % (n= 42)
Tabelle 83: Übersicht der Verbfolgen für alle 2er-Verbcluster

988In diesem Kapitel wurde der Frage nachgegangen, welche Faktoren die Variation zwischen der 1-2- und der 2-1-Stellung beeinflussen können. Dabei wurden die folgenden drei Tendenzen herausgearbeitet:

989
  • Attributsätze zeigen häufiger die Abfolge 2-1.
  • Verbcluster mit den KHV géif undgéing stehen häufiger in der 1-2-Abfolge.
  • Modalverben im Konjunktiv favorisieren 1-2 als Abfolge.

8.3 3er-Verbcluster im Luxemburgischen

990Dieses Kapitel zeigt die Wortstellungsvariationen von Nebensätzen, in denen dreigliedrige Prädikate vorkommen (Typ: dass er hat gehen müssen). Um die Clustertypen sinnvoll darzustellen, wurden sie nach Kopftypen unterteilt, d.h. das Hauptkriterium ist der Verbtyp der flektierten Verbform (in der Serialisierung dargestellt durch die Rangnummer 1). Diese Einteilung hat den Vorteil, dass die dreigliedrigen Cluster in drei übersichtliche Hauptkategorien eingeteilt werden und im Nachhinein leichter mit den 2er-Clustern verglichen werden können. Zudem zeigt sich auch hier, dass der Verbtyp den Hauptfaktor für Stellungsvariationen darstellt.

8.3.1 Clustertyp A: HV als Kopf

991Für die dreigliedrigen Verbcluster mit einem Hilfsverb (HV: hunn, sinn, ginn, kréien) als Kopf finden sich drei verschiedene Verbkombinationstypen: Die Hilfsverben regieren entweder ein weiteres Hilfsverb mit Vollverb (HV+HV+VV, Typ: sind gemacht worden) wie in (259), ein infinitivregierendes Vollverb mit Vollverb (HV+VV+VV, Typ: sind arbeiten gegangen) wie in (260) oder ein Modalverb mit Vollverb (HV+MV+VV, Typ: hätte reservieren können) wie in (261).

992(259)dass se e bësse méi breet gemaach gi sinn. (Politik) [3-2-1]
dass sie ein bisschen mehr breit gemacht worden sind

993(260)Datt se mol op eng Gemeng als CAT schaffe gaange sinn (Politik) [3-2-1]
dass sie mal auf einer Gemeinde als CAT arbeiten gegangen sind

994(261)Dass een do och hätt kënne méi wéi zwou Stonne Parking reservéieren (Politik) [1-2-x-3]
dass man da auch hätte können mehr als zwei Stunden Parking reservieren

995Die jeweilige Frequenz dieser drei Typen variiert im Korpus, die Syntagmen zeigen aber mehr oder weniger einheitliche Abfolgemuster. Die Ergebnisse sind in der folgenden Tabelle dargestellt.

3er-Verbcluster1-2-33-1-23-2-1
HV + HVPART + VVPART
(n= 72)
2,7 %
(n= 2)
97,3 %
(n= 70)
HV + VVPART + VVINF
(n= 3)
100 %
(n= 3)
HV + MVIPP + VVINF
(n= 12)
100 %
(n=12)
davon 50 %
1-(x)-2-x-3
(n=6)
Tabelle 84: Auswertung der 3er-Verbcluster mit HV als Kopf

996Anhand der Tabelle kann man deutlich erkennen, dass die Kombinationstypen HV+HV+VV und HV+VV+VV in der Abfolge 3-2-1 auftreten (die zwei Belege mit der Abfolge 3-1-2 werden noch problematisiert). Ist das vom Kopfverb (HV) regierte Verb ein Modalverb, kommt es zu einer anderen Abfolge, in der die Verbteile nach rechts adjungiert werden: 1-2-3. Da die Verbprojektion nur links vom bezüglichen Vollverb stehen kann, sind Einschübe nur bei der Abfolge 1-2-x-3 möglich. Zudem kommt es auch zu mehrfachen Einschüben, die in der Abfolge 1-x-2-x-3 resultieren. Auch wenn keine entsprechenden Belege in den Daten vorkommen, so ist für den Typ HV+MV+VV auch die Reihenfolge 1-3-2 möglich: dass een hätt reservéiere kënnen ‚dass man hätte reservieren können’ (Beispiel parallel zu (261)). Bereits Braun et al. (2005: 54) weisen darauf hin, dass solche Infinitive (Ersatzinfinitiv eines MV plus Infinitiv des VV) im Verbcluster teilweise austauschbar sind.

997Im Folgenden werden nun drei zentrale Phänomene in Bezug auf die vorliegenden Clustertypen besprochen: (a) mögliche Konstituenteneinschübe bei der Folge 1-2-3, (b) die beiden Einzelbelege, die bei HV+HV+VV die Folge 3-1-2 aufweisen sowie (c) IPP-Konstruktionen bei Modalverben. Dem letzten Punkt (c) ist im Anschluss ein gesondertes Kapitel gewidmet, da die luxemburgischen Modalverben mitunter spezielle Ersatzinfinitive aufweisen, welche im Detail besprochen werden sollen.

998(a) Allein bei der Modalverb-Variante (HV+MV+VV, n=12) zeigen sich ebenfalls Cluster mit Konstituenteneinschub. Dies liegt daran, dass die Argumente des Vollverbs immer links vom bezüglichen Verb stehen müssen. Bei den Typen 3-1-2 und 3-2-1 befinden sich die Verbargumente somit noch im Mittelfeld und können den Cluster nicht unterbrechen. Genau die Hälfte der Belege mit der 1-2-3-Reihenfolge zeigt einen solchen Einschub (n= 6).

999(262)dass hatt huet missen an d’Klinik goen (Online-News) [1-2-x-3]
dass es hat müssen in die Klinik gehen

1000In den folgenden beiden Beispielsätzen führen jeweils zwei Einschübe zwischen den Prädikatsteilen dazu, dass der Verbcluster im Grunde genommen keinen Cluster mehr bildet. Der erste Einschub ist bei diesen Sätzen eine adverbiale Bestimmung (zwischen Verb 1 und 2), die zweite Konstituente, die zwischen die Verben 2 und 3 rückt, ist in beiden Fällen das vom VV geforderte Akkusativobjekt.

1001(263)datt een an der Zäit just huet 2 Joer mussen Formatioun maachen (Online-News) [1-x-2-x-3]
dass man in der Zeit nur hat 2 Jahre müssen Ausbildung machen

1002(264)Dass een do hätt eventuell kéinten eppes maachen. (Politik) [1-x-2-x-3]
dass man dort hätte eventuell können etwas machen

1003(b) Bei der Kombination HV+HV+VV zeigen 97,3 % der Belege die Reihenfolge 3‑2-1. Auffällig sind zwei Belege, welche die Abfolge 3-1-2 aufweisen. Beide Cluster haben den Aufbau sinn (HV) + ginn (HV) + VV.

1004(265)Datt déi eben net vun den Oppositiounsparteie gedeelt si ginn (Politik) [3-1-2]
dass die eben nicht von den Oppositionsparteien geteilt sind worden

1005(266)datt d’lescht Woch am TICE nei Ëmfroë gemaach si ginn. (Politik) [3-1-2]
dass die letzte Woche im TICE neue Umfragen gemacht sind worden

1006Dass diese Verbcluster diese Umstellung zulassen, liegt allein an der formalen Kombination der beiden Verbformen sinn und ginn. Allerdings ist dies nur zulässig bei sinn undginn (durch die n-Regel werden die Verben zu si bzw. gi) mit ebendieser Flexionsendung. Dies bedeutet, dass in einem dreigliedrigen Verbcluster die Formen sinn und ginn (Verb 1 und 2 in der Hierarchie) austauschbar sind: Partizip > gi > sinn (3-2-1, hochfrequent) oder Partizip > si > ginn (3-1-2, niedrigfrequent). Steht das Verb sinn in einer anderen konjugierten Form (etwa im Singular), führt diese Umstellung zu Ungrammatikalität: *dass déi gemaach ass ginn ‚dass diese gemacht ist worden’. Hier müsste die Abfolge dem Grundtyp 3-2-1 entsprechen (dass déi gemaach ginn ass). Aufgrund dieser formalen Einschränkung (Kombination der Formen sinn und ginn) wird die 3-1-2-Stellung nicht als Grundoption für den Clustertyp HV+HV+VV verstanden, sondern gilt als Ausnahme für die hier genannte Verbkombination.

1007(c) Im Zusammenhang mit den dreigliedrigen Verbclustern des Typs HV+MV+VV stellt sich die Frage nach IPP-Konstruktionen, d.h. in welcher Form stehen Modalverben, wenn sie von einem Hilfsverb regiert werden. Da es im Luxemburgischen nicht nur Ersatzinfinitive, sondern spezielle hybride Infinitive gibt, wird diesem Aspekt ein gesondertes Unterkapitel gewidmet.

8.3.2 IPP und supinale Formen

1008In der Theorie erfordert eine Perfektbildung mit haben, dass das regierte Verb im Partizip II steht. Ist das regierte Verb jedoch ein Modalverb, steht das Modelverb nicht im Partizip II, sondern im so genannten Ersatzinfinitiv oder IPP (infinitivus pro participio wie in (267) und (268).142

1009(267)datt de Schäfferot hätt kënnen (*gekonnt) eng Äntwert drop ginn (Diff) [1-2-x-3]
dass der Schöffenrat hätte können eine Antwort darauf geben

1010(268)dass een hätt wëllen (*gewollt) am Virfeld heiriwwer informéiert ginn. (Diff) [1-2-x-4-3]
dass man hätte wollen im Vorfeld hierüber informiert werden

1011Mitunter treten im Luxemburgischen auch so genannte supinale Formen wie in (269)-(272) auf, die an dieser Stelle näher betrachtet werden (vgl. Höhle 2006: 58). Diese Formen sind im Grunde genommen modifizierte Infinitive, denn sie sind nicht flektierbar und tragen ein Infinitivsuffix (-en), verfügen jedoch auch über ein Dentalsuffix und/oder einen Vokalwechsel im Stamm. Solche Formen sind mitunter auch im ostmitteldeutschen sowie vereinzelt im alemannischen Sprachraum belegt (vgl. Höhle 2006; vgl. auch Schallert 2014).143

1012(269)dass et hätt sollten e Gîte rural bleiwen (Politik) [1-2-x-3]
dass es hätte sollen ein Ferienhaus bleiben

1013(270)datt d'Uefa de Club net hätt dierften aus der Europa League eraushuelen (Online-News) [1-2-x-3]
dass die UEFA den Club nicht hätte dürfen aus der Europa League herausnehmen

1014(271)dass een hätt kéinten E-maile un d’Conseillere schécken (Politik)[1-2-x-3]
dass man hätte können Emails an die Berater schicken

1015(272)d'Madame Lulling ass déi Nächst-Gewielten op der Lëscht an hätt kinnen no réckelen (Online-News) [1-2-3]
die Frau Lulling ist die Nächst-Gewählte auf der Liste und hätte können nach rücken

1016Das Ziel dieses kurzen Kapitels besteht darin, die luxemburgischen Supina zu erfassen, ihre formalen Bedingungen sowie ihre Verteilung zu beschreiben, da sie bislang in den luxemburgischen Grammatiken nicht berücksichtigt wurden.

1017Die modifizierten Ersatzinfinitive der luxemburgischen Modalverben sind Formen, die teilweise einen Vokalwechsel zeigen (kënnen > kinnen), zum Teil aber auch einfach nur ein Dentalsuffix (dierfen > dierften) oder beides (kënnen > kéinten). Um die verschiedenen Formen der Modalverben ausfindig zu machen, wurde die Analyse an dieser Stelle auf alle Haupt- und Nebensatztypen ausgeweitet (zuvor wurden nur die dass/datt-Kontexte berücksichtigt). Der Ersatzinfinitiv ist kein besonderes Merkmal von Modalverben im Nebensatz, sondern ist in allen Verbkonstellationen zu finden, in denen ein Modalverb von einem Hilfsverb regiert wird, demnach auch in Hauptsätzen mit der Prädikatstruktur HV+MV+VV oder HV+MV+HV+VV.

1018Die folgende Tabelle zeigt die Ersatzinfinitive (dementsprechend die einfache Infinitivform) sowie die supinalen Formen der einzelnen Modalverben. Um erste Hinweise auf deren Verteilung zu erhalten, wurde das ganze Korpus systematisch durchsucht. Da die modifizierten Ersatzinfinitive in der Verbclusteranalyse vor allem nach hätt/en, also der Konjunktivform des Hilfsverbs hunn ‚haben’ auftreten, wurden zunächst nur konjunktivische Kontexte ausgewertet. Hierfür wurde anhand von regulären Ausdrücken für jedes Modalverb eine individuelle Suchanfrage gestartet, die auf der Kombination von hätt+MV aufbaut. Die folgende Tabelle zeigt nun die unterschiedlichen Varianten der modifizierten Ersatzinfinitive. Die rechte Kolonne zeigt jeweils einen beispielhaften Korpusbeleg (die Übersetzung, d.h. die lexikalische Glosse, befindet sich aus Gründen der Übersichtlichkeit in einer Fußnote). Die genauen Verteilungen werden in zwei weiteren Tabellen beschrieben. Die Liste der Modalverben wurde noch um das negierte Verb net brauchen ‚nicht brauchen’ ergänzt, da auch hier modifizierte Ersatzinfinitive zu finden sind.

einfacher InfinitivSupinumBeispiele144
däerfen
dierfen
däerften
dierften
ech hätt dierften bei engem schlofen (Chat)
datt se esou net hätten däerfte geplangt ginn
(Politik)
kënnenkéinten
kinn(t)en
kënnten
könnten
konn(t)en
déi hätte kéinte gerett ginn (Chat)
wéi een dat hätt kënnte mengen
 (Politik)
jiddereen hätt konnten soueppes léieren
(Online-Kommentar)
mussen
missen
missten
miissten
wéi dat hätt misste geschéien (Politik)
déi am Fong fir 2006 hätte miissten agedroen ginn
(rapport)
sollensolltenech hätt sollten an de Kino fueren (Chat)
wëllenwéilten
wëllten
willten
woll(t)en
si hätt wéilten hiren Throun retten (Online-Kommentar)
dat, wat Lëtzebuerg eleng hätt wëllten eriwwerginn
(interview)
net brauchennet bräich(t)en
net breich(t)en
145
net brichen
Et hätt een net bräichten déi Zone 30 um ganzen Territoire anzeféieren (rapport)
Dann hätte mer näischt anescht laang bräichen ze sichen (Politik)
Tabelle 85: Supinale Formen der luxemburgischen Modalverben in IPP-Konstruktionen

1019Die modifizierten Infinitive verfügen teilweise über unterschiedliche Formen. Bis auf einige Ausnahmen (konnen, wollen, net bräichen/net breichen) zeigen sie überwiegend ein Dentalsuffix. In den jeweiligen Paradigmen finden sich Dentalsuffixe entweder im Präteritum kënnen > konnt (bei däerfen, net brauchen und mussen wurde Präteritum bereits abgebaut) oder im Konjunktiv: kënnen > kéint. Das Dentalsuffix findet sich zudem auch als Teil des für das Partizip relevanten Zirkumfix {ge...t}: kënnen > gekonnt, dierfen > geduerft. Die Vokalwechsel lassen sich in den meisten Fällen mit dem jeweiligen Konjunktivablaut korrelieren (sollen und däerfen zeigen keinen Ablaut im Konjunktiv): kënnen > kéinten, brauchen > bräichten. Die Vokalwechsel sind teilweise auch im Präteritum des jeweiligen Modalverbs zu finden: wëllen > gewollt > wollten. Manche Vokalwechsel lassen allerdings auch auf eine regionale Variante schließen, wie beispielsweise die Stammvokalvariation bei däerf(t)en (duerf(t)en / dierf(t)en) (vgl. Bruch 1963, Karte 16) oder bei wëll(t)en (wéil(t)en) (vgl. Bruch 1963, Karte 174).

1020Der Status der missen-Form ist in Bezug auf den Infinitiv mussen unklar. Es geht nicht eindeutig hervor, ob es sich hierbei um eine (regionale?) Infinitivvariante oder um einen (entrundeten) Umlaut handelt. Im LWB (1950-1975 Bd. 3: 184) sind mussen und missen als gleichwertige Lemmata eingetragen, auch wenn aus den Beispielen hervorgeht, dass die missen-Form häufig bei IPP-Konstruktionen verwendet wird. Die supinale Form lautet hier missten.

1021(273)et hätt nët grad miss(t)e sin (LWB 1950-1975 Bd. 3: 185)
es hätte nicht gerade müss(t)en sein

1022Zudem zeigt sich missen auch teilweise als i-haltige Form im Präsensparadigma: mir missen ‚wir müssen’, aber dir musst ‚ihr müsst’ (vgl. LOD online), sodass der Vokalwechsel nicht mit dem Ablaut der anderen Modalverben vergleichbar ist und einen Sonderstatus einnimmt. An dieser Stelle wird die Form missen als Infinitivvariante zu mussen eingeordnet und nicht als Supinum.

1023Insgesamt scheinen die Supina eine hybride Form zu sein aus Vergangenheitsform und Infinitiv bzw. aus Konjunktivform und Infinitiv. Dies lässt sich auch durch die Tatsache bekräftigen, dass sie modussensitiv sind, d.h., wenn das Kopfverb hunn ‚haben’ als Perfektauxiliar im Indikativ (Präsens)146 steht, finden sich ausschließlich Formen mit Dentalsuffix (möglicher Kontext: ech hu konnte goen ‚ich habe können gehen’). Steht das Perfektauxiliar im Konjunktiv II, ergeben sich zum Teil neue Supina, die ihrerseits auch einen Konjunktivablaut und ein optionales Dentalsuffix zeigen können (Kontext: ech hätt kéinte goen ‚ich hätte können gehen’). In der folgenden Tabelle sind alle Formen aus dem Korpus zusammengetragen.

InfinitivSupinum bei IndikativSupinum bei Konjunktiv
däerfen
dierfen
däerften
dierften
kënnen
kinnten

kënnten
könnten
konnten
kéinten
kinnten
kinnen
kënnten
könnten
konnten
konnen
mussen
missen
mussten
missten

missten
miissten
sollensollten
wëllen


wollten
wéilten
wëllten
willten
wollten
wollen
net brauchennet bräichten



net bräichten
net bräichen
net breichen
net breichten
147
net brichen
Tabelle 86: Supina der Modalverben in IPP-Konstruktionen, getrennt nach Modus des Hilfsverbs

1024Anhand der Daten wird deutlich, dass beide syntaktische Kontexte andere Supina triggern können. Im Indikativ-Kontext finden sich beispielsweise ausschließlich Formen mit Dentalsuffix. Steht hunn im Konjunktiv, zeigen manche Verben einen Konjunktivumlaut, wie etwa der Konjunktiv-Umlaut {éi} bei kéinten. Bei wollen zeigt sich im Indikativ nur die modifizierte Form wollten, im Konjunktiv hingegen existieren fünf verschiedene Formen: wéilten, wëllten, willten, wollten und die Form ohne Dentalsuffix wollen. Die Verben sollen und däerfen wiesen in beiden Kontexten dieselben Merkmale auf.

1025Nachdem nun alle supinalen Formen aus dem Korpus vorgestellt und nach Modus des Kopfverbs unterteilt wurden, wird im Folgenden auf die Verteilung eingegangen. Demnach soll auf Korpusbasis gezeigt werden, wie häufig ein einfacher Infinitiv nach haben im Indikativ oder im Konjunktiv folgt und wie oft ein Supinum. Aufgrund der Beschaffenheit der empirischen Grundlage wurden in dieser explorativen Untersuchung nur Kontexte ausgewertet, bei denen das Hilfsverb hunn und das Modalverb unmittelbar hintereinander stehen.

SyntagmaModalverbErsatzinfinitivSupinumAnzahl
hunn.KONJ+MV+VVdäerfen
dierfen
84,8 % (n= 67)15,2 % (n= 12)79
kënnen76,4 % (n= 1018)23,6 % (n= 315)1333
mussen69,9 % (n= 644)30,1 % (n= 277)921
sollen80,9 % (n= 454)19,1 % (n= 107)561
wëllen74,5 % (n= 102)25,5 % (n= 35)137
net brauchen17,9 % (n= 5)82,1 % (n= 23)28
Tabelle 87: Auswertung der IPP-Konstruktionen (Ersatzinfinitiv vs. Supinum) mit Hilfsverb im Konjunktiv

1026Die quantitative Auswertung zeigt, dass die einfachen Infinitive bei nahezu allen Verben häufiger verwendet werden als die Supina. Alleine bei Verbclustern mit net brauchen finden sich die modifizierten Formen in 82,1 % der Fälle (bei diesem Verb liegt allerdings eine relativ geringe Belegzahl vor). Eine weitere Beobachtung ist die Tatsache, dass Konstruktionen mit net brauchen immer mit einem ze-Infinitiv konstruiert werden (en hätt net bräichten ze kommen, wörtl. ‚er hat nicht bräuchten zu kommen’). Betrachtet man die „klassischen“ Modalverben im Durchschnitt, so erkennt man, dass in 22,7 % der Fälle der modifizierte Infinitiv auftritt.

1027Obwohl die modifizierten Formen in der Verbclusteranalyse mit dass/datt ausschließlich in Wendungen mit hätt, also mit einem Hilfsverb im Konjunktiv, anzutreffen sind, wurde im Gesamtkorpus ebenfalls nach Indikativen gesucht. Die Ergebnisse können der nachfolgenden Tabelle entnommen werden.

SyntagmaModalverbErsatzinfinitivSupinumAnzahl
hunn.IND.PRÄS.+MV+VVdäerfen
dierfen
90,5 % (n= 275)9,5 % (n= 29)304
kënnen81,8 % (n= 108)18,2 % (n= 24)132
mussen75,7 % (n= 4515)24,3 % (n= 1451)5966
sollen60 % (n= 3)40 % (n= 2)5
wëllen77,8 % (n= 14)22,2 % (n= 4)18
net brauchen44,4 % (n= 4)55,6 % (n= 5)9
Tabelle 88: Auswertung der IPP-Konstruktionen (Ersatzinfinitiv vs. Supinum) mit Hilfsverb im Indikativ Präsens

1028Aus dieser Tabelle geht hervor, dass auch bei hunn im Indikativ Präsens Supina auftreten. Im Gegensatz zu der vorangegangenen Analyse mit dem Kopfverb hunn im Konjunktiv finden sich insgesamt weniger Belege, abgesehen von den fast 6000 Treffern zu IPP-Konstruktionen im Indikativ Präsens mit mussen. Dennoch zeigen 28,3 % der ausgewerteten Indikativ-Sätze supinale Formen. Bei Belegzahlen unter 15 sind die Prozentangaben zudem mit Vorsicht zu genießen, da sie sie stärker vom Zufall abhängig sind und die Verteilung verzerren können. Vor allem bei däerfen finden sich in über 90 % der Fälle Belege mit einfachem Infinitiv ohne Dentalsuffix.

1029(274)déi zanter Uganks Juni hir Produiten net méi hunn duerfen u Russland liwweren. (Online-News)
die seit Anfang Juni ihre Produkte nicht mehr haben dürfen an Russland liefern

1030Die modifizierten Infinitive finden sich bei däerfen in 9,5 % der Belege (vgl. (275)). Bei wëllen wurde bei 4 von 18 Belegen ein Supinum verwendet (vgl. (276)).

1031(275)Mir hunn därften am Knascht spillen (Online-Kommentar)
wir haben dürfen im Dreck spielen

1032(276)Main Ex huet wollten d'Plättercher changéieren am ganzen Haus. (Online-Kommentar)
mein Ex hat wollen die Fliesen wechseln im ganzen Haus

1033Bei den Beispielen mit mussen gibt es bei den modifizierten Formen eine starke Tendenz zu der Form missten, allein 2 von 1451 Belege zeigen die Form mussten.

1034(277)D'Pompjéeën hunn missten mat der Dréileeder kommen (Online-News)
die Feuerwehrleute haben müssen mit der Drehleiter kommen

1035(278)Milliounen hun mussten bezuelt gin (Online-Kommentar)
Millionen haben müssen bezahlt werden

1036An dieser Stelle wurde erstmals systematisch und auf breiter empirischer Basis nachgewiesen, dass sich für die luxemburgischen Modalverben demnach mehrere infinite Formen der Modalverben innerhalb einer IPP-Konstruktion herausgebildet haben. Diese supinalen Formen finden sich etwa in 25 % der geprüften Satzkontexte (22,7 % bei hunn im Indikativ Präsens und 28,3 % bei hunn im Konjunktiv). Aufgrund der zahlreichen Vokalwechsel, die die supinalen Formen aufweisen können, wären weitere dialektologische und auch diachrone Analysen sicherlich gewinnbringend (zu einer diachronen Analyse der Präterito-Präsentia im Luxemburgischen vgl. auch Dammel 2006). Insgesamt offenbaren die Supina ein Feld in der luxemburgischen Verbalflexion, das bislang wenig beachtet wurde (sowohl in der Forschung als auch in den luxemburgischen Grammatiken) und sich durch eine hohe Variabilität auszeichnet.

8.3.3 Clustertyp B: MV als Kopf

1037Die dreigliedrigen Verbcluster mit Modalverb als Kopf weisen drei Kombinationsmöglichkeiten auf. Die Modalverben regieren entweder ein Hilfsverb mit Vollverb (MV+HV+VV, Typ: abgebaut werden konnte) wie in (279), ein infinitivregierendes Vollverb (MV+VV+VV, Typ: könnte laufen lassen) wie in (280) oder ein weiteres Modalverb mit Vollverb (MV+MV+VV, Typ: muss identifizieren können) wie in (281).

1038(279)datt Mësstrauen ofgebaut konnt ginn (Online-Kommentar) [3-1-2]
dass Misstrauen abgebaut konnte werden

1039(280)datt én alles kéint esou lafe loosse, wéi et leeft (Online-Kommentar) [1-x-3-2]
dass man alles könnte so laufen lassen, wie es läuft

1040(281)datt sech eng grouss Majoritéit am Land mat sengem Staatschef muss identifizéiere kënnen (Online-Kommentar) [1-3-2]
dass sich eine große Mehrheit im Land mit seinem Staatschef muss identifizieren können

1041Die Ergebnisse sind in der folgenden Tabelle zusammengefasst.

3er-Verbcluster1-3-23-1-23-2-11-2-3
MV + HVINF + VVPART
(n= 165)
77 %
(n= 127)
21,8 %
(n= 36)
1,2 %
(n= 2)
davon 21,3 % 1-x-3-2
(n= 27)
MV + VVINF + VVINF
(n= 6)
100 %
(n= 6)
MV + MVINF + VVINF
(n= 2)
50 %
(n= 1)
50 %
(n= 1)
Tabelle 89: Auswertung der 3er-Verbcluster mit MV als Kopf

1042Die Kombination MV+HV+VV macht den größten Teil der von Modalverben regierten dreigliedrigen Cluster aus. Dabei ist die Abfolge 1-3-2 mit 77 % die dominante Stellung.

1043(282)dass d’Sécherheet op de Stroosse muss verbessert ginn (Online-News) [1-3-2]
dass die Sicherheit auf den Straßen muss verbessert werden

1044Auch dieser Typ bietet die Möglichkeit, Konstituenten einzuschieben. 21,3 % der Cluster (n= 27) mit der Reihenfolge 1-3-2 zeigen Unterbrechungen durch Konstituenten.

1045(283)Datt deen Terrain wierklech ka laang Zäit genotzt ginn (Politik) [1-x-3-2]
dass diese Fläche wirklich kann lange Zeit genutzt werden

1046Die Kombination MV+HV+VV kann jedoch auch die Abfolge 3-1-2 (21,8 %) oder selten auch die Reihenfolge 3-2-1 (1,2 %) aufweisen.

1047(284)Dass dat eben net iwwert de Knéi gebrach soll ginn. (Politik) [3-1-2]
dass das eben nicht über das Knie gebrochen soll werden

1048(285)datt hier Meenung gefrot gi muss (Online-Kommentar) [3-2-1]
dass ihre Meinung gefragt werden muss

1049Die Kombinationen mit infinitivregierenden Vollverben (MV+VV+VV) sowie mit einem weiteren Modalverb (MV+MV+VV) sind mit 6 und 2 Belegen im Subkorpus als Typ tendenziell unterrepräsentiert. Sie stehen meistens in der Abfolge 1-3-2.

1050(286)dass een an der Vergaangenheet soll stoen bleiwen (Online-Kommentar) [1-3-2]
dass man in der Vergangenheit soll stehen bleiben

1051(287)datt de Justizminister eng intern Enquête well maan loossen (Online-News) [1-3-2]
dass der Justizminister eine interne Untersuchung will machen lassen

1052Allein ein einzelner Beleg mit doppeltem Modalverb weist die Reihenfolge 1-2-3 auf. Im Grunde genommen handelt es sich um eine 1-2-x-3-Stellung, da eine Konstituente eingeschoben wurde.

1053(288)datt jiddfer Deputéierten séng eege Meenung misst kënne beim Vote ausdrécken (Online-Kommentar) [1-2-3]
dass jeder Abgeordnete seine eigene Meinung müsste können bei der Wahl ausdrücken

1054Da die Variation hier nicht allein aufgrund der Verbtypen bestimmt werden kann, können auch hier statistische Verfahren Aufschluss über bestimmte Faktoren geben, die die Verbserialisierung beeinflussen können. Welche Faktoren die Variation bedingen, wird in Kapitel 8.3.5 besprochen.

8.3.4 Clustertyp C: KHV als Kopf

1055Die dreigliedrigen Verbcluster mit den KHV géif, géing oder wäert als Kopf können ebenfalls mit drei Verbtypen kombiniert werden. Meistens stehen sie im Zusammenhang mit Hilfsverb und Vollverb (KHV+HV+VV, Typ: würde abgehört werden) wie in (289), sie können allerdings auch ein infinitivregierendes Vollverb regieren (KHV+VV+VV, Typ: würden fallen lassen) wie in (290) oder ein Modalverb mit Vollverb (KHV+MV+VV, Typ: wird ausbrechen können) wie in (291).

1056(289)datt säin Telefon géif ofgelauschtert ginn (Online-Kommentar) [1-3-2]
dass sein Telefon würde abgehört werden

1057(290)datt mer een chrëschtleschen Feierdag am Joer géifen falen lossen (Online-Kommentar) [1-3-2]
dass wir einen christlichen Feiertag im Jahr würden fallen lassen

1058(291)datt kee méi iwwert dee Wee sou wäert kënnen ausbriechen (Online-News) [1-2-3]
dass keiner mehr über diesen Weg so wird können ausbrechen

1059Die genauen Verteilungen und Stellungsoptionen können der folgenden Übersichtstabelle entnommen werden.

3er-Verbcluster1-3-23-1-23-2-11-2-3
KHV + HVINF + VVPART
(n= 30)
83,3 %
(n= 25)
16,7 %
(n= 5)
KHV + VVINF + VVINF
(n= 3)
66,7 %
(n= 2)
33,3 %
(n= 1)
KHV + MVINF + VVINF
(n= 3)
33,3 %
(n= 1)
66,7 %
(n= 2)
Tabelle 90: Auswertung der 3er-Verbcluster mit KHV als Kopf

1060Insgesamt weisen 3er-Verbcluster mit einem KHV als Kopfverb die geringsten Belegzahlen auf. Es ist womöglich dem Zufall geschuldet, dass es bei keinem der 36 Belege zu Konstituenteneinschüben kam (strukturell sind sie bei den Folgen 1-3-2 und 1-2-3 möglich). Die meisten dieser Cluster – vorerst unabhängig von den abhängigen Verbtypen – weisen die Abfolge 1-3-2 auf. Dennoch muss zwischen unterschiedlichen Verbkombinationen unterschieden werden, da die alternativen Abfolgen deutlich variieren.

1061Bei der Kombination KHV+HV+VV zeigen 83,3 % die dominante Abfolge 1-3-2 wie in (292), die restlichen 16,7 % hingegen 3-1-2 wie bei (293).

1062(292)datt dat ganzt Staatsgebidd zu enger Fluchverbuetszone géif erklärt ginn (Online-News) [1-3-2]
dass das ganze Staatsgebiet zu einer Flugverbotszone würde erklärt werden

1063(293)Dass déi Diskussioun gefouert géing ginn (Online-News) [3-1-2]
dass diese Diskussion geführt würde werden

1064Die KHV, die mit zwei Vollverben kombiniert werden, zeigen entweder die Abfolge 1-3-2 oder 3-2-1. Mit gerade einmal drei Belegen im Subkorpus ist dieser Typ jedoch eher selten anzutreffen.

1065(294)dass dei grupp spillen kommen geif... (Chat) [3-2-1]
dass diese Gruppe spielen kommen würde

1066Regiert das KHV ein Modalverb, so lautet die Abfolge entweder 1-3-2 oder 1-2-3. Auch diese Kombination ist nicht häufig anzutreffen (drei Belege im Subkorpus).

1067(295)dass mir ferm wäerte bäileeën mussen (Online-Kommentar) [1-3-2]
dass wir deutlich werden hinzugeben müssen

1068Übersichtsdarstellung aller Clustertypen sowie Erklärungen zu den entsprechenden Serialisierungen finden sich in den beiden anschließenden Kapiteln.

8.3.5 Welche Faktoren beeinflussen die Variation?

1069Die folgende Tabelle fasst noch einmal alle im Subkorpus zusammengetragenen Stellungsoptionen zusammen.

Kopfabhängige Verben1-3-23-1-23-2-11-2-3Gesamt
HV +HV + VV(2)1487072
VV + VV33
MV + VV1212
MV +HV + VV127362165
VV + VV66
MV + VV112
KHV +HV + VV25530
VV + VV213
MV + VV123
162437615296
Tabelle 91: Übersicht der Verbfolgen für alle 3er-Verbcluster

1070Ist das Kopfverb ein Hilfsverb, richtet sich die Verbstellung allein nach den verknüpften Verbtypen. Ist das Kopfverb ein Modalverb oder ein Konjunktivhilfsverb kann der Verbcluster nach bestimmten Mustern umgestellt werden. Wie in Kapitel 8.5 auch für andere Sprachen gezeigt werden wird, ist die Variation bei dreigliedrigen Verbclustern durch die höhere Anzahl an Kombinationsmöglichkeiten besonders hoch. Zudem gibt es in diesem Kontext laut Dudengrammatik (2006: 483) „viel Spielraum für Abweichungen unterschiedlicher Art“. Ein wichtiger Faktor ist sicherlich auch die Informationsstruktur: Bei variabler Stellung kann der Sprecher bei unterschiedlichen Fokusbedingungen bewusst das Kopfverb oder das Vollverb voranstellen.

1071Neben dem Verbtyp und der Informationsstruktur können noch weitere Faktoren den Verbclusteraufbau beeinflussen. Auch bei den dreigliedrigen Verbclustern sollen nun neben den quantitativen Auswertungen auch Signifikanztests angewandt werden. Die getesteten Faktoren überschneiden sich größtenteils mit denjenigen der zweigliedrigen Clustertypen aus Kapitel 8.2.5. Cluster mit HV als Kopfverb werden hier nicht getestet, da diese allein aufgrund ihres Syntagmas bestimmt werden können, d.h. die Variation kann durch die kombinierten Verbtypen erklärt werden. Anders verhält es sich bei den 3er-Clustern mit MV oder KHV als Kopf. Aufgrund der vielen Kombinationsmöglichkeiten von Verbtypen konnten nicht immer Kreuztabellen angefertigt werden, da die Belegzahlen in den jeweiligen Feldern teilweise unter 5 lagen und somit keine aussagekräftigen Ergebnisse generiert werden können.

MV +HV + VV127362165
VV + VV66
MV + VV112
KHV +HV + VV25530
VV + VV213
MV + VV123
Tabelle 92: Testbare Syntagmen für Chi-Quadrat-Test bei den 3er-Verbclustern mit MV oder KHV als Kopf

1072Demnach konnte nur die Variation für die grau hinterlegten Zeilen in einem Chi-Quadrat-Test (nach Pearson) ausgewertet werden. Getestet wurden demnach die folgenden vier Faktoren:

1073
  • Modus der flektierten Verbform (wenn anwendbar)
  • syntaktische Funktion des dass-Satzes
  • syntaktische Position des dass-Satzes
  • Art des Komplementierers: dass oder datt

1074Es zeigt sich, dass die syntaktische Position des dass-Satzes innerhalb des Matrixsatzes keinen Einfluss auf die Verbreihenfolge ausübt. Bei der Art der Komplementierers gibt es nur eine schwache statistische Tendenz: datt-Sätze stehen etwas häufiger in der Abfolge 1-3-2, der p-Wert liegt allerdings bei 0,303, sodass dieser Faktor nur eine eigentlich keine Aussagekraft hat.

Abfolge nach dass/dattdassdattGesamt
1-3-275,5 %81,4 %78,7 %
3-1-224,5 %18,6 %21,3 %
p= 0,303
Tabelle 93: Verteilung der Subjunktionen dass/datt in Relation zur Abfolge im 3er-Verbcluster

1075Eine etwas stärkere statistische Tendenz zeigt sich bei dem Faktor Modus (p=0,1), d.h. Modalverben, die im Konjunktiv stehen werden tendenziell häufiger nach vorne gestellt (1-3-2) als Modalverben im Indikativ (3-1-2). Dieses statistische Ergebnis deckt sich auch mit den 2er-Clustern. Sind Indikativ und Konjunktiv (Präteritum) formgleich wurde bei der Auswertung n/a eingetragen (Bsp. sollt).

Abfolge nach ModusIndikativKonjunktivn/aGesamt
1-3-274,5 %88,9 %85,3 %78,7 %
3-1-225,5 %11,1 %14,7 %21,3 %
p= 0,101
Tabelle 94: Verteilung der Modi (Indikativ, Konjunktiv) in Relation zur Abfolge im 3er-Verbcluster

1076Signifikant ist allein der Faktor Satzfunktion: Für die ausgewerteten Sätze bedeutet dies, dass Subjektsätze stärker zur 1-3-2-Stellung neigen, Attributsätze hingegen eher zur Verbfolge 3-1-2. Auch dies ist mit den Ergebnissen der 2er-Cluster vergleichbar: Dort hatte sich herausgestellt, dass Attributsätze stärker zur 2-1-Stellung neigen, d.h., dass das Vollverb vor das Kopfverb rückt. Diese Tendenz bestätigt sich nun auch bei der 3er-Clustern.

Abfolge nach SatzfunktionObjektSubjektAttributGesamt
1-3-280,4 %90,9 %66,7 %78,7 %
3-1-219,6 %9,1 %33,3 %21,3 %
p= 0,054
Tabelle 95: Verteilung der Satzfunktionen in Relation zur Abfolge im 3er-Verbcluster

1077Aus welchem Grund nun die Attributsätze diese Sonderstellung einnehmen, kann an dieser Stelle leider nicht beantwortet werden. Es eröffnet jedoch neue Erklärungswege und macht deutlich, dass eine reine Auflistung von Stellungsoptionen nur bedingt weiterhilft bei der Frage, welche Faktoren die Verbstellungsvariation beeinflussen können. Durch die statistische Auswertung der Ergebnisse konnten zudem Tendenzen aufgezeigt werden, die sowohl auf zwei- als auch auf dreigliedrige Cluster anwendbar sind und somit generelle Faktoren für den Verbclusteraufbau darstellen.

1078In einem weiteren Schritt wäre zu prüfen, wie sich diejenigen 3er-Clustertypen verhalten, die in der vorliegenden Analyse fünf oder weniger Belege aufwiesen. Um diese Variation zu beschreiben, müssten entsprechende direkte oder indirekte Erhebungen mit gezielten Satzkontexten durchgeführt werden, wie sie für die großen Dialektatlanten SADS und SAND vorgenommen wurden.

8.3.6 Zwischenfazit

1079Für die 3er-Verbcluster wurden drei Kopfverbtypen mit jeweils drei Untertypen definiert, sodass die Verbclustervariation bei dreigliedrigem Prädikat anhand von neun verschiedenen Clustertypen beschrieben wurde. Zur Vereinfachung wurden in der folgenden Übersichtstabelle entsprechende luxemburgische Beispielsätze neben die abstrakten Serialisierungen gestellt. Die Abfolge-Kolonne wurde nach Häufigkeit sortiert. Die genaue Verteilung der Abfolgen kann der Übersichtstabelle (Tab. 72) im vorherigen Kapitel 8.3.5 entnommen werden.

KopfverbSyntagmaAbfolgeBeispiel
HVHV + HV + VV1493-2-1dass si gefrot ginn ass
dass sie gefragt worden ist
HV + VV + VVdass si froe komm ass
dass sie fragen gekommen ist
HV + MV + VV1-2-3dass si hätt misse froen
dass sie hätte müssen fragen
MVMV + HV + VV1-3-2

3-1-2
3-2-1
dass e muss gefrot ginn
dass er muss gefragt werden
... gefrot muss ginn
... gefrot gi muss
MV + VV + VV1-3-2dass se soll froe kommen
dass sie soll fragen kommen
MV + MV + VV1-3-2

3-2-1
dass se muss froen dierfen
dass sie muss fragen dürfen
... froen dierfe muss
KHVKHV + HV + VV1-3-2

3-1-2
dass si géif gefrot ginn
dass sie würde gefragt werden
... gefrot géif ginn
KHV + VV + VV1-3-2

3-2-1
dass si géif froe kommen
dass sie würde fragen kommen
... froe komme géif
KHV + MV + VV1-3-2

1-2-3
dass si wäert froen dierfen
dass sie wird fragen dürfen
... wäert dierfe froen
Tabelle 96: Übersicht der Verbfolgen für alle 3er-Cluster (Abfolgen nach Häufigkeit sortiert)

1080Es stellt sich heraus, dass der Kopfverbtyp Hilfsverb (HV) am wenigsten Variation zeigt, d.h. hier richtet sich die Verbstellung nach den abhängigen Verbtypen. Für die Kopfverbtypen Modalverb (MV) und Konjunktivhilfsverb (KHV) gibt es deutlich mehr Variation, sodass die Abfolgen nicht nur aufgrund der abhängigen Verben erklärt werden können. Tendenziell steht das Kopfverb bei diesen Syntagmen am linken Rand des Clusters. Hinzu kommt noch die mögliche Umstellung von Infinitiven innerhalb dreigliedriger Cluster (1-3-2 vs. 1-2-3). Das Vollverb kann in den meisten Fällen allerdings auch vorangestellt werden, sodass es zur Folge 3-1-2 bzw. 3-2-1 kommt. Anhand von Signifikanztests konnten vier verschiedene Faktoren für mögliche Clusterumstellungen herausgearbeitet werden (Liste mit abnehmender Signifikanz):

1081
  • Dass-Sätze in der Rolle als Attribut stehen häufiger in der 3-2-1-Folge, Subjektsätze hingegen häufiger in 1-3-2.
  • Ist das Kopfverb ein Modalverb im Konjunktiv, besteht die Tendenz, das Kopfverb voranzustellen (1-3-2), im Indikativ rückt das Kopfverb häufiger nach hinten und zeigt somit eher die Abfolge 3-1-2.
  • Bei der Wahl des Komplementierers zeigt sich, dass die Form dass tendenziell häufiger bei Verben mit der Abfolge 3-1-2 steht und datt eher mit 1-3-2.

1082Die hier aufgelisteten Serialisierungen sind dabei nicht exhaustiv, d.h. es können mitunter auch andere Abfolgen auftreten, die nicht aus dem Korpus hervorgegangen sind und dennoch grammatische Muster bilden. Ein Beispiel hierfür wäre etwa die allgemeine „Umkehrbarkeit“ von Ersatzinfinitiv und Vollverb im Infinitiv: dass si hätt misse froen (1-2-3) vs. dass si hätt froe missten (1-3-2). Ebenso kann beim Typ KHV+MV+VV das Vollverb vorangestellt werden: dass si froe dierfe wäert (3-2-1). Diese Fälle sind im Luxemburgischen ebenfalls zulässig, wurden jedoch als Typ nicht vom Korpus abgedeckt.

1083Insgesamt zeigt sich, dass die Anordnung der Verben hauptsächlich vom Verbtyp abhängt. Ein anderer Faktor, der hier allerdings nicht untersucht werden konnte, sind informationsstrukturelle Gründe. Demnach kann es für die Interpretation der Aussage wichtig sein, das Vollverb oder das Kopfverb voranzustellen.

8.4 4er-Verbcluster im Luxemburgischen

1084Aufgrund des verhältnismäßig großen kognitiven Aufwandes sind viergliedrige Prädikate äußerst selten. In dem hier untersuchten Subkorpus finden sich bloß fünf Belege, die einen dass-Satz mit vier Prädikatsteilen aufweisen. An dieser Stelle werden diese fünf Belege nun auf ihre Systematik hin besprochen.

1085Die Belege lassen sich in zwei Stellungstypen unterteilen: 1-2-4-3 und 1-4-3-2. Bei beiden Abfolgen belegt das Kopfverb die erste Position im Cluster. Die Serialisierung 1-2-4-3 zeigt sich beim Clustertyp HV+MV+HV+VV, indem ein Hilfsverb den Kopf des Clusters bildet und ein Modalverb (im Ersatzinfinitiv) regiert, von dem wiederum eine Passivkonstruktion abhängt. Dieser Typ findet sich dreimal in den Daten, dabei wird bei Satz (297) deutlich, dass der Cluster auch hier durch eine Konstituente (das Subjekt nei Etudë ‚neue Studien’) unterbrochen werden kann.

1086(296)dass net nëmmen dëst Joer nei Scholden vun enger Milliard Euro hu missen gemaach ginn (Online-News) [1-2-4-3]
dass nicht nur dieses Jahr neue Schulden von einer Milliarde Euro haben müssen gemacht werden

1087(297)dass bei deem Fonçage [...] hu missten nei Etudë gemaach ginn (Politik) [1-2-x-4-3]
dass bei diesem Vortreiben [..] haben müssen neue Studien gemacht werden

1088(298)dass dëst Haus scho säit méi wéi zéng Joer iwwerfälleg ass an duerch en neit hätt missen ersat ginn. (Politik) [1-2-4-3]
dass dieses Haus schon seit mehr wie zehn Jahren überfällig ist und durch ein neues hätte müssen ersetzt werden

1089Die andere Stellung 1-4-3-2 zeigt sich bei Verbclustern, bei denen ein Modalverb den Kopf bildet, das wiederum eine Passivkonstruktion regiert: MV+HV+VV+VV bei (299), MV+HV+HV+VV bei (300).

1090(299)dass besonnëg keng Persoun aus de PIGS-Länner am Moment do soll wurschtelen gelooss ginn. (Online-Kommentar) [1-4-3-2]
dass besonders keine Person aus den PIGS-Ländern im Moment dort soll wurschteln gelassen werden

1091(300)Datt d’Pompjeeë solle gesot kritt hunn (Politik) [1-4-3-2]
dass die Feuerwehrleute sollen gesagt gekriegt haben

1092Die Anordnung der Verben in einem 4er-Verbcluster scheint vom Vorhandensein und der Position des Modalverbs abhängig zu sein. Die Serialisierung ist bei diesen Belegen bis zum Modalverb aufsteigend und für alle abhängigen Verben jeweils absteigend. Dies ist jedoch nur eine erste Beobachtung anhand von fünf Belegen, sodass diesem Thema in zukünftigen Studien nachgegangen werden muss.

8.5 Kontinentalwestgermanische Verbclustervariation

1093Verbclustervariation zeigt sich in vielen kontinentalwestgermanischen Sprachen. Besonders in den vergangenen 20 Jahren wurde viel Forschungsarbeit geleistet, um diesen Bereich zu erschließen. Dieses Kapitel soll einerseits auf die Stellungsoptionen bestimmter Einzelsprachen eingehen und andererseits zeigen, ob das Luxemburgische Ähnlichkeiten aufweist. Im Vordergrund stehen dabei die folgenden Sprachen: Standarddeutsch, Schweizerdeutsch, Niederländisch und Flämisch. Ein weiteres Unterkapitel widmet sich der Verbclustervariation einer älteren Sprachstufe des Deutschen (Frühneuhochdeutsch), um auch die diachrone Entwicklung zu beleuchten.

Standarddeutsch und deutsche Varietäten

1094In Bezug auf die 2er-Verbcluster lässt das Standarddeutsche im Nebensatz keinerlei Variation zu; die Abfolge lautet stets 2-1. Das Finitum wird demnach immer nachgestellt, unabhängig vom Verbtyp (vgl. Dudengrammatik 2006: 480).

1095(301)dass sie jetzt schlafen muss [2-1]

1096(302)dass sie ausgeschlafen hat [2-1]

1097Die 3er- und 4er-Cluster zeigen im Standarddeutschen unterschiedliche Stellungsvarianten. Grundsätzlich gilt in der rechten Satzklammer: regiertes Glied vor regierendem Glied (Rektum vor Regens), demnach lautet die Grundabfolge 3-2-1. Ist das Kopfverb das Hilfsverb haben, was wiederum ein Modalverb, ein AcI-Verb oder ein anderes infinitivregierendes Verb (lassen, machen, helfen) regiert, kann sich die Abfolge verändern und es kommt zur Stellung 1-3-2 (vgl. Dudengrammatik 2006: 481). Außer für die Modalverben steht weiterhin die „Normalregel“ (3-2-1) zur Verfügung.

1098(303)dass ich ihn habe trösten wollen [1-3-2]

1099(304)dass ich ihn ziehen lassen habe [3-2-1]

1100Ist das Kopfverb ein Modalverb oder das temporal-modale Hilfsverb werden, kann ebenfalls zwischen den beiden Folgen 3-2-1 (Grundregel) oder 1-3-2 (Sonderregel) variiert werden (vgl. Dudengrammatik 2006: 482).

1101(305)a) dass es bereits begonnen haben wird [3-2-1]
b) dass es bereits wird begonnen haben [1-3-2]

1102(306)a) dass er das gelernt haben soll [3-2-1]
b) dass er das soll gelernt haben [1-3-2]

1103Bei der 1-3-2-Folge kann es ebenfalls zu Clusterunterbrechungen kommen, wie das folgende Beispiel zeigt:

1104(307)nachdem er (...) die Hilfe eines benachbarten Geistlichen hatte in Anspruch nehmen müssen (Dudengrammatik 2006: 482) [1-x-3-2]

1105Die Variation der dreigliedrigen Verbcluster wird bei Pittner & Berman (2004: 93) anhand der so genannten „Oberfeldumstellung“ verdeutlicht. Demnach setzt sich die rechte Satzklammer im Nebensatz aus zwei weiteren Feldern zusammen, die jeweils eine auf- oder eine absteigende Serialisierung aufweisen (vgl. auch Bech 1983, zit. nach Pittner & Berman 2004: 92f.). Die dortige Darstellung berücksichtigt leider keine Stellungsoptionen.

rechte Klammer
OberfeldUnterfeld
(weil er das)hat1lesen3 müssen2
(weil er das)hat1kommen3 sehen2
(dass er das Buch)wird1 haben2lesen4 können3
(dass er sie)wird1 haben2laufen4 lassen3
Tabelle 97: Oberfeld und Unterfeld bei standarddeutschen Verbclustern in der rechten Satzklammer (nach Pittner & Berman 2004: 93)

1106Laut Dudengrammatik (2006: 482) scheint die Variation hauptsächlich durch Mündlichkeit bzw. Schriftlichkeit sowie durch die Verbtypen beeinflusst zu sein, was jedoch nicht weiter beschrieben wird. Es wird allerdings auch auf diverse regionalsprachliche und dialektale Umstellungen hingewiesen (vgl. Dudengrammatik 2006: 483). In einer abschließenden Bemerkung zu den Verbclustern im Standarddeutschen heißt es allerdings in der Dudengrammatik (2006: 483):

Im Ganzen genommen ist die Wortstellung im Verbalkomplex durch eine gewisse Instabilität und Fluktuation geprägt. Die Entwicklung scheint sich einerseits in Richtung einer stärkeren Verallgemeinerung der Normalregel zu bewegen, andererseits gibt es viel Spielraum für Abweichungen unterschiedlicher Art.

1107Die Fluktuation im Verbalkomplex wird noch deutlicher, wenn man sich bestimmte (nicht standardisierte) Varietäten des Deutschen anschaut. In Bezug auf die Verbcluster zeigen Studien zum Hessischen und zum Plautdietschen (Mennonite Low German), dass auch hier die zwei- und dreistelligen Cluster unterschiedliche Stellungsvarianten haben (das Schweizerdeutsche wird im folgenden Kapitel beschrieben). Dominante Stellung bei den plautdietschen 2er-Clustern mit Modalverb ist die 2-1-Stellung (Satz a), wobei 1-2 auch für viele Sprecher verfügbar ist (vgl. Kaufmann 2007: 162). Auch Verbclusterunterbrechungen sind im Plautdietschen zulässig (Satz b).

1108(308)a) Waun hei daut Hüs NÜ verköpen mut (Kaufmann 2007: 162) [2-1]
wenn er das Haus nun verkaufen muss
b) Waun hei nü mut daut Hüs verköpen [1-x-2]
wenn er nun muss das Haus verkaufen

1109Auch im Hessischen ist die 2-1-Abfolge (beim Typ MV+VV) am häufigsten. Die 1-2-Stellung zeigt sich aus arealer Perspektive vor allem am östlichen Rand Hessens, was von Weiß & Schwalm (2017) darauf zurückgeführt wird, dass diese Folge vor allem in ostmitteldeutschen Dialekten belegt ist. Auch bei den dreigliedrigen Verbclustern zeigt die Mehrheit der hessischen Belege die standarddeutsche Abfolge 3-2-1. Getestet wurde hier in einer Übersetzungs- und Bewertungsaufgabe die Abfolge „operiert werden würde“ (Typ: KHV+HV+VV). Neben der dominanten 3-2-1-Folge konnten (in absteigender Häufigkeit) auch die Verbabfolgen 3-1-2, 1-3-2 oder 1-2-3 belegt werden (vgl. Weiß & Schwalm 2017), sodass auch hier innerhalb eines Clustertyps Variation besteht. Dennoch zeigt sich in den SyHD-Untersuchungen, dass das Hessische im Gesamtbild – trotz variabler Verbstellung – häufig die standarddeutschen Abfolgen aufweist.

Schweizerdeutsch

1110Eine der ersten systematischen und vergleichenden Verbclusterbeschreibungen stammt von Lötscher (1978). In seinem Aufsatz beschreibt der Autor mehrteilige Prädikate in zürichdeutschen Haupt- und Nebensätzen, aber auch in anderen Dialekten (darunter auch das Luxemburgische). Lötscher (1978: 10f.) zeigt dabei auf, dass es verschiedene „Dominanzfolgen“ gibt, welche seiner Auffassung nach durch „mindestens drei interagierende, aber primär voneinander unabhängige, Arten von Regeln“ erklärt werden können:

1111
  • Allgemeine grammatische Stellungsregeln: Diese werden vom Autor leider nicht sehr genau ausgeführt, sodass dieser Punkt unklar bleibt. Ich denke, dass er damit ausdrücken möchte, dass die Verbstellung nicht gänzlich beliebig ist.
  • „Performanzbedingte“ Faktoren: Heute würde man womöglich den Terminus kognitive Verarbeitung verwenden. Gemeint ist hiermit die Tatsache, dass der Cluster nicht zu komplex sein darf, um ihn immer noch interpretierbar zu machen.
  • Funktionale Faktoren: Durch eine unterschiedliche Informationsstruktur (Thema/Rhema) kann der Cluster ebenfalls beeinflusst werden.

1112Da sich Lötscher (1978) nur an Einzelsätzen und an Sätzen aus grammatischen Beschreibungen anderer Varietäten orientiert, wird leider nicht deutlich, wie sich die Variation im schweizerdeutschen Raum manifestiert. Eine solche Übersicht legt Seiler (2004) vor, indem er die Daten des syntaktischen Atlas der Deutschschweiz (SADS) auswertet. Der Fokus lag dabei auf den 2er-Verbclustern, da hier mehrere Verbtypen abgefragt wurden. Bei den 3er-Clustern wurde nur der Typ HV+MV+VV elizitiert. Interessant ist die Tatsache, dass sich die präferierten Verbstellungsoptionen von Westen nach Osten graduell verändern, wie der folgenden Tabelle nach Seiler (2004: 380) entnommen werden kann. Gezeigt wird die für die Region dominierende Variante, d.h. Ko-Varianten sind nicht ausgeschlossen (vgl. hierzu die SADS-Karten von Seiler 2004).

Westen <<                      >> Osten
IIIIIIIVV
HV+VV1-22-12-12-12-1
MV+VV1-21-22-12-12-1
VV+VV1-21-21-22-12-1
HV+MV+VV1-2-31-2-31-2-31-2-33-1-2
Tabelle 98: Areale Verteilung der Abfolge von 2er- und 3er-Verbclustern im Schweizerdeutschen (nach Seiler 2004: 380)

1113Im Allgemeinen tendieren zweigliedrige Verbcluster stärker zur absteigenden 2-1-Stellung, die dreigliedrigen eher zur aufsteigenden Abfolge 1-2-3. Hier scheint sich die Variation vor allem nach den beteiligten Verbtypen als auch nach der regionalen Verteilung zu richten. Vogel (2004: 85) bestätigt für den Dialekt von St. Gallen ebenfalls die Stellung 1-2-3 bei besagtem Clustertyp, fügt jedoch hinzu, dass der Verbcluster aufgrund von unterschiedlichen Verbbetonungen verändert werden kann und somit in der Stellung 2-1-3 oder 3-1-2 stehen kann.

Niederländisch und Flämisch

1114Bei zweigliedrigen Verbclustern sind im Standardniederländischen und im Flämischen beide Verbabfolgen (2-1) oder (1-2) zulässig. Die umfassenden Untersuchungen zum syntaktischen Atlas der niederländischen Dialekte (SAND) machen deutlich, dass diese Variation für jeden Verbtyp zulässig ist, im Dialekt wie in der Standardsprache (vgl. Barbiers et al. 2008b).

1115(309)dat je het (lezen) moet (lezen) [2-1] [1-2]
dass du es (lesen) musst (lesen)

1116(310)da hij de krant (gelezen) heeft (gelezen) [2-1] [1-2]
dass er die Zeitung (gelesen) hat (gelesen)

1117Dabei kann der Verbcluster auch durch andere Satzelemente unterbrochen werden, wie das folgende Beispiel zeigt.

1118(311)[...] dat je moet diet niet geloven (Barbiers et al. 2008b: 46)
[..] dass du musst das nicht glauben

1119Barbiers et al. (2008b) besprechen aufgrund ihrer Erhebungen sehr ausführlich, welche Arten der Clusterunterbrechung (verschiedene Objekttypen, Partikel usw.) auftreten können. Es stellt sich heraus, dass eingeschobene Elemente vor allem im Flämischen vorkommen (dabei besonders häufig in West-Flandern) (vgl. Barbiers et al. 2008b: 26).

1120Auch im niederländischsprachigen Gebiet gibt es regionale Unterschiede in Bezug auf die präferierte Abfolge, wobei sich hier im Gegensatz zum Schweizerdeutschen ein Nord-Süd-Gefälle abzeichnet: Im Norden dominiert insgesamt die Stellung 2-1, im Süden (u.a. in Flandern) scheint der Verbtyp eine Rolle zu spielen, denn hier steht der Typ HV+VV in der Abfolge 2-1, der Typ MV+VV allerdings in 1-2.

1121Auch 3er-Cluster wurden im Rahmen der SAND-Erhebungen ausgewertet. Wie im Luxemburgischen kommt es auch hier zu zahlreichen Stellungsoptionen, die je nach Syntagma variieren können, wobei im Niederländischen die Stellung 1-2-3 für alle Clustertypen zulässig ist und im gesamten Gebiet am stärksten vertreten ist (vgl. Barbiers et al. 2008b: 21).

1122(312)3er-Cluster nach Barbiers et al. (2008b), Stellungsvarianten nach absteigender Häufigkeit:
MV + MV + VVINF: 1-2-3 / 3-1-2 / 3-2-1 / 1-3-2
MV + HV + VVINF: 3-1-2 / 1-3-2 / 1-2-3 / 3-2-1
HV (hebben) + MVIPP + VVINF: 1-2-3 / 2-3-1 / 3-2-1 / 1-3-2 / 3-1-2
HV (zijn) + VVPART/IPP + VVINF: 1-2-3 / 2-3-1 /3-2-1 / 3-1-2

1123Auch hier scheint der Bereich der Verbcluster durch starke Fluktuation bestimmt zu sein. Zudem zeigt sich hier eine neue Variante, nämlich die Abfolge 2-3-1. Es ist beachtlich, dass verschiedene Regionen einen allgemeinen Stellungstyp für alle Clustertypen aufweisen. Hierbei sind drei Kerngebiete zu unterscheiden: Die meisten Gebiete (bis auf Friesland) erlauben die aufsteigende Anordnung (1-2-3) für alle Clustertypen. Im Norden sowie am östlichen Rand der Niederlande dominiert die umgekehrte Abfolge (3-2-1) und die Regionen um Limburg und Overijssel zeigen die Abfolge 3-1-2 (vgl. Barbiers et al. 2008b: 22).

Diachronie: Mittelhochdeutsch und Frühneuhochdeutsch

1124Die Verbstellung im Deutschen war lange Zeit von einer großen Varianz geprägt, die dann aufgrund des normierenden Einflusses der Kanzleisprache im Frühneuhochdeutschen sukzessiv abgebaut wurde (vgl. Lenerz 1995: 1268). Die mittelhochdeutschen Zeugnisse sind allerdings nicht unproblematisch, denn sowohl die lateinische Satzstellung bei Übersetzungen als auch der Satzrhythmus in lyrischen Texten kann die Verbstellung bei mehrteiligen Prädikaten beeinflusst haben (vgl. Behaghel 1932: 86, zit. nach Sapp 2011: 5). Laut Behaghel (1932: 105; zit. nach Sapp 2011: 5) werden in mittelhochdeutschen 2er-Verbclustern Infinitive tendenziell nachgestellt und Partizipien vorangestellt, was in Bezug auf die Syntagmen bedeutet: HV+VV zeigt die Tendenz 2-1, MV+VV neigt eher zu 1-2.

1125Sapp (2007; 2011)150 zeigt in seiner Untersuchung (2752 2er-Cluster), wie die allgemeine 1-2-Stellung, die im heutigen Standarddeutschen unzulässig ist, im Übergang vom Mittelhochdeutschen zum Frühneuhochdeutschen in großen Teilen Deutschlands bereits abgebaut wird. Die Anzahl der Cluster mit der Abfolge 1-2 sinkt von durchschnittlich 28,7 % auf 23,1 %. Die Daten legen offen, dass vor allem die westmitteldeutschen Regionen die 1-2-Stellung deutlich abbauen (Köln 46,6 % (MHD) > 8,6 % (FNHD); Hessen 35,9 % (MHD) > 12,4 % (FNHD)) (vgl. Sapp 2011: 96). Leider wurden in dieser Untersuchung keine Verbtypen berücksichtigt, sodass eine differenziertere Betrachtung der Ergebnisse nicht möglich ist.

1126Insgesamt kommt Sapp (2007; 2011) in seinen Untersuchungen zum Schluss, dass sowohl der Verbtyp als auch Objektfokus einen starken Einfluss auf die Anordnung der Verben im Cluster haben. Da Objektfokus in einem Korpus nicht immer leicht zu identifizieren ist, stützt er seine Einteilungen auf syntaktische Indizien für Objektfokus wie Scrambling151 und Extraposition (vgl. Sapp 2007: 311). Neben den beiden hier erwähnten strukturellen Eigenschaften (Syntagma und Objektfokus) spielen auch außersprachliche Faktoren eine Rolle, die bei Sapp (2011: 34) allerdings nur aufgelistet und nicht weiter in die Analyse miteinbezogen wurden, da sie nur sehr schwierig oder sehr unzuverlässig zu bestimmen sind (beim Faktor Geschlecht etwa stellte sich heraus, dass es keine weiblichen Autoren gab). Der Autor erwähnt dabei die Faktoren Geschlecht, Bildungsgrad und Beruf des Autors sowie die Textsorte.

1127Der Einfluss der Kopfverben im Frühneuhochdeutschen kann aus der Tabelle von Sapp (2011: 21) entnommen werden. Aus Gründen der besseren Vergleichbarkeit wurde die Notation des Syntagmas in der ersten Kolonne der vorliegenden Arbeit angepasst (die Notation in Klammern entspricht der Vorlage).

2-11-2
HV+VV (Passiv mit sein)90,1 %9,9 %
HV+VV (Passiv mit werden)82,9 %17,1 %
HV+VV (Perfekt mit sein)71,2 %28,8 %
HV+VV (Perfekt mit haben)70,7 %29,3 %
MV+VV64,5 %35,5 %
VV+VV25,9 %74,1 %
Tabelle 99: Verbfolgen im Frühneuhochdeutschen für alle 2er-Verbcluster (Tabelle nach Sapp 2011: 21, vereinfachte Darstellung)

1128An dieser Stelle wird deutlich, dass die 2-1-Stellung deutlich bevorzugt wird bei Auxiliaren mit Partizip. Für die Modalverben gilt, dass sie zwar noch überwiegend in der 2-1-Stellung vorliegen, allerdings in einem deutlich schwächeren Verhältnis als beispielsweise bei Passivkonstruktionen. Auffällig sind ebenfalls die Vollverben mit Infinitivrektion, da sie als einzige Klasse in dieser Tabelle die 1-2-Stellung bevorzugen. Diese Tabelle von Sapp (2011) bestätigt somit die Beobachtung von Behaghel (1932), dass Auxiliare mit Perfektrektion die 2-1-Abfolge bevorzugen. Diese Art der Variation wurde allerdings im heutigen Standarddeutsch völlig abgebaut und zeigt sich nur noch in dialektalen oder regionalen Varietäten. Auch im Luxemburgischen gibt es keinerlei Variabilität bei den Hilfsverben. Es ist durchaus bemerkenswert, dass in zwei älteren luxemburgischen Abhandlungen die These vertreten wird, das Luxemburgische zeige in Bezug auf die Verbcluster Überreste des mittelhochdeutschen Satzbaus (vgl. Palgen 1935; Bruch 1955). Meiner Auffassung nach handelt es sich hier um eine Aussage, die sich vielmehr um eine allgemein größere Stellungsfreiheit im Mittelhochdeutschen und weniger um strukturelle Ähnlichkeiten dreht. Im Vergleich zu standarddeutschen Verbclustern ist ein Vergleich mit dem mittelhochdeutschen Satzbau auf jeden Fall naheliegender. Ein (synchroner) Blick auf die westgermanische Varietätenlandschaft kann jedoch deutlich machen, dass Verbclustervariation ein weit verbreitetes Phänomen ist, das auf komplexen Regeln und Syntagmatypen aufbaut. Eine Übersicht der Variation der in diesem Kapitel beschriebenen Varietäten inklusive den hier gezeigten luxemburgischen Daten befindet sich im anschließenden Übersichtskapitel.

Übersichtstabelle

1129Die hier vorgestellten Clustertypen für das Standarddeutsche, das Schweizerdeutsche, das Standardniederländische und das Westflämische basieren einerseits auf den in den vorangegangenen Kapiteln besprochenen Stellungsoptionen und andererseits auf den umfassenden Übersichtstabellen von Wurmbrand (2004; 2006). Ziel dieser Übersicht ist eine Darstellung der Komplexität in den hier aufgeführten westgermanischen Sprachen sowie die Grundidee, das Luxemburgische Clustersystem in eine solche Tabelle zu integrieren. Es versteht sich von selbst, dass es sich hier um eine vereinfachte Darstellung handelt und sehr seltene Stellungen oder regionale Unterschiede (wie beispielsweise in der Deutschschweiz) nicht berücksichtigt werden können.

2er-Cluster3er-Cluster
HV
+VV
MV
+VV
HV
+HV
+VV
HV
+MVIPP
+VV
MV
+HV
+VV
MV
+MV
+VV
Standarddeutsch2-13-2-13-2-1
1-3-2
3-2-13-2-1
Schweizerdeutsch2-1
1-2
3-2-11-2-3
1-3-2
3-1-2
1-3-2
3-2-1
3-1-2
1-2-3
3-2-1
1-3-2
Standardniederländisch1-2
2-1
1521-2-31-2-3
3-1-2
1-3-2
1-2-3
Westflämisch2-11-23-2-1
1-3-2
1-2-3
2-3-1
1-3-2
3-1-2
1-2-3
Luxemburgisch2-11-2
2-1
3-2-11-2-31-3-2
3-1-2
3-2-1
1-3-2
1-2-3
Tabelle 100: Übersicht aller Verbfolgen im Standarddeutschen, Schweizerdeutschen, Standardniederländischen, Westflämischen und Luxemburgischen (Tabelle nach Wurmbrand 2004; 2006, Darstellung teilweise vereinfacht und ergänzt durch luxemburgische Daten)

1130In dieser Tabelle wird deutlich, dass die Gruppe der 3er-Cluster in allen hier gezeigten Varietäten einen erstaunlich ähnlichen Aufbau für das jeweilige Syntagma aufweist. Interessant sind dabei auch die starke Ähnlichkeit zwischen dem Luxemburgischen und dem Westflämischen sowie dem Schweizerdeutschen, was sich vielleicht auch durch die geringe Normierung im Gegensatz zu den Standardsprachen erklären lässt.

8.6 Zusammenfassung

1131Ich möchte die Zusammenfassung des gesamten Verbclusterkapitels mit einem Zitat von Sapp (2011: 213) einleiten: “Word order variation in the German verb cluster has proven to be a complex phenomenon that defies a simple explanation.” Auch im Luxemburgischen manifestiert sich eine beachtliche Anzahl an Stellungsvarianten, die in diesem Kapitel auf ihre Systematik hin untersucht wurden. Die Grundlage hierfür lieferten 1299 aus dem Korpus extrahierte dass-Sätze mit zwei- oder dreigliedrigem Verbcluster (plus fünf 4er-Cluster, welche aufgrund der geringen Anzahl nicht systematisiert werden konnten). Dabei haben sich für die unterschiedlichen Clustertypen die folgenden Tendenzen ergeben:

1132

1133Insgesamt zeigen die zweigliedrigen Verbcluster mit Hilfsverben (hunn, sinn, ginn, kréien) keine Variation und stehen immer in der Reihenfolge 2-1, d.h. die flektierte Form steht hinter der nicht flektierten, die bei diesem Syntagma immer ein Partizip II ist. Auch die Kombination eines Vollverbs mit Infinitiv (Bsp.: gehen lassen) zeigt eine strikte 2-1-Reihenfolge. Die Modalverben (kënnen, mussen, usw.) und die Konjunktivhilfsverben (géif, géing, wäert) verhalten sich als Kopfverben im Verb-cluster sehr ähnlich: die dominierende Abfolge lautet hier 1-2, obschon die 2-1-Folge in durchschnittlich 15,5 % der Fälle belegt werden konnte. Bei diesem Typ stellte sich die Frage, welche Faktoren die Variation bedingen. Signifikanztests konnten offenlegen, dass ein Modalverb im Konjunktiv die 1-2-Folge favorisiert, im Indikativ hingegen 2-1. Auch die syntaktische Funktion des dass-Satzes zeigte einen Effekt auf den Cluster: Attributsätze neigen stärker zur 2-1-Stellung. Erstaunlich ist auch, dass die beiden Konjunktivhilfsverben géif und géing in besonderem Maße zur 1-2-Abfolge tendieren.

1134

1135Das Korpus zeigte knapp 300 Verbcluster, die neun verschiedenen Syntagmen zugeordnet werden konnten (drei Kopfverben mit jeweils drei Untertypen). Diese Einteilung konnte vor allem bei Verbclustern mit Hilfsverb als Kopfverb einen Großteil der Varianten erklären, wie etwa die einheitliche 1-2-3-Stellung beim Typ HV+MV+VV. Kombinationen mit Modalverb oder Konjunktivhilfsverb als Kopf zeigten hingegen mehrere Stellungsoptionen. Da manche Kombinationstypen allerdings unter fünf Belegen lagen, konnten nicht alle Stellungsoptionen statistisch ausgewertet werden. Für die testbaren Sätze offenbarten sich ähnliche Zusammenhänge wie bei den 2er-Clustern: Modalverben im Konjunktiv bevorzugen die Stellung 1-3-2, im Konjunktiv hingegen 3-1-2. Ist der dass-Satz ein Attribut, zeigt sich auch hier eine Präferenz dafür, das Vollverb nach vorne zu stellen: 3-1-2.

1136Außerdem konnte gezeigt werden, dass luxemburgische Modalverben, die vom Perfektauxiliar haben regiert werden, entweder als Ersatzinfinitiv oder als Supinum vorkommen können. Die supinalen Formen weisen dabei eine gewisse Modussensitivität auf und existieren in verschiedenen morphologischen Formen.

1137

1138Ohne die Variation innerhalb der Syntagmen ausblenden zu wollen, lassen sich bestimmte allgemeine Regeln für die Abfolge der Verben im Nebensatz festhalten. In Verbclustern mit HV als Kopf wird stets das Vollverb zuerst genannt und das Kopfverb rückt nach hinten (2-1 bzw. 3-2-1). Ist das Kopfverb ein MV oder KHV, wird das Finitum zuerst genannt und das Vollverb nachgestellt (1-2 bzw. 1-3-2). Dies passt auch zu den Beobachtungen von Seiler (2004: 279) zum Schweizerdeutschen: „Auxiliaries tend most to be set at the right edge of the cluster.” Modalverben tendieren hingegen dazu, weiter links im Verbcluster zu stehen. Solche Beobachtungen lassen sich leicht für die 2er-Cluster machen, da ihr Aufbau einfacher und strukturell transparenter ist als etwa bei 3er-Clustern. Dennoch lassen sich strukturelle Parallelen ziehen, die zeigen, dass in erster Linie das Kopfverb und das Vollverb eine ähnliche Serialisierung aufweisen.

1139Der Hauptfaktor für die Variation ist somit der restrukturierende Effekt von Modal- und Konjunktivhilfsverben. Dieser Effekt ist für die Modalverben bereits gut dokumentiert und in der Literatur diskutiert worden (u.a. Wurmbrand 2004; Schallert 2014). Da das Luxemburgische aber noch weitere „Modalitätsverben“ grammatikalisiert hat (géif, géing), die einen vergleichbaren Effekt auf den Verbcluster haben, ist die Anzahl an Verbclustern mit variabler Satzstellung besonders hoch.

1140Aufgrund der Ergebnisse der großen syntaktischen Atlanten (SADS, Schweiz, und SAND, Niederlande und Flandern) ist es nicht zu erwarten, dass es große binnenluxemburgische Unterschiede gibt (auch durch den generellen Abbau dialektaler Variation und die gleichzeitige Ausbreitung eines „Gemeinluxemburgischen“). Dennoch könnten gezielte regionalspezifische Untersuchungen helfen, mögliche Feinheiten in der Variation zu erklären. Zudem wäre es bei anderen Erhebungsmethoden möglich, Sprecherprofile zu erstellen und dadurch nicht nur Rückschlüsse auf die Herkunft, sondern auch auf Alter, Geschlecht, Bildungsgrad und mögliche deutsche Einflüsse (wie etwa ein Studienaufenthalt), ziehen zu können.

9 Syntax der Nebensatzeinleitungen

1141Das vorliegende Kapitel widmet sich zwei wesentlichen Phänomenen der Nebensatzverknüpfung im Luxemburgischen, nämlich den „flektierenden“ Nebensatzeinleitungen (inflecting complementizers, complementizer agreement), gezeigt in (313), sowie der Erweiterung von Nebensatzeinleitungen durch dass/datt153 (doubly filled complementizers), gezeigt in (314).

1142(313)wéi s de gesäis (Prosa)
wie #s# du siehst154

1143(314)wéini datt dat wor (Politik)
wann dass das war

1144In (313) scheint nicht nur das Verb mit dem Subjekt de (2.Pers.Sg.sw.) zu kongruieren, sondern auch die Nebensatzeinleitung wéi erhält ein s. Dieses Phänomen heißt zwar Komplementiererkongruenz (complementizer agreement), der s-Marker155 bezieht sich jedoch vielmehr auf die syntaktische Position als auf den Komplementierer an sich (vgl. Weiß 2005: 148). Das Wort „Komplementierer“ stammt aus der generativen Grammatik und wird dort als satzinitiales Element eingebetteter Sätze aufgefasst (hierunter fallen im Englischen etwa that, as, for, than oder WH-Elemente, vgl. Bresnan 1970: 6f.).156 Aufgrund der etablierten Terminologie wird der Begriff „Komplementierer“ beibehalten und stellvertretend für nebensatzeinleitende Elemente verwendet (generative Beschreibungsmodelle werden für die vorliegende Untersuchung nicht berücksichtigt).

1145Kapitel 9.1 geht ausführlich auf das Phänomen und die Terminologie der Komplementiererflexion ein und zeigt dabei die wichtigsten distributiven Merkmale im Luxemburgischen auf. Ein Kernaspekt wird dabei die Frage sein, inwiefern es sich bei Komplementiererflexion tatsächlich um Flexion handelt. Da sich dieses Phänomen nicht nur auf das Luxemburgische beschränkt, werden auch Belege für „flektierende“ Nebensatzeinleitungen (im Folgenden abgekürzt als NS-Einleitungen) aus anderen deutschen und niederländischen Varietäten gezeigt.

1146Beispiel (314) zeigt einen temporalen Nebensatz, der nicht nur durch wéini ‚wann’, sondern zusätzlich durch datt ‚dass’ eingeleitet wird, wodurch es zu einer Doppelbesetzung der Komplementiererposition kommt (doubly filled complementizer). In Kapitel 9.2 werden zahlreiche NS-Einleitungen aus dem Korpus gezeigt, die eine solche Doppelmarkierung aufweisen. Da dieses Phänomen im Luxemburgischen bislang kaum dokumentiert wurde, liegt das Hauptaugenmerk auf den allgemeinen Vorkommensbedingungen und gezielten Vergleichen mit anderen westgermanischen Varietäten.

1147Darüber hinaus kann es im Luxemburgischen zu Fällen kommen, in denen beide Phänomene zusammen auftreten.

1148(315)wéi streng datt s du mat där selwer bass (Interview)
wie streng dass #s# du mit dir selber bist

1149Bei diesen Beispielen ist der Komplementierer doppelt belegt, denn er beinhaltet sowohl eine NS-Einleitung (wéi streng ‚wie streng’) als auch die ergänzende Subjunktion datt. Da das Subjekt in (315) du lautet, steht hinter der Nebensatzeinleitung der Flexionsmarker s, der dem Verbalflexiv der 2. Person Singular entspricht.

1150Dieses Kapitel bietet einen deskriptiven Überblick über das Vorkommen und die Systematik dieser besonderen Nebensatzeinleitungen im Luxemburgischen. Anhand von Korpusbelegen (aus dem Gesamtkorpus) wird gezeigt, unter welchen Bedingungen NS-Einleitungen „flektieren“ und in welchen Kontexten die NS-Einleitung durch dass/datt ergänzt werden kann.

9.1 „Flektierende“ Nebensatzeinleitungen (complementizer agreement)

1151Manche NS-Einleitungen werden im Luxemburgischen durch ein Element begleitet, das der verbalen Flexionsendung entspricht, sodass es zu einer Art „lexikalischer Kopie“ der Flexionsendung kommt (Terminus nach Brandner 2011: o.S.). Aus diesem Grund wird das Phänomen auch „Komplementiererkongruenz“ (complementizer agreement) genannt, da das grammatische Subjekt mit dem Komplementierer in Person und Numerus zu kongruieren scheint. Dabei fordern nicht alle grammatischen Personen diese Art der Kongruenz: Im Luxemburgischen müssen Nebensätze, in denen das Subjekt das Pronomen du/de ist (2.Pers.Sg.), hinter dem Komplementierer einen s-Marker erhalten. Bei der 1. und 3. Person Plural ist der Marker en hinter der Nebensatzeinleitung fakultativ.

1152(316)datt s de laachs 2.Pers.Sg.: {s} (obligatorisch)
dass #s# du lachst

1153(317)datt e mer laachen 1.Pers.Pl.: {e} (fakultativ)
dass #e# wir lachen

1154(318)datt en se laachen 3.Pers.Pl.: {en} (fakultativ)
dass #en# sie lachen

1155Die in der Forschung geläufigen Termini für dieses Phänomen (inflecting complementizer, complementizer agreement) werfen dabei zwei Fragen auf: Handelt es sich bei besagtem Phänomen im Luxemburgischen tatsächlich um Flexion (Kapitel 9.1.1) und welche Nebensatzeinleitungen können einen solchen Marker erhalten (Kapitel 9.1.2 und 9.1.3)? Da es sich bei diesen Morphemen aus struktureller Sicht nicht um echte Flexive handelt (was im Verlauf des Kapitels gezeigt werden wird), verwende ich den weiter gefassten Terminus „Marker“ bzw. „Flexionsmarker“.

1156Das letzte Unterkapitel (9.1.4) geht auf die Ausprägungen dieses Phänomens in deutschen und niederländischen Varietäten ein. Die Zusammenfassung der Ergebnisse befindet sich am Ende des Gesamtkapitels (9.3).

9.1.1 Flexion oder Klitisierung?

1157Bei den so genannten „flektierenden“ Komplementierern handelt es sich um ein Schnittstellenphänomen zwischen Morphologie und Syntax. Ihre Entwicklung und ihre Distribution verlaufen über unterschiedliche Etappen der Reanalyse, bei denen Flexive und Klitika eine zentrale Rolle spielen. Der Ursprung der „flektierenden“ Komplementierer liegt in einer Fehlsegmentierung der Inversionsstellung mit klitischem Pronomen (2.Pers.Sg.) im Nebensatz (vgl. u.a. Rinas 2005). Hierdurch kommt es zum „shifting of the morpheme boundary“ (Weiß 2005: 162).157 Die folgenden Stufen I-III erläutern diese Entwicklungen.

1158(319)Reanalyse und Entstehung der „flektierenden“ Komplementierer
I) Verbbasis+Verbalflexiv+Pronomen kann-s|de ‚kannst du’
II) reanalysiert zu Verb+Klitikon (de>sde) kann|sde
III) Verwendung hinter NS-Einleitung wann|sde ‚wenn-st du’

1159Das Verbalflexiv s wurde hier als Teil des klitischen Pronomens reanalysiert: de > sde. Diese Fehlsegmentierung führt dazu, dass sde fortan als klitisches Pronomen im Nebensatz verwendet werden kann (als Variante zu de) und sich in einem weiteren Schritt strukturell verfestigt hat (obligatorisch für die 2.Pers.Sg.). Der Ursprung liegt also bei einem Verbalflexiv, das durch Reanalyse das Stützwort gewechselt hat, sodass es nicht mehr an einem Verb, sondern an einem Pronomen hängt. Geht man nun davon aus, dass sde als „neue“ Variante eines klitischen Pronomens im Nebensatz agiert, kann es als klitisches Subjekt nur an der ersten Position im Mittelfeld stehen (zur Position von Pronomen vgl. Kapitel 6 und 7). Da die linke Klammer in einem Nebensatz von der Nebensatzeinleitung belegt wird, positioniert sich sde als klitisches Subjektpronomen unmittelbar hinter der linken Satzklammer und erweckt somit den Eindruck, der Komplementierer würde flektieren.158

1160(320)wann s de wëlls (Chat)
wenn #s# du willst

1161Dieses eingeschobene s führt allerdings nun zu der Frage, die Rinas (2005: 26) sehr treffend formuliert: „Ist die auf eine Konjunktion folgende Sequenz als Flexionsendung oder als enklitisches Pronomen zu deuten?“.

1162Bei den Beschreibungen dieser „flektierenden“ Komplementierer in deutschen Varietäten wurde diese Sequenz teilweise als Flexiv (u.a. Altmann 1984; Harnisch 1989) oder Klitikon kategorisiert (u.a. Bayer 1984; Werner 1988, zit. nach Nübling 1992: 118).159 In den luxemburgischen Grammatiken finden sich drei Haupttendenzen zur Kategorisierung der „flektierenden“ Komplementierer (Typ: datt s de), die es hier zu prüfen gilt:

1163
  • Vereinfachung der Aussprache durch Epenthese (vgl. Schanen & Zimmer 2012: 158; Braun et al. 2005: 22), demnach ohne syntaktische oder morphologische Zugehörigkeit
  • Einordnung als Variante eines klitischen Pronomens ste<de (vgl. Bourg 1896: 333)160
  • Zuordnung als Flexionsendung des Komplementierers (vgl. Bruch 1955: 87).

1164Die Epenthesenhypothese ist meines Erachtens zu vernachlässigen, schließlich erscheint der Einschub bei der 2. Person Singular in Form eines Frikativs (s) und in der 1. und 3. Person Plural als silbisches en (durch die n-Regel kann aus en je nach Folgekontext ein einfaches Schwa werden). Es lässt sich zudem keine Systematik erkennen, warum in diesen und nicht in anderen Kontexten ein oder mehrere Laute eingeschoben werden müssen. So zeigt etwa die 1. Person Singular auch ein en-Flexiv am Verb (datt ech laf-en / datt (e)mir laf-en ‚dass ich laufe / dass (#e#) wir laufen’), löst jedoch keine Kongruenz an der NS-Einleitung aus (*datt en ech lafen ‚dass #en# ich laufe’). Dies wäre demzufolge ein Argument gegen die These, dass es sich bei diesen eingeschobenen Elementen um eine phonologische Vereinfachung handelt. Außerdem wird bei Schanen & Zimmer (2012) nicht beschrieben, in welchen phonologischen Kontexten die Aussprache „vereinfacht“ werden soll. Auch über die Komplementiererkongruenz hinaus gibt es im Luxemburgischen kaum Fälle, in denen aufeinandertreffende Vokale oder Konsonanten durch Epenthese vermieden werden.161

1165In einer vergleichsweise alten Beschreibung des Luxemburgischen weist Bourg (1896: 333) darauf hin, dass ste ein klitisches Pronomen ist, welches sich „durch Ausgleichung“ aus dem klitischen Pronomen de/te hinter Verbalformen gebildet hat. Damit zeichnet er bereits 1896 die Reanalyse dieses Phänomens nach. Der Autor markiert die Klise auch grafisch, indem er die Wörter zusammenschreibt: baste, könsde (‚biste’, ‚kommste’). Er erwähnt jedoch nur eine ste-Verwendung hinter Adverbien und Konjunktionen und nennt dabei die folgenden zwei Beispiele: wanste ‚wenn-s-du’ undwôste ‚wo-s-du’. Orthografisch hat sich eine ste-Schreibung im Luxemburgischen jedoch nicht durchgesetzt. In der luxemburgischen Orthografie (1999) werden s- und en-Marker sowie klitische Pronomen im Allgemeinen stets getrennt geschrieben (vgl. (321)).

1166(321)wann s de mer se gëss
wenn #s# du mir sie gibst

1167Im Alltag wird die Wortkombination wann s de entgegen der geltenden Orthografie häufig zusammengeschrieben oder durch Apostroph markiert (wannsde, wann’s de). Eine grafische Anheftung an das Pronomen (Typ: wann sde / wann ste) bildet dabei eher eine Ausnahme im Korpus.

1168Leider führt Bourg (1896) die Idee des Klitikons nicht weiter aus und erwähnt keine entsprechende klitische Variante für Pluralformen. Seine Klitikon-Hypothese wird unberechtigterweise in keiner anderen luxemburgischen Grammatik erwähnt oder weitergeführt.

1169Für Bruch (1955: 87) handelt es sich um „Flexion der Pronomina, Adverbien und Konjunktionen“, da sie die Flexionsendungen der jeweiligen Verben reproduzieren. Seine Darstellung fällt jedoch wie bei den anderen Werken leider sehr kurz aus.

1170Neben der terminologischen Diskussion stellt sich für die Darstellung einer Sequenz des Typs wann s de wëlls ‚wenn du willst’ auch die Frage, inwiefern der Flexionsmarker (in diesem Fall s) im topologischen Feldermodell als Teil der linken Klammer, als isoliertes Element oder als Teil des Mittelfeldes gelten kann. Da ich davon ausgehe, dass es sich um einen isolierten Flexionsmarker handelt, der eine feste syntaktische Position hinter der linken Klammer einnimmt (was in diesem Kapitel anhand von Beispielen substantiiert wird), wird eine neue Position im Feldermodell eröffnet und als „FM“ für Flexionsmarker markiert. Dieses neue Feld ist eine Anpassung des topologischen Feldermodells an die strukturellen Eigenschaften der luxemburgischen Sprache und kann in der vorliegenden Arbeit zusätzlich helfen, die aufgeführten Beispielsätze besser darstellen zu können.

VFLKFMMFRKNF
wannsdewëlls
Tabelle 101: Die Flexionsmarker-Position (FM) im topologischen Feldermodell

1171Anhand von gezielten Beispielen aus dem Korpus werden nun Argumente aufgeführt, warum dieser Flexionsmarker im Grunde genommen weder ein Flexiv der NS-Einleitung noch ein Teil des klitischen Pronomens de ist. Zunächst soll – basierend auf den theoretischen Überlegungen von Zwicky & Pullum (1983), Nübling (1992; 1998) und Rinas (2005) – gezeigt werden, warum dieser Flexionsmarker kein Flexiv des Komplementierers sein kann.162

1172„Komplementiererflexion“ zeigt kein einheitliches Paradigma und unterliegt keiner einheitlichen Obligatorik, schließlich gibt es bloß einen obligatorischen und zwei fakultative Flexionsmarker. Handelte es sich um echte Flexion, so müssten auch andere Personen und Numeri entsprechend am Komplementierer markiert werden. Die folgende Tabelle zeigt eine Übersicht der Flexionsmarker im Zusammenhang mit einem datt-Nebensatz und dem Verb laachen ‚lachen’ für alle Personen und Numeri. Die Inversionsstellung soll dabei den zuvor erwähnten Wechsel des Stützwortes (von Verb zu NS-Einleitung) verdeutlichen.

InversionsstellungNS-StrukturFlexionsmarker
echlaach-en echdatt Ø ech laachenØ
dulaach-s dudatt s du laachss (obligatorisch)
hien/hatt/silaach-t hiendatt Ø hie laachtØ
mirlaach-e mirdatt (e) mir laachene (fakultativ)
dirlaach-t dirdatt Ø dir laachtØ
silaach-en sidatt (en) si laachenen (fakultativ)
Tabelle 102: Defektives Paradigma der NS-Einleitungen des Flexionsmarkers im Luxemburgischen

1173Das Paradigma der Flexionsmarker ist somit defektiv, was sich auch in anderen Varietäten manifestiert und zu den Grundeigenschaften dieses Phänomens gehört (vgl. Kapitel 9.1.4). Darüber hinaus wird deutlich, dass der Flexionsmarker nicht als reines Epenthese-Phänomen gewertet werden kann, da innerhalb dieses Paradigmas häufig zwei Konsonanten aufeinandertreffen, jedoch nur bei bestimmten Pronomen (du,mir,si) ein Flexionsmarker gesetzt wird (obligatorisch oder fakultativ).

1174Flexive sind außerdem sehr selektiv in Bezug auf ihre Basis, d.h. sie können nicht an beliebige Wortarten angehängt werden (vgl. Zwicky & Pullum 1983: 503; Nübling 1998: 271). Der Flexionsmarker s flektiert allerdings nicht bestimmte Wortarten, sondern positioniert sich hinter das nebensatzeinleitende Element (den Komplementierer), das wie im folgenden Beispiel auch eine Phrase sein kann (eine systematische Beschreibung findet sich unter (B)). Etwas anders verhält es sich mit dem en-Marker, denn dieser findet sich meistens nach einfachen (und meist einsilbigen) Subjunktionen und nicht nach Phrasen (vgl. Kapitel 9.1.3).

1175(322)Wéieng Foto s de solls eroplueden (Internet)
Welches Foto #s# du sollst hochladen

1176Dass Subjunktionen nicht als Wortart flektieren, zeigt auch der folgende Beleg. In Beispiel (323) finden sich zwei durch die Konjunktion an ‚und’ verbundene Subjunktionen: mat wiem a wat ‚mit wem und was’. Da der Flexionsmarker unmittelbar nach der linken Klammer stehen muss, steht das s hinter wat. Würden Subjunktionen flektieren, so müssten beide Subjunktionen einen entsprechendes Flexiv erhalten, was sie in den nicht koordinierten Kontexten in (a) und (b) auch tun. Somit löst nicht die Subjunktion das s aus, sondern die syntaktische Position sowie die Nähe zum Pronomen de ‚du’.

1177(323)dass de net méi weess [mat wiem a wat’]s de kanns schwätzen (Online-Kommentar)
dass du nicht mehr weißt mit wem und was'#s# du kannst sprechen
a) [mat wiem] s de kanns schwätzen
b) [wat] s de kanns schwätzen

VFLKFMMFRKNF
mat wiem a watsdekanns schwätzen
Tabelle 103: Nebensatz mit koordinierter NS-Einleitung und Flexionsmarker

1178Ein weiteres Argument, das gegen s als Flexiv spricht, zeigt sich bei einem Satz wie (324), denn hier findet sich ein s-Marker, der nicht mit dem Subjekt kongruiert (das Subjekt lautet hier du an ech ‚du und ich’ und das bezügliche Verb steht im Plural). In diesem Fall handelt es sich nicht um eine „lexikalische Kopie“ der Flexionsendung des Verbs ({s}≠{en}). Was dieses s auslöst, ist die Adjazenz zum Pronomen du.

1179(324)Awer wat's du an ech mengen ass net wichteg fir si (Online-Kommentar)
Aber was#s# du und ich meinen ist nicht wichtig für sie

1180In einem Nebensatz mit Flexionsmarker gelten für das Luxemburgische (wie auch für andere Sprachen, die dieses Phänomen teilen) „quite strict adjacency requirements“ (vgl. Brandner 2011: o.S.), was ich im Folgenden als „Adjazenzbedingung“ bezeichnen möchte. Zentral bei der FM-Position ist demnach, dass die du/de-Form unmittelbar auf den Flexionsmarker folgt (hierzu existieren vereinzelte Ausnahmen, auf die ich im weiteren Verlauf eingehen werde). Für den en-Marker gelten zum Teil andere Kriterien, die in Kapitel 9.1.3 näher beschrieben werden, sodass die folgenden Überlegungen primär auf den Eigenschaften des obligatorischen s-Markers beruhen.163 Die FM-Position ist dabei auch für einen entsprechenden Pluralmarker verfügbar.

1181Eine Zuordnung als Flexiv wirkt aufgrund der hier aufgeführten Erklärungen wenig plausibel. Der Flexionsmarker s erfüllt kaum eine der „typischen“ Eigenschaften von Flexiven, bis auf die Tatsache, dass es sich ursprünglich um ein reanalysiertes Verbalflexiv handelt:

1182
  • geringe Obligatorik, defektives Paradigma
  • starke Selektivität, keine einheitliche flektierende Wortklasse (u.a. kann s auch an ganze Phrasen angehängt werden, vgl. Punkt (B)).
  • Kongruenz wird nicht immer eingehalten, Adjazenz wirkt mitunter stärker als Kongruenz (wat s du an ech mengen),

1183Doch auch die Einordnung von s (bzw. sde/ste) als Klitikon ist nicht unproblematisch. Genau genommen gibt es zwei Argumente gegen eine solche Kategorisierung: Zum einen kann das auf s folgende Pronomen voll oder klitisch sein (du/de) und zum anderen können sich einzelne Partikeln zwischen s und du/de schieben, wodurch die vermeintlich klitische Einheit aufgebrochen wird (hier kommt es mitunter zu Schwankungsfällen).

1184Der s-Marker kann nicht nur mit der klitischen Variante de, sondern auch mit der vollen Form du verwendet werden.

1185(325)do, wou s [du/de] méi verdéngs
dort, wo #s# duVOLL/deKLIT mehr verdienst

1186Um dies quantitativ zu untermauern, wurden 3414 Nebensätze mit dem s-Marker (2.Pers.Sg.) ausgewertet: In 61,8 % (n= 2109) steht eine klitische Form (s de) und in 38,2 % (n=1305) eine volle (s du). Wäre s Teil eines klitischen Pronomens, wäre eine starke Form an dieser Stelle ausgeschlossen. Strukturell scheint sich der s-Marker demnach vom Personalpronomen zu lösen. Beim en-Marker zeigt sich eine noch drastischere Entwicklung, da er auch in Nebensätzen mit nominalen Subjekten (im Plural) verwendet werden kann.

1187(326)kuckt, dassen d’Loyeren erofgin (Online-Kommentar)
schaut, dass#en# die Mieten runtergehen

1188Auch der mögliche Einschub von Partikeln stellt die Klitisierung von s-Marker und Pronomen infrage und relativiert zugleich die zuvor formulierte Adjazenzbedingung (es finden sich keine entsprechenden Belege für den en-Marker). Satz (327) zeigt, dass der s-Marker trotz eingeschobener Partikel (och ‚auch’) hinter der NS-Einleitung steht, wodurch keine Adjazenz mehr besteht.

1189(327)dann wëssen mir, daats och Du no éis verlaangers. (Online-Kommentar)
dann wissen wir, dass#s# auch du nach uns verlangst
‚dann wissen wir, dass auch du dich nach uns sehnst’

1190Eigentlich wäre in einem Nebensatz ohne adjazentes du-Pronomen ein nicht realisierter Marker zu erwarten, wie bei Satz (328) und (329).

1191(328)meng fréier Aarbechtskollegen, zu deenen Ø och du geheiers. (Online-Kommentar)
meine früheren Arbeitskollegen, zu denen auch du gehörst

1192(329)eng konscht [...] dei Ø wei et schengt och du net beherrschs (Chat)
eine Kunst [..] die wie es scheint auch du nicht beherrschst

1193Dass ein Satz wie (327) dennoch möglich ist, zeigt, dass der s-Marker trotz Distanzstellung zum du-Pronomen realisiert werden kann, was das Prinzip der syntaktischen Fixierung auf die FM-Position unterstützt. Außerdem wird deutlich, dass die Adjazenz von Marker und Pronomen teilweise aufgehoben werden kann. Inwiefern Sätze wie (327) als Ausnahme oder Regelfall gelten, kann hier nicht überprüft werden, da sich im Korpus zu wenige vergleichbare Kontexte finden und auch negative Evidenz getestet werden müsste.

1194Eine eindeutige Zuordnung als Klitikon ist demnach nicht möglich, da der Flexionsmarker ebenso wenig die „typischen“ Eigenschaften von Klitika erfüllt:

1195
  • keine phonologische Reduktion bei der klitischen Einheit, mögliches Stützwort kann auch ein volles Pronomen (du) oder ein nominales Subjekt sein
  • geringe Abhängigkeit zum Stützwort, Adjazenz zum Stützwort kann durch Partikeln (Bsp. och ‚auch’) unterbrochen werden

1196Der Ursprung dieses Flexionsmarkers liegt also bei einem Verbalflexiv, das zu einem Klitikon reanalysiert und sich schließlich als Flexionsmarker an der syntaktischen Position zwischen linker Klammer und Mittelfeld verfestigt hat. Beim s-Marker handelt es sich nicht um eine morphologische Eigenschaft der NS-Einleitung, sondern um eine syntaktische Eigenschaft bestimmter Nebensätze. Neben den drei Hauptentwicklungsstufen (I-III), die zuvor beschrieben wurden, ergibt sich nun eine feinere Differenzierung von Stufe III sowie eine zusätzliche Stufe IV, die den Flexionsmarker an die Position bindet und ihn für sämtliche Nebensatzeinleitungen verfügbar macht.

1197(330)Entwicklung des Flexionsmarkers s (Stufe I-IV)
I) Verbbasis+Verbalflexiv+Pronomen kann-s|de
II) reanalysiert zu Verb+Klitikon (de>sde) kann|sde
III) Verwendung hinter einfacher Subjunktion wann|sde
IV) Verfestigung des Flexionsmarkers auf syntaktische Position mit Adjazenzbedingung (verschiedene NS-Einleitungen möglich)
ëm wéivill Auer s du/de
um wieviel Uhr #s# du

1198Dieser Marker kongruiert in Person und Numerus obligatorisch mit der 2. Person Singular und fakultativ mit der 1. und 3. Person Plural (Kapitel 9.1.3 wird zeigen, dass bei diesem Marker Stufe IV nicht durchgeführt wurde). Alle anderen Personen und Numeri zeigen keine Kongruenz. Dieses defektive Paradigma gilt allgemein als Grundeigenschaft dieses Phänomens (vgl. u.a. Hoekstra & Smits 1998; Brandner 2011).

1199Die Frage, ob es sich bei den „flektierenden“ Komplementierern um Flexion handelt, kann somit verneint werden, doch auch der Status als Klitikon konnte nicht eindeutig festgelegt werden. Sowohl Flexive als auch Klitika brauchen ein Stützwort. Der Flexionsmarker erfüllt jedoch weder die strukturellen Bedingungen eines Flexivs noch diejenigen eines Klitikons. Durch die in diesem Kontext beschriebene Adjazenzbedingung (das jeweilige Subjekt steht in den meisten Fällen unmittelbar hinter dem Flexionsmarker) liegt eine Einordnung als Klitikon allerdings näher als eine Beschreibung als Flexiv. Insgesamt handelt es sich um einen syntaktisch gebundenen Flexionsmarker, der mit dem adjazenten Subjekt in Person und Numerus kongruiert und dabei die Form eines Verbalsuffixes annimmt. Auch Nübling (1992: 118-125) geht davon aus, dass dieser Marker einen Zwischenstatus zwischen einem Flexiv und einem Klitikon darstellt (vgl. auch Nübling 2008: 262f.). Aufgrund dieser syntaktischen Bindung und dem Status zwischen Flexiv und Klitikon macht es auf der linearen Satzebene durchaus Sinn, im topologischen Feldermodell von einer isolierten Flexionsmarker-Position auszugehen. Dieser Zwischenstatus spiegelt sich auch in der orthografischen Handhabung wider, bei der <s> als isoliertes Graphem geschrieben wird, zwischen NS-Einleitung und Pronomen.

1200Da zu diesem Phänomen bereits eine international etablierte Terminologie besteht, ist eine Beschreibung als „flektierende Nebensatzeinleitung“ (inflecting complementizer) oder als „Komplementiererkongruenz“ (complementizer agreement) prinzipiell nicht falsch, trifft aber in meinen Augen nicht den Kern des Phänomens.

9.1.2 Welche Nebensatzeinleitungen können einen s-Flexionsmarker erhalten?

1201Insgesamt kann der obligatorische s-Marker nach jedem Element stehen, das einen Nebensatz einleitet: Hierzu zählen Adverbien (331), Relativpronomen (332) oder Präpositionalphrasen (mit Nomen (333) oder Pronomen (334)).

1202(331)ech weess dach, wéi gär s de d’drauwen hues (Prosa)
ich weiß doch, wie gerne #s# du die Trauben hast

1203(332)dat si Saachen, déi s de dono ni méi brauchs (Interview)
das sind Sachen, die #s# du danach nie mehr brauchst

1204(333)ech war just net sëcher vu wéienger Regel s de schwätze giffs (Internet)
ich war mir bloß nicht sicher von welcher Regel #s# du sprechen würdest

1205(334)Dat Buch, op dat’s de referéiers (Online-Kommentar)
das Buch, auf das’#s# du referierst

1206Hier wird erneut deutlich, dass nicht eine bestimmte Wortart flektiert, sondern der Flexionsmarker eine feste syntaktische Position hat. Die Wortart, die sich linear vor dem Flexionsmarker befindet, muss demnach nicht immer eine Subjunktion sein.

VFLKFMMFRKNF
wéi gärsde d’Drauwenhues
déisde dono ni méibrauchs
vu wéienger Regelsdeschwätze giffs
op datsdereferéiers
Tabelle 104: Flexionsmarker mit unterschiedlichen NS-Einleitungen

1207Da der s-Marker an die syntaktische Position gebunden ist, kann er auch an entlehnte Nebensatzeinleitungen angehängt werden, wie Satz (335) zeigt. Hier wird das Fragepronomen why ‚warum’ aus dem Englischen entlehnt (in einem Chatgespräch, das häufig jugendsprachlich geprägt ist, sind solche Entlehnungen nicht ungewöhnlich) und der Flexionsmarker positioniert sich unmittelbar zwischen why und dem klitischen Subjektpronomen de.

1208(335)why s de midd bass (Chat)
warum/why #s# du müde bist

1209Neben dieser allgemeinen Regel sollen in diesem Kapitel weitere strukturelle Besonderheiten des s-Markers mit Beispielen erläutert werden: Komparativellipsen (mit einem und zwei Pronomen), Koordinationsellipsen (mit getilgter NS-Einleitung) sowie das Auslassen des s-Markers bei lautlicher Überschneidung.

1210Elliptische Vergleichssätze (Typ: wie du) erhalten einen obligatorischen s-Marker, wie der folgende Satz zeigt. In diesen Fällen muss immer das volle Pronomen du verwendet werden (vgl. Kapitel 6 zur Verteilung der Pronomen).

1211(336)Deen huet déiselwecht Zëmmerplanze wéi s du. (Prosa)
der hat dieselben Zimmerpflanzen wie #s# du

1212Komparativellipsen dienen im Allgemeinen dazu, Wiederholungen wie die folgende zu vermeiden: ‚der hat dieselben Zimmerpflanzen wie du (sie hast)’. Im Luxemburgischen sorgt die Adjazenz zum du-Pronomen allerdings dafür, dass der s-Marker gesetzt werden muss, selbst wenn das Verb und andere Satzteile im Nebensatz getilgt wurden. Auch wenn Brandner (2011) davon ausgeht, dass Komplementiererflexion nicht in elliptischen Vergleichssätzen vorkommen kann, so zeigen doch zahlreiche luxemburgische Belege, dass ein Flexionsmarker in diesen Fällen obligatorisch ist (*wéi du).

1213Erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang auch elliptische Vergleichssätze mit den beiden koordinierten Pronomen du (2.Pers.Sg.) und ech (1.Pers.Sg.), da es bei komparativen Teilsätzen wie wéi (s) du an ech ‚wie du und ich’ zu Schwankungsfällen kommen kann. In den 25 Belegen im Korpus weisen 5 Belege einen s-Marker auf (wéi s du an ech), 20 hingegen bleiben unflektiert (wéi du an ech). Hier kollidiert offenbar die Adjazenzbedingung von s und du/de mit der Kongruenz des Flexionsmarkers, schließlich lautet das grammatische Subjekt in dieser Konstruktion nicht du, sondern du an ech ‚du und ich’, wodurch das Subjekt die 1. Person Plural bildet und demnach kein s auslöst. Diese Kollision spiegelt sich in der Unsicherheit der Sprecher wider, was in diesem Fall zu einer optionalen Verwendung des Flexionsmarkers führt.

1214(337)mee leider sin sou Leit (wéis du an ech) hei am Land zimlech rar geséint. (Online-Kommentar)
aber leider sind so Leute (wie#s# du und ich) hier im Land ziemlich rar gesät

1215Der s-Marker wird auch bei Koordinationsellipsen verwendet, d.h. bei koordinierten Nebensätzen bleibt das s stehen, selbst wenn die Subjunktion nicht realisiert wird.

1216(338)wellsde alles 2 mol geschriwwen hues ansde 2 mol gewarnt gin bass (Chat)
weil#s#du alles 2 mal geschrieben hast und#s#du 2 mal gewarnt worden bist

1217An der Satzoberfläche könnte hier der Eindruck entstehen, dass die Konjunktion an ‚und’ flektiert. In der Tiefenstruktur handelt es sich allerdings um die durch Koordinationsellipse ausgelassene Subjunktion well ‚weil’. Im topologischen Feldermodell wird deutlich, dass die FM-Position auch bei elliptischer Subjunktion mit dem s-Marker belegt werden muss (ein Auslassen wäre hier ungrammatisch).

VFLKFMMFRKNF
wellsde alles 2 molgeschriwwen hues
anØsde 2 molgewarnt gin bass
Tabelle 105: Flexionsmarker bei einer Koordinationsellipse

1218Allein aus orthografischer Perspektive liegt für den s-Flexionsmarker eine Einschränkung vor. Endet die Nebensatzeinleitung auf <s>, <x> oder <z>, so wird kein zusätzliches s eingesetzt. Die folgenden Beispiele illustrieren zwei entsprechende Kontexte: In (339) findet sich das Nomen Holz und bei (340) die Subjunktion dass. Durch den Auslaut [ts] bei Holz sowie [s] bei dass wird der s-Marker nicht realisiert.164

1219(339)wéi vill Holz(=s) de verbrenns (wiss.Arbeit)
wie viel Holz du verbrennst

1220(340)merci dass(=s) de dat lo gesot hues (Chat)
danke dass du das jetzt gesagt hast

VFLKFMMFRKNF
wéivill Holz(=s)deverbrenns
dass(=s)de dat elogesot hues
Tabelle 106: Lautliche Überschneidungen beim s-Marker

1221Interessant ist auch die Tatsache, dass dieses s nicht der im Luxemburgischen fest etablierten n-Regel unterliegt. Diese phonologische Regel besagt, dass [n] im Silbenauslaut vor [s] ausfällt.

1222(341)wa siwe Leit matkéimen (*wann siwen)
wenn sieben Leute mitkämen

1223Diese Regel greift allerdings nicht beim s-Marker, was bedeutet, dass beim s-Marker dieselben phonologischen Regeln wie bei einem Flexionssuffix angewendet werden, wie der Vergleich in (342) zeigt. Diese Beobachtung ändert jedoch nichts an der terminologischen Diskussion und soll nur als weiteres strukturelles Merkmal dienen.

1224(342)kanns de // wann s de (*wa s de)
kannst du // wenn #s# du

1225In der folgenden Tabelle werden die Belege nun systematisch nach Wortgruppen eingeteilt, um ein Gesamtbild des obligatorischen s-Flexionsmarkers bei der Nebensatzeinleitung zu erhalten. Subjunktionen, Relativpronomen, Relativpartikeln, Vergleichspartikeln sowie Fragepronomen können dabei Nebensätze einleiten. Andere Wortarten wie Adverbien, Adjektive, Präpositional- und Nominalphrasen müssen mit einem w-Wort (wéi, wéi eng ‚wie’, ‚welche’) kombiniert werden, um in der linken Klammer eines Nebensatzes stehen zu können.

NS-einleitendes ElementBeispiel
Subjunktion[ob]
[wéini]
s de wëlls oder net165
s de kënns
Relativpronomen

Relativpartikel
[déi]
[deenen]
[wou]
s de geléint hues
s du wichteg bass
s de ëmmer nees ee kenns
Vergleichspartikel
(auch elliptisch)
[wéi]
[wéi]
s du agestallt bass
s du
Fragepronomen[wien]
[wien och ëmmer]
s de politesch bass
s de domat mengs
w-Wort +Adverb[wéi gär]s de d’Drauwen hues
Adjektiv[wéi schnell]s de ënnerwee bass
Präp.-Phrase[mat wéi engem Programm]
[a wéi enger Regioun]
s de d’Foto gespäichert has
s de dech beweegs
Nominal-Phrase[wat fir eng Bicher]s de lies
Tabelle 107: Nebensatzeinleitungstypen mit dem Flexionsmarker s (2. Pers.Sg.)

9.1.3 Der fakultative en-Marker der 1. und 3. Person Plural

1226Im Luxemburgischen gibt es nicht nur den Flexionsmarker s in Nebensätzen, bei denen die 2. Person Singular das Subjekt bildet, sondern auch en, wenn das Subjekt in der 1. oder 3. Person Plural steht. (343) zeigt ein Beispiel mit dem Subjektpronomen mer ‚wir’ (1.Pers.Pl.) und in Satz (344) lautet das Subjekt se ‚sie’ (3.Pers.Pl.). In beiden Fällen steht der Flexionsmarker en bzw. e nach der Nebensatzeinleitung.

1227(343)alderem eppes méi wat e mer net brauchen (Online-Kommentar)
wieder=einmal etwas mehr was #e# wir nicht brauchen

1228(344)se kinnten maachen, wat en se wëllen (Online-Kommentar)
sie könnten machen, was #en# sie wollen

1229Dieses Kapitel soll vier zentrale Eigenschaften des en-Markers beschreiben:

1230
  • die Form des Markers (en vs.e)
  • die verfügbaren Nebensatzeinleitungen, an die er angehängt werden kann
  • die Verwendung mit nicht pronominalen Subjekten und
  • der fakultative Gebrauch und mögliche Homonymien des en-Markers.

1231Das bewegliche n des en-Markers

1232Der Flexionsmarker für die 1. und 3. Person Plural äußert sich je nach phonologischem Kontext als en oder bei applizierter n-Regel166 als e. Bei der 1. Person Plural (mir/mer) lautet das Flexiv aufgrund der n-Regel e, da [n] vor [m] entfällt (vgl. (343)).167 Ein Flexionsmarker, der nur aus einem Schwa besteht, hat eine stark reduzierte phonologische Substanz, was eine mögliche Erklärung dafür sein könnte, warum sich in den Daten keine e-Flexionsmarker hinter NS-Einleitungen findet, die einen Vokal oder Diphthong im Auslaut tragen wie das temporale w-Pronomen wou ‚wo’.168

1233(345)an der vakanz wou Ø mer op metz waren (Chat)
in dem urlaub wo Ø wir nach metz waren
?an der Vakanz wou e mer op Metz waren

1234Bei der 3. Person Plural (si/se) lautet der Flexionsmarker en. Die n-Regel sieht vor, dass [n] im Auslaut vor [s] ausfällt. Als Ausnahme gelten jedoch Personal- und Reflexivpronomen mit [s] im Anlaut: si, se und sech, d.h. vor einem Pronomen mit initialem s kann ein n im Auslaut optional realisiert werden. Obwohl das [n] des Flexionsmarkers en vor dem Pronomen si/se (3.Pers.Pl.) optional ist, finden sich im Korpus keine Belege mit angewandter n-Regel, sodass der Marker vor si/se immer als en realisiert wird.

1235(346)dassen se Geld ausgin fir eng Hochzeit (Online-Kommentar)
dass#en# sie Geld ausgeben für eine Hochzeit

1236Verfügbare Nebensatzeinleitungen für den en-Flexionsmarker

1237Im Gegensatz zum s-Marker, der eine feste syntaktische Position inne hat und an sämtliche nebensatzeinleitende Elemente angehängt werden kann, ist der en-Marker deutlich selektiver in Bezug auf die NS-Einleitungen. Diese stärkere Selektivität könnte ein Indiz dafür sein, dass er sich im Gegensatz zum s-Marker eher wie ein Flexiv verhält (vgl. Zwicky & Pullum 1983: 503; Nübling 1998: 271). Aus den vorläufigen Beobachtungen der extrahierten Korpusbelege geht hervor, dass vor allem kurze, meist einsilbige Nebensatzeinleitungen in Kombination mit dem Flexionsmarker en auftreten (durch die Fakultativität ergeben sich deutlich weniger Belege als für den s-Marker). Dabei handelt es sich meistens um kurze w-Wörter und Subjunktionen. Die Beispiele (347) und (348) zeigen den Flexionsmarker im Zusammenhang mit der 1. Person Plural. Hier steht das e-Flexiv nach den Subjunktionen well ‚weil’ und dass ‚dass’. Dass (und die Variante datt) stellen dabei den häufigsten Typ dar.

1238(347)well e mer an enger 'Utopie' liewen (Online-Kommentar)
weil #e# wir in einer Utopie leben

1239(348)dass e mer alleguer Pflichten an Rechter vis-à-vis vum Staat hun (Online-Kommentar)
dass #e# wir alle Pflichten und Rechte gegenüber vom Staat haben

1240Daneben finden sich auch mit dass/datt zusammengesetzte Subjunktionen, wie zum Beispiel fir dass/fir datt ‚für dass’ (=damit).

1241(349)fir dasse mer och sulues weider kommen (Internet)
für dass#e# wir auch so=langsam weiter kommen

1242Der en-Marker der 3. Person Plural steht ebenfalls in den meisten Fällen nach einsilbigen Nebensatzeinleitungen, wie etwa hinter dem w-Pronomen wat ‚was’ (in (350) in der Rolle als Relativpronomen).

1243(350)wat en se jo gewinnt sin (Online-Kommentar)
was #en# sie ja gewohnt sind

1244In diesem Fall finden sich auch NS-Einleitungen, die auf einen Vokal bzw. Diphthong auslauten (wie etwa wou ‚wo’).

1245(351)wou'en se sollen sin (Online-Kommentar)
wou'#en# sie sollen sein

1246Ein Beispiel für den Gebrauch des Markers in einer Vergleichsellipse liegt nicht vor und wird auch von den sechs informell befragten Sprecherinnen abgelehnt (*besser wéi en si ‚besser als sie’). Auch der Einschub von Partikeln vor dem Subjekt (Typ: datt en och si ‚dass #en# auch sie’) konnte nicht im Korpus nachgewiesen werden. Der Einsatz des en-Markers vor och si ‚auch sie’ wird allerdings von allen befragten Sprecherinnen als akzeptabel bewertet.

1247Kongruenz mit nicht pronominalen Satzgliedern

1248Eine weitere Besonderheit des Flexionsmarkers der 3. Person Plural ist die Tatsache, dass das Subjekt auch ein nominales Satzglied sein kann und dennoch ein en-Marker verwendet wird. In den Daten finden sich zahlreiche Beispiele mit indefiniten und definiten nicht pronominalen Subjekten in Kombination mit dem Flexionsmarker.

1249(352)fir dassen eis Politiker gutt do stinn (Online-Kommentar)
für dass#en# unsere Politiker gut da stehen

1250(353)Datten di Jongen emmer Beweiser brauchen (Chat)
dass#en# die Jungs immer Beweise brauchen

1251Dies macht deutlich, dass der Pluralmarker en im Gegensatz zum Singularmarker s keiner Adjazenzbedingung des jeweiligen Pronomens unterliegt. Dazu sollte allerdings erwähnt werden, dass allein Pronomen der 3. Person über die Möglichkeit verfügen, einen nominalen Referenten zu haben (da diese Pronomen referentiell sind, die Pronomen der 1. und 2. Person hingegen deiktisch, vgl. Kapitel 6.2). Demnach können überhaupt keine nominalen Subjekte für den s-Marker zur Verfügung stehen. Dennoch zeigt der Gebrauch des en-Markers mit Substantiven, dass sich die ehemalige klitische Einheit (ense) auflösen und der en-Marker isoliert werden kann.

1252Die Entwicklung des Flexionsmarkers en verläuft demzufolge ähnlich wie bei der 2. Person Singular (vgl. (330)), wobei sich hier zunächst nur drei Stufen abzeichnen.

1253(354)Entwicklung des Flexionsmarkers en
I) Verbbasis+Verbalflexiv+Pronomen kënn-en|se
II) reanalysiert zu Verb+Klitikon (se>ense) kënn|ense
III) Verwendung hinter einfacher Subjunktion datt|ense

1254Der Flexionsmarker der 1. und 3. Person Plural verhält sich in drei Punkten anders als bei der 2. Person Singular: Erstens ist der en-Marker fakultativ. Zweitens ist der Pluralmarker sehr selektiv in Bezug auf den Komplementierer: Er kann sich nur hinter einfache Subjunktionen und nicht hinter Phrasen positionieren. Drittens können auch nicht pronominale Subjekte kongruieren, d.h., dass es bei der 3. Person Plural kein adjazentes Personalpronomen geben muss.

1255Fakultative Verwendung und mögliche Homonymien

1256Eine große methodische Hürde stellen in dieser Analyse die Optionalität und mögliche Homonymien des en-Markers dar. Die Beschaffenheit des Korpus und die Fakultativität des Markers ermöglichen es leider nicht, den restriktiven Gebrauch systematisch zu untersuchen. Das Hauptproblem ist sind zudem Homonymien mit anderen Pronomen. Einerseits ist die Form des Flexionsmarkers en gleichlautend mit dem schwachen Personalpronomen en (3.Pers.Sg.Mask.), zumal beide in Nebensätzen an der gleichen Position auftreten (vgl. (355)), nämlich unmittelbar nach der NS-Einleitung (das Pronomen als Subjekt und der Marker an der FM-Position). Andererseits sind die Personalpronomen mir/mer (1.Pers.Pl.Nom./Akk.) und si/se homonym zu Dativ- oder Akkusativobjekten im Pronominalparadigma. Demnach entspricht mir/mer auch einem Dativpronomen der 1.Person Singular und si/se könnte auch ein Akkusativpronomen darstellen. Die folgenden beiden Beispiele sollen dies verdeutlichen. Satz (a) zeigt jeweils einen Satz mit einfachen Personalpronomen, Satz (b) hingegen einen gleichlautenden Satzanfang mit einem Flexionsmarker. Allein die Verbflexion (Singular oder Plural) gibt Auskunft über die Lesart des Satzes.169

1257(355)a) dass e mer hëlleft
dass er mir hilft
b) dass e mer hëllefen
dass #e# wir helfen

1258(356)a) dass en se siche geet
dass er sie suchen geht
b) dass en se siche ginn
dass #en# sie suchen gehen

1259Für die Analyse bedeutet dies, dass eine Korpussuchanfrage des Typs dass e mer eine Vielzahl an unpassenden Kontexten liefert, die ohne technische Hilfsmittel (wie zum Beispiel ein Annotationsprogramm) kaum händelbar sind (vgl. dazu Kapitel 3.2). Durch die Optionalität des Markers und die allgemein geringe Anzahl an Belegen mit Flexionsmarkern im Plural können somit keine gezielten Analysen durchgeführt werden.

1260Die einzige Aussage, die in Bezug auf die Variation des en-Markers getroffen werden kann, ist die Intra-Sprecher-Variation des Phänomens. Der folgende Beleg zeigt, dass derselbe Sprecher innerhalb eines Satzes den en-Marker im ersten Teilsatz setzt und im anschließenden Nebensatz auslässt (bei einer identischen Subjunktion dass).

1261(357)dassen verschieden leit faerten dass Ø se keinten verletzt gin (Online-Kommentar)
dass#en# verschiedene Leute fürchten dass Ø die könnten verletzt werden

1262Das vorliegende Kapitel sollte einen ersten Einblick in den fakultativen Gebrauch der Flexionsmarker der 1. und 3. Person Plural liefern. Aufgrund methodischer Hürden konnten keine umfassenden Daten wie beim obligatorischen s-Marker präsentiert werden. Auf diesen ersten Erkenntnissen basierend könnten jedoch weitere Tests (Bewertungs- oder Produktionstests) ausgearbeitet werden, um mehr über die Systematik und die Optionalität des en-Markers zu erfahren.

9.1.4 Komplementiererkongruenz in westgermanischen Varietäten

1263Abschließend soll noch kurz ein Blick über das Luxemburgische hinaus geworfen werden, denn auch deutsche und niederländische Varietäten verfügen über kongruierende Komplementierer. Die Terminologie (Flexiv, Klitikon) ist für die deutschen Dialekte kontrovers diskutiert worden (zur Diskussion vgl. Rinas 2005), schließlich richtet sich der Terminus auch nach den strukturellen Ausprägungen des Phänomens in den jeweiligen Varietäten. Ich möchte bei dieser kurzen vergleichenden Darstellung bei der hier verwendeten Terminologie der Flexionsmarker bleiben, auch wenn dies unter Umständen den Einzelsprachen nicht gerecht wird.

1264Flexionsmarker stellen im Allgemeinen eine typologische Rarität dar. Zudem sind sie weder für das Standarddeutsche noch für das Standardniederländische belegt, d.h. es handelt sich um ein dialektales Strukturmerkmal (vgl. Barbiers et al. 2008a: 12). Für das deutsche Sprachgebiet liegt leider keine Studie vor, welche die areale Verteilung des Phänomens genauer untersucht. Bedauerlicherweise findet sich auch kein Wenkersatz mit passendem syntaktischen Kontext für einen Flexionsmarker.

1265Weiß (2005) zeigt anhand von Einzelbeschreibungen aus der Forschung und Dialektgrammatiken, in welchen Dialektgebieten Flexionsmarker belegt sind. In seiner stichprobenhaften Untersuchung findet er für das deutsche Sprachgebiet Belege aus dem Westfälischen, Niederfränkischen, Obersächsischen, Thüringischen, Ostfränkischen sowie aus dem Nord- und Mittelbairischen (vgl. Weiß 2005), sodass sich nur ansatzweise Isoglossen erstellen lassen (vornehmlich im mittleren Teil Deutschlands mit westlichen Ausläufern Richtung Österreich und Niederlande). Für den niederländischen Sprachraum zeigen Barbiers et al. (2005a) in ihrem umfangreichen syntaktischen Atlas (SAND), dass complementizer agreement in vielen Dialektgebieten vorkommt, wobei die Ausprägungen jeweils variieren können in Bezug auf Person-Numerus-Kongruenz und in Bezug auf die Obligatorik. Bei der so genannten „Synthese-Karte“ (Barbiers et al. 2005a: 19) sowie in der Darstellung von De Vogelaer et al. (2006) zeigt sich, dass der südliche Kern des Sprachgebiets (ein breiter Streifen von Utrecht bis Vlaams-Brabant) sowie die Region Drenthe keine Flexionsmarker im Nebensatz aufweisen. Die direkt angrenzenden Gebiete zeigen optionale Marker und die obligatorischen Marker zeigen sich vor allem am „Rand“ des Gebiets, genauer in Flandern, Belgisch Limburg sowie in Groningen, einem Teil von Friesland und im östlichen Teil von Overijssel. Wie man auf der Karte von de Vogelaer et al. (2006: 215) erkennen kann, liegen für manche Gebiete auch komplette Paradigmen für den Flexionsmarker vor (volledig paradigma). Viele Gebiete zeigen allerdings nur den Flexionsmarker für die 2. Person Singular (2enk.st(e)) und sind somit paradigmatisch defektiv.170

../Desktop/Screen%20Shot%202017-01-19%20at%2019.02.18.png
Abbildung 13: vollständige und defektive Paradigmen bei den niederländischen Flexionsmarkern (Karte nach De Vogelaer et al. 2006: 215)

1266Nachdem die areale Verteilung beschrieben wurde, gilt die Aufmerksamkeit nun den strukturellen Eigenschaften der Flexionsmarker in den jeweiligen Dialekten. Viele der zuvor für das Luxemburgische gezeigten Einzelausprägungen der Flexionsmarker finden sich auch in anderen Varietäten. Vor allem aus der Perspektive der generativen Grammatik wurde in den vergangenen Jahrzehnten viel Forschungsarbeit zu den Flexionsmarkern im Bairischen geleistet (vgl. u.a. Bayer 1984; Weiß 1998; Fuß 2014). Das Bairische zeigt Kongruenz bei der NS-Einleitung für die 2. Person Singular (vgl. (358)) und für alle Pluralformen (vgl. 2.Pers.Pl. in (359)) (vgl. Bayer 1984: 237).

1267(358)ob-st no Minga kumm-st (Bayer 1984: 240)
ob#st# nach München kommst

1268Da Bairisch pro-drop aufweist und Subjektpronomen demnach ausgelassen werden können, sind auch kurze Konstruktionen wie wennsd mogsd möglich, was im Luxemburgischen nicht zulässig ist.171 Im Bairischen kann der Flexionsmarker auch an nebensatzeinleitende Phrasen angehängt werden, wie der folgende Beleg zeigt.

1269(359)wia schnäi-ts ihr fahr-ts (Bayer 1984: 235)
wie schnell-#ts# ihr fahr-t

1270Ein weiterer Unterschied zwischen den luxemburgischen und den deutschen Markern ist allerdings, dass der luxemburgische s-Marker auch in elliptischen Vergleichssätzen verwendet werden kann. Belege aus dem Bairischen liefert in diesem Fall Bayer (1984; 2013). Demnach werden diese Ellipsen ungrammatisch, sobald ein entsprechender Flexionsmarker eingefügt wird.

1271(360)a) D’Resl is gresser [als wia-Ø du Ø] (Bayer 1984: 269)
b) *D’Resl is gresser [als wia-st du Ø] (ebd.)
*Die Resl ist größer als wie-#st# du Ø

1272Ist das finite Verb allerdings realisiert, muss der s-Marker erneut eingesetzt werden.

1273(361)D’Resl is gresser [als wia-st du bist] (ebd.)

1274Im Luxemburgischen hingegen ist der Flexionsmarker in einer Komparativellipse bei der 2. Person Singular obligatorisch: wéi s du (*wéi du).

1275Neben dem Bairischen finden sich auch Beispiele aus dem Nieder- (362) und Ostfränkischen (363) (Mühlheim an der Ruhr und Coburg) (vgl. Weiß 2005: 150f.).

1276(362)datste (Maurmann 1898: 68, zit. nach Weiß 2005: 150)
dass#s#du

1277(363)wailn-me / wailn-sa (Rowley 1994, zit. nach Weiß 2005: 151)
weil#n#-wir / weil#n#-sie

1278In der Belegsammlung bei Weiß (2005: 151) wird die allgemeine paradigmatische Defektivität dieser „Flexion“ deutlich: der s(t)-Marker der 2. Person Singular in den betroffenen Dialekten stets zum Grundinventar der Komplementiererflexion gehört, was Weiß (2005: 149) als „minimal form of the phenomenon“ bezeichnet. Auch Pluralformen kongruieren häufig mit dem Subjekt. Dabei fällt auf, dass der niederfränkische Dialekt von Mühlheim nur einen Flexionsmarker für die 2. Person Singular aufweist. Als moselfränkische Varietät zeigt das Luxemburgische zusätzlich einen Marker für die 1. und 3. Person Plural und im Ostfränkischen ist zudem ein t-Marker für die 2. Person Plural belegt (vgl. Weiß 2005: 151). Es gibt allerdings eine phonologische Erklärung, weshalb das Luxemburgische keinen t-Marker für die 2. Person Plural kennt: Ein solcher t-Marker ist im Luxemburgischen nicht zu erwarten, da das entsprechende Pronomen hier dir/der lautet und bereits durch den reanalysierten Plosiv in Inversionsstellung (laacht|er > laacht|der ‚lacht ihr’) keine zusätzliche Markierung durch einen Plosiv benötigt, da der Plosiv bereits zum Pronomen gehört (well der ‚weil ihr’). Im Ostfränkischen hingegen lautet das klitische Pronomen ë, eine Form ohne Plosiv im Anlaut, sodass hier die Verbalendung als Flexionsmarker zwischen Subjunktion und Pronomen gestellt werden kann: wailt-ë ‚weil#t#-ihr’ (Beleg nach Rowley 1994, zit. nach Weiß 2005: 151).

1279Eine ausführliche Beschreibung der Flexionsmarker der niederländischen Dialekte liefern Zwart (1993) sowie Hoekstra & Smits (1998). An dieser Stelle werden allerdings nur einzelne exemplarische Belege gezeigt. Wie bereits in der Karte von De Vogelaer et al. (2006) ersichtlich wurde, dominieren im Niederländischen die Flexionsmarker der 2. Person Singular (Beleg aus Groningen).

1280(364)of-s toe koms (Zwart 1993: 153)
ob-#s# du kommst

1281Darüber hinaus ist der Pluralmarker für die 3. Person Plural (n) wie im Luxemburgischen auch mit nicht pronominalen Subjekten möglich (vgl. Barbiers et al. 2008a: 12).

1282(365)Hij gelooft dan Bart en Peter sterker zijn as Geert en Jan.
Er glaubt dass#n# Bart und Peter stärker sind als Gert und Jan.

1283Interessant ist auch ein Beleg von van Koppen (2005: 63) aus der Provinz Limburg (Waubach), der zeigt, dass auch im Niederländischen die Adjazenzbedingung zum Pronomen der 2. Person Singular zum Flexionsmarker einen größeren Einfluss ausübt als die tatsächliche Kongruenz mit dem grammatischen Subjekt. Im folgenden Beleg gibt es demnach keine „Kongruenz“ zwischen NS-Einleitung und Verb, sodass der s-Marker allein durch die Nähe zum doe-Pronomen ausgelöst wird. Dies wurde auch in den luxemburgischen Belegen mit der Konstruktion mit koordinierten Pronomen (wéi s du an ech) gezeigt.

1284(366)de-s doe en Marie uch ken-t (Van Koppen 2005: 63)
dass-#s# du und Marie euch kenn-t

1285Ziel dieses Übersichtskapitels war es, das Phänomen der Flexionsmarker in seiner arealen Verteilung sowie in seinen strukturellen Ausprägungen etwas besser verstehen zu können. Aus arealer Perspektive wurde deutlich, dass sich das Gebiet etwa von den Niederlanden in einem breiten Streifen über Luxemburg bis nach Bayern zieht. Leider fehlen für viele deutsche Dialekte umfassende Beschreibungen, um die Arealität hier noch deutlicher herausarbeiten zu können. Aus struktureller Sicht konnte gezeigt werden, dass viele Eigenschaften des luxemburgischen Flexionsmarkers auch in anderen westgermanischen Varietäten zu finden sind. Hierzu gehören beispielsweise die Defektivität des Paradigmas sowie die Adjazenzbedingung zum Subjekt.

9.2 Erweiterung der Nebensatzeinleitung mit dass/datt (doubly filled complementizer)

1286Im Luxemburgischen finden sich häufig Nebensätze, in denen die Nebensatzeinleitung wie in (367) durch dass/datt erweitert wird.

1287(367)ech froe mech effektiv, wéini datt dat soll sinn (Politik)
ich frage mich tatsächlich, wann dass das soll sein

1288Der temporale Nebensatz wird an dieser Stelle nicht nur durch das Interrogativpronomen wéini ‚wann’, sondern zusätzlich durch die Subjunktion datt eingeleitet, sodass die linke Klammer bzw. die Komplementiererposition im Nebensatz doppelt belegt ist. Aus diesem Grund wird dieses Phänomen in der Forschung als doubly filled complementizer (DFC) bezeichnet. Veranschaulicht wird die Position von dass/datt durch ein DFC-Sonderfeld zwischen der eigentlichen linken Klammer und dem Mittelfeld. Auch hier wird das grundlegende Modell der topologischen Felder auf die strukturellen Bedürfnisse des luxemburgischen Nebensatzes angepasst. Auf die Vereinbarkeit mit der zuvor begründeten Flexionsmarker-Position (vgl. Kapitel 9.1) sowie auf die allgemeinen Anforderungen an dieses Modell möchte ich am Ende dieses Kapitels noch einmal zurückkommen.

VFLKDFCMFRKNF
wéinidattdatsoll sinn
Tabelle 108: Die DFC-Position im topologischen Feldermodell

1289Diesem doubly filled complementizer (DFC) wurde vor allem innerhalb der generativen Grammatik in den letzten Jahren Aufmerksamkeit gewidmet, wobei in erster Linie oberdeutsche Dialekte beschrieben wurden (vgl. u.a. Bayer & Brandner 2008a; 2008b; Weiß 1998). In luxemburgischen Grammatiken wird dieses Phänomen allein bei Schanen & Zimmer (2012: 188f.) als ergänzender subjoncteur ‚Subjunktor’ bei bestimmten Wortarten172 erwähnt.

1290(368)Mir waarden, bis [datt] e waakreg gëtt. (Schanen & Zimmer 2012: 189)
Wir warten, bis dass e wach wird.

1291In Bruchs (1955: 91) Grammatik findet sich nur ein Beispielsatz, in dem es eigentlich nicht um die dass/datt-Erweiterung, sondern um die Verwendung von zusammengesetzten Verbformen geht. Die Klammersetzung bei Bruch (1955) zeigt allerdings, dass es sich bei der dass/datt-Ergänzung um ein optionales Phänomen handelt.

1292(369)Ech wéisst gär, wéini (dass) d’Sonn haut ënnergeet. (Bruch 1955: 91)
Ich wüsste gerne, wann (dass) die Sonne heute untergeht.

1293Aus Bruch (1955) und Schanen & Zimmer (2012) geht demnach nur hervor, dass es sich bei datt/dass um eine optionale, erweiternde Nebensatzeinleitung handelt.

1294Dieses Kapitel soll mehr Informationen zu Vorkommen und Variation der doppelten Nebensatzeinleitungen im Luxemburgischen liefern. Auch hier dient das Gesamtkorpus als empirische Grundlage, um einen ersten Überblick zu den zentralen Eigenschaften dieses Phänomens zu erhalten. Dabei werden drei Aspekte des DFC näher betrachtet: die Distribution von dass/datt bei interrogativen Nebensätzen (Kapitel 9.2.1), die Eigenschaften der angehängten Subjunktion dass/datt (Kapitel 9.2.2) sowie andere Typen der Doppelbesetzung in der linken Klammer im Nebensatz, genauer die doppelte Relativsatzeinleitung mit Pronomen und wou ‚wo’ (Kapitel 9.2.3). Das letzte Kapitel (9.2.4) wird die luxemburgischen Ergebnisse mit anderen westgermanischen Varietäten vergleichen, für die solche Doppelbesetzungen ebenfalls belegt sind.

9.2.1 Distribution von dass/datt bei eingebetteten Interrogativsätzen

1295Insgesamt finden sich drei Grundtypen von Interrogativa, die für eine Erweiterung mit dass/datt im Nebensatz infrage kommen: einfache, präpositionale und phrasale Interrogativa. Zu den verfügbaren Interrogativa gehören erstens die ‚einfachen’ Interrogativpronomen wie wien ‚wer/wen’, wat ‚was’ oder wéisou ‚wieso’. Eine Erweiterung durch dass/datt ist in all diesen syntaktischen Kontexten stets fakultativ.

1296(370)egal wien datt et ass (Politik)
egal wer dass es ist

1297(371)Dann könnt dir ausrechnen waat dass na fir den Bauer an Molkerei iwwreg bleift (Online-Kommentar)
dann könnt ihr ausrechnen was dass noch für den Bauern und Molkerei übrig bleibt

1298(372)Hien huet och hei erkläert, wéisou datt dat ensteet (Politik)
Er hat auch hier erklärt, wieso dass das entsteht

1299Zweitens können diese w-Pronomen von einer Präposition begleitet werden. In den vorliegenden Daten treten Kombinationen von Präposition+w-Pronomen (Typ: op wat datt ‚auf was dass’) häufiger auf als interrogative Präpositionaladverbien, also wou(r)+Präposition (Typ: wourobber dass ‚worauf dass’).

1300(373)ëm wat datt et geet (Politik)
um was dass es geht

1301(374)Dir wësst dach guer net vu wat datt der schwätzt (Online-Kommentar)
ihr wisst doch gar nicht von was dass ihr sprecht

1302(375)wourëm datt et geet (Politik)
wourum dass es geht

1303(376)Mir wëssen och net, wouriwwer datt do diskutéiert gëtt (interview)
wir wissen auch nicht, worüber dass da diskutiert wird

1304Zum dritten und letzten Typ der interrogativen Nebensatzeinleitung gehören einerseits Kombinationen mit der Vergleichspartikel wéi ‚wie’ und einem Adjektiv (vgl. (377)) sowie nebensatzeinleitende Phrasen mit interrogativen Artikeln, die ich an dieser Stelle als „interrogative Phrasen“ bzw. „phrasale Interrogativa“ zusammenfassen möchte. Zu den interrogativen Artikeln zählen unter anderem wat fir ‚was für’, wéi eng/wéi een ‚welche’, wéi vill ‚wie viel(e)’ und welch/wellech ‚welche’. Auch diese Phrasen können optional durch dass/datt erweitert werden.

1305(377)wéi al dass de Bam ass (Politik)
wie alt dass der Baum ist

1306(378)wat fir Leit, dass dat sinn, déi dat maachen (Politik)
was für Leute, dass das sind, die das machen

1307(379)Wéi vill Affer dass et ginn, ass nach net gewosst. (Online-News)
Wie viele Opfer dass es werden, ist noch nicht gewusst.

1308Manche dieser interrogativen Phrasen können zusätzlich von einer Präposition regiert werden wie in den folgenden Sätzen.

1309(380)Ëm wéi eng Drogen dass et sech gehandelt huet (Online-News)
um welche Drogen dass es sich gehandelt hat

1310(381)ënner wat fir Conditiounen datt d’Leit do musse liewen (Interview)
unter was für Bedingungen dass die Leute dort müssen leben

1311(382)wëssen a welch Richtung dass et geet (Politik)
wissen in welche Richtung dass es geht

1312Die einfachen, präpositionalen und phrasalen Interrogativa belegen jeweils die linke Klammer im Nebensatz. Auf linearer Ebene kann nun ein zweiter Komplementierer (dass/datt) eingefügt werden, der in der zuvor beschriebenen DFC-Position steht.

VFLKDFCMFRKNF
wéisoudass/dattdatentsteet
vu watdass/dattderschwätzt
a welch Richtungdass/dattetgeet
Tabelle 109: Nebensätze mit doppelter NS-Einleitung (DFC)

1313Die folgende Tabelle zeigt eine Liste der drei Typen von Interrogativa, die durch dass/datt verstärkt werden können. Aus Gründen der Übersichtlichkeit befindet sich in der Kolonne mit der Überschrift Syntagma nur die Einleitung dass, da diese häufiger vorkommt (ein Anschluss mit datt ist generell möglich).

Interrogativ-typKomplementiererSyntagma (beruhend auf Belegen, nicht erschöpfend)Beispielsatz
einfachInterrogativpronomenwat dass
wou dass
wéini dass
wien dass
firwat dass
wéisou dass
wien datt et ass
präpositionalInterrogativpronomen mit Präposition

interrogatives Präpositionaladverb
[Präp] wat dass
[Präp] wou dass
[Präp] wiem dass
wouduerch dass
wouriwwer dass
wouvun/wouvunner dass
woumat/woumadder dass
ëm wat datt et geet
phrasalInterrogative Phrasen wéi [+Adj] dass
([Präp]) wéi vill ([+N]) dass
([Präp]) wéi eng dass
([Präp]) wat fir [+N] dass
wat fir Leit datt dat sinn
Tabelle 110: Übersicht der verfügbaren Interrogativa für den Anschluss mit dass/datt

1314Darüber hinaus können durch Interrogativphrasen eingeleitete Sätze auch exklamativ und ohne Matrixsatz verwendet werden. Auch in diesen Fällen steht eine Erweiterung durch dass/datt optional zur Verfügung.

1315(383)wat fir eng Zäitverschwendung dass dat awer ass
was für eine Zeitverschwendung dass das aber ist

1316Neben diesen drei Typen von Interrogativa scheinen auch bestimmte Subjunktionen eine dass/datt-Erweiterung zuzulassen, die jedoch nicht den Hauptaspekt dieser Studie ausmachen und nur kurz erwähnt werden sollen.

1317(384)säit dass et eise Planéit gëtt (Online-Kommentar)
seit dass es unseren Planeten gibt

1318(385)obwuel datt fir all Kategorië Steiersuen agesat ginn (Politik)
obwohl dass für alle Kategorien Steuergelder eingesetzt werden

1319Die Doppelbesetzung während dass findet sich neunmal in den Daten, jedoch jedes Mal vom selben Autor. Einige Genus- und Verbfehler lassen vermuten, dass es sich hier um einen L2-Sprecher des Luxemburgischen handelt. Es ist nicht auszuschließen, dass es sich bei während dass um eine Lehnprägung des französischen pendant que handelt. Satz (386) ist für die informell befragten luxemburgischen Muttersprachlerinnen jedoch nicht ungrammatisch.

1320(386)Ganz viel sportler brengen doweinst immens résultater während dass sie problémer hunn, weil [...] (Online-Kommentar)
ganz viele Sportler bringen deshalb immer Resultate während dass sie Probleme haben, weil [..]

1321Solche doppelten Subjunktionen (ohne interrogatives Element) zeigen sich zudem auch im Deutschen des 18. und 19. Jahrhunderts.

1322(387)Während daß wir uns in diesem Hause allerseits ausruhten173

1323(388)Seit daß Verden und Minden verloren waren174

1324Nachdem gezeigt wurde, welche interrogativen Elemente eine Erweiterung durch dass/datt zulassen, soll nun überprüft werden, in welcher quantitativen Verteilung nebensatzeinleitende Interrogativa mit oder ohne dass/datt in der linken Klammer stehen und ob der Einsatz von dass/datt aus strukturellen Gründen ausgelöst wird oder ob es sich um freie Variation handelt (zu den verschiedenen Typen syntaktischer Variation vgl. Seiler 2004).

1325Um die Verteilung zu überprüfen, wurden systematisch die beiden kausalen w-Wörter firwat (dass/datt) sowiewéisou (dass/datt) jeweils mit und ohne DFC ausgewertet. Um die Menge an Sätzen ohne DFC überschaubar zu halten, wurden nur Nebensätze ausgezählt, die nach dem COMP mit einem nominalen Satzglied beginnen (Aufbau der getesteten Nebensätze: COMP (firwat/wéisou) + DFC (dass/datt) + NP (ohne Pro-Form) + Satz).

kausale Subjunktionenohne DFCmit DFC (dass/datt)
firwat-NS78,7 % (n=1439)21,3 % (n=389)
wéisou-NS84,1 % (n=259)15,9 % (n=49)
Tabelle 111: Kausale NS mit und ohne Erweiterung durch dass/datt

1326Diese kurze Korpusanalyse zeigt, dass die meisten Nebensätze, die durch firwat oder wéisou eingeleitet werden (und mit einem nominalen Subjekt beginnen), in 78,7 % bzw. in 84,1 % der Fälle ohne die Verstärkung durch dass/datt verwendet werden.

1327Die qualitative Auswertung der Sätze mit DFC macht deutlich, dass die Doppelbesetzung der linken Satzklammer mit dass/datt für viele Satztypen verfügbar ist – unabhängig von der Satzlänge, der Einbettungstiefe, der syntaktischen Funktion oder der Position des Nebensatzes. Demnach finden sich sowohl kurze als auch lange Nebensätze mit DFC.

1328(389)wéini datt der fortgitt (Politik)
wann dass ihr weggeht

1329(390)weini dass Ponts et Chaussée endlech eppes änneren op der Areler Strooss. (Online-Kommentar)
wann dass Ponts et Chaussée (=Straßenbauamt) endlich etwas ändern auf der Areler Straße

1330Auch die Position des Nebensatzes innerhalb des Matrixsatzes scheint kein restriktiver Faktor für DFC zu sein. Somit können Sätze mit DFC auch satzinitial stehen.

1331(391)Firwaat dass eisen Server net [...] dran steet, wees ech och net. (Internet)
warum dass unser Server nicht [..] drin steht, weiß ich auch nicht

1332Anhand der Daten lässt sich die Beobachtung machen, dass eine Erweiterung durch dass/datt besonders häufig auftritt, wenn das Subjekt ein starkes Pronomen ist oder in der Subjekt-NP ein starker Artikel steht. Die folgende Tabelle zeigt die Auswertungen der nebensatzeinleitenden Phrase wéi schwiereg/schwéier et ass ‚wie schwierig/schwer es ist’ mit zwei Variablen: Einerseits wurden Sätze mit und ohne DFC ausgezählt und andererseits Sätze mit Demonstrativpronomen im Neutrum (dat) oder reduziertem Personalpronomen (et) (3.Pers.Sg.Neutr.). Um mehr Ergebnisse zu erhalten, wurden die beiden Adjektive schwiereg ‚schwierig’ undschwéier ‚schwer’ gemeinsam analysiert. Bei dem Syntagma mit Demonstrativpronomen (dat) zeigt sich ein recht ausgewogenes Verhältnis zwischen den Sätzen mit und ohne DFC (16:20). Vergleicht man nun die Sätze mit reduziertem Personalpronomen, fällt auf, dass die Sätze mit DFC deutlich seltener vorkommen, nämlich nur in etwa 13 % der Sätze.

Syntagmaohne DFCmit DFCGesamt
wéi schwiereg/schwéier ____ dat ass55,6 % (n=20)44,4 % (n=16)36
wéi schwiereg/schwéier ____ et ass86,9 % (n=126)13,1 % (n=19)145
Tabelle 112: Interrogative Adjektivphrasen mit und ohne DFC

1333Diese Verteilung könnte ein Anzeichen dafür sein, dass die zusätzliche Subjunktion dass/datt in Kontexten auftritt, in denen das Subjekt aus struktureller Sicht hervorgehoben ist.175

1334(392)ech weess wéi schwiereg datt dat ass (Politik)
ich weiß wie schwierig dass das ist

1335Auch andere Belege mit nominalen Subjekten verdeutlichen diese Tendenz. In den beiden folgenden Sätzen findet sich jeweils das Subjekt Accident ‚Unfall’. In Satz (393) beinhaltet das Subjekt den starken Definitartikel deen und die NS-Einleitung firwat ‚warum’ ist durch datt erweitert. Satz (394) hingegen zeigt den schwachen Artikel den und steht ohne DFC.

1336(393)En ënnerléisst allerdéngs ze mentionnéieren, firwat datt deen Accident eis hei geschitt ass. (Politik)
er unterlässt allerdings zu erwähnen, warum dass dieser Unfall uns hier passiert ist

1337(394)Firwat Ø den Accident geschitt ass, weess een net (Online-News)
warum der Unfall passiert ist, weiß man nicht

1338In anderen Kontexten hingegen lassen sich keine direkten syntaktischen Gründe ausmachen, warum dass/datt verwendet bzw. nicht verwendet wird.

1339(395)firwat Ø d’Leit sech versammelen (Online-Kommentar)
wofür Ø die Leute sich versammeln

1340(396)firwat dass d’Leit sech bei hiren Doktere beschwéiert hunn (Politik)
wofür dass die Leut sich bei ihren Ärzten beschwert haben

1341Des Weiteren besteht in Bezug auf die DFCs Intra-Sprecher-Variation. Mitunter finden sich Belege, in denen innerhalb eines Satzes Variation besteht. Obwohl die beiden Nebensätze im folgenden Beispiel die Verstärkung mit dass/datt erlauben, hat der Autor nur einmal die dass/datt-Ergänzung umgesetzt.

1342(397)[...] ze froen, wei wäit Ø sech d'Fritzbox ungemellt kritt, an wisou dass den Unruff selwer refuseiert get (Internet)
zu fragen, wie weit sich die Fritzbox angemeldet kriegt, und wieso dass der Anruf selber abgelehnt wird

9.2.2 Eigenschaften von dass/datt beim DFC

1343Dieses Kapitel widmet sich einerseits der Variation der Subjunktion (dass vs. datt) sowie andererseits Kombinationen von DFC und einem Flexionsmarker. Aus den Daten geht hervor, dass die Erweiterung mit dass mit 61,2 % häufiger vorkommt als datt (38,8 %).176 Bei den Verbclustern aus Kapitel 8 ist die Verteilung leicht abweichend: Hier war datt mit 53,5 % etwas stärker vertreten als dass mit 46,5 %. Die Verteilung dient in diesem Fall nur als Übersicht und hat keine direkte grammatische Auswirkung auf die Sätze und das hier dargestellte Phänomen.

SyntagmadassdattGesamt
w-Wort + dass/datt + NS61,2 % (n=785)38,8 % (n=498)1283
Tabelle 113: Verteilung der Erweiterung mit dass oder datt bei interrogativen NS

1344Wie im vorherigen Kapitel dargestellt wurde, steht nach dem Komplementierer immer der Flexionsmarker s, wenn das Subjekt des Nebensatzes die 2.Pers.Sg. ist. Ist das Subjekt in der 1. oder 3. Person Plural, lautet der Marker en und kann optional gesetzt werden. Bei einem doppelt besetzten Komplementierer heftet sich der Flexionsmarker hinter den DFC, demnach hinter dass/datt. Bei einem Subjekt in der 2.Pers.Sg. wird der Marker allerdings nur bei datt angehängt, da dass sich lautlich mit dem Marker überschneidet und dadurch kein weiteres s hinzugefügt werden kann.

1345(398)dann froen ech mech firwat datts Du net Léierin gi bass. (Online-Kommentar)
dann frage ich mich warum dass#s# du nicht Lehrerin geworden bist

1346Da dass/datt eine einsilbige Subjunktion ist, kann der en-Marker (1./3.Pers.Pl.) hier optional verwendet werden.

1347(399)Ech hun awer nach emmer net rausfond ,firwaat dassen verschidde Leit séch sou réirend em déi puer Beem suegen ?! (Online-Kommentar)
ich habe aber nich immer nicht herausgefunden, warum dass#en# verschiedene Leute sich so rührend um die paar Bäume sorgen

1348(400)wéini dassen d’Amerikaner d’Poulet’en zillen mat siwen Hämercher (Interview)
wann dass#en# die Amerikaner die Hähnchen züchten mit sieben Schenkelchen

1349Die Kombination von dass/datt und einem Flexionsmarker führt dazu, dass sich im topologischen Feldermodell für das Luxemburgische zwei Positionen zwischen linker Klammer und Mittelfeld ergeben: die DFC-Position für die Komplementierer-Erweiterung durch dass/datt sowie eine anschließende Position für den Flexionsmarker (FM) der 2.Pers.Sg. (s) sowie der 1. und 3. Person Plural (en) (zur FM-Position vgl. Kapitel 9.1.1).

VFLKDFCFMMFRKNF
firwatdattsdu net Léieringi bass
firwaatdassenverschidde Leit [...]suergen
wéinidassend’Amerikaner d’Poulet’enzillenmat siwen Hämercher
Tabelle 114: Kombination von doppelter NS-Einleitung und Flexionsmarker im NS

9.2.3 DFC bei Relativsätzen

1350Doppelt besetzte Nebensatzeinleitungen (DFC) sind ein Phänomen, das nicht nur die Kombination von interrogativen Elementen mit dass/datt betrifft, sondern auch doppelt eingeleitete Relativsätze. In diesem Fall wird ein Relativpronomen (deen, déi, dat) mit der Relativpartikel wou ‚wo’ in der Nebensatzeinleitung kombiniert. Diese Art der Doppelbesetzung ist im Luxemburgischen jedoch äußerst selten und wird von den befragten Sprecherinnen als ungrammatisch eingestuft. Im Gesamtkorpus lassen sich demnach nur wenige Einzelsätze extrahieren.

1351Beispiel (401) zeigt einen Relativsatz, der sowohl durch ein Relativpronomen (déi ‚die’) als auch zusätzlich durch die Relativpartikel wou eingeleitet wird.

1352(401)Déi Leit déi wou d'Been no der Schicht héich leeën, [...] (Online-Kommentar)
die Leute die wo die Beine nach der Schicht hoch legen

1353Im Grunde genommen werden Relativsätze, die sich im Luxemburgischen auf Personen beziehen, mit einem Relativpronomen (deen, déi, dat) eingeleitet (vgl. Kapitel 4). Die einfach verwendete Relativpartikel wou findet sich nur in Einzelfällen und wird nicht von allen Sprechern gleichermaßen akzeptiert. Umso interessanter ist der Umstand, dass wou in manchen Sätzen als Verstärkung zu einem Relativpronomen verwendet werden kann wie in (401).

1354In den Belegen findet sich noch eine weitere Relativsatzeinleitung mit DFC, in denen eine Präposition (op ‚auf’), ein Relativpronomen (déi ‚die’) und eine Relativpartikel wou ‚wo’ in der Nebensatzeinleitung aufeinandertreffen, wie das folgende Beispiel zeigt.

1355(402)déi Terraine bezuelen op déi wou do gebaut gëtt (Politik)
die Flächen bezahlen auf die wo dort gebaut wird

VFLKDFCMFRKNF
op déiwoudogebaut gëtt
Tabelle 115: Doppelt eingeleiteter Relativsatz

1356Solche Kombinationen von Relativpronomen und -partikel sind jedoch nur bedingt grammatisch. Hier zeigt ein passendes Beispiel aus dem Chatkorpus, dass solche Formen auch von anderen Sprechern teilweise sanktioniert werden können. In dem folgenden Chatgespräch sucht der Nutzer <lil_snoopy> eine Partnerin zum Chatten und verwendet dafür einen Relativsatz mit DFC (Maus dat wou chatten well ‚Maus, das wo chatten will’).177 Da dies im öffentlichen Fenster des Chatraums erscheint, wiederholt ein anderer Teilnehmer namens <Red_Ruby> den Satz und stellt die grammatikalische Legitimierung dieses Nebensatzes mit DFC infrage. Er kopiert gezielt nur den Nebensatz mit der Einleitung dat wou und kommentiert diesen mit einem hinterfragenden onomatopoetischen öhm.

1357(403)<lil_snoopy> moien ass eng leif maus do dat wou chatten well
<lil_snoopy> hallo ist eine liebe maus da das wo chatten will
<Red_Ruby> dat wou chatten well?öhm (Chat)
<Red_Ruby> das wo chatten will?öhm

1358Bei der Relativsatzeinleitung in (403) sind gleich zwei Dinge problematisch: Zum einen die Einleitung mit wou bei einem menschlichen Bezugsnominal und zum anderen die Doppelbesetzung der Relativsatzeinleitung (déi wou). Die Relativpartikel wou bei menschlichen Bezugsnomen ist im Luxemburgischen weniger üblich. Sie tritt dennoch gelegentlich und vor allem im hier verwendeten Chatkorpus auf. Allein die Konstruktion e Meedchen, wou... ‚ein Mädchen, wo...’ findet sich etwa 50mal in dieser Korpusdatei. Die Kombination von Relativpronomen und -partikel ist im Luxemburgischen jedoch äußerst selten und für den Nutzer <Red_Ruby> nicht akzeptabel. Eine solche Reaktion wäre bei einem einfachen wou-Relativsatz eher nicht zu erwarten, zumal dieser im Chat häufiger vorkommt.

1359Insgesamt sind Nebensätze, die durch ein interrogatives Element und ein zusätzliches dass/datt eingeleitet werden, im Luxemburgischen durchaus geläufig. Sie zeigen sich in etwa einem Viertel der getesteten Kontexte. Relativsätze mit DFC (Typ: op dat wou mer bauen ‚auf das wo wir bauen’) sind nur selten anzutreffen und werden nicht immer von allen Sprechern akzeptiert.

9.2.4 Erweiterungen durch dass/datt in anderen westgermanischen Varietäten

1360Aus der Forschungsliteratur geht hervor, dass dieses Phänomen in einigen oberdeutschen Dialekte sowie im Flämischen, Niederländischen und im Englischen auftritt (vgl. Bayer & Brandner 2008b).178 Eine umfassende Beschreibung für die Verwendung von dass bei interrogativen Nebensätzen im Bairischen und im Schweizerdeutschen liefern Bayer & Brandner (2008b). Bayer & Brandner (2008b) beziehen sich u.a. auf die Analysen von Schönenberger (2006a,b), die das Phänomen in den Schweizer Dialekten von Luzern und St. Gallen untersucht hat. Dabei scheint sich eine strukturelle Tendenz abzuzeichnen, dass vor allem mehrsilbige NS-Einleitungen mit dass kombinierbar sind. Einsilbige w-Wörter akzeptieren nur selten eine dass/datt-Ergänzung. Dabei gilt: Je länger die Nebensatzeinleitung, desto obligatorischer ist die Ergänzung durch dass (vgl. Schönenberger 2006a,b, zit. nach Bayer & Brandner 2008b: 3). Tatsächlich kann Schönenberger (2015: 125) belegen, dass mehrsilbige Interrogativa deutlich häufiger ein zusätzliches dass erhalten: 91,4 % der DFCs verfügen über ein polysyllabisches Interrogativum. Zudem scheinen vor allem Sprecher im „mittleren“ Alter (45-55) am häufigsten DFCs zu verwenden.

1361(404)worum dass sii dää schöö findet (Schönenberger 2015: 125)
warum dass sie den schön findet

1362Im Luxemburgischen gibt es keine Restriktionen in Bezug auf die Silbenlänge des interrogativen Elements. Demnach finden sich auch einsilbige w-Wörter mit dass/datt, wie das folgende Beispiel zeigt.

1363(405)Mir mussen also wëssen, wou dass mir dee richtegen Equiliber fannen (Politik)
wir müssen also wissen, wo dass wir den richtigen Ausgleich finden

1364Obwohl die DFC im Standarddeutschen nicht zulässig sind (vgl. Bayer & Brandner 2008b), findet sich auch in konzeptionell mündlichen Texten die Verstärkung der Nebensatzeinleitung mit dass:

1365(406)kann man ausrechnen wie gross dass man wird? (dt. Internetbeleg)179

1366Auch im Niederländischen sind Doppelbesetzungen mit dat ein Phänomen der gesprochenen Sprache mit uneindeutiger regionaler Verteilung. Barbiers et al. (2008a: 11f.) bezeichnen dies als „curious phenomenon“ mit „superfluous complementisers“, bei dem nicht nur eine Doppel-, sondern auch eine Dreifachbesetzung der linken Klammer möglich ist, wie der folgende Beleg zeigt.

1367(407)Ik weet niet hoe of dat hij die taal geleerd heeft (Barbiers et al. 2008a: 11)
ich weiß nicht wie ob das er die Sprache gelernt hat

1368Diese Besetzung der linken Klammer im Nebensatz hat demnach vier Optionen (in absteigender Häufigkeit): einfache NS-Einleitung (hoe), doppelte NS-Einleitung (hoe dat oder hoe of) oder eine dreifache (hoe of dat).

1369Doch nicht nur in Varietäten des Deutschen und im Niederländischen, auch im Englischen (British English und American English) gibt es Nebensätze, in denen die Einleitung durch that verstärkt wird. In einer ausführlichen Analyse von Zwicky (2002) heißt es, dass das Phänomen in verschiedenen Kontexten (mündlich und schriftlich) in interrogativen Nebensätzen auftritt.

1370(408)Unless you know how much water that you want do drink (Zwicky 2002: 222)

1371Im Englischen treten die fakultativen Erweiterungen mit that vor allem hinter Interrogativphrasen auf (vgl. Zwicky 2002: 230f., 244). Die Kombination eines einfachen Interrogativums und that ist im Englischen nicht zulässig: *I don’t know who that did it (vgl. Zwicky 2002: 247). Mitunter finden sich that-Erweiterungen auch bei exklamativen Phrasen mit WH-Element (Typ: what a chaos that I am!) (vgl. Zwicky 2002).

1372Diese Doppelbesetzungen können im Englischen laut Zwicky (2002: 247) einen regionalen oder auch idiolektalen Charakter haben. Etwas unklar ist Zwickys (2002) Aussage, dass manche Sätze mit DFC einen „production error“ repräsentieren, da nicht beschrieben wird, inwiefern dies eine fehlerhafte Konstruktion sein soll. Darüber hinaus erklärt der Autor, dass sich dieses Phänomen häufig dem Bewusstsein der Sprecher entzieht und „überhört“ wird. Zwicky (2002: 220) schreibt dazu: „WH+that clauses are comprehensible, listeners and readers might easily fail to notice the (to them) intrusive that [...] such clauses are ‘hard to detect’”.

1373Insgesamt handelt es sich jedoch um ein Feld, das weiterer Forschung bedarf, sowohl aus einzelsprachlicher als auch aus typologischer Sicht. In den meisten Fällen wird die Doppelbesetzung der NS-Einleitung mit dass als strukturelle Redundanz aufgefasst, die sich vor allem in mündlichen und standardfernen Kontexten äußert. Schönenberger (2015: 120) geht davon aus, dass prosodische Eigenschaften des Satzes die „driving force behind the phenomenon of DFCs“ sind, kann dies jedoch nur anhand von stichprobenhaften Belegen zeigen, sodass dies noch weiter erforscht werden müsste.

1374Die Hypothese einer Subjekthervorhebung durch die Erweiterung mit dass/datt, wie sie für das Luxemburgische aufgeworfen wurde, findet keine Erwähnung in der Forschung, könnte jedoch im Zusammenhang mit Schönenbergers (2015) Prosodie-Hypothese stehen, welche in Zukunft noch zu überprüfen sein wird.

9.3 Zusammenfassung und Bemerkungen zum topologischen Feldermodell

1375Die in diesem Kapitel vorgestellten Phänomene sollen anhand des folgenden Belegs noch einmal zusammengefasst werden. Im Detail geht es um zwei Eigenschaften von Nebensatzeinleitern im Luxemburgischen: die „flektierenden“ Komplementierer (wéi s de ‚wie du’) und die doppelt besetzten Komplementierer (vu wou dass ‚von wo dass’).

1376(409)Da stells de dech eng Kéier vir, wéi s de heeschs a vu wou dass de bass (Politik)
dann stells du dich ein Mal vor, wie #s# du heißt und von wo dass du bist

1377Bei den so genannten „flektierenden“ Komplementierern hat sich herausgestellt, dass es sich nur aus historischer Perspektive um Flexion handelt. Da sie einen Zwischenstatus zwischen Flexion und Klitisierung einnehmen, wurden sie hier als „Flexionsmarker“ beschrieben. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie im Nebensatz eine feste syntaktische Position zwischen linker Klammer und Mittelfeld einnehmen und dort mit dem Subjekt in Person und Numerus kongruieren. Dabei variieren die Auftretensbedingungen bei den verschiedenen Personen und Numeri. Grundsätzlich sind sie nur für die 2. Person Singular sowie für die 1. und 3. Person Plural verfügbar. Bei der 2. Person Singular führt ein Auslassen des s-Markers zu Ungrammatikalität (*wann de wëlls). Der Flexionsmarker bei der 1. und 3. Person Plural (en) ist hingegen fakultativ. Darüber hinaus erscheint er nicht nur mit einem pronominalen Subjekt, sondern bei der 3. Person Plural auch mit nominalen Satzgliedern (datt en d’Leit och kommen ‚dass #en# die Leute auch kommen’). Im Gegensatz zum obligatorischen s-Marker, der nach sämtlichen nebensatzeinleitenden Elementen stehen kann (unter anderem auch nach interrogativen Phrasen), findet sich der optionale en-Marker meistens nach einsilbigen Subjunktion wie dass/datt oder well.

1378Der zweite Teil dieses Kapitels beschäftigte sich mit der Erweiterung der Nebensatzeinleitung durch dass/datt, wodurch es zu einem doubly filled complementizer (DFC) kommt. Es hat sich gezeigt, dass DFCs des Typs firwat dass/datt ‚warum dass’ an alle Interrogativa angehängt werden kann, die einen Nebensatz einleiten. Im Gegensatz zu bestimmten oberdeutschen Dialekten gibt es im Luxemburgischen keine Restriktionen in Bezug auf die Länge des w-Elements.

1379Bei einer quantitativen Auswertung der beiden kausalen Subjunktionen wéisou und firwat zeigte sich, dass die Erweiterung mit dass/datt in etwa 19 % Prozent der Fälle eingesetzt wird. Obwohl es zahlreiche Belege gibt, die dem Anschein nach keine direkten strukturellen Gründe für die Verstärkung mit dass/datt aufweisen, scheint es dennoch einen Hinweis für eine Korrelation zu geben zwischen dem DFC und starken Subjektpronomen bzw. Nomen mit starkem Artikel, was in diesem Kapitel vorerst als Prinzip der „Subjekthervorhebung“ gekennzeichnet wurde. Daneben könnten auch phonologische Begründungen eine Rolle spielen, da eine zusätzliche Silbe den Satzrhythmus beeinflussen kann.

1380Eine doppelt besetzte Nebensatzeinleitung kann sich auch auf Sätze mit Relativpronomen und Relativpartikel wou ‚wo’ beziehen. Sätze des Typs eng Fra, déi wou mer gehollef huet ‚eine Frau, die wo mir geholfen hat’ sind im Luxemburgischen jedoch äußerst selten und werden nicht von allen Sprechern als grammatisch eingestuft.

1381Im Laufe dieses Kapitels wurde das topologische Feldermodell, wie es für das Standarddeutsche verwendet wird, dahingehend verändert, dass für die hier beschriebenen Phänomene der Nebensatzeinleitung zwei eigene Felder angesetzt wurden: Zwischen Vorfeld und Mittelfeld wurde ein DFC-Feld (doubly filled complementizer) für die dass/datt-Erweiterung und ein weiteres FM-Feld für den Flexionsmarker eingefügt. Diese Manipulationen am Grundmodell sollte die Abbildungen der Beispielsätze vereinfachen und die Felderstruktur an das Luxemburgische angleichen. Die Felder wurden dabei jeweils auf das Einzelphänomen zugeschnitten. Es existieren jedoch auch Ansätze, in denen beispielsweise ein „Vormittelfeld“ angesetzt wird, um besondere syntaktische Bewegungen zu kennzeichnen. Bei Zifonun et al. (1997: 2343f.) wird beispielsweise ein spezielles „Vormittelfeld“ für Pronomen aufgestellt, da pronominale Konstituenten im Standarddeutschen in der Abfolge Akk>Dat stehen (Vormittelfeld) und nominale in der Abfolge Dat>Akk (Mittelfeld). Das Aufstellen neuer Felder ermöglicht es demnach, syntaktische Variation in einem einfachen Modell darzustellen. Die Idee des Vormittelfelds lässt sich für das Luxemburgische aber nur bedingt umsetzen, da in Kapitel 7 gezeigt wurde, dass das luxemburgische Mittelfeld im pronominalen Bereich die Abfolge Dat>Akk aufweist und klitische Pronomen nicht zwangsläufig näher an die linke Klammer rücken. Zusätzlich müsste dieses Vormittelfeld unterteilt werden, denn dass/datt stellt sich als Erweiterung im Nebensatz immer vor den Flexionsmarker.

1382Eine andere Überlegung wäre ein neues Feld für Wackernagelelemente, die sich in der Regel hinter die linke Klammer im Satz heften (d.h. hinter finite Verben im HS oder Komplementierer im NS). Dieser Wackernagelkomplex umfasst laut Weiß (2016: 127ff.) allerdings nicht nur die Position klitischer Pronomen, sondern u.a. auch Flexionsmarker und partielles pro-drop, d.h. die mögliche Auslassung von Subjektpronomen. Bis auf den Flexionsmarker sind dies insgesamt keine Kerneigenschaften der luxemburgischen Syntax (klitische Pronomen rücken nicht automatisch nach vorne und Subjekte dürfen nicht ausgelassen werden), sodass dieser Wackernagelkomplex nur aus der Makro-Perspektive sinnvoll ist – wie Weiß (2016) ihn im Übrigen auch versteht – und nicht aus der Mikro-Perspektive des Luxemburgischen.

1383Die Idee des Vormittelfelds sowie die eines Wackernagelfelds sind in ihrer Anwendung nicht unproblematisch, da sie ebenfalls differenziert werden müssten. Letztlich wären auch hier die genauen Phänomene zu definieren, die diesen neuen Positionen und Feldern entsprechen, was im Endeffekt zu der Einteilung führt, die in dieser Arbeit vorgenommen wurde. Dies bedeutet, dass die Felder einfach nach dem benannt werden, was sie repräsentieren: den DFC und den Flexionsmarker.

10 Aspekte der luxemburgischen Syntax: Offene Fragen und Herausforderungen für die Zukunft

1384Vor etwa zehn Jahren formulierte Glaser (2006) ein zentrales Forschungsdesiderat für die Linguistik des Luxemburgischen: die systematische Erschließung der luxemburgischen Syntax. In dieser Arbeit konnte die Mehrheit der von Glaser (2006) benannten Einzelphänomene in ihren Grundzügen beschrieben werden. Die Herangehensweise mit einem umfangreichen Korpus ermöglichte es, unterschiedliche Formen und Funktionen der Satzbausteine herauszuarbeiten und die wichtigsten Kategorien und Prinzipien zu erläutern.

1385Es erklärt sich von selbst, dass die vorliegende Untersuchung keine „komplette“ Beschreibung der luxemburgischen Syntax darstellt. Einerseits wurde ein zuvor festgelegter Phänomenkatalog analysiert und andererseits ist die Arbeit mit einem Korpus nicht für jede Art der Fragestellung geeignet. Dennoch konnten durch eine gezielte Exploration der Korpusdaten neue Zusammenhänge und Kategorisierungen aufgezeigt werden.

1386Da sich die ausführlichen inhaltlichen Zusammenfassungen zu den einzelnen Themenblöcken immer am Ende des bezüglichen Kapitels befinden, möchte ich an dieser Stelle im Besonderen auf die offenen Fragen eingehen, die im Laufe dieser Arbeit entstanden sind. Auf diese Weise kann – rückblickend auf die Erkenntnisse der vorliegenden Arbeit – dargelegt werden, wie die Syntax des Luxemburgischen weiterhin als zukünftiger Forschungsgegenstand genutzt werden kann.

1387

1388Die Analyse des Genitivs beschränkte sich auf Substantive im Singular Maskulinum und Neutrum, da nur hier aufgrund des es-Flexivs am Artikel sichergestellt werden kann, dass es sich um einen Genitiv handelt (im Femininum Singular und im Plural sind Genitiv und Dativ formgleich). Insgesamt zeigt sich der Genitiv hauptsächlich in festen Wortverbindung wie Enn des Joers ‚Ende des Jahres’. Daneben finden sich auch noch vereinzelte Verben und Adjektive mit Genitivrektion, die meistens auch den Dativ als Rektionskasus haben (wierdeg sinn ‚würdig sein’). Dabei konnte auch beobachtet werden, dass in manchen Fällen auch die Substantive ein entsprechendes Flexiv erhalten können (enges Lëtzebuergers ‚eines Luxemburgers’).

1389In Bezug auf den Gebrauch von Genitiven gibt es erste Anzeichen für die Entwicklung eines „Prestige-Genitivs“, der vor allem in den Online-Kommentaren verwendet wird und hauptsächlich von Verben und Adjektiven regiert wird. Dies würde sich dadurch erklären lassen, dass der Ausbau des Luxemburgischen im Schriftbereich auch einen Registerausbau mit sich bringt. Ich gehe davon aus, dass es sich hierbei um eine Lehnprägung aus dem Standarddeutschen mit stilistischer Funktion handelt, da Genitive häufig (in Abgrenzung zum Dativ) als prestigereichere Form angesehen werden (vgl. Szczepaniak 2014). Dies lässt sich allerdings nur ansatzweise beobachten. Hinzu kommt, dass diese Genitive von einigen Sprechern abgelehnt werden. Dennoch sollte weiterhin untersucht werden, inwiefern der Ausbau des Luxemburgischen zu einer Veränderung bzw. Etablierung von Sprachstilen führt und so möglicherweise den Satzbau beeinflusst.

1390Bei der adnominalen Possession wurde gezeigt, dass – obwohl der possessive Dativ im Luxemburgischen stark verbreitet ist – nicht alle semantischen Relationen hierdurch ausgedrückt werden können (*dem Gaart seng Mauer ‚dem Garten seine Mauer’). Neben bestimmten Belebtheitsbedingungen gilt auch, dass komplexe Possessor-NPs meistens eine vun-PP selektieren. Somit scheint die Variation zwischen possessivem Dativ und der vun-PP hauptsächlich semantisch und syntaktisch gesteuert zu sein. Daneben sind possessive Dative im Luxemburgischen auch für unbelebte Possessoren durch die Mittel der Metonymie und Personifizierung verfügbar. Hier wären weitere Studien mit Produktions- und Bewertungstests ein vielversprechendes Vorhaben, um die Grenzen und Präferenzmuster der jeweiligen Konstruktion aufzeigen zu können.

1391Als besonders vielschichtig erwies sich das System der Partitivartikel und Pronomen. Im Zusammenhang mit den komplexen semantischen und syntaktischen Bedingungen der Partitiva konnten auch erste Erkenntnisse über den Einsatz von Resumptivpronomen sowie über das Verhältnis von Partitivität und Quantifikation gewonnen werden. Eine zentrale Frage, die sich hier stellte, aber leider offenbleiben musste, war, wann Partitivpronomen, die einen quantifizierenden Ausdruck begleiten, obligatorisch sind (zwee sinn der erauskomm vs. zwee sinn erauskomm ‚zwei sind (davon) herausgekommen’). Auch der Einsatz und die Position von schwachen partitivischen Resumptivpronomen sollte weiter untersucht werden.

1392Neben den Konstruktionen mit Partitivartikel und -pronomen wurde auch das Konzept eines synthetischen Partitivs in der Form von ersten Grundüberlegungen erwähnt. Es handelt sich hierbei um die partitive er-Endung, die nominalisierte Adjektive erhalten, sobald sie ohne Artikel oder mit einem Quantor verwendet werden (dräi / ØGrouss-er ‚drei / Ø Große’). Hier gilt es, diese ersten Überlegungen weiter zu substantiieren, um auch herausfinden zu können, inwiefern es sich hier um die Markierung von Partitivität und Indefinitheit handelt.

1393Der diachronen Entwicklung des Genitivs im Luxemburgischen sollte ebenfalls nachgegangen werden, um mehr über synthetische Partitive und die Entstehung des Partitivartikels zu erfahren. Auch in Bezug auf die zahlreichen Lexikalisierungen und die hier gezeigten Verben oder Adjektive mit Genitivrektion wäre eine Analyse des Genitivgebrauchs in älteren Sprachstufen gewinnbringend.

1394

1395Ziel dieses Themenkomplexes war es, die semantisch-syntaktischen Bedingungen für die Wahl eines starken oder schwachen Pronomens herauszuarbeiten. Die vorgestellten Ergebnisse zu den referentiellen Eigenschaften der Personalpronomen konnten durchaus Aufschluss darüber geben, wie sich die Personalpronomen in Bezug auf die semantischen Klassen ihrer Referenten verhalten. Gerade die starken Formen im Neutrum und Maskulinum sind hier eingeschränkt: hatt (Neutr.) kann nur auf Personen und Tiere mit weiblichem Rufnamen referieren, hien (Mask.) nur auf belebte Entitäten (als Ausnahme gelten individualisierte Objekte wie den Nobelpräis ‚der Nobelpreis’). Diese ersten Kategorisierungen könnten auch als Ausgangspunkt für weitere Analysen herangezogen werden, wie etwa Fragebogenstudien mit gezielt vorgegebenen Referenten (mit Belebtheitskontrast und unterschiedlichen Graden an Individualität).

1396Bei der Abfolge von Personalpronomen im Mittelfeld zeigt sich in den Daten eine starke Tendenz zur Abfolge Nom>Dat>Akk, wobei vor allem die Folge Dat>Akk besonders strikt ist und anders als beispielsweise im Standarddeutschen verläuft, da klitische Akkusativpronomen (wie et ‚es’) im Luxemburgischen nicht nach vorne rücken müssen.

1397Spannend wäre in diesem Zusammenhang auch eine Ausweitung des Analysegegenstands auf nominale Satzglieder. In Einzelbelegen konnte bereits gezeigt werden, dass die Abfolge Dat>Akk auch dann zutrifft, wenn das Dativobjekt eine nominale Konstituente und das Akkusativobjekt das schwache neutrale Pronomen et ist. In diesem Fall müsste auch geklärt werden, inwiefern es sich bei et generell um ein klitisches Pronomen handelt. Gerade der Bereich der Klitika wurde in diesem Kontext kritisch diskutiert, da die so genannten „klitischen“ Pronomen auch hinter Präpositionen stehen können und nicht ausschließlich im Zusammenhang mit der Wackernagelposition vorkommen (unmittelbar hinter der linken Satzklammer). Das gesamte Thema der Klitisierung sollte neben dem Luxemburgischen auch aus allgemein theoretischer Sicht weiter analysiert werden – unter syntaktischen und phonologischen Gesichtspunkten. Denn auch die schwache Form des Neutrumpronomens ‘t (wie in ‘t ass gutt ‚es ist gut’), die nicht im Zentrum der vorliegenden Analysen stand, kann nur im Vorfeld verwendet werden, wodurch sie auch als Klitikon gewertet werden kann, allerdings mit anderen strukturellen Besonderheiten.

1398Da es sich bei diesen Untersuchungen um einen ersten explorativen Zugriff auf ein unstrukturiertes Korpus handelt, sind noch weitere Studien nötig, um diese Tendenzen zu prüfen und generell mehr Einsicht in die Wortstellungsoptionen des Luxemburgischen zu gewinnen.

1399

1400Der Bereich der Verbcluster zeigt in den meisten kontinentalwestgermanischen Varietäten ein erhebliches Maß an struktureller Fluktuation. Bei den Analysen zu den luxemburgischen Verbclustern konnte herausgefunden werden, dass vor allem die Modal- und Konjunktivhilfsverben einen restrukturierenden Effekt auf den Verbcluster haben, sodass die finiten Verbteile häufig vorangestellt und der Cluster auch durch Konstituenten unterbrochen werden kann. Partizipregierende Hilfsverben und infinitivregierende Vollverben weisen hingegen wenig bis keine Variation auf. Daneben zeigten die Modalverben eine hohe Variation in IPP-Konstruktionen, da hier nicht nur einfache Infinitive, sondern auch so genannte Supina verwendet werden können (hybride Verbformen aus Präteritum und Infinitiv oder Konjunktiv und Infinitiv): en hätt sollte goen ‚er hätte sollten gehen’. Da dieses Phänomen im Luxemburgischen bislang kaum beachtet wurde (auch nicht in den luxemburgischen Grammatiken) bietet die vorliegende Studie wichtige erste Erkenntnisse zu der Variantenvielfalt und zu der quantitativen Verteilung der Modal-Supina, die in etwa einem Viertel der IPP-Konstruktionen nachgewiesen werden konnten. Als Hauptfaktor für die unterschiedlichen Varianten gilt vor allem der Modus des jeweiligen Kopfverbs in der IPP-Konstruktion.

1401Aufgrund unzureichender Datenabdeckung konnten leider keine Aussagen zu Verblcustern mit AcI-Verben gemacht werden. Auch viergliedrige Verbcluster waren in den Daten deutlich unterrepräsentiert, sodass an der Stelle nur Einzelbelege besprochen wurden. In diesen beiden Fällen müssten demnach gezielt Daten erhoben werden, um mehr Aufschluss über diese Konstruktionen zu erhalten.

1402Neben den syntaktisch-strukturellen Faktoren, die für die Verbclustervariation herausgearbeitet wurden (u.a. Verbtyp, Modus und Satzfunktion), können auch prosodische Faktoren die Abfolge der Prädikatsteile beeinflussen. Dies gilt im Übrigen auch für Analysen der Wortstellung im Mittelfeld, sodass sich hier zukünftige Forschungspfade mit neuen Methoden und Fragestellungen auftun.

1403

1404Der Einsatz von Flexionsmarkern (die häufig als flektierende Nebensatzeinleitungen bezeichnet werden) kann nur für die 2. Person Singular sowie für die 1. und 3. Person Plural belegt werden. Hierbei gilt, dass der s-Marker (2.Pers.Sg., Typ: datt s de laachs ‚dass #s# du lachst’) obligatorisch ist und Adjazenz zum Subjektpronomen du/de bestehen muss. Der en-Marker (1./3.Pers.Pl., Typ: datt #e# mer laachen ‚dass #e# wir lachen’) ist zum einen optional und zum anderen strukturell deutlich eingeschränkter, da er in den Daten nur hinter einfachen (und meist einsilbigen) Nebensatzeinleitungen nachgewiesen werden konnte. Hier könnte man in Produktions- oder Bewertungstests der Frage nachgehen, inwieweit mehrsilbige Nebensatzeinleitungen tatsächlich blockiert sind und ob es strukturelle Gründe für den Einsatz dieses fakultativen Markers gibt. Zudem fehlen historische Daten, welche die genaue Entstehung dieser Flexionsmarker anhand von Beispielen dokumentieren.

1405Die Erweiterung von Nebensatzeinleitungen mit der Subjunktion dass/datt ist im Luxemburgischen hinter sämtlichen interrogativen NS-Einleitungen möglich (wat fir Leit datt dat sinn ‚was für Leute dass das sind’). Es konnte allerdings keine klare Antwort auf die Frage gefunden werden, welchen Zweck diese Dopplung erfüllt. Eine Hypothese, die in dieser Arbeit aufgeworfen wurde, war die der Subjekthervorhebung, da die dass/datt-Erweiterungen häufig dann auftreten, wenn das Subjekt im Nebensatz ein starkes Pronomen oder die Subjekt-NP einen starken Artikel enthält. Aus phonologischer Perspektive wäre auch denkbar, dass eine zusätzliche Silbe (in der Form der erweiternden Subjunktion dass/datt) die Struktur von betonten und unbetonten Silben beeinflusst und somit den Satzrhythmus gegebenenfalls optimiert. Neben diesen ersten Erkenntnissen in Bezug auf die Erweiterung mit dass/datt gilt es also, diesem Phänomen in zukünftigen Studien weiter nachzugehen.

1406Das „Forschungsprogramm“ zur luxemburgischen Syntax von Glaser (2006) konnte mit dieser Arbeit an wichtigen Stellen mit ersten Kategorisierungen und empirischen Analysen umgesetzt werden. Nichtsdestotrotz besteht noch viel Forschungsbedarf – jedoch nicht nur im direkten Zusammenhang mit den hier behandelten Phänomenen. Bei Glaser (2006) werden beispielsweise noch Infinitivanschlüsse, die Setzung eines Artikels bei Eigennamen oder die Form von Präpositionaladverbien genannt.

1407Vielversprechend wäre sicherlich auch eine technische Optimierung des vorhandenen Korpus (Standardisierung und Annotation), wodurch bestimmte Fragestellungen erneut angegangen werden könnten.

1408Bestimmte Phänomene wie etwa Partitivpronomen zeigen auch strukturelle Überschneidungen mit verwandten Varietäten, sodass auch die areale Erschließung der westgermanischen Syntax – unter Einbeziehung der luxemburgischen Syntax – ein spannendes Forschungsvorhaben für die Zukunft ist. Bereits Glaser (2006: 241) erkennt „wechselnde areale Allianzen“ mit dem Oberdeutschen und teilweise mit den westlichen Dialektgebieten des Mittel- und Oberdeutschen (mitunter kommt es aber auch zu isolierten Strukturmerkmalen). Die genaue Erschließung syntaktischer Isoglossen erfordert jedoch ein Höchstmaß an Vorbereitung und Feldforschung, da nicht alle Gebiete durch syntaktische Dialektbeschreibungen und nicht alle Phänomene durch passende Wenkersätze abgedeckt sind. Darüber hinaus wurde in dieser Arbeit auch versucht, Vergleiche mit dem Niederländischen und Flämischen herzustellen. Tatsächlich zeigen sich beispielsweise bei den Partitivpronomen, der Stark-schwach-Distinktion von Pronomen, den Verbclustern und der Mehrfachbesetzung von Nebensatzeinleitungen strukturelle Ähnlichkeiten, die weiterhin systematisch untersucht werden sollten. Für die Zukunft hält die Syntax dieser kleinen Sprache also noch große Fragestellungen bereit.

11 Eng Zesummefaassung op Lëtzebuergesch

1409A menger Dokteraarbecht hunn ech mech mat de verschiddenen Aspekter vun der lëtzebuergescher Syntax auserneegesat. Et ass mir dorëm gaangen, bestëmmte Wuertkategorien ze definéieren an ze kucken, wéi se sech am Saz manifestéieren. D’Grondlag vu mengen Analysen ass eng lëtzebuergesch Textsammlung mat ongeféier 62 Millioune Wuertformen, déi ech systematesch no bestëmmte Phänomener ausgewäert hunn.180 Zu dësem Korpus gehéieren ënnert anerem d’Noriichten an d’Commentairë vun rtl.lu, Chatgespréicher (aus den 2000er Joren) oder och mëndlech realiséiert Texter (déi als Transkript virleien). Meng Approche ass deemno deskriptiv, d.h. ech hu gekuckt, wéi d’Lëtzebuergescht benotzt gëtt, an hunn da meng Conclusiounen dorauser gezunn.

1410Ech wëll meng Haaptanalysen an déi domat verbonne Resultater mathëllef vun aacht geziilte Froen duerstellen:

1411a. Gëtt et nach e Genitiv am Lëtzebuergeschen?

1412De Genitiv spillt am Lëtzebuergeschen als aktive Kasus keng grouss Roll méi. Anescht wéi am Däitsche ginn et zum Beispill keng Präpositiounen, déi e Genitiv verlaangen (Ausnam: wéinst + Pronom am Genitiv, wéinst menger). Et existéieren awer och nach eng Rei fest Tournurë mat Genitiv: enges Daags, Enn des Mounts oder bei blannemännerchers. Wou mer nach Genitiver hunn, ass bei verschiddene Verben an Adjektiver wéi bei des Doping(s) iwwerfouert oder kenges Sportlers wierdeg. An dëse Fäll fënnt een awer och Dativer: kengem Sportler wierdeg.

1413Intressant sinn an dësem Kontext och Familljennimm am Genitiv, déi virun de Virnumm gestallt ginn: den Thills Marc (Numm: Marc Thill, den {s} markéiert de Genitiv). Dës Forme ginn awer hautdesdaags (nees eng Tournure mat Genitiv) grad vun deene méi jonke Generatiounen ëmmer manner gebraucht a sinn oft just nach passiv bekannt.

1414Eng wichteg Beobachtung ass allerdéngs, dass eenzel Spriecher ufänken, nees méi Genitiver ze benotzen. Dës Tendenz weist sech engersäits um Site wikipedia.lu, wou verschidden Auteuren déi däitsch Genitiver aus der Virlag am Lëtzebuergeschen iwwerhuelen, an anerersäits och an de Commentairë vum Site rtl.lu, wou munch Leit Genitiver benotzen, fir villäicht méi gebilt ze wierken. Dëse leschte Punkt entsprécht e bëssen der Iddi vun engem Prestige-Genitiv, wéi en och am Standarddäitschen ze beobachten ass. Och wann et sech hei ëm verschidden Eenzelfäll handelt, weist dat awer, dass et am System eng Entwécklung gëtt, déi méiglecherweis mat der Expansioun vun der lëtzebuergescher Sprooch am Schrëftlechen zesummenhänkt.

1415b. Wéi gi Possessioun an aner Relatiounen ausgedréckt (dem Max säin Auto vs. den Auto vum Max)?

1416Den Term Possessioun bedeit a senger wäiter Definitioun eng Relatioun tëscht zwou Entitéiten: Besëtz, Deel-vun-Bezéiung, Verwandtschaft, asw. Am Lëtzebuergesche kenne mer zwou Méiglechkeeten, dëst adnominal auszedrécken: mam possessiven Dativ (dem Max säin Auto) oder mat engem Präpositionalattribut (den Auto vum Max). Wéini wéi eng Konstruktioun benotzt gëtt, hänkt dobäi vun dräi Facteuren of: (a) Ass de Possessor (am Beispill Max) belieft oder onbelieft? Dem Max säin Auto ass dofir als Konstruktioun éischter ze fannen ewéi der Fënster hiert Glas. Dass dat lescht Beispill mat der Fënster net klappt, ass och en Effekt vum zweete Facteur: (b) Wéi eng Aart vu Relatioun läit vir (Besëtz, Deel-vun-Relatioun, asw.)? De Max ass zwar de Besëtzer vum Auto, mee d’Fënster ass net „de Besëtzer“ vum Glas. Hei läit also éischter eng Deel-vun-Relatioun vir resp. eng Eegeschaftsrelatioun. An dësem Fall géif et éischter heeschen d’Glas vun der Fënster. Als leschte Facteur bleift dann nach déi méi strukturell Fro: (c) Wéi laang ass d’Nominalphras vum Possessor? Ass de Possessor (Max) méi laang ewéi just den Numm oder méi laang wéi [Artikel + Substantiv], gëtt meeschtens eng vun-Konstruktioun geholl. Dofir eng Konstruktioun wéi den Auto vum Max, deem ech ni méi eppes léinen méi plausibel wéi dem Max, deem ech ni méi eppes léinen, säin Auto. Beim possessiven Dativ dierfen déi Elementer, déi fir d’Relatiounskonzept wichteg sinn, also strukturell net ze vill komplex sinn.

1417c. Wat ass eigentlech de Partitiv?

1418Als Partitivpronom gëllen d’Formen däers/es an där/der. An engem Saz wéi Hu mer däers/es nach? kann dëse Pronom op onzielbar Substantiver am Maskulinum an am Neutrum referéiere wéi Salz oder Téi. Am Saz Hu mer där/der nach? steet den där resp. der fir en onzielbart Substantiv am Feminin wéi Mëllech oder fir e Pluriel wéi Kamellen. Béid Pronome kennen eng staark an eng schwaach Form. Déi staark Formen däers an där ginn am Lëtzebuergeschen och als Partitivartikel benotzt: däers Téi muss de kee méi kafen oder mir hunn nach där Kamellen doheem. An dësem Fall gëtt keng Referenz zu engem Substantiv hiergestallt, mee d’Substantiv, wat hannert dem Partitivartikel steet, gëtt méi genee definéiert: net iergendeen Téi, mee e speziellen Téi, net Kamelle generell, mee eng bestëmmten Zort Kamellen. Dës Partitiver gi besonnesch heefeg mat Zuelen oder anere quantifikativen Ausdréck benotzt (nach, genuch, e puer, e Sak, e Glas).

1419Historesch sinn dës Partitiver aus engem Demonstrativum resp. aus engem Personalpronomen am Genitiv entstanen. Am Lëtzebuergeschen hu sech Partitiver awer als eegestännege System etabléiert a si just nach aus historescher Perspektiv mam Genitiv ze vergläichen.

1420d. Wéisou hu mer am Lëtzebuergeschen oft zwee Pronome wéi bei du/de?

1421Déi meescht Pronomen am Lëtzebuergesche kennen eng staark an eng schwaach Form: du/de, hien/en, mir/mer asw. Intressant ass awer, dass et net egal ass, wéi eng Form geholl gëtt. De Choix gëtt haaptsächlech vun der Semantik (wourop de Pronom verweist) a vun der Syntax gesteiert (wou steet de Pronom am Saz). Bei de Pronome vun der 3. Persoun (hatt/et, hien/en, si/se) kann hatt beispillsweis just fir Persounen oder Déiere mat engem weibleche Virnumm benotzt ginn. Déi genee pronominal Referenz fir weiblech Persounen, d.h. ob hatt oder si gesot gëtt, ass hei eng weider (pragmatesch) Domän, déi an dësem Kontext gekuckt muss ginn. Insgesamt hänkt de Choix ënnert anerem dovunner of, wéi gutt ee sech kennt, wéi den Altersënnerscheed ass an a wéi engem Kontext iwwert d’Persoun geschwat gëtt. Bei der staarker Form hien ass et och esou, dass et bestëmmte semantesch Restriktioune ginn: Hien ka just geholl ginn, wann de Referent (dat Element, op dat sech bezu gëtt) lieweg oder duerch en Numm méi no bezeechent ass (Bsp. Nobel-Präis). Déi schwaach Formen (et/en/se) an awer och déi staark Femininum-Form si kënne fir all Zort vu Referent benotzt ginn, d.h. hei ass et egal, ob dësen eng Persoun ass oder net.

1422Déi schwaach Pronomen hunn allerdéngs syntaktesch Aschränkungen, d.h. se dierfen net iwwerall am Saz stoen. Dës Eegeschaft bezitt sech net just op déi Pronome vun der 3. Persoun, mee op all Form aus dem Paradigma. Just déi staark Pronomen dierfe beispillweis isoléiert oder koordinéiert ginn: Wien? Si? (an net Se?) oder hien an hatt (an net en an et). Et ginn eng Rei schwaach Pronomen, déi just hannert engem Verb oder enger Präpositioun stoe kënnen (dëse Gebrauch nennt sech klitesch). Als Beispill wieren hei den de oder den em ze nennen: kënns de mat (awer net de kënns mat), et ass em egal (awer net em ass et egal).

1423e. Wéi eng Offolleg hu Pronomen am Saz?

1424Pronome kënnen an engem Saz hannertenee virkommen: dunn huet hie mer se ginn. Hei ass déi generell Fro, a wéi enger Offolleg dës Pronome stinn, d.h. wéi ee Kasus als éischt genannt gëtt. Am Lëtzebuergesche manifestéiert sech eng staark Tendenz zur Offolleg Nominativ > Dativ > Akkusativ. De Sujet muss an dëse Fäll ëmmer als éischt genannt ginn. Akkusativ virun Dativ ass och méiglech, gëtt awer just ganz selte benotzt. Opfälleg ass, dass dëst bei den däitsche Pronomen anescht ass, d.h. hei stinn Akkusativ an Dativ genee ëmgedréint (dann hat er es mir gegeben, Nom>Akk>Dat) – dat gëllt awer just bei de Pronomen an net bei nominale Sazdeeler (dann hat er mir das Buch gegeben, Nom>Dat>Akk).

1425f. Wéi ass d’Reiefolleg vu Verben am Niewesaz?

1426E Verb kann am Saz aus méi Deeler bestoen (huet gesinn, wollt gesot kréien, misst kommen, asw.). Am Haaptsaz gëtt ëmmer déi conjugéiert Verbform am Ufank genannt an dono déi Verbdeeler, déi vun hir ofhänken: hien huet dat gesinn. Am Niewesaz kann dës Reiefolleg änneren. Hei muss awer genee gekuckt ginn, wéi eng Verbkategorien zesumme benotzt ginn. Bei den Hëllefsverben hunn, kréien, sinn a bei Vollverben, déi en Infinitiv verlaangen (loossen, goen) muss dat conjugéiert Verb ëmmer hanne stoen: dass en dat gesinn huet, dass si gehollef kruten, dass ee froe geet. Anescht ass et bei deenen anere Verben: Modalverben (mussen, däerfen, sollen, asw.) an Hëllefsverbe fir de Konjunktiv (géif, géing, wäert) loosse béid Stellungen zou (conjugéiert Verb vir oder hannen): dass e froe géif // dass e géif froen. Bei dësem Verbtyp weist sech awer eng staark Tendenz, dat conjugéiert Verb no vir ze stellen. An dësem Fall kënnen och aner Deeler aus dem Saz tëscht d’Verbe réckelen: dass ech misst mat him kucken.

1427Bei Verbe mat dräi oder véier Deeler hänkt d’Stellung och vun de Verbtyppen of, déi matenee kombinéiert ginn. Awer och hei gëllt, dass grad d’Modalverben an d’Hëllefsverbe fir de Konjunktiv méi variabel an der Positioun sinn.

1428g. Wéisou heescht et „datt s de do bass“? Wat ass deen <s> hannert dem datt?

1429Wann de Sujet am Niewesaz du/de ass, da muss tëscht Niewesazaleedung a Pronom en s gesat ginn: datt s de kënns. Dësen <s> ass un déi Plaz am Saz gebonnen, d.h. egal wéi laang d’Niewesazaleedung ass, den <s> muss gesat ginn: a wéi eng Richtung s de fiers. Och a kuerzen elliptesche Sätz ass den <s> obligatoresch: méi kleng wéi s du. Aus historescher Perspektiv ass den <s> eng Reanalys vun enger Sequenz vu Pronom a Verb: Aus Kombinatioune wéi kënns de si Kombinatioune vum Genre wann s de entstanen (d’Grenz ass an dëse Beispiller graphesch duerch en Espace markéiert, wat am Geschwaten natierlech net de Fall ass). Déi sdu/sde-Form huet sech dunn esou fest etabléiert, dass se mëttlerweil obligatoresch ass: wéi s de gesäis (eng Form ouni <s> wier ongrammatesch).

1430Fakultativ ass allerdéngs den <en> bei datt e mer kommen oder datt en si kommen. Den <en> ass hei manner strict wéi den <s> a kann och just u kuerz Niewesazaleedungen drugehaange ginn.

1431h. Firwat setzt een a munchen Niewesätz dass/datt hannert d’Aleedung (si weess, wouvunner dass ech schwätzen)?

1432Niewesätz kënnen am Lëtzebuergeschen eng duebel Aleedung kréien, d.h. dass eng normal Niewesazaleedung duerch datt oder dass erweidert ka ginn: wéini dass e kënnt. An den Donnéeën ass däitlech ze erkennen, dass déi Erweiderung bei all interrogativem Element méiglech ass, dat e Saz aleet, onofhängeg vun der Längt: ënner wat fir Conditiounen dass dat méiglech ass. D’Funktioun vum dass/datt ass an dësem Kontext net ganz kloer. En éischt Resultat ass awer, dass e virun allem dann optrëtt, wann de Sujet am Saz eng prominent Roll huet (wat sech duerch e staarke Pronom oder en Demonstrativpronom manifestéiere kann).

1433Dës Resultater sinn am Laf vu véier Joer Dokteraarbecht (2013-2017) entstanen a sollen dozou bäidroen, d’lëtzebuergesch Sproochstruktur besser ze verstoen an se och no bausse siichtbar ze maachen, beispillsweis an der Fuerschung am Ausland. Dës Analyse sinn allerdéngs keng ofgeschlosse Grammaire, mee se weisen éischt Tendenzen op an bilde Kategorien eraus, déi an Zukunft nach méi déif erfuerscht kënne ginn.

Bibliografie

Ágel, Vilmos (2000): Syntax des Neuhochdeutschen bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. In: Werner Besch, Anne Betten, Oskar Reichmann & Stefan Sonderegger (Hg.): Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. Berlin; New York: De Gruyter. S. 1855-1903.

Allen, Cynthia L. (2008): Genitives in early English: Typology and evidence. Oxford University Press on Demand.

Altmann, Hans (1976): Gradpartikeln und Topikalisierung. In: Kurt Braunmüller & Wilfried Kürschner (Hg.): Grammatik. Bd. 2. Tübingen: Niemeyer. S. 233-243.

(1981): Formen der Herausstellung im Deutschen: Rechtsversetzung, Linksversetzung, freies Thema und verwandte Konstruktionen. Berlin; New York: De Gruyter.

(1984): Das System der enklitischen Personalpronomina in einer mittelbairischen Mundart. Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik 51, 191-211.

Anderson, Stephen R. (1993): Wackernagel’s revenge: Clitics, morphology & the syntax of second position. Language 69, 68-98.

Androutsopoulos, Jannis (2007): Neue Medien – neue Schriftlichkeit? Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes 1(7), 72-97.

(2011): Language change and digital media: A review of conceptions and evidence. In: Tore Kristiansen & Nikolas Coupland (Hg.): Standard languages and language standards in a changing Europe. Oslo: Novus Press. S. 145-161.

Bach, Adolf (1952): Die Verbindung von Ruf- und Familiennamen in den deutschen, insbesondere den rheinischen Mundarten. Rheinische Vierteljahrsblätter 17, 66-88.

Bader, Markus & Tanja Schmid (2009): Verb clusters in colloquial German. The Journal of Comparative Germanic Linguistics 12(3), 175-228.

Barbiers, Sjef (2009): Quantitative er, doubling and the structure of nominal phrases. Workshop Agreement, doubling and the DP in honor of Erik Schoorlemmer’s defense. Leiden. Ms.

Barbiers, Sjef & Hans Bennis (2007): The syntactic atlas of the Dutch dialects. A discussion of choices in the SAND-project. Nordlyd 34(1): 53-72.

Barbiers, Sjef et al. (2005a): Syntactic Atlas of the Dutch Dialects. Band 1. Amsterdam: Amsterdam University Press.

(2005b): Syntactic Atlas of the Dutch Dialects. Band 2. Amsterdam: Amsterdam University Press.

(2008a): Syntactic Atlas of the Dutch Dialects: Commentary. Band 1. Amsterdam: Amsterdam University Press.

(2008b): Syntactic Atlas of the Dutch Dialects: Commentary. Band 2. Amsterdam: Amsterdam University Press.

Barbour, Stephen & Patrick Stevenson (1998): Variation im Deutschen: soziolinguistische Perspektiven. Berlin; New York: De Gruyter.

Bart, Gabriela (2006): ‚Ds Grossvattersch Brilla’ oder ‚di Brilla vam Grossvatter’. Zu den Possessivkonstruktionen im Schweizerdeutschen. Lizentiatsarbeit. Universität Zürich.

Bausewein, Katrin (1990): Akkusativobjekt, Akkusativobjektsätze und Objektsprädikative im Deutschen: Untersuchungen zu ihrer Syntax und Semantik. Berlin; New York: De Gruyter.

Bayer, Josef (1984): COMP in Bavarian syntax. The Linguistic Review 3, 209-274.

(2013): Klitisierung, Reanalyse und die Lizensierung von Nullformen: zwei Beispiele aus dem Bairischen. In: Werner Abraham & Elisabeth Leiss (Hg.): Dialektologie in neuem Gewand. Zu Mikro-/Varietätenlinguistik, Sprachenvergleich und Universalgrammatik. Hamburg: Buske. S. 29-45

Bayer, Josef & Ellen Brandner (2008a): On Wh-Head-Movement and the Doubly-Filled-Comp Filter. In: Charles B. Chang & Hannah J. Haynie (Hg.): Proceedings of the 26th West Coast Conference on Formal Linguistics. Sommerville: Cascadilla Press. S. 87-95.

(2008b): Wie oberflächlich ist die syntaktische Variation zwischen Dialekten? – Doubly-filled COMP revisited. In: Franz Patocka & Guido Seiler (Hg.): Dialektale Morphologie, dialektale Syntax. Vienna: Praesens.

Bech, Gunnar (1983 [1955]): Studien über das deutsche Verbum infinitum. 2. Auflage. Tübingen: Narr.

Beckers, Hartmut (1980): Westmitteldeutsch. In: Hans Peter Althaus, Helmut Henne & Herbert Ernst Wiegand (Hg.): Lexikon der germanistischen Linguistik. Band 3. Tübingen: Niemeyer. S. 468-474.

Behaghel, Otto (1923): Deutsche Syntax. Eine geschichtliche Darstellung. Band 1+2. Heidelberg: Winter.

(1932): Deutsche Syntax. Eine geschichtliche Darstellung. Band 4. Heidelberg: Winter.

Berchthold, Simone & Antje Dammel (2014): Kombinatorik von Artikel, Ruf- und Familiennamen in Varietäten des Deutschen. In: Friedhelm Debus, Rita Heuser & Damaris Nübling (Hg.): Linguistik der Familiennamen. Hildesheim; Zürich; New York: Olms. S. 249-280

Berg, Guy (1993): >Mir wëlle bleiwe, wat mir sin<. Soziolinguistische und sprachtypologische Betrachtungen zur luxemburgischen Mehrsprachigkeit. Tübingen: Niemeyer.

(2006): Abschied vom Dialekt. Zur lëtzebuergeschen belletristischen Gegenwartsliteratur. In: Claudine Moulin & Damaris Nübling (Hg.): Perspektiven einer linguistischen Luxemburgistik. Studien zu Diachronie und Synchronie. Heidelberg: Winter. S. 341-356.

Bertrang, Alfred (1921): Grammatik der Areler Mundart. Brüssel: Académie Royale de Belgique. Classe des lettres et des sciences morales et politiques.

Bourg, Jean-Pierre (1895-1896): Die Luxemburger Mundart. Ons Hémecht. Luxemburg. Ohne Seitenangabe.

Brandner, Ellen (2011): New Perspectives on Complementizer Agreement. Brussels Conference on Generative Linguistics (BCGL 6). Handout. URL: http://ling.uni-konstanz.de/pages/home/synalm/CA_bruessel2.pdf [Zugriff: 19.2.2017].

Braun, Josy, Marianne Johanns-Schlechter, Josée Kaufmann-Frantz, Henri Losch & Geneviève Magnette-Barthel (2005): Grammaire de la langue luxembourgeoise. Hg. vom Ministère de l’Éducation nationale et de la Formation professionelle. Mamer: Edition Binsfeld.

Bresnan, Joan (1970): On Complementizers: Toward a Syntactic Theory of Complement Types. Foundations of Language 6(3), 292-321.

Brinker, Klaus (1997): Linguistische Textanalyse. 4. Auflage. Berlin: Schmidt.

Broekhuis, Hans & Marcel den Dikken (2012): Syntax of Dutch. Nouns and Noun Phrases (Band 2). Amsterdam: Amsterdam University Press.

Bruch, Robert (1953): Grundlegung einer Geschichte des Luxemburgischen. Luxemburg: Publications littéraires et scientifiques du ministère de l’éducation nationale.

(1955): Précis populaire de Grammaire Luxembourgeoise - Luxemburger Grammatik in volkstümlichem Abriss. Luxembourg: Editions de la Section de Linguistique de l’Institut grand-ducal.

(1963): Luxemburgischer Sprachatlas – Laut- und Formenatlas (=LSA). URL: http://engelmann.uni.lu/lsa/ [Zugriff: 19.2.2017].

Bucheli, Claudia & Elvira Glaser (2002): The syntactic atlas of Swiss German dialects: empirical and methodological problems. Syntactic microvariation 2: 41-73.

Burger, Harald (2007): Phraseologie. Eine Einführung am Beispiel des Deutschen. 4., neu bearbeitete Auflage. Berlin: Schmidt.

Bußmann, Hadumod (2002): Lexikon der Sprachwissenschaft. Dritte, aktualisierte und erweiterte Auflage. Stuttgart: Kröner.

Cardinaletti, Anna & Michal Starke (1994): The typology of structural deficiency. On the three grammatical classes. University of Venice Working Paper in Linguistics 4, 41-109.

(1995): The tripartition of pronouns and its acquisition: Principle B puzzles are ambiguity problems. In: Proceedings of the North East Linguistic Society 25. Volume Two: Papers from the workshops on Language Acquisition & Language Change. Hg. v. J.N. Beckman. Amherst, Massachusetts. S. 1-12.

(1996): Deficient pronouns: A view from Germanic. Studies in comparative Germanic syntax 2, 21-65.

(1999): The Typology of Structural Deficiency: On the three Grammatical Classes. In: Henk van Riemsdijk (Hg.): Clitics in the Languages of Europe. Berlin; New York: Mouton de Gruyter. S. 145-233.

Carlier, Anne (2007): From preposition to article: The grammaticalization of the French partitive. Studies in Language 31, 1-49.

Chambers, J. K. & Peter Trudgill (1998): Dialectology. 2. Auflage. Cambridge [u.a.]: Cambridge University Press.

Christa Dürscheid (1999): Die verbalen Kasus des Deutschen. Untersuchungen zur Syntax, Semantik und Perspektive. Berlin; New York: De Gruyter.

Christen, Helen (1998): Die Mutti oder das Mutti, die Rita oder das Rita? Über Besonderheiten der Genuszuweisung bei Personen- und Verwandtschaftsnamen in schweizerdeutschen Dialekten. In: André Schnyder & Karl-Ernst Geith (Hg.): Ist mir getroumet mîn leben? Vom Träumen und vom Anderssein. Festschrift für Karl-Ernst Geith zum 65. Geburtstag. Göppingen. S. 267-281.

Christophory, Jul (2008 [1974]): Mir schwätze Lëtzebuergesch. Nous parlons luxembourgeois. Abécédaire luxembourgeois. Guide bilingue de Grammaire et de Lecture. We speak Luxembourgish. Luxembourgish Primer Bilingual Guide to Grammar and Reading. 3., ergänzte und überarbeitete Auflage. Luxemburg: Paul Bauler.

Coleman E., Gabriella (2010): Ethnographic Approaches to Digital Media. Annual Review of Anthropology 39, 487-505.

Corbett, Greville G. (1979): The Agreement Hierarchy. Journal of Linguistics 15, 203-224.

(2006): Agreement. Cambridge: Cambridge University Press.

Cornelissen, Georg (2014): Genitivierungen bei vorangestellten Familiennamen im Kleverländischen. Rezente und diachrone Befunde. In: Friedhelm Debus, Rita Heuser & Damaris Nübling (Hg.): Linguistik der Familiennamen. Hildesheim; Zürich; New York: Olms. S. 281-296.

Corver, Norbert, Marjo Van Koppen & Huib Kranendonk (2009): Quantitative er: a new microcomparative view on an old puzzle. 24th Comparative Germanic Syntax Workshop, University of Brussels.

Cravatte, J. (1953): Syntax der Herziger Mundart. Leuven (Manuskript).

Cresti, Diana (2003): Aspects of the Syntax and Semantics of ne. In: Christina Tortora (Hg.): The Syntax of Italian Dialects. Oxford; New York: Oxford University Press. S. 67-101.

Dammel, Antje (2006): Präteritopräsentia im Luxemburgischen. Eigenwege einer verbalflexivischen Sonderklasse. In: Claudine Moulin & Damaris Nübling (Hg.): Perspektiven einer linguistischen Luxemburgistik. Studien zu Diachronie und Synchronie. Heidelberg: Winter. S. 139-169.

Dammel, Antje, Sebastian Kürschner & Damaris Nübling (2010): Pluralallomorphie in zehn germanischen Sprachen: Konvergenzen und Divergenzen in Ausdrucksverfahren und Konditionierung. In: Antje Dammel, Sebastian Kürschner & Damaris Nübling (Hg.): Kontrastive germanistische Linguistik. Band 2. Hildesheim u.a.: Olms. S. 587-642.

Dammel, Antje & Simone Berchtold (2014): Kombinatorik von Artikel, Ruf- und Familiennamen in Varietäten des Deutschen In: Friedhelm Debus, Rita Heuser, Damaris Nübling (Hg.): Linguistik der Eigennamen. Hildesheim u.a.: Olms. S. 249-280.

De Beaugrande, Robert-Alain & Wolfgang U. Dressler (1981): Einführung in die Textlinguistik. Tübingen: Niemeyer.

De Carro, Jean (1819): Praktische Beobachtungen über die Schwefelräucherungen. Wien.

De Schutter, Georges (1992): Partitief of kwantitatief er, of over de verklaring van yntactische variatie. Taal en Tongval 44, 15-26.

(2002): Dutch. In: Ekkehard König & Johan van der Auwera (Hg.): The Germanic Languages. New edition. London: Routledge. S. 439-477.

De Vogelaer, Gunther, Magda Devos & Johan Van der Auwera (2006): Voegwoordvervoeging: morfologisch of syntactisch verschijnsel? Taal en Tongval 19, 212-230.

Di Meola, Claudio (2000): Deutsche Präpositionen im Überblick: Form, Stellung und Rektion. Pandaemonium Germanicum 4, 321-368.

(2004): The rise of the prepositional genitive in German – a grammaticalization phenomenon. Lingua 114, 165-182.

(2009): Rektionsschwankungen bei Präpositionen – erlaubt, verboten, unbeachtet. In: Marek Konopka & Bruno Strecker (Hg.): Deutsche Grammatik – Regeln, Normen, Sprachgebrauch. Berlin; New York: de Gruyter. S. 195-221.

Döhmer, Caroline (2013): Wortstellungsvariation im luxemburgischen Nebensatz. Master-Arbeit. Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.

(2014): Relativsatzkonstruktionen im Dialekt von Bleibach (Elztal) und der Einfluss des Standarddeutschen auf Dialekte. In: Dominique Huck (Hg.): Alemannische Dialektologie: Dialekte im Kontakt. Stuttgart: Steiner. S. 115-130.

(2016): Formenbestand und strukturelle Asymmetrien der luxemburgischen Personalpronomen. In: Augustin Speyer & Philipp Rauth (Hg.): Syntax aus Saarbrücker Sicht I. Stuttgart: Steiner Verlag. S. 15-38.

(2018): A new perspective on the Luxembourgish genitive. In: Tanja Ackermann, Horst J. Simon & Christian Zimmer (Hg.): Germanic Genitives. Amsterdam: Benjamins. S. 15-36.

Dubenion-Smith, Shannon A. (2010): Verbal complex phenomena in West Central German: Empirical domain and multi-causal account. Journal of Germanic Linguistics 22(02): 99-191.

Dudengrammatik (2006) = Duden. Die Grammatik. 7., völlig neu erarbeitete und erweiterte Auflage. Hg. v. der Dudenredaktion. Mannheim [u.a.]: Dudenverlag.

Dürscheid, Christa (2004): Netzsprache – ein neuer Mythos. In: Michael Beißwenger & Ludger Hoffmann & Angelika Storrer (Hg.): Internetbasierte Kommunikation. Duisburg: Red. S. 141-157.

(2005): Medien, Kommunikationsformen, kommunikative Gattungen. In: Linguistik online 22. URL: http://www.linguistik-online.de/22_05/duerscheid.pdf [Zugriff: 19.2.2017].

Dürscheid, Christa (2006): Einführung in die Schriftlinguistik. 3., überarbeitete und ergänzte Auflage. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Ebert, Robert Peter (1981): Social and stylistic variation in the order of auxiliary and non-finite verb in dependent clauses in Early New High German. Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 103, 204-237.

Eisenberg, Peter (2016a): Grundriss der deutschen Grammatik. Band 1: Das Wort. 4., aktualisierte und überarbeitete Auflage. Stuttgart; Weimar: Metzler.

(2016b): Grundriss der deutschen Grammatik. Band 2: Der Satz. 4., aktualisierte und überarbeitete Auflage. Stuttgart; Weimar: J.B. Metzler.

Elter, Irmgard (2005): Genitiv versus Dativ. Die Rektion der Präpositionen wegen, während, trotz, statt und dank in der aktuellen Zeitungssprache. In: Johannes Schwitalla & Werner Wegstein (Hg.): Korpuslinguistik deutsch: synchron – diachron – kontrastiv. Tübingen: Niemeyer. S. 125-135.

Engel, Ulrich (1996): Deutsche Grammatik. 3., korrigierte Auflage. Heidelberg: Julius Groos.

Eroms, Hans-Werner (2000): Syntax der deutschen Sprache. Berlin: De Gruyter.

Fehlen, Fernand (2008): Multilingualismus und Sprachenpolitik. In: Wolfgang H. Lorig & Mario Hirsch (Hg.): Das politische System Luxemburgs. Eine Einführung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. S. 45-61.

(2009): BaleineBis: une enquête sur un marché linguistique multilingue en profonde mutation. Luxemburgs Sprachenmarkt im Wandel. Luxembourg: SESOPI.

Fehlen, Fernand & Andreas Heinz (2016): Die Luxemburger Mehrsprachigkeit. Ergebnisse einer Volkszählung. Bielefeld: Transcript.

Fehlen, Fernand et al. (2013): Les langues parlées au travail, à l’école et/ou à la maison / Umgangssprachen. Luxembourg: STATEC. URL:

www.statistiques.public.lu/fr/publications/series/rp2011/2013/13-13-langues/index.html [Zugriff: 19.2.2017].

Fiehler, Reinhard (2000): Über zwei Probleme bei der Untersuchung gesprochener Sprache. Sprache und Literatur in Wissenschaft und Unterricht 85, 23-42.

Fillmore, Charles J., Paul Kay & Mary O’Connor (1988): Regularity and idiomaticity in grammatical constructions: the case of let alone. Language 64(3), 501-538.

Flämig, Walter (1991): Grammatik des Deutschen. Einführung in Struktur- und Wirkungszusammenhänge. Erarbeitet auf der theoretischen Grundlage der „Grundzüge einer deutschen Grammatik“. Berlin: Akademie Verlag.

Fleischer, Jürg (2005): Relativsätze in den Dialekten des Deutschen: Vergleich und Typologie. In: Helen Christen (Hg.): Dialektologie an der Jahrtausendwende (Linguistik online 24). S. 171-186.

(2011): … und habe es ihr gesagt: zur dialektalen Abfolge pronominaler Objekte (eine Auswertung von Wenkersatz 9). In: Elvira Glaser, Jürgen Erich Schmidt & Natascha Frey (Hg.): Dynamik des Dialekts – Wandel und Variation. Akten des 3. Kongresses der Internationalen Gesellschaft für Dialektologie des Deutschen (IGDD). Stuttgart: Steiner. S. 77-100.

(2012): Pronominalsyntax im nordwestlichen Niederdeutsch: eine Auswertung des Wenker-Materials (mit Einbezug der friesischen und dänischen Formulare). Niederdeutsches Jahrbuch 135, 59-80.

(2014): Das flektierte prädikative Adjektiv und Partizip in den Wenker-Materialien. In: Dominique Huck (Hg.): Alemannische Dialektologie: Dialekte im Kontakt. Stuttgart: Steiner. S. 147-168.

(2015): Pro-Drop und Pronominalenklise in den Dialekten des Deutschen: eine Auswertung von Wenkersatz 12. In: Michael Elementaler, Markus Hundt & Jürgen Erich Schmidt (Hg.): Deutsche Dialekte: Konzepte, Probleme, Handlungsfelder. Akten des 4. Kongresses der Internationalen Gesellschaft für Dialektologie des Deutschen (IGDD). Stuttgart: Steiner. S. 191-209, 504-505.

Fleischer, Jürg, Alexandra N. Lenz & Helmut Weiß (2017): Über SyHD-atlas. In: SyHD-atlas. URL: www.syhd.info/apps/atlas/#syhd-und-syhd-atlas [Zugriff: 16.2.2017].

Fleischer, Jürg, Simon Kasper & Alexandra N. Lenz (2012): Die Erhebung syntaktischer Phänomene durch die indirekte Methode: Ergebnisse und Erfahrungen aus dem Forschungsprojekt Syntax hessischer Dialekte (SyHD). Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik 79(1), 2-42.

Fleischer, Jürg & Oliver Schallert (2011): Historische Syntax des Deutschen: eine Einführung. Tübingen: Narr.

Flores Flores, Amaru W. (2014): Zur Grammatik der Familiennamen im Luxemburgischen. Kombinatorik mit Rufnamen, Bildung des Plurals und Movierung. In: Friedhelm Debus, Rita Heuser & Damaris Nübling (Hg.): Linguistik der Familiennamen. Hildesheim; Zürich; New York: Olms. S. 297-319.

Forster, Johann Reinhold (1784): Johann Reinhold Forster's Reise um die Welt während den Jahren 1772-1775. Berlin.

Fortmann, Christian & Werner Frey (1997): Konzeptuelle Struktur und Grundabfolge der Argumente. In: Franz-Josef d’Avis & Uli Lutz (Hg.): Zur Satzstruktur im Deutschen. Universität Stuttgart/Tübingen. S. 143-170.

Foulet, Lucien (1965): Petite syntaxe de l’ancien français. Paris: Champion.

Frajzyngier, Zygmunt (1995): A functional theory of complementizers. Modality in grammar and discourse 32: 473.

Frühm, Thomas (1908): Vergleichende Flexionslehre der Jaader und Moselfränkischen Mundart. Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde einer hohen philosophischen Fakultät der Universität Tübingen.

Fuß, Eric (2004): Diachronic clues to pro-drop and complementizer agreement in Bavarian. In: Eric Fuß & Carola Trips (Hg.): Diachronic clues to to synchronic syntax. Amsterdam: Benjamins. S. 59-100.

(2014): Complementizer agreement (in Bavarian): Feature inheritance or feature insertion? In: Günther Grewendorf & Helmut Weiß (Hg.): Bavarian Syntax. Contributions to the Theory of Syntax. Amsterdam: Benjamins. S. 51-82.

Fuß, Eric & Melani Wratil (2013): Der Nullsubjektzyklus: Etablierung und Verlust von Nullargumenten. In: Jürg Fleischer & Horst Simon (Hg.): Sprachwandelvergleich – Comparing Diachronies. Berlin; Boston: De Gruyter. S. 163-196.

Gallmann, Peter (1998): Case underspecification in morphology, syntax and the lexicon. In: Artemis Alexiadou & Chris Wilder: Possessors, Predicates and Movement in the Determiner Phrase. Amsterdam: Benjamins. S. 141-175.

Gelhaus, Hermann (1972): Vorstudien zu einer kontrastiven Beschreibung der schweizerdeutschen Schriftsprache der Gegenwart. Die Rektion der Präpositionen trotz, während und wegen. Unter Mitarbeit von Roger Frey & Otfried Heyne. Bern; Frankfurt: Peter Lang.

Gilles, Peter (1998): Die Emanzipation des Lëtzebuergeschen aus dem Gefüge der deutschen Mundarten. Zeitschrift für deutsche Philologie, 20-35.

(1999): Dialektausgleich im Lëtzebuergeschen. Zur phonetisch-phonologischen Fokussierung einer Nationalsprache. Tübingen: Niemeyer.

(2000): Die Konstruktion einer Standardsprache. Zur Koinédebatte in der luxemburgischen Linguistik. In: Dieter Stellmacher (Hg.): Dialektologie zwischen Tradition und Neuansätzen. Beiträge der Internationalen Dialektologentagung. Göttingen, 19.-21. Oktober 1998. S. 200-212.

(2006a): Dialektausgleich im Luxemburgischen. In: Claudine Moulin & Damaris Nübling (Hg.): Perspektiven einer linguistischen Luxemburgistik. Studien zu Diachronie und Synchronie. Heidelberg: Winter. S. 1-27.

(2006b): Phonologie der n-Tilgung im Moselfränkischen (‚Eifler Regel’). Ein Beitrag zur dialektologischen Prosodieforschung In: Claudine Moulin & Damaris Nübling (Hg.): Perspektiven einer linguistischen Luxemburgistik. Studien zu Diachronie und Synchronie. Heidelberg: Winter. S. 28-68.

(2011): Mündlichkeit und Schriftlichkeit in der luxemburgischen Sprachgemeinschaft. In: Georg Mein & Heinz Sieburg (Hg.): Medien des Wissens. Interdisziplinäre Aspekte von Medialität. Bielefeld: transcript. S. 43-64.

Gilles, Peter & Claudine Moulin (2003): Luxembourgish. In: Ana Deumert & Wim Vandenbussche (Hg.): Germanic Standardizations. Past to Present. Amsterdam; Philadelphia: Benjamins. S. 303-330.

Gilles, Peter & Trouvain, Jürgen (2013): Luxembourgish. Journal of the International Phonetic Association 43(1), 67-74.

Givón, Talmy (1981): On the development of the numeral ‘one’ as an indefinite marker. Folia Linguistica Historica 2(1), 35-54.

(1983): Topic continuity in discourse: A quantitative cross-language study. Vol. 3. Amsterdam: Benjamins Publishing.

Glaser, Elvira (1992): Umbau partitiver Strukturen in der Geschichte des Deutschen. Sprachwissenschaft 17(2), 113-132.

(1993): Syntaktische Strategien zum Ausdruck von Indefinitheit und Partitivität im Deutschen (Standardsprache und Dialekt). In: Werner Abraham & Josef Bayer (Hg.): Dialektsyntax. Opladen: Westdeutscher Verlag. S. 99-116.

(1995): Die syntaktische Nullstelle – eine Kennform des Alemannischen? In: Heinrich Löffler (Hg.): Alemannische Dialektforschung. Bilanz und Perspektiven: Beiträge zur 11. Arbeitstagung alemannischer Dialektologen. Tübingen; Basel: Francke. S. 65-79.

(1996): Morphologie und Funktion des unbestimmten Artikels im Bairischen. In: Hans-Werner Eroms & Hermann Scheuringer (Hg.): Sprache an Donau, Inn und Enns. Linz: Adalbert-Stifter-Institut des Landes Oberösterreich. S. 149-169.

(2000): Erhebungsmethoden dialektaler Syntax. In: Dieter Stellmacher (Hg.): Dialektologie zwischen Tradition und Neuansätzen. Beiträge der internationalen Dialektologentagung, Göttingen, 19.- 21. Oktober 1998. Stuttgart: Steiner. S. 258-276.

(2006): Zur Syntax des Lëtzebuergeschen: Skizze und Forschungsprogramm. In: Claudine Moulin & Damaris Nübling (Hg.): Perspektiven einer linguistischen Luxemburgistik. Studien zu Diachronie und Synchronie. Heidelberg: Winter. S. 227-246.

(2008): Syntaktische Raumbilder. In: Peter Ernst & Franz Patocka (Hg.): Dialektgeographie der Zukunft. Stuttgart: Steiner. S. 85-111.

(2011): Von Dialektologie und Sprachgeschichte. Ein Programm. In: Michael Stolz & Robert Schöller (Hg.): Germanistik in der Schweiz (GiS) (8/2011). Bern. S. 5-28. URL: http://www.germanistik.ch/publikation.php?id=Von_Dialektologie_und_Sprachgeschichte [Zugriff: 19.2.2017].

Glaser, Elvira & Gabriela Bart (2016): Dialektsyntax des Schweizerdeutschen. In: Roland Kehrein, Alfred Lameli & Stefan Rabanus (Hg.): Regionale Variation des Deutschen. Projekte und Perspektiven. Berlin: De Gruyter Mouton.

Gloden, Henri (1845): Grammatisches. In: Antoine Meyer: Luxemburgische Gedichte und Fabeln, nebst einer grammatischen Einleitung und einer Wörtererklärung der dem Dialekt mehr oder weniger eigenartigen Ausdrücke von Gloden. Brüssel: Delevingne und Callewaert. Ohne Seitenangabe.

Godefroid, Hary (1936-1940): Sprôch, stil an dichtong. Jonghémecht. Blätter für heimatliches Schrift- und Volkstum. Luxemburg.

Goudailler, Jean-Pierre (1987): Einige Spracheigentümlichkeiten der lëtzebuergeschen Mundarten im Licht der instrumentellen Phonetik. In: Jean-Pierre Goudailler (Hg.): Aspekte des Lëtzebuergeschen. Hamburg: Buske. S. 230-297.

Haas-Heckel, Marianne, Marielle Rispail & Hervé Atamaniuk (2012): Le Platt lorrain pour les nuls: guide de conversation. Paris: First-Gründ.

Haegemann, Liliane & Henk van Riemsdijk (1986): Verb Projection Raising, Scope & the Typology of Rules Affecting Verbs. Linguistic Inquiry 17(3), 417-466.

Haider, Hubert (1992): Branching and Discharge. URL: https://www.uni-salzburg.at/fileadmin/multimedia/Linguistik/BRANCHING__Discharge.pdf [Zugriff: 19.2.17].

Harley, Heidi & Alex Trueman (2010): Hiaki pronominals and the typology of deficiency. Santa Barbara Papers in Linguistics 21, 40-54.

Harnisch, Rüdiger (1989): Die sogenannte ‚sogenannte Flexion der Konjunktionen’. Ein Paradigma aus der Bavaria thuringica. In: Erwin Koller, Werner Wegstein & Norbert Wolf (Hg.): Bayerisch-Österreichische Dialektforschung. Würzburg: Königshausen & Neumann. S. 283-290.

Haspelmath, Martin (1997): Indefinite Pronouns. Oxford: Oxford University Press.

(2006): Against Markedness (and what to replace it with). Journal of Linguistics 42(1), 25-70.

(2010): Framework-free grammatical theory. In: Bernd Heine & Heiko Narrog (Hg.): The Oxford handbook of grammatical analysis. Oxford: Oxford University Press. S. 341-365.

Haupert, Camille et al. (2002): Lëtzebuergesch. Mir schwätze mateneen. Lëtzebuergesche Cours. Band 3: Module 7, 8, 9. Hg. v. Ministère de l’Education Nationale, de la Formation Professionnelle et des Sports. Luxemburg.

Heitzler, Pierre (1975): Études syntaxiques du dialecte de Kaysersberg. Paris: Champion.

Hentschel, Elke & Harald Weydt (2003): Handbuch der deutschen Grammatik. 3. Auflage. Berlin: De Gruyter.

Himmelmann, Nikolaus P. (2001): Articles. In: Martin Haspelmath et al. (Hg.): Sprachtypologie und sprachliche Universalien. Ein internationales Handbuch. Berlin: De Gruyter. S. 831-841.

Hoberg, Ursula (1997): Die Linearstruktur des Satzes. In: Gisela Zifonun, Ludger Hoffmann & Bruno Strecker (Hg.): Grammatik der deutschen Sprache. Band 2. Berlin: De Gruyter, 1496-1680.

Hoeksema, Jacob (1996): Floating quantifiers, partitives, and distributivity. In: Jacob Hoeksema (Hg.): Partitives: Studies on the Syntax and Semantics of Partitive and Related Constructions. Berlin: de Gruyter. S. 57-106.

Hoekstra, Eric & Caroline Smits (1999): Everything you always wanted to know about complementizer agreement. In: Elly van Gelderen & Vida Samiian (Hg.): Proceedings of WECOL 1998. Fresno, CA: California State University Press.

Höhle, Tilmann N. (1982): Explikation für „normale Betonung“ und „normale Wortstellung“. In: Werner Abraham (Hg.): Satzglieder im Deutschen. Tübingen: Narr. S. 75-153.

(2006): Observing non-finite verbs: Some 3V phenomena in German-Dutch. In: Form, structure and grammar. A Festschrift presented to Günther Grewendorf on occasion of his 60th birthday. Hg. v. Patrick Brandt & Eric Fuß. Berlin: Akademie Verlag. S. 55-77.

Hole, Daniel & Gerson Klumpp (2000): Definite Type and Indefinite Token: The Article son in Colloquial German. Linguistische Berichte 182, 231-244.

Hopper, Paul J. & Sandra A. Thompson (1980): Transitivity in Grammar and Discourse. Language 56(2), 251-299.

Hörmann, Hans (1994): Meinen und Verstehen. Grundzüge einer psychologischen Semantik. 4. Auflage. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Horner, Kristine & Jean-Jacques Weber (2008): The language situation in Luxembourg. Current Issues in Language Planning 9(1), 69-128.

Humbert, Adrienne (2015): „Wanns du eppes kanns”, vermeintlich flektierende Konjunktionen im Luxemburgischen. Travail de candidature. Luxemburg.

Huss, Richard (1924/1925): Wenkerfragebögen Luxemburgischer Sprachatlas. Erhoben 1924/1925 von Richard Huss. Zusammengestellt von Peter Gilles. Luxemburg.

Hylen, Kris & Dirk Speelman (2003): A corpus-based analysis of word order variation: The order of verb arguments in the German middle field. In: Dawn Archer, Paul Rayson, Andrew Wilson & Tony McEnery (Hg.): Proceedings of Corpus Linguistics 2003. University of Lancaster. S. 320-329.

Ionin, Tania (2006): This is definitely specific: specificity and definiteness in article systems. Natural language semantics 14(2): 175-234.

Ionin, Tania, Heejeong Ko & Kenneth Wexler (2004): Article semantics in L2 acquisition: The role of specificity. Language Acquisition 12(1), 3-69.

Izvorski, Roumyana (1996): The Syntax and Semantics of Correlative Proforms. In: Kiyomi Kusumo (Hg.): Proceedings of NEL 26. Harvard University and MIT. S. 133-148.

Kallenborn, Tim (2016): Regionalsprachliche Syntax. Horizontal-vertikale Variation im Moselfränkischen. Dissertation. Universität Wien.

Karttunen, Lauri (1969): Discourse referents. In: Proceedings of the 1969 conference on Computational linguistics. Association for Computational Linguistics. S. 1-38.

Kasper, Simon (2015a): Adnominale Possessivität in den hessischen Dialekten. In: Michael Elmentaler, Markus Hundt & Jürgen Erich Schmidt (Hg.): Deutsche Dialekte. Konzepte, Probleme, Handlungsfelder. Akten des 4. Kongresses der Internationalen Gesellschaft für Dialektologie des Deutschen (IGDD). Stuttgart: Steiner. S. 211-226, 505-506.

(2015b): Instruction Grammar. From Perception via Grammar to Action. Berlin; Boston: de Gruyter.

(2017): Adnominale Possession. In: SyHD-atlas. URL: http://www.syhd.info/apps/atlas/ #adnominale-possession [Zugriff: 16.2.2017].

Kaufmann, Göz (2007): The Verb Cluster in Mennonite Low German: A New Approach to an Old Topic. Linguistische Berichte 210, 147-207.

Keenan, Edward L. & Bernard Comrie (1977): Noun phrase accessibility and universal grammar. Linguistic inquiry 8(1), 63-99.

Keller, Rudolf Ernst (1961): German dialects. Manchester: Manchester University Press.

Kempen, Gerard & Karin Harbusch (2004): How flexible is constituent order in the midfield of German subordinate clauses? A corpus study revealing unexpected rigidity. In: Stephan Kepser & Marga Reis (Hg.): Preproceedings of the International Conference on Linguistic Evidence. Tübingen: Niemeyer. S. 81-85.

Kindt, Walther (1994): Wortstellung als Problem einer dynamischen Grammatik. In: Brigitta Haftka (Hg.): Was determiniert Wortstellungsvariation? Studien zu einem Interaktionsfeld von Grammatik, Pragmatik und Sprachtypologie. Opladen: Westdeutscher Verlag. S. 49-62.

Klein, Pierre (1855): Die Sprache der Luxemburger. Besonderer Abdruck aus dem zehnten Jahresheft des Vereins für väterl. Geschichts- und Alterthumskunde. Luxemburg.

Kloss, Heinz (1978): Entwicklung neuer Germanischer Kultursprachen seit 1800. 2. Auflage. Düsseldorf.

Koch, Peter & Wulf Österreicher (1985): Sprache der Nähe – Sprache der Distanz. Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Spannungsfeld von Sprachtheorie und Sprachgeschichte. Romanistisches Jahrbuch 36, 15-43.

König, Werner (2011): dtv-Atlas Deutsche Sprache. 17., durchgesehene und korrigierte Auflage. München: Deutscher Taschenbuchverlag.

Koptjevskaja-Tamm, Maria (2001): ‘A Piece of the Cake’ and ‘a Cup of Tea’: Partitive and Pseudo-Partitive Nominal Constructions in the Circum-Baltic Languages. In: Östen Dahl & Maria Koptjevskaja-Tamm: The Circum-Baltic Languages: Typology and Contact. Amsterdam; Philadelphia: Benjamins. S. 523-568.

(2003): Possessive Noun Phrases in the Languages of Europe. In: Frans Plank (Hg.): Noun Phrase Structure in the Languages of Europe. Berlin; New York: Mouton de Gruyter. S. 621-721.

Kortmann, Bernd (2010): Areal variation in syntax. In: Peter Auer & Jürgen Erich Schmidt (Hg.): Language and space. An international handbook of linguistic variation. Bd. 1. Berlin; New York: De Gruyter. S. 837-864.

Koß, Gerhard (1983): Realisierung von Kasusrelationen in den deutschen Dialekten. In: Werner Besch, Ulrich Knoop, Wolfgang Putschke & Herbert Ernst Wiegand (Hg.): Dialektologie: Ein Handbuch zur deutschen und allgemeinen Dialektforschung. Zweiter Halbband. Berlin; New York: De Gruyter. S. 1242-1250.

Krier, Fernande (2002): Proklitika und Enklitika im Lëtzebuergeschen. Dialectologia et Geolinguistica 10, 41-58.

Labouvie, Erich (1938): Studien zur Syntax der Mundart von Dillingen an der Saar. Marburg.

Lehmann, Christian (2007): Daten – Korpora – Dokumentation. In: Werner Kallmeyer & Gisela Zifonun: Sprachkorpora – Datenmengen und Erkenntnisfortschritt. Berlin: De Gruyter.

Lemnitzer, Lothar & Heike Zinsmeister (2006): Korpuslinguistik. Eine Einführung. Tübingen: Narr.

Lenerz, Jürgen (1977): Zur Abfolge nominaler Satzglieder im Deutschen. Tübingen: Niemeyer.

(1995): Klammerkonstruktionen. In: Joachim Jacobs, Arnim von Stechow, Wolfgang Sternefeld & Theo Vennemann: Syntax. 2. Halbband. Berlin: De Gruyter. S. 1266-1276.

Lenz, Alexandra N (2007): Zur Grammatikalisierung von geben im Deutschen und Letzebuergeschen. Zeitschrift für Germanistische Linguistik 35(1/2), 52-82.

Lockwood, William B. (1995): Lehrbuch der modernen jiddischen Sprache: mit ausgewählten Lesestücken. Hamburg: Buske.

Loos, Eva Maria (2011): Digitale Gespräche in einer virtuellen Welt? Inaugural Dissertation. Ruprechts-Karl-Universität Heidelberg.

Lötscher, Andreas (1978): Zur Verbstellung im Zürichdeutschen und in anderen Varianten des Deutschen. Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik 45(1), 1-29.

(1984): Satzgliedstellung und funktionale Satzperspektive. In: Gerhard Stickel (Hg.): Pragmatik in der Grammatik. Jahrbuch 1983 des Instituts für deutsche Sprache. Düsseldorf: Schwann. S. 118-151.

LWB = Luxemburger Wörterbuch (1950-1975): Band 1-5. Hg. von der Wörterbuchkommission. Luxemburg: P. Linden, Hofbuchdrucker. URL: http://engelmann.uni.lu:8080/portal/WBB2009/LWB//wbgui_py?mainmode [Zugriff: 15.2.2017].

Lyons, Christopher (1999): Definiteness. Cambridge: Cambridge University Press.

Martí-Girbau, Núria (2010): The Syntax of Partitives. Dissertation. Universitat Autònoma de Barcelona.

Marx, Josef & Horst Schmitt (2011): Trierer Wörterbuch. Trier: Trier-Verlag.

Maurmann, Emil (1898): Die Grammatik der Mundart von Mühlheim a. d. Ruhr. Leipzig: Breitkopf und Härtel.

McGregor, William B. (2009): The expression of possession. Berlin; New York: Mouton de Gruyter.

Meyer, Antoine (1829): E’ Schrek ob de’ Lezeburger Parnassus. Luxemburg: J. Lamort.

Ministère de l’Education Nationale et de la Formation Professionnelle (Hg.) (1975): Arrêté ministériel du 10 octobre 1975 portant réforme du système officiel d’orthographe luxembourgeoise.

— (1999): Règlement grand-ducal du 30 juillet 1999 portant réforme du système officiel d’orthographe luxembourgeois. Mémorial A N° 112 du 11 août 1999. Luxemburg.

Moulin, Claudine (2006): Grammatisierung und Standardisierung des Luxemburgischen. Eine grammatikographisch-sprachhistorische Annäherung. In: Claudine Moulin & Damaris Nübling (Hg.): Perspektiven einer linguistischen Luxemburgistik. Studien zu Diachronie und Synchronie. Heidelberg: Winter. S. 305-339.

Müller, Gedeon (2001): Syntaktisch determinierter Kasuswegfall in der deutschen NP. Linguistische Berichte 189, 89-114.

Musan, Renate (2013): Satzgliedanalyse. 3., aktualisierte Auflage. Heidelberg: Winter.

Nespor, Marina & Irene Vogel (2007): Prosodic phonology: with a new foreword. Vol. 28. Berlin; New York: Mouton de Gruyter.

Neuenkirch-Mankel, Sophie (2014): Historical Consciousness and Future Perspectives. Family Narrations in Luxembourg. Dissertation Universität Luxemburg.

Noth, Harald (1993): Alemannisches Dialektbuch vom Kaiserstuhl und seiner Umgebung. Freiburg: Schillinger.

Nübling, Damaris (1992): Klitika im Deutschen − Schriftsprache, Umgangssprache, alemannische Dialekte. Tübingen: Narr.

(1998): Wann werden die deutschen Präpositionen flektieren? Grammatisierungswege zur Flexion. In: Ray Fabri, Albert Ortmann & Teresa Parodi (Hg.): Models of Inflection. Tübingen: Niemeyer. S. 266-289.

(2005): Das Lëtzebuergesche als Herausforderung für die Linguistik. In: Lëtzebuergesch. Entwicklungstendenzen und Forschungsperspektiven einer jungen Sprache. Beiträge zum Workshop Lëtzebuergesch. November 2001. Luxemburg und Mersch: Institut Grand-Ducal, Section de Linguistique, d’Ethnologie et d’Onomastique. Centre national de Littérature. S. 147-167.

(2006a): Zur Entstehung und Struktur ungebändigter Allomorphie: Pluralbildungsverfahren im Luxemburgischen. In: Claudine Moulin & Damaris Nübling (Hg.): Perspektiven einer linguistischen Luxemburgistik. Studien zu Diachronie und Synchronie. Heidelberg: Winter. S. 107-125.

(2006b): Auf Umwegen zum Passivauxiliar − Die Grammatikalisierungspfade von GEBEN, WERDEN, KOMMEN und BLEIBEN im Luxemburgischen, Deutschen und Schwedischen. In: Claudine Moulin & Damaris Nübling (Hg.): Perspektiven einer linguistischen Luxemburgistik. Studien zu Diachronie und Synchronie. Heidelberg: Winter. S. 171-202.

(2008): Historische Sprachwissenschaft des Deutschen. Eine Einführung in die Prinzipien des Sprachwandels (mit Antje Dammel, Janet Duke, Renata Szczepaniak). 2. Auflage. Tübingen: Narr.

(2015): Between feminine and neuter, between semantic and pragmatic gender assignment: Hybrid names in German dialects and in Luxembourgish. In: Jürg Fleischer, Elisabeth Rieken & Paul Widmer (Hg.): Agreement from a Diachronic Perspective. Berlin; Boston. S. 235-265.

Nübling, Damaris, Simone Busley & Juliane Drenda (2013): Dat Anna und s Eva - Neutrale Frauenrufnamen in deutschen Dialekten und im Luxemburgischen zwischen pragmatischer und semantischer Genuszuweisung. Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik 80(2), 152-196.

Nübling, Damaris & Renata Szczepaniak (2008): On the way from morphology to phonology: German linking elements and the role of the phonological word. In: Morphology 18, 1-25.

Olsen, Susan (1989): Das Possessivum: Pronomen, Determinans oder Adjektiv? Linguistische Berichte 120, 133-153.

(1996): Dem Possessivum seine Eigentümlichkeit. In: Thilo Tappe & Elisabeth Löbel (Hg.): Die Struktur der Nominalphrase. Universität Wuppertal. S. 112-143.

Palgen, Hélène (1931): Kurze Lautlehre der Mundart von Echternach. Luxemburg: Linden & Hansen, Hofbuchdrucker.

(1932): Untersuchungen zur Grammatik der Echternacher Mundart. Luxemburg.

(1935): Die Wortstellung im luxemburgischen Nebensatz. Vierteljahrsblätter für Luxemburgische Sprachforschung, Volkskunde und Ortsnamenkunde (1), 30-31.

(1954): Vokalismus der Mundart von Knaphoscheid (Kanton Wilz). Jahrbuch der luxemburgischen Sprachgesellschaft, 3-18.

Paul, Hermann (2007 [1881]): Mittelhochdeutsche Grammatik. 25. Auflage, neu bearbeitet von Thomas Klein, Hans-Jürgen Solms & Klaus-Peter Wegera. Mit einer Syntax von Ingeborg Schröbler, neu bearbeitet und erweitert von Heinz-Peter Prell. Tübingen: Niemeyer.

Pittner, Karin (2009): Der Genitiv als Prädikativkasus. In: Galina Kramorenko et al. (Hg.): Aktuelle Probleme der Germanistik und Romanistik XIII. Smolensk. S. 299-315.

Pittner, Karin & Judith Berman (2004): Deutsche Syntax. Ein Arbeitsbuch. Tübingen: Narr.

Pollock, Jean-Yves (1986): Sur la syntaxe de en et le paramètre du sujet nul. In: Mitsou Ronat & Daniel Couquaux (Hg.): La grammaire modulaire. Paris. S. 211–246.

Prell, Heinz-Peter (2001): Der mittelhochdeutsche Elementarsatz: eine syntaktische Untersuchung an Prosatexten des 11. bis 14. Jahrhunderts. Oslo: Universität Oslo.

Ramat, Paolo (1986): The Germanic Possessive Type: dem Vater sein Haus. In: Dieter Kastovsky & Aleksander Szwedek (Hg.): Linguistics Across Historical and Geographical Boundaries. Berlin: Mouton de Gruyter. S. 579-590.

Reese, Johannes (2007): Swiss German. The Modern Alemannic Vernacular in and around Zurich. München: Lincom.

Reinsberg, Franziska (2011): Morphosyntax der Personalpronomen im Mittelhessischen. MA thesis. Universität Frankfurt.

Reis, Marga (1987): Die Stellung der Verbargumente im Deutschen – Stilübungen zum Grammatik:Pragmatik-Verhältnis. Lunder germanistische Forschungen 55, 139-177.

Rijkhoff, Jan (2009): On the co-variation between form and function of adnominal possessive modifiers in Dutch and English. In: William B. McGregor (Hg.): The Expression of Possession. Berlin; New York: De Gruyter. S. 51-106.

Rinas, Karsten (2005): Die Flexion der Konjunktionen aus diachroner und pädolinguistischer Sicht. Brünner Beiträge zur Germanistik und Nordistik 19. Studia Minora Facultatis Philosophica e Universität Brunensis. S. 23-63.

Ronneberger-Sibold, Elke (1994): Konservative Nominalflexion und klammerndes Verfahren im Deutschen. In: Klaus-Michael Köpcke (Hg.): Funktionale Untersuchungen zur deutschen Nominal- und Verbalmorphologie. Tübingen: Niemeyer. S. 115-130.

(2010): Der Numerus – das Genus – die Klammer. Die Entstehung der deutschen Nominalklammer im innergermanischen Sprachvergleich. In: Antje Dammel et al. (Hg.): Kontrastive germanistische Linguistik. Hildesheim: Olms. S. 719-748.

Rowley, Anthony R. (1994): Morphologie aus Syntax – natürlich. Zur Flexion der Nebensatzeinleiter in nordostbayerischen Dialekten. In: Wolfgang Viereck (Hg.): Verhandlungen des internationalen Dialektologenkongresses Bamberg 29.7. - 4.8.1990. Bd. 3 (ZDL Beihefte). Stuttgart. S. 488-497.

Russ, Charles (1996): Lëtzebuergesch – a linguistic description. In: Gerald Newton (Hg.): Luxembourg and Lëtzebuergesch. Language and communication at the crossroads of Europe. Oxford: Clarendon Press. S. 67-95.

(2002): Die Mundart von Bosco Gurin. Stuttgart: Steiner.

SADS = Syntaktischer Atlas der deutschen Schweiz (2000-2013). Projektleitung: Prof. Dr. Elvira Glaser. URL: http://www.dialektsyntax.uzh.ch/ [Zugriff: 19.2.2017].

Sapp, Christopher D. (2007): Focus and verb order in Early New High German: Historical and contemporary evidence. In: Sam Featherston & Wolfgang Sternefeld (Hg.): Roots. Linguistics in Search of its Evidential Base. Berlin; New York: De Gruyter. S. 299-318.

(2011): The Verbal Complex in Subordinate Clauses from Medieval to Modern German. Amsterdam; Philadelphia: John Benjamins.

Schallert, Oliver (2013): Syntaktische Auswertung von Wenkersätzen: eine Fallstudie anhand von Verbstellungsphänomenen in den bairischen (und alemannischen) Dialekten Österreichs. In: Rüdiger Harnisch (Hg.): Strömungen in der Entwicklung der Dialekte und ihrer Erforschung: Beiträge zur 11. Bayerisch-Österreichischen Dialektologen-tagung in Passau September 2010. Regensburg: Vulpes. S. 208-233, 513-515.

(2014): Zur Syntax der Ersatzinfinitivkonstruktion: Typologie und Variation. Tübingen: Stauffenberg.

Schanen, François (1980): Recherche sur la syntaxe du luxembourgeois de Schengen: l’enoncé verbal. Thèse pour le Doctorat d’État. Paris IV.

Schanen, François & Zimmer, Jacqui (2005a): Lëtzebuergesch Grammaire. Le groupe verbal 1. Esch-sur-Alzette: Schortgen.

(2005b): Lëtzebuergesch Grammaire. Le groupe nominal 2. Esch-sur-Alzette: Schortgen.

(2006): Lëtzebuergesch Grammaire. L’orthographe 3. Esch-sur-Alzette: Schortgen.

(2012): Lëtzebuergesch Grammaire Luxembourgeoise. Esch-sur-Alzette: Schortgen.

Schintgen, Raymond et al. (2000): Lëtzebuergesch. Mir schwätze mateneen. Lëtzebuergesche Cours. Band 2: Module 4, 5, 6. Hg. v. Ministère de l’Education Nationale, de la Formation Professionnelle et des Sports. Luxemburg.

Schlobinski, Peter (1996): Empirische Sprachwissenschaft. Opladen: Westdeutscher Verlag.

Schmid, Tanja & Ralf Vogel (2004): Dialectal Variation in German 3-Verb Clusters. A Surface-Oriented Optimality Theoretic Account. Journal of Comparative Germanic Linguistics 7, 235-274.

Schmitt, Pierre (1984): Untersuchungen zur luxemburgischen Syntax. Marburg: Elvert Verlag.

Schönenberger, Manuela (2006a): Doubly-filled COMPs (DFCs) im Schweizerdeutschen. GGS-handout (26.-28.5.2006). Universität Stuttgart.

(2006b): A glimpse of doubly-filled COMPs in Swiss German. In: Hans Broekhuis, Norbert Corver, Riny Huybregts, Ursula Kleinhenz & Jan Koster (Hg.): Organizing Grammar: Studies in Honor of Henk van Riemsdijk. Berlin: Mouton de Gruyter. S. 572-581.

(2015): I’m not sure what kind of a ban that FIFA has in mind” and other uncertainties of modern life. In: Webschrift for Josef Bayer. Hg. von Ellen Brandner, Anna Czypionka, Constantin Freitag & Andreas Trotzke. URL: http://ling.uni-konstanz.de/pages/WebschriftBayer/2015/contents.html [Zugriff: 19.02.17].

Schweizer, Bruno (2008): Zimbrische Gesamtgrammatik. Vergleichende Darstellung der zimbrischen Dialekte. James R. Dow (Hg.). Stuttgart: Steiner.

Schweizerisches Idiotikon digital (2015): Webseite. Band I bis XVI, Grundwörter von A-X. URL: www.idiotikon.ch [Zugriff: 19.2.2017].

Schwitalla, Jürgen (2006): Gesprochenes Deutsch. 3., neu bearbeitete Auflage. Berlin: Erich Schmidt Verlag.

Scott, Alan K. (2011): Everyday Language in the Spotlight: The Decline of the Genitive Case. German as a Foreign Language 12, 53-70.

(2014): The Genitive Case in Dutch and German: A Study of Morphosyntactic Change in Codified Languages. Leiden & Boston: Brill.

Scupin, Emst & Gertrud Scupin (1907): Bubis erste Kindheit. Ein Tagebuch. Leipzig: Grieben.

(1910): Bubi im vierten bis sechsten Lebensjahre. Ein Tagebuch über geistige Entwicklung eines Knaben während der ersten sechs Lebensjahre. Zweiter Teil. Leipzig: Grieben.

Seiler, Guido (2004): On three types of dialect variation and their implications for linguistic theory. Evidence from verb clusters in Swiss German dialects. In: Bernd Kortmann (Hg.): Dialectology Meets Typology: Dialect grammar from a cross-linguistic perspective. Berlin; New York: De Gruyter. S. 367-399.

(2005): Wie verlaufen syntaktische Isoglossen und welche Konsequenzen sind daraus zu ziehen? In: Eckhard Eggers, Jürgen Erich Schmidt & Dieter Stellmacher (Hg.): Moderne Dialekte – Neue Dialektologie. Akten des 1. Kongresses der Internationalen Gesellschaft für Dialektologie des Deutschen (IGDD) am Forschungsinstitut für deutsche Sprache Deutscher Sprachatlas der Philipps-Universität Marburg vom 5.-8. März 2003. Stuttgart: Steiner. S. 313-343.

Seiler, Guido & Martin Salzmann (2010): Variation as the exception or the rule? Swiss relatives revisited. Sprachwissenschaft 35, 79-117.

Serbat, Guy (1981): Cas et fonctions. Etude des principales doctrines casuelles du Moyen Age à nos jours. Paris: Presses Universitaires de France.

Seržant, Ilja A. (2014a): The Independent Partitive Genitive in Lithuanian. In: Axel Holvoet & Nicole Nau (Hg.): Grammatical Relations and their Non-Canonical Encoding in Baltic. Valency, Argument Realization and Grammatical Relations in Baltic. Amsterdam: Benjamins. S. 257-299.

(2014b): The Independent Partitive Genitive in North Russian. In: Ilja A. Seržant & Björn Wiemer (Hg.): Contemporary Approaches to Dialectology: The area of North, Northwest Russian and Belarusian vernaculars. Bergen: John Grieg AS. S. 270-329. URL: http://www.uni-konstanz.de/serzants/Serzant_IPG_NorthRussian.pdf [Zugriff: 19.2.2017].

Sexauer, Ottmar (1927): Die Mundart von Pforzheim. Form und Geist. Dissertation Heidelberg 1925.

Silverstein, Michael (1976): Hierarchies of Features and Ergativity. In: R. M. W. Dixon (Hg.): Grammatical Categories in Australian Languages. Canberra. S. 112-171.

Simon, Horst (2003): Für eine grammatische Kategorie ‘Respekt’ im Deutschen. Synchronie, Diachronie und Typologie der deutschen Anredepronomina. Tübingen: Niemeyer.

Speyer, Augustin (2011): Die Freiheit der Mittelfeldabfolge im Deutschen – ein modernes Phänomen. Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 133, 14-31.

Staedele, Alfons (1927): Syntax der Mundart von Stahringen. Lahr (Br.): Schauenburg.

Strobel, Thomas (2012): On the areal and syntactic distribution of indefinite-partitive pronouns in German: methodological advances and empirical results within the project Syntax of Hessian Dialects (SyHD). In: Xosé Afonso Álvarez Pérez, Ernestina Carrilho & Catarina Magro (Hg.): Proceedings of the International Symposium on Limits and Areas in Dialectology (LimiAr). Lissabon 2011. Lissabon: Centro de Linguística da Universidade de Lisboa.

(2016): Die syntaktische Variable ‚pronominale Partitivität’ in den deutschen Dialekten. In: Alexandra N. Lenz & Franz Patocka (Hg.): Syntaktische Variation. Areallinguistische Perspektiven. Wien; Göttingen: Vienna University Press bei V&R unipress, 151-197.

Suppan, Franz (1837): Eine freimüthige critische Beleuchtung der [...] Ansichten, Thatsachen und Urtheile gegen die homöopathische Heilmethode. Ort unbekannt.

Suter, Rudolf (1992): Baseldeutsch-Grammatik. 3. Auflage. Basel: Merian.

SyHD (2016): Startseite, Herzlich willkommen. URL: http://www.syhd.info/startseite/ [Zugriff: 19.02.2017].

Szczepaniak, Renata (2011): Gemeinsame Entwicklungspfade im Spracherwerb und im Sprachwandel? Kognitive Grundlagen der onto- und historiogenetischen Entwicklung der satzinternen Großschreibung. In: Klaus-Michael Köpcke & Arne Ziegler (Hg.): Grammatik verstehen lernen. Berlin; New York: de Gruyter. S. 341-359.

(2014): Sprachwandel und sprachliche Unsicherheit. Der formale und funktionale Wandel des Genitivs seit dem Frühneuhochdeutschen. In: Albrecht Plewina & Andreas Witt (Hg.): Sprachverfall? Dynamik – Wandel – Variation. Berlin; New York: De Gruyter. S. 33-50.

Timberlake, Alan (1975): Hierarchies in the genitive of negation. Slavic and East European Journal, 123-138.

(1977): Reanalysis and actualization in syntactic change. In: Charles N. Li (Hg.): Mechanisms of Syntactic Change. Austin: University of Texas Press. S. 141-177.

Van Craenenbroeck, Jeroen & Marjo van Koppen (2008): Pronominal Doubling in Dutch Dialects: Big DPs and Coordinations. In: Sjef Barbiers, Olav Koeneman & Maria Lekakou (Hg.): Microvariation in Syntactic Doubling. Bingley: Emerald. S. 207-239.

Van Koppen, Marjo (2005): One Probe – Two Goals: Aspects of Agreement in Dutch Dialects. Utrecht: LOT.

Van Ness, Silke (2002): Pennsylvania German. In: Ekkehard König & Johan van der Auwera (Hg.): The Germanic languages. London; New York: Routledge. S. 420-438.

Van Riemsdijk, Henk (1978): A Case Study in Syntactic Markedness: The Binding Nature of Prepositional Phrases. Dissertation. Dordrecht: Foris.

Vater, Heinz (1975): Werden als Modalverb. In: Joseph P. Calbert & Heinz Vater (Hg.): Aspekte der Modalität. Tübingen: Narr. S. 71-148.

(1994): Einführung in die Textlinguistik: Struktur, Thema und Referenz in Texten. 2., überarbeitete Auflage. München: Fink.

Vogel, Ralf (2004): Dialectal variation in German 3-verb clusters. Looking for the best analysis. In: Ralf Vogel (Hg.): Three papers on German verb movement. Potsdam: Universität Potsdam Universitätsbibliothek. S. 83-118.

Voigt, Bernhard Friedrich (1873): Allgemeine Forst- und Jagdzeitung. Frankfurt am Main.

Von Heusinger, Klaus (2011): Specificity, referentiality and discourse prominence: German indefinite demonstratives. In: Ingo Reich et al. (Hg.): Proceedings of Sinn & Bedeutung 15. Saarbrücken: Universaar Saarland University Press. S. 9-30.

Von Spittler, Ludwig Timotheus (1835): Geschichte des Fürstenthums Hannover. Zweiter Theil. Cotta.

Wackernagel, Jacob (1892): Über ein Gesetz der indogermanischen Wortstellung. Indogermanische Forschungen 1, 333-436.

Walch, Maria & Susanne Häckel (1988): Grammatik des Frühneuhochdeutschen. Band 7: Flexion der Pronomina und Numeralia. Hg. v. Hugo Moser, Hugo Stopp & Werner Besch. Heidelberg: Winter.

Weber, Joseph (1898): Die luxemburgische Sprache. Ons Hémecht. Luxemburg. Ohne Seitenangabe.

Weerman, Fred & Petra de Wit (1999): The decline of the genitive in Dutch. Linguistics 37, 1155-1192.

Weise, Oskar (1906): Der Teilungsgenetiv in den Mundarten. Zeitschrift für Deutsche Mundarten, 289-295.

Weiß, Helmut (1998): Syntax des Bairischen. Studien zur Grammatik einer natürlichen Sprache. Tübingen: Niemeyer.

(2005): Inflected complementizers in Continental West Germanic Dialects. Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik 72(2), 148-166.

(2015): When the subject follows the object. On a curiosity in the syntax of personal pronouns in some German dialects. Journal of Comparative Germanic Linguistics 18(1), 65-92.

(2016): Pronominalsyntax deutscher Dialekte. In: Alexandra N. Lenz & Franz Patocka (Hg.): Syntaktische Variation. Areallinguistische Perspektiven. Göttingen: v&r unipress; Vienna University Press. S. 121-150.

Weiß, Helmut & Johanna Schwalm (2017): Verbcluster. In: SyHD-atlas. URL: http://www.syhd.info/apps/atlas/#verbalcluster [Zugriff: 19.2.2017].

Werner, Otmar (1988): Mundartliche Enklisen bei Schmeller und heute. In: Ludwig Eichinger & Bernd Naumann (Hg.): Johann Andreas Schmells und der Beginn der Germanistik. München. S. 127-147.

Willems, Klaas (1997): Kasus, grammatische Bedeutung und kognitive Linguistik. Ein Beitrag zur allgemeinen Sprachwissenschaft. Tübingen: Narr.

Wintgens, Leo (1999): Précis de Grammaire de la Langue régionale dans l’ancien Duché de Limburg – Abriss einer Grammatik der Regionalsprache im Bereich des ehemaligen Herzogtums Limburg (Tirés à part de la section wallonne Nr. 8). Louvain-la-Neuve.

Wurmbrand, Susi (2004): Syntactic vs. post-syntactic movement. In: Burelle, Sophie & Somesfalean, Stanca (Hg.): Proceedings of the 2003 Annual Meeting of the Canadian Linguistic Association. Montreal: University of Quebec. Ohne Seitenangabe. URL: http://wurmbrand.uconn.edu/Papers/CLA-SW.pdf [Zugriff: 19.2.2017].

(2006): Verb clusters, verb raising & restructuring. In: Martin Everaert & Henk van Riemsdijk (Hg.): The Blackwell companion to syntax. Oxford: Blackwell. S. 229-343.

Zifonun, Gisela (1986): Vor-Sätze zu einer neuen deutschen Grammatik. Tübingen: Narr.

(2003): Dem Vater sein Hut. Der Charme des Substandards und wie wir ihm gerecht werden. Deutsche Sprache 31, 97-126.

(2004): Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod: zur Analyse des adnominalen possessiven Dativs. In: Deutsche Syntax: Empirie und Theorie. Göteborg: Acta Universitatis Gothoburgensis. S. 25-51.

Zifonun, Gisela, Ludger Hoffmann & Bruno Strecker (1997): Grammatik der deutschen Sprache. Berlin; New York: De Gruyter.

Zimmer, Christian (2016): Die Markierung des Genitiv(s). Dissertation. FU Berlin.

(2018): On the motivation of genitive-s omission in Contemporary German. In: Tanja Ackermann, Horst J. Simon & Christian Zimmer (Hg.): Germanic Genitives. Amsterdam: Benjamins. S. 65-89.

Zwart, Jan-Wouter (1993): Verb Movement and Complementizer Agreement. In: J.D. Bobauik & C. Phillips (Hg.): Papers on Case and Agreement 1. MIT Working Papers in Lingui 18. Massachusetts Institute of Technology, Cambridge. S. 297-340.

(1996): Verb clusters in Continental West Germanic dialects. In: James R. Black & Virginia Motapanyane (Hg.): Microparametric Syntax and Dialect Variation. Amsterdam: Benjamins. S. 229-258.

(2011): The Syntax of Dutch. Cambridge University Press.

Zwicky, Arnold M. (1977): On clitics. Indiana University Linguistics Club.

(2002): I wonder what kind of construction that this example illustrates. In: David I. Beaver et al. (Hg.): The construction of meaning. Stanford, CA: CSLI Publications. S. 219-248.

Zwicky, Arnold M. & Geoffrey K. Pullum (1983): Cliticization vs. inflection: English n’t. Language 59, 502-513.

Notes
[1]

15Durchaus könnte man diese Liste noch erweitern oder einfach den Katalog von Glaser (2006) in seiner Gesamtheit umsetzen, doch ich möchte mich nur einer gezielten Auswahl widmen, um diesen Themen auch im Rahmen einer Doktorarbeit gerecht werden zu können. Die Liste von Glaser (2006) wird in Kapitel 2.3 gezeigt.

[zurück zum Text]
[2]

22Zur leichteren Lektüre wird im Folgenden immer der deutsche Ausdruck „Luxemburgisch“ verwendet.

[zurück zum Text]
[3]

22Festgehalten wurde dies im Sprachengesetz vom 24. Februar 1984 (loi du 24 février 1984 sur le régime des langues).

[zurück zum Text]
[4]

32In diesem Zusammenhang werden nur Personen vorgestellt, die einen Beitrag in Form eines Buches oder eines Aufsatzes zur luxemburgischen Sprachstruktur veröffentlicht haben. Journalisten, Lehrer oder Personen, die nur an der Ausarbeitung von Wörterbüchern beteiligt waren, werden nicht berücksichtigt.

[zurück zum Text]
[5]

33Die Informationen zu den meisten Autoren stammen von der Seite <www.autorenlexikon.lu>. Die persönlichen Informationen zu Schanen finden sich unter <www.wikipedia.lu>, bei Newton wurde die Universitätswebseite aus Sheffield herangezogen <www.shef.ac.uk/german/staff/geraldnewton>.

[zurück zum Text]
[6]

36Leider verstarb der Autor vier Jahre nach Veröffentlichung dieses Werkes.

[zurück zum Text]
[7]

67Vgl. URL: http://cms.uni-konstanz.de/ling/syntax-des-alemannischen/projekt/ [Zugriff: 19.2.2017].

[zurück zum Text]
[8]

67Die meisten der dort analysierten Variablen überschneiden sich jedoch nicht mit den für diese Arbeit gewählten Themen. Zudem ist die methodische Ausrichtung von Kallenborns Studie nicht direkt mit der deskriptiven Beschreibung im Luxemburgischen vergleichbar.

[zurück zum Text]
[9]

68Es sollte allerdings beachtet werden, dass es sich bei den hier vorgestellten Projekten um groß angelegte Atlanten handelt, mit zahlreichen Mitarbeitern unterschiedlicher Universitäten.

[zurück zum Text]
[10]

73Der Begriff Text wird in der Forschung sehr unterschiedlich definiert (vgl. u.a. de Beaugrande & Dressler 1981; Vater 1994; Brinker 1997). Der Textbegriff wird im Rahmen dieser Arbeit in seiner weiten Definition verstanden, sodass mündliche und schriftliche Beiträge gleichermaßen als Text angesehen werden, im Sinne einer sprachlich fixierten Äußerungseinheit (vgl. Brinker 1997).

[zurück zum Text]
[11]

73Für die Bereitstellung der anonymisierten Transkripte bedanke ich mich ganz herzlich bei Sophie Mankel-Neuenkirch sowie bei den Mitarbeitern des IDENT-Projekts der Universität Luxemburg. Peter Gilles und Luc Marteling möchte ich danken für die großzügige Bereitstellung der RTL-Beiträge.

[zurück zum Text]
[12]

73Es ist davon auszugehen, dass es sich bei den Autoren dieser Texte in den allermeisten Fällen um L1-Sprecher handelt. Der Bereich für Luxemburgisch als Fremdsprache bewegt sich häufig auf einem A1- oder A2-Niveau, welches sofort in den Texten identifiziert werden könnte. Außerdem ist es äußerst ungewöhnlich, dass Nichtluxemburger in einer luxemburgischen Peergroup interagieren.

[zurück zum Text]
[13]

73Eine Angabe von Types oder der type token ratio ist hier nicht zielführend, da die Texte nicht standardisiert sind und verschiedene Schreibweisen im Korpusprogramm fälschlicherweise als neue Types zusammengefasst würden (wodurch falsche Angaben entstünden).

[zurück zum Text]
[14]

77Dem Online-Redakteur zufolge wird die Kommentarfunktion nur für bestimmte Beiträge manuell eröffnet. Bei tödlichen Autounfällen etwa bleibt diese Funktion geschlossen.

[zurück zum Text]
[15]

83Ich danke an dieser Stelle dem (auf Wunsch) anonymen Chatteilnehmer, der mir diese Logfiles großzügig zur Verfügung gestellt hat.

[zurück zum Text]
[16]

105Da die luxemburgische Orthografie nicht unterrichtet und im Alltag auch nur selten eingefordert wird, schreiben viele Sprecher „nach Gefühl“ und orientieren sich am deutschen und französischen Schriftsystem.

[zurück zum Text]
[17]

106Vgl. URL: https://sites.google.com/site/casualconc/ [Zugriff: 19.2.2017]. Das Programm läuft nur unter Mac OS.

[zurück zum Text]
[18]

116Zu den methodischen Schwierigkeiten, syntaktische Phänomene über Fragebögen zu erheben, vgl. Glaser & Bucheli (2002).

[zurück zum Text]
[19]

117Es konnten beispielsweise keine Konstruktionen mit AcI-Verben im Nebensatz gefunden werden (Typ: dass er sie Klavier hat spielen hören), sodass diese nicht Teil der Verbcluster-Untersuchung sind.

[zurück zum Text]
[20]

132Es sei darauf hingewiesen, dass ein auslautendes n in der entsprechenden phonologischen Umgebung ausfallen kann durch die so genannte n-Regel. Beginnt das folgende Wort mit einem Vokal, den Konsonanten <d>, <h>, <n>, <t>, <z> oder folgt ein Satzzeichen, muss auslautendes <n> oder <nn> geschrieben werden, ansonsten fällt es aus (vgl. Gilles 2006b). Die möglichen Tilgungsfälle werden aus Übersichtlichkeitsgründen nicht angegeben.

[zurück zum Text]
[21]

133In manchen luxemburgischen Grammatiken werden noch Überreste eines ehemaligen Nominativartikels bei Maskulina aufgeführt, Bsp.: der Däiwel net fäerten ‚den Teufel nicht fürchten’ (vgl. Schanen & Zimmer 2012: 108). Dies beschränkt sich allerdings auf einzelne Lexikalisierungen.

[zurück zum Text]
[22]

133Im Allgemeinen sind Nominative in Bezug auf ihre semantische Rolle und ihre syntaktische

133Funktion im Satz sehr deutlich von den Akkusativen zu unterscheiden. Dies bedeutet, dass sie als Oberflächenkasus identische Formen besitzen, als Tiefenkasus jedoch getrennt existieren (zu den Konzepten von Tiefen- und Oberflächenkasus vgl. Eroms 2000: 173ff.).

[zurück zum Text]
[23]

134Schanen & Zimmer (2012: 107) geben an, dass auch die Lokaladverbien (e)lei ‚hier’ und (e)lo ‚da/jetzt’ verwendet werden können. Im Korpus kommen diese Formen jedoch äußerst selten vor.

[zurück zum Text]
[24]

135Eine typologische Analyse zu Gebrauch und Semantik von Demonstrativa findet sich bei Himmelmann (2001).

[zurück zum Text]
[25]

137Zum Ausdruck von pluralischer Indefinitheit im Luxemburgischen vgl. Kapitel 5.3 zu den Partitiva.

[zurück zum Text]
[26]

151Die Formen mir (1.Pers.Sg.Dat. + 1.Pers.Pl.Nom.) und dir (2.Pers.Sg.Dat. + 2.Pers.Pl.Nom.) werden im Süden Luxemburgs als mär und där realisiert und sind auch in den Schriftbelegen in dieser Form auffindbar. Da es sich hierbei um dialektale Varianten handelt, werden diese Formen nicht in das „gemeinluxemburgische“ Paradigma aufgenommen.

[zurück zum Text]
[27]

165Beispiel aus Chatgespräch: dann meckers de och mat alles an jiidwerengem ‚dann meckerst du auch mit allem und jedem’.

[zurück zum Text]
[28]

167Die genauen Eigenschaften der er-Variante von Präpositionaladverbien (dovun/dovunner ‚davon’, wouraus/wourauser ‚woraus’) sind für das Luxemburgische noch nicht untersucht worden. Im Korpus zeigt sich, dass beide Formen in identischen syntaktischen Kontexten auftreten.

[zurück zum Text]
[29]

201Für bestimmte Verbtypen gelten hier Restriktionen. So sind Modalverben etwa nicht passivierbar und Konjunktivhilfsverben können nicht nach Tempus flektieren.

[zurück zum Text]
[30]

202Da es im Luxemburgischen keinen Konjunktiv I (Konj. Präsens) gibt, wird der Konjunktiv II (Konj. Präteritum) fortan generell als Konjunktiv bezeichnet.

[zurück zum Text]
[31]

203Eine Unterteilung in stark und schwach ist für das Luxemburgische schwierig anzusetzen, da das Kriterium des Dentalsuffixes durch den starken Präteritumschwund für die meisten Verben nicht mehr erfüllt werden kann (vgl. Dammel 2006: 142).

[zurück zum Text]
[32]

203Partizip I ist im Luxemburgischen nur selten vorzufinden und manifestiert sich eher auf idiomatischer Basis. Das entsprechende Flexiv lautet {-end}.

[zurück zum Text]
[33]

213Diese Konjunktivhilfsverben (KHV) werden bei Schanen & Zimmer (2012: 51f.) neben den Modalverben als Semi-Auxiliare bezeichnet. Mehr zu den KHV und ihrer Entstehung kann nachgelesen werden bei Nübling (2006b).

[zurück zum Text]
[34]

213Lokale Varianten von géif lauten „géit, géich (lok. bes. Osten: giff, gitt, gich)“ (LWB 1950-1975 Bd. 2: 58).

[zurück zum Text]
[35]

214Dieses Verb verfügt über keinen Infinitiv und wird hier mit dem Verbstamm wäert bezeichnet.

[zurück zum Text]
[36]

216Auch bei der Futurmarkierung im Standarddeutschen gibt es Ansätze, die werden als modalen Futurmarker ansehen. Zudem wurde die Frage aufgeworfen, ob es sich bei Futur nicht ohnehin um eine Modalkategorie handelt, da die Zukunft nie mit absoluter Sicherheit benannt werden kann und immer nur eine von vielen möglichen Welten aufzeigt (vgl. hierzu auch Vater 1975).

[zurück zum Text]
[37]

220Bei däerfen existieren einige regionale Varianten: duerfen, dërfen oder dierfen LWB (1950-1975 Band 1: 209). Vokalwechsel bei Modalverben werden noch einmal in Kapitel 8.3.2 in Bezug auf die Supina (hybride Ersatzinfinitive) angesprochen.

[zurück zum Text]
[38]

221Gilt hauptsächlich für Personalpronomen.

[zurück zum Text]
[39]

221Starke und schwache Flexion nur im Dativ Singular vorhanden.

[zurück zum Text]
[40]

224Bei dieser Klitisierung handelt es sich um einen Sonderfall.

[zurück zum Text]
[41]

225Wie bereits bei den interrogativen Pronominaladverbien angemerkt, ist nicht klar, wann bei dieser Wortart eine weitere Silbe angehängt wird (dovun vs. dovunner).

[zurück zum Text]
[42]

225Die hier vorgenommene Einteilung der Partikeln geht zurück auf die Dudengrammatik (2006: 596).

[zurück zum Text]
[43]

226Zu den Autoren, die den Genitiv integrieren und somit von einem Drei-Kasus-System ausgehen, gehören u.a. Bruch (1955: 47) und Schmitt (1984: 55f.). Ausgeklammert wird der Genitiv in neueren Beschreibung, wie etwa bei Krier (2002: 50f.) oder bei Schanen & Zimmer (2012). Letztere weisen allerdings auf den reliktären Status des Genitivs hin.

[zurück zum Text]
[44]

228Verschiedene Aspekte dieser Studie finden sich bereits bei Döhmer (2018).

[zurück zum Text]
[45]

232Es ist nicht ganz eindeutig, welche Rolle Schanen & Zimmer (2012) dem Genitiv zuordnen. Durch den schwer nachvollziehbaren Aufbau der Grammatik finden sich Beispiele mit Genitivpronomen in unterschiedlichen Unterkapiteln. Auch in Flexionsparadigmen (Artikel und Pronomen) werden Genitivformen aufgeführt, jedoch unter dem selbst gewählten Kasus-Label „C3“ (cas 3 ‚Kasus drei’). Ebenso häufig finden sich daneben Aussagen, dass Genitive selten, archaisch und begrenzt verwendet werden („relativement rare et souvent limitée à des pronoms et à des expressions lexicalisées“, Schanen & Zimmer 2012: 150), sodass keine klare Aussage zum Genitiv entsteht.

[zurück zum Text]
[46]

232Bei Bruch (1955: 49) finden sich allerdings auch irrtümliche Genitivzuordnungen von s-

232Fugenelementen. Der Autor nennt hier etwa das Wort Rommelsblieder ‚Rübenblätter’, um zu zeigen, dass das Fugenelement -s- einen Genitiv darstellt. Das Fugen-s bei Rommelsblieder kann jedoch nicht als Genitiv gewertet werden. Das Fugenelement ist bei diesem Wort auch unparadigmatisch, da Rommel ‚Rübe’ als feminines Substantiv generell kein Genitiv-s bekommen kann. Im Allgemeinen ist es schwierig, bei Fugenelementen in N-N-Komposita von klaren Kasussuffixen auszugehen, denn sie funktionieren „ohne wortinterne Kasusvergabe“ (Gallmann 1998: 3). Ohne eine grundlegende Diskussion zu der Fugenproblematik anzustoßen, kann festgehalten werden, dass eine Einschätzung des Fugen-s als Genitivmarker an dieser Stelle nicht stichhaltig ist.

[zurück zum Text]
[47]
254Die hier gezeigten Beispiele sind aus Gründen der Lesbarkeit orthografisch angepasst.
[zurück zum Text]
[48]

256Diese sowie die im Folgenden aus der Wikipedia zitierten Konstruktionen mit Genitiv werden von allen sechs befragten Muttersprachlerinnen (kleine informelle Befragung) im Luxemburgischen abgelehnt.

[zurück zum Text]
[49]

263Vgl. hierzu die luxemburgischen Adjektivparadigmen in Kapitel 4.3.

[zurück zum Text]
[50]

281Dieser Beleg trat im Korpus einmal mit und einmal ohne Genitiv-s auf.

[zurück zum Text]
[51]

282Im Luxemburgischen existieren zwei Varianten dieser Nebensatzeinleitung: dass und datt. Aus Gründen der Vereinfachung wird hier vom dass-Satz gesprochen, auch wenn dieser durch datt eingeleitet wird (zur dass/datt-Variation vgl. Kapitel 8.2.5).

[zurück zum Text]
[52]

282Eine Sprecherin weist jedoch auf eine mögliche Verwendung mit pronominalem Genitiv hin: ech brauch denger net ‚wörtl. ich brauche deiner nicht’.

[zurück zum Text]
[53]

283Die gerundete und die ungerundete Variante dieses Lexems sind funktional gleichwertig.

[zurück zum Text]
[54]

305Es gibt leider keine genauen Quellen für den heutigen oder früheren Gebrauch dieser Formen. Die hier gemachten Aussagen in Bezug auf das Luxemburgische gehen auf persönliche Gespräche mit älteren und jüngeren Sprechern und Sprecherinnen des Luxemburgischen zurück. Auch im Korpus ließen sich keine entsprechenden Belege sammeln (hier wird meistens nur der Rufname oder der Nachname verwendet, selten in Kombination).

[zurück zum Text]
[55]

373Mehr zur Grammatikalisierung und den verschiedenen Erklärungsansätzen findet sich bei Zifonun (2003: 114-121), vgl. auch Fleischer & Schallert (2011).

[zurück zum Text]
[56]

410Da das Standarddeutsche nicht über einen Partitivartikel verfügt, sind diese Belege nicht immer einfach zu übersetzen. Abhängig vom Beispiel wähle ich im Folgenden entweder einen solch-Artikel oder eine PP mit Demonstrativartikel (von diesem/dieser).

[zurück zum Text]
[57]

413Im Folgenden werden in den Beispielen immer die Partitiva bzw. die dazugehörigen Quantoren durch Unterstreichung hervorgehoben. Das Partitivpronomen bzw. der Partitivartikel wird in der Glosse mit PRTV markiert, da keine direkte Übersetzung zur Verfügung steht.

[zurück zum Text]
[58]

415Individuierbarkeit wird hier verstanden als semantische Eigenschaft, die Objekte von ihrer Umgebung abhebt, hierzu zählen unter anderem die Merkmale [+Singular] [+belebt] [+zählbar] [+konkret] (vgl. Hopper & Thompson 1980: 253, zit. nach Bausewein 1990: 38). Für die vorliegende Untersuchung gelten vor allem die Merkmale [+Singular] und [+zählbar] als ausschlaggebend.

[zurück zum Text]
[59]

420Bruch (1955: 67f.) zeigt insgesamt mehrere Varianten auf: däers, däres, dees für Singular Maskulinum und Neutrum sowie där, déier, deer für Plurale und Femininum Singular. Meines Erachtens ergeben sich diese Formen einerseits aus dialektalen Varianten und andererseits aus der damals kaum geregelten Orthografie des Luxemburgischen. Die schwache Form es wird zwar in den Beispielen zu den Personalpronomen der dritten Person erwähnt, wird in der Beschreibung jedoch nicht berücksichtigt. Die reduzierte Variante der wird nicht erwähnt.

[zurück zum Text]
[60]

430Keller (1961: 274) zufolge entspricht das luxemburgische Partitivpronomen in seiner Funktion „more or less“ dem französischen Partitivpronomen en.

[zurück zum Text]
[61]

452Hierbei handelt es sich um eine spontane mündliche Abfrage von sechs Sprecherinnen, in denen diese Sätze in Bezug auf ihre Akzeptabilität bewertet werden sollten.

[zurück zum Text]
[62]

465Die Begriffe spezifisch und spezifiziert überschneiden sich teilweise in der Literatur (vgl. u.a. Karttunen 1969). Da es sich um einen semantisch-pragmatischen Prozess handelt, der vom Sprecher initiiert wird (Spezifizierung), erscheint mir das nominalisierte Partizip spezifiziert sinnvoller. Allein der Terminus spezifische Lesart soll beibehalten werden.

[zurück zum Text]
[63]

467Im Deutschen findet man auch den Gebrauch von son/sone zur Markierung dieser Art von Spezifizität (vgl. Hole & Klumpp 2000: 235). Der Gebrauch unterscheidet sich allerdings dahingehend, dass der Artikel son auch für zählbare Singulare verwendet werden kann und somit eine andere Funktion hat. Außerdem ist es im Luxemburgischen möglich, eine ähnliche Konstruktion zu bilden: esou eng Box ‚so eine / sone Hose’ (vgl. auch Kapitel 5.3.3.4 zum Ausdruck von Spezifizität).

[zurück zum Text]
[64]

469Originalbeleg: Referent: <Halloween Kostümer> ‚Halloween-Kostüme’ Et ginn e puer där Kostümer déi dëst Joer e richtegen Highlight sinn. ‚Es gibt ein paar solcher Kostüme, die dieses Jahr ein echtes Highlight sind.’ (Online-News).

[zurück zum Text]
[65]

473In der Linguistik gibt es viele verschiedene Vorstellungen und Typen von Spezifizität (vgl. von Heusinger 2011 für einen Überblick). Ich gehe hier nur auf das Konzept der referentiellen Spezifizität sowie Ionins (2006) noteworthy property ein.

[zurück zum Text]
[66]

474Die hohe thematische Relevanz (discourse prominence) ist ein Konzept, das Givón (1981; 1983) im Zusammenhang mit der Grammatikalisierung des Zahlworts eins als Indefinitpronomen und der Spezifizierung von Referenten vorstellt.

[zurück zum Text]
[67]

496Seržant (2014b) ordnet Partitiva im Slawischen in zwei Gruppen ein, je nachdem ob sie über einen Quantor verfügen oder nicht. Partitive NPs mit Quantor (Typ D) nennt er „dependent partitive genitive“, da sie von einem Kopf (dem Quantor) abhängen. Einfache partitive NPs ohne Quantor (Typ C) beschreibt er demnach als „independent“.

[zurück zum Text]
[68]

501Topikalisierung wird im Allgemeinen als „Vorgang der Umordnung von Satzgliedern“ verstanden, bei der eine Konstituente an den Satzanfang rückt (vgl. Altmann 1976: 234). Die Konstituente wird dabei in das Vorfeld (VF) verschoben, um sie als Topik hervorzuheben.

[zurück zum Text]
[69]

517Die folgenden Erläuterungen treffen auch auf einen indefiniten Quantor zu, in diesem Fall wäre bal 200 einfach durch vill ‚viele’ oder e puer ‚ein paar’ zu ersetzen.

[zurück zum Text]
[70]

524Däers Waasser nimmt hier Bezug auf das Trinkwasser, das täglich verbraucht wird.

[zurück zum Text]
[71]

526Konstruktionen des Typs et gëtt/et ginn ‚es gibt’ werden hier als Subjektsprädikative gewertet, da das Verb ginn häufig nach den grammatischen Eigenschaften des Prädikativs flektiert (und nicht nach dem Pronomen et). Vgl. Et ginn e puer där Kostümer (ginn = 3.Pers.Pl.).

[zurück zum Text]
[72]

538Die Lokaladjektive doten, loten, heiten, leiten haben im Luxemburgischen eine deiktische Lesart, d.h., dass sie im Grunde genommen wie adjektivische Demonstrativa funktionieren.

[zurück zum Text]
[73]

552Schlägt man im Glossar der Grammatik von Schanen & Zimmer (2012) bei „partitif“ nach, findet man nur den Verweis auf den Abschnitt mit den nominalisierten Adjektiven des Typs Dommer ‚Dumme’. Partitivartikel und -pronomen werden dort als Demonstrativa im Genitiv bestimmt.

[zurück zum Text]
[74]

566Dies liegt sicherlich auch an der partitiven Verwendung des Genitivs, aus dem die Partitivpronomen entstanden sind. Solche partitiven Genitive sind im Altgriechischen sowie in älteren Stufen des Germanischen und Slawischen belegt (vgl. Carlier 2007: 24).

[zurück zum Text]
[75]

567Dieser Umstand ist zum Teil der Homonymie mit der Reduktionsform des Lokaladverbials daar geschuldet (vgl. Strobel 2016).

[zurück zum Text]
[76]

567Als Ausnahme nennt De Schutter (1992) die friesischen Dialekte aus Groningen und Nord-Drente.

[zurück zum Text]
[77]

570Beispielsatz nach De Schutter (1992: 15), Übersetzung wurde ergänzt.

[zurück zum Text]
[78]

578Die Arbeit von Wintgens (1999) gleicht in Aufmachung und Inhalt sehr stark der Grammatik von Bruch (1955).

[zurück zum Text]
[79]

578Aus struktureller Sicht ist jedoch davon auszugehen, dass er/ter auch für Femininum Singular verwendet werden kann.

[zurück zum Text]
[80]

581Zur Systematik der wel(k)-Formen sowie zu den Ø-Partitiven vgl. Glaser (1992; 1993; 2008).

[zurück zum Text]
[81]

583Aus: Praktische Beobachtungen über die Schwefelräucherungen (de Carro 1819: 57).

[zurück zum Text]
[82]

584Aus: Eine freimüthige critische Beleuchtung der [...] Ansichten, Thatsachen und Urtheile gegen die homöopathische Heilmethode (Suppan 1837: 23).

[zurück zum Text]
[83]

585Aus: Allgemeine Forst- und Jagdzeitung (Voigt 1873: 47).

[zurück zum Text]
[84]

594Als Ausnahme gilt die Erwähnung eines Partitivartikels im Lothringischen, der allerdings nicht weiter beschrieben ist. Romanische Sprachen wie das Französische kennen allerdings einen Partitivartikel.

[zurück zum Text]
[85]

600Weiß (2015: 85) führt auf der Unterebene der schwachen Pronomen nicht nur reduzierte und klitische, sondern zusätzlich auch Nullpronomen auf. Diese wurden für die vorliegende Analyse jedoch ausgeklammert, da sie für das Luxemburgische nicht relevant sind (kein pro drop im Lux.).

[zurück zum Text]
[86]

601Bei Cardinaletti & Starke (1999) lauten die drei Kategorien: stark, schwach und klitisch. Hier wird allerdings die Terminologie von Weiß (2015) übernommen, die auch auf den Überlegungen von Cardinaletti & Starke beruht. Zudem werden von den beiden Autoren noch zwei weitere Eigenschaften beschrieben, die ich im vorliegenden Kapitel nicht berücksichtige, da ich sie für problematisch bzw. redundant halte. Die Eigenschaft Non-linguistic antecedents possible bezieht sich auf die Möglichkeit der exophorischen Referenz. Dies ist allerdings eine Eigenschaft, die nur für die Pronomen der 3. Person Singular Sinn ergibt, denn die Pronomen der 1. und 2. Person sind deiktisch und nicht referentiell. Der Faktor stand alone, also die Fähigkeit von Pronomen, alleine zu stehen, fällt meines Erachtens unter die bereits bestehende Kategorie der Dislokation, sodass eine weitere Wiederholung dieser Eigenschaft unnötig ist.

[zurück zum Text]
[87]

603Für das Kapitel 6.2 werden das Wikipedia-Sample und das Subkorpus verwendet. In den Kapiteln 6.3 und 6.4 wurde auf das Gesamtkorpus zurückgegriffen. Sätze ohne Quellenangabe sind konstruierte Sätze, die von mehreren Muttersprachlern überprüft wurden.

[zurück zum Text]
[88]

606Zur phonetischen Transkription luxemburgischer Laute vgl. Gilles & Trouvain (2013).

[zurück zum Text]
[89]

607Auf der gegenüberliegenden Buchseite des Paradigmas, in dem noch von erster und zweiter Form gesprochen wurde, heißt es dann „betonte“ und „unbetonte“ Form (vgl. Schanen & Zimmer 2012: 156f.).

[zurück zum Text]
[90]

610Dieser Begriff umschließt verschiedene Typen der Phorik: anaphorischer (zurückweisend), kataphorischer (vorausweisend) und exophorischer (ohne verbalen Verweis) Gebrauch.

[zurück zum Text]
[91]

611Die 1. Person Plural kennt auch exklusive Lesarten, d.h. Fälle, in denen der Sprechende nicht wirklich Teil des Referenzspektrums ist. Wenn etwa der Arzt zu seinem Patienten sagt: „So, und jetzt nehmen wir einfach eine Woche lang diese Tabletten.” Hier schließt wir den sprechenden Arzt nicht mit ein. Zur parallelen Verwendung im Deutschen vgl. Dudengrammatik (2006: 271).

[zurück zum Text]
[92]

613Es wurde keine detaillierte Analyse zu den Referenzfixierungen für die starke Form der 3. Person Plural durchgeführt. Dennoch zeichnet sich bei einer ersten empirischen Stichprobe ab, dass das starke Pluralpronomen si auf alle Entitäten referieren kann, zumal Plurale meistens Konkreta bezeichnen.

[zurück zum Text]
[93]

619Individualität ist hier nicht mit Individuiertheit zu verwechseln. Letztere bezieht sich auf die Eigenschaft, dass Elemente einzeln erfassbar sind (ein Apfel, drei Äpfel). Individualität bezieht sich hingegen auf die Eigenschaft, ein einzelnes Element besonders zu kennzeichnen (der Gala-Apfel).

[zurück zum Text]
[94]

619Die Oppositionen referential(definite)/non-referential wurde hier mit ‚definit/indefinit’ übersetzt. Die Kategorien Singular/Plural entfallen an dieser Stelle, da die Kategorie Plural für Pronomen der 3. Person Singular nicht relevant ist.

[zurück zum Text]
[95]

621Der Wikipedia-Artikel an sich stellt eine besondere Textsorte dar, vor allem im Luxemburgischen. Bei möglichen Übersetzungen aus einer deutschen oder englischen Vorlage stellt sich die Frage, ob den Autoren ein Unterschied zwischen den starken und den schwachen Pronomen bewusst ist, schließlich bietet die deutsche oder englische Vorlage keine derartige Variation im Schriftbereich. Ist ihnen diese Variation nicht bewusst, besteht die Gefahr, dass die Autoren sich aufgrund eines vermeintlichen „Standardgedanken“ häufiger für die starken Pronomen entscheiden, d.h., dass unter Umständen vermehrt starke Pronomen verwendet werden, da man diese der ‘standardisierten’ Schriftsprache zuordnet. Auch bei luxemburgischen Transkriptionen, die von studentischen Hilfskräften an der Universität Luxemburg angefertigt werden, werden häufig starke Pronomen eingesetzt, wenn in der Audio-Datei eigentlich eine schwache Form verwendet wird.

[zurück zum Text]
[96]

626Die Idee von Controller und Target stammt aus Corbetts Kongruenztheorie (2006). Bei der Pronominalisierung besteht Kongruenz zwischen dem Controller (d.h. dem referentiellen Substantiv) und dem Target (d.h. dem Pronomen der dritten Person), da die Merkmale Genus und Numerus an das Pronomen weitergegeben werden. Der Controller ist somit das phorische Textelement, auf das sich das Pronomen (Target) bezieht. Die Begriffe werden der Einfachheit halber aus dem englischen Original übernommen.

[zurück zum Text]
[97]

634Die Bezeichnung Framënsch (wörtl. ‚Frauenmensch’) kann (muss aber nicht) im Luxemburgischen pejorativ verwendet werden. Häufig werden dadurch auch ‚junge Frauen’ bezeichnet.

[zurück zum Text]
[98]

636Die Daten zu den Tieren entstammen jedoch nicht dem Wikipedia-Sample, da sich dort nur menschliche Referenten für hatt finden. Insgesamt finden sich leider wenige Beispiele mit Tieren, was vor allem daran liegt, dass in den Nachrichten oder in Kommentarspalten wenig über Tiere mit Rufnamen gesprochen wird. Meistens sind die Angaben zu Tieren dann wiederum unspezifiziert, d.h. der Name wird nicht genannt. In den wenigen Fällen, in denen dann auf ein Tier mit einem Rufnamen verwiesen wird, muss dieses Tier einen weiblichen Namen tragen, um das Pronomen hatt auszulösen.

[zurück zum Text]
[99]

636Weitere Beispiele mit Tieren sowie mit exophorischer Referenz finden sich in Kapitel 6.3.

[zurück zum Text]
[100]

637Die online Quelle ist aufgrund einer erfolgreichen Vermittlung der Katze nicht mehr verfügbar.

[zurück zum Text]
[101]
642Hierbei handelt es sich um die Gesamtanzahl an Treffern.
[zurück zum Text]
[102]
642Hierbei handelt es sich um eine manuelle Beschränkung auf 600. Die Gesamtanzahl liegt bei 1556.
[zurück zum Text]
[103]

652Dass der Bereich der Pflanzen keine Referenten mit hien aufweist, kann einerseits daran liegen, dass viele Pflanzenarten und Abstrakta Feminina sind.

[zurück zum Text]
[104]
660Hierbei handelt es sich um eine manuelle Beschränkung auf 118, um sie Vergleichbarkeit mit dem maskulinen Pronomen hien zu gewährleisten. Die Gesamtanzahl liegt bei 140.
[zurück zum Text]
[105]
660Hierbei handelt es sich um eine manuelle Beschränkung auf 600. Die Gesamtanzahl liegt bei 1021.
[zurück zum Text]
[106]

678Fünf von den sechs befragten Muttersprachlerinnen lehnen das starke Pronomen hien in diesem Kontext ab.

[zurück zum Text]
[107]

681Vgl. hierzu auch die Arbeiten von Christen (1998), Nübling (2015) und Döhmer (2016).

[zurück zum Text]
[108]

689Im Grunde genommen spielt auch die syntaktische Nähe eine wichtige Rolle bei der Wahl zwischen Neutrum oder Femininum (vgl. Döhmer 2016). Da es hier vorrangig um Pronominalisierung geht, wird das Kriterium der syntaktischen Nähe und die damit verbundene Beeinflussung von grammatischer oder pragmatischer Kongruenz ausgeklammert. Im Vordergrund stehen demnach die pragmatischen Bedingungen der Generation, Emotion und des Stils.

[zurück zum Text]
[109]

705Derzeit entsteht eine Doktorarbeit zur Neutrum/Femininumreferenz an der Universität Luxemburg, im Rahmen des trinationalen Projekts ‘Das Anna und ihr Hund’ (Universität Mainz, Universität Fribourg). Dabei wird u.a. auf grammatische Muster und die areale Verteilung der Neutrumreferenz eingegangen.

[zurück zum Text]
[110]

709Zu den flektierenden Nebensatzeinleitungen vgl. Kapitel 9.

[zurück zum Text]
[111]

719Zur Kasusabfolge dieser Pronomencluster vgl. Kapitel 7.

[zurück zum Text]
[112]

735Im Hessischen können schwache Objektklitika im Vorfeld stehen, wenn der Satz durch die Interjektion „ei“ eingeleitet wird, an die sich das klitische Pronomen phonologisch anhängen kann (vgl. Reinsberg 2011: 64, zit. nach Weiß 2016: 126).

[zurück zum Text]
[113]

745Das starke Femininumpronomen si, das Pluralpronomen si sowie alle schwachen Formen (et, ‘t, en, se) können allesamt auf unbelebte Referenten verweisen (auch die starke Maskulinumform hien kann bei hoher Individualisierung des Referenten auf unbelebte Entitäten referieren). Der Bezug auf unbelebte Referenten ist somit auch bei bestimmten starken Pronomen möglich, sodass hier der schwankende Wert [+/–] eingetragen werden muss.

[zurück zum Text]
[114]

750Auch im Standarddeutschen darf das schwache Pronomen es (3.Pers.Sg.Neutr.) nicht als direktes Objekt im Vorfeld stehen: *es habe ich gestern gekauft (vgl. Dudengrammatik 2006: 278).

[zurück zum Text]
[115]

760Vgl. URL: http://www.giessener-anzeiger.de/lokales/kreis-giessen/rabenau/einstieg-als-teenager-vor-horde-von-ue-50ern_16800864.htm [Zugriff: 19.2.2017].

[zurück zum Text]
[116]

762De Schutter (2002: 461) weist darauf hin, dass die starken Formen im Flämischen auch nach Präpositionen auftreten können.

[zurück zum Text]
[117]

773Wenkersatz Nr. 9 lautet: „Ich bin bei der Frau gewesen und habe es ihr gesagt, und sie sagte, sie wollte es auch ihrer Tochter sagen.“

[zurück zum Text]
[118]

774Die initiale Beobachtung Wackernagels bezog sich auf das Griechische, konnte aber auch für andere indoeuropäische Sprachen belegt werden (vgl. Anderson 1993).

[zurück zum Text]
[119]

774Bei Zifonun et al. (1997: 2343f.) wird für diese Besonderheit der Wortstellung ein spezielles „Vormittelfeld“ für pronominale Konstituenten eingefügt, in dem die Abfolge (Nom>Akk>Dat) lautet. Im Mittelfeld gilt für die nominalen Konstituenten die Grundtendenz (Nom>Dat>Akk).

[zurück zum Text]
[120]

777Terminologisch möchte ich mich vom Begriff der „(un)markierten Satzstellung“ distanzieren und die Begriffe „Grundstellung“ bzw. „neutrale Stellung“ vorziehen, denn „Markiertheit“ kennt in der linguistischen Forschung mehrere Definitionen, was hier zu einer unnötigen terminologischen Unschärfe führen würde (vgl. Haspelmath 2006). Haspelmath (2006) plädiert dafür, den unscharfen Begriff „Markiertheit“ zugunsten von konkreten Konzepten wie „pragmatische Inferenzen“ oder „strukturelle Asymmetrien“ in der strukturellen Beschreibung von Sprachen aufzugeben.

[zurück zum Text]
[121]

777Lenerz (1977: 27f.) geht davon aus, dass pragmatische Beschränkungen wie die Thema-Rhema-Bindung den Satz in besonderer Weise restrukturieren. Dem steht die These von Reis (1987) gegenüber, die davon ausgeht, dass grammatische Faktoren (Satzglieder) den Hauptausschlag für die Wortstellung geben.

[zurück zum Text]
[122]

783Die Tabelle zeigt hier nominale und pronominale Satzglieder, um zu verdeutlichen, wie groß die Anzahl an zu ordnenden Konstituenten sein kann. Gerade für Faktoren wie „pronominal>nominal“ oder „kurz>lang“ wären solche Listen allerdings relevant. Doch selbst beim Fokus auf die pronominale Abfolge ergeben sich durch die Stark-schwach-Opposition mehrere Möglichkeiten.

[zurück zum Text]
[123]

785Hylen & Speelman (2003) arbeiten in ihrer Korpusstudie zur Mittelfeldabfolge im Standarddeutschen allerdings mit einem standardisierten Korpus und verfügen über einen automatisierten Tagger, der in der Lage ist, die relevanten funktionalen Kategorien der Konstituenten zu bestimmten. Auch andere Studien zur Wortstellungsvariation arbeiten mit standardisierten Korpora und syntaktischen Taggern (vgl. Kempen & Harbusch 2004). Dies sind technische Vorteile, die das vorliegende luxemburgische Korpus nicht bieten kann.

[zurück zum Text]
[124]

796Für jedes Pronomen mit einer Stark-schwach-Distinktion wurden demnach vier Korpussuchen durchgeführt (Beispiel für die 1.Pers.Sg.): mir et; mer et; et mir; et mer.

[zurück zum Text]
[125]

796Es konnten keine Belege mit der theoretisch verfügbaren Reduktionsform er gefunden werden. In den Wenkersätzen, die zwischen 1924 und 1925 elizitiert wurden, sind solche Formen allerdings belegt (sie beruhen jedoch vornehmlich auf mündlich realisierter Sprache und wurden daraufhin transliteriert).

[zurück zum Text]
[126]

797Man könnte sich die Frage stellen, ob sich die Formgleichheit im Paradigma des Personalpronomens eis~ons (1. Person Plural) von Akkusativ und Dativ hier auf die Stellung auswirkt. Diese These ist allerdings nicht aussagekräftig, da das Pronomen der 2. Person Plural (iech) den gleichen Synkretismus aufweist und durchaus häufiger die „Grundfolge“ Dat>Akk zeigt. Somit kann der Synkretismus von Dativ und Akkusativ nicht alleine für die Verteilung bei eis et vs.et eis verantwortlich gemacht werden.

[zurück zum Text]
[127]

805In einer informellen Umfrage erwähnen drei von sechs Muttersprachlerinnen das „Deutsch-Klingen“ der Akk>Dat-Variante. Eine Muttersprachlerin, die lange in Deutschland studiert hat, erklärt während der mündlichen Befragung, dass sie bei Bewertungstests von pronominalen Folgen häufig beide Varianten akzeptiert, und führt dies darauf zurück, dass sie die Stellung Akk>Dat womöglich durch das Deutsche auch für das Luxemburgische akzeptiert. Insgesamt stellt der Einfluss des Standarddeutschen jedoch einen kaum kontrollierbaren Faktor dar.

[zurück zum Text]
[128]

849Der Wackernagelkomplex wird noch einmal in Bezug auf die Syntax der Nebensatzeinleitungen in Kapitel 9.3 thematisiert.

[zurück zum Text]
[129]

859Der Beispielsatz lautet: Ech hunn net kënne kommen.// Ech hunn net komme kënnen. ‚Ich habe nicht können kommen. // Ich habe nicht kommen können.’ (vgl. Braun et al. 2005: 49).

[zurück zum Text]
[130]

859Bei diesen Sätzen fällt jedoch auf, dass sämtliche Beispielsätze mit Modal- oder Konjunktivhilfsverben eine einheitliche 1-2-Reihenfolge aufweisen (mehr dazu in Kapitel 8.2).

[zurück zum Text]
[131]

859Die Autoren stellen in den meisten Fällen eine Grundoption fest und vermuten, dass jegliche Variation durch den standarddeutschen Einfluss zu erklären ist (vgl. Schanen & Zimmer 2012: 52f.). Mehr zu den Hypothesen der Verbclusterinformation findet sich in den jeweiligen Unterkapiteln.

[zurück zum Text]
[132]

860Da es sich bei den Verbclustern um ein high frequency phenomenon handelt und die manuelle Suche sehr zeitaufwendig ist, wurde hier auf das Subkorpus zurückgegriffen.

[zurück zum Text]
[133]

872Auch im Deutschen gibt es Autoren, die werden allgemein als Modalverb einstufen (vgl. Vater 1975).

[zurück zum Text]
[134]

874Diese Verben haben eine vergleichbare Struktur wie im Standarddeutschen und werden dort als Unterkategorie der „infinitregierenden Verben“ verstanden bzw. etwas allgemeiner als „Verben mit Spezialfunktion“ (vgl. Dudengrammatik 2004: 422).

[zurück zum Text]
[135]

896Im Alltag kann man solche Formen gelegentlich hören. Im Schriftgebrauch findet man sie allerdings nur selten.

[zurück zum Text]
[136]

896Herzig befindet sich in Deutschland, im moselfränkischen Sprachgebiet, ca. 35 km nordwestlich von Luxemburg.

[zurück zum Text]
[137]

897Beispiel wurde orthografisch angepasst, da Cravatte (1953) in seiner handschriftlichen Abhandlung eine eigene, lautlich orientierte Schreibweise verwendet.

[zurück zum Text]
[138]

951Selbst wenn die funktionalen Aspekte einen Einfluss auf die Wortstellung ausüben (conditioned variation), ist dennoch nicht auszuschließen, dass die Verteilung auch areal sein kann. Da in den meisten Fällen keine Informationen zu den Verfassern vorliegen, bleibt das Testen diatopischer Wortstellungsvariation im Luxemburgischen ein zukünftiges Anliegen. Denn auch wenn hier gemeinhin vom „Luxemburgischen“ gesprochen wird, darf man nicht vergessen, dass es sich zugleich um vier „binnenluxemburgische“ Dialektgebiete handelt, welche Präferenzen für den einen oder anderen Typ zeigen können. In den Studien von Seiler (2004, 2005) kann eindeutig belegt werden, dass syntaktische Phänomene wie Verbstellung im Nebensatz areale Variation zeigen können.

[zurück zum Text]
[139]

954Der Chi-Quadrat-Test nach Pearson beruht auf den Abweichungen von beobachteten Häufigkeiten zu den erwarteten Häufigkeiten zuvor festgelegter Daten (Modell der statistischen Unabhängigkeit) (vgl. Andreß 2001).

[zurück zum Text]
[140]

975Im ältesten Luxemburger Rechnungsbuch von 1388 kann die Koexistenz der beiden Formen jedoch schon nachgewiesen werden. Für diesen Hinweis bedanke ich mich bei Britta Weimann.

[zurück zum Text]
[141]

977Dieser Test zeigt, wie unabhängig die hier bestimmten Faktoren sind oder – anders gesagt – ob der Faktor X die Abfolge im Verbcluster beeinflusst. Ein niedriger p-Wert (>0,05) steht in diesem Fall für eine geringe Irrtumswahrscheinlichkeit und legt nahe, dass ein Einfluss besteht. Niedrige Werte, die den p-Wert jedoch knapp überschreiten, werden als statistische Tendenz bezeichnet (vgl. Schlobinski 1996: 158-160).

[zurück zum Text]
[142]

1008Dies gilt teilweise auch für Perzeptionsverben: ech hunn hie spillen héieren ‚ich habe ihn spielen hören’. Da dieser Verbtyp in den Daten leider nicht vorkommt, werden an dieser Stelle nur Modalverben betrachtet.

[zurück zum Text]
[143]

1011Höhle (2006: 59) zeigt verschiedene supinale Formen aus dem Dialekt von Kranichfeld (bei Weimar). Dort können in IPP-Konstruktionen anstelle von einfachen Infinitiven (können, wollen) auch Supina stehen (kund, wuld). Interessant sind auch Einzelbelege aus Dillingen an der Saar (34 km zur luxemburgischen Staatsgrenze), in denen u.a. die supinalen Formen du hättest das nicht bräuchten zu verraten und daß ich nicht habe dürften kommen auftreten (vgl. Labouvie 1938: 105, zit. nach Höhle 2006: 60).

[zurück zum Text]
[144]

1018Übersetzungen zu den luxemburgischen Beispielen (Tab. 85): a) ich hätte dürfen bei einem schlafen, b) dass sie so nicht hätten dürfen geplant werden, c) die hätten können gerettet werden, d) wie man das hätte können meinen, e) jeder hätte können so etwas lernen, f) wie das hätte müssen geschehen, g) die im Grunde für 2006 hätten müssen eingetragen werden, h) ich hätte sollen in das Kino fahren, i) sie hätte wollen ihren Thron retten, j) das, was Luxemburg alleine hätte wollen rübergeben, k) es hätte man nicht brauchen die Zone 30 im ganzen Gebiet einzuführen, l) dann hätten wir nichts anderes lange brauchen zu suchen.

[zurück zum Text]
[145]

1018In den Daten finden sich ebenfalls die Formen net breichen sowie net breichten. Es ist davon auszugehen, dass es sich hierbei um grafische Variation handelt, denn eine [ɑɪ]-Variante ist für das Luxemburgische aller Wahrscheinlichkeit nach aus historisch-phonologischen Gründen auszuschließen. An dieser Stelle bleibt unklar, ob net breichen eine fehlerhafte grafische Variante zu net bréich(t)en [ɜɪ] oder zu net bräich(t)en ist [æːɪ].

[zurück zum Text]
[146]

1023Die Verteilung von hunn im Präteritum mit Modalverb wird an dieser Stelle nicht behandelt, da die Tokenfrequenz zu niedrig ist, um aussagekräftige Angaben zur Verteilung machen zu können.

[zurück zum Text]
[147]

1023In den Daten finden sich ebenfalls die Formen net breichen sowie net breichten. Da es sich hier um ein schriftliches Korpus mit abweichender Orthografie handelt, können an dieser Stelle nur Überlegungen angestellt werden. Demnach ist davon auszugehen, dass es sich hierbei um othografische Variation handelt, denn eine [ɑɪ]-Variante ist im Grunde genommen auszuschließen. An dieser Stelle ist allerdings unklar, ob net breichen eine fehlerhafte Variante zu net bréich(t)en [ɛɪ] oder zu net bräich(t)en [æːɪ] ist.

[zurück zum Text]
[148]

1069Diese Stellung ist nur möglich, wenn im Syntagma des Typs HV+HV+VV die beiden Hilfsverben sinn und ginn in exakt dieser Form auftreten. In diesem Fall kann die Reihenfolge der Hilfsverben getauscht werden: dass se gutt si ginn vs. dass se gutt gi sinn ‚dass sie gut geworden sind’.

[zurück zum Text]
[149]

1079Allein bei der Kombination mit den Hilfsverben sinn und ginn plus Partizip II kann auch eine 3-1-2-Abfolge entstehen: dass se gedeelt si ginn (3-1-2) vs. dass se gedeelt gi sinn (3-2-1). Diese 3-1-2-Variante ist nur dann verfügbar, wenn das flektierte Hilfsverb sinn (gekennzeichnet als 1) formgleich mit dem Infinitiv sinn ist, d.h. in der 1. Person Singular, 1. Person Plural oder 3. Person Plural. Eine Form: dass e gedeelt ass ginn (3-1-2) ist nicht zulässig.

[zurück zum Text]
[150]

1125Die Analyse von Sapp (2007) basiert auf dem Bonner Frühneuhochdeutschen Korpus, welches aus zehn Dialekten besteht, die zwischen 1350 und 1600 festgehalten wurden. In diesem Korpus wurden 2752 2er- und 169 3er-Cluster aufgelistet.

[zurück zum Text]
[151]

1126Der Begriff „Scrambling“ geht zurück auf Mark Twain, der die Wortfolge im Deutschen mit scrambled eggs (Rührei) verglichen hatte (vgl. Dudengrammatik 2006: 881). Innerhalb der Generativen Grammatik „bezieht sich die theoretische Erörterung von Scrambling auf die Frage, welche Wortstellungsvariationen in Sprachen unterschiedlichen Typs Resultate von welchen syntaktischen, semantischen und pragmatischen Faktoren sind und unter welchen Bedingungen Scrambling nicht möglich ist“ (Fries 2005: 577).

[zurück zum Text]
[152]

1129Diese Kombination ist im Niederländischen sehr unüblich (vgl. Wurmbrand 2006). Zudem wurde dieser Typ nicht um Rahmen des SAND abgefragt.

[zurück zum Text]
[153]

1141Zur Variation von dass/datt vgl. Kapitel 8.

[zurück zum Text]
[154]

1142Zur besseren Kennzeichnung werden die Flexionsmarker in der lexikalischen Glosse zwischen Rautenzeichen (#) angeführt.

[zurück zum Text]
[155]

1144Ich verwende an dieser Stelle gezielt die neutrale Beschreibung „Marker“. Zur Problematisierung der Begriffe Flexiv und Klitikon vgl. Kapitel 9.1.1.

[zurück zum Text]
[156]

1144Zur Problematisierung des Begriffs „Komplementierer“ vgl. Frajzyngier 1995.

[zurück zum Text]
[157]

1157Ähnliche morphologische „Shifts“ sind auch bei der Entstehung der luxemburgischen Personalpronomen mir (1.Pers.Pl.) und dir (2.Pers.Pl.) zu beobachten.

[zurück zum Text]
[158]

1159Eine ähnliche Form der (synchronen) Reanalyse beobachten Scupin & Scupin (1907; 1910, zit. nach Rinas 2005) bei einem Spracherwerbsvorgang: Das beobachtete drei-, zu einem späteren Zeitpunkt der Studie vierjährige Kind scheint auch sde als klitisches Pronomen zu verwenden (ohne dialektale Sprechweise): „die Kiste, diestu auf den Tisch gestellt hast“.

[zurück zum Text]
[159]

1162Eine detaillierte Beschreibung der vorrangig germanistischen „Forschungstradition“ zu diesem Thema sowie eine fundierte Auseinandersetzung mit der Terminologie finden sich bei Rinas (2005).

[zurück zum Text]
[160]

1163Aufmerksam geworden bin ich auf diese Quelle durch Humbert (2015), die über das Thema der flektierenden NS-Einleitungen im Luxemburgischen einen Travail de candidature (eine Art Abschlussarbeit für das Lehramt in Luxemburg) verfasst hat.

[zurück zum Text]
[161]

1164In seltenen Fällen wird zwischen zwei schwachen Pronomen, die jeweils auf ein Schwa aus- und anlauten ein [n] eingefügt. Diese n-Epenthese ist jedoch im Schriftlichen kaum vorzufinden (acht Belege im Korpus, sechs davon aus grammatisch oder orthografisch orientierten Hausarbeiten): an eng Villa, wou se n e mat Alkohol voll maachen (Internet) ‚in eine Villa wo sie #n# ihn mit Alkohol betrunken machen’ (vgl. auch Braun et al. 2005: 22).

[zurück zum Text]
[162]

1171Nübling (1998: 270f.) präsentiert eine Reihe von Einzelpunkten, die Flexive charakterisieren, um sie von der Derivation abgrenzen (u.a. auch Produktivität und keine Movierbarkeit). Da hier Flexive von Klitika abgegrenzt werden sollen, werden nur diejenigen Aspekte übernommen, die für die vorliegende Fragestellung relevant und ausreichend sind.

[zurück zum Text]
[163]

1180Da der s-Marker obligatorisch ist, finden sich auch deutlich mehr Belege im Korpus, die für eine Systematisierung zur Verfügung stehen.

[zurück zum Text]
[164]

1218Aus lautlicher Perspektive ist unklar, ob der [s]-Laut in diesen Fällen verlängert wird. Hierzu müssten zusätzliche Studien mit phonetischen Messungen durchgeführt werden.

[zurück zum Text]
[165]

1225Übersetzungen: ob du willst oder nicht; wann du kommst; die du geliehen hast; denen du wichtig bist; wo du immer wieder jemanden kennst; wie du eingestellt bist; wie du; wer du politisch bist; wen auch immer du damit meinst; wie gerne du die Trauben hast; wie schnell du unterwegs bist; mit welchem Programm du das Foto gespeichert hast; in welcher Region du dich bewegst; was für Bücher du liest.

[zurück zum Text]
[166]

1232Beginnt das folgende Wort mit einem Konsonanten (mit Ausnahme von d, h, n, t, z), entfällt das n und es bleibt in diesem Fall nur noch ein Schwa übrig.

[zurück zum Text]
[167]

1232Diese Regel wird in der gesprochenen Sprache konsequent umgesetzt. Im Schriftlichen wird diese Regel nicht immer durchweg berücksichtigt, sodass nicht alle – schriftlichen – Beispiele die n-Regel darstellen.

[zurück zum Text]
[168]

1232Auch wenn der e-Flexionsmarker nicht als Graphem dargestellt wird, könnte man in einer weiteren Studie überprüfen, ob dieses Schwa lautlich realisiert wird.

[zurück zum Text]
[169]

1256Es bleibt eine offene Frage, ob diese Homonymien auch ein Grund dafür sind, dass en-Marker nicht sehr häufig verwendet werden.

[zurück zum Text]
[170]

1265Eine für das Niederländische konzipierte Erklärung für diese Defektivität liefern Hoekstra & Smits (1998).

[zurück zum Text]
[171]

1268Inwiefern das du-Pronomen mit dem Flexionsmarker st/sd verschmilzt und in welchen Fällen auch andere Subjektpronomen getilgt werden können, wird u.a. bei Bayer (1984) und Weiß (2005) erklärt und problematisiert.

[zurück zum Text]
[172]

1289Schanen & Zimmer (2012: 188) nennen hier Pronomen, Interrogativa und auch Präpositionen. Es ist allerdings nicht klar, wie sie zu dieser Zusammenstellung kommen. Ich gehe davon aus, dass sie nebensatzeinleitende Elemente umschreiben wollten.

[zurück zum Text]
[173]

1322Aus: Johann Reinhold Forster's Reise um die Welt während den Jahren 1772-1775 (Forster 1784: 325).

[zurück zum Text]
[174]

1323Aus: Geschichte des Fürstenthums Hannover. Zweiter Theil (von Spittler 1835: 119).

[zurück zum Text]
[175]

1333Dabei kann auch eine prosodische Hervorhebung des Subjekts möglich sein. Die Korpusdaten liefern jedoch keinen Aufschluss über diesen Aspekt.

[zurück zum Text]
[176]

1343Für diese Quantitätsangabe wurde das Korpus durchsucht nach zusammengeschriebenen w-Wörtern in der Kombination mit dass oder datt. Durch die Anfragesyntax wurden auch Adjektivkonstruktionen mitgezählt, insofern das Adjektiv mit einem <w> beginnt (wéi wäit dass ‚wie weit dass’).

[zurück zum Text]
[177]

1356Dass hier ein neutrales Pronomen (dat) für ein feminines Bezugsnominal (Maus) gewählt wird, liegt an der Genus-Sexus-Asymmetrie im Luxemburgischen bei weiblichen Personen (vgl. Kapitel 6.3).

[zurück zum Text]
[178]

1360Der Fokus des Aufsatzes von Bayer & Brandner (2008b) liegt in der generativ theoretischen Beschreibung dieses Phänomens. Nichtsdestotrotz liefert dieser Aufsatz einen guten Ausgangspunkt für eine Übersicht der arealen Verbreitung dieses Phänomens. Ohne die generativen Konzepte hier darstellen zu wollen, können die dortigen Belege und Überlegungen mit dem Luxemburgischen abgeglichen werden.

[zurück zum Text]
[179]

1365URL: www.gutefrage.net/frage/kann-man-ausrechnen-wie-gross-dass-man-wird [letzter Zugriff 15.06.2016].

[zurück zum Text]
[180]

1409Dës Auswäertunge si bei verschidde Froestellunge méi oder manner gutt gaangen, wat awer och dorunner läit, dass déi Texter orthographesch net standardiséiert an ouni grammatesch Informatioune kodéiert sinn.

[zurück zum Text]