Erniedrigte und Beleidigte

Der ambivalente Mittler im deutsch-französischen Kulturfeld zwischen Ressentiment und Erweckungsmission

Joachim Umlauf

Abstract

Much attention has been paid since 1945 to the role of the mediators in Franco-German relations who have contributed to reconciliation, friendship, and the establishment of the European community. Less attention has been focused however on unsuccessful or problematic mediator biographies and texts. This article assesses historically discredited mediators (such as Friedrich Sieburg), mediators who have expressed ambivalence in French essay writing about Germany and German essay writing about France (such as Peter Sloterdijk and Benjamin Korn), as well as a text by Adam Soboczynski on the polemics surrounding the exhibition De l’Allemagne. This contribution analyses these sources not only to show the longevity and durability of stereotypes in the intercultural field, but also to establish the thesis that attention to these categories of forms can be very enlightening for research on mediators.

Title:

The Abject and the Offended: Ambivalent Mediators in the Franco-German Cultural Field between Resentment and Revival

Keywords:

ambivalent mediators; Sloterdijk, Peter (1947–); Sieburg, Friedrich (1893–1964); German stereotypes

Die in der Mittlerforschung im europäischen Kontext nach 1945 häufig anzutreffende einseitige Orientierung am Versöhnungsgedanken muss als grundsätzlich problematisch bezeichnet werden, da hierdurch der Transferforschung wichtige Phänomene und Akteure aus dem Blick geraten sind. Wie wir bereits im Lexikon der deutsch-französischen Kulturbeziehungen nach 1945 angemerkt haben, ist diese Fokussierung u.a. der Grund dafür, warum heute, d.h.

70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges […] im zeitlichen Abstand Akteure sichtbar [werden], die sich, nicht zuletzt weil sie mitunter sehr weitab vom Gedanken der ›Versöhnung‹ standen, im toten Winkel der von diesem Gedanken erfüllten Wissenschaftler und ihrem entsprechend allein positiv konnotierten Mittlerbegriff befanden. (Colin/Umlauf 2013: 79)

Ausgehend von einem »erweiterten Mittlerverständnis« (vgl. ebd.) erscheint diese Lücke problematisch – sowohl im Blick auf nicht-intentionale Mittler,1 als auch (meist nachträglich) auf diskreditierte und ambivalente Mittler. Die letzteren beiden Gruppen erscheinen für den Kulturtransfer und dessen Theorie insofern von besonderer Bedeutung, als sich anhand ihres oft bedeutsamen und zugleich widersprüchlichen Wirkens die Komplexität des Kulturaustausches besonders anschaulich darstellen lässt. Aus diesem Grund herrscht beim ambivalenten Mittler – im Vergleich zu den aus der Außen- und Innenperspektive gleichermaßen positiv wahrgenommenen Leistungen bekannter zivilgesellschaftlicher Akteure des Kulturtransfers eine bedeutsame und zuweilen tiefe Kluft zwischen der Eigen- und Fremdwahrnehmung als Mittler. Im deutsch-französischen Kulturfeld ist dieser ambivalente Mittler, der sich in der Regel durch eine doppelte Nähe zum Versöhnungs- und Annäherungswunsch einerseits sowie dem der Kultur stets innewohnenden hybriden Konfliktpotenzial andererseits auszeichnet, insbesondere in der Deutschland- bzw. Frankreich-Essayistik erstaunlich präsent.

Nachträglich, z.B. durch veränderte politische oder gesellschaftliche Situationen und Positionen, diskreditierte Mittler kennen wir zur Genüge. Da wäre, als ein Extremfall, der heute zu den wichtigsten französischen Schriftstellern des 20. Jahrhunderts gezählte Céline zu nennen, der sich sicher in seiner eigenen Wahrnehmung als wichtiger kultureller Go-between zwischen (NS-)Deutschland und (Vichy-)Frankreich bezeichnet hätte. Komplexer und weniger eindeutig bzw. (aus moralisch-ethischer Sicht) verwerflich, liegen die Dinge bei Ernst Jünger oder dem Essayisten und Journalisten Friedrich Sieburg.

Transferdiskurse: Vom Konflikt zur Versöhnung

Auf die machtvolle und lang anhaltende (Nach-)Wirkung von Auto- und Heterostereotypen, wie sie bei der Auseinandersetzung mit dem Anderen notwendigerweise entstehen, hat jüngst Clemens Klünemann zu Recht erneut hingewiesen (vgl. Klünemann 2013). In Sieburgs Bestseller Gott in Frankreich? aus dem Jahre 1929 (1931 von Maurice Betz ins Französische übersetzt unter dem Titel Dieu est-il français?), der über Generationen und auch noch weit über 1945 hinaus massenhaft gelesen wurde und damit maßgeblich zum Frankreichbild der Deutschen beitrug, tritt die scherenschnittartige Konditionierung der Selbstwahrnehmung für uns Heutige deutlich zu Tage, da wir eben nicht mehr, oder nur noch aus der Ferne, denselben Wahrnehmungsmustern und Deutungszwängen ausgesetzt sind. (vgl. auch Valance 2013: 94–96).

Gewisse alte Klischees schreiben sich selbstverständlich auch heute noch in der ›liebevollen‹, d.h. von einer positiven und nicht denunzierenden Grundstimmung getragenen Frankreich-Essayistik bzw. -Unterhaltungsliteratur fort, in der ›dem Franzosen‹ beispielsweise Eigenschaften wie Lebenslust und Individualismus im Verbund mit einer gewissen Oberflächlichkeit sowie Schönrederei zugewiesen und Hedonismus, Hang zum Luxus und Eleganz gegen deutsche Bescheidenheit, Ernsthaftigkeit in der intellektuellen Auseinandersetzung und Arbeitsethos gestellt werden. Das ständige existentielle Ringen mit dem Anderen, die Fokussierung auf die Frage, welche Kultur denn in welchen Fragen schlussendlich der anderen überlegen sei, der reflexartige und neurotische Hang zur Hervorhebung eigener Qualitäten in negativer Abgrenzung zum Anderen, die sicherlich ein recht direkter Abglanz der vielen kriegerischen deutsch-französischen Auseinandersetzungen seit 1800 und des allgemeinen Hegemoniestrebens der großen europäischen Nationalstaaten bis 1945 darstellen, ist für uns hingegen (glücklicherweise) nicht mehr nachzuvollziehen. Im Gegenteil: Die Fähigkeit, von Kulturen auch Abweichendes zuzulassen, Fremdes zu tolerieren und Alterität als Prinzip zu fördern, wird nicht selten zum Gradmesser und als notwendiger Bestandteil funktionierender pluralistischer Gesellschaften genommen – was am anderen Ende des Spektrums allerdings auch zu phobischen Reaktionen führen kann, die sich in Krisensituationen nicht selten im Erstarken populistischer Parteien (wie in Frankreich des Front National) niederschlagen.

Systemisch betrachtet könnte man folglich behaupten, dass selbst in der (radikalen) Abwehr und Dekonstruktion gängiger Klischees diese als Folie dienen und folglich als Teil eines kollektiven Bewusstseins erhalten bleiben (müssen). Nach mehr als 50 Jahren deutsch-französischer Annäherung, Versöhnung und vertiefter Freundschaft – die, so meine Überzeugung, mit ausschlaggebend für den Erfolg des Baus des europäischen Hauses geworden ist –, besteht die Tendenz, alles diesem positiv konnotierten Narrativ unterzuordnen und gewisse Konfliktzonen zu tabuisieren und auch die konstruktiven Effekte dieser (zweifelsfrei oft problematischen) Klischees und Stereotypen zu ignorieren.

In rituellen Zusammenhängen (Veranstaltungen zu Jubiläen von Institutionen und Personen, 50 Jahre Élysée-Vertrag, die Deutsch-Französische Woche etc.) wird die deutsch-französische Freundschaft regelrecht beschworen und darin zementiert: Je öfter und eindringlicher eine Behauptung wiederholt wird, umso deutlicher und unabweisbarer erscheint ihre Faktizität. Auf diese Weise entwickelte sich ein modernes postnationales Heldenepos auf dem Boden des Versöhnungsnarrativs, das an die Stelle der alten Konfliktmodelle getreten ist2 und in dem die ›Versöhner‹, die Mittler nun die Heldenhauptrolle spielen. Dabei konnten die deutsch-französischen Beziehungen ihre Sonderrolle aufrechterhalten: Wo das Verhältnis der beiden Länder früher symbolhaft für besonders tiefe Verwerfungen und Antagonismen stand, gelten sie nun in exemplarischer Weise freundschaftlich miteinander verbunden. Heutzutage, wo sich das deutsch-französische Sonderverhältnis aus vielen Gründen (Fall des eisernen Vorhangs, Globalisierung, Mobilität und preiswerter Flugverkehr, Entstehen neuer zukunftsgerichteter Wirtschaftszonen wie der BRIC-Staaten [Brasilien, Russland, Indien und China] und schließlich die Effekte des digitalen Zeitalters) abzuschwächen scheint, könnte man im Rückblick behaupten, es habe in seiner Exklusivität durchaus eurozentristische Züge besessen, was eine Sehnsucht nach diesen vergangenen, vermeintlich idealen Zuständen verbietet.

Sieburg und das Unbehagen in der fremden Kultur

Das Unbehagen, das sich heute beim Lesen weiter Teile der Frankreichschriften Sieburgs einstellt, bestätigt nachträglich sein Lebenslauf. Es wird Sieburg, der nach dem Zweiten Weltkrieg von 1945 bis 1948 zunächst Publikationsverbot erhielt, später als Literaturkritiker aber wieder zu hohen Ehren kam und 1953 sogar zum Professor ernannt wurde, wohl auf immer und ewig gereut haben, seinen im März 1941 im Deutschen Institut Paris gehaltenen Vortrag La France d’hier et de demain im Rahmen der Conférences du groupe Collaboration in den Druck gegeben zu haben (Sieburg 1941). In zum Teil bedeutungsleer gestelzten, aber sehr gewählten Worten gibt sich Sieburg hier als Bewunderer Frankreichs zu erkennen, dem er jedoch insistierend nahelegt seinen Hang zum Individuellen für ein stärkeres Gemeinschaftsdenken aufzugeben und mehr als den Staat das Vaterland zu verehren. Sieburg, zur damaligen Zeit deutscher Botschaftsrat in Paris, nahm damit in nationalsozialistisch verbrämter Weise wesentliche Grundelemente der Antagonismen und begrifflichen Opposition zwischen ›deutscher Kultur‹ und ›französischer Zivilisation‹ wieder auf, von der 1939 Norbert Elias behauptete (Elias 1976), dass aus ursprünglich sozialen Fragen nationale stilisiert wurden, und die sich ebenso prägend wie kontraproduktiv auf das Verhältnis der beiden Länder ausgewirkt hat. Sieburg selber jedoch fühlte sich, das verrät die Emphase des abgedruckten Vortrags, auf Erweckungsmission gegenüber den kollaborationswilligen Franzosen.

Natürlich werfen Rückblicke solcher Art Fragen allgemeiner, theoretischer und komplexer Art auf, die hier für Sieburg nicht abschließend beantwortet werden können. Welche Rolle spielen die inhärenten Genrekonventionen von schriftstellerischen Formen? Welcher Übertreibungs-, Zuspitzungs- und Abgrenzungsmittel bedarf es beispielsweise im Journalismus oder der Essayistik, um (überhaupt und massenweise) Aufmerksamkeit zu erzielen? Welche ökonomischen und politischen Motive bilden den Hintergrund, welche Rolle spielen Zensur und Autozensur? Es bleibt jedoch unbestritten, dass aus der historischen Distanz die Analyse der Transferleistungen eines diskreditierten bzw. ambivalenten Mittlers leichter fällt. Schwieriger ist es, diesen ›ambivalenten‹ Mittlern, von denen es auch heute zahlreiche gibt, in unserer eigenen Gegenwart nachzuspüren.

Im Folgenden soll anhand von Beispielen das Phänomen des ambivalenten Mittlers analysiert und vor allem hinsichtlich seiner Wirkungen näher betrachtet werden. Ausgehend von den neueren Entwicklungen der Transferforschung erscheint dieser Typ darum besonders interessant, da hier Kategorien wie Hybridität, Konflikt und Widerspruch, die in den aktuellen kulturwissenschaftlichen Debatten eine wichtige Position einnehmen, zentrale Bedeutung besitzen. Voraussetzung für deren Fruchtbarmachung ist deshalb allerdings, dass das Interesse nicht allein vordringlich den geglückten Vermittlungsprozessen gilt, sondern auch den in jedem Transferprozess präsenten Interferenzen, Konkurrenzverhältnissen, den Krisen und dem Scheitern sowie den fruchtbaren Missverständnissen, eine wichtige Rolle zugestanden wird. Mit anderen Worten: Es gilt das positive Narrativ einer angeblich geglückten deutsch-französischen Annäherung kritisch zu hinterfragen und das Augenmerk in der theoretischen Diskussion vor allem auf die blinden Stellen dieser Erzählung zu richten.

Benjamin Korn

Wie bereits erwähnt, ist die Deutschland- und Frankreich-Essayistik voller Autoren, die sich selber durchaus als Mittler verstehen, anders als die bekannten zivilgesellschaftlichen Mittler jedoch ein überaus zwiespältiges Verhältnis zum jeweiligen Nachbarn unterhalten. Ein Beispiel, mit dem wir uns bereits mehrfach in anderen Kontexten beschäftigt haben, ist Peter Sloterdijk (vgl. Colin/Umlauf 2013 und 2014, Colin 2010), der insofern einen interessanten Mittlerfall darstellt, als er einerseits durchaus als Frankreich-Experte zu bezeichnen ist, andererseits jedoch nicht zu den klassischen zivilgesellschaftlichen Mittlern gerechnet werden kann, da bei ihm keinerlei Engagement für die deutsch-französische Aussöhnung erkennbar ist, sondern er im Gegenteil versucht, diesen Diskurs zu hintertreiben und auszuhebeln.

In einem vergleichbar ambivalenten Verhältnis zu Frankreich steht auch der 1943 in Lublin (Polen) geborene und in Frankfurt a.M. als Sohn jüdischer Eltern aufgewachsene Theatermacher und Essayist Benjamin Korn, Bruder von Salomon Korn, des Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, der immer wieder durch seine scharfen Attacken gegen die französische Gesellschaft auffällt und den Annäherungsprozess zwischen Deutschland und Frankreich oder eine Normalisierung ihres Verhältnisses rundweg abstreitet.

Franzosen und Deutsche mögen sich nicht. Die Fest- und Schönredner behaupten das Gegenteil und verweisen auf die Freundschaft von Voltaire und Friedrich dem Großen und darauf, daß Giscard d’Estaing und Helmut Schmidt sich duzen. […] In die breite Masse und die Medien ist die von oben verordnete Völkerfreundschaft nicht hinabgedrungen. Man kann nicht mehr von Haß reden, er hat dem Mißtrauen Platz gemacht. (Korn 1998: 138).

Neben solchen grundsätzlichen Infragestellungen der deutsch-französischen Freundschaft zielen seine Attacken aber vor allem gegen den französischen Freund, seine Lebensvorstellungen, seine politischen Unzulänglichkeiten, seine Arroganz. Mit Sloterdijk teilt Korn die Grundhypothese, dass sich Frankreich 1945 nicht seiner Geschichte und Schuld gestellt habe und stattdessen bis heute ›Kriegsergebnisfälschung‹ betreibe, d.h. sich (insbesondere dank der Haltung de Gaulles) zu einem der Kriegssieger stilisieren konnte. Seitdem habe im Land, so Korn, ein weitflächiger Verdrängungsprozess stattgefunden, der durch die Zurückweisung der eigenen (evidenten) Schuld zahlreiche andere gesellschaftliche Bereiche kontaminiere (vgl. Korn 2012). Selbst der Wahlerfolg der Front National geht aus seiner Perspektive letztendlich auf die enttäuschte Großmannssucht Frankreichs zurück (ebd.). Sicherlich ist der geschichtliche Teil dieser Analyse nicht ganz von der Hand zu weisen, höchst spekulativ (bei Korn) und zweifelhaft (bei Sloterdijk) sind jedoch die darüber hinaus gehenden Schlussfolgerungen, wobei im Gegensatz zu Korn bei Sloterdijk noch hinzukommt, dass er der »Kriegsergebnisfälschung« die (angeblich) vorbildliche Vergangenheitsbewältigung der Deutschen entgegen hält und damit, vielleicht auch ungewollt, dem alten Antagonismus des Grades des Wahrheitsbewusstseins beider Völker erneut Vorschub leistet. Seiner Kernthese gewissermaßen selbst widersprechend, will der seit langem in Paris wohnende und arbeitende Korn an anderer Stelle dabei einen deutlichen Wandel in Frankreich feststellen:

Alle Gründe, aus denen ich Frankreich als Student liebte, Furchtlosigkeit, Offenheit, kritischer Geist, Diskussionslust, Witz, rebellisches Denken, sind in den 25 Jahren, die ich hier nun lebe, in einen breiten, alles zermahlenden Strom des Konformismus eingemündet. Das Land verludert. Seine moralische Substanz ist verbraucht. Allein der Fremdenhass verteilt sich gleichmäßig auf alles Fremde […]. (Korn 2005).

Mit der gebotenen Vorsicht kann man durchaus vermuten, dass für eine solche Verbitterung auch lebensgeschichtliche Aspekte des Autors eine Rolle spielen. Dem Grad der anfänglichen Liebesüberhöhung (eine schwärmerische Zuweisung von allen möglichen positiven Eigenschaften) entspricht der tiefe Fall bzw. die völlige Desillusionierung, aus der schließlich Hass oder zumindest doch vitale Abneigung erwächst.

Blickt man auf die Publikationsliste Korns, so sprechen einige weitere Titel meist journalistischer Texte von dieser Ambivalenz. Ein interessantes Beispiel, in dem sich eine weitere Eigenschaft des ambivalenten Mittlers zeigt, gibt Korns Artikel über die problematische (da unzureichende) französische Aufarbeitung des Algerienkriegs in Das große Schweigen. Die Kunst des Wegsehens und die Geschichtslügen der Grande Nation (Korn 2012). Hier bietet sich der Vergleich mit einem anderen deutschen bzw. österreichischen Mittler an, der ebenfalls nicht zu den klassisch-intentionalen zivilgesellschaftlichen Akteuren des Kulturtransfers zählt, sondern eher die Position eines nicht-intentionalen Mittlers einnimmt: Michael Haneke. Sein Film Caché (2005), der sich wie Korn auf das Massaker der Pariser Polizei an vorwiegend algerischen Demonstranten am 17. Oktober 1961 bezieht, zeichnet in deutlicher Weise die Probleme auf, die mit der Tatsache einhergehen, dass die vollständige Aufarbeitung der französischen Gräueltaten bis heute aussteht.

Michael Haneke beleuchtet in »Caché« diesen Prozess der Rückerschließung kommunikativer und zugleich dynamischer Erinnerungsräume, wobei die Frage im Mittelpunkt steht, in welcher Weise ein zeitweilig aus der individuellen und kollektiven Erinnerung verschwundenes, nur mehr subkutan vorhandenes Ereignis plötzlich wieder aufbrechen und in den Fokus geraten kann. Neutral gesprochen handelt der Film von der direkten und unvorhergesehenen Konfrontation zweier Zeitzeugen in einem transkulturellen (nämlich französisch-algerischen) Erinnerungsraum, die in Ermangelung eindeutiger Vorgaben, oder genauer: einer kollektiven Politik der Vergangenheitsaufarbeitung, sich gezwungen sehen, die Spannung zwischen faktischer und emotionaler Authentizität unter sich auszuhandeln. (Colin 2014)

Solcherart zeichnet Haneke ein zwar nicht sympathisches, dafür jedoch äußerst vielschichtiges Bild des französischen Umgangs mit diesem Tabu, das durch seine Individualisierung zur privaten Tragödie eines Fernsehmoderators transformiert und darin von der spezifisch französischen Geschichte abgetrennt und universalisiert wird, d.h. zum Lehrstück über jede Form des schwierigen menschlichen Umgangs mit der Vergangenheit avanciert. Keinesfalls weist der Deutsch-Österreicher Haneke mit erhobenen Zeigefinger auf die Versäumnisse der Franzosen, sich angemessen ihrer Vergangenheit zu stellen. Vielmehr illustriert er die tragischen Folgen, die dieses Schweigen, das hier nicht als ein französisches Problem, sondern eher als eine anthropologische Grundkonstante verstanden wird, in der aktuellen realen Welt immer noch zu produzieren vermag, wenngleich die Geschehnisse lange zurückliegen.

Im Gegensatz dazu bevorzugt Benjamin Korn eine dezidierte Schwarzmalerei, die sich im Kontext seines ›Gesamtwerkes‹ jedoch nahtlos in die Reihe seiner Frankreich-Pamphlete einordnen lässt. Statt wie Haneke zu individualisieren, historisiert er, d.h. er stilisiert das Schweigen über den Algerienkrieg zum Teil einer Art Schweigetradition der Franzosen als eine spezifische Eigenheit, die geschichtlich lange zurückreicht und in der von de Gaulle inszenierten ›Geschichtslüge‹, auf die bereits eingegangen wurde, gewissermaßen seinen Höhepunkt erlebt:

Wegsehen ist eine königliche Kunst. Ludwig der XIV. beherrschte sie perfekt. Jeder seiner Blicke konnte zerschmettern oder erhöhen, jeder Wimpernschlag bedrohen, jedes Wegsehen vernichten. Die Bourgeoisie hat diese höfische Tradition bereitwillig übernommen. Kein Bourgeois in den USA, in Italien oder Deutschland kann so meisterlich ignorieren wie der französische. Aber daß das Wegsehen zu einem Volkssport wurde, verdankt Frankreich einem Mann, dessen Beliebtheit von keinem Lebenden und keinem Toten erreicht wird, verherrlichter als die Jungfrau von Orleans, bewunderter als Napoleon, angebeteter als der Heilige Geist und Gottvater selbst, da ihn sogar Atheisten anhimmeln: Charles de Gaulle. Er hat den Franzosen ein für allemal das Wegsehen eingebleut, ausgerechnet an dem Tag, als er, mit großzügiger Erlaubnis der amerikanischen Armee, triumphal, in der Pose des Siegers in Paris einzog und den Franzosen in seiner berühmten Rede die Lüge auftischte, sie hätten den Krieg (alleine und aus eigener Kraft) gewonnen, statt ihnen die Wahrheit ins Gesicht zu schleudern: daß sie ihn katastrophal verloren, sich mehrheitlich der Kollaboration mit den Nazis schuldig gemacht und ihre Befreiung den Armeen Englands, Kanadas und der USA zu verdanken hatten. […] Der Tag des Sieges war eine Niederlage für das Gedächtnis. Er läutete eine Tradition des Verleugnens und Vergessens ein, deren Ende nicht abzusehen ist. (Korn 2012: 29)

Die verweigerte Aufarbeitung des Algerienkriegs im Allgemeinen und des Massakers von Paris im Besonderen erscheint in diesem Kontext nicht wie bei Haneke als menschliche und darin menschenmögliche Tragödie, sondern als eine historische Notwendigkeit.

Ein missglückter Held

Wie Anne Kwaschik im Rückgriff auf Everett Stonequist, den ›Erfinder‹ des ›marginalen Menschen‹, bemerkt, steht in zahlreichen Mittlerbiografien das Problem des ›Zugehörigkeitskonflikt‹ zentral, über das viele Akteure des transnationalen Kulturfeldes überhaupt erst in ihre Mittlerrolle finden (vgl. Kwaschik 2012: 178). Dort, wo die Überwindung dieses Konfliktes nicht gelingt oder durch eine durchlebte Zurückweisung der Annäherung irritiert wird, schlägt die ursprünglich positive Bewegung nicht selten in eine Tendenz zu einer radikalen Unterminierung der fremden oder Überhöhung der eignen Kultur um (vgl. Colin 2013). Insbesondere für den Sozialtypus des ambivalenten Mittlers erscheint ein solcher Konflikt einen zentralen Anlass zu liefern.

Im Blick auf das gewählte Beispiel lässt sich ohne psychologische Tiefenanalyse konstatieren, dass der oben erwähnte Zugehörigkeitskonflikt bei Korn eine zentrale Rolle spielt – wenngleich dies sicherlich nicht allein seine deutsch-französische, sondern auch und noch viel grundlegender seine deutsch-jüdische Existenz betrifft. Die Analyse eines solches Konfliktes erfolgt in der Regel über ein biografisches Verfahren, dass aufgrund seiner einseitigen Perspektivierung im hier verhandelten Kontext indes zu kurz greift und durch eine diskursanalytische Betrachtung ersetzt werden soll: Nicht die konkreten biografischen Fakten interessieren uns hier, sondern Korns Äußerungen diesbezüglich. Ein solches Verfahren bietet sich bei Korn (und auch anderen) ambivalenten und als Essayisten tätigen Mittlern darum an, weil es hier weniger um die lebenspraktischen Erlebnisse und Bezüge geht, die im Endeffekt äußerst schwer zu objektivieren und noch schwerer in ihren tatsächlichen Auswirkungen zu greifen sind, als vielmehr um ihre diskursive Einbettung.

Aufschlussreich im Blick auf diese Frage des Zugehörigkeitskonflikts Korns erscheint im hier verhandelten Kontext Korns 1988 erschienenes Essay Der Schock ist fruchtbar noch (Korn 1998) über die so genannte Fassbinder-Affäre, der bei genauerer Analyse eine ganze Reihe Fragen aufwirft, aber auch Antworten nahelegt. Der Text handelt von dem Skandal, den 1985 Mitglieder der jüdischen Gemeinde in Frankfurt a.M. mit ihrem Protest gegen das Stück Der Tod, die Stadt und der Müll (1975) von Rainer Werner Fassbinder entfacht hatten, der in einer Besetzung des Theaters endete, um die Aufführung zu verhindern. Obwohl Benjamin Korn, der zeitgleich ein anderes Stück am Schauspiel Frankfurt inszenierte, sich ausdrücklich nicht in die Angelegenheit hatte einmischen wollen, sah er sich plötzlich nach eigenen Angaben doch genötigt, Stellung zu beziehen, als er seine Mutter unter den Menschen auf der Bühne erkannte.

Ich war auf die Begegnung, die zwischen mir, den Leuten im Raum und meiner Mutter stattfand, nicht vorbereitet. Die beiden Welten, die mein Leben geprägt hatten, Judentum und deutsche Kultur, drohten einander zu berühren, und ich hatte doch gelernt, sie immer auseinanderzuhalten. […] Und jetzt trafen sie, unter Hochspannung stehend, auf meinem Territorium, der Bühne, aufeinander, feindselig, und forderten mich auf, zwischen ihnen zu wählen oder sie zu versöhnen. Ich konnte es nicht. Ich hatte immer nur gelernt auszuweichen. (Korn 1998: 19)

Der Zugehörigkeitskonflikt, von dem hier die Rede ist, hat zwar inhaltlich nichts zu tun mit Korns späteren Anti-Frankreich-Essays, erklärt aber gewissermaßen deren strukturelles Grundproblem des »marginal man«, als einer Person, die »fate has condemned to live in two societies and two, not merely different but antagonistic, cultures«.3 Dabei handelt es sich bei diesem Zugehörigkeitskonflikt tatsächlich um ein existenzielles Problem, das in der Vorstellung Korns selbst offenbar nur durch ein entschiedenes Ja oder Nein gelöst werden könnte – was jedoch gleichermaßen unmöglich ist. Die eigentlich unvermeidbare Aporie wird von Korn selber jedoch dezidiert als eigenes Versagen interpretiert:

Was machte mir solche existenzielle Angst, daß ich den Schweiß auf meiner Oberlippe spürte? […] [E]s war eine kleine Angst, eine unedle Angst […]. Anders als die Helden, die ich so gerne im Theater sehe, war mir das angenehme Leben wichtiger als die Ehre. Ich wollte es mir weder mit der Gemeinde, noch mit dem Theater verderben, weder mit Bubis noch mit Rühle, meinem Brötchengeber, nicht mit den alten Genossen, nicht mit meiner Mutter, nicht mit der Kritik. (Ebd.: 20)

Man muss diese Form von Selbstvorwürfen, von selbsttherapeutischem Austreibungsdrang und Ehrlichkeit sich selbst gegenüber Korn zu Gute halten, die er im Folgenden noch weiter symbolisch ausschmückt, was letztlich auf den existenziellen Tiefgang des Problems verweist:

Auch ich erfüllte meinen Vertrag mit der Gesellschaft und inszenierte, während man das Fassbinder-Stück abtrieb, mein Stück zu Ende, das ich eigentlich hätte niederlegen müssen, statt, um mein Gewissen zu beruhigen, am Monolog Don Juans gegen die Heuchler zu feilen, der keinen Menschen mehr aufregt. Ja, es war leicht an meiner Stelle einen Helden auf die Bühne zu schicken, der rücksichtslos sagt, was er denkt […]. Molière hatte dafür zahlen müssen. (Ebd.: 21)

Interessant erscheint, dass die Selbstvorwürfe in der Folge relativ unvermittelt abbrechen und in eine deutlich an Hölderlins Hyperion (vgl. Hölderlin 1979: 190) Anklage gegen ›die Deutschen‹ münden, wobei nicht klar wird, wo er seine eigene Identität – als deutscher Jude oder Deutscher jüdischer Herkunft – in diesen Betrachtungen eigentlich verortet.

Gibt es ein Volk, das mehr entwurzelt ist als die Deutschen? Sie haben keine Mitte und kein Maß; sie haben den Boden unter den Füßen verloren und können ihn mit der Schwerkraft ihres Geldes nicht ersetzen. […] Die Deutschen sind ein gespaltenes Volk. Sie haben ein Haßgefühl auf ihre eigene Identität, das sich aus dem verlorenen Krieg, aus der erzwungenen Demokratisierung und den unbegreiflichen Untaten des zweiten Weltkrieges speist. Sie hassen ihre Schuldgefühle und, ohne es zu wissen, die, die sie auslösen. (Korn 1998: 56)

Im Vergleich zu Korns essayistischen Texten über Frankreich gewinnt man schließlich das Gefühl, dass das diskursive Muster deshalb ähnlich ist, weil die eine Identität stets in verabsolutierender Weise gegen die andere ausgespielt wird. Wird hierdurch versucht einzuholen, was oben als verpasstes Heldentum beschrieben wurde? Die Fähigkeit einer eindimensionalen Sicht auf die Dinge? Ja oder Nein sagen zu können? Der Verlust klar definierter Kulturräume?

Am Beispiel von Benjamin Korns Essays zeigt sich letztlich recht deutlich das von Everett Skonequist beschriebene Dilemma des ›marginal man‹, der dazu verdammt ist, so Stonequist, die Antagonismen seiner multiplen Identität zu ertragen. Das Beispiel des kornschen Doppel-Konfliktes zwischen dem Judentum und Deutschland sowie Deutschland und Frankreich schließt in diesem Sinne aber auch die (theoretische) Lücke zwischen den Postcolonial Studies und der europäischen Transfergeschichte bzw. bindet den deutsch-französischen Kulturaustausch seit 1945 in weitere internationale wissenschaftliche Zusammenhänge ein, die meines Erachtens in dieser Form bisher noch nicht ausreichend bemerkt worden sind.

De l’Allemagne

Ambivalente Äußerungen können natürlich auch von sogenannten ephemeren Mittlern getätigt werden, die sich nur zeitweise, zufällig, beruflich oder persönlich bedingt mit dem anderen auseinandersetzen. Just 2012/13, während des Festjahres 50 Jahre Élysée-Vertrag, aber auch der tiefen europäischen Krise konnte man ein exponentielles Anwachsen der deutschlandkritischen Texte, vor allem in Südeuropa (Stichwort: ›Merkel-Bashing‹) ausmachen, das sich aus den verschiedensten Quellen (Politiker, Wissenschaftler, Industrievertreter, Journalisten, Publizisten) speiste. Als ambivalente französische Persönlichkeit, die sich regelmäßig mit Deutschland beschäftigt, könnte man, spiegelbildlich zu Korn, den Publizisten Emmanuel Todd bezeichnen, der sich früher zwar auch zuweilen recht deutschlandkritisch gab, heute aber mittels kultureller Stereotypen als unerbittlicher ressentimentbeladener Schuldzuweiser auftritt, der vehement den Standpunkt vertritt, Deutschlands Politik reiße Europa in den Abgrund – und dies gerne in französischen Talkshows zur Primetime verlauten lässt. Auf diese Weise hat der durchaus scharfsinnige und redegewandte Todd eine Rolle gefunden, die ihm ein Art Monopol sichert, in reißerische Sendungen eingeladen zu werden und damit große Aufmerksamkeit zu erregen. Seine Rolle als Mittler trägt damit aber auch zur Absicherung seiner ökonomischen Existenz bei. Eine Flut weiterer Veröffentlichungen in Artikel- und Buchform ist zu verzeichnen, die Sloterdijks These, man interessiere sich nicht mehr füreinander, deutlich widerlegt. Letzthin fühlte sich sogar Georges Valance aufgerufen, eine Petite Histoire de la germanophobie (Valance 2013) vorzulegen, die das große Verdienst hat die Fäden der gegenseitigen Stereotypisierungen und Verwerfungen bis in die frühe Neuzeit zurückzuverfolgen und dabei auch viele für diese Thematik unverzichtbare Texte aufzuführen – wenngleich bedauerlicherweise nur solche, die (auch) auf Französisch erschienen sind. Allerdings begibt sich Valance im letzten Kapitel seines Buches mit dem tendenziösen Titel De l’amitié à la méfiance (wobei er Korns oben zitiertes Begriffpaar wörtlich aufnimmt) auf Irrwege. In seinem verständlichen Versuch, die Jetztzeit und die jüngsten Entwicklungen zu kommentieren und zu interpretieren, findet man in Ansätzen eben genau jene kulturellen und stereotypen Zuschreibungen wieder, die er 200 Seiten zuvor (zumindest teilweise) entlarvt, erklärt und dekonstruiert hat.

Diese Stereotypen kamen unlängst auch in einer höchst emotional und polemisch geführten deutsch-französischen Kulturdebatte zum Einsatz, die sich um eine Ausstellung im Pariser Louvre im Frühjahr 2013 mit dem Titel De l’Allemagne rankte. Mit dem Verweis auf Madame de Staëls berühmtes Buch von 1812 sollte – unter der Schirmherrschaft von Angela Merkel und François Hollande – deutsche Kunst von 1800 bis 1939 repräsentativ vorgestellt werden, als Geschenk Frankreichs bzw. des Louvre an Deutschland im Élysée-Jahr. Konzipiert wurde die Ausstellung gemeinsam vom Louvre und dem Deutschen Kunstforum in Paris, das allerdings an der Ausführung (Hängung, Konzeption der Räume, pädagogische Gestaltung, Texte des Audioguides, Bildunterschriften und -kommentare) nicht mehr beteiligt war, eine Zurückweisung, die letzthin die Grundlage für eine erbitterte Debatte über die Ausstellung gab. Ich möchte mich hier der fachlichen Kommentierung des Streites enthalten, dafür sind Kunsthistoriker eher geeignet, wenngleich auch diese sehr divergierende Meinungen zur Sache haben. Interessanter für unsere Belange erscheint der Anfangsparagraf desjenigen Zeitungsartikels, der die Polemik in den Medien letzthin auslöste und der vom Feuilletonchef der Zeit, Adam Soboczynski, verfasst wurde. Es handelt sich hier um einen geschickt getarnten, aber doch lupenreinen Ausbruch von Frankophobie, der nicht zuletzt aus Effekthascherei jede Menge Rückgriffe auf Stereotypen vergangener Zeiten übt:

Wer dieser Tage durchs Quartier Latin spaziert und die jungen und alten Parvenüs mit ihren schmalen Slippern, rosa Seidenschals und kleinen, lustigen Mischlingshunden erblickt, die Frauen, die mit herausgestellter Sorglosigkeit und baumelnden Einkaufstäschchen die Straße wie schwebend überqueren, als führen keine Autos, hält das Gerede von der französischen Wirtschaftskrise für die Erfindung windiger Journalisten. Aber man steht eben nicht vor den Wohnblocks der Banlieues, sondern im wohlhabenden Zentrum der Wohlstandsinsel Paris und wundert sich deshalb nur kurz, dass einem tatsächlich Dominique de Villepin, der ehemalige Ministerpräsident, in einer Seitenstraße des Boulevards Saint-Michel mit stolzester Lässigkeit entgegenkommt, sehr offenkundig die Sonne genießend, die in Berlin dieser Tage ihren Dienst komplett verweigert. (Soboczynski 2013)

Psychologisch geschickt suggeriert der Autor mit dieser Einleitung, dass die gutsituierten und so gebildeten Franzosen nichts von der ökonomischen und politischen Krise der letzten Zeit begriffen hätten, nein, nichts begreifen wollten. Die Argumentation erfolgt dabei im Rückgriff auf uralte Klischees und Steroetypen, die gefährlich nahe an Sieburg und andere diskreditierte Mittler herankommen: die Feminisierung der Männer als Zeichen einer dekadenten Kultur, Hedonismus, Luxus und Eleganz als Zeichen des Primats des Individuums, die Zurückweisung des die Wahrheit Sagenden (›Erfindung windiger Journalisten‹), die Affektiertheit einer ›nur‹ zivilisierten Kultur ohne Tiefgang (wie die ›zu Verliebtheitsposen entschlossenen Liebespaare‹). Zur Schlussfolgerung, dass die Franzosen und Ausstellungsmacher nicht viel von den Deutschen verstanden haben bzw. – subtiler noch – ein altes Bild ebenso wenig revidieren wollen, wie sie bereit sind, ihre aktuelle Gesellschaft in Frage zu stellen, ist es dann nur noch ein kleiner Schritt. Wenngleich gegen die Kritik Soboczynski an der Ausstellung an sich nicht viel einzuwenden ist, sind die zitierten Absätze als störend, ressentimentgeladen, desavouierend und peinlich zu bezeichnen.

Der Verantwortung für die sich aus solchen Pamphleten womöglich langfristig entwickelnden Diskurse können sich die Journalisten und Essayisten, gleich ob sie Sloterdijk, Korn, Todd oder Soboczynski heißen, nicht entziehen – gleich ob sie sich selber als Mittler verstehen oder nicht. Akteure des Kulturtransfers, die sich in aufgeklärten, freundschaftlichen transnationalen Beziehungen bewegen, sollten daher nicht auf eine Vermeidung von Stereotypen hinarbeiten, sondern vielmehr einen offenen und zugleich kritischen Umgang mit diesen propagieren. Hierzu benötigte, konkret gesprochen, Soboczynski allerdings ein größeres Maß an ironischer Selbstdistanz und -kritik sowie die Einsicht, dass es ein ›unschuldiges‹ Sprechen nicht geben kann, Korn die Fähigkeit, die eigne Geschichte im Blick auf Zugehörigkeitskonflikte zu analysieren, und Sloterdijk genauere Einsicht in die Beschaffenheit hybrider Kulturidentitäten.

Anmerkungen

1 | Vgl. hierzu den Beitrag von Nicole Colin in diesem Heft.

2 | Vgl. ebd.

3 | Vgl. hierzu den Beitrag von Nicole Colin in diesem Heft.

Literatur

Colin, Nicole (2010): Inszenierung der Normalität. Peter Sloterdijk und die Nachkriegszeit. In: Nicole Colin/Krijn Thijs (Hg.): Forschungsbericht des Duitsland Instituut Amsterdam. September 2010, S. 136–144.

Dies. (2014): Bewegter Stillstand. Transkulturelle Erinnerungsräume in Michael Hanekes »Caché«. In: Carla Dauven-van Knippenberg/Rolf Parr (Hg.): Räumliche Darstellung kultureller Konfrontationen. Heidelberg [im Druck].

Dies./Umlauf, Joachim (2013): Amours fragiles: Deutsch-französische Annäherungen in der Krise? In: Frankreich-Jahrbuch [im Druck].

Dies. (2013): Eine Frage des Selbstverständnisses: Akteure im deutsch-französischen champ culturel. Plädoyer für einen erweiterten Mittlerbegriff: In: Dies. u.a. (Hg.): Lexikon der deutsch-französischen Kulturbeziehungen nach 1945. Tübingen, S. 69–80.

Elias, Norbert (1976): Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchung. Bd. 1. Frankfurt a.M.

Hölderlin, Friedrich (1979): Hyperion. Frankfurt a.M. 1979.

Klünemann, Clemens (2012): »Eiserner Kanzler« und »Grande Nation«. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 63 (2013), H. 1, S. 9–16

Korn, Benjamin (1998): Kunst, Macht und Moral. Frankfurt a.M.

Ders. (2005): Frankreichs großer Selbstbetrug. In: Die Zeit v. 15. Dezember 2005.

Ders. (2012): Das große Schweigen. In: Lettre International 96, S. 29–37.

Kwaschik, Anne (2011): Intellektuelle Identitätssemantiken und Rollenkonstruktionen. Der biographische Ansatz als Fallstudie in der Geschichte der deutsch-französischen Beziehungen. In: Michel Grunewald u.a. (Hg.): France-Allemagne au XXe siècle – La production de savoir sur l’Autre. Vol. 1: Questions méthodologiques et épistémologiques. Deutschland und Frankreich im 20. Jahrhundert – Akademische Wissensproduktion über das andere Land. Bd. 1: Methodische und epistemologische Probleme. Bern u.a., S. 167–182.

Sieburg, Friedrich (1941): France d’hier et de demain. Paris.

Soboczynski, Adam (2013): Auf dem Sonderweg. In: Die Zeit v. 4. April 2013.

Valance, Georges (2013): Petite histoire de la germanophobie. Paris.