Berlin: Neofelis Verlag 2012 – ISBN 978–3–943414–03–5 – 18,00 €
Der Name des Schauspielers, Regisseurs und Autors Friedrich Lobe (1889–1958) ist in theaterhistorischen Werken kaum zu finden – zu viele Brüche und Diskontinuitäten kennzeichnen seinen Lebensweg. Lobe hatte sich in den 1920er Jahren eine ansehnliche Karriere auf den Bühnen Österreichs und Deutschlands aufgebaut, als Jude musste er 1933 Deutschland verlassen. Er ging nach Palästina, wo er als deutschsprachiger Theatermacher äußerst rührig war – aufgrund seiner künstlerischen Ausrichtung jedoch mit einer gewissen Skepsis betrachtet wurde. Nach 1945 entschied er, mit seiner Familie – der Name seiner Frau Mira Lobe ist als Kinderbuchautorin nach wie vor präsent – nach Wien zu gehen, wo er eine Anstellung als Schauspieler im Neuen Theater in der Scala fand, um nach dessen Schließung 1956 ans Deutsche Theater in Berlin zurückzukehren.
Der Anteil jüdischer Theaterkünstler bis 1933/38 in Deutschland und Österreich ist durchaus Teil des wissenschaftlichen Diskurses, Friedrich Lobe hingegen wird kaum erwähnt. Die Entwicklung des hebräischen Theaters in Palästina in den 1930er und 40er Jahren – jener Theaterlandschaft, die zum Betätigungsfeld Lobes wurde – ist wissenschaftlich zwar beleuchtet, der Anteil der deutschsprachigen ›Exilanten‹ jedoch nur in Ansätzen.
Sebastian Schirrmeister nähert sich dem Theaterschaffen Friedrich Lobes in mehreren ›Aufzügen‹. Nach einleitenden Abschnitten über die Motivation, über Lobe zu arbeiten, stellt er Forschungsstand und Quellenlage dar. In der (kurzen) Auseinandersetzung mit der deutschen Exilforschung zeigt sich ein Diskurs, der die wissenschaftliche Annäherung an Lobes Theaterschaffen kennzeichnet – das Problem des ›Exils‹ in Palästina. Unter Berufung auf Sabina Becker wird auf die besondere Situation deutscher Jüdinnen und Juden in Palästina unter dem Stichwort »Akkulturation« hingewiesen: »Zwar war man auf der Flucht vor Hitler, man ging jedoch nicht in die Fremde bzw. Verbannung, sondern kehrte – so das Selbstverständnis – in das Land der ›Vorfahren‹ zurück.« (Becker 2009: 264, zit. n. 20)
Doch, wie Schirrmeister ausführt, war dieses »Selbstverständnis bei Weitem nicht für alle deutschen Flüchtlinge in Palästina gleichermaßen selbstverständlich«, vielmehr »bewegt sich der Fall von Friedrich Lobe doch genau in jenem Zwiespalt zwischen ›Exil‹ und ›Rückkehr ins Land der Vorfahren‹.« (21)
In der israelischen Theaterforschung ist die Situation der deutschen Juden im Theater ab den 1930er Jahren noch wenig erforscht, eine Ausnahme bilden die Arbeiten Tom Lewys:
Die zentrale These von Lewys Studien beschreibt die Beziehung der aus Deutschland eingewanderten Theaterkünstler zum hebräischen Theater in Palästina als eine Art Kulturkampf zwischen der jüdischen Einwanderung aus Osteuropa und Westeuropa – mit anderen Worten: als die aus Mitteleuropa bekannte, fortgesetzte Auseinandersetzung zwischen Ost- und Westjuden unter neuen Vorzeichen. (23)
Nach Schirrmeister kann Friedrich Lobes Wirken diese These »vielleicht exemplarisch erhellen« (23).
Ein Problem ist die Quellenlage: Es gibt keinen Nachlass Lobes, sein Schaffen musste mithilfe von Zeitungsartikeln, Protokollen von kollektiven Leitungssitzungen des Ohel Theaters (an dem Lobe wirkte) und anderem Archivmaterial erforscht werden. Auch die Theatertexte Lobes sind nur teilweise überliefert, in hebräischer Übersetzung.
In Prolog in Deutschland: 1889–1933 wird Lobes (eigentlich Löbenstein) Weg aus einer armen jüdischen Familie in Frankfurt a.M. zum ersten Engagement am Theater 1906 nachgezeichnet, soweit die Quellenlage es zulässt, denn schon der erste Auftrittsort ist nicht genau bestimmbar. Nach Erfolgen in der Rolle des Shylock, als 18-Jähriger in Aschaffenburg, war Lobe Schauspieler und Regisseur in Weinheim, ab 1911 gehörte er zum neu gegründeten Ensemble des Neuen Frankfurter Theaters, das nach dem Vorbild der Freien Bühne in Berlin geführt wurde. Der Erste Weltkrieg unterbrach Lobes Bühnentätigkeit nur kurz; 1920/21 kam er nach Berlin, wo er als Schauspieler, Regisseur und Theaterdirektor an mehreren Bühnen tätig war, bis er 1927 ans Schauspielhaus Düsseldorf wechselte, von dort ans Thalia Theater in Hamburg. Schon an den Orten und Theaterhäusern erkennt man die vielversprechende Karriere des Schauspielers und Regisseurs Lobe – von Weinheim ans Thalia Theater in Hamburg, dessen künstlerische Leitung er 1932 kurzzeitig innehatte. Im Spätsommer 1933 traf er in Palästina ein.
Im Exkurs in die Kulisse: Das hebräische Theater in Palästina werden die kurze Entwicklung des hebräischen Theaters und die Theaterlandschaft, wie Lobe sie vorfand, umrissen. Die drei großen hebräischen Bühnen waren in Tel Aviv beheimatet: die Habima (= Podest in der Synagoge; stammt ursprünglich aus Moskau), das hebräische Arbeitertheater Ohel (= Zelt; die Mitglieder waren Laien) und das satirische Theater Matate (= Besen). Die Ästhetik dieser Bühnen war von russischen Einwanderern geprägt, inhaltlich spielte der Zionismus eine große Rolle, organisiert waren die Bühnen als Kollektive. Aus Mangel an hebräischen Theaterstücken waren sie von Übersetzungen aus dem internationalen Repertoire abhängig. Friedrich Lobes Wirken als Schauspieler, Regisseur und Autor, geprägt von der deutschen Herkunft und der Ästhetik Max Reinhardts, wurde in diesem Umfeld äußerst ambivalent rezipiert.
Schirrmeister widmet den einzelnen Tätigkeitsfeldern Lobes je einen ›Aufzug‹ seiner Studie. Als Schauspieler deutscher Sprache hielt Lobe nur wenige Vorträge und Lesungen, die hebräische Sprache erlernte er nicht, setzte sich aber intensiv mit dem Jiddischen auseinander.
Bei seiner Tätigkeit als Regisseur im Ohel scheint sich Lobe vor allem einer Mischung aus Deutsch und Jiddisch in der Kommunikation mit den DarstellerInnen bedient zu haben. Wie genau sein Kontakt dorthin zustande kam, ist heute nicht nachvollziehbar; Schirrmeister belegt aber, dass es die Mitglieder waren, die Lobe verpflichteten, nicht dessen Leiter Moshe Halevi, der die Tätigkeit seines Mitregisseurs in seiner Autobiografie kaum erwähnt. Lobe kam aus einer völlig anderen Theaterpraxis als die »verdybbukte« Inszenierungspraxis des damaligen palästinensischen Theaters, er strebte nach »Reduktion. Notwendigkeit. Sachlichkeit« (59), und konnte für diesen künstlerischen Ansatz durchaus Erfolge verbuchen, etwa 1934, als Büchners Dantons Tod unter seiner Regie herauskam. Der größte Erfolg seiner Karriere in Palästina war eine Inszenierung von Jaroslav Hašeks Der brave Soldat Schwejk (1935), die bis 1972 gezeigt wurde. Insgesamt setzte Lobe in den Jahren seiner Tätigkeit in Palästina 21 Theaterstücke am Ohel in Szene, in den Kritiken wurde er für deren Genauigkeit, Gründlichkeit und technische Perfektion gelobt. Darüber hinaus leitete er die Eröffnungsvorstellung der hebräischen Nationaloper 1948, fünf Inszenierungen für verschiedene Gruppierungen sowie eine Musiktheater-Aufführung. Und dennoch fasst Schirrmeister Lobes Tätigkeit folgendermaßen zusammen: ›Wirkung ohne Nachhall‹. Als Gründe für die Ignoranz bzw. die Marginalisierung von Lobes Arbeit von Seiten der Theatergeschichte und Theaterwissenschaft werden die Schwierigkeiten mit der bruchlosen Einordnung Lobes sowie seine Rückkehr nach Europa genannt.
Sehr interessant sind aufgrund ihrer zeithistorischen Thematik die im Dritten Aufzug: Der Autor analysierten Theatertexte Lobes, von denen sich einige (Texte bzw. Textteile von sechs Dramen) in israelischen Archiven finden. Unter dem Pseudonym Jan de Vriess gab er zwei Theaterstücke – Der Schneider von Groningen und Seide und Brot – ans Ohel, die er selbst erfolgreich inszenierte. 1949 jedoch wurde sein Pseudonym gelüftet, was einen Skandal und einen Diskurs über hebräische und ›fremde‹, da deutsche Kultur entfachte.
Die Jahre 1950–1958 stellt Schirrmeister im Epilog dar. Lobe ging mit seiner Familie nach Wien, sein Ziel war es, wieder in deutscher Sprache spielen und Regie führen zu können, was nach der Shoah in Palästina nicht möglich war. Das Neue Theater in der Scala in Wien war 1948 von engagierten Exilanten gegründet worden und hatte einen politisch und künstlerisch anspruchsvollen Spielplan, Lobe spielte hier in drei Produktion und führte bei Molières Der eingebildete Kranke (1951) Regie. Nach der Schließung des Theaters 1956 ging Lobe nach Berlin – ans Deutsche Theater, wo er vor seiner Exilzeit in Palästina aufgetreten war, hier wirkte er bis März 1958 in fünf Produktionen mit. Eine Regiearbeit in Stella Kadmons Theater der Courage in Wien konnte er nicht mehr zu Ende führen.
Im Nachspiel, theoretisch wird das Wirken Lobes in Hinblick auf transkulturelle Prozesse verortet, ferner werden weiterführende Fragestellungen formuliert, betreffend etwa den Einfluss der deutschsprachigen EmigrantInnen am hebräischen Theater sowie die Erfahrungen von Exil und Rückkehr. Zu diesen Themen ist im vorliegenden Buch sehr viel geleistet worden: Das Wirken und die Karriere eines Theatermannes, der zeit seines Lebens extremen Brüchen ausgesetzt war und dennoch seiner deutschen kulturellen Herkunft treu blieb, wird aufgearbeitet. Lobes Prägung vom deutschen Theater bestimmte seine Arbeit in Palästina und bereicherte einerseits das hebräische Theater in ästhetischer und dramaturgischer Hinsicht, andererseits aber – so arbeitet Schirrmacher klar heraus – wurden der Karriere Lobes und der Anerkennung seines künstlerischen Schaffens durch die Beharrung auf dieser deutschen künstlerischen Herkunft enge Grenzen gesetzt.
In Das Gastspiel. Friedrich Lobe und das hebräische Theater wird die Karriere des Theatermanns Lobe erstmals vorgestellt, beleuchtet werden darüber hinaus die komplexen Rahmenbedingungen der einzelnen Stationen dieser Karriere. Ausgehend vom Diskurs um den problematischen »Exil«-Begriff deutscher Juden in Palästina wird Lobes Wirken und dessen Rezeption dargestellt und innerhalb der transkulturellen Prozesse der heterogenen und im Werden begriffenen hebräischen Theaterlandschaft der 1930er und 40er Jahr verortet.
Becker, Sabine (2009): ›Weg ohne Rückkehr.‹ Zur Akkulturation deutschsprachiger Autoren im Exil. In: Wilhelm Haefs/Rolf Grimminger (Hg.): Nationalsozialismus und Exil. 1933–1945. München, S. 245–265.