Kien Nghi Ha (Hg.): Asiatische Deutsche: Vietnamesische Diaspora and Beyond

Berlin/Hamburg: Assoziation A 2012 – ISBN 978–3–86241–409–3 – 18,00 €

Der Sammelband des Berliner Kultur- und Politikwissenschaftlers Kien Nghi Ha ist die erste umfangreiche Veröffentlichung zu asiatischen Deutschen. Er rückt eine zunehmend wichtig werdende Minderheit in den Mittelpunkt, deren Immigrationsgeschichte bislang eher un-sichtbar blieb, aber bereits bis in die 1950er Jahre zurückgeht: angefangen von den japanischen Angestellten, den koreanischen Krankenschwestern und Bergarbeitern, den vietnamesischen Boatpeople und Vertragsarbeiternehmern, den thailändischen Heiratskandidatinnen bis zu den indischen IT-Ingenieuren und chinesischen Altenpflegerinnen heute.

Auf der Grundlage von neueren Ansätzen aus den Cultural und Postcolonial Studies versteht Ha, wie er es in seiner Einleitung darlegt, Gesellschaft als ein »diasporisches Kontinuum« (16). Das ermöglicht ihm die Vernetzung von »Asian Germany« über nationalstaatlichen Begrenzungen bis in die USA und nach Asien aufzuzeigen. Seine interessante Vorgehensweise besteht darin, »Asiatische Lebenswelten und avancierte Kulturtheorie zusammen zu denken.« (Utlu 2013) So ist sein dreiteiliger Sammelband

weniger als wissenschaftliche Publikation denn als kulturpolitischer Denkanstoß bzw. als politisches Lesebuch der diasporischen Selbstfindung (19)

angelegt. Zwischen den Beiträgen von Literatur- und Kulturwissenschaftlern, Filmregisseuren, Stadtforschern, Künstlern und Sozialarbeitern finden sich »Gedenkbilder« Asiatischer Deutscher mit Fotos von Kunstinstallationen. Gerade diese Hybridität und Polyphonie des Buches eröffnet neue spannende Perspektiven für die interkulturelle Forschung.

Im ersten Teil werden mit Rückgriff auf postkoloniale Ansätze aus der transatlantischen Theoriediskussion die Begriffe ›Migration‹, ›Kultur‹, ›Identität‹ und ›Differenz‹ problematisiert. Trinh T. Minh-ha thematisiert Identitätsdefinitionen als Folge von Grenzziehungen zwischen kanonisierter und marginalisierter Geschichte. Um der heutigen Kultur- und Identitätsvielfalt in den von Hybridität ausgezeichneten Gesellschaften gerecht zu werden, konstruiert Minh-ha ihren spezifischen, auf Dziga Vertovs Theorie des ›Intervalls‹ und auf dem musikalischen Intervall beruhenden Ansatz. Dieser Zwischenraum/moment ist als ein »Ort des Übergangs« (29) zu verstehen. Die Identitätssuche wird zu einer akustischen Reise: einem Austarieren an Grenzorten zwischen dem, was stimmig ist und nicht. Ruth Mayer exemplifiziert den Begriff ›Diaspora‹ an der asiatisch-amerikanischen Migration. Dieser »Schlüsselmetapher« (45) für eine weltbürgerliche Identität und Existenzform setzt sie die rhizomartige Zerstreuung der transnationalen Gemeinschaft entgegen. Zur Erklärung ihrer Partikularitäten differenziert sie die asiatisch-amerikanische Gemeinschaft von der afro-amerikanischen und greift auf Ien Angs Rekonzipierung des Chinesischen als »Rohmaterial für die Konstruktion synkretistischer Identitäten« (51) zurück. Ausgehend von der Frage nach der Verortung der vietnamesischen Diaspora in der deutschen Gesellschaft analysiert Mita Banerjee deren Repräsentationen in der Fernsehserie Soko Leipzig. Die Figuren reflektieren eine »Fusion aus ost- und westdeutschen Stereotypen« und eine »Nischenexistenz« (60). Um die Diskrepanz zwischen Lebensrealität und Vorurteilen angemessener zu erforschen, hebt Banerjee die Notwendigkeit hervor, in Anlehnung an die Asian American Studies das Forschungsfeld der Asian German Studies zu begründen. Das Gespräch über »Selbstorganisation und (pan-)asiatische Identitäten« leitet Ha mit der Frage nach der Definition des Asiatischen ein. Von der reduzierenden Assoziation des westlichen Konstrukts Asiens mit Fernost über die Sichtbarmachung der koreanische Gemeinschaft durch ihre Selbstorganisation bis zur Ersetzung der negativ konnotierten Bezeichnung ›Asiat-in‹ durch ›People‹/›Person‹/›Women of Color‹ wird deutlich, dass Identitätsbestimmungen mittels ethno-national-kultureller Kategorien einerseits mit Exklusion einhergehen, andererseits einen Raum der Zugehörigkeit und Gemeinschaft hervorbringen.

Im zweiten Teil des Sammelbandes folgen Beiträge über die vietnamesische Diaspora mit deren lokalen und transnationalen Dimensionen in West- und Ostdeutschland. Uta Beth und Anja Tuckermann geben einen historischen Rückblick über die Flucht und Integration südvietnamesischer Boatpeople in die BRD, über die noch wenig erforschte Rekrutierung nordvietnamesischer Vertragsarbeitnehmer in der DDR und über ihr Abrutschen in die Illegalität nach der Wiedervereinigung. Hannah Eitel thematisiert den institutionellen Rassismus in der Polizei, der mit dem Rostocker Pogrom Anfang der 1990er Jahre ausbricht, und die Verbreitung des damit verbundenen Racial profiling. In der »Integrationsdebatte der anderen Art« geht es um die auf ›Zigarettenmafia‹ und ›Musterschüler‹ reduzierten Vorstellungsbilder vieler Deutschen von Vietnamesen, die durch das Fehlen an vietnamesischen Repräsentanten in den Medien und im Migrationsrat zusätzlich verhärtet werden. Yumin Li fragt danach, wie ein Zuhause definiert wird und welche Beheimatungsprozesse für Migranten zwischen mehreren Ländern erfolgen. Die Bestimmung eines Zuhauses erfordert ein stetiges Neu-Verhandeln zwischen einer lokalen Disposition und einem Bei-sich-Sein. Diese »Selbstverortung« (156) impliziert ein diasporisches Modell von Zuhause, das Mehrfachzugehörigkeiten einschließt. Das Gespräch über »Vietnamesisch-deutsche Communities und zweite Generation« zeigt auf, wie die erste Generation noch von dem ideologischen Nord-Süd-Konflikt geprägt und auf sich selbst bezogen war, während sich die zweite durch ihre Distanzierung von patriarchalischen Verhaltens- und Denkweisen und ihren offenen Umgang mit anderen Minderheiten auszeichnet. Hanna Hoa Ahn Mai erzählt von ihrer deutsch-vietnamesischen Erziehung im Kontext des Generationendialogs ihrer deutschen und vietnamesischen Kriegskinder-Eltern. Sie wirft damit die Frage nach der Beziehung der Migranten zur deutschen Geschichte und die ihres Herkunftslandes auf. Die chronologisch angeordneten Erinnerungssplitter reflektieren eine deutsche Lebenswelt, in der sie ständig über Vietnam identifiziert wird, obwohl ihr das Land fremd ist. Antonie Schmiz fasst ihre auf Interviews und einem »Mixed-Embeddedness-Ansatz« (199) beruhende Untersuchung über die Integration vietnamesischer Migranten auf dem Berliner Arbeitsmarkt durch die Gründung von Nagelstudios zusammen, deren Knowhow durch die Verknüpfung mit dem asiatisch-amerikanischen Netzwerk importiert wurde. Huy Dao vergleicht die vietnamesischen Gemeinschaften in Kalifornien und Berlin vor dem Hintergrund der transnationalen Politik von Geschichte, Erinnerung und Lokalität. Noch von den traumatischen Erinnerungen an den Vietnamkrieg geprägt, zeichnet sich die ältere Generation durch eine anti-kommunistische Haltung aus, während die jüngere sich mit der fragwürdigen Geschichtsdarstellung ihrer Eltern auseinandersetzt. Die deutsch-vietnamesische Gemeinschaft weist dagegen eine Nord-Süd-Gespaltenheit auf. Ihre Integration bildet ein Modell für die kalifornischen Vietnamesen.

Im dritten Teil werden Verbindungen mit weiteren asiatisch-deutschen Gemeinschaften in ästhetischen, historischen und urbanen Kontexten hergestellt. Während sich Feng-Mei Heberer mit Gegenentwürfen von weiblichen Körperdarstellungen asiatisch-amerikanischer Filmemacherinnen auseinandersetzt, thematisiert Sun-ju Choi die stereotypischen Repräsentationen von Asiatinnen in deutschen Filmen, um auf Probleme weiblicher Migrationswirklichkeit hinzuweisen, wie z.B. die Identitätsfrage einer Adoptierten, die »interracial romance« (262) und die Hypersexualisierung. Kimiko Suda und Sun-ju Choi gehen auf die Entstehungsgeschichte der Asian Women’s Festival in Berlin ein. International vernetzt stellt es eine Plattform für die kritische Auseinandersetzung mit Geschlecht und Ethnizität dar. Theoretische Grundlage dafür bildet Benedict Andersons Begriff der »Imagine(d) Communities« (246), der nach Suda und Choi über Nationen hinaus auch im Körper und Bewusstsein eingeschrieben ist und eine positive Identifikation ermöglicht. Noa Has Beitrag veranschaulicht an der Verwandlungsgeschichte des Berliner Preußenpark in den Thaipark im bürgerlichen Wilmersdorf wie sich zu Beginn der 1990er Jahre südwest-asiatische Heiratsmigrantinnen zu Picknicks versammelten und diese zunehmend zum Freiraum für Austausch und Heimatnostalgie wurden. Dass diese Praxis einer Minderheit inzwischen ins Alltagsleben der Mehrheit eingeschrieben ist, zeigt die auf Deutsch, Englisch und Thailändisch erstellte Parkordnung. Kien Nghi Has historische Retrospektive über die chinesische Diaspora in Berlin und Hamburg ab dem 19. Jahrhundert bis 1945 weist auf ihre Präsenz in verschiedenen sozialen Milieus vor dem Hintergrund des europäischen Kolonialkontextes. Sie festigt eine asiatisch-deutsche Migrationskontinuität und offentbart bislang kaum erforschte Phänomene (Asiaten unter der NS-Diktatur) und Persönlichkeiten (Tatjana Barbakoff).

Has Sammelband zu den Asiatischen Deutschen ist eine fassettenreiche Pioniertat. Dass oftmals der Focus auf die vietnamesisch-deutsche Gemeinschaft gerichtet ist, lässt sich angesichts des zwanzigjährigen Gedenkens an die Pogrome von Hoyerswerda (1991) und Rostock-Lichtenhagen (1992) als Manifestation einer zeichensetzenden, notwendigen Gegenwehr verstehen. Die Vielfalt anderer Blickrichtungen weist allerdings auf das Auftauchen eines neuen Community-Bewusstseins der asiatischen Deutschen hin, deren wissenschaftliche Verankerung in der Gründung der Asian German Studies bestehen könnte.

Linda Koiran

Literatur

Utlu, Deniz (2013): »Früher war es mir auch wichtig, bloß kein Chinese zu sein«. Interview mit Kien Nghi Ha. In: freitext 11 (2013), Nr. 21 (April); online unter: http://www.migazin.de/2013/04/12/frueher-war-es-mir-auch-wichtig-bloss-kein-chinese-zu-sein [Stand: 15.11.2013].