Kulturelle Programmarbeit deutscher Kulturinstitute in Frankreich

Lebenslanges Lernen und interkultureller Dialog im Dienst des Partners

Gerrit Fischer

Abstract

This article first takes a look back to summarise the status of Franco-German cultural relations from the perspective of Franco-German mediators at the beginning of the twenty-first century. Secondly, the contribution situates these expert opinions in the context of the restructuring of German foreign cultural and educational policy (Konzeption 2000), which particularly in France called for a reconsideration of the strategic direction and positioning of German cultural institutions. Thirdly, leaders of German cultural institutions in France have their say as people who have significantly contributed to the cultural programming of German cultural institutions in the past decade. Experts point to new perspectives and fields of action, and there is an assessment of the results of cultural work that has already been performed. The focus of the remarks here are on intercultural dialogue with the partnering country.

Title:

Cultural Programming by German Cultural Institutions in France: Life-long Learning and Intercultural Dialogue in Service to Partners

Keywords:

foreign cultural policy; civil society; Goethe-institutes; cultural programs; intercultural dialogue

Einen Platz für das Bilaterale finden

Unter dem Titel Auswege aus der Routine veröffentlichte die Zeitschrift für Kulturaustausch vor nunmehr über einem Jahrzehnt im letzten Quartal des Jahres 2000 eine Reihe von alarmierenden Stellungnahmen namhafter Mittlerpersönlichkeiten, welche sich damals in Schlüsselpositionen deutsch-französischer Institutionen für den Kulturtransfer engagierten.

Deren Kritik charakterisierte auf treffende Weise die Situation deutsch-französischer Kulturbeziehungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts.1 Nach Ansicht Joseph Jurts, dem damaligen Vorsitzenden des Frankreichzentrums der Universität Freiburg und Mitglied des Deutsch-Französischen Kulturrats, waren beide Staaten bereits bald nach der Wiedervereinigung in eine längere Phase der Entfremdung eingetreten. Jurt zitierte in diesem Zusammenhang zum einen den ehemaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt, welcher auf diese Tendenz bereits in einem Artikel in der Zeit hingewiesen hatte,2 zum anderen den Kulturtheoretiker Wolf Lepenies, der von einer »verblassenden deutsch-französischen Freundschaft« (Jurt 2000: 29) gesprochen hatte. Jurt kam schließlich in seinem Artikel zu dem Schluss, dass in den deutsch-französischen Beziehungen zu Beginn des neuen Jahrtausends »sowohl im Alltag wie im politischen Bereich eine Ernüchterung, eine Banalisierung eingetreten [sei]« und dass man nun – so auch der Titel seiner Ausführungen – »einen Neuanfang wagen« (ebd.: 28) müsse. Kennzeichnend für diese Phase zu Beginn des Jahres 2000 sei nach Jurt vor allem die Tatsache, dass das Interesse für die Kultur des Nachbarlandes in beiden Ländern stark abgenommen habe. Eine Möglichkeit eines Neuanfangs des deutsch-französischen Dialogs sah Jurt vor allem in der Öffnung des »exklusiven Bilateralismus […] in Richtung Europa« (ebd.: 31):

In der Tat lässt sich die Entfremdung [zwischen Deutschland und Frankreich] nur mit einem Projekt überwinden, das über den reinen Bilateralismus hinausführt. Ein solches Projekt kann zum Europa der Bürger werden […]. Ohne Verankerung im Bewusstsein der Bürger wird aber das Projekt Europa nicht dauerhaft tragfähig werden. (Jurt 2000: 29)

Henrik Uterwedde warnte an gleicher Stelle ebenfalls vor einem »Verharren in nationalen Denkmustern.« (Uterwedde 2000: 67) In einer Zeit, wo die wirtschaftliche und finanzielle Integration Europas eine rasche Entwicklung vollzogen hätte, sei es laut Uterwedde »ungleich mühsamer, Brücken zwischen unterschiedlichen Kulturen und Traditionen zu bauen.« (ebd.) Die Idee Europas müsse allen voran von einem »Projekt der Eliten in eine europäische Bürgergesellschaft wachsen«, welche sich durch die Kompetenz einer »europäischen Dialogfähigkeit« (ebd.) auszeichne.

Diese kritischen Bewertungen der deutsch-französischen Beziehungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurden auch von einer Reihe französischer Mittlerpersönlichkeiten geteilt. So stellte auch Anne-Marie Le Gloannec, damalige stellvertretende Leiterin des Centre Marc Bloch in Berlin, ein »affadissement des relations [›franco-allemandes‹]« fest (Le Gloannec 2000: 13). Sowohl für die politischen als auch für die kulturellen Beziehungen beider Länder gelte das Paradox: »l’Europe s’unifie – et paradoxalement les relations franco-allemandes perdent en même temps en substance.« (Le Gloannec 2000: 14) Für Gloannec waren vor allem auch das schwindende Interesse an dem Erlernen der Partnersprache und an der anderen Kultur Ursachen dieser negativen Entwicklung: »L’intérêt pour la langue du voisin s’estompe […]. Mais il semble aussi que l’intérêt pour le voisin, présumé connu, s’émousse.« (Ebd.) Abschließend forderte sie in ihrem Artikel, dass Deutschland und Frankreich in Zukunft vereint die Aufgaben einer europäischen Avantgarde übernehmen sollten, »une avant-garde à laquelle d’autres partenaires peuvent appartenir« (ebd.).

Vor dem Hintergrund der kulturellen Kluft, welche sich zwischen Deutschland und Frankreich in Bezug auf den europäischen Einigungsprozess und die wachsende Globalisierung zu Beginn der Jahrtausendwende aufgetan hatte, brachte der heutige Leiter des Goethe-Instituts Paris, Joachim Umlauf, die Herausforderung für deutsche Kulturinstitute in Frankreich auf den Punkt, indem er die Frage aufwarf: »Wohin also mit dem Bilateralen?« (Umlauf 2000: 74) In seinem gleichnamigen Artikel forderte er eine Neuausrichtung deutscher und französischer Kulturinstitute durch »inhaltliche und strukturelle Öffnungen« (ebd.), welche zum Ziel haben müssten, die Idee eines ›Kerneuropas‹ konsequenter umzusetzen. In diesem Zusammenhang bewertete Umlauf die Tendenz positiv, dass sich in Bezug auf die inhaltliche Programmgestaltung der deutschen Kulturinstitute der »Kulturbegriff zwar mehr und mehr erweitert habe«, im Gegensatz dazu jedoch die »kulturelle Repräsentanz als solche […] stark in nationalen Mustern verhaftet geblieben« (ebd.) sei. Eine »Neubesinnung«, wie sie Umlauf auch in der inhaltlichen Ausrichtung der Institute einforderte, hätte bisher – insbesondere aufgrund der Ereignisse infolge des Mauerfalls – noch nicht stattgefunden. Umlauf stellt in seinen Ausführungen die These auf, dass die Versöhnung zwischen Deutschen und Franzosen zu Beginn des 21. Jahrhunderts zwar »weitestgehend positiv bewältigt« worden sei, forderte aber auch, dass der »außergewöhnliche Erfolg dieses Prozesses« endlich nutzbar gemacht werden sollte, »um andere Versöhnungs- und Integrationsprozesse anzuschieben und zu festigen.« (Ebd.) Denkbar wären seiner Meinung nach im Rahmen der kulturellen Programmarbeit Maßnahmen im Hinblick auf »Demokratie und Menschenrechte«, zum anderen aber vor allem »multilaterale Veranstaltungen und Projekte.« (Ebd.) Umlauf zeigte auch mögliche Neuansätze deutsch-französischer Kulturarbeit im strukturellen Bereich auf. So müssten seiner Meinung nach »gemeinsame deutsch-französische Kulturhäuser entstehen, die zudem nichts Exklusives hätten, sondern sich gerne weiteren europäischen Staaten öffnen sollten.« (Ebd.: 73) Als positives Beispiel führte Umlauf an dieser Stelle die Erweiterung des Centre Culturel Franco-Allemand in Nantes zu einem Centre Culturel Européen an. Auch die Struktur der seit 1997 bestehenden Föderation deutsch-französischer Häuser würdigte Umlauf als innovative Alternative zum Netzwerk der Goethe-Institute:

Sie [die zur Föderation gehörenden Häuser] erfüllen alle Aufgaben der Goethe-Institute, mit denen sie eine Zusammenarbeit auf vielen Gebieten verbindet. […] Die intensive Einbettung in ihre lokale Struktur ist eine ihrer Stärken. Der deutsch-französische Dialog ist damit in die Struktur der Institution getragen, die Häuser erscheinen nicht nur als bundesdeutsche Kulturrepräsentanz auf französischem Boden, sondern als von der französischen Zivilgesellschaft gewollte und unterstützte Institutionen. (Ebd.: 74)

Der historische Kontext: Paradigmenwechsel in der deutschen Auswärtigen Kulturpolitik durch die die Konzeption 2000

Mit der Konzeption 2000 hatte kurz zuvor – am 1. Dezember 1999 – Bundesaußenminister Joschka Fischer dem zuständigen Ausschuss des Deutschen Bundestages das umfassendste Konzeptpapier dieser Epoche vorgelegt. Es gilt bis heute unter Experten als letzte grundlegende Auseinandersetzung einer Bundesregierung zu diesem Politikbereich. Im dritten und zugleich letzten Abschnitt seiner Konzeption 2000 (»Strategie für eine unmittelbare Zukunft«) zeigte der damalige Bundesaußenminister konkrete Handlungsempfehlungen für die Verantwortlichen im Auswärtigen Amt, die im Ausland vertretenen Mittlerorganisationen und Kulturschaffenden auf, welche, so hieß es, »unmittelbar« umgesetzt werden sollten.

Vorwegnehmend kann in Bezug auf die Konzeption 2000 festgehalten werden, dass Joschka Fischer mit diesem Konzeptpapier das Ziel verfolgte, Standorte und Strategien deutscher auswärtiger Kulturpolitik zehn Jahre nach dem Fall der Mauer im Ausland neu zu überprüfen und mit »weniger Geld, mehr Präsenz« (Fischer 2001) zu sichern.

Das Grundsatzpapier erinnert in vielen Passagen an die theoretischen Anregungen aus der deutschen Zivilgesellschaft, insbesondere an die Anregungen von Hans-Magnus Enzensberger der späten 1990er Jahre. In Anlehnung an Enzensberger, welcher in der deutschen auswärtigen Kulturpolitik vor allem die Aufgabe eines »Frühwarnsystems« (Enzensberger 1995) für internationale Konflikte gesehen und dazu aufgerufen hatte, durch einen interkulturellen Dialog internationale Lerngemeinschaften zu bilden, sah auch Fischer die zukünftige »zentrale Aufgabe [deutscher Auswärtiger Kulturpolitik] der kommenden Jahre.« Oberstes Ziel sei es, in Zukunft »Foren des Dialogs und globale Netzwerke aufzubauen«, um in solchen Lerngemeinschaften »Konflikten durch besseres Wissen voneinander und mehr Verständnis füreinander vorzubeugen (Pkt. III.1).« (Ebd.)

Einher mit diesem Primat ging eine Umorientierung deutscher auswärtiger Kulturpolitik in Bezug auf die ausgewählten Schwerpunktregionen: So forderte das Auswärtige Amt eine Verstärkung deutschen kulturellen Engagements »in den Nachbarstaaten in Mittel-, Ost- und Südosteuropa, in Schwellenländern und Wachstumsregionen außerhalb Europas, sowie in Staaten auf dem Weg zu Demokratisierung und Verwirklichung der Menschenrechte (Pkt. III.6). Explizit nennt die Konzeption 2000 einige Länder, die von diesem Abbau vorrangig betroffen sein würden, nämlich insbesondere »westliche Industrieländer […]«, in denen »über Jahrzehnte ein dichtes Geflecht sowohl staatlicher als auch privater kultureller Beziehungen gewachsen ist.« (Ebd.) Auch wenn das Nachbarland Frankreich nicht genannt wird: Die Beschreibung der von den Kürzungen betroffenen Ländern trifft nur allzu gut auf Frankreich zu.

An gleicher Stelle, dem vierten Punkt des Strategiepapiers, wird zugleich auch richtungsweisend aufgezeigt, wie zukünftig die Verminderung der Subventionen für Struktur- und Projektkosten in diesen Ländern aufgefangen werden soll, nämlich »unter gleichzeitiger Verlagerung auf lokale, regionale und privatrechtliche Trägerstrukturen.« (Ebd.)

Im Rahmen der Konzeption 2000 wurde vom Auswärtigen Amt auch die Struktur des Goethe-Instituts neu ausgerichtet, welches als Mittler von »strukturellen Einschnitten besonders betroffen« war (ebd.: Pkt. IV.1) Übergeordnete Ziele der Umstrukturierungen waren die Notwendigkeit einer ›Effizienzsteigerung‹ und die ›strukturelle Beweglichkeit‹. Die angekündigten Maßnahmen lassen sich in vier Punkten zusammenfassen:

  1. Schwerpunktsetzung der Institutspräsenz »auf bestimmte Bereiche und Standorte«
  2. »Enge Kooperation auf vertraglicher Basis mit lokalen Trägern, z.B. bilateralen Kulturgesellschaften«
  3. »Verstärkte Verbindungsarbeit durch Ausbau von Multiplikatorennetzen«
  4. »Verstärkte Nutzung moderner Medien und Technologien« (ebd.: Pkt. IV.1.)

Intern und auch öffentlich wurden diese Umstrukturierungsmaßnahmen zum Teil scharf von einzelnen Institutsleitern kritisiert. Stellvertretend seien an dieser Stelle die Ausführungen des ehemaligen Leiters des Goethe-Instituts Paris, Dieter Strauss, zitiert, welcher vor allem die zunehmenden administrativen Zwänge (wie beispielsweise zusätzliche Konferenzen, Projektanträge oder Fragebögen) für die Leiter als unnötige Last empfand:

Aurait-on oublié les trois éléments dont on a vraiment besoin: du ›nez‹, c’est à dire un feeling pour le pays d’accueil, de la chance et surtout du zèle! Lorsque ces éléments sont rassemblés, il est possible, aujourd’hui comme hier, d’aller contre vents et marées pour réaliser des projets passionnants. A moins que l’on ne soit occupé avec la comptabilité analytique imposée par la cour des comptes. (Strauss 2002: 165)

Strauss’ Einstellung zu den vom Bundesaußenminister Fischer angekündigten Reformprozessen und vom Goethe-Institut umgesetzten Maßnahmen spiegelte grosso modo die allgemein sehr kritische Haltung der Deutschland- und Frankreich-Experten zum Thema wider. Im Jahre 2006 gipfelte die Kritik an der Politik des Goethe-Instituts und der offiziellen deutsch-französischen Kulturarbeit in einem kurzen, aber alarmierenden Aufsatz von Alfred Grosser mit dem Titel Die deutsch-französische Kulturarbeit ist bedroht. In diesem Artikel belegte Grosser das schwindende kulturelle Engagement Deutschlands und Frankreichs im Nachbarland durch die Schließungen oder Umstrukturierungen von Goethe-Instituten und Instituts français der vergangenen Jahre:

Mehrere Goethe-Institute wurden, wie in Marseille, einfach geschlossen oder, wie in Lille, Toulouse und Bordeaux, in ihren Arbeitsmöglichkeiten erheblich eingeschränkt. Auch Nancy und Lyon sind inzwischen von Mittelkürzungen bedroht. (Grosser 2006: 36)

In Marseille hätten, so Grosser weiter, »weder die Stadt noch die Region den geringsten Versuch unternommen, das Goethe-Institut zu retten.« (Ebd.) Seine Kritik ging also in zwei Richtungen: Zum einen war sie an das Auswärtige Amt adressiert, welches durch seine zunehmenden Mittelkürzungen und die neue strategische Ausrichtung seiner Kulturarbeit in Richtung Osteuropa langfristig die Arbeit deutscher Kulturinstitute bedrohte, zum anderen jedoch versteckte sich in dem Verweis auf die ›unterlassene Hilfeleistung‹ im Fall des Goethe-Instituts Marseille der Aufruf an die französische Zivilgesellschaft, die Zukunft deutscher Kulturarbeit in Frankreich mit den Partnern vor Ort selbst zu gestalten und stärker mit ihnen in Dialog zu treten. Grosser führte an gleicher Stelle auch Beispiele aus Deutschland an, wo »deutsche Gemeinden in die Bresche gesprungen« (ebd.) seien, um französische Institute in Tübingen oder Aachen zu retten. Auch Joseph Jurt war für die Notwendigkeit eingetreten, Bürokratie durch »Phantasie« zu ersetzen. Immer sei es die »schlechteste Lösung, ein Kulturinstitut nach vielen Jahren kultureller Ausstrahlung zu schließen, da mit einer Entscheidung sämtliche kontinuierliche Aufbauarbeit […] zunichte gemacht« werde. Auch war er einer der ersten Experten, welche gerade in Zeiten knapper Kassen forderten: »In Zeiten des Sparzwangs muss Kulturarbeit als Versöhnungs-, Aufklärungs- und Informationsarbeit im Nachbarland weitergehen. Die Phantasie ist gefragt. Die Sache ist es wert.« (Jurt 1999)

In der Ära Steinmeier, deutscher Außenminister im Zeitraum von 2005–2009, wurden in Bezug auf die auswärtige Kulturpolitik und die unter Fischer vorgelegte Konzeption 2000 keine grundlegenden Neuerungen eingeführt. Einige Ergänzungen sind dennoch in dem Bericht der Bundesregierung zur Auswärtigen Kulturpolitik 2005/2006 (Bericht der Bundesregierung 2005)3 zu finden, die an dieser Stelle der Vollständigkeit halber kurz angeführt werden sollen. Die Bundesregierung orientierte in diesem Strategiepapier ihre Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik (AKBP) nach vier Zielen, wobei auffällig ist, dass neben der »Förderung von kultur- und bildungspolitischen Interessen«, der »Förderung des Integrationsprozesses« und der »Förderung der Konfliktprävention« erstmals der »Sympathiewerbung für Deutschland« ein besonders hoher Stellenwert eingeräumt wurde. Was die Arbeit des Goethe-Instituts als wichtiger Mittlerorganisation des Landes anging, verwies das Auswärtige Amt an dieser Stelle lediglich auf die zunehmende Bedeutung von Kooperationen des Goethe-Instituts mit anderen europäischen Instituten. Leider handelte es sich ausschließlich um Beispiele mit positiven Kooperationserfahrungen in anderen europäischen Ländern außerhalb des deutsch-französischen Kontextes.4

Ein letztes Konzept zur »Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik in Zeiten der Globalisierung« (Bericht der Bundesregierung 2011) mit dem Untertitel Partner gewinnen, Werte vermitteln, Interessen vertreten wurde unter Verantwortung von Bundesaußenminister Guido Westerwelle im September 2011 vorgelegt. Neben den bereits unter den Vorgängern Fischer und Steinmeier ausgegebenen Zielen der Friedenssicherung und der Stärkung Europas sollen die Mittler laut Konzeptpapier künftig »Alte Freundschaften pflegen, neue Partnerschaften gründen« (Bericht der Bundesregierung 2011). Frankreich, wie im Übrigen ganz Westeuropa und die USA, wird in diesem Strategiepapier explizit zu diesen »alten Freunden« gezählt. Wie man die Stärkung Europas erzielen will, darüber gibt gleichnamiger Abschnitt des Konzeptes ebenfalls Auskunft, nämlich durch das »Beheben von Ungleichgewichten« und die »Beseitigung von Schieflagen.« (Bericht der Bundesregierung 2011) Eine derartige Schieflage liege beispielsweise zwischen den Ländern Frankreich und Italien (mit je sieben Goethe-Instituten) auf der einen sowie Polen (zwei Institute) und der Tschechischen Republik (nur ein Institut) auf der anderen Seite vor. In Osteuropa bestünde demnach »Nachholbedarf«, dem entsprochen werden müsse, ohne jedoch »Bewährtes in Frage zu stellen.«

Weitere Hinweise zur künftigen Gestaltung der AKBP gibt der Abschnitt Allgemeine Grundsätze der AKBP, in welchem man sich nicht nur einem ›weiten Kulturbegriff‹ verpflichtet, sondern auch den Ansatz einer ›regierungsfernen‹ Auslandskulturarbeit vertritt, welche ihre staatliche Förderung im Ausland auf jene Regionen beschränkt, ›wo Bedarf‹ besteht. Eine Neugestaltung zukünftiger Kulturarbeit im Ausland solle dabei folgende Gestalt annehmen:

Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist keine bürokratisierende Kulturförderung im Ausland. Sie soll dort erfolgen, wo der kulturelle Austausch aus eigener Kraft auf schwierige Bedingungen stößt. Wo immer der Umfang des kulturellen und zivilgesellschaftlichen Austauschs es zulässt, kann die staatliche Förderung zurücktreten. Generell streben wir eine starke Beteiligung des privaten Sektors (public-private-partnership, Sponsoring) an. (Bericht der Bundesregierung 2011)

Als neue Partner und Schwerpunktregionen werden in den Ausführungen des Auswärtigen Amtes Indien, Vietnam, Lateinamerika, Argentinien, die Türkei und Russland genannt. Für Frankreich und die weiteren Partnerländer in Westeuropa scheint es keine klar umrissene Strategie zu geben.

Positionen und Sichtweisen der Kulturmittler

Ein gutes Jahrzehnt nach der oben aufgezeigten kritischen Bilanz einzelner Frankreich-Experten und den durch das Auswärtige Amt eingeforderten Umstrukturierungsmaßnahmen ist es daher an dieser Stelle von besonderem Interesse, Bilanz zu ziehen, wie sich der Paradigmenwechsel auf die tägliche Kulturarbeit der deutschen Mittler in Frankreich ausgewirkt hat. Den theoretischen Rahmen dieser Untersuchungen bildet der methodische Ansatz des Kulturtransfers welcher von Michel Espagne und Michael Werner begründet wurde. So fordert Espagne in seinem Aufsatz Die Rolle der Mittler im Kulturtransfer den Mittler mehr in den Mittelpunkt der Untersuchungen zu interkulturellen Vermittlungsprozessen zu stellen. Hierzu formuliert auch Werner: »[D]ie Vermittler bringen in den Transferprozess immer auch etwas anderes ein, als von ihnen vorrangig zu erwarten war, und auf diesen semantischen Zusatz kommt es an.« (Werner 2007: 381)

Auch Michael Werner hebt in einer Untersuchung zur Bedeutung institutionellen und personenbezogenen Handelns das wissenschaftliche Interesse einer ›akteurzentrierten‹ Betrachtungsweise hervor:

Zeitzeugenschaft vermittelt Primärerfahrungen, die später aus Quellen nur schwer oder gar nicht mehr zu erschließen sind. Von daher rührt auch die für den Gegenstand besondere Bedeutung von Interviews, von mündlicher Befragung der überlebenden Akteure. (Ebd.)

Mit dieser Zielsetzung wurden im Zeitraum von 2010 bis 2011 leitende Kulturmittler der Goethe-Institute und Verantwortliche der deutsch-französischen Häuser anhand eines Leitfadeninterviews5 von mir interviewt. Teil 1 des Leitfadeninterviews beinhaltete grundlegende Fragen zur Rolle deutscher Kulturinstitute im Rahmen der deutschen Auswärtigen Kulturpolitik, allgemeine Fragen zur Kulturvermittlung und spezielle Fragen zur Positionierung deutscher Kulturinstitute in Frankreich. Ein zweiter Fragenkomplex verfolgte das Ziel, die Alleinstellungsmerkmale deutscher Kulturinstitute in Frankreich aus Sicht der Mittler herauszuarbeiten und zukünftige Schwerpunkte kultureller Programmarbeit aufzuzeigen.6

Die Zukunft der deutschen Häuser und Goethe-Institute hängt laut Experten in entscheidendem Maße davon ab, wie sich die Institute durch ihre Kulturveranstaltungen in Bezug auf ihr Umfeld positionieren. Um diese Thematik aufzugreifen, wurde im Leitfadeninterview den Mittlern bewusst die sehr provokative Frage gestellt, warum ihr jeweiliges Institut noch heute in der kulturellen Landschaft ihrer Region präsent sei.

Für Joachim Umlauf, Leiter des Goethe-Instituts Paris, ist die Frage nach den Erfolgsfaktoren und somit den Alleinstellungsmerkmalen deutscher Kulturinstitute in Frankreich zunächst mit der Grundsatzfrage verbunden, ob man seitens der Mittler auch in Zukunft unter der Prämisse der auferlegten Einsparungsmaßnahmen das Ziel verfolgen solle, ein »Allspartenhaus« (Interview Umlauf 2010) mit einer Vielzahl von unterschiedlichen Veranstaltungsformen zu betreiben, oder ob man sich nicht mehr auf einzelne Veranstaltungsformen konzentrieren solle:

Warum ist das so wichtig? Das ist deshalb so wichtig, weil Sie natürlich sagen können: alles zu machen, ist das Alleinstellungsmerkmal eines Kulturinstituts. Andere Kultureinrichtungen wie Kinos, Opernhäuser, Museen […] machen z.B. auch Vorträge […], aber sie konzentrieren sich eigentlich auf eine Form der Darbietung. (Interview Umlauf 2010)

Das zunächst vorrangige Alleinstellungsmerkmal eines deutschen Kulturinstituts, nämlich seinem Zielpublikum eine breite Palette unterschiedlichster Veranstaltungsformen anzubieten, ist dabei für Umlauf »Schwäche und Stärke« (ebd.) der deutschen Institute zugleich. Dabei denkt er vor allem an das Image und die Wahrnehmbarkeit der Institute durch sein Zielpublikum. Er stützt seine These, indem er ein konkretes Beispiel aus dem Bereich der Musikveranstaltungen (Konzerte) gibt. Seiner Meinung nach würde es dem Goethe-Institut in diesem Veranstaltungssegment kaum gelingen, »ein wirklich treues Fachpublikum aufzubauen«, weil das Goethe-Institut eben nicht der Ort sei, »wo so etwas in einer genügenden, regelmäßigen Art gespielt werden kann.« (Interview Umlauf 2010) Erst bei einer Frequenz von etwa zwei oder drei Konzerten pro Woche, so Umlauf, würde man als »Player« (ebd.) in diesem Segment überhaupt wahrgenommen werden. Auch Till Meyer, Präsident der Föderation deutsch-französischer Häuser, scheint diese Meinung zu teilen:

Wir können in vielen Bereichen als Kulturinstitut, weil es Kooperationen auf sehr hohem Niveau gibt, auch gar nicht mehr [qualitativ] mithalten, das ist im Theaterbereich so, das ist im Bereich der Museen so, das ist bei den Tanzfestivals so (Interview Meyer 2011).

So stellt sich für Meyer daher prinzipiell die Frage, ob man auch in Zukunft an diesem Alleinstellungsmerkmal festhalten solle und »durch die Bank alles präsentieren wolle« oder aber, ob man sich auf einzelne Veranstaltungsformen konzentrieren und spezialisieren solle. In diesem Sinne schlägt er vor, einen »Bauchladen« von verschiedenen Veranstaltungsformen zu haben, »in dem man verschiedene Sachen präsentiert.« (Interview Meyer 2011)

Neben diesem ersten grundlegenden Kriterium ist für Umlauf, wie auch für die überwiegende Mehrheit der Mittler, das wichtigste Alleinstellungsmerkmal deutscher Kulturveranstaltungen in Frankreich der ›Wortbereich‹.7 Für Kurt Brenner, ehemaliger Leiter des Heidelberg-Hauses in Montpellier, ist dieses Veranstaltungssegment, was die Förderung der Spracharbeit durch Kulturveranstaltungen betrifft, der wichtigste Erfolgsfaktor für das weitere Fortbestehen deutscher Kulturinstitute im Nachbarland. Er betont, dass er sich in Bezug auf diese Schwerpunktbildung sogar wiederholt mit den Verantwortlichen des Auswärtigen Amtes kritisch auseinandergesetzt hat:

Wichtiger Teil unserer Arbeit – und ich habe ja immer darauf gedrängt – ist die Spracharbeit, die zum Institut dazu gehört. Ich hab einmal eine ganze Nacht lang mit dem damaligen Leiter der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes ein Streitgespräch geführt. Er hat gesagt, das macht doch nichts aus, um Geld zu sparen, geben wir die Sprachkurse ab in die Privatschulen und ich war ganz dagegen, […] dass es ein Kulturinstitut gibt, ohne Spracharbeit. Dann sind wir eher ein Gesellschaftszentrum. Spracharbeit ist die Basis. (Interview Brenner 2010)

Dass Spracharbeit auch gewinnbringend mit dem Bereich der kulturellen Programmarbeit verknüpft werden kann, so Brenner, unterstreiche allein der Erfolg des im Jahre 2000, anlässlich des europäischen Jahrs der Sprachen von der Föderation deutsch-französischer Häuser ins Leben gerufene Projekt DeutschMobil: 2003 wurde es durch den Adenauer-de Gaulle-Preis und den Initiativpreis Deutsche Sprache ausgezeichnet. Auch Jean-Paul Barbe, Gründer des Deutsch-Französischen und Europäischen Kulturzentrums in Nantes, ist davon überzeugt, dass sein Zentrum noch heute in der Loire-Atlantique präsent ist, weil es bis in die heutige Gegenwart in Kooperation mit Lehrern der ganzen Akademie Nantes »dazu [beiträgt], dass Deutsch als Unterrichtsfach nicht ganz von der Bildfläche verschwindet.« (Interview Barbe 2010) Jérôme Vaillant, Professor für Deutschlandstudien an der Universität Lille 3, würdigt in diesem Sinne den Einsatz des Goethe-Instituts Lille für die Ausbildung der Deutschlehrer in Frankreich »nicht nur in Lille, sondern auch bis nach Caen und Rouen.« (Interview Vaillant 2011) In Bezug auf dieses Alleinstellungsmerkmal der Förderung der deutschen Sprache kristallisiert sich heraus, dass die einzelnen Institute neben gemeinsamen Projekten wie dem bereits erwähnten Projekt DeutschMobil auch unterschiedliche Strategien entwickeln. So wollen Brenner in Montpellier und Rothacker in Aix-en-Provence8 im Wortbereich in dieser Beziehung in Zukunft noch stärker »Kinder- und Jugendliche« (Interview Rothacker 2010) einbinden. Jan Rhein, Leiter des Centre Culturel Franco-Allemand in Nantes, zielt in der Stadt an der Loire mit diesem Veranstaltungssegment ebenfalls darauf auch ab, mit innovativen Projekten, wie z.B. Poetry-Slams, das traditionelle deutschlandbezogene Nanteser Publikum zu begeistern. Joachim Umlauf schließlich setzt in der französischen Hauptstadt auf Vorträge, Kolloquien und Tables rondes zu aktuellen deutschen Themen, vor allem aber auf »regelmäßige Reihen mit Schriftstellerlesungen in der hauseigenen Bibliothek.« (Interview Umlauf 2010)

Das wichtigste Alleinstellungsmerkmal für die deutschen Kulturinstitute scheint heute jedoch der Grad der lokalen Integration der einzelnen Institute zu sein. Stellvertretend für alle Experten stellt Umlauf fest, dass der Kern der Kulturarbeit »immer das Feedback der Bedürfnisse der lokalen Institutionen vor Ort« (Interview Umlauf 2010) zu berücksichtigen habe. Dies würde jedoch cum grano salis eine Umkehr der Arbeitsrichtung des Goethe-Instituts bedeuten: Während man in der Zentrale des Goethe-Instituts München bemüht ist, strategische Leitlinien für eine abstrakte, globale Strategie deutscher auswärtiger Kulturpolitik zu entwerfen, welche anschließend durch die untergeordneten Institute auf spezielle, konkrete Kulturprojekte zugeschnitten werden sollen (›top down-Prozess‹), geht der ›bottom up‹-Prozess in die genau umgekehrte Richtung: Er orientiert sich zunächst nach konkreten Bedürfnissen und Anregungen vor Ort und generiert erst in einem zweitem Schritt konzeptionelle Leitlinien. Es kann davon ausgegangen werden, dass sich das Goethe-Institut in Bezug auf diese Arbeitsrichtung grundsätzlich von jener der deutsch-französischen Häuser unterscheidet, welche sich ja von Beginn an dem grundlegenden Prinzip der regionalen Integration und somit dem ›bottom up-Prinzip‹ verschrieben haben. Joachim Rothacker sieht in diesem Grundprinzip das entscheidende Kriterium für die ›Überlebensfähigkeit‹ der deutsch-französischen Häuser in Frankreich:

Wir sind ja praktisch zum Erfolg verdammt. […] Bei uns ist es ja eine Mischfinanzierung, nur ein Teil wird finanziert von Deutschland. Wir müssen also auch für die Rathäuser und auch für die Départements und die Region vor Ort als attraktiv und wichtig für das kulturelle Leben wahrgenommen werden. (Interview Rothacker 2010)

Dieses neue Grundverständnis kommt einem Perspektivenwechsel gleich, der die Konzeption der kulturellen Programmarbeit entscheidend beeinflusst. Die deutsche Kulturarbeit wird zur ›Dienstleistung‹ vor Ort, ein Begriff, der beispielsweise auch explizit auf der Webseite der Maison de Rhénanie-Palatinat verwendet wird: »Votre centre culturel allemand en Bourgogne est à votre service pour vos projets avec l’Allemagne et la Rhénanie-Palatinat.«9

Diesem Grundsatz folgend, nennen die einzelnen Mittler in den durchgeführten Interviews auch eine Reihe von Projekten unterschiedlichster Couleur, welche diesem Verständnis der ›Kulturvermittlung als Dienstleistung verpflichtet sind. Diese lassen sich vereinfachend in vier unterschiedliche Formen von Dienstleistungen unterteilen.

1. Unterstützung historisch gewachsener deutsch-französischer Netzwerke der Zivilgesellschaft

So sieht beispielsweise das Centre Culturel Franco-Allemand in Nantes in der Unterstützung der Städtepartnerschaft zwischen Nantes und Saarbrücken eine seiner Hauptaufgaben. Zu diesem Zweck entwickelte man in Kooperation mit Verantwortlichen beider Stadtverwaltungen im Sinne einer »intensiven Weiterführung der Städtepartnerschaft« (Interview Barbe 2010) in den letzten Jahren u.a. kleinere Initiativen wie den gemeinsamen Fotomarathon, aber auch wissenschaftliche Projekte wie die Deutsch-Französische Sommeruniversität (seit 2001 in Kooperation u.a. mit dem Frankreichzentrum der Universität des Saarlandes), aber auch das Deutsch-Französische Praktikantenbüro, welches seit 2006 Studenten der Universitäten Nantes und Saarbrücken Praktika in der Partnerstadt vermittelt. Dieses Projekt wird unter anderem durch zwei ›junge Botschafter‹ geleitet, welche durch das Programm Arbeit beim Partner des Deutsch-Französischen Jugendwerks gefördert werden. Marc Chateigner, heutiger Präsident des Centre, stellt in Bezug auf die Ausrichtung des Nanteser Instituts fest, dass man auf diese Weise zu einem wichtigen Bestandteil des Netzwerkes der internationalen Beziehungen der Stadt Nantes geworden sei. Durch das Projekt Praktikantenbüro gewinne man zudem auch ein ganz neues Publikum:

On est un des acteurs de la politique de la ville. L’autre type de soutien, c’est le bureau des stages. Ce soutien nous permet d’accéder à un public de jeunes nantais auquel nous n’avions pas accès auparavant: des jeunes des quartiers sensibles, des jeunes un petit peu moins intégrés. (Interview Chateigner 2010)

Das Projekt eines Deutsch-Französischen Praktikantenbüros wurde von Till Meyer, dem Leiter des Rheinland-Pfalz-Hauses, entwickelt. Meyer vermittelt seit über einem Jahrzehnt – in Kooperation mit dem Mainzer Institut Maison de Bourgogne – Praktikanten zwischen der Region Burgund und dem Land Rheinland-Pfalz.

2. Förderung der deutsch-französischen Regionalpartnerschaften

In der Förderung der deutsch-französischen Regionalpartnerschaften sehen die Experten eine zweite Arbeitsachse10 ihres kulturellen Engagements. Sicherlich hat so auch das deutsche Kulturinstitut in Dijon maßgeblich dazu beitragen, dass 40 Jahre nach Unterzeichnung des Partnerschaftsvertrages, im Jahre 2002, diese Art der Kooperation mit dem Adenauer-de Gaulle-Preis ausgezeichnet wurde. Schwerpunkte der Kulturarbeit in Dijon in Verbindung mit der Regionalpartnerschaft sind dabei neben den Kulturveranstaltungen vor allem die Bereiche Wirtschaft und Tourismus. Zu der Konzeption der Arbeit seines Hauses stellt Meyer fest:

Das Deutschlandbild, das wir propagieren, ist sehr stark subsidiär gefärbt. Wir machen keine Staatskultur, sondern setzen den Fokus auf Regional- und Kommunalkultur. Wir müssen etwas von unseren Herkunftsregionen und Kommunen erzählen. (Interview Meyer 2011)

Vaillant hat sogar die Vision, durch die Förderung von Regionalpartnerschaften ein durch Kulturveranstaltungen vernetztes Europa der Regionen im Sinne eines »regionalen Weimarer Dreiecks« (Interview Vaillant 2011) aufzubauen. Dem Goethe-Institut Lille kämen in dieser Hinsicht zwei Aufgaben zu: Zum einen die Aufgabe »als Schaufenster von Deutschland in Lille und Region« zu fungieren, zum anderen aber zugleich ein Institut »mit Ausstrahlung nach Kattowitz und Düsseldorf« (Interview Ulrich 2011) zu sein.

3. Förderung institutioneller deutsch-französischer Netzwerke interregionaler Prägung

Am häufigsten wurde von den befragten Mittlern in Bezug auf diesen Dienstleistungsgedanken die Unterstützung bestehender deutsch-französischer Universitätspartnerschaften genannt. Nachhaltige Kulturarbeit knüpft, laut Experten, an diese bereits bestehenden Kooperationen an und wirkt unterstützend auf diese ein. Brenner schlägt einen Bogen, indem er – auf die Entstehungsgeschichte und die Zukunft seines Hauses verweisend – das heutige Heidelberg-Haus gar als »universitäre Begegnungsstätte« und »deutsches Kulturinstitut partnerschaftlicher Prägung« bezeichnet:

Das Heidelberg-Haus war eine mutige Sache, am Anfang eigentlich der Zivilgesellschaft. Da haben die Uniprofessoren gesagt: Wir wollen ein Begegnungshaus für die Studenten der Deutschen und Franzosen in Montpellier. Dann hat sich die Universität eingeschaltet und so kam eigentlich das Haus als universitäre Begegnungsstätte zustande. […] Das hat sich heute entwickelt zu einem deutschen Kulturinstitut partnerschaftlicher Prägung, in dem die städtischen Partner, Heidelberg-Montpellier und die universitären Partner präsent sind, indem sie auch tatsächlich das Haus unterstützen und nicht zu vergessen auch das Land Baden-Württemberg, das eingesprungen ist, weil die Uni eine Landeseinrichtung ist. (Interview Brenner 2010)

Auch andere Mittler, so vor allem Vaillant und Rhein, heben die herausragende strategische Bedeutung der Kooperation mit dem universitären Sektor explizit hervor. Als jüngstes Beispiel einer derartigen Mittlerfunktion im deutschen und französischen Hochschulbereich zitiert Meyer das erste vom Haus Rheinland-Pfalz im Oktober 2011 mitorganisierte »Colloque franco-allemand sur le management de la culture à Dijon« (Interview Meyer 2011), welches vor dem Hintergrund der finanziellen Krisensituation die Zukunftsperspektiven von Kulturinstituten zum Thema hatte. Meyer verweist in seinem Interview darauf, dass man »noch mehr den pragmatischen und praktischen Nutzen der Einrichtungen in den Vordergrund stellen sollte« (ebd.), wenn man an einem langfristigen Erhalt der deutschen Einrichtungen in Frankreich interessiert sei.

Auch für diesen Dienstleitungsgedanken gilt: ›rien n’est jamais acquis‹ – nichts währt für immer. Wie sensibel dieser Programmschwerpunkt in Bezug auf eine nachhaltige und kontinuierliche Weiterführung bereits bestehender institutioneller (und persönlicher) Kontakte reagiert, zeigt Umlauf auf, welcher bekennt, dass das Goethe-Institut Paris in der jüngsten Vergangenheit der 1990er Jahre durchaus Fehler begangen und die Zusammenarbeit mit den Universitäten und ihrem Lehrpersonal u.a. im Bereich der Germanistik vernachlässigt habe.

Schon in den 90er Jahren hat das Goethe-Institut hier angefangen, die alten Vertreter des Franco-Allemand zu schmähen oder einfach nicht mehr in ihre Arbeit einzubeziehen, also mit der Ansicht, die Versöhnungsgeneration habe ihre Arbeit erledigt, es gelte jetzt, neue Ufer, neue Leute zu gewinnen. Nicht immer mit denselben, Grosser, Ménudier und anderen zu arbeiten. Man hat diese Kreise bis zu einem gewissen Grade, einschließlich der Germanistik, vernachlässigt. Und das halte ich für einen Riesenfehler. […] Wenn sie nicht die Sympathie und die Unterstützung derjenigen haben, die sich vor Ort professionell mit Deutschland beschäftigen, dann ist die Arbeit natürlich sehr schwer. Wenn Herr Grosser zehn Mal pro Jahr in die Maison Heine geht und kein einziges Mal ins Goethe-Institut, dann ist das natürlich von einer gewissen Symbolik. (Interview Umlauf 2010)

4. Förderung und Vermittlung von Kooperation zwischen französischen Institutionen

Nur durch einen engen und beständigen Kontakt mit diversen französischen Partnern vor Ort können Feinabstimmungen in Bezug auf die Ausrichtung eines Kulturprogramms vorgenommen werden. Besteht nach einer Vielzahl von Jahren kulturellen Engagements ein Vertrauensverhältnis zwischen dem deutschen Mittler und den regionalen Akteuren, kann man, so Dorothee Ulrich, Leiterin des Goethe-Instituts Lille, im interkulturellen Dialog mit dem Partner in ganz andere Dimensionen der Kulturvermittlung vordringen. Ulrich sieht deshalb heute das Goethe-Institut Lille als einen der »Akteure im kulturellen Netzwerk […] vor Ort.« (Interview Ulrich 2011) Dies bedeutet für sie, dass sich ihre Vermittlerrolle nicht nur auf die Vermittlung deutscher Kultur beschränkt, sondern ihrem Institut insbesondere die Aufgabe zukommt, diejenigen französischen Kulturschaffenden und Institutionen zu vernetzten, die vielleicht nicht dazu tendiert hätten, »miteinander in Dialog zu treten«. (Ebd.)

Weil wir [das Goethe-Institut] nicht in lokalen Sparten denken oder in Zuständigkeitsbereichen. Da uns diese Zuständigkeitsbereiche sogar manchmal fremd sind oder wir diese mit einer gewissen Unschuld oder Naivität betrachten. (Ebd.)

Ulrich sieht gerade in der Funktion des neutralen, außen stehenden Mittlers »eine wunderbare neue Chance und Aufgabe, […] Dinge in Bewegung zu bringen, die vielleicht ohne uns in der Form nicht so gelaufen wären.« (Ebd.) Auch Ulrich Sacker sieht sein Lyoner Institut in diesem Sinne in der Rolle des »Scouts« (Interview Sacker 2011) der jeweiligen Kulturszene vor Ort. Diese Funktion des Kulturvermittlers ›im Dienste des Partners‹ wäre eine völlig neuartige Dimension deutscher auswärtiger Kulturpolitik. Das gegenseitige Geben und Nehmen wäre vor dem Hintergrund des interkulturellen Austausch neu definiert: Der Kulturaustausch würde so zu einer multikulturellen Lerngemeinschaft. So sagt Umlauf in Bezug auf das partnerschaftliche Arbeiten vor Ort:

Partnerbezogenes Arbeiten […] hat einen Sekundäreffekt: Man betreibt selber ja auch lebenslanges Lernen, wenn man mit anderen zusammen arbeitet und so auch ein Stück seiner eigenen Kultur preisgibt, nämlich die Art, wie man arbeitet, wie man miteinander in Kontakt tritt und der andere hoffentlich auch. Also: interkulturellen Dialog betreiben. (Interview Umlauf 2010)

Auch Ulrich ist fest davon überzeugt, dass im interkulturellen Dialog mit Partnern vor Ort »neue Ideen generiert« werden und dass Deutschland durch diese Dialogbereitschaft ein wichtiges Zeichen setzt, »dass es sich für die Kultur des anderen interessiere.« (Interview Ulrich 2011) Ulrich geht sogar noch weiter, indem sie unterstreicht, dass allein die »physische Präsenz eines Kulturinstituts ein lebendiges Zeichen dafür sei, dass man diesen interkulturellen Dialog sucht.« (Ebd.)

Vor diesem Hintergrund bekommen die Schließung des Maison de France in Berlin und die für den 1. September 2013 geplante ›administrative Zusammenlegung‹ der Französischen Kulturinstitute von Leipzig und Dresden eine neue Bedeutung. 50 Jahre nach Unterzeichnung des Élysée-Vertrages wird an diesen Orten sicherlich ein falsches kulturpolitisches Signal gesetzt.

Anmerkungen

1  | Auf deutscher Seite zogen damals neben Joseph Jurt unter anderem Rudolf von Thadden, Koordinator für die deutsch-französische Zusammenarbeit im Auswärtigen Amt, Henrik Uterwedde, Leiter des Deutsch-Französischen Instituts in Ludwigsburg, Joachim Umlauf, Leiter der Maison Heinrich Heine in Paris, und auf französischer Seite Frédéric Hartweg, Professor an der Universität Straßburg, Isabelle Bourgeois, Forscherin am CIRAC (Centre d’Information et de Recherche sur L’Allemagne Contemporaine) und Jean Paul Picaper, Deutschlandkorrespondent des Figaro, eine kritische Bilanz der deutsch-französischen Beziehungen.

2  | »So stellte Helmut Schmidt in einem Artikel […] schon im August 1999 fest, Paris und Bonn seien seit 1989 langsam auseinander gedriftet.« (Jurt 2000: 28).

3  | Alle folgenden Zitate in diesem Beitrag beziehen sich auf diese Quelle.

4  | In Stockholm öffnete im April 2005 das gemeinsam vom Instituto Cervantes und Goethe-Institut betriebene Kulturinstitut. Im Juni 2005 konnten das einjährige Bestehen der Zusammenlegung von Alliance Française und Goethe-Institut in Glasgow sowie die Einweihung des gemeinsam mit dem British Council genutzten Gebäudes in Kiew gefeiert werden.

5  | Vgl. Die Liste der Interviews am Ende dieses Beitrages.

6  | Die nun folgende Zusammenfassung basiert auf dem Interview-Material meiner Studie zu Programm und Programmatik deutscher Kulturinstitute in Frankreich zwischen 1945 und 2012; vgl. Fischer 2013.

7  | »Von dem, was wir machen, wo haben wir denn da Alleinstellung? Die Antwort fällt ja nun relativ einfach aus: Alleinstellung haben wir im Wortbereich.« (Interview Umlauf 2010)

8  | »Die Kinder von heute sind ja unsere Teilnehmer von morgen« (Interview Rothacker 2010).

9  | Online unter: http://www.maison-rhenanie-palatinat.org [Stand: 15.11.2013].

10  | »Man kann viel bewegen in der regionalen Kooperation. Nun ist in meinem Fall das einzige Bedauerliche, meine Region, Languedoc-Roussillon hat die meisten Partnerschaften mit Baden Württemberg, aber es gibt keine Regionalpartnerschaft.« (Interview Brenner 2010)

Literatur

1. Interviews (Name, Institution, Funktion zur Zeit des Interviews, Datum und Ort des Interviews)

Barbe, Jean-Paul: Centre Culturel Européen Nantes, Gründer (2. Oktober 2010 in Nantes).

Brenner, Kurt: Maison de Heidelberg, Montpellier, Leiter (8. Oktober 2010 in Frankfurt a.M.).

Chateigner, Marc: Centre Culturel Franco-Allemand, Nantes, Präsident (1. Oktober 2010 in Nantes).

Kuntz, Eva-Sabine: Deutsch-Französisches Jugendwerk, Generalsekretärin (26. August 2010 in Paris).

Meyer, Till: Haus Rheinland-Pfalz, Dijon, Leiter, Präsident der Föderation deutsch-französischer Häuser (30. Oktober 2011 in Mainz).

Neubert, Stefanie: Goethe-Institut Toulouse, Leiterin.(30. März 2011 in Paris)

Rhein, Jan: Centre Culturel Franco-Allemand, Nantes, Leiter (1. Oktober 2010 in Nantes).

Rothacker, Joachim: Centre Franco-Allemand de Provence, Aix-en-Provence, Leiter (17. September 2010 in Tübingen).

Sacker, Ulrich: Goethe-Institut Lyon, Leiter (30. September 2011, Telefongespräch: Lyon-Saarbrücken).

Schraut, Elisabeth: Goethe-Institut Nancy, Leiterin (24. August 2010 in Nancy).

Ulrich, Dorothee: Goethe-Institut Lille, Leiterin (13. Juli 2011 in Lille).

Umlauf, Joachim: Goethe-Institut Paris, Leiter (26. August 2010 in Paris)

Vaillant, Jérôme, Professor für Deutschlandstudien an der Universität Lille 3 (13. Juli 2011 in Lille).

2. Forschung

Bericht der Bundesregierung zur Auswärtigen Kulturpolitik 2005/2006. Online unter: http://www.ifa.de/pdf/aa/akbp_bericht2005.pdf [Stand: 15.11.2013].

Enzensberger, Hans Magnus: Auswärts im Rückwärtsgang. In: Der Spiegel, Nr. 37 v. 11. September 1995, S. 215–216.

Espagne, Michel (1997): Die Rolle der Mittler im Kulturtransfer. In: Hans-Jürgen Lüsebrink/Rolf Reichardt (Hg.): Kulturtransfer im Epochenumbruch. Frankreich-Deutschland 1770 bis 1815. Leipzig, S 311–329.

Fischer, Gerrit (2013): Von der ›Versöhnung‹ zur Internationalisierung: das Auseinanderklaffen von Programm und Programmatik. Deutsche Kulturinstitute in Frankreich (1945–2012). Saarbrücken.

Fischer, Joschka (2001): Sensibel in der Form, fest in der Sache. In: Zeitschrift für Kulturaustausch 51, H. 2, S 24–26; online unter: http://www.ifa.de/pub/kulturaustausch/archiv/zfk–2001/mit-kultur-gegen-krisen/fischer0//type/98/ [Stand: 15.11.2013].

Grosser, Alfred (2006): Die deutsch-französische Kulturarbeit ist bedroht. In: Dokumente: Zeitschrift für den deutsch-französischen Dialog 62, H. 4, S. 36–37.

Jurt, Joseph (1999): Von den Franzosen lernen. In: Zeitschrift für Kulturaustausch 49, H. 4, S. 6; online unter: http://www.ifa.de/pub/kulturaustausch/archiv/zfk–1999/die-zukunft-der-erinnerung/deutsch-franzoesische-kulturbeziehungen-buerokratie-statt-phantasie/jurt0/ [Stand: 15.11.2013].

Ders. (2000): Den Neuanfang wagen. In: Zeitschrift für Kulturaustausch 50, H. 4, S. 29–31.

Le Gloannec, Anne-Marie (2000): Pour une nouvelle avant-garde. In: Zeitschrift für Kulturaustausch 50, H. 4, S. 12–13.

Schneider, Wolfgang (Hg.; 2008): Auswärtige Kulturpolitik: Dialog als Auftrag – Partnerschaft als Prinzip. Essen.

Strauss, Dieter (2002): Je me consacre corps et âme aux réformes – et rien que cela, à Propos du processus de réforme à l’Institut Goethe. In: Allemagne d’aujourd’hui, Nr. 162, S. 165–166.

Umlauf, Joachim (2000): Wohin mit dem Bilateralen? In: Zeitschrift für Kulturaustausch 50, H. 4, S. 71–74.

Uterwedde, Henrik (2000): Lasst Hundert Blumen blühen! In: Zeitschrift für Kulturaustausch 50, H. 4, S. 67f.

Werner, Michael (2007): Im Zwischenfeld von Politik und Wissenschaft, in: Ulrich Pfeil (Hg): Deutsch-französische Kultur- und Wissenschaftsbeziehungen im 20. Jahrhundert. Ein institutionengeschichtlicher Ansatz. München, S. 381–389.

Zeitschrift für Kulturaustausch (2000): Themenheft Auswege aus der Routine 50, H. 4.