Transitraum Varieté?

Zu einem Treffen zwischen Franz Kafka und Josephine Baker in Köln1

Herbert Uerlings

A transit space may be defined as a ›liminal zone‹ (V. Turner): Social, sexual and cultural hierarchies may be reversed or temporarily dissolved, the continuity of traditions may become uncertain, and future outcomes once taken for granted may be questioned. The dissolution of an order in a liminal space creates a fluid, malleable situation that can allow for the establishment of new perspectives and conventions. In his Bericht für eine Akademie (1917), Franz Kafka casts a sceptical eye on the variety show as a liminal space. This might open new perspectives on Josephine Baker’s performances on stage and in life.

Title:

The Variety Show as a Transit Space? About a Meeting between Franz Kafka and Josephine Baker in Cologne

Keywords:

Kafka, Franz (1883-1924); Bericht für eine Akademie; Baker, Josephine (1906-1975); transit space; liminality

1. Varieté und Transit

Transiträume sind Räume, die dafür prädestiniert sind, die geltenden kulturellen Codes sowie die Grenzen des Sagbaren zu verschieben. Das gilt zweifelsohne auch für das Varieté. Mit Foucaults Heterotopien verbindet es, dass es zu jenen Räumen gehört, »die die sonderbare Eigenschaft haben, sich auf alle anderen Platzierungen zu beziehen, aber so, daß sie die von diesen bezeichneten oder reflektierten Verhältnisse suspendieren, neutralisieren oder umkehren.« (Foucault 1991: 68) Schon Roland Barthes hatte hervorgehoben, die »Künstlichkeit« der ausgestellten Geste, »ihre Ablösung von jeder Ursache, ihr Auskosten als Spektakel und nicht als Bedeutung«, sei die »ursprüngliche Ästhetik des Varietés.« (Barthes 2013: 230)2 Das ist aber nur die halbe Wahrheit, weil die Bühnenperformanz so als isolierter Raum verstanden und nicht nach darüber hinausgehenden Interaktionen gefragt wird. Dafür ist der Bezug auf Turners Ritualtheorie geeignet: Mit Turners Räumen der Liminalität, in denen sich Individuen oder Gruppen befinden, nachdem sie sich rituell von der herrschenden Sozialordnung gelöst haben, verbindet das Varieté seine Eigenschaft, eine Experimentierbühne für neue kulturelle und soziale Formen zu sein, bei der offen bleibt, ob und inwieweit aus den transitorischen Umcodierungen dauerhafte neue kulturelle Formen entstehen können und sollen (vgl. Turner 2000).3 Die mit dem Transitraum verbundenen symbolischen Umcodierungen können für die Betroffenen bzw. die Akteure sowohl Gewinne wie auch Verluste bedeuten. Ebenso ist zu prüfen, wie das Verhältnis von Transitraum und Räumen außerhalb davon ist, und zwar schon deshalb, weil Transiträume per definitionem Durchgangsräume sind.

In ihrer großen Zeit, also zwischen der Mitte des 19. und der Mitte des 20. Jahrhunderts, waren die Varietés Orte, die neben dem Vergnügen an Musik, Tanz und Artistik auch das an der Grenzüberschreitung verkauften. Dazu gehörte die Satire, wie sie in den Café-concerts und den Wiener Singspielhallen gepflegt wurde, aus denen das österreichische Kabarett entstand. Dazu gehörte aber auch die Durchbrechung sexueller Tabus, wie sie in den Pariser Varietés mit ihrer Verbindung von Erotik, tänzerischem Können und Bühnenperformanz bis hin zu den technisch aufwendigen Revuen inszeniert wurde.

Das Varieté ist mit dem Theater verwandt, hat aber auch seine Verbindung zum Zirkus nie ganz gekappt; das prototypische Zirkuspferd wurde dabei durch dasjenige Tier ersetzt, mit dessen Hilfe man die durch Darwin wieder brisant gewordene Grenze zwischen Mensch und Tier am besten inszenieren konnte: den Affen. So waren z.B. im Prager Théâtre Variété zwischen 1908 und 1917 immer wieder Vorführungen dressierter Schimpansen zu sehen, über die breit berichtet wurde (vgl. Binder 1983: 271-305; Bauer-Wabbneg 1986: 127-159).

Unter den Prager Zuschauern dürfte sich auch Franz Kafka befunden haben; jedenfalls hat er die Berichterstattung verfolgt, und sie zählt – neben literarischen Darstellungen mit dem Motiv ›Der Affe als Mensch‹, Texten wie Brehms Tierleben und Hagenbecks Von Tieren und Menschen sowie Darwins Evolutionslehre – zu den Grundlagen für seinen 1917 erschienenen Bericht für eine Akademie. In dieser Erzählung berichtet bekanntlich der ehemalige Affe Rotpeter über seine Menschwerdung, d.h., er soll darüber berichten, aber der entscheidende Teil fehlt, da am Beginn dieser ›Humanisierung‹ zwei Schüsse und die Gefangennahme standen, ein Trauma, das die Erinnerung an alles, was vorher war, ausgelöscht hat.

Als Rotpeter nach den Schüssen erwacht, befindet er sich in einem Käfig, dessen drei Wände an einer Kiste festgemacht sind: »die Kiste also bildete die vierte Wand.« (Kafka 1996: 302) Die ›vierte Wand‹ bezeichnet, vor allem in der Theorie des naturalistischen Theaters, die zum Publikum hin offene Seite der Guckkastenbühne, also eine nur imaginäre Wand, die die Theaterfiguren jedoch nicht durchschreiten können (vgl. Martens 1987: 725). Rotpeter entdeckt bald »zwischen den Brettern eine durchlaufende Lücke« (Kafka 1996: 303). Sie scheint zunächst zu klein zu sein, um hindurch zu können, dann aber werden daraus für ihn die ›Bretter, die die Welt bedeuten‹ – freilich als Varietébühne.

Für Rotpeter wird das Varieté zum ›Ausweg‹, aber auch zur Endstation. Es wird zum Ausweg aus dem Käfig, ist aber von Anfang an ›nur‹ ein Ausweg, da ›Freiheit‹, ›Freiheit nach allen Seiten‹, nicht zu haben ist. Ob es ›Freiheit nach allen Seiten‹ überhaupt geben kann, ob sie einer früheren ›Affenfreiheit‹ Rotpeters entspricht, das ist mehr als fraglich, denn sie wird als Mimesis von nicht Vorhandenem beschrieben oder als Prophezeiung, die nur retrospektiv plausibel zu sein scheint. Wegen solcher Ambivalenzen konnte es den Streit darüber geben, ob der Bericht, gelesen als Parabel über die Schwierigkeiten der jüdischen Assimilation, nun als Kritik oder Befürwortung des Zionismus zu verstehen war. Darwinistisch gelesen offenbarte er, dass die Evolution kein Ziel hatte, sondern dass es immer »so weiter geht«, eine Bewegungsart, über die Benjamin in einem seiner Zentralpark-Fragmente bemerkt, eben sie sei die »Katastrophe« (Benjamin 1974: 683). Im Namen der ›Freiheit‹ ›Auswege‹ aus dem Käfig zu suchen, ist überlebensnotwendig (und bewahrt Rotpeter vor dem Wahnsinn, dem seine Gefährtin anheimgefallen ist), aber bereits die Annahme, der ›Ausweg‹ habe überhaupt irgendetwas mit ›Freiheit‹ zu tun, mag eine ›Täuschung‹ sein. Das Wissen darum ist kennzeichnend für Rotpeters Fähigkeit zur Erkenntnis und Darstellung der Paradoxien, in denen er gefangen ist. Einen Ausweg daraus, der über ihre Darstellung in eine ›Freiheit‹ führen würde, findet er nicht – und einen solchen Ausweg kann es, seiner Einsicht zufolge, auch nicht geben. Diese Situation ist die des Varietés. Rotpeter ist Varietékünstler, auf und hinter der Bühne auch Philister, er ist eine tragische, komische, groteske Hybridfigur. Für ihn wurde somit das Varieté zweifelsohne zum Transitraum, aber zugleich auch zur Endstation: kein Affe mehr und kein Mensch – stattdessen die Grimasse des Varietékünstlers, der im Transitraum stecken geblieben ist.

Im selben Jahr 1917, in dem Kafkas Erzählung in der von Martin Buber herausgegebenen Zeitschrift Der Jude erschien, wurde Freda Josephine McDonald Augenzeugin der East St. Louis Riots, die zu den schlimmsten Rassenunruhen in der neueren amerikanischen Geschichte zählen. Für das damals elfjährige Kind wurde dieses traumatische Ereignis zum Auslöser für eine Flucht aus dem Rassismus, die sie – unter dem Namen Josephine Baker – ins Varieté führte.

Im Folgenden soll den zahlreichen Deutungen von Kafkas Bericht keine weitere hinzugefügt werden. Die Erzählung wird lediglich zu heuristischen Zwecken herangezogen, insoweit sie zum Nachdenken über die Möglichkeiten, aber auch die Zwänge und Abgründe des Transitraums Varieté einlädt. Die Konstellation Kafka / Baker ist allerdings auch geeignet, neue Perspektiven auf Josephine Baker zu eröffnen. Die aktuelle Baker-Forschung tendiert zu zwei Homogenisierungen: Bakers Performanz erscheint häufig nur noch als (zudem intendierter und kontrollierter) subversiver Akt,4 und das Publikum wird meist gleichgesetzt mit dem männlichen weißen kolonialen Blick. Das Phänomen ›Baker‹ mit Kafka zu lesen, kann hier zu einer stärkeren Differenzierung beitragen. Dabei muss, schon aus methodischen Gründen, der kulturkritische Diskurs über Baker stärker im Vordergrund stehen als Ausführungen über ihre mutmaßlichen Intentionen.

2. Josephine Baker

Josephine Bakers Varietékarriere war in allem das Gegenteil von Rotpeters ›Ausweg‹: Für die junge farbige Analphabetin führte sie aus den USA mit ihrer gesetzlich verankerten Rassendiskriminierung in das Paris Noir der Zwischenkriegszeit, jener Blütezeit afroamerikanischer Kultur in der französischen Metropole, deren unumstrittener Star sie wurde und die sie zu einem großen Teil selbst formte – eine eindrucksvolle Geschichte vom self-empowerment einer schwarzen Frau, die zum ersten schwarzen Superstar wurde.5

War es so?

2.1 Primitivismus

Ihren Durchbruch erzielte Baker damit, dass sie zwei Dinge kombinierte: eine ganz außergewöhnliche tänzerische Begabung, die es ihr z.B. ermöglichte, spontan zwischen den Takten zu steppen und Rhythmen zu überschneiden (vgl. Hammond / O’Connor 1992: 129), und ausgesprochen primitivistische Inszenierungen in Shows wie La Revue Nègre oder La Folie du jour. Diese Kombination erzeugte beim hingerissenen Publikum den Eindruck von unbändiger Spontaneität und überwältigender Lebensfreude.

Der Preis dafür war das Klischee des Naturkinds als junger Frau, der ›schwarzen‹ weiblichen Sexualität, die man, weil sie jetzt vollständig arglos-kindlich daherkam, angstfrei genießen konnte. Die ikonisch gewordene Pose mit herausgestrecktem Gesäß und erhobenen Armen tat ein Übriges: Man zog Parallelen zum Kubismus und zur expressionistischen Plastik sowie zu Baudelaires Venus noire. Das legt die Frage nach den Beziehungen zu einer anderen, allerdings sehr realen ›schwarzen Venus‹ nahe: Sara Baartman, der jungen südafrikanischen Khoi-Frau, die 1810 nach Großbritannien verbracht und dort sowie später auch in Frankreich bis zu ihrem Tod 1815 wegen anatomischer Besonderheiten öffentlich ausgestellt und zur berühmt-berüchtigten ›Hottentotten-Venus‹ wurde.6

Wenn Baartman, deren Skelett, Gehirn und Genitalien zu Bakers Zeit im Pariser Musée du Trocadéro aufbewahrt und ausgestellt wurden, zu Lebzeiten, am Beginn des 19. Jahrhunderts, als hässliche und primitive, mithin monströse ›Hottentotten-Venus‹ verspottet wurde, war dann die als Venus noire gefeierte Baker etwas anderes als ihre schöne kindliche Schwester? Gewiss: Baartman gab zwar an, sich freiwillig in Europa aufzuhalten und dort aufzutreten, sie war aber immer in den Händen von ›Impresarios‹ und froh, der ungleich grausameren kolonialen Gewalt im Kapland entkommen zu sein. Insofern war sie mindestens ein Opfer struktureller Gewalt. Baker hingegen arbeitete auf eigene Rechnung, aber war das etwas anderes als der Wechsel zur Selbstausbeutung? War das Pariser Varieté etwas anderes als die Reinszenierung der im Primitivismus geläufigen Grenzziehung zwischen ›eigen‹ und ›fremd‹, ein othering unter umgekehrten Vorzeichen?

Ja, vielleicht war es auch das. Denn ein nicht unerheblicher Teil des Publikums nahm Baker als spezifisch ›modernes‹ Phänomen wahr, als eine spannungsreiche Verbindung der Gegensätze hoch und niedrig, erhaben und komisch, entfesselt und statuenhaft, oberflächlich und tief, primitiv und modern, männlich und weiblich, Afrika und Amerika, Authentizität und Künstlichkeit, Verlockung und Verspottung u.a.m.7

Harry Graf Kessler z.B. beschrieb Baker in der Revue Nègre als ein »Mittelprodukt zwischen Urwald und Wolkenkratzer; ebenso ihre Musik, der Jazz, in Färbung und Rhythmus. Ultramodern und ultraprimitiv.« (Kessler 1961: 458) Alfred Polgar sah die Modernität in einer Ästhetik des Grotesken und Absurden und wusste dabei das Publikum hinter sich:

Josefine Baker […] macht von ihrer Anmut und Geschmeidigkeit nur zu groteskem Zweck Gebrauch. […] [E]ine Verdammte aus der Hölle der Absurdität, so tanzt sie Bauch, tanzt Rücken, Schultern und alles andere (im Rhythmus wider diesen), entwickelt, indem sie Grazie verhöhnt, aufs vollkommenste eben diese. Dem Zuschauer mißfällt die Sache wunderbar. Es ist ein singulärer Fall von Bezauberung durch Abstoßen. (Polgar 1926: 3)

Yvan Goll schließlich berichtete 1926 in der einflussreichen Literarischen Welt aus Paris, dass Baker und ihre Truppe mit ihrer karikaturistischen Vermischung von Primitivität und Modernität, Afrika und Amerika das Primitive als Kunstprodukt europäischer Phantasie vorführten:

Sie haben alle ihr kreppiertes Wollhaar nach einer neuen in New York kürzlich gemachten Erfindung ölglatt gestrichen. Und auf diese runden Köpfe stülpen sie Hüte aus allen Moden, aus 1830, 1900 oder von Lewis. Diese Mischung ist von einer glühenden Ironie. In einem brokatenen Kleid von Poiret wird der Bauchtanz aufgeführt. Vor einer Kirche, die von Chagall gemalt sein könnte, tanzen sie in bürgerlichen Röcken, wie Weiber, die auf den Markt gehen, um einen weißbebrillten Pastor, der das Banjo bläst (die amerikanischen Neger sind fromme und gläubige Christen, man höre sich nur ihre modernen Lieder an!)[,] einen Tanz, den man im Hof eines weiblichen Tollhauses erwarten könnte.

Das alles mutet an wie eine bleckende Parodie auf uns, auf alles. Und es ist Parodie. Und sie verulken sich selbst, wenn sie mit demselben Hohn, nur mit dem üblichen Lendenschurz und – einem seidenen Brusthalter angetan, den ›Tanz der Wilden‹ vorführen. (Goll 1983: 257)

Die Musiker seien ebenfalls Schauspieler: »Sie helfen noch mit, das Parodistische zu unterstreichen.« (Ebd.: 258) Goll betont ferner, dass hier kein Naturraum suggeriert, sondern ein Geschichtsraum kenntlich werde, dass die Tänzer nicht aus einem unberührten und geschichtslosen Afrika kämen, sondern

aus dem dunkelsten New York. Sie waren da verachtet, geächtet, aus einem miserablen Ghetto mögen diese schönen Frauen gerettet worden sein. Diese prachtvollen Glieder badeten in Abspülwasser. Sie kommen gar nicht aus dem Urwald. Wir wollen uns nichts vormachen. […] Sie tanzen mit ihrem Blut, mit ihrem Leben, mit allen Erinnerungen ihrer kurzen Geschichte: Erinnerungen an die Auswanderung auf stinkenden Schiffen, an die erste Proletenarbeit in Amerika, an viel Unglück. (Ebd.: 257)

Das waren keineswegs Einzelmeinungen, und offenbar trafen sie etwas im Selbstbild Bakers. Jedenfalls stand am Beginn ihrer ersten, gemeinsam mit dem Journalisten Marcel Sauvage verfassten Autobiographie – erschienen 1927, als Baker 21 Jahre alt war – ein langer Auszug aus einer Besprechung der Revue Négre von Pierre de Régnier, in der hybride Mischungen und Grenzverschiebungen dominieren:

Ist es ein Mann? Ist es eine Frau?

[…] Der Körper windet sich wie ein Saxophon und die Musik des Orchesters scheint daraus zu entspringen…

Verquetscht und Fratzen schneidend schielt sie, bläst die Backen auf, verrenkt sich, macht Spagat und läuft schließlich auf allen Vieren davon, mit steifen Beinen, den Hintern höher als den Kopf, wie eine junge Giraffe.

Ist sie scheußlich? Ist sie reizend? Ist sie schwarz, ist sie weiß? Hat sie Haare oder ist der Schädel schwarz angestrichen?

Niemand weiß es. Wie soll man es wissen – in der Eile? Und wie sie ging, kommt sie wieder, schnell wie das Tempo eines One-Step.

Das ist keine Frau, das ist keine Tänzerin, das ist eine ebenso unfaßbare und außerordentliche Angelegenheit wie die Musik selbst --- gewissermaßen das Ektoplasma aller Töne, die man hört… (Baker 1980: 13)

Das Erneuerungsversprechen, das sich für substantielle Teile des Publikums mit dieser Selbstdarstellung verband, war nicht das der primitivistischen Einfachheit, sondern es war mit Brechungen versehen. Wenn es darum ging, in Baker das Schwarze in sich selbst zu entdecken, dann war dieses ›Schwarze‹ für weite Teile des Publikums die eigene Freude an der Auflösung des Entweder-oder, die Freude an der Hybridität.

2.2 Bananentanz

Zum Dreh- und Angelpunkt dieser Reaktionen wurde der legendäre Bananentanz in der ersten Revue, in der Baker als Star debütierte: La Folie du Jour (1926 / 27). Baker erschien mit einem Bananengürtel bekleidet auf der Bühne.

Diese an sich schon witzige Idee wirkte noch amüsanter, wenn die Baker zu tanzen anfing und die Bananen in Bewegung gerieten, lauter munter hüpfende, freundliche Phallussymbole. Sie kam lachend auf die Bühne, lachte über alles. Sie schien allgegenwärtig zu sein. Sie tanzte, mimte Sex. Sie bot sich an, zog das Angebot zurück, bot sich wiederum an, machte abermals einen Rückzieher und brach in Gelächter aus. (Rose 1990: 141)

Das Faszinierende dieses Auftritts liegt darin, dass Baker – bewusst oder nicht – die unauflösliche Ambivalenz des kolonialen Begehrens inszeniert und dafür die Interferenz von sexuellem und kolonialem Begehren einsetzt.8 Das sexuelle Begehren richtet sich auf die Frau, das koloniale Begehren – in den 1920er Jahren hochaktuell – aber zugleich auf die Bananen. Im ersten Fall indiziert die Frau, psychoanalytisch gesprochen, den Mangel des Begehrenden,9 im zweiten Fall die Fülle: Sie hat den / ist der Phallus. Im ersten Fall ist das Begehren des männlichen Publikums ein heterosexuelles, im zweiten ein homosexuelles. Oder der weibliche Körper ist plötzlich ein phallisch-mütterlicher geworden und hat eine unheimliche Verwandtschaft mit schwarzer Männlichkeit, die ihn auf der Bühne ja auch umringt wie der Bananenkranz die Hüfte. Keine dieser Deutungsmöglichkeiten beendet den gender trouble des weißen Subjekts. Die schwarze Männlichkeit auf der Bühne ist aber nicht nur Bedrohung für das Publikum, sondern auch Konkurrenz und Spiegel, Einladung zur Identifikation – das steht quer zur kolonialen Projektion.

Baker hat ein Übriges getan und die Form der Bananen im Laufe der Jahre verändert, wobei sie mehr und mehr ins Blickfeld rückten und ihr phallischer Charakter zunehmend betont wurde: von den kleinen, schlaff herabhängenden Bananen im Jahr 1926 über aufwärts gerichtete mit Spitzen bis hin zu ihrer vollständigen Transformation in große Stacheln bei ihrem Auftritt in den New Yorker Ziegfeld Follies 1936.10

In dieser ›modernen‹, ›hybriden‹ Sicht war Baker das Gegenteil von Baartman: nicht das missing link zum Tierreich, sondern eine Form von métissage, die die kolonialen und primitivistischen Dichotomien unterlief. Diente Baartman der Essentialisierung rassischer Differenz, so führte Baker vor, dass dergleichen ein Effekt einer Performanz ist, die sie perfekt beherrschte. Die Faszination dieses Teils des Varietépublikums, das sich auf die Irritationen der kolonialen Ambivalenz einließ, beruhte auf der Lust an der Ambivalenz, der Widersprüchlichkeit, dem schnellen Wechsel konträrer Identifikationen – auch cross culture, cross race, cross gender etc.

Der Bananentanz fällt in dieser Sicht der Dialektik von Freiheit und Ausweg nicht zum Opfer, sondern er stellt diese dar. Die Performance Bakers rückt damit in die Nähe von Kafkas Bericht. Auch diese literarische Inszenierung, die den Affen auf die Bühne namens Akademie holt, weist die Widersprüche aus, ohne sie aufzulösen – und das intellektuelle Vergnügen an Kafkas Text besteht genau darin, sich diesem Vexierbild auszusetzen.

Viel stärker als Rotpeter mit seinem ›Affentum‹ muss Baker aber mit dem kokettieren, was parodiert werden soll. Die Spielregel lautete: Ihr Gesäß war das von Sara Baartman und es war es nicht. Wenn die Darstellung des Stereotyps seine Kehrseite, mithin die vollständige Ambivalenz des Fetischs zeigen kann, dann gilt eben auch umgekehrt: Die Kehrseite der verfremdenden Inszenierung ist, wie bei allen subversiven Verfahren, dass das Stereotyp dafür immer wieder mit inszeniert werden muss.

Vielleicht wollte Baker nicht Opfer eines unersättlichen Publikumshungers nach Subversion werden, vielleicht ließ sich diese Bühnennummer nicht endlos variieren, vielleicht sah Baker wie alle Stars die Notwendigkeit, etwas Neues zu bieten, bevor das Publikum begann sich abzuwenden, vielleicht hatte sie aber auch ein Unbehagen an der unfreiwilligen Dialektik primitivistischer Subversion und der damit verbundenen – um es zuzuspitzen – Selbstprostitution.11 Jedenfalls nahm sie in den 1930er Jahren Abschied vom Primitivismus.

Dazu trugen die Zeitumstände – die Erfahrung des Rassismus in den USA und die Entwicklung in Deutschland – entscheidend bei. Baker suchte 1939 als Schwarze, die mit einem französischen Juden verheiratet war, Anschluss an die Internationale Liga gegen Rassismus und Antisemitismus (vgl. Hammond / O’Connor 1992: 189, 204).

Sie arbeitete als eine der wenigen Bühnenstars für die Résistance, wurde dafür mehrfach – auch von de Gaulle persönlich – ausgezeichnet, setzte nach dem Krieg ihr im Varieté erworbenes symbolisches Kapital gegen den Rassismus in den USA ein, wurde eine wichtige Bezugsfigur in der Bürgerrechtsbewegung und nahm 1963 am Marsch auf Washington teil, wo sie – in ihrer Uniform als Leutnant der Résistance bzw. der Freien Französischen Luftwaffe – als einzige Frau neben Martin Luther King sprach (vgl. ebd.: 260f.). Nach ihrem Tod im Jahr 1974 erhielt sie wegen ihrer Verdienste für die Französische Republik ein großes Staatsbegräbnis in der Madeleine. Das ist eine beeindruckende Biographie, bei der aus der ursprünglichen Flucht vor dem Rassismus zunehmend ein offensiver Kampf gegen ihn wurde.

3. Köln 1953

Im März 1953 kommt Baker zum Abschluss einer Deutschlandtournee nach Köln. Mit Bakers Biographie, gerade auch der politischen, ist die deutsche Öffentlichkeit zu diesem Zeitpunkt bestens vertraut, auch mit ihrem jüngsten Plan, vier Waisenkinder aus vier Kontinenten zu adoptieren, um damit ein Zeichen für Völkerverständigung zu setzen – der Beginn ihrer sogenannten Regenbogenfamilie.12

Zur Überraschung des Publikums bleibt Baker auf der Bühne der Kölner Hahnentorlichtspiele, dem seinerzeit modernsten und größten Veranstaltungssaal der Stadt, nicht allein: Zwölf schwarz geschminkte und mit hohem Kopfschmuck, Gewändern, Speeren und fellbespannten Trommeln unverkennbar als ›Neger‹ kostümierte Kölner Bürgerinnen und Bürger, allesamt Mitglieder des Vereins Kölsche Afrikaner, betreten die Bühne, um ihr, wie sie sagen, eine ›afrikanische Ovation‹ zu bereiten und Baker sodann als Ehrenmitglied in ihren Verein aufzunehmen.

Eine gespenstische Konstellation: Der amerikanisch-französische Weltstar, der Afrika nur im Rahmen des Krieges gegen ein rassistisches Deutschland betreten hat, wird nur acht Jahre später von eben diesen Deutschen, dem alten Rassenschema aufs Freundlichste folgend, aufgrund der Hautfarbe eingeladen, Ehrenmitglied der ›Kostümneger‹ zu werden.

Im Zusammenhang dieses Beitrags ist es zugleich eine kafkaeske Szene. Man darf an Fanons nur ein Jahr zuvor in seinem Werk Schwarze Haut, weiße Masken (1952) beschriebene Urszene denken: der gebildete Schwarze aus den Kolonien, der in der Metropole wähnt, ein ›Weißer‹ zu sein, bis er hört, wie ein Kind zu seiner Mutter sagt: »Sieh mal, ein Neger!« (Fanon 1985: 79). Da ist er wieder: Rotpeters Käfig. Und was ›Freiheit‹ zu sein schien, war nicht einmal ›Ausweg‹.

Wie reagiert Baker bei dieser Begegnung mit Kafka in Köln? Die lokale Presse hat es in Wort und Bild überliefert: Baker nimmt sowohl die ›afrikanische Ovation‹ wie die Ehrenmitgliedschaft der Kölschen Afrikaner gerne an und posiert auch für ein Starfoto.13

Was ist hier geschehen? Hat Baker den Rassismus nicht bemerkt, der darin lag, sie zur ›Negerin‹ abzuwerten, um sie anschließend emporzuheben? Hat sie ihn bewusst ignoriert, um den Auftritt und ihr Image als Dame mit Herz nicht zu gefährden? Das ist unwahrscheinlich angesichts so vieler vergleichbarer Situationen. Hat sie in der Freundlichkeit der ›Afrikaner‹ vielleicht nicht nur die Herablassung erkannt? Vermutlich.

Sie mag gesehen haben, dass die Freundlichkeit auch den ›Negern‹ galt. Die Kölschen Afrikaner verstanden sich nicht als Karnevalsverein, sondern als ›Kulturklub‹. Ihr Vorsitzender wurde später in der Presse mit den Worten zitiert: »Josephine Baker ist eine Farbige; wir wollen zeigen, daß wir es nicht für unter unserer Würde halten, uns mit den Sitten und Gebräuchen afrikanischer Stämme zu befassen.« (O.A. 1953c)

Auch die Kölschen Afrikaner spielen eine Form von Varieté, und es wäre zu fragen, welche. Der Auftritt mit Baker und die zitierte Programmatik sind nicht nichtrassistisch.14 Selbst wenn man guten Willen unterstellt – es gibt keinen Grund, das nicht zu tun –, handelt es sich um eine ganz monologische und auf die Nachahmung von Formen, Kleidung und Gerätschaften begrenzte Form der ›Verständigung‹ mit ›Völkern‹, die auf ›Stämme‹ reduziert werden.

Abbildung: Josephine Baker und Kölsche Afrikaner, 1953

Andererseits ist dieses Verhalten etwas anderes als derjenige Rassismus, den Baker bekämpfte, und etwas anderes als die ›Schwarze Schmach‹-Propaganda mit ihrer Rede vom ›Negerbastard‹. An deren Stelle tritt 1953 eine Form von ›Negrophilie‹, die – unbeholfen und paternalistisch – Abschied zu nehmen versucht vom Rassismus.15 Es ist gut möglich, dass dabei Baker ebenso wenig wie den Kölschen Afrikanern bewusst war, was aus heutiger Sicht so ins Auge springt: das Fortleben des Rassismus in einem Exotismus, der an den ›Rassen‹ festhält, aber ihre Gleichwertigkeit postuliert – solange davon die eigene Position ausgenommen ist, die allein Anerkennung aussprechen kann. Was das angeht, hatten Bakers ›Regenbogenfamilie‹ und die Negrophilie der Kölschen Afrikaner durchaus vergleichbare blinde Flecken.16 Kann man umgekehrt dann auch den Kölschen Afrikanern attestieren, dass sie das Varieté, in dem sie gemeinsam mit Baker auftreten, als Transitraum nutzten?

4. Dialektik eines Transitraums: ein Fazit

Baker war 1953 in Köln mit Sicherheit völlig klar, dass die ihr angetragene ›Ehrenmitgliedschaft‹ ein Witz war. In Wahrheit wollten natürlich die Kölschen Afrikaner durch Baker ›geehrt‹ und aufgewertet werden: durch den Weltstar, aber das bedeutete auch, das war damals jedem Deutschen bewusst, durch den ›farbigen‹, wegen seiner Agententätigkeit gegen Deutschland hoch dekorierten Leutnant der Résistance. Wer ist dann bei den Ovationen Rotpeter, wer das Publikum? Wer assimiliert sich an wen?

Im Jahr 1953 – und auch noch lange danach – wäre es für die allermeisten Deutschen undenkbar gewesen, in vergleichbarer Weise etwa Marlene Dietrich zu feiern. Sie hatte wie Baker zunächst von Frankreich aus Flüchtlinge aus Deutschland und emigrierende Künstler unterstützt und sich dann bei der – US-amerikanischen – Truppenbetreuung engagiert und war dafür in den USA wie in Frankreich hoch dekoriert worden. In Deutschland aber galt sie bis zu ihrem Tode als ›Vaterlandsverräterin‹. Erst postum, 2002 – im selben Jahr, in dem endlich Baartmans sterbliche Überreste in Südafrika beigesetzt wurden –, erhielt sie die Ehrenbürgerschaft Berlins.

›Vaterlandsverräterin‹ – das war die typische Emigrantenprojektion der daheimgebliebenen Vaterlandsfreunde, die ihren eigenen Verrat und ihre eigene Schuld nicht sehen wollten. In die Ovationen für Baker aber geht davon etwas ein, gerade weil man nichts eingestehen muss. So gesehen, war die Kölner Szene vielleicht in der Tat ein kleines Stück Aufarbeitung der Vergangenheit – in einer für die 1950er Jahre wohl typischen Mischung aus Aufbruch und Reaktion, kultureller Öffnung und Fortbestand völkischen und rassischen Denkens, programmatischer Neuorientierung und Schweigen über Schuld, Selbstinszenierung und Sentimentalität, Ethnozentrismus und Exotismus. Möglich geworden ist das durch den Transitraum Varieté, jenem, mit Turner gesprochen, liminalen Raum, aus dem beide Parteien kamen und in dem sie sich trafen. Josephine Baker wurde Ehrenmitglied der Kölschen Afrikaner. Im Varieté ist nicht alles, aber vieles möglich. Oder, um mit Kafka die Grenzen zu betonen: Der Dialektik des Varietés, der Dialektik von ›Ausweg‹ und ›Freiheit‹, ist auf der Kölner Varietébühne keiner entkommen.

Anmerkungen

1 | Eine Kurzfassung dieses Beitrags ist zwischenzeitlich erschienen in: Immer / Kugler / Ruge 2015.

2 | Barthes’ Sicht auf das Varieté (›zum Mythos erhobene Arbeit‹) ist allerdings dadurch begrenzt, dass er vor allem Jongleure, Akrobaten und Komiker vor Augen hat, also die Nähe zum Zirkus betont, nicht die zum Theater.

3 | Marc Augés Theorie der Transiträume als Nicht-Orte hingegen ist für eine Analyse von Räumen wie dem Varieté, bei denen es um soziale Beziehungen und ein Spiel mit Identitätsentwürfen geht, wenig geeignet.

4 | Vgl. Borshuk (2001) oder Romero Ruiz, die zwar daran erinnert, dass »[m]any black people have felt that she betrayed a bit of their heritage«, dann aber dekretiert: »Josephine Baker did not betray her ancestral past and traditions.« (Romero Ruiz 2012: 136)

5 | Vgl. den Titel von Suzanne Phillips Dokumentarfilm Josephine Baker. The First Black Superstar (GB, 2009).

6 | Zu den anatomischen Besonderheiten Baartmanns gehörte in den Augen der Europäer ihre Steatopygie (Fettsteiß). Nach ihrem Tod wurde der Leichnam seziert und zum Teil konserviert. Erst 2002 erfolgte die Überführung der sterblichen Überreste nach Südafrika und deren Beisetzung. Vgl. u.a. Crais / Scully (2009); Abdellatif Kechiche (Vénus noire, 2010) hat ihr Leben in eindrucksvoller Weise verfilmt.

7 | Vgl. etwa Adolf Loos’ Entwurf eines Hauses für Baker (1926), Alexander Calders Drahtskulpturen, Bakers Stilisierung zur ›Schwarzen Venus‹ (z.B. auf dem berühmten Foto von George Hoyningen-Huene, 1929) und zahlreiche französische und amerikanische Besprechungen ihrer Auftritte. Die Wahrnehmung Bakers als eines spezifisch modernen, hybriden (›amerikanisch-afrikanischen‹) Phänomens belegen auch zahlreiche Abwehrreaktionen, zu denen u.a. die Figur der Betty Floyd in Bruno Franks Politischer Novelle (1928) gehört. Zu Bakers Spiel mit dem Gegensatz von Authentizität und Künstlichkeit vgl. Gumbrecht (2001: 248-250); Gumbrecht greift damit den Grundgedanken Barthes’ auf (vgl. Anm. 2). Das von ihm hervorgehobene Flächige, stets nur die Oberfläche Zeigende und jede ›Tiefe‹, jede ›Authentizität‹ Verweigernde von Bakers Performanz ist eine Facette der Hybridität.

8 | Zur kolonialen Ambivalenz vgl. Bhabha (2000: 97-124; Die Frage des Anderen: Stereotyp, Diskriminierung und der Diskurs des Kolonialismus). Die Unauflöslichkeit resultiert für Bhabha daraus, dass jedes Stereotyp und jeder Fetisch immer auch seine Kehrseite mit thematisiert. Die Überschneidung von kolonialem und sexuellem Begehren war bereits mit der Figur der Fatou verbunden, die Baker in ihrer Revuenummer spielte. In Pierre Lotis populärem und schon 1914 von Henri Pouctal erstmals verfilmtem kolonial-exotistischem Roman d’un spahi (1881) ist Fatou-gaye die Geliebte des im Senegal stationierten französischen Soldaten Jean Peyral. Nach dessen Tod in einem Gefecht tötet Fatou-gaye zunächst das gemeinsame Kind und dann sich selbst. Die Figur ist, wie angesichts der Transgression der ›Rassenschranke‹ zu erwarten, ambivalent gezeichnet, in ihr verbinden sich – von Baker offenkundig aufgegriffene – Züge des Kindlich-Komischen und (explizit) ›Äffischen‹ mit der Fähigkeit, für sich selbst zu sprechen und zu handeln, und tragischer Größe.

9 | Die Banane war zu Bakers Zeit als koloniales Luxusgut ein weit verbreitetes Bühnenrequisit, ihre Deutung u.a. als Phallussymbol dürfte Common Sense des Publikums gewesen sein. Bananengürtel und Tanz (was keineswegs dasselbe ist) sind in der Forschung häufig auch aus psychoanalytischer Sicht kommentiert worden (vgl. u.a. Sowinska 2005 / 2006).

10 | Vgl. die Abbildungen bei Hammond / O’Connor (1992: 92, 176f.) und Jules-Rosette (2007: 50-52). Mit der Form der Bananen hat Baker bereits von Anfang an experimentiert.

11 | Zu den Grenzen gehört natürlich auch die Frage, wer denn die Show in dieser Weise wahrnahm und wer nicht.

12 | Zu Bakers politischem Engagement im Zweiten Weltkrieg vgl. die Artikel im Westdeutschen Abendblatt (o.A. 1951), im Kölner Stadt-Anzeiger (o.A. 1953b) oder in der Welt am Sonntag (o.A. 1953a). Von Bakers Arbeit für die Résistance hatten überregionale Medien bereits 1948, als Abteys Darstellung La Guerre secrète de Joséphine Baker erschien, ausführlich berichtet (vgl. die Artikel im Spiegel [o.A. 1948] und der Zeit [Berdolt-Stieger 1948]).

13 | Für die Genehmigung zum Abdruck des Bildes auf der nachfolgenden Seite danke ich der Kölner Afrikanistin Marianne Bechhaus-Gerst (2004: 84f.), die im Besitz des Nachlasses der Kölschen Afrikaner ist.

14 | Hinzu kommt natürlich das Gendering: Es ist nicht überliefert und schwer vorstellbar, dass die Kölschen Afrikaner Louis Armstrong die Ehrenmitgliedschaft angetragen hätten.

15 | Ähnliches ist zur selben Zeit in der Auseinandersetzung über die ›Besatzungskinder‹ zu beobachten, etwa in dem Film-Melodram Toxi (1952) oder der am 12. März 1952 geführten Bundestagsdebatte über die ›Mischlingskinder‹, bei der die CDU-Abgeordnete Luise Rehling ausführte: »Eine besondere Gruppe unter den Besatzungskindern bilden die 3093 Negermischlinge, die ein menschliches und rassisches Problem besonderer Art darstellen. […] Bemühen wir uns daher, in Deutschland den Mischlingen nicht nur die gesetzliche, sondern auch die menschliche Gleichberechtigung zu gewähren! [… ] Ich meine, wir hätten hier die Gelegenheit, einen Teil der Schuld abzutragen, die der Nationalsozialismus durch seinen Rassendünkel auf das deutsche Volk geladen hat.« (Deutscher Bundestag 1952: 8507). Zum Umfeld dieser Debatten voller Negrophobie, Negrophilie, Exotismus, Xenophobie und einer ambivalenten Haltung insbesondere gegenüber der US-amerikanischen Besatzungsmacht gehören u.a. der Kölner Karnevalsschlager Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien (1948) und Koeppens Tauben im Gras (1951).

16 | Auch darüber hinaus lassen sich blinde Flecken und Grenzen von Bakers Antirassismus benennen, etwa angesichts ihrer Bereitschaft, sich 1931 zur Königin der Pariser Kolonialausstellung wählen zu lassen, oder ihres unbeirrbaren Festhaltens am Gaullismus. Die zur Staatsdoktrin der IV. und V. Republik gehörende Idee der ›Union française‹ bzw. der ›Communauté française‹ war ein Versuch, gegen den seit 1945 einsetzenden Verfall des Kolonialreichs die Herrschaft Frankreichs über die Kolonien in modifizierten Formen aufrechtzuerhalten. Diese Politik war zum Scheitern verurteilt: Bereits in den 1950er Jahren setzten u.a. Vietnam, Laos, Kambodscha, Marokko und Tunesien ihre Unabhängigkeit durch, bevor dann 1960 im ›Afrikanischen Jahr‹ 14 weitere Kolonien unabhängig wurden. Die Dekolonisierung war – für jeden sichtbar – nicht aufzuhalten. Warb Baker nicht als ›schwarze Mutter der Nation‹ für die Zugehörigkeit der Kolonien zum ›Mutterland‹? Andererseits unterstützte Baker seit den 1950er Jahren – wie einige andere französische und afroamerikanische Künstler und Intellektuelle – die antikoloniale Kulturpolitik Alioune Diops, der 1947 die Zeitschrift Présence Africaine und 1956 die Société Africaine de Culture (SAC) gegründet hatte.

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