Zum ersten Mal nach langer Zeit der politisch bedingten Funkstille konnte im Iran endlich wieder eine germanistische Konferenz stattfinden. Das letzte Germanistentreffen liegt dreizehn Jahre zurück: Das war 2003 in Isfahan. Vom 28. Mai bis zum 1. Juni 2016 veranstaltete das DAAD-Büro gemeinsam mit den germanistischen Abteilungen der iranischen Universitäten, insbesondere mit der Abteilung für deutsche Sprache und Literatur der Fakultät für Fremdsprachen an der Universität Teheran, eine Tagung »Zur deutschen Sprache im Iran: Zwischen Kultur, Wissenschaft und beruflicher Bildung«. Sie sollte nach dem Wunsch der verantwortlichen Organisatoren (für deren Umsicht und Hilfsbereitschaft Mostafa Maleki, Anna Kuhnt und Parisa Azari hier stellvertretend namentlich dankbar hervorgehoben seien) neben dem wissenschaftlichen Austausch über aktuelle Fragen der Literatur-, Kultur- und Sprachwissenschaft auch der wieder intensiveren akademischen Kooperation der beiden Länder dienen und die Rolle der Germanistik bei der Vertiefung der interkulturellen Verständigung betonen.
Dies ist sehr zu begrüßen, denn die deutsche Sprache hat im Iran aufgrund historisch guter Beziehungen zwischen beiden Ländern einen hohen bildungspolitischen Stellenwert. Das Netzwerk Deutsch weist in seiner jüngsten Erhebung (2015) im Iran immerhin 12.300 Deutschlernende aus, darunter ca. 6000 Studierende an vier Universitäten, die Deutsch anbieten. Die Veranstalter zählen etwas optimistischer oder haben aufgrund größerer Nähe den genaueren Einblick: Es gebe im Iran inzwischen 19.000 Deutschlernende, Studiengänge in Deutsch würden mit unterschiedlichen Schwerpunkten in BA-, MA- und PhD-Programmen an derzeit fünf iranischen Universitäten angeboten; weitere Angebote seien geplant und im Aufbau, um dem wachsenden Interesse junger Studenten am Deutschen gerecht zu werden. Aber auch außerhalb der akademischen und schulischen Institutionen werde Deutsch an zahlreichen Sprachinstituten vermittelt. So verzeichne das Sprachinstitut der Deutschen Botschaft (DSIT) allein schon 9000 Einschreibungen (Stand: 2014) und führe lange Wartelisten von Interessenten. Es gehöre damit zu den größten Sprachkursanbietern des Goethe-Instituts weltweit.
Die Konferenz in Teheran konnte an eine lange Tradition des interkulturellen Austauschs und der akademischen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Iran anknüpfen. Dazu gehörte im Rahmen der Germanistik auch die seit 2006 vom DAAD geförderte Institutspartnerschaft der Deutschabteilungen an den Universitäten Potsdam und Teheran (GIP). In jüngster Zeit erlauben die zarten Hoffnungen auf politische Öffnung und wirtschaftliche Kooperation auch neue Perspektiven auf die Entwicklung der Germanistik und des Deutscherwerbs im Iran. Die ansteigende Tendenz bei den Studieneinschreibungen ist dafür ein Indiz. Daraus ergeben sich eine Reihe inhaltlicher, curricularer, organisatorischer und struktureller Herausforderungen, die auch Gegenstand der Diskussion auf der Konferenz waren. Die Nachfrage iranischer Universitäten nach dem Aufbau und Ausbau einer eigenständigen Germanistik spielte dabei ebenso eine Rolle wie der Blick auf den iranischen Arbeitsmarkt, der gut ausgebildete Lehrkräfte braucht, die Deutsch kompetent zu vermitteln vermögen. Neben den neuen Entwicklungen in den etablierten Segmenten der Literatur- und Sprachwissenschaft, der DaF-Didaktik und der Übersetzungswissenschaft galt deshalb auch das besondere Augenmerk der Berufsorientierung in der Vermittlung des Deutschen als Fremdsprache, der deutschen Sprache in Wirtschaft und Wissenschaft, der Mehrsprachigkeit und der Regionalisierung.
Diesem Focus wurde – nach der festlichen Eröffnung mit Grußworten der Dekanin, des deutschen Botschafters, des Institutsdirektors sowie Repräsentanten des DAAD – der Impulsvortrag von Hermann Funk (Jena) zum Auftakt des Kongresses gerecht, indem er einen anschaulichen Überblick bot über Grundbegriffe, Lernziele und Perspektiven des Bereichs »Deutsch als Fremdsprache«. Zunächst grenzte er den allgemeinen Fremdsprachenunterricht (FU) vom fach- und berufsorientierten FU ab, um dann Modelle der Beschreibung berufsrelevanter Kompetenzen zur Diskussion zu stellen. Dabei beschränkte er sich nicht auf Fragen der Lexik in beruflichen Kontexten, sondern präsentierte eine Fülle von Beispielen polyvalenter Strategien zur Bewältigung berufssprachlicher Herausforderungen. Ein üppiges Abendessen im schönen Ambiente eines Gartenrestaurants im Norden Teherans bot zum Abschluss des ersten Tages Gelegenheit zu informellem Austausch.
Der zweite Tag wurde durch ein Podiumsgespräch eröffnet, in dem unter der Leitung von Christoph Schroeder (Potsdam) Vertreter des iranischen Bildungsministeriums, der Wirtschaft und des Deutschen Spracheninstituts (DIST) sowie der Universitäten (Zarkar Hassan Khan von der Universität Shahid Beheshti und Raed Faridzadeh von der Universität Teheran, der dabei u.a. auch noch einmal die Erträge der Germanistischen Institutspartnerschaft zwischen seiner Abteilung und der von Professor Schroeder hervorhob) Perspektiven der deutschen Sprache im Iran zu entfalten suchten. Schon die prominente Besetzung des Podiums unterstreicht die Bedeutung, die Politik und Wirtschaft gegenwärtig dem Thema beimessen.
Den Abendvortrag hielt dann Ernest W.B. Hess-Lüttich (Berlin / Bern / Stellenbosch) zum Thema »Zeichen der Stadt. Interkulturelle Sprachlandschaften im urbanen Raum«. Darin plädierte er dafür, städtische Räume als ›Texte‹ zu ›lesen‹, indem das Insgesamt der in ihnen gebrauchten Zeichen einer semiotischen Analyse unterzogen werde, weil mit dem ›Wie‹ urbaner Kommunikation ihre (sozio-)kulturelle Fassung in den Blick rücke. Im interdisziplinären Schnittfeld von Urban Studies, Raumwissenschaften, Ökosemiotik und Stadtsprachenforschung demonstrierte der Vortrag, wie neue Ansätze zur Erforschung städtischer Sprachlandschaften (linguistic landscapes) fruchtbar gemacht werden können, indem er diese in der exemplarischen Anwendung auf eine Straße im Berliner Szeneviertel um den Kollwitzplatz im Prenzlauer Berg des Berliner Bezirks Pankow veranschaulichte.
Am dritten und vierten Tag wurden den Teilnehmern jeweils zwei parallele Workshops geboten, die Themen der Tagung in einem anderen Format noch einmal vertieften. Christiane Nord (Heidelberg) und Seyed Saied Firuzabadi (Teheran) gaben einen Überblick über the state of the art der Translationswissenschaft in Deutschland, wobei sie anhand charakteristischer Texte Paradigmen des Übersetzens seit den Sechzigern bis heute und die wichtigsten Vertreter des Faches mit ihren Ansätzen vorstellten. Die beiden DAAD-Lektoren Otto Schnelzer (Brno / Brünn) und Andreas Waibel (Teheran) legten ihren Schwerpunkt auf die nationalen Varietäten der deutschen und österreichischen Umgangssprache, wobei sie den im Internet verfügbaren Atlas der deutschen Umgangssprache als Grundlage ihrer Einführung in die lexikalischen, morphologischen, syntaktischen, pragmatischen Besonderheiten des Sprachgebrauchs in Deutschland und in Österreich nahmen.1
Der Workshop über Forschungsfragen und -methoden im DaF-Bereich wurde für den erkrankten Bernd Müller-Jaquier (Bayreuth) dankenswerterweise kurzfristig von Hermann Funk (Jena) übernommen, einem der international erfahrensten Experten auf diesem Gebiet. Hier konnte er das in seinem Plenarvortrag skizzierte Arsenal methodischer Instrumentarien, die Konzepte zur Beschreibung berufsrelevanter Kompetenzen und die Ansätze zur didaktischen Aufbereitung berufsfeldorientierten Fremdsprachenunterrichts mit den Teilnehmern auf reicher Materialgrundlage einüben. Parallel dazu gab Jochen Vogt (Duisburg-Essen) eine Einführung in die interkulturelle Literaturdidaktik. Nach einer kurzen Skizze der Entwicklung des Faches insgesamt und der Ausfächerung moderner Arbeitsfelder zeigte der Leiter anhand eines kurzen literarischen Textes anschaulich, was eine konkrete Textanalyse mit verschiedenen Methoden und mit dem Ziel exemplarischen Lernens für die Interpretation zu leisten vermag.
Zum Abschluss der Tagung entwarf eine Runde jüngerer Germanisten unter der Leitung des DAAD-Lektors Dennis Schröder, der zugleich dem International Center Teheran (IC) vorsteht, im Rahmen einer zweiten Podiumsdiskussion potentielle Perspektiven der Kooperation im DaF-Bereich. Didar Dauwdi, Lektorin aus Erbil im Irak, Ahmad Khalil Sarbas aus Kabul in Afghanistan (der für Gholam Dastgir Behbud einsprang), Bernd Helmbold (Jena) und Matthias Jung (IKK, FaDaF) sowie der spontan hinzugezogene Assem El Ammary (von der Ain Shams Universität in Kairo) diskutierten angeregt mit dem Publikum und kamen einhellig zu dem Schluss, dass es nicht noch einmal dreizehn Jahre dauern möge, bis Germanisten sich wieder in Teheran zum Austausch gemeinsam interessierender Fragen ihres Faches versammeln mögen. Sogar die Idee der Gründung eines neuen Germanistenverbandes im Nahen Osten über alle ideologisch-religiösen Grenzen und politischen Differenzen hinweg wurde ernsthaft erwogen.
Das umfangreiche Sektionsprogramm, in dessen Rahmen fünf parallel tagende Gruppen aktuelle Fragen der Literaturwissenschaft und Komparatistik, der Sprach- und Übersetzungswissenschaft, der Sprach(en)politik und der Vermittlung des Deutschen als Fremdsprache erörterten, füllten die verbleibende Zeit an drei Tagen des Treffens überreich aus. Mit Blick auf die primären Interessen der Leserschaft dieser Zeitschrift geht der Bericht im Folgenden auf die Beiträge zur Sektion Literaturwissenschaft und Komparatistik etwas genauer ein und bietet danach einen kursorischen Überblick über die Themen der anderen Sektionen.
Die von Ernest W.B. Hess-Lüttich (Universitäten Berlin / Bern / Stellenbosch), Saeid Rezwani (Shahid Beheshti Universität Teheran) und Jochen Vogt (Universität Duisburg-Essen) geleitete (und mit vierzehn Vorträgen sowie drei Poster-Sessions umfangreichste) Sektion Literaturwissenschaft und Komparatistik wurde eröffnet mit einem Impulsvortrag von Ernest W.B Hess-Lüttich, der im Respekt vor Abū Alī al-Husain ibn Abdullāh ibn Sīnā (980-1037), dem im Westen meist kurz als Ibn Sina (oder lat. Avicenna) bekannten persischen Mediziner, unter dem Titel »Sprache, Literatur und Medizin« Bausteine zur Rhetorik- und Literaturgeschichte medizinischer Kommunikation zusammentrug. Denn das Interesse an der literarischen Reflexion medizinischen Handelns hat in der Literaturwissenschaft zwar längst zur Etablierung und akademischen Institutionalisierung eines eigenständigen Forschungsfeldes geführt, das sich in Sammelwerken und Überblicksdarstellungen niederschlägt, aber in den zahllosen Einzelstudien wird fast nie Bezug genommen auf die rhetorische Inszenierung und ›ästhetische Problematisierung‹ (i.S. v. Hess-Lüttich 1984) medizinischer Kommunikation. Deshalb präsentierte der Referent zahlreiche Beispiele aus der (vornehmlich deutschen) Literaturgeschichte, die das potentielle Themenspektrum der fiktionalen Behandlung ärztlichen Handelns oder des Verhältnisses zwischen Arzt und Patient insbesondere für Germanisten nichtdeutscher Muttersprache veranschaulichen sollten. Dabei kamen auch Texte von Schriftstellern zur Sprache, die selbst eine medizinische Ausbildung erhalten hatten (wie Schiller, Büchner, Schnitzler, Benn), die das Thema Krankheit ästhetisch ›problematisierten‹ (wie Thomas Mann oder Henrik Ibsen), die ihre Erfahrungen als Patienten literarisch verarbeiteten (wie Theodor Storm, Thomas Bernhard usw.) oder Probleme des Gesundheitswesens kritisch aufs Korn nahmen (Juli Zeh, Jörg Thadeusz).
Eine Reihe von Vorträgen war dann ›klassisch‹ literaturwissenschaftlichen und komparatistischen Fragestellungen gewidmet.2 So suchte Hamideh Behjat (Teheran) nach den persischen Quellen der Reisebeschreibungen des Adam Olearius oder nach den Einflüssen der persischen Literatur (Firdusi, Hafis) auf Dichtungen z.B. von Rückert (Ghaselen), Goethe (West-östlicher Diwan), Heine (Almansor) oder Tieck (Die Rose). Mona Mahdavi (Teheran) folgte den Spuren des Turandot-Stoffes von Brecht (1930 / 54) über Schiller (1802), Carlo Gozzi (1762) und François Pétis de la Croix (1710) bis zurück zu Sadiduddin Muhammad Aufī (1228) und Ne .zāmīs Haft Paykar (1198) vom Ende des 12. Jahrhunderts. »Wofür steht Das Schloss?« fragte Saeid Rezwani (Shahid Beheshti, Teheran) und suchte – in kritischer Distanz zu den postmodernen Postulaten vom ›Tod des Autors‹ – das Autobiographische im Werk Franz Kafkas aufzuspüren. Wie der Vergleich deutscher und persischer Lyrik für den Deutschunterricht und die Sensibilisierung für interkulturelle Berührungspunkte fruchtbar gemacht werden kann, war (in leichter Abweichung von ihrer Ankündigung) das Anliegen von Melika Torkaman Boutorabi (Allameh Tabatabaie, Teheran). Ebenfalls der Lyrik widmete sich Abbas-Ali Salehi-Kahrizsangi (Isfahan) in ihrem Vergleich der Gedichte von Else Lasker-Schüler mit den avantgardistischen Dichtungen der früh verstorbenen Mitbegründerin der modernen persischen Lyrik: Forough Farrochsad (1935-1967). Ali Radjaie (Arak) schließlich hob anhand zahlreicher Beispiele die Rolle der Übersetzer im Verhältnis zwischen der deutschen und persischen Poesie hervor, deren Gehalt und Gedankenwelt oft erst durch ihre Übersetzung für den jeweils anderen überhaupt zugänglich werde. Deshalb sei gerade die anspruchsvolle literarische Übersetzung ein Eckpfeiler der bilateralen Literatur- und Kulturbeziehungen zwischen den beiden Ländern.
Eher theoretisch-methodisch motiviert waren zwei Vorträge von Raed Faridzadeh zur Verbindung von Literatur und Philosophie in Ernst Blochs Das Prinzip Hoffnung und von Narjes Khodaee (beide Shahid Beheshti, Teheran) über Alteritätsmodelle in interkulturell geprägten oder motivierten literarischen Texten wie solchen von Wolfgang Koeppen, Peter Schneider oder Terézia Mora, die Formen des Fremdseins im Zeichen postkolonialer ›Zwischenräume‹ und politisch-wirtschaftlicher Neuordnungsprozesse der (Post-)Moderne nachspürten und die in der Ästhetisierung der Diaspora eine konstruktive Rolle des Fremden in den Auflösungsprozessen traditioneller Ordnungskategorien zu erkennen vermöchten.
Dem Bereich der Gender Studies im weiteren Verständnis zuordnen könnte man zwei Beiträge von Rana Raeisi (Isfahan) über das bei aller (strukturellen, aber nicht historischen) Vergleichbarkeit doch sehr unterschiedliche Frauenbild in Farīd al-Dīn ’Attār’s Sheikhe San’ān und in Goethes Faust (während das stereotyp verführerische Christenmädchen Dokhtare Tarsa erst an der Seite und unter der Obhut ihres alten muslimischen Mannes zu einem tugendhaften Menschen wird, weckt Gretchens Schicksal Empathie schon beim zeitgenössischen Publikum) und von Parisa Derakhshan-Moghaddam (Islamische Azad Universität, Teheran) über die seit 1985 in Deutschland lebende Schriftstellerin und Theaterregisseurin Niloofar Beyzaie, die mit ihrer Theatergruppe Daritsche erfolgreich in der ganzen Welt gastiert. Ihr geht es in ihren Stücken um Themen wie Exil in der Fremde, verlorene Identität, Frauenrechte, aber auch um muslimische Tabuthemen wie Homosexualität und Pluralität der Religionen. Der Vortrag arbeitete anschaulich die Metaphern und Symbole heraus, die in Beyzaies Arbeiten eine interkulturelle Brücke zwischen Iran und Deutschland bauen sollen.
Zum Bereich Kinder-, Jugend- oder Fantasyliteratur kann man die Werke zählen, denen sich wiederum zwei Beiträge widmeten, nämlich zum einen der von Azadeh Niazadeh (Teheran), in dem sie Michael Endes Momo als Impuls und Medium für die Vermittlung des Deutschen als Fremdsprache fruchtbar zu machen suchte und überhaupt die phantastische Literatur für ihr Potential würdigte, junge Leser auf die fremde Sprache und Kultur neugierig zu machen, und zum anderen der von Parastoo Panjehshabi (Islamische Azad Universität, Teheran), der sich in einem Vergleich deutscher und persischer Märchen insbesondere der jeweiligen Rolle der Stiefmutter widmete, vor allem am Beispiel ihrer Darstellung bei Samade Behrangi [Səməd Behrəngi] (Uldus und die sprechende Puppe) und bei den Gebrüdern Grimm (Schneewittchen).
Mit seinem Bericht über eine Aufführung des Berliner Ensembles von Brechts Mutter Courage und ihre Kinder unter der Leitung von Claus Peymann 2008 im Rahmen des 26. Fadjr-Theaterfestivals in Teheran entzog sich Lucas Pfeiffer, der an der FU Berlin studiert, den bisherigen Rubrizierungen, aber er zeichnete die kontroverse Debatte nach, die den Auftritt auf persischer und deutscher Seite begleitete. Während die Aufführung in Teheran gefeiert und mit dem Hauptpreis geehrt wurde, protestierte das gehobene Feuilleton in Deutschland gegen die Auflagen der iranischen Zensur, denen durch zahlreiche Änderungen an der Originalfassung des Stückes Rechnung zu tragen war. Das schmälerte nach Auffassung des Referenten aber nicht die Bedeutung der Aufführung und der sie begleitenden Medienberichterstattung, deren unterschiedliche Akzente aus den je spezifischen kulturellen (und politischen) Rahmenbedingungen erklärbar sind, für den deutsch-iranischen Kulturaustausch.
Eine Reihe von Poster-Sessions des akademischen Nachwuchses rundete das umfangreiche Programm der Sektion ab. Hier konnte der Berichterstatter manche Anregung geben, etwa zu dem aus uralten sumerisch-altbabylonischen mythologischen Erzählungen rekonstruierten Verhältnis von Gilgamesch und Enkidu, für dessen Fortleben in der modernen Literatur sich Elham Rahmani-Mofrad (Azad) interessierte, der aber von (z.B.) Guido Bachmanns Debütroman Gilgamesch (1966) noch nie gehört hatte. Von Azadeh Ansaris (Azad) Interesse an Berührungspunkten zwischen (postmoderner) Literatur und (postmoderner) Architektur ließ sich mühelos der Bogen zu den Urban Studies schlagen, die der Berichterstatter in seinem Plenarvortrag vorgestellt und dabei passager auch an den spatial turn in der Literaturwissenschaft erinnert hatte, der das Verhältnis von Poesie und Topographie, von Raum und Dichtung auf neue Weise ins Zentrum interpretatorischer Texterschließung rückt.
(i) Das Programm der von Parviz Alborzi (Teheran), Gisella Ferraresi (Bamberg) und Christoph Schroeder (Potsdam) geleiteten Sektion Linguistik war deutlich überschaubarer.3 Christoph Schroeder eröffnete die Sitzung mit einem Vortrag über »Sekundäre Prädikate in einem typologisch orientierten Sprachvergleich« (also adverbiale Adjunkte, deren Modifizierung nicht verbbezogen ist, sondern sich auf eine nominale Konstituente des Satzes bezieht wie in dem Satz »Ich trinke meinen Kaffee kalt.«, in dem ›kalt‹ syntaktisch als Verbgruppenadverbial figuriert, das allerdings eine nominale Konstituente, hier das direkte Objekt, modifiziert). Kaveh Bahrami (Shahid Beheshti, Teheran) verglich syntaktische Strukturen des relativen Anschlusses im Farsi mit solchen im Deutschen (wo die Funktion des Bezugsnomens im Relativsatz von Pronomina übernommen werde, während Farsi mixed relativisation strategies erlaube). Der Kasusgrammatik und den semantischen Rollen galt das Interesse von Samira Kiani (Teheran), die sich in kritischer Distanz zum Standardmodell der Generativen Transformationsgrammatik Chomskys lieber an Fillmores Semantiktheorie und dessen Konzept von Tiefenkasus anstelle von Subjekt- / Objektrelationen orientierte. Auch Parviz Alborzi (Teheran) widmete sich dem Vergleich von Persisch und Deutsch, allerdings in diachroner Perspektive vor allem im Hinblick auf Silbenstruktur, Flexionspräfixe und phonetische Unterschiede.
Nach kurzer Mittagspause schlug Jana Gamper (Potsdam) eine Reihe formaler Klassifikationsprinzipien bei der Genuszuweisung im Deutschen zur Erleichterung seiner Vermittlung vor. Masoud Mansouri (Isfahan) unterschied auf textlinguistischer Basis diverse Textsorten (wie Bericht, Legende, Erzählung, Predigt usw.) des Makrotextes Koran. Ebenfalls textlinguistisch instrumentiert und interkulturell motiviert war die Analyse von deutschen und armenischen Stellenanzeigen im Beitrag von Hasmik Ghazaryan (Slawische Universität Armenien, Jerewan).
Aus der grammatisch vergleichenden Analyse von nominaler Definitheit und deren Realisierung in Sprachen ohne Artikelsystem (wie dem Chinesischen) zog Gisella Ferraresi (Bamberg) didaktische Konsequenzen für den Erwerb des Deutschen. Das Problem des Artikelgebrauchs im Deutschen bedeutet auch für die Schüler von Firouzeh Rafiei (Azad) eine Herausforderung, weil Farsi nicht über ein vergleichbares System verfügt. Aziz Rakhmanov (Leipzig) verfolgte einen textsortenorientierten Grammatikansatz, um das Problem des Erwerbs von erweiterten (adjektivischen, partizipialen, präpositionalen) Attributivkonstruktionen (z.B. in Reiseführern) für iranische und tadschikische Deutschlerner zu erleichtern.
(ii) Ergänzend zu ihrem Workshop leiteten Christiane Nord (Heidelberg) und Seyed Saied Firuzabadi (Azad) auch die mit sieben Vorträgen vergleichsweise kleine Sektion Übersetzungswissenschaft. Nach der Einführung durch die Sektionsleitung untersuchte Faranak Hashemi (Allameh Tabatabaie, Teheran) drei (zeitlich auseinanderliegende) persische Übersetzungen von Goethes West-östlichem Divan im Hinblick auf deren Unterschiede in Sprache, Stil und Form. Iranische Abschlusszeugnisse ins Deutsche zu übersetzen, stelle angesichts der Unterschiede der Bildungssysteme und Kriterien der Leistungsbewertung ebenfalls eine nicht geringe Herausforderung dar, meinten Mir Hamed Moghaddasi Saen und Shahed Ebadpour. Assem El Ammary (Ain Shams, Kairo) verglich den Revolutionsbegriff des ›Mauerfalls‹ 1989 mit dem des sog. Arabischen Frühlings 2011 und exponierte dessen politolinguistische Implikationen als Übersetzungsproblem. Auch für Literaturwissenschaftler interessant war der Blick von Seyed Saied Firuzabadi (Azad) auf die Rezeptionsgeschichte von Scheich Mosleheddin Saadi Shirazi und seines von Adam Olearius [eigentlich Oehlschlegel bzw. Ölschläger, 1599-1671] ins Deutsche übertragenen Persischen Rosengartens in der deutschen Literatur (z.B. Andreas Gryphius). Die Frage, welche Mittel und Ressourcen eine Übersetzung der Werke Martin Heideggers benötige, beschäftigte Ahmad Ali Heydari (Allameh Tabatabaie, Teheran), der aufgefallen war, dass iranische Studenten Verständnisprobleme bei der Lektüre der Übersetzung von Sein und Zeit hätten – was (wie der Berichterstatter sich hinzuzufügen erlaubt) vielleicht nicht nur an der Übersetzung lag. Zum Abschluss betonte Fatemeh Arzjani (Teheran) die Bedeutung der Landeskunde im Fach ›Deutsche Sprache mit dem Schwerpunkt Übersetzungswissenschaft‹ und plädierte für eine stärkere Rolle »translatorischer Kulturkompetenz« in der Übersetzerausbildung.4
(i) In der Sektion zur Sprach(en)politik ging es in zehn (und drei Poster-Sessions) Vorträgen unter der Leitung von Mohammad Reza Dousti Zadeh (Teheran) und Mattias Jung (IKK, FaDaF) vornehmlich um Konzepte der Mehrsprachigkeit im iranischen Lernraum, um die Positionierung des Deutschen als einer Fremdsprache in Schule und Hochschule, um die Rolle der deutschen Sprache in der akademischen und beruflichen Karriere im Iran, um den gegenwärtigen Stand der Deutschabteilungen und die Perspektiven der dort arbeitenden Lehrkräfte, um die Entwicklung der Zahlen von Deutschlernern und den Beitrag, den Hochschulkooperationen und Studentenaustausch sowie die Zusammenarbeit mit DAAD, Goethe-Instituten und nicht zuletzt der Wirtschaft zur Beförderung des Deutschen im Iran leisten können.
(ii) Die mit zehn Vorträgen und sieben Poster-Sessions ebenfalls umfangreiche Sektion Didaktik des Deutschen als Fremdsprache, geleitet von Hermann Funk (Jena), widmete sich der Sprachlehrforschung (›Deutsch lehren lernen‹) und der Lehrwerkanalyse, methodischen, didaktischen, pädagogischen, psychologischen Aspekten des DaF-Unterrichts und der Integration anderer Fachgebiete (Kunst, Religion, Tourismus) in den Sprachunterricht, dem Deutschen als Fachsprache und ihrer berufsfeldorientierten Vermittlung.
Kulturausflüge nach Isfahan und (wer mochte und dafür Zeit hatte) auch nach Shiraz schlossen sich an die Tagung an, über die aber im Detail zu berichten den hier gegebenen Rahmen entschieden sprengen würde.
1 | Zur Standardsprache in Österreich, der Schweiz, Deutschland, Liechtenstein, Luxemburg, Ostbelgien und Südtirol sowie Rumänien, Namibia und Mennonitensiedlungen vgl. Ammon / Bickel / Lenz 2016.
2 | Der Berichterstatter folgt hier nicht dem Zeitplan des Tagungsprogramms, sondern gruppiert die Beiträge unter thematisch-systematischen Ordnungskategorien.
3 | Im folgenden Abschnitt (4) werden nur die in den parallel tagenden Sektionen verhandelten Themen und deren Referenten und im daran anschließenden Abschnitt (5) sogar nur die generellen Sektionsthemen genannt, da der Berichterstatter nach den siebzehn literaturwissenschaftlichen Vorträgen nicht alle weiteren 50 Sektionsreferate selbst hören konnte, aber wenigstens einen Überblick bieten möchte über das reiche inhaltliche Spektrum der Tagung.
4 | Im Hinblick auf die primären Adressaten der Zeitschrift für interkulturelle Germanistik verzichtet der Berichterstatter im Folgenden auf detailliertere Angaben zu den restlichen Sektionen, über deren Erträge jedoch gewiss in einschlägigen Organen des DaF-Bereichs und der Bildungspolitik berichtet wird (oder werden sollte).
Ammon, Ulrich / Bickel, Hans / Lenz, Alexandra Nicole (Hg.; 2016): Variantenwörterbuch des Deutschen. Die Standardsprache in Österreich, der Schweiz, Deutschland, Liechtenstein, Luxemburg, Ostbelgien und Südtirol sowie Rumänien, Namibia und Mennonitensiedlungen. 2., völlig neu beab. u. erw. Aufl. Berlin / Boston.
Hess-Lüttich, Ernest W.B. (1984): Kommunikation als ästhetisches ›Problem‹. Tübingen.