Die in diesem Themenheft enthaltenen Beiträge beschäftigen sich mit unterschiedlichen Konzepten des Transitraumes – und damit mit der Vorstellung sowohl von Grenzziehungen als auch des Übergangs, des Transitorischen, der Transformation, des Hybriden bzw. der Bewegung – und deren Funktion in literarischen Texten, visuellen Medien und der Übersetzung. Damit befinden sie sich in einem indirekten Dialog mit der Diskussion um Trans- versus Interkulturalität, die Wolfgang Welsch seit den 1990er Jahren in Gang hält.1 In seinen einschlägigen Veröffentlichungen zum Thema macht Welsch interkulturellen Ansätzen zum Vorwurf, diese hielten, abweichend von dem von ihm propagierten Konzept der Transkulturalität, an einem veralteten Kugelmodell von als national definierten Kulturen fest, was mit einem internen Homogenitäts- und einem externen Abgrenzungsgebot Hand in Hand gehe. In der Entgegnung auf seine Kritik wurde Welsch wiederholt vorgehalten, dass sich die Vertreter eines Konzepts der Interkulturalität durchaus der fortwährenden Vermischung und Hybridität der Kulturen bewusst sind. In diesem Sinne verweisen z.B. Heimböckel und Weinberg auf die folgende Definition von Kultur durch Jean-Luc Nancy: »Jede Kultur ist in sich ›multikulturell‹, nicht nur, weil es immer eine vorgängige Akkulturation gegeben hat und es keine einfache und reine Herkunft gibt, sondern vor allem deshalb, weil der Gestus der Kultur einer des Vermischens ist.« (Nancy 1993: 6f., zit. n. Heimböckel / Weinberg 2014: 125)2 In diesem Sinne gelangen Langenohl, Pohl und Weinberg im Hinblick auf die Debatte um Inter- oder Transkulturalität zu folgender Feststellung:
Im Grunde wissen alle an der Diskussion Beteiligten, welch komplexe Formen des kulturellen Austauschs zu denken sind. Von daher sind weniger die Diagnosen Welschs unangemessen, als vielmehr die von ihm so massiv vorgetragene These, all das lasse sich im Rahmen der ›Interkulturalität‹ nicht denken. (Langenohl / Poole / Weinberg 2015: 17)
Auch wenn dies in den Diskussionen um die Definition eines Konzepts der Interkulturalität Konsens sein dürfte, sind unterschiedliche Akzentsetzungen nicht zu übersehen. So besteht z.B. auf der einen Seite Norbert Mecklenburg, sich von Welsch abgrenzend, auf der Möglichkeit und Notwendigkeit einer Grenzziehung zwischen verschiedenen Kulturen, wobei allerdings die Möglichkeit einer eindeutigen Grenzziehung umgehend infrage gestellt wird:
Es gibt verschiedene Kulturen, somit Kulturunterschiede, ganz gleich, wie man diese näher bestimmt. Dies sind überwiegend keine absoluten, sondern relative Unterschiede. Es gibt Beziehungen, Kontakte, Kommunikation und Gemeinsamkeiten zwischen Kulturen. (Mecklenburg 2008: 14)
Gleichzeitig macht Mecklenburg einen deutlichen Unterschied zwischen den Begriffen ›Inter-‹ und ›Transkulturalität‹ (vgl. ebd.: 93). Für ihn bezieht sich ›interkulturell‹ auf etwas, was es zwischen zwei oder mehreren Kulturen gibt. ›Transkulturell‹ dagegen bezeichne etwas, was kulturübergreifend vorkomme, d.h., was entweder über alle einzelnen Kulturen oder was über eine bestimmte Kultur hinausgeht. Auf der anderen Seite lässt sich ein Trend beobachten, demzufolge ›inter-‹ und ›transkulturell‹ zusehends synonym verwendet werden. Vergleicht man beispielsweise die in der von Michael Hofmann (2006) verfassten Einführung in die Interkulturelle Literaturwissenschaft vorgestellten Theorien mit denen in dem von Blumentrath u.a. (2007) verfassten Transkulturalität. Türkisch-deutsche Konstellationen in Literatur und Film, so lässt sich unschwer feststellen, dass in beiden Publikationen mit Alterität, Orientalismus, Hybridität, Dritter Raum und Differenz bzw. différance größtenteils auf dieselben Theorieansätze Bezug genommen wird. In die Richtung einer weitgehend synonymen Verwendung tendieren auch Heimböckel und Weinberg, allerdings nicht ohne auf folgendes Problem hinzuweisen: »Wer nur Grenzen kennt, wird bald an Grenzen der Beschreibung stoßen; wer nur Hybrides voraussetzt, wird bald nichts mehr präzise beschreiben können und muss zur Präzisierung seiner Beschreibungen Grenzen einfügen.« (Heimböckel / Weinberg 2014: 139)
Wenn davon ausgegangen wird, dass Kulturen grundsätzlich in sich ›multikulturell‹ sind und der Gestus der Kultur einer des Vermischens ist, gleichzeitig aber stets von Kulturen im Plural gesprochen wird, so richtet sich der Blick zwangsläufig auf das Problem der Grenze, die trotz aller Vermischung und Hybridität zwischen unterschiedlichen Kulturen eingezogen werden soll und muss. Es ist kein Zufall, dass Heimböckel / Weinberg das von ihnen vorgeschlagene Projekt der Interkulturalität als liminales Phänomen sehen, das auf einer Überschreitung von Grenzen ebenso wie auf der Reflexion und dem Außerkraftsetzen von voraus-gesetzten Grenzziehungen beruht (vgl. ebd.: 124). Wo de Certeau auf das Paradox der Grenze verweist, demzufolge die Differenzpunkte zwischen zwei Körpern gleichzeitig ihre Berührungspunkte sind, da sie durch Kontakte geschaffen werden (vgl. de Certeau 1988: 233),3 kann eine Grenze nicht als eine klar bestimmbare Linie verstanden werden, sondern eher als liminale Zone, als ein Zwischen-, Übergangs- bzw. Transitraum.
Damit nimmt das Projekt der Interkulturalität eine explizit räumliche Dimension an, was einen deutlichen Bezug zwischen ihm und der räumlichen Wende, dem ›spatial turn‹ in den Kultur- und Sozialwissenschaften, schafft.4 In diesem Sinne befasste sich unter der Überschrift Begegnungen in Transiträumen / Transitorische Begegnungen die Tagung der Gesellschaft für interkulturelle Germanistik (GiG) vom 29.5.-1.6.2014 am Mary Immaculate College der Universität Limerick, auf die die Beiträge dieses Themenheftes zurückgehen,5 mit der Relevanz eines Konzepts von Transiträumen und damit des Übergangs, des Transitorischen, der Transformation, des Hybriden bzw. der Bewegung vorrangig aus der Perspektive der Literatur- und Kulturwissenschaften, aber auch der Sprach- und Übersetzungswissenschaften sowie des DaF-Unterrichts.
Transiträume können dabei auf unterschiedliche Weise konzipiert werden. Eine globalisierte, »übermoderne« Welt, deren Ideologie die Auslöschung von Grenzen impliziert, schafft in wachsendem Maße Grenzzonen, die nicht mehr in gänzlich fremde Welten führen. Diese Transiträume, die Marc Augé als »Nicht-Orte« bezeichnet, schaffen keine besondere Identität und keine besondere Relation, sondern Einsamkeit und Ähnlichkeit (vgl. Augé 2014: 83 u. 104). Zu den Nicht-Orten zählt Augé für den beschleunigten Verkehr von Personen und Gütern erforderliche Einrichtungen wie Hotelketten, Schnellstraßen, Autobahnkreuze, Bahnhöfe und Flughäfen ebenso wie die Verkehrsmittel selbst, die großen Einkaufszentren sowie die zum Abbruch und Verfall bestimmten Slums oder die Durchgangslager, in denen Flüchtlinge kaserniert werden (vgl. ebd.: 42), wobei der Raum des Reisenden der Archetypus des Nicht-Ortes wäre (vgl. ebd.: 90).
Während der Nicht-Ort das Gegenteil der Utopie ist (vgl. ebd.: 111), sind für Foucault ›Heterotopien‹
reale, wirkliche, zum institutionellen Bereich der Gesellschaft gehörige Räume, die gleichsam Gegenorte darstellen, tatsächlich verwirklichte Utopien, in denen […] all die anderen realen Orte, die man in der Kultur finden kann, zugleich repräsentiert, in Frage gestellt und ins Gegenteil verkehrt werden (Foucault 2006: 320).
Zu diesen ›Abweichungsheterotopien‹, die ähnlich den Nicht-Orten über ein System der Öffnung und Abschließung verfügen, zählt Foucault Durchgangsorte wie u.a. Sanatorien, psychiatrische Anstalten und Gefängnisse. Im Unterschied dazu sind ›Krisenheterotopien‹, die Foucault zufolge in unseren Gesellschaften im Verschwinden begriffen sind, solchen Menschen vorbehalten, die sich – wie z.B. Heranwachsende in der Adoleszenz – im Verhältnis zu der sie umgebenden Gesellschaft in einem Krisenzustand befinden (vgl. ebd.: 322). Derartige Krisenheterotopien wiederum schließen an die transitionäre liminale Phase an, mit der sich Victor Turner in seiner Untersuchung zu Initiationsriten im Übergang von der Kindheit zum Erwachsenenalter befasst, wobei die Eigenschaften der in der Schwellenposition im Grenzbereich verweilenden Person mehrdeutig sind: »Liminal entities are neither here nor there; they are betwixt and between the positions assigned and arrayed by law, custom, convention, and ceremonial.« (Turner 1966: 95)
Auf einer anderen Ebene unterscheidet sich auch Michel de Certeaus Ansatz von dem Marc Augés. Im Gegensatz zum anthropologischen Ortsverständnis Augés, das auch den Raum als eine Form des Ortes bzw. Nicht-Ortes begreift, dem die Handlungen der sich dort befindlichen Subjekte oder Akteure aufgrund seiner an- bzw. abwesenden Geschichte und anthropologischen Funktion gleichsam eingeschrieben sind, differenziert de Certeau zwischen Ort und Raum gerade anhand dieser Handlungsebene:
Ein Ort ist also eine feste Konstellation von Punkten. Er enthält einen Hinweis auf eine mögliche Stabilität. […] Der Raum ist ein Geflecht von beweglichen Elementen. Er ist gewissermaßen von der Gesamtheit der Bewegungen erfüllt, die sich in ihm entfalten. […] Insgesamt ist der Raum ein Ort, mit dem man etwas macht. (de Certeau 1988: 218 [Hervorh. im Original])
Das Performative ist dem Raum nach de Certeau inhärent. Die sich darin bewegenden Subjekte machen ihn durch ihre Bewegung zum Raum. Hiermit knüpft de Certeau an Benjamins Passagen-Werk und dessen Begriff des Flaneurs an.
Schließlich sind es Konzepte eines ›Third Space‹, wie sie insbesondere von Homi Bhabha (2004) in der erstmals 1994 erschienenen The Location of Culture einem breiten wissenschaftlichen Publikum vorgestellt und von Edward Soja (1996) unter Bezug auf Lefebvre entwickelt wurden, die die Offenheit, Dynamik und vielseitigen Verflechtungen von Räumen betonen.6 Das Transitorische von Grenzüberschreitungen und das Hinterfragen einer vorgeblichen Homogenität verschiedener kultureller Räume werden dabei zu zentralen Momenten Dritter Räume (vgl. Neumann 2009: 133).
Die Auswahl der Beiträge für dieses Schwerpunktthema wurde von zwei Gedanken getragen. Zum einen galt es die Vielzahl möglicher Konzeptualisierungen von Transiträumen zu veranschaulichen. Zum anderen sollte gezeigt werden, wie das Konzept des Transitraums produktiv auf sehr unterschiedliche Phänomene bezogen werden kann, angefangen vom Raum des Reisenden in der Literatur über das World Wide Web bis hin zur Sprache der Dichtung und dem Prozess des Übersetzens.
Der Artikel von Gunter Pakendorf führt in die Wartesäle der großen Bahnhöfe anhand des Romans Austerlitz (2001) von W.G. Sebald, in dessen Werk Exil und Heimatlosigkeit ein stets aufs Neue wiederkehrendes Thema darstellen. Dabei zeichnet Sebald die Geschichte des Westens als einen schrittweisen Niedergang, vermittelt über verschiedene Katastrophen bis hin zur schließlichen Zerstörung. Eine zentrale Metapher für den Zustand der Entwurzelung und Instabilität ist die Situation im Transit der Wartesäle in Flughäfen und Bahnhöfen. Diesen Zustand vertritt paradigmatisch der Titelheld Austerlitz in Sebalds gleichnamigem letztem Roman, in dem Bahnhöfe und Wartesäle in Brüssel, London, Paris, Prag und anderen Städten ein ständig wiederkehrender Ort sind. Durch ein Netz von intra- und intertextuellen Bezügen und Assoziationen sind sie mit den zentralen thematischen Schwerpunkten des Autors verbunden: dem Holocaust, der Zerstörung der natürlichen Umwelt und schließlich dem Zeitenende.
Vom Wartesaal zur Bahnreise führt Sabine Egger anhand von Herta Müllers Reisende auf einem Bein (1989). Für die Protagonistin Irene verbindet sich die Transitbewegung von einem politischen System – und der damit verbundenen Alltagskultur – in ein anderes mit der Erfahrung des Fremdseins. Daran leidet Irene einerseits, andererseits definiert sie dadurch ihre Identität, was ein Anhalten unmöglich macht. Sie erfährt sich als ort- und heimatlose Vagabundin. Die Unbehaustheit, die Irenes Umgang mit der Realität im westlichen Ankunftsland bestimmt, wird im Roman mit der politischen Unterdrückung im Herkunftsland in Bezug gesetzt, das für Ceauşescus Rumänien steht. Irenes Erfahrung lässt sich damit als eine von Fremdheit gekennzeichnete Systemmigration verstehen. Sie erfährt diese Fremdheit als Passagierin in Eisenbahnen und U-Bahnen sowie auf Bahnhöfen, wo ihr die Bewegung des Zugs den Blick auf Bruchstellen in zwischenmenschlichen Beziehungen freigibt. Der Beitrag zeigt, wie die Bahnreise zur zentralen Metapher von Irenes Transiterfahrung und der damit verbundenen Fremdheit im Sinne Kristevas wird, für die der Raum des Fremden ein fahrender Zug ist. Dabei wird die Transitbewegung der Reisenden mit Hilfe von de Certeaus Ansatz und in Abgrenzung von Benjamins Flaneur untersucht.
Gleichfalls auf Bahnreisen, diesmal in der Sowjetunion, begibt sich Withold Bonner in seinem Artikel. Dieser befasst sich mit den Bildern der Sowjetunion und der »Völker des Ostens« (Christa Wolf) sowie der Reisenden selbst, wie sie sich aus verschiedenen Texten der DDR-Literatur ergeben, verfasst und veröffentlicht von verschiedenen Autoren zu verschiedenen Zeiten. In diesem Kontext wird die Eisenbahn zu einem zentralen Symbol für das, was die hier vorgestellten Autoren sehen bzw. nicht sehen, und insbesondere dafür, wie sie das Gesehene bewerten. Die Eisenbahn wird so zu einem symbolischen Transitraum, einer Heterotopie, die an einem realen Ort mehrere nicht miteinander verträgliche Räume zusammenbringt. Dem Zug, seiner Lokomotive, den Fenstern und Abteilen wächst die Qualität zu, extrem widersprüchliche Wahrnehmungen der Sowjetunion zu ermöglichen – vom Glauben an die unmittelbar bevorstehende Verwirklichung der sozialistischen Utopie bis zur Erkenntnis der stalinistischen Dystopie des Gulag und der gleichzeitigen Verdrängung dieser Einsicht.
Der Artikel von Ute Seiderer schließt eine Gruppe von Beiträgen ab, in deren Fokus Reisende und deren Begegnungen in unterschiedlichen Verkehrsmitteln stehen. Seiderer befasst sich mit dem Roman Donau abwärts (1992) des unlängst verstorbenen ungarischen Schriftstellers Péter Esterházy, der die Probleme interkultureller Erfahrungen zu einem Zeitpunkt erörtert, da diese für die Staaten des ehemaligen Jugoslawien besondere Bedeutung erlangen. Esterházys Roman wählt die durch die Balkanstaaten fließende Donau als Hintergrund für die Begegnungen von Reisenden aus verschiedenen Ländern angesichts des historischen Einschnitts zu Beginn der 1990er Jahre. Entsprechend der Struktur des historischen Genres des roman fleuve, der insbesondere im 17. und 18. Jh. in England, Frankreich und den Niederlanden beliebt war, begegnen die Figuren des Romans einander hauptsächlich auf Schiffen, wo sie miteinander diskutieren und spielen, aber auch nach neuen Identitäten im intellektuellen wie auch im sexuellen Sinne suchen. Bestehende Räume von Orientierung, Wahrnehmung, Wissen und Fühlen geraten in Bewegung, und die Vorstellung eines Lebens in Transiträumen kommt auf.
Demgegenüber befasst sich Karolina May-Chu mit deutsch-polnischen Grenznarrativen seit 1989. Ihr Beitrag befürwortet eine flexible transnationale Annäherungsweise an das Phänomen der Grenzlandliteratur. Insbesondere stellt der Artikel den Begriff einer ›Poetik der Grenze‹ (border poetics) als ein Idiom kosmopolitischer Imagination heraus. Es handelt sich dabei um ein weithin anwendbares Narrativ und eine kulturelle Praxis, die lokal und historisch konkretisierbare Grenzerfahrungen mit universellen liminalen Erfahrungen wie denen von Leben und Tod oder mit epistemischen und ontologischen Grenzen verbindet. Anhand von Beispielen aus der polnischen und deutschen Literatur zeigt May-Chu, dass eine Poetik der Grenze von einem Verständnis der Grenze als Kontaktzone ausgeht.
Auf der Grundlage von Victor Turners Ansatz setzt sich Herbert Uerlings Beitrag mit dem Transitraum Varieté als liminaler Zone auseinander. Soziale, sexuelle und kulturelle Hierarchien können dort auf den Kopf gestellt bzw. punktuell aufgelöst werden; das Fortbestehen von Traditionen mag unsicher werden, und Künftiges, das einst als selbstverständlich vorausgesetzt wurde, kann infrage gestellt werden. Die Auflösung einer Ordnung in einem liminalen Raum schafft eine Situation im Fluss, die die Etablierung neuer Perspektiven und Konventionen ermöglicht. In seinem Bericht für eine Akademie (1917) wirft Franz Kafka einen skeptischen Blick auf das Varieté als liminalen Raum. Uerlings zeigt, welche neuen Perspektiven damit auf die Selbstinszenierung Josephine Bakers auf und außerhalb der Varietébühne eröffnet werden.
Anhand von Terézia Moras zweitem Roman Der einzige Mann auf dem Kontinent (2009) zeigt der Beitrag von Erika Hammer unter Bezugnahme auf Augés Konzept der Nicht-Orte einen Auflösungsprozess des Protagonisten, der sich in ununterscheidbaren, nicht identifizierbaren Nicht-Orten bzw. in den virtuellen Welten bewegt, die die neuen Medien bieten. Diese virtuellen Welten konstituieren transitorische Orte, die dem Protagonisten weder Stabilität noch feste Orientierungspunkte bieten und ihn auch nicht mit kontinuierlichen Beziehungen ausstatten. Zusätzlich nimmt der Artikel Bezug auf die metafiktionale Ebene des Romans, wo eine transitorische Bewegung durch unterschiedliche architextuelle Systemreferenzen eine zentrale Rolle spielt. Auf diese Weise wird nicht nur der Protagonist, sondern zugleich der Text als Ganzes in eine fortwährende transitorische Bewegung versetzt.
Jacqueline Gutjahr versteht, ausgehend von José F.A. Olivers Gedicht kompass & dämmerung, die Sprache der Dichtung selbst als Transitraum. Poetische Transformationen des Transitorischen können dabei anhand des Wechselspiels spezifischer literarischer Themen, Motive und Techniken verfolgt werden. Der Fokus dieses Beitrags liegt auf der poetischen Hervorbringung einer pluralistischen Selbstauslotung, situiert in der Dämmerung als transitorischer Phase und vermittelt über deiktische Handlungen, die innere und äußere Räume schaffen, die ununterscheidbar und ständig im Fluss sind. Dies wird ergänzt durch literarische Techniken der lexikalischen Aufspaltung, poetischer Neuschöpfungen und mehrsprachiger Referenzen, die die Grenzen eindimensionaler Perzeption und determinierender Bedeutungszuweisungen aufbrechen und Wörter in der Schwebe halten.
In ihrem übersetzungswissenschaftlichen Beitrag reflektiert Sabine Strümper-Krobb eine Neubewertung des Raums zwischen Sprachen und Kulturen im translatorischen Prozess. Sie verweist dabei auf die These von Lakoff und Johnson (1980), der zufolge Metaphern einen Einblick in die unser Denken steuernden Konzepte geben. Ein Blick auf die Metaphern, die verwendet werden, um das Produkt, den Prozess bzw. die Ausführenden einer Übersetzung zu beschreiben, vermag Einsichten einerseits in die Übersetzungskonzepte zu vermitteln, die zu einer bestimmten Zeit vorherrschen, und andererseits in die Veränderungen, denen diese Konzepte unterliegen. Der Artikel analysiert zwei spezifische Bilder, die von Übersetzern selbst, aber auch in übersetzungswissenschaftlichen Diskursen zu verschiedenen Zeiten benutzt wurden: zum einen das Bild der Übersetzung als Bewegung zwischen zwei voneinander entfernten Punkten, zum anderen das Bild der Übersetzung als einer Brücke und des Übersetzers als eines Brückenbauers. Während der Zwischenraum zwischen Ausgangs- und Zieltext zunächst weitgehend durch das Erfordernis definiert wurde, ihn mit Hilfe der Übersetzer zu durchqueren und zu überwinden, ist das ›Dazwischen‹ unterdessen bewohnbar geworden, wenn auch als Raum, der sich einer eindeutigen Definition widersetzt und nach einer fortwährenden Neuverhandlung transitorischer Identitäten verlangt.
Die Verfasser der Einführung bedanken sich bei Britta C. Jung für ihre Hilfe beim Korrekturlesen und Einrichten der Beiträge.
1 | Vgl. hierzu u.a. Welsch 1995, 2000 und 2012.
2 | So heißt es auch bei Leggewie und Zifonum in ihrem programmatischen Beitrag unter der Überschrift Was ist Interkulturalität?, man sei sich heute bewusst, »dass Kulturen in Kämpfen entstehen, ohne klare Grenzen sind und in Inklusions- und Exklusionsprozessen konstituiert werden.« (Leggewie / Zifonum 2010: 15)
3 | Wie de Certeau fortfährt, sind Verbindendes und Trennendes hier eins. »Zu welchem von den Körpern, die Kontakt miteinander haben, gehört die Grenze? Weder dem einen noch dem anderen. Heißt das: niemandem?« (de Certeau 1988: 233)
4 | Die räumliche Wende in den Kultur- und Sozialwissenschaften wurde ausgelöst durch das Werk Michel Foucaults und La production de l’espace (1974) von Henri Lefebvre, die wiederum von zentraler Bedeutung für Edward Sojas Third Space: Journeys to Los Angeles and Other Real-and-Imagined Places (1996) waren. Dem Stadtplaner Soja, der den Terminus ›spatial turn‹ geprägt hat, geht es um eine Rekonzeptualisierung von Raum selbst. Angesichts der z.T. ungenauen Verwendung von ›turn‹ in den Literatur- und Kulturwissenschaften in den Folgejahren bemüht sich Doris Bachmann-Medick in Cultural Turns: Neuorientierung in den Kulturwissenschaften (2006) um eine wissenschaftstheoretische Konturierung des Begriffs und damit auch des ›spatial turn‹ innerhalb der Disziplin. Einen Überblick über die räumliche Wende in verschiedenen Disziplinen geben Döring / Thielmann 2008 und Wharf 2008. Zu ausgewählten Grundlagentexten siehe Dünne / Günzel 2006, zur Erörterung der Rolle von Raum und Bewegung in literarischen Texten vgl. Hallet / Neumann 2009.
5 | Weitere, auf das Thema der GiG-Konferenz in Limerick zurückgehende Beiträge erscheinen 2016 in einem Themenheft des Jahrbuchs Germanistik in Ireland unter der Überschrift Transit oder Transformation? Sprachliche und literarische Grenzüberschreitungen sowie in dem von den Autoren dieser Einführung herausgegebenen Konferenzband mit dem Titel Transiträume und transitorische Begegnungen in Literatur, Theater und Film.
6 | Hierzu Bhabha: »[I]n the fin de siècle we find ourselves in the moment of transit where space and time cross to produce complex figures of difference and identity, past and present, inside and outside, inclusion and exclusion.« (Bhabha 2004: 2)
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