This contribution discusses different aspects of intercultural thought and intercultural practices that are a product of the constellation of Luxembourg’s plurilingual literary field. The focus will be on the culture-theoretical concept of the ›Mischkultur‹, on the cultural transfer as a major condition of the literary field, and on a singular, specific expression of a multilingual literature.
Die Literatur in Luxemburg entwickelt sich in einem komplexen Feld und ist, wie andere Literaturen, reich an vielfältigen Schreibstrategien, thematischen Setzungen, ästhetischen Formen oder genrespezifischen Entwicklungen. Wie auch zu anderen Themen und Fragestellungen leistet sie ebenso zur Interkulturalität einen Beitrag, nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass die Mehrsprachigkeit ein spezifisches Merkmal des literarischen Feldes in Luxemburg ist (vgl. u.a. Wilhelm 1999 u. Goetzinger 2004). Seit Beginn des 19. Jahrhunderts entstanden Texte auf Luxemburgisch, Deutsch und Französisch, und seit den 1960er Jahren kamen Englisch und die Migrationssprachen Italienisch, Portugiesisch und Spanisch dazu. Einige zentrale sich aus dieser Konstellation ergebende Formen interkulturellen Denkens und interkultureller Praktiken im literarischen Feld Luxemburgs stehen im Fokus der nachfolgenden Überlegungen, welche die Kontinuität des Themas in und für die Literatur des 20. Jahrhundert in Luxemburg ebenso unterstreichen wie Besonderheiten berücksichtigen.1 Interkulturalität wird erstens als kulturtheoretischer Entwurf am Beispiel des Konzepts der ›Mischkultur‹ diskutiert, wonach Luxemburg als ›Zwischenland‹ die Aufgabe der Vermittlung zwischen Germania und Romania zugeschrieben wird. Interkulturalität wird zweitens als literatursoziologische Bedingung des literarischen Feldes beschrieben, bevor abschließend, drittens, eine spezifisch ästhetische Ausgestaltung interkultureller Literatur in Luxemburg vorgestellt wird: die mehrsprachige Literatur.
Mit ›Mischkultur‹ wird jener zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte kulturtheoretische Selbstentwurf bezeichnet, der im Wettbewerb mit alternativen Konzepten oder Reflexionen über identitäre Selbstverständigungsverhandlungen ein besonders wirkungsreiches Beispiel interkulturellen Denkens ist. Das Nachdenken über die eigene Identität in Bezug auf das Fremde wurde ab 1907 von jenen Intellektuellen in Luxemburg betrieben, die zugleich der Literatur den Weg in die Moderne wiesen. Vor allem die Schriftsteller Frantz Clément (1882-1942) und Batty Weber (1860-1940) propagierten mit dem Begriff der ›Mischkultur‹ eine Kulturvorstellung, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts großen Anklang bei der intellektuellen Elite fand (vgl. Conter 2007). Die ›Mischkultur‹ fungierte dabei als eine »poetologisch-diskursive Figur« (Goetzinger 1991, 185) und hatte eine »Aufwertung der eigenen Zwischenstellung« zwischen Frankreich und Deutschland zum Ziel. Aus diesem Topos der ›Mischkultur‹ wurde der Gedanke der Vermittlung zwischen den Kulturen in Luxemburg als eine regelrechte »Wunschidentität« (ebd.) abgeleitet: Das ›Luxemburgische‹ manifestiere sich demnach einerseits als eine eigenständige Kultur zwischen der ›französischen‹ und der ›deutschen‹ im Sinne einer »Tertiärkultur« (Földes 2007, 34) und sei andererseits aufgrund des Bilingualismus wesentlich von der Adaption kultureller Einflüsse der Nachbarländer geprägt und daher zur Vermittlung zwischen beiden Ländern prädestiniert.
Der Entwurf von Clément und Weber grenzt sich dezidiert von dem im 19. Jahrhundert in Luxemburg dominanten Identitätsentwurf und von der herrschenden Kulturvorstellung ab. Kultur war zuvor in der romantischen Tradition an den Volksbegriff gekoppelt worden, woraus eine enge Beziehung zwischen dem Identifikationsmedium der Sprache und der politischen Gemeinschaftsbildung hergestellt wurde. Der damalige Staatsminister Paul Eyschen (1841-1915) fasste diese Konzeption 1903 bei der Einweihung des Denkmals für die Dichter Dicks (Edmond de la Fontaine, 1823-1891) und Michel Lentz (1820-1893) auf dem Paradeplatz in Luxemburg zusammen: »Ons Sprôch, dat ass d’Murech an de Schanken […]. Ons Sprôch, dat ass dem Vollek sei Gêscht, de Lëtzeburger Gêscht« (Welter 1914, 135).2
Doch für Weber (1909, 122) war nicht mehr die Sprache allein, sondern auch »die Nähe der Grenze« für die Ausgestaltung der Luxemburger Literatur und Kultur von entscheidender Bedeutung. Damit aber koppelte er die primordialen Kodierungen wie Geburt, Sprache und Rasse vom Kulturbegriff ab. Der von ihm und Clément entworfene neue kulturtheoretische Identitätsentwurf stellte stattdessen die Zwischenstellung Luxemburgs in den Mittelpunkt und führte so aus den Aporien eines auf Sprache zentrierten Kulturverständnisses heraus. Zudem griffen beide Denker einer Nationalisierung von Kultur voraus, insofern das ›Eigene‹ nicht mehr als eine abgeschlossene Entität, sondern aufgrund der territorialen Pufferstellung, des staatlichen Bilingualismus und der geschichtlichen und kulturellen Bindungen an Deutschland und Frankreich als eine dynamische und offene Größe begriffen wurde.
Für Schriftsteller und Gelehrte, die sich als Teil einer europäischen Avantgarde verstanden und die sich eine pazifistische Internationalisierung sowie einen regen Austausch mit ausländischen Kollegen auf die Fahnen schrieben, blieb der Entwurf der ›Mischkultur‹ auch nach dem Ersten Weltkrieg ein kulturtheoretisches Regulativ. Zu denken ist etwa an Pol Michels (1897-1956), Lyriker und erster Übersetzer von Gottfried Benns (1886-1956) und Georg Trakls (1887-1914) Gedichten ins Französische; er übersetzte zugleich französische Texte ins Deutsche und er war in allen Zentren der europäischen Avantgarde zuhause (vgl. Mannes 2007). Sogar Schriftsteller, die sich dem Verständnis einer modernen Literatur verwehrten, übernahmen zentrale Aspekte des ›Mischkultur‹-Konzepts, da es identitätsstabilisierend nach innen wirkte: So wurde das neue, moderne Identitätskonzept in Volksstücken wie Max Goergens (1893-1978) Ons Hémecht (1919) oder in anderen Texten diskursiv vermittelt und positiv gewertet. Im Roman Anna (1918) von Johann Peter Erpelding (1884-1977) heißt es unmissverständlich über die jungen Luxemburger:
Über dem Essen sprachen sie selbstverständlich von dem Neuen, das sich in der Welt zutrug. Sie waren wie die meisten Intellektuellen Luxemburgs Anhänger eines toleranten Internationalismus, eines Zustandes, in dem die Menschen aller Völker in gleicher Freiheit und Unabhängigkeit nebeneinander leben würden. Sie waren ja ohne große historische Vergangenheit, die einen stark ausgeprägten Vaterlandsbegriff hätte entwickeln können, und sie waren auch in ihrem wirtschaftlichen Leben vollständig auf die größeren Nachbarn angewiesen. Zudem genossen sie den Vorteil der Zweisprachigkeit, die es ihnen möglich machte, mit gleichem Verständnis und mit gleicher Liebe die Geistesprodukte der beiden rivalen Länder, die sich auf dem Kontinent die Wagschale hielten, zu werten und zu genießen. (Erpelding 1918, 16)
Noch in den 1930er Jahren rückte Erpelding die kulturelle Zwischenstellung im Entwicklungsroman mit dem programmatischen deutsch-französischen Titel Adelheid François in den Mittelpunkt.3 Doch veränderte sich das ›Mischkultur‹-Konzept in dem Maße, in dem das Eigenständige wieder stärker mit dem Luxemburgischen verknüpft wurde. Zwar wurde die spezifische Aufgabe der Vermittlung weiterhin von Batty Weber betont, doch profilierte er nunmehr die Vorstellung des Eigenen gegenüber dem Vermittlungsgedanken stärker: Da die Idee der Brückenfunktion zwischen den Kulturen in den 1930er Jahren zunehmend anfällig für ideologische Instrumentalisierungen geworden war, wurde das Luxemburgische nun als eine eigenständige dritte Kultur im Konzept der ›Mischkultur‹ stärker in den Vordergrund gerückt. Unter dem Eindruck der unmittelbaren Bedrohung durch das NS-Regime merkte Weber in seiner Kolumne Abreißkalender vom 24. Januar 1933 an, dass »unsere Eigenart […] weder deutsch noch welsch, sondern luxemburgisch ist.« Die Konzeption der ›Mischkultur‹ enthält demnach den Gedanken eines idealtypischen Regulativs kulturalistischen Denkens, wonach das Luxemburgische eine eigenständige Kultur zwischen der französischen und der deutschen darstellt und zugleich wesentlich aus diesen durch adaptive Aufnahme bestimmt wird. Diesen Aspekt hatte der Schriftsteller und Herausgeber der Zeitschrift Les cahiers luxembourgeois Nicolas Ries (1876-1941) bereits 1920 in seiner mentalitätspsychologischen Studie Le peuple luxembourgeois diskutiert und als spezifische kulturelle Fähigkeit der Luxemburger, als »puissance d’assimilation peu commune«, hervorgehoben:
Ayant pris l’habitude, de par notre position centrale et intermédiaire, d’opérer un choix judicieux entre les éléments compatibles de deux cultures, entre ceux qui sont ap-parentés à notre être le plus intime, et de les transformer pour nos propres besoins, nous formons de prodigieux réservoirs d’énergie. (Ries 1920, 286)
Die Vorstellung der ›Mischkultur‹ hatte darüber hinaus die Einsicht in die Notwendigkeit von Transferbewegungen derart zementiert, dass die Idee auch in andere Bereiche, etwa in die Politik und in die Wirtschaft diffundierte. Wie wirtschaftliche und kulturelle Interessen sich im Konzept der ›Mischkultur‹ verzahnen konnten, wurde in Colpach deutlich. Dorthin lud Aline Mayrisch-de Saint Hubert (1874-1947) deutsche und französische Intellektuelle wie André Gide (1869-1951) und Ernst Robert Curtius (1886-1956) in ihren literarischen Salon ein, während ihr Gatte, der Stahlmagnat Émile Mayrisch (1862-1928), den Wettbewerb auf dem Stahl- und Kohlemarkt zwischen Deutschland und Frankreich austarierte.
Nach 1945 wurde das Konzept der ›Mischkultur‹ kaum noch diskutiert. Dominant wurde nun das Bemühen, die im kulturtheoretischen Entwurf der Moderne in Luxemburg bereits in nuce enthaltene europäische Dimension, die in den 1920er Jahren vor allem in studentischen Kreisen mit sozialistischen und linksliberalen Positionen und in Colpach mit Paneuropa diskutiert worden war, zum politischen und kulturellen Identitätsmerkmal Luxemburgs zu extrapolieren. Der Luxemburger Europa-Diskurs, insbesondere der politische – wie er von den Vertretern der christlichen Volkspartei (CSV) Pierre Frieden (1892-1959) und Pierre Grégoire (1907-1991) angeregt wurde –, beinhaltet bis heute den Gedanken vom Vermittlungsgeschick der Luxemburger und ihrer historischen, geografischen und kulturellen Berechtigung. Allerdings ist der Europa-Diskurs im Gegensatz zum linksliberalen Kulturkonzept der ›Mischkultur‹ überwiegend ein politischer, der die kulturelle Selbstdefinierung Luxemburgs voraussetzt, aber nicht zum Ziel hat.
Der kulturtheoretische Entwurf der ›Mischkultur‹ wirkte sich auf die kulturelle Praxis so sehr aus, dass er sich geradezu zu einer literatursoziologischen Bedingung des literarischen Feldes entwickelte. Nicht immer beriefen sich Autoren explizit auf das Konzept der ›Mischkultur‹, doch verorteten sie sich nicht selten deutlich in jener Denktradition oder beanspruchten die daraus entwickelten Ideen der Vermittlung, um auf Kulturtransfer basierende kulturelle Praktiken zu begründen. Beispiele dafür sind Zeitschriftgründungen wie Floréal (1907-1908) oder Origine (1966-1968) und Nuova Europa (1972-2000), internationale Dichtertreffen wie in Colpach in den 1920er Jahren oder in Mondorf in den 1960er und 70er Jahren, schließlich der Umstand, dass viele Autoren zugleich im literarischen Feld Luxemburgs, Deutschlands, Österreichs, Belgiens und Frankreichs anwesend sind.
Die von Marcel Noppeney (1877-1966) und Frantz Clément begründete Literaturzeitschrift Floréal war ein kurzlebiges, aber innerhalb des Literaturbetriebs charakteristisches Projekt (vgl. Goetzinger 1985). Sie war zweisprachig, wurde redaktionell von den führenden Intellektuellen in Luxemburg betreut und versammelte Beiträge von Luxemburger, deutschen und französischen Schriftstellern und Künstlern. Durch die Mitarbeit ausländischer Autoren wie Richard Dehmel (1863-1920), Johannes Schlaf (1862-1941) oder Émile Verhaeren (1855-1916), um die sich die Herausgeber erfolgreich bemühten, sollten zugleich Luxemburger Autoren die Wege zu den Literaturmärkten in Deutschland, Frankreich und Belgien geebnet werden. Insbesondere Floréal ist exemplarisch für das Interkulturalitätsbewusstsein im literarischen Feld in Luxemburg. Ausgangspunkt der Bemühungen war die Überzeugung, dass die genaue Beobachtung der literarischen Bewegungen im Ausland und die Vermittlung neuer ästhetischer Tendenzen nach Luxemburg ein wesentliches Element der Weiterentwicklung der eigenen Literatur in mehreren Sprachen sei. Im Vorwort heißt es: »Wir schulden zwei Völkern unser Hirn und sind stets zwei Völkern für ihre Anregungen dankbar« (Floréal 1907, 5) und: »Notre patrimoine linguistique et littéraire unit indissolublement et indistinctivement le français et l’allemand.« (Ebd., 4f.) Dabei wird die eigene Tätigkeit als Aktant in Kulturtransfer-Prozessen aufgewertet. Dass die redaktionelle Zusammenarbeit nicht zuletzt aufgrund der gefühlten Zugehörigkeit einzelner Redakteure zu unterschiedlichen kulturellen Traditionen nicht friktionsfrei verlief, gehört ebenso zur Geschichte der Zeitschrift wie die Beobachtung, dass das Gespräch über die internationale Literatur auch Bestandteil eigener ästhetischer Positionsbestimmungen war, die einem interkulturellen Dialog durchaus im Wege stehen konnte.
Auf Kulturtransfer ausgerichtet war auch die Vermittlungsleistung des schon erwähnten Colpacher Kreises um Aline Mayrisch ab 1923. Regelmäßig lud sie die intellektuelle Elite Westeuropas nach Luxemburg zu einem kulturellen Zirkel ein: Hier lernten Curtius und Gide einander kennen, hier trafen sich Bernhard Groethuysen (1880-1946), Karl Jaspers (1883-1969), Annette Kolb (1870-1967), Henri Michaux (1899-1984), Walter Rathenau (1867-1922), Jacques Rivière (1886-1925) oder Hermann Graf Keyserling (1880-1946). Zudem machte Mayrisch beispielsweise Gide mit Texten von Rainer Maria Rilke (1875-1926) bekannt, und sie beförderte den interkulturellen Ideenaustausch durch eigene Übersetzungen von Meister Eckhart (um 1260 – vor 1328) und Rilke (vgl. auch Goetzinger/Mannes/Wilhelm 1999 oder Mannes 1999).
An den Colpacher Kreis wurde 1962 ganz bewusst angeschlossen mit der Organisation der von Anise Koltz gemeinsam mit Nic Weber, Edmond Dune (1914-1988) und Horst Bingel (1933-2008) initiierten Mondorfer Dichtertage, die bis 1974 sieben Mal und dann noch einmal 1995 stattfanden, davon einmal im belgischen Pont d’Oye. Bei diesen deutsch-französischen Dichterbegegnungen, die Alain Weins im Rückblick als »interkulturelles Laboratorium« bezeichnete (Weins 1999, 102), fungierten die Luxemburger Autoren (einmal mehr) überwiegend als Übersetzer. Einigen wenigen von ihnen öffneten sich darüber hinaus über persönliche Kontakte Zugänge zu den Literaturbetrieben in Deutschland und Frankreich – etwa Jean Paul Jacobs, der 1967 H.C. Artmann (1921-2000) nach Berlin folgte (vgl. Jacobs 2006). Dabei liefen die Mondorfer Begegnungen nicht reibungsfrei ab: Um und nach 1968 etwa polarisierten die Diskussionen über eine Politisierung der Literatur aufgrund unterschiedlicher Auffassungen von literarischem Engagement zwischen deutschen und französischsprachigen Autoren. Zudem führte die Begegnung gerade dort nicht zum interkulturellen Dialog, wo mangels Fremdsprachenkenntnissen eine Verständigung nicht im gewünschten Maße stattfinden konnte. So berichtete Claude Esteban (1935-2006), dass er die Position von Walter Neumann erst verstand, als er mit ihm Englisch gesprochen habe. Da schließlich die Übersetzungen der vorgelesenen Texte und Referate meist nicht so einprägsam wie das Original waren, blieb aus der Sicht der Organisatorin Anise Koltz lediglich der Ausweg, dass die Deutschen Französisch und die Franzosen Deutsch lernen müssten. Wieder einmal wurde Mehrsprachigkeit als unhintergehbare Voraussetzung von Interkulturalität hervorgehoben. Dies gilt für die Mondorfer Dichtertage im Speziellen ebenso wie für die Kulturtransfer-Bewegungen insgesamt zwischen Luxemburg und den Nachbarländern (vgl. etwa Goetzinger/Mannes/Wilhelm 1999 und Mannes 1999).
Bereits innerhalb des literarischen Feldes in Luxemburg finden Kulturtransfer-Bewegungen statt, entsteht, insbesondere seit den 1960er Jahren, ein tatsächlicher interkultureller Mikrokosmos. Dies ist auch auf die Internationalisierung der Stadt Luxemburg als Sitz europäischer Institutionen und als Standort internationaler Dienstleistungsunternehmen zurückzuführen, die, mehr als in anderen europäischen Städten, die kulturelle Dynamik beschleunigt und das literarische Feld verändert hat. Es waren italienische EG-Beamte, die innerhalb des literarischen Feldes in Luxemburg zunächst ein eigenes literarisches Produktions- und Distributionssystem aufbauten und zugleich einen interkulturellen Dialog über Literatur führten.4 Franco Prete (1933-2008) gründete in den 1960er Jahren den Verlag Origine, in dem mehr als 50 italienisch-französische oder andere bilinguale Gedichtbände erschienen. Origine veröffentlichte Bücher von Luxemburger Autoren wie Nic Klecker (1928-2009), Edmond Dune und Anise Koltz, was die zunehmende Integration der neu entstandenen Strukturen ins literarische Feld verdeutlichte. Prete war zudem Gründer und Herausgeber der zweisprachigen Literaturzeitschrift Origine, die zwischen 1966 und 1968 erschien und in der auch Luxemburger Autoren veröffentlichten. Prete seinerseits veröffentlichte in Les Cahiers luxembourgeois, und seine Gedichte wurden in Luxemburger Anthologien wie Au-delà du désespoir (1983), Dialogues (1984) oder Partages (1985) aufgenommen. Er ist damit durchaus kein Einzelbeispiel. Der Italiener Pino Mariano, der Germanistik, Romanistik und Italianistik in Zürich, Venedig, Mailand und Urbino studierte, schrieb seine Abschlussarbeit, nachdem er den Luxemburger Dichter und Rilke-Forscher Paul Henkes (1898-1984) getroffen hatte, über den Schriftsteller Nikolaus Hein (1889-1969). Als Mariano zwischen 1972 und 1982 als Übersetzer bei der EG in Luxemburg arbeitete, war er zunächst Mitarbeiter, später Chefredakteur der von Mimmo Morina (1933-2005) begründeten Literaturzeitschrift Nouvelle Europe. Arts-lettres-sciences, die noch Nuova Europa oder Neuropa genannt wurde. Ähnlich wie Floréal beabsichtigte die Zeitschrift die Vertiefung eines europäischen Kulturbewusstseins, indem sie über Tendenzen der europäischen Kultur berichtete. Zu den Mitarbeitern gehörten außer Georges-Emmanuel Clancier und Léopold Sédar Senghor (1906-2001) Luxemburger Autoren wie Henri Blaise, Paul Henkes, Rosemarie Kieffer (1932-1994), Pierre Roller (1935-2010) oder Robert Schaack-Étienne (1917-2010).
Origine und Nuova Europa sind integrativer Bestandteil des literarischen Feldes in Luxemburg. Ein Ausweis seiner Interkulturalität ist zweifelsohne, dass die Literatur ausländischer Bevölkerungsgruppen in Luxemburg zur Luxemburger Literatur gehört und nicht, wie zumeist in europäischen Ländern, als etwas außerhalb der häufig als national begriffenen Kultur bewertet wird.5 Zur Literatur in Luxemburg gehört auch, dass Autoren aus Luxemburg in zahlreichen ausländischen Literaturzeitschriften veröffentlichen und sich zugleich in ästhetische Tendenzen eines anderen literarischen Feldes einschreiben. Ein Beispiel mag dies illustrieren: Horst Bingel veröffentlichte 1961 Gedichte von Anise Koltz in seiner Anthologie Deutsche Lyrik. Gedichte seit 1945. Ihre Gedichte sind auch abgedruckt in Anthologien herausgegeben von Johannes Poethen (1928-2001) und Wolfgang Weyrauch (1904-1980), Heinz Ludwig Arnold, Wolfgang Hädecke, Hartwig Kleinholz (1935-1978), Peter Jokostra (1912-2007), Hans K. Matussek, Ulf Miehe (1940-1989), Franz Lennartz (1910-2003) u.a. Zum anderen finden sich französischsprachige Gedichte von Anise Koltz in der Anthologie La poésie française depuis 1950, die Alain Bosquet (1919-1998), russischstämmiger französischer surrealistischer Autor 1977 herausgab; abgedruckt sind ihre Gedichte auch in frankophonen Literaturzeitschriften, etwa in Le Thyrse, La Dryade, Poésie. La nouvelle poésie française, Benelux Nouvelles, Haut Pays, Prométhée, Le temps parallèle, um nur einige zu nennen. Anise Koltz übersetzt zudem aus dem Französischen ins Deutsche, z.B. Werke Senghors, des senegalesischen Dichters und einstigen Präsidenten, sowie gemeinsam mit Aimé Césaire (1913-2008), Begründer der Strömung der »Négritude«. Anise Koltz ist damit zugleich eine Vertreterin der deutschsprachigen, nicht der deutschen, und der frankophonen, nicht der französischen Literatur. Und indem sie an beiden Literaturen partizipiert, nimmt sie nicht zuletzt auch deswegen eine dominante Stellung in einem von vielen Aktanten als interkulturell beschriebenen Luxemburger Literaturbetrieb ein.
Die interkulturelle Perspektivierung der Literatur in Luxemburg, wie sie anhand der zuvor erwähnten Beispiele deutlich wurde, bedingt, dass all jene Autoren in das Luxemburger Autorenlexikon aufgenommen wurden, »die unabhängig von der Staatsbürgerschaft in Luxemburg veröffentlicht oder auf das literarische Leben gewirkt haben« (Goetzinger/Conter 2007, 7). Diese Entscheidung beruht auf der Beobachtung der »besondere[n] Situation der Kulturentwicklung in Luxemburg, die eng mit der geschichtlichen Selbstvergewisserung des Großherzogtums und der kulturellen Praxis des deutsch-französisch-belgischen Ideen- und Intellektuellentransfers zusammenhängt« (ebd., 6). Ein solches Wissenschaftsverständnis setzt eine De-Nationalisierung bei der Beschreibung des literarischen Feldes voraus und orientiert sich konsequent an der Praxis interkulturellen Denkens und Handelns im Luxemburger Sozialsystem Literatur. So werden die Gedichte von Gilles Ortlieb (1953 in Marokko geboren und als Übersetzer in Luxemburg lebend) oder Serge Basso de March (1960 in Frankreich geboren und Leiter der Kulturfabrik in Esch-sur-Alzette) im Feuilleton ohne Zuweisung eines besonderen Status im Literatursystem besprochen – und zwar als Texte, die der Kategorie Luxemburgensia zugewiesen werden, weil sie in Luxemburger Verlagen erscheinen oder in Luxemburger Literaturorganen veröffentlicht werden oder weil die Autoren in Luxemburg wirk(t)en. Dass diese Autoren keine Randerscheinung im Literaturbetrieb sind, wird an der 1934 in Mecklenburg geborenen und seit 1983 in Luxemburg ansässigen Margret Steckel deutlich. Sie erhielt 1997 für den im Verlag Phi erschienenen Roman Der Letzte vom Bayrischen Platz (1996) den prestigereichen und für das jeweils beste Buch des Jahres in Luxemburg vergebenen Prix Servais. Ebenso selbstverständlich ist, dass der in Luxemburg geborene, aber in Berlin lebende und dort im Elfenbein-Verlag veröffentlichende Pol Sax seinerseits den Prix Servais 2009 für den Roman U5 erhielt und dass der Förderpreis im selben Jahr an eine in Luxemburg lebende Französin, Hélène Tyrtoff, ging. All dies sind keine Besonderheiten, sondern Ausdruck eines Literaturverständnisses interkultureller Prägung. Interkulturalität ist dabei keineswegs als Migrationsliteratur misszuverstehen, sondern bedeutet, dass die sprachlichen und kulturellen Vernetzungen im literarischen Feld so eng sind, dass Unterscheidung zwischen ›Eigenem‹ und ›Fremdem‹ wie selbstverständlich unterlaufen werden.
Ein besonderes Kennzeichen des mehrsprachigen literarischen Feldes ist nicht das Nebeneinander der Sprachen, sondern ihr Miteinander, wie es in Hybridtexten, also in mehr als einer Sprache verfassten Texten, zum Ausdruck kommt. Dabei handelt es sich innerhalb der literarischen Produktion um eine besondere literarische Form mit einem spezifischen und von der literarischen Öffentlichkeit gewürdigten Kunstanspruch, keineswegs aber um ein verbreitetes Genre.
Auch wenn Hybridtexte bereits im 19. Jahrhundert entstanden, wurde 1998 erstmals der Luxemburger Literaturpreis für Mehrsprachigkeit vergeben. Die Thomas-Mann-Bibliothek des Goethe-Instituts, das Centre culturel français, der (Luxemburger) Kultursender Radio 100,7 und das Centre national de littérature in Mersch schrieben den Wettbewerb aus und verlangten Texte »in einer Kombination von mindestens zwei der drei Landessprachen« (Melusina 1999, 5). Zudem durften die Texte auch noch andere Sprachen enthalten, wobei der Text sich auch einem Leser erschließen sollte, der nur eine der offiziellen Amtssprachen, wie sie im Sprachengesetz vom 24. Februar 1984 verankert sind,6 verstünde. Während der Literaturpreis noch eine sozial fundierte Legitimation von Interkulturalität angab, insofern der Preis auf »Kommunikation in einer multikulturellen Gesellschaft« (Melusina 1999, 8) abzielte, so hatte sich bereits in den 1980er Jahre, ohne kulturpolitische Ermutigung, eine mehrsprachige Literatur herausgebildet, die bis heute eine wichtige Tendenz der sprachexperimentellen Literatur darstellt und in der die Sprachenkombinatorik auch ein Ausweis ästhetischer Virtuosität ist.
Die Funktionen des Sprachwechsels in Hybridtexten variieren von der intertextuellen Markierung über die textimmanente Heraushebung eines Bildes, Gedankens oder Wortes bis hin zu einem Signal der Sprachvertrautheit mit dem impliziten Leser. Guy Helminger, der auf Deutsch schreibt, integriert in seinen in Luxemburg erschienenen Gedichtbänden, etwa in Entfernungen (in Zellophan) (1998), Leib, eigener Leib (2000) oder Ver-Wanderung (2002) auch luxemburgische, manchmal zudem englische Wörter und Sätze und verbindet diese mittels phonetischer Affinitäten mit deutschen Wörtern.7 Die Gedichte erscheinen als Sprachkreuzungen, an denen sich unterschiedliche Wahrnehmungen überschneiden. Die fremdsprachigen Einlassungen ordnen sich in Helmingers ›Poetik einer Synapsenarbeit‹ ein. Synapsenarbeit meint die Denkvernetzung, die darin besteht, unterschiedliche Sinneswahrnehmungen und Erfahrungen zu verknüpfen, sie zu einem Bild zu verdichten oder in einer Momentaufnahme sichtbar zu machen (vgl. Guntermann 2004, 231). Helminger nennt die Texte daher auch »Textur«, ein Gewebe, bei dem ein Zusammenhang zwischen den verschiedenen Elementen bereits durch die grafische Oberflächengestaltung mit Kapitälchen, Kursivierungen oder gesperrter Buchstabenanordnung auffällt und eine Architektur der Signifikate entwirft, die auf die unterschiedliche Provenienz der den Augenblick konstituierenden Wahrnehmungen verweist. Die Gedichte sind als Stimmen- und Bilderpolyphonien zu begreifen, die Disparates in der Sinneswahrnehmung verknüpfen und in »simultane[n] Bilderfolgen und Assoziationsketten« (ebd.) einen Bewusstseinsstrom simulieren. In den ersten Versen des Gedichts Besuchung aus dem Band Leib, Eigener Leib erklärt sich aus dieser Poetik heraus der Wechsel von deutschen und luxemburgischen Wortsequenzen.
bereits
gëscht e Schnuddelhung geschluecht
im Zug die ersten Häppchen
am Eemer e Bierg Plommen
gemutterspracht
geschluckt weil draußen
bereits
Esch zwischen den Drähten hing
Ech hun hei nët vill verluer
aber ich suche
immer wieder
Versuchtes in den
hängenden Straßen
ein drahtiges Sprechen8
Das Gedicht ist ein Assoziationsreigen eines Textsubjekts, das auf Besuch in seiner Heimat Luxemburg ist und auf dem Rückweg mit der Bahn nach Deutschland sich an Einzelgespräche erinnert, zugleich seine Fremdheit in der Heimat bekundet (»Die Zunge wund vom eigenen Dialekt«) und sich doch auch mit Wehmut freut, »gemutterspracht« zu haben.9
In anderen Texten Luxemburger Autoren ist die Sprachkombinatorik handlungsrelevant. In Roger Manderscheids Dialog penalty begegnen sich die Figuren Alex, der sich als Fausto Wilwerwiltz vorstellt, und Zapp, der sich Piotr nennt. Das Gespräch, das in seinem Verlauf immer versponnener und assoziativer wird, kann als eine Exposition über Fremdheitserfahrung gelesen werden, in der in sich abgeschlossene Stereotypen über das Fremde enthaltende Kulturvorstellungen karikiert werden. Alex und Zapp, die sich zu Beginn als kulturelle Puristen verhalten, lassen allmählich erkennen, dass sie zur Selbstbeschreibung auf Alteritätsstrukturen verweisen und in den jeweiligen als kohärent apostrophierten Sozial- und Kulturgemeinschaften fremd sind. Beide werden aufgrund geschilderter Migrationshintergründe als hybride Identitäten erkennbar.10 Zapp behauptet, das Kind finnisch-siebenbürgischer Eltern zu sein; der Großvater sei Weißrusse und die Großmutter väterlicherseits Kroatin (vgl. Manderscheid 2009, 16-19). Die Familie habe zunächst in Russland, dann in Polen, schließlich in Köln und Bitburg gelebt, »immer wieder vertrieben und auf der flucht« (ebd., 20), schließlich in Echternach gestrandet. Alex hat einen italienischen Migrationshintergrund. Alex und Zapp begreifen sich selbst als interkulturelle Identitäten. Der Sprachwechsel ist Ausdruck ihres Unbehaustseins, zugleich wird das Bewusstsein von der sprachlichen Bedingtheit identitärer Reflexionsprozesse deutlich. So wird das die Identität anzeigende Verb »sein« mehrsprachig dekliniert: »je suis, du bass, er ist, we are, dir sidd, ils sont« (ebd., 24). Mehrsprachigkeit wird zugleich als Identitätskonstruktion definiert, wobei der Topos der ›Mischkultur‹ als Ausdruck eines europäischen Bewusstseins bedient wird: »vier-fünfsprachig: europa« (ebd., 25). Zugleich wird dieser Entwurf auch hintergangen, indem dieselbe Figur Alex jegliche Ausprägung kohärenter Einheitsvorstellungen verflucht, diesen Fluch zugleich aber als lustvolles Spiel inszeniert, »wie zum spass«. Alle denkbaren Kollektiventwürfe sollen zum Teufel gejagt werden: »houre pollack, houre preiss, houren äifeler Bauer, houren europäer […] houre lëtzebuerger« (ebd., 26f.).11
Mehrsprachige Literatur mag ein Markenzeichen eines mehrsprachigen literarischen Feldes sein, es ist aber in erster Linie eine Leistungsschau sprachexperimenteller Fertigkeiten und ästhetischen Traditionsbewusstseins und nicht zuletzt eine eigene Art, literarisch eine Antwort auf die sozialen Verhandlungen von Interkulturalität zu geben. Indem die Texte eine poetologische Lektüre nahelegen, lassen sie sich auch als Entwürfe einer literarischen und ästhetischen Selbstbegründung lesen, wobei das virtuose Spiel mit Mehrsprachigkeit und mit unterschiedlichen ästhetischen Traditionen als ein auszeichnendes Element hervorgehoben wird. Über ein solches Spiel hinaus geben die Hybridtexte auch eine Antwort auf Identitätsfragen: Sie entlarven jegliche Identitätskonstruktion als kulturell verbrämte politische Scheinidentität und subvertieren nationale Identitätsentwürfe, in penalty etwa anhand von absurden Migrationsbiografien. Vor allem aber geben sie auf Versuche kultureller Festschreibungen von Identitätsentwürfen (auch interkulturellen) eine Antwort, bei der die Lust an sprachlich bedingten kulturellen Missverständnissen und Kulturstreitigkeiten ästhetisch bewältigt werden.
Das kulturtheoretische Konzept der ›Mischkultur‹ war zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine faszinierende (Selbst-)Beschreibungsmatrix in Luxemburg und kennt, wie zunächst ausgeführt, eine erstaunliche Langzeitwirkung bis heute (vgl. Goetzinger/Mannes 2009). Germaine Goetzinger zufolge hat die aus diesem Konzept entstandene
literarische Kommunikation im polyglotten Mikrokosmos an der Grenze von Romania und Germania mit einem starken Spannungsverhältnis von Identität und Differenz […] in gewisser Weise Modellcharakter für eine europäische Literatur in einer zunehmend sich öffnenden und nomadisierenden Welt (Goetzinger 2000, 62).
In jedem Fall illustriert die ›Mischkultur‹, entgegen dem semantischen Nachhall ihrer Bezeichnung, ein ›Drittes‹, etwas Eigenes, das aus der Beobachtung von Transferprozessen zwischen zwei benachbarten Kulturen entsteht und zugleich verdeutlicht, dass Kultur im literarischen Feld in Luxemburg sinnvollerweise als Interkultur gedacht werden kann, als ein dynamisches Konzept. Die Interkulturalität ist zudem als Epiphänomen eines auf Internationalität ausgerichteten literarischen Feldes zu betrachten, für das die Praxis des Kulturtransfers zentral ist, z.B. in Form von Übersetzungen (Wilhelm 2008), internationalen Dichterzusammenkünften oder Publikationen Luxemburger Autoren in ausländischen Literaturzeitschriften oder Veröffentlichungen ausländischer Autoren in Luxemburger Literaturzeitschriften.
Es ist folgerichtig, dass das Verhältnis des Eigenen zum Fremden im Sinne der Rezeptions- und Ausgangskultur in einem fortwährenden Prozess neu definiert und reflektiert wird. Die Interkulturalität des literarischen Feldes in Luxemburg ist mit differenztheoretischen Betrachtungsweisen nicht zu fassen, auch ist sie keine hinreichende, zumindest aber eine aufschlussreiche Beschreibungskategorie des literarischen Feldes in Luxemburg. Problematisch ist sie dann, wenn die dem Begriff zugrunde liegende binäre Oppositionslogik die Komplexität der Literaturproduktion und der Schreibbedingungen nicht präzise erfassen kann. Die genauere Beschreibung des literarischen Feldes in Luxemburg kann indes im Sinne eines Mikrokosmos sehr wohl Modelle interkulturellen Denkens und interkultureller Praktiken verstehbar machen.
1 | Nicht eingegangen wird auf Alteritätserfahrungen in literarischen Texten, auf Formen der Migrationsliteratur in der zeitgenössischen Literatur oder auf imagologische Studien zur Luxemburger Literatur. Vgl. dazu exemplarisch Marson 2004, Glesener 2008 u. Wilhelm 2009.
2 | »Unsere Sprache ist das Mark in den Knochen. […] Unsere Sprache ist der Volksgeist, der Luxemburger Geist.«
3 | Johann-Peter [auch Jean-Pierre] Erpelding: Adelheid François: Der Abendstern. Luxemburg 1936 [Bd. 1]. Ders.: Adelheid François: Lichter in der Tiefe. Luxemburg 1937 [Bd. 2]. Ders.: Adelheid François: Das heilige Feuer. Luxemburg 1938 [Bd. 3].
4 | Für einen Rückblick auf die Autorengruppe um Prete vgl. Gilmard/Doms 2008.
5 | Dies wird besonders deutlich in dem von Carmine Chiellino herausgegebenen Handbuch »Interkulturelle Literatur in Deutschland« (2000), in dem die Literatur als nationale oder fremdsprachige Minderheitenliteratur in Deutschland beschrieben wird. In Luxemburg ist die nicht in den offiziellen Amtssprachen verfasste fremdsprachige Literatur durchaus in die Verlagslandschaft und in das literarische Feld integriert.
6 | Im Sprachengesetz »sur le régime des langues« ist festgelegt, dass Luxemburgisch die Nationalsprache des Luxemburgers ist. Luxemburgisch, Deutsch und Französisch sind zudem offizielle Amtssprachen, Französisch ist schließlich die Sprache des Rechts. Verwaltungen müssen Anfragen in der jeweiligen offiziellen Amtssprache beantworten, in der die Anfragen eingereicht wurden.
7 | Guy Helmingers älterer Bruder, Nico Helminger, setzt französische, deutsche, spanische, italienische, englische und luxemburgische Wörter, Wortgruppen oder Sätze und Zitate in seinen Gedichten zueinander in Bezug. Dabei geht es ihm darum, die Sprache von einer Mitteilungsaufgabe zu entpflichten. Sich auf den »Walking«-Essay des amerikanischen Transzendentalphilosophen Henry David Thoreau berufend, entwickelt Nico Helminger eine Poetik des ›Sauntering‹, wonach Literatur nicht abbildet, sondern Gedanken, Bilder und Worte in Bewegung setzt. Intertextuelle Leihgaben ebenso wie der Sprachwechsel sind wichtige Elemente dieser Poetik (vgl. Conter 2009).
8 | Helminger 2000, 36. Die luxemburgischen Passagen sind zu übersetzen mit »gestern ein Truthahn geschlachtet«, »im Eimer ein Haufen Federn« und »ich habe hier kaum etwas verloren«. Esch-sur-Alzette (auch Esch) ist der Name der zweitgrößten Stadt in Luxemburg.
9 | Die sprachlichen Einlassungen lassen sich auch mit dem Phänomen der Doppelko- dierung in Texten erklären, die Rolf Parr als Spezifik der Luxemburger Literatur kennzeichnet. Texte von Luxemburger Autoren, so Parr, verfolgen Strategien eines ästhetischen ›Double-bind‹, insofern sie sich zugleich an Luxemburger Leser und an ein allgemeines Publikum richten. Demnach würden sie versuchen, sich einerseits in Luxemburg an ein allgemeines Publikum zu richten und andererseits über Luxemburg hinausreichende Leserkreise erschließen zu wollen; vgl. Parr 2010, 115.
10 | Solche Hybridfiguren tauchen auch in anderen Werken Roger Manderscheids auf (vgl. Honnef-Becker 2004, 198-203).
11 | »Scheiß Polacke, scheiß Preuß’ [Schimpfwort für die Deutschen], scheiß Bauer aus der Eifel, scheiß Europäer, scheiß Luxemburger«.
Conter, Claude D. (2007): Mischkultur. In: Sonja Kmec u.a. (Hg.): Lieux de mémoire au Luxembourg. Usages du passé et construction nationale. Erinnerungsorte in Luxembourg. Umgang mit der Vergangenheit und Konstruktion der Nation. Luxembourg, S. 23-28
Ders. (2009): Wege aus der Regionalliteratur – auf dem Weg zur Nationalliteratur? Über die Luxemburger Schriftstellerbrüder Guy und Nico Helminger. In: Arts et Lettres 1, S. 7-23
Ders./Goetzinger, Germaine (Hg., 2008): Identitäts(de)konstruktionen. Neue Studien zur Luxemburgistik. Differdange
Erpelding, Johann Peter (1918): Anna. Ein Roman. Diekirch
Floréal (1907). Freie Rundschau für Kunst und Litteratur, Nr. 1 v. 21.04.1907. Luxemburg
Földes, Csaba (2007): Interkulturelle Kommunikation. Positionen zu Forschungsfragen, Methoden und Perspektiven. Veszprém/Wien
Gilmard, Hélène/Doms, André (2008): Origine: un voyage insolite entre cultures. Amay
Glesener, Jeanne E. (2008): La littérature de l’(im)migration au Luxembourg. In: Conter/Goetzinger (2008), S. 130-156
Goetzinger, Germaine (1985): Floréal. Eine Fallstudie zur literarischen Öffentlichkeit in Luxemburg. In: Clierwer Literaturdeeg 1985, 26. a 27. Oktober am Schlass. Lëtzebuerg, S. 56-64
Dies. (1991): Die Referenz auf das Fremde. Ein ambivalentes Begründungsmoment im Entstehungsprozeß der luxemburgischen Nationalliteratur. In: Yoshinori Shichiji (Hg.): Begegnung mit dem ›Fremden‹. Grenzen – Traditionen – Vergleiche. Akten des VIII. Internationalen Germanisten-Kongresses Tokyo 1990. Bd. 10: Identitäts- und Differenzerfahrung im Verhältnis von Weltliteratur und Nationalliteratur. Feministische Forschung und Frauenliteratur. Vergangenheit bzw. Zukunft als Fremdes und Anderes. München, S. 179-88
Dies./Mannes, Gast/Wilhelm, Frank (1997): Hôtes de Colpach. Catalogue de l’exposition au Centre national de littérature à Mersch du 12 novembre 1997 au 20 février 1998. Mersch
Dies./Mannes, Gast/Wilhelm, Frank (1999): Kontakte – Kontexte. Deutsch-luxemburgische Literaturbegegnungen. Katalog zur Ausst. v. 18. November 1999 bis 17. März 2000. Mersch
Dies. (2000): Luxemburger Literatur im Spannungsverhältnis von nationaler Selbstvergewisserung und europäischer Wunschidentität. In: Gerald Newton (Hg.): Essays on politics, language and society in Luxembourg. Lewiston/New York, S. 43-62
Dies. (2004): Schreiben in einem kleinen Land mit mehr als einer Sprache. In: Projet Moien! (Hg.): Lëtzebuergesch: Quo vadis. Mamer, S. 155-188
Dies./Conter, Claude D. (zusammen mit Gast Mannes u.a., 2007): Luxemburger Autorenlexikon. Mersch
Dies./Mannes, Gast (2009): »Ich bin ein Wanderer der Grenzen« (Robert Gliedner). Literarische Kurzprosa in Luxemburg. Nachwort. In: Zwischenland! Ausguckland! Literarische Kurzprosa aus Luxemburg. Ausgew. mit e. Nachw. v. dens. St. Ingbert, S. 365-75
Guntermann, Georg (2004): Grenzübergang als Form. Ein Versuch zu Guy Helmingers Lyrik (und Prosa). In: Irmgard Honnef-Becker/Peter Kühn (Hg.): Über Grenzen. Literaturen in Luxemburg. Esch-sur-Alzette, S. 221-236
Helminger, Guy (2000): Leib Eigener Leib. Gedichte. Echternach
Honnef-Becker, Irmgard (2004): »Also, was sind Sie denn jetzt?« Die Suche nach Identität bei Roger Manderscheid. In: Dies./Peter Kühn, Peter (Hg.): Über Grenzen. Literaturen in Luxemburg. Esch-sur-Alzette, S. 168-204
Jacobs, Jean-Paul (2006): Verführung zur Poesie oder Kamanda tanzt vor Artmann. In: Marcel Atze (Hg.): »Wann ordnest Du Deine Bücher?« Die Bibliothek H.C. Artmann. Wien, S. 205-216
Manderscheid, Roger (2009): penalty. Sandweiler
Mannes, Gast (1999): Marieluise Fleisser und Alexander Weicker. Echternach
Ders. (2007): Luxemburgische Avantgarde. Zum europäischen Kulturtransfer im Spannungsfeld von Literatur, Politik und Kunst zwischen 1916 und 1922. Esch-sur-Alzette
Marson, Pierre (2004): Migration, Identität und Literatur in Jean Portantes Roman Mrs Haroy ou la mémoire de la baleine. In: Honnef-Becker/Kühn (2004), S. 65-86
Melusina (1999): 1. Luxemburger Literaturpreis für Mehrsprachigkeit. Hg. v. Goethe-Institut Luxemburg, Centre national de littérature, Centre culturel français und dem Sozi-kulturellen Radio 100,7. Echternach
Parr, Rolf (2010): Was eigentlich ist Luxemburger Literatur und was ihre Spezifik? Ein interdiskurstheoretischer Diskussionsbeitrag. In: Komparatistik. Jahrbuch der Deutschen Gesellschaft für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft (i.E.), S. 111-128
Ries, Nicolas (1920): Le peuple luxembourgeois. Essai de psychologie. 2e édition revue et augmentée. Diekirch
Weber, Batty (1909): Ueber Mischkultur in Luxemburg. In: Beilage der Münchner Neuesten Nachrichten v. 20.01.1909, Nr. 15, S. 121-124
Welter, Nikolaus (1914): Das Luxemburgische und sein Schrifttum. Luxemburg
Wilhelm, Frank (2001): L’écrivain francophone grand-ducal et ses choix linguistique et culturel. In: Revue belge de philologie et d’histoire 79, S. 884-906
Ders. (2008): La traduction littéraire française au Luxembourg. In: Wolfgang Pöckl/Michael Schreiber (Hg.): Geschichte und Gegenwart der Übersetzung im französischen Sprachraum. Frankfurt a.M., S. 93-113
Ders. (2009): L’Afrique vue par des écrivains luxembourgeois. In: Arts et Lettres 1, S. 25-61
Weins, Alain (1999): »Kann Poesie die Welt verändern?« Die Geschichte der Mondorfer Dichtertage. Echternach