Raluca Rădulescu: Monologe und Dialoge der Moderne. Gottfried Benn, Paul Celan und José F.A. Oliver

Wien: LIT Verlag 2016 – ISBN 978-3-643-90705-9 – 29,90 €

Die Frage nach der Kommunikationsfähigkeit der Lyrik wird vor allem für die Moderne akut und steht, wie oft in der Forschung zum Werk moderner Autoren hervorgehoben, mit einem tiefgreifenden Sprachzweifel und einem umfassenden weltanschaulichen und identitären Krisenbewusstsein im Zusammenhang. Kann bzw. soll sich Lyrik monologisch in einen künstlichen Elfenbeinturm zurückziehen und in zunehmend abstrakten Selbstbespiegelungen neu inszenieren oder sich dialogisch einem Gegenüber öffnen und über den Bezug zum Anderen / zur Andersartigkeit konstituieren?

In ihrem Buch Monologe und Dialoge der Moderne. Gottfried Benn, Paul Celan und José F. A. Oliver glaubt die Autorin Raluca Rădulescu, dass die Frage zur ›Monologizität‹ vs. ›Dialogizität‹ moderner Dichtung eine feiner differenzierte Antwort verdient. Diesbezüglich untersucht sie die Poetik des ›monologischen Monologs‹ bei Gottfried Benn, jene des ›dialogischen Monologs‹ und des ›monologischen Dialogs‹ bei Paul Celan und die Poetik des ›dialogischen Dialogs‹ bei José F.A. Oliver. Was wie ein hermeneutisches Sprachspiel klingt, wird allerdings zu einer ernsten, gut dokumentierten Untersuchung zur Lyrik der Moderne und Postmoderne an beispielhaften Dichtern.

Zum Analyseraster der Verfasserin gehören grundlegend die negativen Kategorien, mit denen Hugo Friedrich einst sehr erfolgreich die Poesie der Moderne beschrieben hatte (vgl. Friedrich 1956), verbunden mit ergänzenden Deutungsmustern des Expressionismus, so wie sie beispielsweise Silvio Vietta in seinen synthetischen Betrachtungen und Interpretationen zur modernen Poesie und Ästhetik vorschlug (vgl. Vietta / Kemper 1975; Vietta 1976; Vietta 2001). In dem der vorliegenden Studie vorangestellten Argument stellt Rădulescu bereits klar, dass sie keine »Lektüre der Moderne durch die Brille der Postmoderne« (6) anstrebt, und das wird auch derart rigoros eingehalten, dass eher der umgekehrte Eindruck – z.B. im Fall der Lyrik F.A. Olivers – entsteht. Wichtig sind für Raluca Rădulescu vor allem jene Querverbindungen, die auf eine Entwicklung in einem nuancenreichen Paradigma der Moderne verweisen. Sie lassen sich laut der Verfasserin am besten anhand von drei thematischen Einheiten erläutern: Sprache – (leere) Transzendenz – Natur.

Im einführenden Teil des Buches, der sich mit einer panoramischen Darstellung der Kunst und Literatur der Moderne beschäftigt, werden auch die hauptsächlichen Analysekriterien angeführt, die den zahlreichen Textinterpretationen zugrunde liegen werden: Entpersönlichung / Enthumanisierung / das künstliche Ich; Artistik und Abstraktion; die leere Transzendenz / die leere Idealität; das Hässliche und das Groteske (vgl. 25) sowie typische poetische Verfahren und Stilmittel, darunter vielfache Reduktionen und Inkongruenzen, Brüche »psychologischer, logischer oder grammatischer Art« (56).

Gottfried Benn, der sich sprachgewaltig zwischen Sezieren und Zaubern bewegt, versucht laut Rădulescu das psychologisch zerspaltene und zersplitterte Ich im Artistischen zu rehabilitieren und verwandelt dabei seinen Künstler in einen ästhetischen Eremiten. Das Ich findet in der absoluten Einsamkeit zum absoluten Wort und zu einer neuen collagenhaft-künstlichen, hybriden Identität. »Monologisches, Montage und Absolutes werden zu der Dreifaltigkeit des modernen Gedichts« (71), wobei das monologische Subjekt die Wortmontage gebraucht, um das absolute Gedicht zu schaffen. Allerdings ist die ›Monologizität‹ laut Rădulescu nicht wirklich absolut, denn sie entwickelt eine Tendenz zur ›Mitteilung‹ gerade in der Verteidigung des Monologischen. Außerdem tritt Benn in seinem Spätwerk, so die Verfasserin, »aus seiner magmatischen Innenwelt als homo apertus heraus« (78) und wird durch die ironische Mischung von verschiedenen Sprachregistern, Fachbegriffen und -bereichen zu einem Wegbereiter der postmodernen Lyrik in Deutschland. Auch die intertextuelle Ausrichtung des Spätwerks, die Benn u.a. der Lyrik Celans annähert, signalisiert eine gewisse Bereitschaft zum Dialog. Typisch modern bleibt hingegen der Benn’sche Monolog vor der leeren Transzendenz in trostlosen Landschaften des Untergangs.

Und eine ebenfalls moderne Konstante verbindet laut Rădulescu die Poetik Benns mit jener Paul Celans, genauer das Primat des Ästhetischen. Zu Recht wird jedoch ein fundamentaler Unterschied hervorgehoben: Benns Lyrik fehlt die profunde Dimension des Ethischen, die Celans Dichtung wesentlich bestimmt. Dem Rückzug der Kunst aus der Geschichte in eine autarke, zeitenthebende und -enthobene Poesie stellt Celan eine Lyrik entgegen, der traumatische Daten sehr wohl eingeschrieben sind und die er als grundsätzlich dialogisch versteht. Celan verweigert nicht, sondern sucht den Dialog mit dem Anderen durch eine Dichtung als »fremdes Wort«, also durch eine Rhetorik und Semantik der Umkehrung, Mehrdeutigkeit und der Systembrüche auf allen Ebenen der Sprache und Bedeutung. Doch auch den Celan’schen Dialog beschreibt Raluca Rădulescu vielmehr als ein unruhiges Kreisen um das Ich, denn »der Dialog führt (schließlich) zur Selbsterkenntnis durch das Andere« (117), zu einem subtilen Soliloquium. Celans Dialogizität erscheint der Autorin der Untersuchung somit als »Tarnbegriff« (121) oder als eine Art theoretische Wunschvorstellung, die poetisch nicht verwirklicht wird. Als ebenfalls unmöglich gestaltet sich der Dialog Celans mit der leeren Transzendenz. Wie in der Forschung bereits erkannt, sieht Rădulescu den Dichter aus Czernowitz als »Fortsetzer und Zerstörer einer Tradition der messianischen Form des Dialogs« (131), der auf vielfache Weise ad absurdum geführt wird. Auch sein Dialog in / mit der Natur wird zum »Lied in der Wüste« (153) und seine Sprachlandschaften zu nature morte, was erneut auf eine moderne Befindlichkeit und privatsprachlich radikalisierte Artistik hinweist.

Mit José F.A. Oliver analysiert die Verfasserin neben Paul Celan einen weiteren deutschsprachigen Dichter mit Migrationshintergrund. Der Sohn einer andalusischen Gastarbeiterfamilie, der zweisprachig in der Bundesrepublik Deutschland aufwächst und heute als freier Schriftsteller in seiner Heimatstadt Hausach dichtet, erlebt das interkulturelle Dazwischen mit einer besonderen Intensität. Oliver wird von Rădulescu sehr wohl in der Tradition moderner, sprachartistischer Dichtung und daher als der Poesie Benns und Celans nahestehend gesehen. Auch Olivers Dialoge ziehen ihre Kreise, indem sie versuchen, das Ich in und über die Sprache zu verorten. Olivers Gedichte sind, so Raluca Rădulescu, »zugleich als poetologische Aussagen wie auch als identitätsstiftende Stätten« zu lesen (180). Spuren eines intertextuellen Dialogs mit Celans Dichtung und Poetik lassen sich an mehreren Gedichten Olivers bemerken, in welchen Grundwörter des Dichters aus der Bukowina aufgegriffen werden. Doch seine Beziehung zur Transzendenz schwankt zwischen »hoffnungslosem Glaubenszweifel und gottbejahendem Optimismus« (201), zwischen einem Monolog und einem Dialog mit der Transzendenz. Die Natur steht auch bei Oliver oft im Zeichen der Apokalypse und präsentiert sich collagenhaft als eine Zusammenführung von Zeitungs- und Naturbildern, als surreale Wortlandschaft, als eine »vertextete negative Materie« (223). Abschließend bemerkt Rădulescu, dass Olivers Dichtung einerseits eine Weiterführung der Moderne darstellt, andererseits ein Ausdruck der Anpassung an postmoderne Globalisierungserscheinungen ist.

Raluca Rădulescus Analyse versucht die Komplexität der Kommunikationsfähigkeit moderner Lyrik im exemplarisch wirkenden Werk dreier Autoren – von welchen Benn und Celan schon zu den ›Klassikern‹ dieses epochalen und stilistischen Paradigmas zählen – anhand einer nicht kreis-, sondern subtilen spiralenförmigen Entwicklungslinie darzustellen. Dabei werden wichtige Forschungserkenntnisse rekapituliert und klare Akzente gesetzt. Allerdings erfasst die stets auch kontrastiv geführte Argumentation nur eine Spielart moderner Dichtung, die sogenannte hermetische Lyrik, der man tatsächlich vor allem Verschlossenheit vorzuwerfen pflegt. Die kritische Korrektur dieser Annahme gehört zum tragenden Gedanken dieses Buches, indem die hier vorgenommene Recherche zu belegen bestrebt ist, wie dieser grundsätzlich monologischen Poesie der Dialog zumindest teilweise doch gelingt. Rădulescu stützt ihre Untersuchung auf viele veranschaulichende, streckenweise sezierend genaue Textinterpretationen, bei welchen man – vor allem im Fall des weniger bekannten José F.A. Oliver – lediglich den gesamten Gedichttext vermisst, um der Interpretation besser folgen zu können. Davon abgesehen bietet Rădulescus Auseinandersetzung mit der Monologizität vs. Dialogizität der Poesie eine Herausforderung, die Spirale der Fragen nach Formen des Monologischen im Dialog und des Dialogischen im Monolog weiterzudrehen.

Laura Cheie

Literatur

Friedrich, Hugo (1956): Die Struktur der modernen Lyrik. Reinbek b. Hamburg.

Vietta, Silvio (Hg.; 1976): Lyrik des Expressionismus. Tübingen.

Ders. (2001): Ästhetik der Moderne. Literatur und Bild. München.

Ders. / Kemper, Hans-Georg (1975): Expressionismus. München.