Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
liebe Mitglieder der Gesellschaft für interkulturelle Germanistik,
sehr geehrte Leserinnen und Leser der Zeitschrift für interkulturelle Germanistik,
in GiG im Gespräch wird es in dieser Ausgabe zunächst um die kommende GiG-Tagung gehen und im zweiten Teil möchte ich auf einen neuen Forschungsschwerpunkt der GiG im Bereich der historischen Translationswissenschaft aufmerksam machen.
Die Organisation der nächsten GiG-Tagung, die vom 9. bis 15. September 2017 unter dem Titel »Europa im Übergang. Interkulturelle Transferprozesse – internationale Deutungshorizonte« an der Europa-Universität in der norddeutschen Stadt Flensburg stattfinden wird, ist auf bestem Weg: Sie wird die Interkulturelle Germanistik mit mehr als 170 Vortragenden repräsentieren, so dass ein Programm realisiert werden kann, welches die Diskussion von interkulturellen europäischen Prozessen des Transfers in einem weiten Spektrum internationaler Sichtweisen und auch in transkontinentaler Perspektive erlaubt.
Den gegenwärtig zunehmend zu Polarisierungen tendierenden Entwicklungen auf europäischer Ebene kann damit in ihrer aktuellen Komplexität ebenso wie in ihren historischen Dimensionen Rechnung getragen werden. Unter den verschiedenen Schwerpunktsetzungen werden zwei im Bereich der Einbeziehung skandinavischer und ost- bzw. südosteuropäischer Perspektiven mit ihren jeweiligen Blickwinkeln auf europäische Fragen und Entwicklungen liegen. Ohne Frage wird es insgesamt wesentlich auch um ambivalente Tendenzen gehen, wie sie der Osteuropahistoriker Karl Schlögel schon vor Jahren pointiert beschrieb: »Das übernationale Europa wächst am ehesten da, wo es um die Abwehr der Fremden geht.« (Schlögel 2002: 66)
Die in Flensburg zu diskutierenden Transformationsprozesse werden dabei auf interkulturelle Aspekte von Sprache, Literatur und Kultur einschließlich ihrer sozial-politischen Dimensionen zu beziehen sein, seien es harmonisch verlaufende oder – und dies ist wohl in der Regel anzutreffen – konfliktträchtige Entwicklungen. Dies umfasst zum Beispiel Aspekte poetischer Darstellungen, der individuellen und kollektiven Mehrsprachigkeit, des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache sowie der interkulturellen Sprach- und Literaturdidaktik und schließt sprachsoziologische Gesichtspunkte mit ein.
Das Tagungsprogramm sowie die Informationen zum Rahmen- und Ausflugspaket können auf der Tagungswebsite http://www.litwiss-fl.de eingesehen werden, die Referierenden und Mitglieder der GiG wurden zusätzlich per E-Mail darauf aufmerksam gemacht. Die Tagungsgebühr beträgt 40 Euro für Mitglieder und 50 Euro für Nichtmitglieder. Rechtzeitig werden wir auch zur diesjährigen Mitgliederversammlung in Flensburg einladen.
Was weiterhin die Veröffentlichung der Beiträge der letztjährigen Tagung betrifft, so liegen deren schriftliche Fassungen mittlerweile vor und die verschiedenen Publikationsorgane werden nach derzeitigem Stand der Dinge den jeweiligen Zeitplänen entsprechend pünktlich erscheinen können.
Wie eingangs erwähnt, hat sich inzwischen auch wieder bei den Forschungsschwerpunkten der GiG etwas getan. Es ist gelungen, einen der Bereiche, der für viele GiG-Mitglieder von erheblicher Relevanz ist und auch bei Studierenden oft auf großes Interesse stößt, bislang jedoch in der GiG weniger präsent war, in einem neuen Schwerpunkt zu fokussieren. Auf Initiative von Andreas F. Kelletat (Universität Mainz) wird nun die historische Translationswissenschaft in der GiG gestärkt und zudem soll es eine Kooperation der GiG mit dem Germersheimer Übersetzerlexikon geben. Insgesamt kann auf diese Weise die Forschung an den Schnittstellen von Interkultureller Germanistik und Translationswissenschaft intensiviert werden.
In dieses Feld von Interkultureller Germanistik und Translationswissenschaft fallen Fragen wie die danach, welche Texte wurden und werden ins Deutsche übersetzt, welche Texte wurden bzw. werden aus dem Deutschen übersetzt und wie wurden sie in der Vergangenheit und werden sie in der Gegenwart rezipiert? Wie ist die Rolle zu beschreiben, die Philologen als Übersetzer einnehmen, wenn sie Übertragungen aus der Fremdsprache Deutsch in ihre jeweilige Erst- bzw. Muttersprache vornehmen? Wie sind die Leistungen von Übersetzerinnen und Übersetzern im Exil zu erfassen? Und wie ist die Aufmerksamkeit überhaupt auf besondere Übersetzungsleistungen – auf das »übersetzerische Handeln« – zu erhöhen? Um hier ein Beispiel zu nennen, kann etwa auf das bislang in der Forschung kaum beachtete übersetzerische Œuvre Rosa Luxemburgs verwiesen werden (vgl. Kelletat 2016).
Wie ist weiterhin eine Literaturgeschichte des Übersetzens ins Deutsche zu schreiben bzw. welche Kriterien müssen hierfür entwickelt werden, wenn eine Geschichte des Übersetzens literarischer Texte z.B. aus dem Koreanischen oder aus afrikanischen Sprachen ins Deutsche geschrieben werden soll? Welche curricularen Fragen ergeben sich aus einem kulturgeschichtlichen Zugang historischer Translationsforschung für Studiengänge der internationalen Germanistiken? Wie können die internationalen Kolleginnen, Kollegen und auch Studierenden, die ausnahmslos mehrsprachig sind, in das Programm der Arbeit an einer Übersetzungsgeschichte eingebunden werden?
Um die Interdisziplinarität von interkultureller Germanistik und Translationswissenschaft stärken zu können, soll u.a. dem dringenden Desiderat Rechnung getragen werden, die »Unsichtbarkeit« von Translatoren und ihre wissenschaftlichen ebenso wie gesellschaftlichen, politischen sowie ökonomischen Folgen überhaupt erst ins Bewusstsein zu rücken. Die Geschichtsschreibung im Bereich des Übersetzens kann zur Veränderung des wissenschaftlichen und öffentlichen Bewusstseins von textuellen Praktiken beitragen, die Gesellschaften und Kulturen, öffentliche Diskurse und wissenschaftliche Forschung nachhaltig geprägt haben und weiterhin prägen, ohne dass sie bisher eine angemessene wissenschaftliche Beachtung finden würden. Die entsprechenden Untersuchungen werden eine dringend erforderliche Wissenssoziologie der Translation und der Translationswissenschaft überhaupt erst ermöglichen und der Interkulturellen Germanistik neue Aufgabenfelder eröffnen – bis hin zu Untersuchungen zur Tätigkeit von Auslandskorrespondenten und ihrem »übersetzerischen Handeln«.
Die translationswissenschaftliche Forschung hat zwar in den letzten Jahrzehnten große Anstrengungen im Bereich der theoretischen Grundlagen unternommen und hier u.a. in der Kritik traditioneller Äquivalenzauffassungen, der Semiotik von Translaten, der Auseinandersetzung mit kulturwissenschaftlichen Übersetzungsbegriffen, der Erforschung von Fragen der Macht, des Konflikts und der Emotionen im Zusammenhang von Translationen – um nur einige Beispiele zu nennen – geleistet. Eine der entscheidenden Voraussetzungen für nachhaltige Forschungsleistungen wurde dabei bislang aber vernachlässigt: Die Schaffung eines wissenschaftlich erarbeiteten Forschungskorpus des Übersetzens aus diachroner und synchroner Perspektive und damit die Erarbeitung der Voraussetzung für die Reflexion der Komplexität der deutschen Kultur- und Literaturgeschichte des Übersetzens. Mit dem neuen Forschungsschwerpunkt im Rahmen der GiG soll in Kooperation mit dem Germersheimer Übersetzungslexikon ein Beitrag dazu geleistet werden, diese Lücke zu schließen. Gerne können Sie sich in diesem Zusammenhang auch direkt an den Kollegen Andreas F. Kelletat wenden: kelletat@uni-mainz.de
Schließlich möchte ich Sie noch auf den neuen BA-Studiengang Interkulturelle Germanistik an der Universität Bayreuth aufmerksam machen, der im WS 2017 / 18 beginnt. Im Zentrum des Studiengangs stehen Themen, die Gesellschaften im Spannungsfeld von Sprache und Kultur betreffen, und Fragen wie diese: Was können wir aus interkulturellen Prozessen lernen, die gegenwärtig in Wissenschaft, Kunst und Literatur, in Religion und Gesellschaft oder in Ökonomie, Technik und Recht stattfinden? Wie können sie der Wissenschaft zugänglich gemacht und als kulturwissenschaftliches Phänomen analysiert werden? Welche Rolle spielt dabei die deutsche Literatur, Kultur und Sprache mit ihrer Vermittlung als Fremd- und Zweitsprache? Welche Bedeutung haben historische interkulturelle Entwicklungen? Wie können die gegenseitige Bereicherung im Zuge interkultureller Entwicklungen ebenso wie Spannungen und Konflikte beleuchtet werden? Der Studiengang bietet Wahlmöglichkeiten aus 18 Kombinationsfächern und die Immatrikulation ist jeweils im Sommer- und im Wintersemester möglich. Falls die Studienqualifikation nicht in deutscher Sprache erworben wurde, sind Deutschkenntnisse auf Niveaustufe B2 gemäß dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen nachzuweisen. Eventuell noch fehlende Kenntnisse der deutschen Sprache können bis zum Ende des ersten Studienjahres nachgeholt werden.
Zum Schluss wünsche ich Ihnen für die Sommermonate alles Gute und freue mich auf das Wiedersehen mit vielen von Ihnen im September in Flensburg.
Sehr herzlich grüßt Sie
Ihre
Gesine Lenore Schiewer
Kelletat, Andreas F. (2016): Lesen, Denken und Schreiben – Rosa Luxemburg als Übersetzerin. In: Julia Richter / Cornelia Zwischenberger / Stefanie Kremmel / Karlheinz Spitzl (Hg.): (Neu-)Kompositionen. Aspekte transkultureller Translationswissenschaft. Liber amicorum für Larisa Schippel. Berlin, S. 151-179.
Schlögel, Karl (2002): Die Mitte liegt ostwärts: Europa im Übergang. München.