Kreatives Schreiben zwischen zwei Sprachen und Kulturen

Ein interkultureller Aspekt des DaF-Unterrichts im thailändischen Kontext

Korakoch Attaviriyanupap

Abstract

This article focuses on a new form of creative writing in the context of German as a Foreign Language teaching, more specifically, on two types of written text that emerge from the interrelation of Thai and German language and culture: German song texts in combination with Thai melodies on the one hand, German poems in Thai metrics on the other. Such writing assignments pay tribute to the multidimensional aspects of German as a Foreign Language teaching, especially with regard to interculturality. Using concrete examples, the article shows how German language is connected to Thai langauge and culture in a creative way. This new form of creative writing can be developed further: It may provide, on the one hand, material for the representation of Thai culture in German language, and, on the other hand, material for German as a Foreign Language teaching to a Thai audience. Such encounters between East and West will enhance the awareness of the difference between the familiar and the foreign and mirrors an important intercultural aspect of German as a Foreign Language teaching in Thailand.

Title:

Creative Writing between two Languages and Cultures. An Intercultural Aspect of Teaching German as Foreign Language in the Thai Context

Keywords:

Thai language and culture; German as foreign language; creative writing; translating metrics; lyrics

1. Einleitung

Es ist in der Zweitsprachenerwerbsforschung bekannt, dass sich handlungsorientiertes, erfahrungsbezogenes Sprachenlernen durch kreatives Schreiben fördern lassen kann. Häufig wird Schreiben im unterrichtlichen Lernprozess als Instrument verwendet, um andere Lernziele schneller und effizienter zu erreichen, z.B. das Beherrschen grammatischer Phänomene oder auch der Wortstellung im deutschen Satz, das Aktivieren und Reaktivieren von Lexik usw. (vgl. Schreiter 1998: 2). Viele Übungen des kreativen Schreibens sind Lehrpersonen sowohl aus dem muttersprachlichen als auch dem Fremdsprachenunterricht bekannt, z.B. das Elfchen, die Reizwortgeschichte, Geschichten in Stücken, die Fortschreibgeschichte usw. (vgl. z.B. Fritzsche 2009). Vor allem Gedichte, sowohl konkrete Poesien als auch solche mit Rhythmus und Reim, werden häufig für den DaF-Unterricht nutzbar gemacht.

Neben dem Einsatz des kreativen Schreibens im Unterricht ist im Rahmen eines von der Deutschabteilung der Silpakorn-Universität angebotenen Kurses und im Rahmen einer extracurricularen Studentenaktivität eine neue Form des kreativen Schreibens entstanden. In zwei studentischen Projekten wurden deutsche Texte verfasst, die in kreativer Weise die thailändische Sprache und Kultur widerspiegeln. Der vorliegende Beitrag ist zum einen eine Art Bericht der positiven Resultate der beiden Projekte und zeigt zum anderen die Möglichkeit des kreativen Schreibens zur Mehrdimensionalität des Deutschlernens auf, wobei die deutsche Sprache mit der eigenen Kultur der DaF-Lernenden verbunden wird.

Im Folgenden werden zunächst allgemeine Hintergrundinformationen und konkrete Schreibaufgaben der beiden studentischen Projekte vorgestellt. Hierauf folgt ein Kapitel zur Analyse einiger Beispieltexte der beiden Aufgaben. Der Beitrag schließt mit einem kurzen Ausblick auf die Relevanz dieser neuen Form des kreativen Schreibens für den Unterricht Deutsch als Fremdsprache im thailändischen Kontext wie auch Weiterentwicklungsmöglichkeiten der vorgestellten Projekte.

2. Auf dem Weg zur Integration deutscher Sprache und thailändischer Kultur. Zwei Studentenprojekte

Wie an allen anderen thailändischen Universitäten hat die Deutschabteilung der Silpakorn-Universität die Aufgabe, die thailändische Kunst und Kultur zu fördern.1 Vor diesem Hintergrund wurde im zweiten Semester des akademischen Jahres 2011 das Projekt Thai-Deutsch-Kombi: Dichtung ohne kulturelle Grenzen initiiert und im darauf folgenden akademischen Jahr fortgesetzt. Auch im Wintersemester 2011/12 führte eine Gruppe von Studierenden, die am Kurs German Cinema teilnahm, ein Filmprojekt durch, wobei es sich um die Dokumentation des traditionellen thailändischen Likay-Theaters handelte. In diesen beiden studentischen Projekten beschäftigten sich die Teilnehmer mit dem Schreiben von kreativen Texten. Daraus ist eine Reihe von Werken hervorgegangen, die ein Zeugnis der Auseinandersetzung mit der deutschen Sprache und der thailändischen Kultur sind und den interkulturellen Aspekt des Deutschlernens im thailändischen Kontext widerspiegeln.

2.1 Das Projekt Thai-Deutsch-Kombi

Vom Dezember 2011 bis Februar 2012 wurde unter meiner Leitung in der Deutschabteilung der Universität ein Projekt durchgeführt, um mittels der Kenntnisse der deutschen Sprache die thailändische Kultur zu fördern. Das unter dem Titel Thai-Deutsch-Kombi: Dichtung ohne kulturelle Grenzen durchgeführte Projekt war ein Wettbewerb des kreativen Schreibens in deutscher Sprache für alle Studienjahrgänge. Dabei wurden Preise in drei Kategorien verliehen:

  1. Übersetzung thailändischer Liedtexte ins Deutsche;
  2. Dichtung deutschsprachiger Liedtexte;
  3. Dichtung von auf thailändischer Metrik basierenden deutschsprachigen Gedichten.

In den ersten beiden Kategorien durften die Wettbewerbsteilnehmer die zu bearbeitenden thailändischen Lieder frei auswählen. Die deutschen Texte mussten jedoch zu den Originalmelodien der thailändischen Ausgangstexte passen. Außerdem durften die ausgewählten Lieder nicht zu modernen internationalen Genres (z.B. Pop- oder Rockmusik) zählen, sondern sollten möglichst die Charakteristika traditioneller thailändischer Musikkultur aufweisen.2 Das Projekt wurde im Wintersemester des darauf folgenden Jahres fortgesetzt als Thai-Deutsch-Kombi Saison II: Lukthung auf Deutsch. Dabei wurde der Wettbewerb nur auf die ersten beiden Kategorien und auf das Musikgenre Lukthung beschränkt.

In der dritten Kategorie durften die Teilnehmer frei auswählen, welche thailändische Versart sie als Muster nehmen wollten, an dem sich der deutsche Text orientieren sollte. Danach wurde ein deutscher Text verfasst, der Metrik und Rhythmus des thailändischen Musters entsprechen musste.

2.2 Das Likay-Projekt

Parallel zum oben erwähnten Wettbewerb im Wintersemester 2011/12 führte eine Gruppe von Studierenden im Rahmen des von mir geleiteten Kurses German Cinema ein Projekt mit dem Titel Auf den Spuren des Likay-Theaters durch. Es handelte sich dabei um die Anfertigung einer schriftlichen Arbeit sowie die Produktion eines etwa 30-minütigen Dokumentarfilms, der das traditionelle Volkstheater Likay zum Gegenstand hatte. Ziele des Projekts waren die Kunst und die thailändische Kultur auf internationaler Ebene zu fördern, die erlernte deutsche Sprache in einer konkreten Situation zu verwenden, das Likay-Theater weiter zu erhalten und das Wissen über das Likay-Theater in einem deutschsprachigen Film zu dokumentieren.3

Beim Likay-Theater handelt es sich um eine Form des Musiktheaters, das seit dem 18. Jahrhundert zunehmend zum Unterhaltungstheater geworden ist, das sich insbesondere auf dem Land großer Beliebtheit erfreut. Es verbindet Musik mit Tanz und Elementen der Komödie. Zu seinen besonderen Charakteristika zählen neben den reich besetzten, prächtigen Kostümen der Hauptdarsteller und dem Make-up auch die ausgeprägte Gestik der Schauspieler, die von einem Orchester – hauptsächlich bestehend aus Holzxylofonen, Gongs und Trommeln – begleitet werden.

Dargestellt in dem produzierten Dokumentarfilm sind z.B. die Geschichte des Likay-Theaters, das Leben der Schauspieler hinter den Kulissen usw. Besonders typisch für dieses Theater ist, dass die dargebotenen Märchen oder Heldengeschichten zumeist ein Happyend haben. Das Märchen Aschenputtel war deshalb für eine Aufführung gut geeignet und die 10-köpfige studentische Arbeitsgruppe hat für ihren Dokumentarfilm dieses Stück als Likay-Skript adaptiert. Um ihren Dokumentarfilm zu drehen, wurde am 7. März 2012 in der Aula der Philosophischen Fakultät das Stück Aschenputtel in einer deutschsprachigen Likay-Fassung aufgeführt.

Die Adaptation von Aschenputtel als deutschsprachiges Stück war eine große Herausforderung. Dies galt insbesondere für das Dichten der Singtexte, die in Form einer bestimmten traditionellen thailändischen Versart geschrieben werden mussten. Die Studierenden mussten deshalb nicht nur inhaltlich passende, sondern auch reimende Wörter finden, die wiederum in thailändischer Art singbar sind und trotzdem für deutsche Ohren noch einigermaßen verständlich bleiben.

Aus diesen beiden Projekten ist eine Reihe von Werken hervorgegangen, die sich mit dem Austausch zwischen thailändischer und deutschsprachiger Kultur beschäftigen und einen Ansatzpunkt zum direkten Kulturaustausch darstellen. Der interkulturelle Aspekt des Deutschlernens im thailändischen Kontext lässt sich in diesen Texten beobachten. Die beiden Sprachen und Kulturen werden nicht nur miteinander integriert, sondern die Integration führt unvermeidlicherweise auch zur Verfremdung der eigenen und der anderen Kultur, was bei der Analyse einiger konkreter Beispieltexte im Folgenden ersichtlich ist.

3. Integration der Deutschkenntnisse und thailändischer Dichtung. Analyse konkreter Beispieltexte

3.1. Lukthung-Lieder auf Deutsch

Mit Lukthung oder Pleng-Lukthung (übersetzt als »Lieder der Kinder der Felder«) bezeichnet man ländliche Gesänge. Es handelt sich bei diesen Liedern um die beliebteste Musikrichtung in den ländlichen Gebieten Thailands. Neben stets aktuellen Themen wie den Freuden und Enttäuschungen der Liebe – die in jeglicher Form der Popmusik eine große Rolle spielen – spiegeln die Texte häufig den harten Alltag der einfachen Leute auf dem Land sowie ihre Träume von einem besseren Leben wider, nicht selten angestrebt durch die Migration in die großen Städten oder ins Ausland. Oft sind die meist temporeichen Melodien der Lukthung-Lieder eingängig, leicht zu erlernen, und erlangen somit schnell eine große Popularität. Ihre Rhythmen und stilistischen Ausformungen speisen sich vor allem aus den musikalischen Traditionen der ländlichen Regionen Zentralthailands und des Nordostens (»I-Saan«). Heutzutage sind es jedoch auch vermehrt Einflüsse aus anderen Musikrichtungen, die die modernen Lukthung-Lieder nachhaltig prägen. Vor allem langsame und getragene Lieder zeichnen sich durch einen sehr expressiven, von starkem Vibrato gekennzeichneten Gesang aus.

Vor allem bei Liedtexten, die inhaltlich frei verfasst werden, kann die Kreativität der DaF-Lernenden sowie deren interkulturelle Kompetenz gefördert werden. Es soll nicht einfach etwas Vorhandenes abgebildet werden, wie dies bei der Übersetzung gemacht werden muss, sondern durch die Aktivierung der Imaginationskraft soll etwas Neues entstehen. Je nach Inhalt weisen die verfassten Liedtexte unterschiedliche Grade der Integration der deutschen Sprache und des thailändischen Musikgenres Lukthung auf.

Eines der Ziele dieser Schreibaufgaben ist, dass die thailändischen Deutschlerner an der Auseinandersetzung mit der eigenen Kultur Freude haben. Ein gutes Beispiel dafür ist das Lied I-Saan, meine Heimat. Das Originallied heißt Mon Rak Lukthung (»Liebe auf dem Feld«), in dem eine thailändische Region und die Liebe besungen werden. Als der Verfasser mich um Rat bat, wie er zu dieser Melodie einen Text mit neuem Inhalt komponieren solle, schlug ich ihm vor, sich seine Heimat vorzustellen und sich dann von der Melodie inspirieren zu lassen, um seine Gefühle auf Deutsch zu beschreiben. Daraus ist schließlich der folgende Liedtext entstanden:

O Nordosten, mein Herz.

Viele Leute nennen dich nur I-Saan.

Im Wasser schwimmen viele Fische,

die wir im ganzen Jahr sehen können.

Reis gibt es auf den Feldern.

Viele kommen her, um Reis zu essen.

Niemals hat es an Essen gefehlt.

Ich möchte Sie einladen,

nach I-Saan zu kommen.

O Nordosten, mein Herz.

Hier kann ich alte Traditionen finden.

Uralte Lieder, schöne Tänze.

Deine Schönheit werde ich nie vergessen.

Ich fühle den Wind wehen,

viele Vögel in den Himmel fliegen.

Die Sonne scheint auf die Ähren.

Oh I-Saan, meine Heimat, das Paradies auf Erden.

Oh I-Saan meine Liebe, wo immer ich sein werde, werde ich dich vermissen.4

Sicherlich war es für den Komponisten des obigen Liedtextes von Vorteil, dass er selbst aus dem I-Saan, dem Nordosten Thailands, kommt. Dies ist die Region, die grundsätzlich häufig in Lukthung-Liedern thematisiert wird. Mit seiner schönen Stimme lässt sich der Verfasser des Textes außerdem als ein guter Lukthung-Sänger bezeichnen: Er beherrscht die Technik des thailändischen Vibratos, die beim Singen solcher ländlichen Gesänge unverzichtbar ist. Deshalb war er sehr motiviert, einen Lukthung-Liedtext zu verfassen. Das Siegerlied hat er mehrmals vor Publikum gesungen.

Das oben erwähnte Lied entstand als Einzelarbeit; normalerweise eignet sich das kreative Schreiben aber auch sehr gut für Gruppenarbeiten. Um eine Freundin, die ebenfalls aus dem Nordosten kommt, in lustiger Weise zu präsentieren, haben fünf Studentinnen gemeinsam an einem Lied gearbeitet. Zu einer lebhaften Melodie wurde ein deutschsprachiger Liedtext mit dem Titel Von meiner Heimat entfernt verfasst. Die Uraufführung des Liedes fand auf dem jährlichen Camp der Deutschabteilung statt. Später wurde der Text für den Wettbewerb überarbeitet und mehrfach vor Publikum gesungen. Der Erfolg dieses Liedes ist nicht nur darauf zurückzuführen, dass der Text sehr gut zur Persönlichkeit der Sängerin passt, sondern auch auf den lustigen Inhalt mit einfachem Wortschatz sowie auf das schnelle Tempo und die lebhafte Melodie. Obwohl der Liedtext ziemlich lang ist, kann er vom Publikum leicht mitgesungen werden.

Von meiner Heimat nach Bangkok, ich bin noch nicht reich.

Ich bin doch so schön und so heiß. Wollen Sie mich haben?

Wer noch mich liebt, melde sich sofort dann. Egal ein Mann oder eine Frau.

Jede Arbeit kann ich immer machen. Jede Arbeit kann ich immer machen.

Aber verstummen kann ich wirklich nicht!

Magst du schöne Augen, naiv’s Gesicht? Die hab’ ich doch klar.

Mein Lieblingsessen ist Pla-Ra, komm doch mal probieren.

Wenn du Lust hast, bring’ ich dir Kochen bei. Tam-Pu Tam-Thai,

es ist sehr leicht, weißt du?

Lab-Koy-Soklek-Koykhaimoddang-Mokhurg,

Lab-Koy-Soklek-Koykhaimoddang-Mokhurg.5

Und I-Saan-Bratwurst schmeckt mir sehr gut.

Markus, Moritz, ich liebe euch so sehr.

Marco, Philip, Daniel, gebt mir mal einen Kuss.

Ich bin bereit mit jemandem zu sein. Ich bin bereit mit jemandem zu sein.

Für Ewigkeit bleibe ich ihm treu.

Ich bin nicht verrückt, wie man denkt, sondern ich bin lieb.

Möchtest du zu mir kommen? Ich will nach Berlin.

Wenn du mich liebst, werde ich Prinzessin. Wir hab’n ein Kind, ganz süß,

wie ich bin.

Jetzt suche ich mir jemanden. Jetzt suche ich mir jemanden.

Aber niemand möchte mich zur Frau nehmen.6

Auch dieser Text weist einige wichtige Merkmale der thailändischen Lukthung-Lieder auf. Er spiegelt die Vorstellung einer einfachen ländlichen Frau sowie ihre Träume von einem besseren Leben, die ihrer Migrationsbereitschaft zugrundeliegen. Der Traum vieler thailändischer Frauen, einen Farang7 zu heiraten, wird in den letzten Jahren bereits in mehreren thailändischen Lukthung-Liedern mehr oder weniger thematisiert oder zumindest impliziert, z.B. in dem Lied Khun I-Puek (»Frau I-Puek«;8 vgl. Sriratanasomboon 2010: 421), Dschör Thoer Thi Jöraman (»Man sah dich in Deutschland«).9 Mit seiner temporeichen einheimischen Tanzmelodie und seinem lustigem Inhalt genießt dieses deutschsprachige Lukthung-Lied unter meinen Studierenden große Beliebtheit. Viele können den Liedtext auswendig, obwohl er ziemlich lang ist.

In thailändischen Lukthung-Liedern und auch in mehreren Liedtexten, die von meinen weiblichen Studierenden verfasst sind, geht es sehr häufig um eine Frau, die von einem besseren Leben träumt und vor allem von einem reichen, guten, hübschen Mann. Diese Vorstellung trägt meines Erachtens mehr oder weniger zur Vorstellung der typischen thailändischen Frau im Kontext Heiratsmigration bei (vgl. ausführlicher dazu Ruenkaew 2003). Was die Darstellung einer thailändischen Frau in Lukthung-Liedern angeht, gefällt mir der Inhalt des nächsten Liedes persönlich sehr:

Mein Mann hat eine Geliebte… Haben alle es gewusst?

Ich finde ihn sehr süß. Immer benimmt er sich sehr gut.

Seit er das tut, verstehe ich ihn nicht!

Mein Mann hat eine Geliebte… Reden alle darüber?

Treue ist da guter Rat.

Da er mir das aber angetan hat, räche ich mich an ihm.

Ich muss dringend zum Friseur, Haar geschnitten und gefärbt,

muss meine Haut sauber waschen, gehe zum Spa. Viel Vergnügen!

Ich habe es nicht nötig und beachte ihn einfach nicht.

Ich tue alles nur für mich. Mir ist egal, ob er zu mir kommt.

Mein Mann hat eine Geliebte… Lästern alle über mich?

Aber das stört mich nicht. Ich bin gerade beschäftigt.

Ich bereite mich auf eine Reise vor.

Mein Mann hat eine Geliebte… Ich hab’ aber ein großes Glück!

Nicht weiter dumm, jetzt bin ich klug. Ich hab’ schon das Ticket gebucht.

Mit einem Ruck fliege ich nach Deutschland.10

Erstens handelt es sich hier um eine Art Dialog zwischen einem Mann und einer Frau. Im Genre des thailändischen Lukthung kommt es häufig vor, dass ein von einer Frau gesungenes Lied inhaltlich auf ein voriges Lied, das von einem männlichen Sänger gesungen wurde, reagiert bzw. antwortet. Dem obigen Lied mit dem Titel Mein Mann hat eine Geliebte liegt die Melodie des Liedes Meine Frau hat einen Geliebten, das von einem Mann gesungen wurde, zugrunde. Hier entsteht also ein Dialog mit Ausgangslied auf der konzeptuellen Ebene. Was würde passieren, wenn umgekehrt eine Frau herausgefunden hat, dass ihr Mann eine Geliebte hat?

Zweitens werden hier deutliche Spuren der ›Emanzipation‹ einer thailändischen Frau erkennbar. Statt dass diese Frau nur weint und traurig über dieses Schicksal ›quengeln‹ würde, wie es sonst in thailändischen Liedern üblich ist, zeigt die »Ich«-Figur in diesem Lied das Bild einer starken Frau. Sie äußert sich darüber hinaus weder traurig noch als von irgendeinem Mann abhängig, weder von dem jetzigen noch von einem anderen, den sie möglicherweise in Deutschland kennenlernen würde. Sie drückt auch nicht explizit aus, was sie in Deutschland plant.

Meine Interpretation, die drittens dazu führte, dass ich dieses Lied sehr mag, wäre also, dass die Verfasserin durch das Deutschstudium zu dieser Haltung gekommen ist. Die Integration der westlichen Kultur und der einheimischen passiert wohl schon in ihrer Wahrnehmung und zeigt sich in kreativer Weise durch ein Lukthung-Lied in deutscher Sprache.

Ein sehr hoher Grad der Integration der beiden Sprachen und Kulturen lässt sich ebenfalls im nächsten Lied beobachten. Das Lied heißt Meine Liebe und die Heimat. Der Verfasser wurde von dem Originallied Rak Kao Thi Ban Koed (»Alte Liebe in der Heimat«) inspiriert, sich in diesem Lied inhaltlich mit den beiden Themen »Liebe« und »Heimat« zu beschäftigen. Dieses Lied wurde nicht für einen Wettbewerb gedichtet, sondern entstand auf meine Bitte, weil wir für eine Veranstaltung mehr Lukthung-Lieder brauchten. Der Verfasser dieses Textes11 zeigt mit diesem Lied seine fortgeschrittene Kompetenz, indem er nicht nur von seiner Heimat spricht, sondern auch die deutsche Kultur und die Migration einer thailändischen Frau nach Deutschland thematisiert und gleichzeitig immer wieder auf die thailändische Kultur und Tradition zurückgreift.

Ich verbringe viele Jahre, in Bangkok zu arbeiten.

Heute komme ich in die Heimat,

denn ich vermisse dich, meine Liebe,

mit dir hab’ ich mich so oft unterhalten.

Wir sind im Kanal geschwommen,

I-Pong12 gerudert, Sa-No13 gesammelt,

im Schlamm gespielt, Fische gefangen.

Ich erinnere mich ganz genau.

Aber ich weine. Schade! Du bist nicht hier.

Ich hab’ gehört, du bist in Deutschland,

bleibst in München und arbeitest.

Wirst du glücklich mit Schweinshaxe?

Wirst du vergessen, dass wir Somtam14 gegessen haben?

Ich wünsche dir Sicherheit und Glück.

Sei nicht betrunken auf dem Oktoberfest.

Komm bitte zurück nach Thailand.

Bring mir bitte Schokolade mit.

Ich warte auf dich. Wir treffen uns an Songkran.15

Selbstverständlich spielen hier wieder persönliche Erfahrungen eine bedeutende Rolle. Dieser Student kam zu jener Zeit gerade nach einem einmonatigen Sprachkurs in Düsseldorf zurück. Dabei wurde er von mir beraten, dass er nun seine Heimat irgendwie mit seinen Eindrücken von Deutschland kombinieren solle. Dass Essen in der thailändischen Gesellschaft von großer Bedeutung ist (dieses Phänomen lässt sich in zwei der bereits besprochenen Liedern gut beobachten), ferner wo sich junge thailändische Männer und Frauen treffen, nämlich auf Festen, zeigt sich ebenfalls deutlich in diesem kreativen Liedtext.

Anzumerken ist, dass für die hier besprochenen deutschsprachigen Lukthung-Liedtexte die Reimart nicht berücksichtigt wurde, obwohl alle Originale der thailändischen Lukthung-Lieder üblicherweise reich an gereimten Wörtern sind. Hätte man auch diesen Faktor beachten sollen, wäre diese Art von Schreibaufgabe noch viel schwerer gewesen, wie auch nachstehend zu diskutieren ist, wie schwierig es war, deutschsprachige Gedichte zu schreiben, die auf thailändischer Metrik basieren müssen.

3.2 Auf thailändischer Metrik basierende deutschsprachige Gedichte

Die Verslehre oder Metrik spielt in der thailändischen Sprache eine sehr große Rolle und ist sogar Teil einer linguistischen Grammatik.16 Im Thailändischen gibt es mehrere Versarten. Man spricht vor allem von vier groben Kategorien wie Khloong, Chan, Kaap und Klon, welche noch in zahlreiche Versarten eingeteilt werden. Während Klon als Oberbegriff von Gedichten verwendet wird, bezieht sich Chan nur auf Gedichte, deren Silbenanzahl, Reime wie auch das Metrum im Sinne von betonten und unbetonten Silben festgelegt werden. Im Gegensatz zu Kaap werden bei Khloong neben der Silbenanzahl und Reimart an bestimmten Stellen auch die Tonzeichen17 vorgeschrieben. Drei Versarten, die von unseren Deutschstudierenden verfasst wurden, werden im Folgenden dargestellt und analysiert.

Likay-Singtexte

Beim Likay-Theater wird nicht nur gesprochen, sondern auch gesungen. Die von meinen Studierenden verfassten deutschsprachigen Singtexte weisen eine Besonderheit auf, weil sie auf einer bestimmten Metrik basieren mussten. In der thailändischen Dichtung bilden mehrere Wörter einen Versabschnitt, den man auch als Halbzeile bezeichnet. Sowohl die Reimart innerhalb einer Strophe und zwischen mehreren Strophen als auch die Silbenanzahl in jedem einzelnen Versabschnitt sind je nach Versart genau festgelegt. Eine Strophe der Likay-Lyrik besteht aus vier Halbzeilen, deren Reimart vorwiegend auf dem folgenden Muster basiert:

Dieses Muster wird auf Thai als Klon Paed (wörtl. ›Gedicht‹ + ›acht‹) genannt, weil jede Halbzeile acht Silben beinhaltet. Da es sich beim Likay um ein ländliches Volkstheater handelt, ist die Silbenanzahl in jeder Halbzeile ein wenig flexibel. Sie kann zwischen fünf und acht differieren.

Für das deutschsprachige Likay-Theater Aschenputtel wurde die oben gezeigte Reimart noch weiter vereinfacht. Da bei der Vorstellung jeder Figur immer sechs Halbzeilen gesungen wurden, wurden einfachheitshalber die Reime an zwei Stellen weggelassen (zwischen der dritten und der vierten Halbzeile) und zwischen den zwei Strophen, wobei die letzte ohnehin unvollständig ist:

Ich bin nur ein Bodyguard, Soldat seiner Majestät,
komme niemals zu spät, schütze den König überall.
Den Prinzen begleite ich. Er verlässt sich auf mich, sehr

Ein solches deutschsprachiges Gedicht zu dichten war für die Studierenden, die Deutsch als Fremdsprache lernen, sehr schwierig oder sogar überfordernd. Man muss nicht nur auf den Inhalt und die Reime achten, sondern auch auf die Singbarkeit, wobei auch die Vokallänge und die Silbenstruktur (offene versus geschlossene Coda) eine bedeutende Rolle spielen. Die letzte Halbzeile wurde beispielsweise von Er verlässt sich ganz auf mich zu Er verlässt sich auf mich, sehr geändert, damit das letzte Wort einen langen Vokal hatte und mit Legato gesungen werden konnte. Es ist hier anzumerken, dass der Versuch, deutschsprachige Lyriktexte mit thailändischer Metrik zu dichten, sehr kompliziert und schwer war, zumal die Silbenstruktur in den beiden Sprachen sehr unterschiedlich ist. Das Thailändische erlaubt z.B. keine Konsonantencluster im Auslaut (vgl. ausführlicher dazu Attaviriyanupap 2008). Der oben dargestellte Singtext des aufgeführten Stücks Aschenputtel war der einzige mit vollständig richtigen Reimen.

Nur wenn die zweite Strophe vollständig ausgeführt war, wurde zwischen dem letzten Wort der ersten Strophe und dem letzten Wort der zweiten Halbzeile der zweiten Strophe gereimt, wie das in dem folgenden Text ersichtlich ist:

Stimmt! Du bist es wirklich. Auf dich hab’ ich lange gewartet. (1)
Willst du mich heiraten? Weil ich dich sehr liebe.
Natürlich »Ja« sage ich. Weil ich wie du denke. (2)
Schon lang auf dich ich warte. Ab heute bin ich nicht mehr allein.
Sollte die Welt zu Grunde gehn, so leben wir immer noch zusammen.

Der obige Text für das Duett in der Schlussszene zeigt darüber hinaus, dass nicht an allen markierten Stellen gute Reime gebildet wurden. Die Texte wurden im Laufe des Projekts mehrmals korrigiert. Zunächst mussten gravierende grammatische Fehler beseitigt werden, danach wurden für das Singen verschiedene mögliche Lösungen ausprobiert. Obwohl diese Texte bereits mehrmals aufgeführt wurden, bedürfen sie noch weiterer Verbesserungen. Ein Vorschlag für dieses Duett wäre z.B. »Ohne dich wär’ mein Herz gebrochen« bei (1) und »Nur für dich ist meine Liebe« bei (2). Man sieht, dass man bei dieser Form von kreativem Schreiben immer an etwas Neues denken und dadurch seine Deutschkenntnisse immer weiter verbessern kann.

Khloong Sii Suphaap

In der deutschsprachigen Dichtung sind das Metrum und die Reimart von großer Bedeutung. Das Metrum gibt die Silbenbetonung in den Versen in unterschiedlichen Kombinationen an. Die Reimart betrifft das letzte Wort der einzelnen Verse, das einem individuellen Reimschema zugeordnet und mit variablen Buchstaben wiedergegeben werden muss. Im Gegensatz zu deutschen Gedichten, die wegen der erwähnten Charakteristika eine Art Akzentmetrik aufweisen, bestimmt im Thailändischen jedes einzelne Metrikmuster eines Gedichts die Silbenanzahl, die verpflichtete Reimart und in einigen Fällen auch die Tonhöhe bestimmter Silben, wie beispielsweise beim sog. Khloong Sii Suphaap (wörtl. ›Gedicht‹ + ›vier‹ + ›Wörter ohne Tonzeichen‹), dessen vorgegebenes Muster wie folgt aussieht:

Die zwei über einigen Silben angegebenen Zeichen verlangen jeweils eine bestimmte Tonhöhe der betroffenen Silbe. Mit dem folgenden Gedicht wollte die Verfasserin versuchen, ein deutschsprachiges Khloong Sii Suphaap zu verfassen:

Nicht zu viel essen soll ich.
Nach dem Unterricht: Hunger!
Immer finde ich alles lecker.
Was mach’ ich wieder? Essen, essen.
Ich bin schon sehr dick. Na, und?
Mir läuft’s Wasser im Mund immer.
Sicher werd’ ich rund. Macht nichts.
Ich werde zwar dicker, hab’ aber gutes Herz.18

Man kann den Schluss ziehen, dass die oben erwähnte thailändische Metrik für das Deutsche nicht machbar ist, denn das Deutsche ist keine Tonsprache und verfügt über keine Toneme. Es sollte demgegenüber leichter bzw. weniger kompliziert sein, andere thailändische Gedichttypen, die keine Tonhöhe markieren, mit der deutschen Sprache zu kombinieren.

Kaap Jaanii

Unter den von unseren Studierenden verfassten Gedichten ließ sich auch ein im Hinblick auf das Phänomen der Interkulturalität19 sehr gelungenes Gedicht finden. Dieses wurde nach dem Muster des thailändischen Kaap Jaanii gedichtet, das der folgenden Struktur folgen muss:

Ein Vers hat zwei Zeilen, jede Zeile zwei Halbzeilen. Das aus dem Pali entlehnte Wort »Jaanii« bedeutet »elf« und impliziert die elfsilbrigen Zeilen. Das Kaap Jaanii wird deshalb häufig als »Kaap Jaanii 11« bezeichnet. Binnenreime innerhalb einer Halbzeile sind nicht vorgeschrieben, werden jedoch häufig gesetzt. Das Folgende ist ein Beispiel dafür, wie schön sich die deutsche Sprache und die thailändische Metrik von Kaap Jaanii und darüber hinaus auch mit der thailändischen Sprache kombinieren lässt:

Guten Tag Deutsche Ich heiße Sie willkommen
Wie geht es Ihnen? Und wie fühlen Sie sich?
Ich will nun reden. Verstehen Sie mich?
Lernen Sie Thailändisch, kann ich Sie das lehren.
Thai ist nicht schwer Es ist sehr spannend.
Wenn wir uns treffen, sagen wir »Sawasdii«.
Tag, Monat und Jahr: Man sagt da »Wan Duuan pii«.
Man sagt dann »doon tii«, wenn man geschlagen wird.
»Kööd A-Rai Khün« auf Thai: Ja, das heißt »Was passiert
Wenn man korrigiert, auf Thai wird’s »Kan Kae Khai«.
Wohin es sein mag? Denn man fragt »Dscha pai Nai«?
Man fragt »Pai kab khrai«, doch man meint »Wer geht mit dir?
»Puak thör tham A-rai« fragt dabei »Was macht ihr
Man sagt »Phuak rau phliia«. Das heißt »Wir sind müde«.
Und »Ich liebe dich«? Ja, dann sprich »Chan rak thör«.
Ich bin zu Hause: Ich sage »Ju bhan na öhr«.
Und ich schlafe: traumwandle, »non la mör«.
Mit der Thai-Lehre wären Sie zufrieden.
Gibt es noch Fragen? Die können Sie stellen.
Ich will erklären, muss gehen, wie schade!
Danke für Ihre Zeit, Aufmerksamkeit und Interesse.
Es macht mir Freude. Ich gehe. Auf Wiedersehn!

Das obige Gedicht Thai-Unterricht20 wurde nach dem thailändischen Kaap Jaanii gedichtet. Die fett gedruckten Silben zeigen die vorgegebenen, verpflichtenden Reime. Neben der Anzahl der Silben, die bereits beim Dichten von Liedtexten beachtet werden muss, spielen auch gute Reime eine bedeutende Rolle. Trotzdem war es nicht möglich, an allen Stellen gute gereimte Wortpaare zu finden. Zum Teil ließen sich nur ähnlich klingende verwenden oder Konsonantencluster im Auslaut konnten nur teilweise berücksichtigt werden (z.B. »mich« und »Thailändisch«, »wird« versus »passiert«, »mag« versus »fragt«). Obwohl man im Hinblick auf die deutsche Silbenstruktur dieses Kaap Jaanii nicht als fehlerfrei bezeichnen kann, handelt es sich bei der Dichtung des vorliegenden Textes keinesfalls um ein ›schlampiges Gereime‹. Dieses deutschsprachige Kaap Jaanii ist originell und bewundernswert. Der so verfasste Text spiegelt wider, wie viel Mühe und Kreativität dahintersteckt, und erweist sich als eine erfolgreiche Integration der beiden Sprachen und Kulturen, denn nicht nur die Form, sondern auch der Inhalt weisen eine Mischung der beiden Pole in kreativer Weise auf. Hier findet eine westlich-östliche Begegnung in Form eines interkulturellen Dialogs statt.

Die Originalität des obigen Gedichts zeigt nicht nur den Mut, mit der Fremdsprache Deutsch etwas Neues zu erproben. Inhaltlich lässt sich hier schön zeigen, wie Thai und Deutsch bzw. das Eigene und das Fremde miteinander verknüpft werden können. Eine solche Aufgabe ist für den DaF-Unterricht, vor allem auf fortgeschrittenem Niveau, sicherlich gut geeignet und empfehlenswert.

4. Relevanz für den DaF-Unterricht im thailändischen Kontext

Die Werke, die im Rahmen der hier besprochenen Projekte entstanden sind, stellen einen Ansatzpunkt für den Kulturaustausch dar. Sie wurden deshalb anlässlich des 150. Jahrestages der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Thailand im Rahmen der Veranstaltung Likay-Aufführung & Lukthung auf Deutsch, die am 5. August 2012 im Auditorium der Thai-Deutschen Kulturstiftung (TDKS) in Bangkok stattfand, zur Aufführung gebracht. Im ersten Teil der Veranstaltung wurde das Likay mit dem Stück Aschenputtel in deutscher Sprache aufgeführt. Die Schauspieler traten vor einem echten Likay-Bühnenbild auf, sangen, tanzten und wurden von einem thailändischen Ensemble live begleitet. Im zweiten Teil wurde ein Konzert dargeboten. Gesungen wurden Lukthung-Lieder mit deutschen Texten.

Die Vorbereitung auf diese Aufführung dauerte ca. zwei Monate. Das Stück Aschenputtel wurde nach Überarbeitung einmal pro Woche geprobt. Für das Lukthung-Konzert wurden drei neue Lieder komponiert, um das geplante Programm zu vervollständigen. Auch die Sänger und Tänzerinnen probten regelmäßig ein- bis zweimal in der Woche. In dieser Arbeitsphase war zu beobachten, dass diese Form des kreativen Schreibens und die Inszenierung der daraus gewonnenen Schreibprodukte das Lernen des Deutschen als Fremdsprache unterstützen kann und in vielerlei Hinsicht auch für den gesteuerten Deutscherwerb eingesetzt werden sollte.

Neben der Schreibfähigkeit kann auch der Wortschatz durch das Komponieren von Liedtexten erweitert werden. Im Verlauf der Proben haben alle Schauspieler und Sänger ihre Aussprache des Deutschen deutlich verbessert. Die Aussprache vieler thailändischer DaF-Lernender ist mangelhaft, weil sie häufig das thailändische Lautsystem auf die deutsche Sprache übertragen (vgl. Attaviriyanupap 2008). Bei einer solchen Aufführung wird besonders viel Wert darauf gelegt, so deutlich wie möglich zu sprechen, weil deutschsprachige Muttersprachler sonst den Inhalt nicht verstehen würden, zumal die thailändische Prägung des Likays und der Lukthung-Lieder durch die entstandenen Verfremdungseffekte naturgemäß das Verständnis erschwert. Die thailändischen Melodien und die Eigenschaft des Thailändischen als Tonsprache führen dazu, dass die deutschen Texte für die Ohren Deutschsprachiger ungewöhnlich klingen.

Die produzierten Liedtexte können außerdem für den Unterricht eingesetzt werden. Einige Studierende, die bei den Proben wie auch während der Aufführung die deutschen Lukthung-Texte hörten, berichteten, dass sie sich durch das häufige Hören und das Mitsingen deutsche Sätze und Ausdrücke besser merken könnten. Auf Bitte meiner Studierenden habe ich im Grammatikunterricht einige Lukthung-Lieder im Hinblick auf Wortschatz, Satzbau sowie darüber hinaus inhaltlich in Hinblick auf interkulturelle Aspekte besprochen. Die Kursteilnehmer hatten Spaß daran und haben dabei auch etwas gelernt.

Nach der erfolgreichen Veranstaltung Likay-Aufführung & Lukthung auf Deutsch waren unsere Studierenden dazu motiviert, weiterhin Texte zu schreiben. Einige erklärten sich bereit, sogar ohne Aufträge oder Wettbewerb weitere Lukthung-Liedtexte zu verfassen. Diese Art des kreativen Schreibens ermöglicht thailändischen DaF-Lernenden kreativ mit der deutschen Sprache umzugehen und dabei zu lernen, wie viel an Normabweichung auch in poetischen Texten erlaubt werden kann. Dabei lernt man nicht nur die Fremdsprache Deutsch, sondern man wird auch dazu gezwungen, sich mit der eigenen Kultur auseinanderzusetzen. Eine solche Schreibaufgabe eröffnet den Lernenden deshalb die Möglichkeit, eine neue Sicht auf Bekanntes zu bekommen. Dadurch wird auch die interkulturelle Kompetenz gefördert. Deshalb ist es empfehlenswert, eine solche Form des kreativen Schreibens im DaF-Unterricht einzusetzen. Das Schöne am kreativen Schreiben ist, dass es auf allen Lernstufen sinnvoll und möglich ist (vgl. Lorey 2000: 9). Je nach Sprachnivau der DaF-Lernenden kann die Schreibaufgabe, deutschsprachige Liedtexte zu thailändischen Melodien oder Gedichte mit thailändischer Metrik zu verfassen, angepasst werden.

5. Ausblick

Wie bereits erwähnt, lässt sich die Methode des kreativen Schreibens auf unterschiedliche Arten einsetzen: beim Verfassen von deutschsprachigen Lukthung-Liedern, von Likay-Singtexten oder von Gedichten, die auf thailändischer Metrik basieren. Die so entstandenen Texte in deutscher Sprache bilden zum einen den Stoff für Aufführungen, die selbst wiederum das Erlernen des Deutschen im thailändischen Kontext unterstützen. Zum anderen können die produzierten Texte in einer weiteren Phase als Lehrmaterialien für den DaF-Unterricht genutzt werden. Darüber hinaus kann durch das Verfassen deutscher Texte auf der Folie thailändischer Vorlagen die Vermittlung thailändische Kultur gefördert werden, denn die in den kreativen Schreibprojekten entstandenen Texte erleichtern deutschsprachigen Ausländern, seien es Touristen oder Wissenschaftler, die sich für ein solches Gebiet interessieren, oder Personen, die in Thailand arbeiten und leben, den Zugang zur thailändischen Kultur. Nicht zuletzt ist zu erwähnen, dass diese Art west-östlicher Begegnung durch die entstehenden Verfremdungseffekte eine Auseinandersetzung mit dem Eigenen und dem Fremden ermöglicht und einen interkulturellen Aspekt des DaF-Unterrichts im thailändischen Kontext widerspiegelt.

Die erwähnten Verfremdungseffekte werden immer weiter gesteigert, wenn solche Texte in Form der sog. thailändischen Versrezitation mündlich vorgetragen werden, wie dies z.B. bei Likay-Singtexten oder beim Rezitieren aller Beispieltexte in thailändischer Weise vor einem deutschen Publikum der Fall ist, weil die deutschen Wörter dann nicht so ›deutsch‹ klingen. Diese Erfahrung haben meine Studierenden (durch Aufführungen) und ich (durch Vorträge) bereits mehrfach gemacht. Eine solche west-östliche sprachliche Begegnung erweist sich aus linguistischer Sicht in vielerlei Hinsicht als sehr interessant und erforschenswert, vor allem auf den Forschungsgebieten wie der Übersetzung und Poetik sowie für die interkulturelle Rezeption und Interpretation von Texten, die in kreativer Weise produziert wurden.

Anmerkungen

1  | Gemäß der Vorschrift des thailändischen Erziehungsministeriums über den Standard von Hochschulinstitutionen hat die Hochschulbildung vier Hauptaufgaben: Ausbildung von Studierenden, Forschung, Erbringen akademischer Dienstleistungen und Förderung von Kunst und Kultur.

2  | Der Unterschied zwischen der ersten und der zweiten Kategorie lag also im Inhalt der Texte. Während es sich bei der zweiten Kategorie um frei verfasste Texte handelte, mussten sich die Texte in der ersten Kategorie inhaltlich an den Originaltexten orientieren.

3  | Zitat aus der schriftlichen Arbeit der Arbeitsgruppe des Likay-Projekts.

4  | Das Lied I-Saan, meine Heimat wurde von Wachirawit Tupimon verfasst und erzielte den ersten Platz in der zweiten Kategorie im ersten Wettbewerbsjahr.

5  | Diverse Spezialitäten aus dem Nordosten Thailands.

6  | Das Lied Von meiner Heimat entfernt wurde von Kanokwon Kulkiatprasert, Kanokorn Yongpaiboon, Tunyathon Sap-In, Pajaree Thongjan und Rujirang Phongsai verfasst.

7  | Dieses thailändische Wort bezeichnet Ausländer mit weißer Hautfarbe.

8 | In diesem Lied erzählt die Sängerin von einer Frau, die »I-Puek« (wörtl. ›klein‹) genannt wurde, weil sie als kleines Mädchen sehr klein war sowie hässlich und ungepflegt aussah. Als junge, vornehme Frau kommt sie zurück in ihre Schule, um Stipendien zu vergeben. Sie ist durch ihren Farang-Mann reich und hübsch geworden. Dieses Lied wird z.T. im thailändischen nordöstlichen Dialekt gesungen und spiegelt den Traum vieler ländlicher Frauen in Thailand, vor allem in dieser Region, wider.

9  | Dieses Lied wird von einem Mann gesungen, der davon erzählt, dass man seine Ehefrau, die ihn verlassen hat, glücklich mit einem neuen Mann in Deutschland gesehen habe.

10  | Das Lied Mein Mann hat eine Geliebte wurde von Kanokorn Yongpaiboon verfasst und bekam den zweiten Preis in der zweiten Kategorie des zweiten Wettbewerbsjahres.

11  | Dieses Lied wurde ebenfalls von Wachirawit Tupwimon verfasst.

12  | Ein kleines thailändisches Holzboot.

13  | Eine einheimische essbare Pflanze.

14  | Papayasalat, eine Spezialität im Nordosten Thailands, die überall im Lande und sogar von Touristen gerne gegessen wird, ist zu einem der wichtigsten Gerichte der thailändischen Küche geworden.

15  | Das traditionelle thailändische Neujahrsfest.

16  | Eine der meist zitierten Grammatiken des Thailändischen, das Buch Lak Phasa Thai (»Prinzipien der thailändischen Sprache«) von Uppakitsilpasarn (2002) besteht z.B. aus vier wichtigen Teilen: Rechtschreibung, Morphologie, Syntax und Metrik.

17  | Thailändisch ist eine sog. Tonsprache und verfügt insgesamt über fünf Toneme; d.h., durch Aussprache einer Silbe in fünf unterschiedlichen Tonhöhen gelangt man zu gänzlich unterschiedlichen Bedeutungen. Das Wort »maa« mit einem flachen Ton bedeutet »kommen«, während es mit einem steigenden Ton die Bedeutung »Pferd« trägt. Die Tonhöhe hat deshalb eine bedeutungsunterscheidende Funktion. Hinsichtlich der Charakteristik der thailändischen Sprache sei auf meine dafür einschlägige Arbeit verwiesen (vgl. Attaviriyanupap 2008). Da es sich in diesem Beitrag nicht um eine detaillierte phonetische Beschreibung handelt, wird die Angabe über die Tonhöhe bzw. Tonverläufe aller thailändischen Wörter weggelassen.

18  | Dieses Gedicht wurde ursprünglich von Kanokwon Kulkiatprasert verfasst und später von mir verändert. Nur die Töne konnten, wie bereits erklärt, nicht berücksichtigt werden.

19  | Yousefi (2008: 50) hebt den lernenden Umgang mit dem Eigenkulturellem und Fremdkulturellen als einen bedeutenden Aspekt der Interkulturalität hervor. Dieser erwünschte Umgang wie auch eine Perspektivenerweiterung durch Integration der beiden Sprachkulturen lassen sich in dem obigen Kaap Jaanii sehr gut beobachten.

20  | Dieses Kaap Jaanii wurde von Phanwipa Sartsananan verfasst.

Literatur

Attaviriyanupap, Korakoch (2008): Thailändisches Deutsch? Ausspracheabweichungen bei thailändischen Immigrantinnen in der Deutschschweiz. In: Dokumentation der Tagungsbeiträge. IV. Thailändisches Germanistentreffen. 22.–24. März 2007. Faculty of Liberal Arts, Thammasat Universität. Bangkok, S. 184–199.

Fritzsche, Joachim (2009): Schreibwerkstatt. Geschichten und Gedichte: Schreibaufgaben, ‑übung, -spiele. Stuttgart u.a.

Lorey, Christoph (2000): Kreatives Schreiben im ersten Jahr Deutsch als Fremdsprache. Dreizehn Fragen und Antworten mit anregenden Aktivitäten. In: Forum Deutsch, S. 9–16.

Ruenkaew, Pataya (2003): Heirat nach Deutschland. Motive und Hintergründe thailändisch-deutscher Eheschließungen. Frankfurt a.M.

Schreiter, Ina (1998): Schreiben unterstützt das Lernen, kreatives Schreiben das autonome Lernen. In: Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 3, H. 1, S. 25ff.; online unter: https://zif.spz.tu-darmstadt.de/jg-03–1/beitrag/schreit2.htm [Stand: 31. Mai 2014].

Sriratanasomboon, Chinda (2010): Thai Women in German Eyes: The Representation of Thai Women in Contemporary German Writings. Phil. Diss. Chulalongkorn University. Bangkok.

Uppakitsilpasarn, Phraya (2002): Lak Phasa Thai (»Prinzipien der thailändischen Sprache«). 12. Aufl. Bangkok.

Yousefi, Hamid Reza (2008): Phänomenologie des Eigenen und des Fremden. Eine interkulturelle Perspektive. In: Ders. u.a. (Hg.): Wege zur Kultur. Gemeinsamkeiten – Differenzen – Interdisziplinäre Dimensionen. Nordhausen, S. 25–52.