Frankfurt am Main: Peter Lang 2017 – ISBN 978-3-631-71673-1 – 79,95 €
Die vorliegende Studie bündelt und systematisiert Krobbs vorgängige Untersuchungen zur Repräsentation Afrikas in Reiseberichten und in von diesen abhängiger Belletristik, wobei sich der Schwerpunkt in Übereinstimmung mit dem Untertitel vom letzteren auf das erstere Genre verschiebt; lediglich das Schlusskapitel wendet sich etwas ausführlicher den Afrikaromanen Karl Mays zu. Bereits das der Monographie vorangestellte Abstract formuliert als selbstgestecktes Ziel den Nachweis einer häufig postulierten, aber noch selten in dieser Komplexität vermessenen und detailliert belegten Erkenntnis: Die Vorkolonialen Afrika-Penetrationen wollen nicht zeigen, dass, sondern wie das junge Kaiserreich durch die Konstitution eines kolonialen Diskurses in der deutschsprachigen Öffentlichkeit innerhalb weniger Jahrzehnte vom Beobachter zum Akteur im Wettstreit des europäischen Imperialismus wird. Zur detaillierten Erforschung dieses Phänomens untersucht Krobb zwölf Einzelaspekte, deren gegenseitige Interdependenzen zuweilen Dopplungen und Redundanzen einzelner Belegzitate oder Gedankengänge bedingen (die möglicherweise auch der Entstehungsgeschichte des vorliegenden Bandes geschuldet sind). Eine Einleitung reißt die verschiedenen Themenkomplexe bereits in ihren Grundzügen an, indem historische, mediale und literarische Kontexte angedeutet und die zentralen Thesen der Studie im Einzelnen ausformuliert werden; allerdings vermisst der Leser eine Definition des Begriffs ›vorkolonial‹ und eine stringente Begründung der eigenen Gliederung wird offenbar aus Überzeugung erst gar nicht angestrebt: »Die Systematisierung ist zudem künstlich, da in den Materialien die hier unterschiedenen Felder verquirlt sind, sich gegenseitig bedingen, erklären, aufschaukeln, vorantreiben« (33).
Ob die derart mit nonchalantem Understatement als willkürlich deklarierte »Systematisierung« allerdings wirklich vom Gegenstand vorgegeben ist, lässt sich bereits beim Blick auf das Inhaltsverzeichnis bezweifeln, denn dort finden sich Kapitel, die die Aneignung des Raumes thematisieren (I, VI, X), neben Abschnitten, deren Gegenstand die Rivalitäten der unterschiedlichen Reisenden sind (II, VIII, XII), während wieder andere die Kontaktzonen zwischen den Reisenden und ihrem Reiseland ausloten (III, IV, IX) oder die Wahrnehmung von Kontrasten zwischen der europäischen Heimat und dem afrikanischen Fremden beschreiben (V, VII, XI) – eine wesentlich stringentere thematische Gliederung wäre nicht nur naheliegend, sondern auch mit recht geringem Aufwand erreichbar gewesen. Krobb präferiert stattdessen eine vage chronologisch orientierte Abfolge, die in Ansätzen an das pädagogisch-didaktische Konzept eines Spiralcurriculums gemahnt. Das mag als Warnung vor allzu einfachen Kurzschlüssen eine gewisse Wirkung erzielen und vielleicht auch angesichts der vom Untersuchungsgegenstand vorgegebenen Notwendigkeit zur Problematisierung gewaltsamer Einebnungsversuche, wie sie in der Reiseliteratur des 19. Jahrhunderts auf Schritt und Tritt begegnen, verständlich sein. Es trägt aber weniger zur Schärfung eines solchen Problembewusstseins beim Leser als vielmehr zu einer – durchaus angenehmen, aber letztlich ineffektiven – Lektüre bei, die sich vom ungemein kenntnisreichen und anschaulichen Darstellungsstil des Verfassers von einem Themenkomplex zum nächsten führen lässt, ohne sich auch nur mit einer Fragestellung intensiv auseinandergesetzt zu haben. Dabei sind die vielen Einzelbeobachtungen durchaus stets stringent und transparent auf die Kernthesen der Studie bezogen – allein, ein etwas konventionellerer Aufbau und eine konsequentere Zusammenführung des Zusammengehörigen hätten der Überzeugungskraft einer Untersuchung, die sich ja gerade zum Ziel gesetzt hat, einen allgemein anerkannten Befund argumentativ zu verifizieren, wohl nicht geschadet.
Was die Vorkolonialen Afrika-Penetrationen allerdings in den einzelnen Kapiteln vor dem Leser ausbreiten, demonstriert nachdrücklich das aufklärerische Potenzial der postcolonial studies, wenn sie ihren Untersuchungsgegenstand – die Texte, in denen sich der koloniale Diskurs manifestiert – differenziert zu betrachten gewillt sind. Aufgrund seiner sachlichen Herangehensweise kann Krobb überzeugend darstellen, wie ein spezifisch deutscher Diskurs sich über klassische Dreieckskonstellationen – deren literarhistorischer Hintergrund allerdings nicht ausgelotet wird – einen Platz im teilkolonialisierten Afrika erschreibt. Dies gelingt, indem die deutschsprachigen Reisenden sich als idealistische Wissenschaftler und selbstlose Befreier aus Sklaverei und Despotismus in ein fruchtbares Verhältnis zum ›eigentlichen‹, indigenen Afrika (seinem Raum, seiner Natur, seinen Menschen) bringen, das die rivalisierenden kolonisierenden Kräfte (insbesondere den islamischen Kulturkreis und Großbritannien) zu Störfaktoren erklärt. Um diese These zu belegen, wählt der Verfasser ein Textkorpus, aus dem einige Reiseberichte herausgehoben werden; Heinrich Barth, Gustav Nachtigal, Georg Schweinfurth und Hermann von Wissmann bilden die Hauptbezugspunkte der in den Vorkolonialen Afrika-Penetrationen beschriebenen historischen Entwicklung. Daneben stellt Krobb zwei weniger beschreibende als vielmehr beschriebene Ikonen des deutschen Afrikadiskurses, die wie Barth und von Wissmann die Entwicklung von einer vorkolonialen zu einer kolonialen Haltung repräsentieren: den ersten prominenten Verschollenen Eduard Vogel und den Archetypus des deutschen Kolonialbeamtentums Emin Pascha (Eduard Schnitzer), deren Lebensläufe die zwölf Kapitel nicht nur durchziehen, sondern in gewisser Weise auch klammern und so die chronologische Ordnung derselben andeuten.
Im ersten Kapitel beschreibt Krobb, wie, ausgehend von den Bemühungen, den Verschollenen Vogel wiederzufinden, das Ziel aller Entdeckerzüge als geheimnisvolles ›Inneres‹ Afrikas konstruiert wird, das durch »Schachte und Stollen« ergründet werden müsse; kurz wird auch das Wiederaufleben dieser Bergwerksmetapher in Verbindung mit der des ›Dunklen‹ in der späteren Psychoanalyse erwähnt (48). Darüber hinaus dient das Kapitel der Präsentation wichtiger Traditionslinien zwischen den einzelnen Reiseberichten sowie einer kurzen Diskussion der Publikationskontexte. Diese fungieren dann über den Begriff der »Verästelung« als assoziatives Bindeglied zum zweiten Kapitel, das die verschiedenen Arten der Bezugnahme der Reisenden aufeinander thematisiert. Damit rückt das für die These der Studie zentrale Motiv von »Sog und Überbietung« in den Mittelpunkt, wobei insbesondere das Dilemma der späteren Reiseberichte beschrieben wird, die zum einen am Ruhm der Vorgänger zu partizipieren suchen, zum anderen aber auch auf den Nachweis einer eigenen, selbständig errungenen Pioniertat angewiesen bleiben. Ganz neu setzt das dritte, dem Verhältnis zwischen den europäischen Reisenden und ihrer afrikanischen Umgebung gewidmete Kapitel ein, indem es diesen Komplex beispielsweise anhand des Subgenres der Berichte ehemaliger Gefangener der Mahdisten wie Karl Neufeld und Rudolf Slatin darstellt (vgl. 136-146), erneut jedoch auch mit Vogels Schicksal und darüber hinaus der Isolation Emin Paschas verbindet, um den im zweiten Kapitel beschriebenen »Sog« aus einer weiteren Perspektive zu beleuchten.
Das vierte Kapitel wendet sich der symbolischen Aneignung des Landes in der Beschreibung von Jagdszenen zu, die in allen Reiseberichten eine wichtige Rolle spielen. Krobb arbeitet hier die Installation eines als spezifisch deutsch präsentierten Ethos heraus, das sich zum einen auf den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn als den eigentlichen Zweck der Jagd, zum anderen auf ein mit dieser verbundenes diffuses Gefühl der Erhabenheit stützt. Er zeigt auf, wie diese Haltung dazu dient, die kolonialen Rivalen wie insbesondere den britischen sportsman zu disqualifizieren (vgl. 168f.) und zugleich die indigene Bevölkerung als hilfs- und schutzbedürftig darzustellen (vgl. 178f.). Das letztere Motiv spiegelt auch der Sklavereidiskurs wider, der in den Vorkolonialen Afrika-Penetrationen eine zentrale Rolle spielt und im Mittelpunkt des fünften Kapitels steht: Gerade aufgrund der Zugehörigkeit der Sklavenhändler zum islamischen Kulturkreis und der Misserfolge der britischen Abolitionisten böte sich hier eigentlich Gelegenheit zur Profilierung einer eigenständigen Rolle. Allerdings habe sich das Problem nach Ausweis der Reiseberichte schnell als derart komplex erwiesen, dass der anfängliche »Optimismus« bald allgemeiner Ratlosigkeit gewichen sei (208f.). Das sechste Kapitel, das an die im vierten und im ersten Kapitel verhandelten Diskurse anschließt (vgl. 231), stellt neben den verschiedenen Projekten einer Durchquerung des Kontinents auch Begegnungen von Forschungsreisenden in Afrika wie Vogel und Barth (vgl. 243f.) oder Wilhelm Junker und Emin Pascha (vgl. 245-247) dar, denen insbesondere im Kampf um mediale Aufmerksamkeit besondere Bedeutung zugekommen sei.
Wie stark das Bild des längst zum Stereotyp gewordenen orientalischen Despotismus die Wahrnehmung der politischen Gegebenheiten in Afrika durch die europäischen Reisenden determiniert, stellt Krobb im siebten Kapitel dar. Dazu weist er zum einen auf die elementaren Bedürfnisse der Reisenden wie Sicherheit und Versorgung hin, deren Gewährleistung oder Verweigerung die Einstufung eines Herrschers als Despoten maßgeblich bestimmen kann; noch bedeutsamer für die negative Bewertung vieler politischer und gesellschaftlicher Aspekte sei jedoch die »fortschrittlich-bürgerliche Weltsicht« der meisten Reisenden (274), die Kritik an den afrikanischen Herrschaftsverhältnissen gerade in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als »idealistische Projektionen auf ein wehrloses diskursives Terrain« entlarve (277). Mit der Positionierung Deutschlands insbesondere gegenüber dem wichtigsten Rivalen Großbritannien, das als »Rivale und Vorbild« eine besondere Rolle für das eigene Selbstverständnis spiele (301), setzt sich das achte Kapitel auseinander, um auch in den Reiseberichten Tendenzen nachzuweisen, die einen Wandel von der bewundernden Nachahmung zu offener Anfeindung indizierten. Das neunte Kapitel bezieht sich insbesondere auf spätere Texte bzw. auf solche, die bereits kolonisierte Gebiete beschreiben. Es präsentiert deren Neigung, genauere Anweisungen zur vollständigen wissenschaftlichen Darstellung von Land und Leuten, aber auch Ratschläge für einen dauerhaften Aufenthalt in der afrikanischen Umwelt zu formulieren. Hier wird die Grenze zwischen vorkolonialer und kolonialer Literatur aus inhaltlichen Gründen natürlich beständig überschritten, denn: »Die sukzessive Sättigung des Diskurses bereitet sein Umschlagen in Handeln vor« (341).
In ähnlicher Art und Weise nimmt auch das zehnte Kapitel die Bedeutung der Kartographie für den Kolonialismus des 19. Jahrhunderts in den Blick: In einem Dreischritt werde zunächst die Leere (die weißen Flecke der Karte) gefüllt, bis eine Verschiebung der Horizonte ins Unbekannte nicht mehr möglich sei, schließlich markiere die immer kleinräumigere kartographische Überformung eine endgültige Aneignung des indigenen Landes durch die Kolonialmacht. Die in den meisten Reiseberichten vertretene Ansicht, Afrika sei als ›geschichtsloser Raum‹ aufzufassen, wird im elften Kapitel zunächst auf Hegels Geschichtsphilosophie zurückgeführt (vgl. 385-388). Im Anschluss referiert Krobb die Versuche insbesondere Barths, gegen diese Autorität europäische Kategorien auf die afrikanische Geschichte anzuwenden (vgl. 398-401). Und schließlich stellt er dar, wie verschiedene Theorien des europäischen Ursprungs afrikanischer Kulturdenkmäler eine Abhängigkeit der afrikanischen von der europäischen Geschichte postulieren, die eine vollständige Eingliederung der ersteren in die letztere erlaubt. Im zwölften Kapitel steht nun ganz Emin Pascha als »Kristallisationsfaktor« im Mittelpunkt, dessen Repräsentation im Abenteuerroman Karl Mays eine »Diskursverknüpfung« darstelle, die nach Krobbs Ansicht offenbar ein zusammenfassendes Schlusskapitel überflüssig macht, da dieser Komplex zeige, »wie ubiquitär, gefestigt, akzeptiert und in seinen Grundzügen einsinnig das deutsche Afrika-Narrativ […] geworden ist« (423). Tatsächlich zählt Krobb etliche der in den vorangegangenen Kapiteln diskutierten Elemente dieses »Afrika-Narrativs« auf (425). Der Abschnitt zu Emin Pascha geht ausführlich auf die Konkurrenz zu Großbritannien ein, während der zu Karl May noch einmal die Jagd sowie die Sklaverei in den Vordergrund rückt und in der abenteuerlichen »Mimikry«, der Tarnung von Romanfiguren als Afrikaner, ein Seitenstück zur im dritten Kapitel thematisierten Frage der Anpassung präsentiert (445). Insgesamt jedoch bricht Krobbs Monographie mit dem letzten Satz dieses Kapitels etwas unvermittelt ohne Zusammenfassung, Ausblick o.Ä. ab, was zumindest beim Verfasser dieser Rezension, der in dieser Hinsicht zugegebenermaßen eher konservativ eingestellt ist, einen etwas unbefriedigenden Eindruck hinterlässt.
Dennoch kann nicht genug betont werden, wie wichtig die vorliegende Studie für die Erschließung der noch immer nicht ausreichend erforschten deutschsprachigen Reiseliteratur über Afrika und für die postcolonial studies im Allgemeinen ist: In vorbildlicher Weise werden hier Philologie und Theoriebildung, Literatur- und Kulturwissenschaft zusammengeführt, auch wenn dem jeweils zweiten Element ein deutliches Übergewicht eingeräumt wird, was angesichts der Positionierung des Bandes in der Reihe »Zivilisationen & Geschichte« freilich auch nicht verwundern darf. Die durchgängige Ausrichtung der untersuchten Texte auf die zentrale These verortet den deutschen Afrikadiskurs in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts überzeugend in einem historischen Kontext, von dessen Einbeziehung Analyse und Interpretation der Reiseberichte ausgehen müssen, wenn sie ihrem Untersuchungsgegenstand gerecht werden wollen. Insofern ermöglicht die von Krobb geleistete Arbeit erst eine – als dringendes Forschungsdesiderat der Germanistik anzusehende – komplementäre Studie über die belletristische Verarbeitung der präsentierten Diskurse in Romanen und Erzählungen der Trivial- und der Höhenkammliteratur, die im letzten Kapitel (und in etlichen der in den Vorkolonialen Afrika-Penetrationen immer wieder zitierten Vorarbeiten des Verfassers) beispielhaft vorgeführt wird.
Heiko Ullrich