BERLIN, DEN 17. JUNI 2013
Sehr verehrte Kolleginnen, sehr geehrte Kollegen, liebe Freunde in der GiG, nach dem (schon fast traditionell) zu Silvester im vergangenen Jahres versandten Rundbrief 6.2 (2012) [s.o., in diesem Heft] mit seinem eingangs etwas lakonisch geratenen Rückblick auf die politischen Zeitläufte versank Mitteleuropa im Schnee. Monatelang drückte sibirische Kälte und polare Dunkelheit dort gewaltig auf die Stimmung. Nicht wenige der dort sesshaften Mitglieder unserer Gesellschaft für interkulturelle Germanistik flohen vor dem Winter ins sonnige Johannesburg, wo wir uns bei milden Temperaturen im Januar zur GiG-Tagung 2013 trafen (s. Bericht in diesem Heft). Wir genossen die kollegiale Gastfreundschaft und das südafrikanische Wetter. Die ansteckend gute Laune der Menschen half uns nach der Rückkehr über die kommenden Wochen hinweg.
Heute stehen wir nach der Monsun-Zeit in weiten Teilen Deutschlands bis zum Hals im Wasser, aber das Wetter und die Stimmung sollen besser werden. Die ›Jahrhunderthochwasser‹ kommen in immer kürzeren Abständen, aber, hey, it’s summertime, so don’t worry. Alles wird gut, Frau Merkel trocknet die Tränen und regiert mit dem sedierenden Gleichmut des Teflons.
Einige der Älteren unter uns erinnern sich heute, am 17. Juni, des Volksaufstands 1953 in der DDR, den die Panzer der sowjetischen Besatzungstruppen mit tatkräftiger Unterstützung der DDR-Volksarmee vor 60 Jahren gewaltsam niederwalzten. Die Jüngeren, von den Medien dazu beiläufig befragt, verbinden überwiegend überhaupt nichts mehr mit diesem Datum. Der Gedenktag wurde nach der ›Wende‹ wieder Arbeitstag, an seiner statt kam ein neuer Nationalfeiertag: Polit-Juristen erinnern trocken an das »Wirksamwerden des Beitritts der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland«, gezeichnet und gesiegelt am 3. Oktober 1990 – ein Notarsdatum, das kaum Gefühle weckt. Die Menschen, insbesondere diejenigen, deren Familien (wie die meine) vom ›Eisernen Vorhang‹ zerrissen wurden, feiern eher den 9. November, als 1989 die Mauer fiel. Aber an diesem Tag wird in Deutschland auch des Beginns der NS-Progrome gegen die Juden 1938 gedacht oder der Ausrufung der Republik 1918 durch den SPD-Politiker Philipp Scheidemann oder (mit der Hinrichtung Robert Blums) des Scheiterns zaghafter Demokratieversuche 1848 im Deutschen Bund … ein für Politiker arg komplexes Datum, an dem Gedenkredner sich zu leicht verheddern könnten.
Aber genug der landeskundlichen Exkurse zu Daten, die unsere Mitglieder in Übersee eh genauer kennen als viele Jugendliche in Deutschland. Was ist der Stand der Dinge? Im letzten Jahr um diese Zeit erschien in der Zeitschrift für interkulturelle Germanistik 3.1 der Rundbrief 6.1, in dem ich noch davon ausging, dass sich die Pläne würden verwirklichen lassen, im Spätherbst 2014 eine GiG-Tagung an der renommierten University of California at Berkeley und damit zum ersten Mal in den USA, veranstalten zu können. Entsprechend häufig wurde ich in Johannesburg dazu befragt: »… und nächstes Jahr in San Francisco?«
Die seinerzeit gemeinsam mit Hinrich Seeba und Jeroen Dewulf ›ausgeheckten‹ Pläne haben sich leider zerschlagen. Der neue Chair des Department of German, das Mitglied des ZiG-Beirats Deniz Göztürk, sah sich außerstande, das Projekt weiter zu fördern. Vielleicht und hoffentlich hat mein Nachfolger in den USA mehr Erfolg.
Meine Versuche, die GiG stattdessen in die Schweiz zu holen und die Mitglieder auf dem legendären Monte Verità bei Ascona zu versammeln, scheiterten bedauerlicherweise ebenfalls. Die schöne Tagungsstätte dort gehört der ETH Zürich, deren übliche Clientèle (Naturwissenschaftler, Techniker, Mediziner) die dafür nötigen Drittmittel mühelos in sechsstelliger Höhe auftreiben können. Aber Germanisten? Ich habe viele Klinken geputzt und etliche Bettelbriefe geschrieben, aber die geforderte Drittmittel-Garantie konnte ich niemandem abringen. Und Tagungsgebühren wie bei Ingenieuren, denen ihre Firmen-Sponsoren Kongress-Karten zwischen 500 und 1 000 Euro erstatten ohne mit der Wimper zu zucken, mochte ich unseren darbenden Mitgliedern nicht zumuten. Heinrich Heine hat eben recht und bleibt in Zeiten der Finanz- und Bankenkrisen so aktuell wie eh und je:
Weltlauf
Hat man viel, so wird man bald
Noch viel mehr dazu bekommen.
Wer nur wenig hat, dem wird
Auch das wenige genommen.
Wenn du aber gar nichts hast,
Ach, so lasse dich begraben –
Denn ein Recht zum Leben, Lump,
Haben nur die etwas haben.
Auf das Engagement unserer GiG-Getreuen ist indes Verlass. Darum freut mich ganz besonders, Sie zur nächsten GiG-Tagung in eine Stadt einladen zu können, deren Name Ihnen als poetische Genrebezeichnung allen längst geläufig ist für Gedichte wie diese:
wenn ich verfass ’nen limerick ich hatte mal einen tollen gedanken
versuch ich es mit einem trick durch den geriet mein geist ins wanken
ich bild mir ein da ließ ich ihn sein
dichter zu sein und fiel darauf rein
dann entstehen gleich zehn stück weil andere sich jetzt um ihn zanken
Was gibt es für Germanisten Gemäßeres als sich in einem solch poetisch inspirierten Ort zu treffen? Das Mary Immaculate College der University of Limerick ist unser Gastgeber 2014! Das Irish Centre for Transnational Studies wird, mit Unterstützung des Centre for Irish-German Studies, unsere GiG-Tagung am 29.–31. Mai kommenden Jahres beherbergen. Für die Organisation vor Ort zeichnet unsere Kollegin Dr. Sabine Egger verantwortlich, tatkräftig unterstützt von Dr. Withold Bonner von der Universität Tampere/Finnland. Wir möchten uns dort am Beispiel (vornehmlich) des Deutschen den literatur- und kulturwissenschaftlichen wie den sprach- und medienwissenschaftlichen Fassetten des folgenden Themas widmen: Begegnungen in Transiträumen / Transitorische Begegnungen
Sabine Egger und Withold Bonner haben zu diesem Thema einige Erläuterungen formuliert und ein paar Fragestellungen vorgeschlagen, die der Call for Papers zusammenfasst: Er ist den Mitgliedern bereits zugegangen und wird im Folgenden sicherheitshalber auch noch einmal abgedruckt. Für Plenarvorträge haben wir Anil Bhatti von der Jawaharlal Nehru University in New Delhi und aus Irland Gisela Holfter (Limerick) und Arnd Witte (Maynooth) gewinnen können.
Abstracts im Umfang von ca. einer Seite (max. 2 000 Zeichen inkl. Leerzeichen) müssen spätestens bis zum 31. August 2013 mit vollständiger Anschrift (inkl. E-Mail-Adresse) bei Sabine.Egger@mic.ul.ie, Withold.Bonner@uta.fi und ernest.hess-luettich@germ.unibe.ch eingegangen sein. Über die Annahme der Vorschläge für ca. 20-minütige Referate soll bis zum 31. Oktober 2013 entschieden werden, damit alle Teilnehmer/innen rechtzeitig disponieren können. Weitere Hinweise bietet die Tagungshomepage unter http://www.ictstudies.eu/internationale-tagung-der-gesellschaft-fur-interkulturelle-germanistik-gig
Zu dem für die nächste GiG-Tagung ursprünglich vorgesehenen Termin im Spätherbst 2014 können wir sogar einen weiteren Vorschlag unterbreiten. Unsere Kolleginnen Meher Bhoot und Vibha Surana von der University of Mumbai wollen uns im Dezember nach Indien einladen! Der gegenwärtige Vorstand der GiG hat sich nach kurzer Beratung für die Annahme dieser Einladung entschieden.
Für mich persönlich hat diese Entscheidung den zusätzlichen Charme, dass mein Vorgänger im Amt des GiG-Präsidenten, der kürzlich verstorbene Ulrich Müller, mich 2005 in Jaipur gebeten hat, mich um seine Nachfolge in dieser Funktion zu bewerben; im selben Land würde meine dann achtjährige Amtszeit auch ihren turnusgemäßen Abschluss finden. Deshalb werde ich schon jetzt damit beginnen, die nötigen Gespräche zu führen, um eine deutsche Unterstützung auch dieser Tagung zu gewährleisten und den Übergang zu einem neuen Vorstand vorzubereiten.
Außer diesen beiden guten Nachrichten zu Limerick und Mumbai freue ich mich sehr, auch wieder das Erscheinen weiterer GiG-Publikationen annoncieren zu können. Nachdem im letzten Jahr der fast 700-seitigen ›Wälzer‹ erschien, der aus unserer Göttinger Tagung hervorgegangen ist, steht in diesem Jahr nun die Auslieferung zweier etwas schmalerer Bände an, die auf die Tagungen in Kairo 2010 und in Bangkok 2011 zurückgehen. Die Fahnenkorrektur des einen ist abgeschlossen, die des anderen ist in vollem Gange. Die Autoren und diejenigen GiG-Mitglieder, die ihren Jahresbeitrag entrichtet und ihre Adressenangaben à jour gehalten haben, können also in den nächsten Wochen mit den Belegexemplaren rechnen. Bitte haben Sie etwas Geduld und sehen Sie von Fragen an das überlastete Berner Mini-Team einstweilen ab, denn wir versichern, dass alle Bände Zug um Zug vom Verlag an die ihm von uns gemäß Ihren Angaben zur Verfügung gestellten Anschriften versandt werden. Hier vorab schon mal die genauen bibliografischen Angaben, nach denen wir auch immer wieder gefragt werden:
Hess-Lüttich, Ernest W.B., gemeinsam mit Aleya Khattab und Siegfried Steinmann (Hg.): Zwischen Ritual und Tabu. Interaktionsschemata interkultureller Kommunikation in Sprache und Literatur [Symposion Kairo 2010]. Frankfurt a.M. u.a. 2013 (Cross Cultural Communication 24/Publikationen der GiG 17).
Hess-Lüttich, Ernest W.B., gemeinsam mit Pornsan Watanangura (Hg.): KulturRaum. Zur (inter)kulturellen Bestimmung des Raumes in Sprache, Literatur und Film [Symposion Bangkok 2011]. Frankfurt a.M. u.a. 2013 (Cross Cultural Communication 25/Publikationen der GiG 18) [im Druck].
Die redaktionellen Arbeiten an dem Band, der aus der Tagung in Kyōto 2012 hervorgehen wird, sind inzwischen ebenfalls so weit vorangeschritten, dass wir hoffen, dass der Verlag ihn vielleicht auch noch in diesem Jahr herausbringen kann. Und die editorischen Vorbereitungen für den darauf folgenden Band zur Tagung in Johannesburg haben ebenfalls schon begonnen. Diese beiden Bände werden voraussichtlich unter den folgenden Titeln erscheinen:
Hess-Lüttich, Ernest W.B., gemeinsam mit Yoshito Takahashi (Hg.): Orient im Okzident, Okzident im Orient [Symposion Kyoto 2012]. Frankfurt a.M. u.a. (Cross Cultural Communication 26/Publikationen der GiG 19) [in Vorb.].
Hess-Lüttich, Ernest W.B., gemeinsam mit Carlotta von Maltzan und Kathleen Thorpe (Hg.): Gesellschaften in Bewegung [Symposion Johannesburg 2013]. Frankfurt a.M. u.a. (Cross Cultural Communication 27/Publikationen der GiG 20) [i. Vorb.]
In (aus Berner Sicht beneidenswert) pünktlichem Rhythmus erhalten die (zahlenden) GiG-Mitglieder überdies die Bände der Zeitschrift für interkulturelle Germanistik (ZiG), die sich ebenfalls weiter fortentwickelt und nicht nur in der Zunft schnell wissenschaftliche Anerkennung fand, sondern auch editorisch einen so professionellen Eindruck macht, dass wir wagen können, ihre offizielle Akkreditierung als Refereed Journal (das sie in der Praxis ja schon ist) zu beantragen. Freilich stellt dies an alle Beteiligten – Autoren, Editoren, Evaluatoren – entsprechend hohe Ansprüche.
Aber das schreckt uns nicht, es ist uns allen vielmehr Ansporn, dem fassettenreichen Forschungsfeld unserer gemeinsamen wissenschaftlichen Interessen mit Freude an der Sache und mit Disziplin in der Arbeitspraxis noch intensivere Aufmerksamkeit zu widmen.
In diesem Sinne wünsche ich allen Mitgliedern auf der Nordhalbkugel unseres Planeten einen langen warmen Sommer, denen auf der Südhalbkugel einen milden und ertragreichen Winter.