Exotische Nänien

Der vergängliche Zauber ferner Länder in deutschsprachigen Dichtungen des 18. und frühen 19. Jahrhunderts

Arne Klawitter

Abstract

The essay examines some German poems of the 18th century which can be regarded as »exotic naenia« due to their content and elegiac tone, but which are very different in their nature and purpose, either sensitive-elegiac or satirical, nostalgic or critical towards Western civilization. While Ludwig August Unzer is experimenting with Chinese words and sounds as well as with an aesthetic concept entirely unknown to German readers, Johann Heinrich Christian Meyer tries to ward off any external influences with a parody on Unzers poem. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae’s lyrical epic Tayti (1777), depicting the island in the South Seas discovered by Bougainville as a »true Arcadia«, and Friedrich Bouterwek’s elegies on the lost innocence of the islanders (1791 / 94) establish a literary tradition of the ›exotic naenia‹ mainly with reference to the isle of O-Taheitee (Tahiti).

Title:

Exotic Naenia. The Dwindling Magic of Distant Landscapes in 18th and Early 19th Century German Poetry

Keywords:

18th century German literature; China; Tahiti; Unzer, Ludwig August (1748-1774); Zachariä, Justus Friedrich Wilhelm (1726-1777)

Unzers Nänie im chinesischen Geschmack

Im Jahr 1772 erschien im Verlag der Braunschweiger Waysenhausbuchhandlung ein nicht nur für die damalige Zeit höchst ungewöhnliches Gedicht mit dem Titel Vou-ti bey Tsin-nas Grabe. Eine chinesische Nänie. Verfasser war der damals 24-jährige Dichter Ludwig August Unzer (1748-1774). Angefüllt mit chinesischem Vokabular und Sinnsprüchen, ist das Gedicht eine primär auf sentimentale Wirkung abzielende Totenklage: Vou-ti betrauert seine jung verstorbene Geliebte Tsin-na, wobei er sich auf das altchinesische Buch der Wandlungen (Yijing) und auf verschiedene philosophische Weisheiten, Begriffe und Sprichwörter bezieht, die in chinesischer Sprache wiedergegeben werden, und zwar in der damals üblichen phonetischen Umschrift.

Das Gedicht war in mehrfacher Hinsicht ein Novum: zunächst einmal in Hinblick auf das Thema, was die Sinologin Barbara Aurich dazu veranlasste, es als ein Gedicht zu bezeichnen, »das sich seine Vorlage selbst geschaffen ha[be]« (Aurich 1935: 147). Aber auch mit Blick auf die Form ist es durchaus neuartig: eine Mischung aus Elegie und Consolatio, basierend auf der Philosophie des Daoismus. Es beginnt mit zwei philosophischen Begriffen, die, ähnlich dualistisch wie Yin und Yang, jeweils für das Starke und das Schwache stehen:

Nicht im Buchstaben Kang 1)

Töne mein Jammergesang;

Ach! in dem weichen Tone Yeou

Suche, Vou-ti, die verlorne Ruh!

 

»Se se ju se seng!« 2)

Goldne Regel, deiner eingedenk,

Will ich hier in finstern Wüsteneien

Meiner Tsin-na ewig Thränen weihen.

 

Schöner, als Tsin-na war,

(Tsin-na, mit gelbem Haar,

Und der Schwanenbrust,

Tsin-na, des Tages Glanz, Tsin-na, der Schatten Lust,)

Schöner, seit meine Gedanken wehen,

Hab ich nie ein Wesen gesehen.

Wie geschmeidig war ihr kleiner Fuß! 3)

O wie zärtlich sprachen ihre Blicke

Zitternder Liebe Genuß!

Und mit welchem innigen Glücke

Duchströmt mich ihr süßer Kuß!

1) Das Buch Y-king, oder Ye-kim, welches von dem Fo-hi herrühren soll, enthält zwey Buchstaben, nemlich Kang, welcher das Starke, Feste und Standhafte ausdrückt, und Yeou, der das Weiche und Sanfte vorstellt. Fo-hi preiset den Buchstaben Kang in der Moral an. Die Sekte der Lao-tsee hingegen, deren Stifter Lao-kiun war, erhebet den Buchstaben Yeou. Diese Sekte hat viel ähnliches mit dem System des Epikur. Ein neuerer Weltweiser der Chineser, Namens Tchin, eifert in einer seiner Schriften sehr wider diese Sekte.

2) Ein sehr hochgehaltenes Sprüchwort der Chineser. Auf deutsch: Ehret die Todten, wie ihr die Lebendigen geehrt habt.

3) Das wesentliche Stück der weiblichen Schönheit besteht nach dem Geschmack der Chineser, in einem kleinen Fuß. (Unzer 1772: 3f.; Hervorh. i.O.)

Unzers Nänie erschien dann nochmals Ende 1772 unter verändertem Titel in der Poetischen Blumenlese auf das Jahr 1773 des Göttinger Musenalmanachs, wobei die Anmerkungen gekürzt wurden. Statt »Nänie« heißt das Gedicht im Untertitel nunmehr Eine Elegie im chinesischen Geschmack.

Mit Blick auf die ästhetische Umsetzung sticht vor allem die empfindsam-elegische Grundstimmung des Gedichts hervor, die dann von der Forschung als Nachklang der seinerzeit durchaus geschätzten ›Friedhofspoesie‹ im Gefolge von Edward Young und Thomas Gray gewertet wurde (vgl. Berger 1990: 255):1

Wenn dann meine Augen brechen,

Wenn ich reif bin für das Grab;

Werden meine Freunde sprechen:

Diese Blume, die uns Freude gab,

Pflücke der Liebe Finger ab.

 

Dann, Tsin-na, ruh an deiner Seite

Mein jugendlicher Aschenrest!

Und über unsre Gruft verbreite

Auf Rosenflügeln sich der West.

 

Dann vereint mein erdenloses Wesen

Wiederum mit Tsin-na sich;

War ich hier zum Schmerz erlesen,

Dort erwarten Wonnelieder mich. (Unzer 1772: 17f.)

Bezeichnend für dieses Genre ist, dass der Trauernde eine ästhetische Lust aus seinen Wehklagen zieht, so dass er sich »in seiner Trauer […] geradezu genüßlich das eigene Ende ausmalt« (Berger 1990: 255). Die Nänie war ursprünglich ein Trauer- und Klagegesang, der in der Antike bei Begräbnissen angestimmt wurde, und findet ihre literarischen Vorbilder z.B. bei Catull. In Deutschland nachgeahmt wurde die Gattung u.a. von Karl Wilhelm Ramler (1725-1798), der 1770 eine seinerzeit berühmte Nänie auf den Tod einer Wachtel in Hendecasyllaben verfasste, die im Göttinger Musenalmanach (1771) erschien und schon damals parodiert wurde. Während die eigentliche Elegie in den 1770er Jahren eine anerkannte und weit verbreitete Form der lyrischen Dichtung war, verwendete man das Wort ›Nänie‹ vorrangig als Synonym für »jedes ungereimte Lied von Ammen« bzw. für »einen weinerlichen, klagenden Gesang« (o.A. 1819: 707). Das bekannteste Beispiel dieser Gattung in der deutschen Dichtung ist sicherlich Schillers Nänie Auch das Schöne muss sterben (vgl. Schiller 1983: 326).

Der Ort, genauer gesagt, die detaillierte Darstellung einer fremden und exotischen Landschaft, ist ein weiteres Novum in Unzers Gedicht. Betrachtet man die letzte Ruhestätte Tsin-nas, dann fällt auf, dass bei ihrer Beschreibung mehrere Motive der chinesischen Landschaftsästhetik einander überblenden und überdecken:

Hier wo der hundertstimmige Schall 16)

Vom reissenden Wasserfall

Durch Felsenthäler sich windet;

Wo der knotichte Baum

Seine Zweig’ an die Cypreße bindet,

Hier, in diesem öden Raum,

Will ich, Tsin-na, deinem Angedenken

Trauerblumen und Gesänge schenken.

Unterirdischer Bach,

Tose dumpf in meine Klagen!

Seufze, Felsenhall, mir nach!

Locke mich, mein tiefes Leid zu sagen!

Sitzend unter einem Stamm,

Den der Rache Blitz zersplittert,

Nähr’ ich mich, von Zufall unerschüttert,

Nur mit meinem ewigen Gram. […]

Unglücksvolle Vögel singen

Mir den kühlen Sterbegesang;

Aus den weiten Hölen dringen

Schauernde Lüfte mit rauschendem Klang;

In sandigter Wüste verbreiten

Blumengräber sich;

Schmerz und Zärtlichkeit begleiten

Zwischen diese Gräber mich.

Mitten in der Wüsteney

Blüht ein Hayn von Talg- und Maulbeerbäumen; 17)

Mit Gesträuchen ließ ich ihn umzäunen,

Daß er meiner Tsin-na heilig sey […]

16) Diese ganze Stelle schildert die schreckenvollen Scenen, welche die Chineser des Contrasts wegen in ihren Gärten anbringen. Sie ist gröstentheils aus der Beschreibung des Herrn Chambers, eines Engländers genommen, der sich lange Zeit in China aufgehalten hat. S. die Abhandlung über die chinesischen Gärten.

17) Diese Bäume pflegt man in China gewöhnlich um die Gräber zu pflanzen. (Unzer 1772: 13-15; Hervorh. i.O.)

Zur Zeit der Abfassung seines Gedichts hatte sich Unzer ausgiebig mit der chinesischen Gartenkunst beschäftigt, die von William Chambers in verschiedenen Publikationen in Europa bekannt gemacht worden war.2 Im Frühjahr 1773 veröffentlichte er seine Abhandlung Über die chinesischen Gärten, in der er mit Bezug auf Chambers deutlich zu machen versuchte, dass deren Kunst von Grund auf darin bestehe, alles so zu gestalten, dass es wie ein Spiel der Natur erscheine; »das Große, das einfältig Erhabne, das Reizende und selbst das Wunderbare (aber ein solches, das in der Natur liegt)« werde auf eine »geschmackvolle Art« vereinigt, so dass »aus der angenehmsten Mannigfaltigkeit ein vollkommnes Ganzes« (Unzer 1773: 27) entstehe.

Vor allem der Verweis auf das Schaurige und Schreckliche (wie z.B. »Schauernde Lüfte mit rauschendem Klang«) betont und unterstreicht den Unterschied von Unzers Ausführungen zu den zeitgenössischen Vorstellungen der Gartenkunst (vgl. Hirschfeld 1773), was in der folgenden Passage aus der Abhandlung Über die chinesischen Gärten dann ganz unmittelbar zum Ausdruck kommt (vgl. Abb. 1 und 2):

In den Scenen, die zu Hervorbringung eines heftigern Affects, besonders des Schrekkens und der Furcht, bestimmt sind, erblikt man ungestüme Cataracten, finstre Hölen und hängende Felsen, die alle Augenblikke den Einsturz drohen. Die Bäume haben einen schrecklichen Anblik. Einige sind vorgestellt, als wenn sie vom Sturmwinde zerrissen wären. Andre liegen umgestürzt, und hemmen den reissenden Lauf der Ströme, die sie mit sich hinweggeführt zu haben scheinen. Noch andre sehen aus, als wenn der Donnerstral sie gerührt hätte. Die Bäche rauschen über große Felsenstücke daher, und zuweilen sieht man drey bis vier große Wasserfälle, die so dicht gegen einander über stehn, daß sie sich einer in den andern hineinstürzen. Welch ein ungewöhnlicher Anblik! (Unzer 1773: 42f.)

Abbildungen 1 und 2: Chinesische Landschaften (beide Erlach 1725: o.S.).

Doch trotz ihrer starken Affektwirkung bilden die Landschaftsbeschreibungen und die Staffage der chinesischen Gärten nur einen Teil der ästhetischen Darstellung im Gedicht. Von viel größerer Bedeutung ist dabei der einen deutsche Leser provozierende und geradezu überfordernde Effekt der fremden Klänge, mit denen Unzer seine Reime anreicherte und auffüllte, um so das exotische Landschaftsszenarium auf eine ganz spezifische Weise auch akustisch zu untermalen. Sichtbares und Hörbares gehen bei ihm Hand in Hand bei der Konstruktion einer fernen ästhetischen Welt: Während die dargestellten Gärten alle damals bekannten Elemente der anglo-chinoisen Gärten in sich versammeln, sorgen die Klangfärbung und die durch sie hervorgerufene Resonanz für die Schaffung einer dem Ganzen kongruenten chinesischen Atmosphäre, die gleichsam über dem Wasserfall, dem knorrigen Baum und den Felsentälern mit ihren halbbemoosten Hütten schwebt.

Bei der zeitgenössischen Kritik stieß Unzers Gedicht mit wenigen Ausnahmen3 allerdings auf allgemeinen Widerstand bzw. auf völliges Unverständnis. So vermerkte Johann Georg Jacobi dazu in Wielands Teutschem Merkur, dass es »eine der wunderbarsten Comischen Erscheinungen [sei], die man seit langer Zeit gesehen« (Jacobi 1773: 171) habe. Urteile wie dieses verraten aber nun ihrerseits wiederum manches über den damals vorherrschenden deutschen Geschmack und die Bestrebung, das übermäßig Fremde aus Sprache und Dichtung zu entfernen – getreu der Devise, wie sie im Göttinger Musenalmanach für das Jahr 1770 als »Warnung« ausgegeben wurde:

In unsre Sprache mischten wir Latein

Und Gallisch auch schon ehemals ein,

Und dachten nicht: jetzt denken wir; allein

Wird drum der neuen Mischung Schicksal anders seyn?

Die Sprache duldet’s nicht! Das fremde Wort

Muß wieder fort! (o.A. 1770: 84)

Als störend empfunden wurde vor allem die Fremdheit der einem so gänzlich anderen Kulturkreis entstammenden philosophischen Sentenzen, die in Unzers Gedicht in ungewöhnlicher Dichte auftreten. Besonders deutlich kommt diese ablehnende Haltung in einer Besprechung von Friedrich Karl von der Lühe im Magazin der deutschen Critik von 1773 zum Ausdruck, in der es heißt:

Es ist schade, daß ein junger Verfasser, der nicht ganz ohne Talente zu seyn scheint, sich der Welt durch eine Broschüre zeigt, in der ich wenig sonderliches sehe, und zu der, welches für ihn vielleicht ein Glück ist, sich auch wenig Leser finden werden. […] Das Stück, in dem wirklich einige gute Strophen sind, ist durch die Einmischung einer Menge chinesischer Nahmen, Sprichwörter, Bäume und Gottheiten so entstellt, daß es jedem vernünftigen Leser unmöglich seyn würde, alle diese Räthsel aufzulösen, wenn der Verfasser nach seiner weisen Vorsorge nicht die Güte gehabt hätte, eine Menge Noten und Erklärungen hinzuzufügen, die sich gegen den Text, wie 100 gegen 10 verhalten, und wobey mir des seel. Rabeners Noten ohne Text einfielen. (Lühe 1773: 291f.)

Der Rezensent übertreibt keineswegs, wenn er beklagt, dass die vielen Anmerkungen den »Faden der Empfindung« (ebd.: 293) unterbrechen würden und der Text dadurch auseinanderfalle. Vor allem das Zuviel an Fremdheit und das Übermaß der beigegebenen Fußnoten irritieren ihn ganz offensichtlich, was dann auch den Verweis auf Gottlieb Wilhelm Rabeners Satire Hinkmars von Repkow Noten ohne Text (vgl. Rabener 1745)4 erklärt, die dergleichen Praxis aufs Korn genommen und einen Text produziert hatte, der quasi nur noch aus Fußnoten besteht. Wenn Unzer seinerseits nun den umgekehrten Weg geht und möglichst viel Fremdes in seine Nänie selbst aufnimmt, dann geschieht dies ganz bewusst unter der Zielsetzung, die ferne Welt weitgehend unbekannter, exotisch klingender Fabelwesen und Gottheiten zu beschwören, die allein den Gelehrten aus du Haldes Description de la Chine et de la Tartarie chinoise (vgl. 1735) bekannt gewesen sein dürften, um diese Klanglandschaft durch ihre sprachlich-akustische Resonanz noch ferner und fremder erscheinen zu lassen.

Unzers auf diese Weise ästhetisiertes China zielt insofern auf den Eindruck, etwas ganz Neuartiges und bislang nicht Dagewesenes zu sein, als es sich hier nicht einfach um eine Chinoiserie handelt, »mit ihrem Chinesischen Schnickschnack auf Theebret[t]e[r]n und Toiletkästgen«, wie Goethe die Nänie in den Frankfurter gelehrten Anzeigen aburteilte (Goethe 1772: 728). Der Rückgriff auf Authentisches (die chinesischen Ausdrücke und die Philosophie des Taoismus), d.h. eben nicht auf den konventionsgewohnten dekorativen »Schickschnack«, suggeriert dem Leser, gemessen an dessen überkommenem oberflächlichen Verständnis, dass China ein in sich noch viel unzugänglicheres und ferneres Land sei, als es ihm aus den bisherigen literarischen Darstellungen von Haller (vgl. 1771) bzw. Wieland (vgl. 1772) oder aus der asiatischen Banise (vgl. Ziegler 1689) geläufig war. Diese in mehrfacher Beziehung sehr eigenwillig gestaltete Vorstellung von Ferne und Verschlossenheit mit Hilfe von exotischen Klängen wird man wohl als den eigentlichen Gegenstand von Unzers Gedicht ansehen dürfen, womit er zu zeigen versucht hat, wie unnahbar dieses ferne Land einem europäischen Dichter und Gelehrten in eigentlich jeder Beziehung war.

Unzers Nänie gehört einem Diskurs an, der sich unmittelbar im Gefolge der Description de la Chine von du Halde (vgl. 1735), der Berichte jesuitischer Missionare und der Entdeckungsreisenden jener Zeit konstituiert hat, genuin jedoch im Gegensatz zu den religionspolitischen bzw. volkskundlich-ethnologischen Betrachtungen auf eine Poetisierung der Fremde abzielt. In Gestalt einer chinesischen Nänie gewinnt dieser Diskurs durch Unzer dann erstmals in der deutschen Dichtung eine ganz spezifische Kontur. Charakteristisch für den weiteren Verlauf ist dabei der hier angestimmte elegische Ton, mit dem über sagenhafte Herrscher, mythische Himmelssöhne, exotische Landschaften und, wie im Folgenden an verschiedenen Beispielen gezeigt wird, über nordamerikanische Naturvölker und verlorene Inselparadiese gesprochen wird – was allerdings ironische Anklänge, verbunden mit einer grundsätzlichen Zivilisationskritik, keineswegs ausschließt.

Meyers Parodie auf Unzers Nänie

Die einzige uns aus der Zeit bekannte poetische Reaktion, die sich unmittelbar auf Unzers Elegie über den trauernden Vou-ti bezieht, ist eine Parodie, die den fremden Klang als Mittel der Komik einsetzt und Unzers progressive Idee vor allem mit sprachlichen Mitteln in nuce ad absurdum zu führen sucht. Sie stammt von Johann Heinrich Christian Meyer (1741-1783) und ist unter dem Titel Okoo, bey dem Grabe seiner Ölla. Eine Mississageische Nänie in der heute so gut wie völlig vergessenen Zeitschrift Die neue Deutschheit nuniger Zeitverstreichungen (vgl. 1776) erschienen:

Wenn an jeden Tierham (1) sie sich zeigt,

Loak, (2) wenn sie aus Cahyunghaw (3) steigt,

Sieht sie mich um dich zu Ischto (4) weinen,

Mich mit meiner Ölla wieder zu vereinen.

 

O! wie war ich Echingowana! (5)

Freudig tönte dann das Yo-he-wah (6)

Wenn in Ölla mir der Tierham lachte,

Wenn sie dann das Cadagcariax (7) mir brachte

 

Whoo-whoop-whoop (8) ach möchte der Gesang,

Der an Öllas Brust mir schrecklich klang

Jetzt ins Ohr des armen Echin (9) schallen,

Würd ich, könnt ich gleich nicht singen, doch ihn lallen.

 

Tirhemsaga! (10) kommt zu Esogee, (11)

Wenn ich eur Eloha (12) wieder seh,

Will ich nicht bey Öllas Grabe sitzen,

Nana Ischtohoollo (13) soll mich nicht beschützen.

 

Freudig geh ich, wenn Shi-lu-yo (14) klingt,

In den Streit, der mich zu Ölla bringt,

Der Pakahle, (15) alle Hirschen (16) heeo, (17)

Singen will ich, singen dort mit dir Me-shi-yo (18).

 

Jetzt da Schmerz aus Hagas (19) Augen scheint,

Pakahliske (20) und auch Eso (21) weint,

Will Okoo sich den Kummer kürzen,

Sich, zu dir zu eilen, in Cahyungha (22) stürzen.

 

(1) Tierham. Der Morgen.

(2) Loak. Die Sonne, wird auch sonst wohl gebraucht das höchste Wesen zu benennen.

(3) Cahyunghaw. Der Meerbusen.

(4) Ischto. Gott.

(5) Echingowana. Ein großer Mann.

(6) Yo-he-wa. Ein Triumphlied.

(7) Cadagcariax. Speise der Erwachsenen.

(8) Whoo-whoop-whoop. Kriegslied der Amerikaner.

(9) Echin. Der Mann.

(10) Tirhemsaga. Morgenländer; so benennen die Amerikaner alle Europäer.

(11) Esogee. Eine große Menge.

(12) Eloha. Donner und Blitz; auch Feuer Gewehr der Europäer.

(13) Nana Ischtohoolo. Schutzgeist, sie glauben, jeder Mensch habe einen besondern.

(14) Shi-lu-yo. Jubelgesang.

(15) Pakahle. Blume.

(16) Die verschiedene [sic] Stämme der Wilden unterscheiden sich durch die Nahmen verschiedner Thiere.

(17) heeo. schön.

(18) Me-shi-yo. Der Gottesdienstliche Gesang.

(19) Haga. Bewohner eines Landes.

(20) Pakahliske. Mutter der Pakahle.

(21) Eso. Eine Vielheit.

(22) Cahyungha. Ein Fluß. (Meyer 1776: 14-16)

Meyer verlegt seine Parodie unter die ›nordamerikanischen Wilden‹ an den Fluss Mississippi. Für einen Gutteil des in dem Gedicht verwendeten, offensichtlich authentischen Vokabulars lassen sich als Quelle die im Annual Register abgedruckten »Extracts of some Letters from Sir William Johnson, Bart. to Arthur Lee, M.D.F.R.S. on the Customs, Manners, and Language of the Northern Indians of America«, datiert mit dem 12. November 1772, nachweisen (o.A. 1803: 85-88). Von Meyers Biographie ist hingegen nur wenig bekannt. Er war zunächst Lieutenant in dem in Göttingen stehenden Chur-Hannoverischen Infanterie-Regiment Sachsen-Gotha (vgl. Meusel 1778: 322). Nachdem er in einem Duell verwundet worden war, begann er statistische Vorlesungen in Göttingen zu halten. Außerdem gab er eine kleine satirische Zeitschrift in 13 Heften (1776-77) heraus, eben jene neue Deutschheit nuniger Zeitverstreichungen, mit boshaften Bemerkungen über zeitgenössische Literaten wie z.B. Wieland und Goethe, Attacken gegen die Stürmer und Dränger sowie Persiflagen auf die Empfindsamkeit des Göttinger Hains. In diesem Sinne ist wohl auch die Parodie auf Unzers ›Vou-ti‹ zu verstehen, die durch verspottende Nachahmung die Komik auf die Spitze treibt. In nur sechs Vierzeilern werden dem Leser ebenso viele Anmerkungen aufgezwängt wie in Unzers Nänie – ganze zweiundzwanzig an der Zahl. Doch ungeachtet der unverkennbaren Lust Meyers an der Parodie lässt sich mit Blick auf die Literaturgeschichte dennoch sagen, dass sich mit Unzers Nänie ein, wenngleich zunächst nur marginaler, Zweig in der deutschsprachigen Dichtung etabliert hat, den man gut und gern als ›exotische Nänie‹ bezeichnen könnte und wozu, gleichgültig wie ironisch sie gemeint sein mag, auch Meyers Okoo, bey dem Grabe seiner Ölla gezählt werden muss.

Zachariäs Huldigung des verlorenen Südseeparadieses

Ein Jahr darauf veröffentlichte Friedrich Wilhelm Zachariä (1726-1777) ein lyrisches Klein-Epos mit dem Titel Tayti oder die glückliche Insel (1777, vgl. Abb. 3). Zachariä war damit der erste deutschsprachige Poet, der sich dem Thema Südsee und insbesondere der Insel Tahiti, über die im Kontext der von Wallis, Bougainville und Cook unternommenen Reisen in gelehrten Zeitschriften schon viel berichtet worden war,5 auch dichterisch widmete (vgl. Sangmeister 1998 u. 2018). Über die Entstehung des Textes heißt es ist im zweiseitigen Vorbericht, dass dieses kleine Gedicht »schon vor mehreren Jahren entworfen« worden sei, als »des Herrn von Bougainville Reise um die Welt, seine neue entdeckte Insel Tayti, und der Wilde Aoturu, welchen er von daher mitgebracht, nicht allein ganz Paris, sondern auch halb Europa neugierig und aufmerksam machte« (Zachariä 1777: Vorbericht, o.S.).

Obgleich Zachariäs Klein-Epos erst 1777 in den Druck ging, datiert der Entwurf für das Gedicht schon aus dem Jahr 1772, was es in unmittelbare Nähe zu Unzers chinesischer Nänie bringt, die Zachariä als Verlagsdirektor der Braunschweiger Waysenhausbuchhandlung, in der Unzers Gedicht erschienen war, mit Sicherheit gekannt hat.6 Als Direktor der Neuen Braunschweigischen Zeitung sorgte er dann auch dafür, dass Unzers Vou-ti mit einer kurzen Einführung und einer längeren Probe in diesem Blatt angezeigt wurde (vgl. o.A. 1772b).

Unzers Bruder Johann Christoph (1747-1809) wiederum, der von 1773 bis 1779 den Altonaer Neuen gelehrten Mercurius herausgab, lobt Zachariäs Gedicht als eine »recht artige Beschreibung der Insel« und verweist auf den »grosse[n] Hang des Verfassers, mit Hülfe der Reisebeschreibungen und Charten, auf seinem Zimmer, bequemer als Banks und Solander,7 die Welt zu umreisen«. Weiter heißt es, dass Zachariä »indessen Vieles angewandt, seinen Vorwurf [seine Vorlage; A.K.] durch Einbildungskraft zu verschönern, und uns ›das schönste Land, vom schönsten Volk bewohnt‹ dahingedichtet« (Unzer 1777: 284) habe.

Abbildung 3: Tahiti (Frontispiz aus Zachariä 1777).

Zachariäs Darstellung der Südseeinsel verdient mit Recht den Namen ›Idylle‹, denn er schildert Tahiti mittels assoziativ verknüpfter Eindrücke – ganz der Vorgabe durch Joseph Banks folgend8 – als ein ›wahres Arkadien‹. Wie bereits Christiane Küchler Williams (vgl. 2004: 172) und Anja Hall (vgl. 2008: 115) nachgewiesen haben, greift Zachariä mehrfach Bougainvilles Naturdarstellungen aus seiner Voyage autour du monde (vgl. Bougainville 1771) auf, verdichtet sie und überträgt sie in Blankverse:

Tayti! o des süßen Namens Schall

Drang mir ins Herz, als Bougainville dich

Den Erdkreis nannte! Er, mehr als Ulyß,

Der kühne Schiffer, der den Ocean

Der Süderwelt durchschnitt, und dich zuerst

Mit in das Band der Nationen schloß;

Noch wird er nach Jahrhunderten mit Dank

Den Inseln, die er ausgespäht, genannt.

Tayti! o wie schwebt noch oft dein Bild

Mir vor dem Auge! du, die treueste,

Gefälligste Gefährtinn auf der Bahn

Des Lebens; wie umschränkt! wie dornenvoll! (Zachariä 1777: 10)

Die exotische Insel wird von Zachariä geradezu emphatisch als Heilige personifiziert. Gleichzeitig lässt das Gedicht aber auch deutliche Anzeichen von Zivilisationsmüdigkeit erkennen, die das lyrische Ich der fernen Insel näherbringen:

O Muse, reiße mich aus dem Tumult

Der Laster dieser Europäerwelt,

Wo Krieg, und Hunger, und Verfolgungsgeist,

Sich unaufhörlich peitschen! Laß uns fliehn

Zu stillen Fluren in des Eilands Schooß,

Wo Liebe, Ruh, und Fried’ und Unschuld herrscht. (Ebd.: 10f.)

Im Vergleich zum imaginären Orientalismus (vgl. Said 1978) operiert der aufklärungskritische Pazifikdiskurs schon seit seiner Geburtsstunde mit umgekehrten Vorzeichen: Hier wird das südliche Inselreich positiv und der Okzident negativ dargestellt. In dieser Hinsicht wird Bougainville als »neuere[r] Columb[us]« nur aus dem Grund gefeiert, weil er die »halbverborgnen Inseln« (Zachariä 1777: 11) für die Europäer entdeckt und somit die lyrischen Wallfahrten zur Insel Eden überhaupt erst möglich gemacht hat.9 Doch ist der Entdecker gleichzeitig dafür verantwortlich, dass das Südseeparadies seine Unschuld verlor. Bougainville selbst hat in seiner Beschreibung mit der Verbindung von Gastlichkeit (l’hospitalité) und sexuellen Gefällig- bzw. Lustbarkeiten (de plaisirs) den Grundstein für eine Vorstellung gelegt, die bei Zachariä in der Gestalt der listenreichen antiken Liebesgöttin erscheint:

In dir, Arkadien! Zufrieden sah

Von Rosenwolken auf das Brudervolk

Die schlaue Venus wieder, und, gereizt

Von gleichen Sympathieen, küßte sich

Der Tauben Paar, das ihren Wagen zog. (Ebd.: 19)

Doch ist das heilige Arkadien von Beginn an in Gefahr: Die Beobachter und Bewunderer des Paradieses zerstören es durch ihre ungehemmte Gier. Schon Zachariä sieht das freudenvolle Inselparadies durch die Europäer bedroht, mit denen Betrug, Sklaverei und Mord auf der Insel Einzug halten:

Und dennoch konntest du, blutdürstige Brut

Der mördrischen Europa, nicht das Recht

Der heiligen Gastfreyheit, (dir unbekannt!)

Nur wenig Tag erfüllen! grausam fuhr

Dein Pulverdonner, und dein blanker Stahl,

Entehrt in niedriger Barbaren Faust,

Durch deiner neuen Freunde nackte Brust! (Ebd.: 21f.)

In einer Fußnote verweist Zachariä darauf, dass »[u]ngeachtet der grossen Gastfreyheit der Einwohner« dennoch drei von ihnen von den Engländern mit Bajonetten erstochen worden seien. Der Befehlshaber der Schiffe habe zwar vier der Soldaten, die für diese Tat verantwortlich waren, in Ketten legen lassen, was die Einwohner auch vorübergehend besänftigte, aber die tahitischen Frauen hätten auf dieses Geschehen mit den Worten »Tago-mode« reagiert, was so viel bedeute wie »[I]hr seyd unsre Freunde, und bringt uns um« (ebd.: 22; Hervorh. i.O.).

Am Schluss dieses elegischen Klein-Epos prophezeit das lyrische Ich dann das unausweichlich bevorstehende Ende des paradiesischen Lebens auf Tahiti:

[…] Tyranney

Wird dich beherrschen! Eine finstre Schaar

Von Vorurtheilen schwärmt dann über dir,

Und Priesterfurcht und Aberglaube wird

Die Freuden dir vergiften, so die Gunst

Des Schicksals über dich so reichlich goß! (Ebd.: 27)

Der Rezensent der Neuen Zeitungen von gelehrten Sachen würdigte besonders die Beschreibungen der Südseeinsel, die »mit poetischen Farben schön ausgemalt« (o.A. 1777: 515) sei. Eindrucksvoll geschildert seien vor allem »die natürliche Beschaffenheit des Landes, die Gestalt, der Charakter der Einwohner, und einige Scenen, die während des kurzen Aufenthalts des Schiffes zwischen den Nackten und den Europäern vorgefallen« (ebd.: 515f.), eine Beurteilung, die nur vor dem Hintergrund der in verschiedenen gelehrten Zeitschriften abgedruckten bzw. in Übersetzung erschienenen Reisebeschreibungen Bougainvilles möglich war, die durch das Vorwort Diderots eine zivilisationskritische Wende erhielten. »Es gehört mit zu dem Modeton des Jahrhunderts«, schreibt der Leipziger Rezensent mit Blick auf Zachariäs Epilog, »daß man von Europa Uebels redet und schreibt, zu gleicher Zeit aber bey seinen Weinen und auf seinen Stahlfedern sichs hundertmal besser gefallen läßt, als bey den Perlenquellen, und auf dem Schilf der glücklichen Inseln.« (Ebd.: 516)

Festzuhalten bleibt, dass Zachariäs Gedicht keine unreflektierte Idealisierung der Südsee ist, auch wenn er weitgehend die kollektiven Identitätszuschreibungen aus Bougainvilles Vorlage übernimmt (vgl. Hall 2008: 120), denn es sind unübersehbare Zeichen einer auf Europa abzielenden Zivilisationskritik erkennbar, wie man sie in Knebels Gedicht Otaheiti (vgl. Knebel 1789) nicht finden kann und erst recht nicht in den romantisierenden Fluchtutopien einiger dem Pietismus nahestehender Dichter, unter ihnen Christian Adolf Overbeck (1755-1821), Johann Heinrich Voß (1751-1826) und Heinrich Wilhelm Gerstenberg (1737-1823), die sich die Insel Tahiti als einen Garten Eden erträumten, in dem sie als eine Gemeinschaft deutscher Künstleremigranten leben würden. Am 17. November 1777 schreibt Overbeck an Voß:

Horchen Sie, Voss! – Gerstenberg und ich, wir sind uns einig geworden, unsere besten Freunde allesamt aufzubieten, mit uns die falsche Europäische Welt zu verlassen, und den glücklichen Gefilden eines zweyten Paradieses entgegenzueilen. Sie werden von Otaheiten gehört haben: hier ist das zweyte Paradies, hier ist Eden, der Lustgarten Gottes, wo man des Schöpfers Güte aus ungetrübter Quelle trinkt, und wo man wiederfindet sein Bild in dem Menschen, dieses Bild, welches Adam zwar verlieren, aber nicht für ein ganzes Geschlecht verlieren konnte. Haben Sie Muth, Freund, so theilen Sie mit uns diesen edlen Entschluss, der verderbten Brut Europens den Rücken zu kehren, und ein Land unser besseres Vaterland zu nennen, wo ein glücklicheres Leben uns erwartet, als sich selbst die Patriarchen der Vorwelt rühmen konnten. Wir werden zu einem Volke kommen, welches sehr reine Begriffe einer natürlichen Religion besitzt: lassen Sie uns ihnen unsere erhabnern Kenntnisse mittheilen! (Herbst 1872: 199f.; Hervorh. i.O.)

Weit realitätsnäher nehmen sich dagegen die lyrischen Sentenzen von Christian Friedrich Daniel Schubart (1739-1791) und Abraham Gotthelf Kästner (1719-1800) aus. Kurz bevor Zachariäs Tayti in Braunschweig erschien, ließ Schubart ans Ende des 101. Stücks des dritten Jahrgangs der von ihm herausgegebenen Teutschen Chronik ein kleines Gedicht einrücken, das unter dem Titel Der Tauschhandel in einem prägnanten Dialog die Begegnung zwischen einem europäischen Entdeckungsreisenden und einem tahitischen Inselbewohner schildert:

Der Otahite.

Komm her, du fremder kleiner Mann,

Nimm allen unsern Reichthum an,

Hier Goldsand, Perlen aus der Flut,

Baumleinwand, Purpurschneckenblut!

Und unsre schönen Weiber hier,

Geschickt’ dir liebzukosen.

Doch halt! – was gibst du uns dafür?

Der Europäer.

Kultur! –

Der Otahite.

Was ist das für ein Thier?

Der Europäer.

’s sind Pocken und F – – (Schubart 1776: 800; Hervorh. i.O.)10

Den Grund für die daraus resultierende demographische Katastrophe benennt bereits Kästner in einem Epigramm, in dem er auf die Hintergründe der Entdeckung des fünften Weltteiles anspielt:

An einen Gott, der Menschen liebt, zu glauben,

So glücklich war der vierte Welttheil nicht,

Der erste gab ihm Unterricht,

Und das durch Morden und durch Rauben,

Und holte daher der Wollust gift’gen Lohn,

Den hat vom ersten nun der fünfte Welttheil schon. (Kästner 1776; 1781: 117)

Diesem zynischen Fazit fügt Kästner dann folgenden Vierzeiler hinzu:

Noch scheint für Nutzen, Lust und Tand,

der fünfte Welttheil nichts zu zeigen;

Es wären denn, Europen unbekannt,

Cytherens Insel nur, gefäll’gen Mädchen eigen. (Kästner 1781: 118)11

Nachgesänge auf die verlorene Unschuld

Eine weitere Fortsetzung finden die ›exotischen Nänien‹ dann im Gedicht Das otaheitische Mädchen am Grabe ihres Geliebten (1794) von Friedrich Ludewig Bouterwek (1766-1828), der nach seiner Ausbildung am Collegium Carolinum zu Braunschweig zunächst an der Universität Göttingen bei so renommierten Professoren wie Christian Gottlob Heyne und Johann Georg Heinrich Feder Jura und Philologie studierte und nach vielen Umwegen schließlich eine ordentliche Professur in Göttingen erhielt. Unter dem Pseudonym Ferdinand Adrianow veröffentlichte er erste Gedichte im Göttinger Musenalmanach, denen weitere musische Ergüsse mythologisch-philosophischen Inhalts in verstreuten periodischen Schriften folgten, dazu Oden und Elegien, unter denen sich auch die Nänie Das otaheitische Mädchen befindet:

Hier am rauhen Steine will ich ruhen,

Wo der Wind das Grabgemäuer streift,

Wo die Toa *) ihre schwarze Schatten

Ueber mich und meine Liebe dehnt.

 

Alles, Busch und Mauer, Stein und Blume,

Alles schauert, düstert, starrt mich an.

Alles ist zu Tod und Nacht geworden,

Wo mein Herz um meinen Lieben weint.

*) Toa – ein Baum, der der Eiche gleicht und auf den tropischen Inseln des Südmeers an die Grabmäler gepflanzt wird. (Bouterwek 1794: 17)

Das otaheitische Mädchen wird in dem Gedicht mit einem subjektiv feinfühlenden Sensorium ausgestattet, das typisch ist für die Lyrik der Empfindsamkeit:

In das tiefe Dunkel meiner Schmerzen

Blickt des Mondes mildes Auge nicht.

Alle schlafen sie in unsrer Hütte,

Wie sie schliefen, als ich glücklich war. […]

 

Mein Tahea! Mein Tahea! Höre!

Ach! Er hört, er sieht und hört mich nicht.

Ueberschüttet mit der feuchten Erde

Liegt Tahea blutig, starr und kalt.

 

Dort am Bache durch die Palmenreihen

Fliegt er nun nie wieder auf mich zu

Von dem blauen Wellenspiel des Meeres,

Blickt er nie in’s Auge mir zurück. (Ebd.: 18)12

Der Leser erfährt, dass der Geliebte in einer Schlacht gegen nicht näher bezeichnete Feinde zu Tode gekommen sei, womit, obgleich im Text explizit lediglich von »Feindesinseln« (ebd.: 19) die Rede ist, genauso gut die gewalttätigen Europäer gemeint sein könnten, was sich insofern nicht von der Hand weisen lässt, sobald man die Nänie in Bezug zu Bouterweks einige Jahre zuvor erschienenem Gedicht Der Genius von Otaheiti (vgl. 1791) setzt.

Bouterwek übernimmt für dieses Gedicht von Zachariä das Motiv eines »Genius Taytis«, der mit seinem Zauberstab die Insel zu deren Schutz in einen Wolkenschleier hüllt (vgl. Zachariä 1777: 15). Hier aber wird der Genius zur zentralen Gestalt, der es noch einmal gelingt, sozusagen in letzter Sekunde das Paradies vor den Europäern und deren »Unnatur« zu retten. Auch bei Bouterwek erscheint die Insel zunächst als ein »Arkadien der Wirklichkeit«:

Wie oft hat schon dein Bild, mein Herz, novembertrübe

Vom Lebensweh, zur Lebenslust erneut!

Wie oft trug mich auf Cooks, des Menschenfinders, Wegen

Die Phantasie zu dir, du Eiland, reich an Segen

Der Unschuld, der in Gottes Welt

Die Weisheit nicht die Wage hält! – (Bouterwek 1791: 44)

Doch am Horizont tauchen bereits die europäischen Eroberer auf und bedrohen mit ihren Kanonen das Inselparadies:

Und sieh! ein schnelles Europäerschiff

Kam rüstig auf den lang gefurchten Wogen

Mit hohlgespannten Segeln hergeflogen

Und bog schon um Korallenriff.

Zur herzerfreulichen Verkündigung

Weht’ in der Flagge: Aufklärung.

Ein lautes Hussah sauste durch die Lüfte.

Da donnerte der Geist;

Und hui! wie eine Axt den Span zerspleißt,

Schlug das Gefäß schon sinkend an die Klüfte. (Ebd.: 45)

Der Beschuss durch die Schiffsartillerie wird abgewehrt. Der Genius von Otaheiti rettet die Insel, indem er das Schiff der Invasoren an einem Riff zerschellen lässt. Das Korallenriff ist hier aber nicht nur die geheime Waffe des tahitischen Schutzgeistes und steht symbolisch für seine magische Präsenz; es ist darüber hinaus Teil einer imaginären Geographie, in der sich die diskursive Konstruktion des Pazifiks mit dem Diskurs der Tropen überschneidet.

Nachdem sich dann der Himmel wieder aufgeklärt hat, spricht der Genius:

»Ich ward vom Urregierer aller Wesen

Zum Hüter dieses Inselreichs erlesen.

Mit ungefühlter, väterlicher Hand

Hielt ich die Unnatur weit ab von meinen Kindern.

Dieß war’s allein, was ich zu thun verstand. […].« (Ebd.: 46)

Bouterweks Zivilisationskritik am verderbten, geldgierigen und korrupten westlichen Kulturmenschen findet ihren Kulminationspunkt im Ausdruck »Unnatur«. Der Genius Otaheitis sieht und erkennt seine Aufgabe in erster Linie darin, das europäische Flaggschiff, das Aufklärung heißt, nicht nur aufzuhalten, sondern vielmehr zu versenken, um die Insulaner vor der westlichen als »Unnatur« empfundenen Lebensweise zu schützen und zu bewahren und ihre »Unschuld«, so lange es gehen mag, zu retten.

Abbildung 4: Idylle auf Tahiti (Frontispiz aus Hemken 1808).

Bouterweks Gedicht Das otaheitische Mädchen wiederum ist insofern originell, als es das erste bekannte Südseegedicht ist, das aus der Sicht einer Inselbewohnerin spricht und damit den Otaheitischen Gemälden von Melchior Hemken von 1803 vorausgeht, der in sechzehn Idyllen ein Bild voller Unschuld und Glückseligkeit eines otaheitischen Liebespaares aus dessen eigenem Erleben zu zeichnen versuchte.13 Die Allgemeine Literatur-Zeitung beurteilte die 1808 erschienene Neuauflage dieser Idyllen unter dem Titel Marhanna und Aurea oder Die Liebe auf Otaheiti (Abb. 4) zunächst anerkennend, da dem Verfasser »ein gewisses Talent der poetischen Darstellung« und »eine fruchtbare Phantasie nicht abzusprechen« (o.A. 1809: 527) seien, zumal man »einig[e] kühn[e] Gedankenfl[ü]g[e]« (ebd.: 528) erkennen könne, während der Rezensent das Buch als Ganzes für wenig überzeugend hält.

In eine ähnliche Richtung wie Bouterweks Das otaheitische Mädchen führt das 1804 veröffentlichte Gedicht An Otaheiti von Christian Jakob Salice-Contessa (1767-1825), das der Verfasser zwar nicht ausdrücklich als Nänie bezeichnet, das aber gleichwohl als ein elegischer Nachgesang auf das Südseeparadies Tahiti, das seine Unschuld inzwischen längst verloren hatte, verstanden werden kann. Salice-Contessa stammte aus einer reichen schlesischen Kaufmannsfamilie italienischer Abkunft, war dann selbst Kaufmann und nebenberuflich auch Schriftsteller; sein jüngerer Bruder ist der durch die Freundschaft mit E.T.A. Hoffmann und Adelbert von Chamisso bekannte Karl Wilhelm Salice-Contessa (1777-1825), den er zeitlebens finanziell unterstützte. Sein Klagelied beginnt mit folgenden Versen:

O holdes Land, das früh dem regen Knaben

Im Zauberlicht der Phantasie erschien;

Wo die Natur die Fülle ihrer Gaben

Der leichten Arbeit Spielen schon verlieh’n;

Dem, unsrer Hemisphäre längst entflogen,

Als Zufluchtsorte Venus zugezogen:

Ich grüße Dich mit traurendem Gemüth, –

Ach, Deine goldne Aera hat geblüht! (Salice-Contessa 1826: 105; Hervorh. i.O.)

Salice-Contessa greift die ihm bekannten Gedichte über Tahiti auf (selbst die Liebesgöttin und die durch die Matrosen verbreiteten Geschlechtskrankheiten werden nicht ausgelassen) und zieht ein Resümee der jüngsten verhängnisvollen Inselgeschichte:

Als einst der erste Segler Dich erkannte,

Da wandte sich Dein guter Genius;

Dem Mörder, den Dein dunkles Schicksal sandte,

Gabst Du vertrauungsvoll den Bruderkuß;

Von Deiner Töchter frischem Reiz entbrannte

Sein scharfes Blut im lechzenden Genuß:

Zum Dank für der Genesung milde Lüfte

Trübt’ er den Freuden Quell mit Höllengifte.

 

Er zeigte Dir des Eisens scharfe Schneide,

Und seiner Feuerschlünde wilde Macht;

Die Zwietracht wühlt in seinem Eingeweide

Aufs Neu’, mit neuem Zauber angefacht,

Indeß in seines Herzens Schadenfreude

Der Fremdling nur für seinen Vortheil wacht.

Ach, eh’ ein Menschenalter noch verflogen,

Bist Du um Deiner Einfalt Glück betrogen! (Ebd.)

Die Europäer, heißt es im Gedicht weiter, hätten sich die Insel zum »Pachthof in den Wogen« (ebd.: 106) auserkoren, um von dort aus, getrieben von Profitsucht, über den Pazifischen Ozean zu streifen. Das Gedicht wird diesbezüglich zwar nicht konkret, aber Großkaufleuten wie Salice-Contessa wird sicherlich nicht entgangen sein, dass und wie etwa seit 1800 die Walfänger Tahiti als Anlaufstation für ihre Fangreisen im Pazifischen Ozean nutzten, wobei auch die Missionare von der Kritik nicht ausgenommen werden:

Die Heuchler-Rotte bringt aus ihrem Norden

Daher Dir ihren kalten, finstern Gott;

Zu feig’, in seinem Namen kühn zu morden,

Treibt dennoch mit dem Heiligsten sie Spott.

Das große Wort: Civilisation,

In ihrem Munde spricht der Menschheit Hohn.

So kann der Heilungssaft von milden Kräutern

Zum stärksten Gift in Schlangendrüsen eitern.

 

Ein Pfaffe zwängt den freiesten Gefühlen

Das fremde Joch auf der Religion;

Gerechtigkeit heißt dann: mit Eiden spielen,

Und falsche Tugend wird der Selbstsucht Thron;

Das heiße Streben muß in Eis verkühlen,

Und jeder Hochsinn ist dann schnell entflohn;

Das nennt der Europäer seine Sitte,

Und führt sie stolz in ferner Völker Mitte. (Ebd.)

Im Verlauf des Gedichts werden dann sämtliche Übel aufgelistet, welche die europäische Zivilisation über die Insel brachte und mit denen sie den Bewohnern die ihnen von der Natur gegebene Freiheit raubte:

Die Freiheit sinkt in selbstgeschmied’te Ketten;

Nichts kann der Menschheit wilde Unschuld retten,

Und Alles wird des Eigennutzes Beute. (Ebd.: 107)

Am Ende des Gedichts steht die Erkenntnis, dass dieses Arkadien in der Südsee endgültig der Vergangenheit angehöre, ein Umstand, der sich auch am rapiden Rückgang der genuin tahitianischen Bevölkerung ablesen lässt, was für die Insulaner einer Katastrophe gleichkam:14

O möge spät Dein Schicksal sich vollenden,

Das unaufhaltsam Dir kein Gott erspart!

Der Gährungsstoff, der Dir nun einmal ward,

Zehrt fort, bis an der Schöpfung letzten Enden,

Sich alles Dunkel wird zum Lichte wenden,

Und sich das Räthsel löst der Menschenart.

Ich singe Dir im tiefsten Klageton:

Ach, Deine goldne Aera ist entflohn! (Salice-Contessa 1826: 107)

Über die Auswirkungen der europäischen Einflussnahme auf die noch wenige Jahrzehnte zuvor als Paradies empfundene Inselwelt wurden die deutschen Leser in der Folgezeit u.a. durch Briefe und Berichte der auf Tahiti weilenden Missionare informiert: »Die Insel Otahaiti ist jetzt so verschieden von dem, was sie zu den Zeiten des Kapitäns Cook im Jahr 1767 war, daß es fast unmöglich ist, sich davon einen Begriff zu machen«, heißt es in einem Brief, datiert auf den 15. Mai 1823, der in der Ausgburgischen Ordinari Postzeitung vom 8. April 1824 veröffentlicht wurde:

Die Missionäre haben die Sitten und Gebräuche der Einwohner völlig verändert. Die Abgötterey ist gänzlich abgeschafft, das Christenthum allgemein angenommen, und die Frauen sind jetzt außerordentlich sittlich. Sie verfügen sich nicht mehr an Bord der Schiffe, und die Schiffsleute können mit ihnen durchaus keine Verbindungen und Liebschaften anknüpfen; die Ehen werden nach europäischen Sitten geschlossen. Der König selbst darf jetzt nur eine einzige Frau heirathen. Von mehreren barbarischen Gebräuchen, wie die Ermordung kaum geborner Kinder, die Menschenopfer etc., ist jede Spur verschwunden. Die Einwohner können fast alle lesen und schreiben; sie sind mit Religionsbüchern, die in der Landessprache geschrieben und auf der Insel gedruckt worden sind, reichlich versehen. Sechs und sechszig herrliche Kirchen sind erbaut worden, und zweymal in der Woche begiebt sich das Volk dahin, um den Prediger anzuhören; man sieht oft dabey Individuen mit einem Blatt Papier und einem Bleystift in der Hand, welche die vorzüglichsten Stellen der Predigt aufzeichnen. Die Missionäre berufen alljährlich zu Paparo die ganze Bevölkerung, welche sich auf 7000 Seelen erhebt, zusammen. (O.A. 1824)

Die ›Erfolgsmeldung‹ der christlichen Missionare verschweigt allerdings den Preis, den die Inselbevölkerung für die ihnen aufoktroyierte Glückseligkeit zahlen musste. Für die Dichter hingegen hatte Tahiti bereits jeglichen Reiz verloren: Was von den einst glückseligen Inseln in der Südsee blieb, war für sie schließlich nichts mehr als eine blasse Erinnerung.

Eine »allgemeine Ernüchterung über Polynesien« (Küchler Williams 2004: 201) war bereits gegen Ende der achtziger Jahre des 18. Jahrhunderts zu verspüren, als sich die kritischen Beiträge über die Südseeinseln zu mehren begannen, so z.B. in Aloys Blumauers 1787 erschienenem Gedicht O-Tahiti. An Georg Forster, das die Paradiesbilder der Südseemode relativiert und in dem statt des elegischen Tons ein grundsätzlicher Zweifel daran zu vernehmen ist, ob solch eine glückliche Naturgesellschaft jemals wirklich existiert haben mag.

Die ›exotische Nänie‹, so ließe sich als Fazit konstatieren, ist ein Novum in der deutschsprachigen Dichtung der zweiten Hälfte des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Inspiriert durch die Berichte jesuitischer Missionare und durch die großen Entdeckungsfahrten der Zeit, begleitet von den Reiseberichten Bougainvilles (vgl. 1771) sowie Johann Reinholds und Georg Forsters (vgl. 1777),15 entfaltete sich ein poetischer Diskurs, der sich durch einen ihm eigenen Umgang mit dem Fremd-Exotischen auszeichnet und mittels konventioneller Versatzstücke, die u.a. gelehrten Zeitschriften und ethnographischen Darstellungen entnommen wurden, unter gezieltem Einsatz exotischer Klänge ein heterotopes Arkadien konstruiert. Unzers Gedicht Vou-ti, das hier am Anfang steht, hat nichts mehr mit der im Rokoko weit verbreiteten Mode der Chinoiserie zu tun, ebenso wenig, wie es eine substantielle Auseinandersetzung mit der chinesischen Kultur und Philosophie sein will. Stattdessen schafft Unzer mit seinem zunächst explizit als Nänie deklarierten und kurz darauf in »Elegie« umbenannten Gedicht das Muster für eine sich in der Folgezeit dann relativ rasch etablierende, neue poetische Form. Bezeichnend ist dabei, dass alle hier betrachteten Gedichte auf Prosavorlagen basieren, entweder auf der Description de la Chine von du Halde oder auf der Voyage autour du monde von Bougainville, die unter dem Blickwinkel der ›exotischen Nänie‹ in Verse gebracht wurden, und dass die zur Authentisierung eingestreuten exotischen Ausdrücke gewissermaßen als auf den Ort und seine Gegebenheiten bezogene Signalwörter fungieren. Am Beispiel der Insel Tahiti konnte dann konkret gezeigt werden, wie die Poetisierung der bislang unberührten Ferne zugleich auch die Erkenntnis mit sich brachte, dass mit den Südseereisen vor allem der Engländer und Franzosen, den rasch einsetzenden Handelsbeziehungen, der sich immer mehr ausbreitenden Prostitution und der schließlichen Kolonialisierung dieses gerade erst ›entdeckte‹ Arkadien bereits im Augenblick seiner Inbesitznahme durch die Europäer unwiderruflich verloren ging und folglich nur noch als verlorenes Paradies poetisch dargestellt werden konnte, was zugleich den durchgehend elegischen Ton dieser Gedichte erklärt.

Anmerkungen

1 | So erschien im Göttinger Musenalmanach für 1771 Gotters Übersetzung von Thomas Grays Elegy Written in a Country Churchyard unter dem Titel Elegie auf einem Dorfkirchhofe geschrieben. Nach dem Gray (vgl. Gray 1771). Literaturgeschichtlich bedeutsam waren insbesondere Edward Youngs Klagen oder Nachtgedanken über Leben, Tod und Unsterblichkeit in neun Nächten (vgl. Young 1751-1753), die als Fortsetzungsstücke geschrieben wurden und im englischen Original von 1742 bis 1745 erschienen.

2 | Chambers wusste durchaus, worüber er schrieb, da er selbst China bereist hatte, wo er sich das nötige Wissen über Gartenkunst und Architektur dieses Landes aneignete. In Hinblick auf die Gartenästhetik unterscheidet er drei Wirkungen: the »pleasing, horrid, and enchanting« (Chambers 1757: 230). Unzer übersetzt sie als »sanfte Schwermut«, »Schrecken und Furcht« sowie »Erstaunen und täuschende Bewunderung« (Unzer 1773: 35f.). Seine Abhandlung steht in krassem Gegensatz zu Hirschfelds Theorie der Gartenkunst, der die Existenz der von Chambers beschriebenen chinesischen Gärten leugnete und ad absurdum zu führen versuchte (vgl. Hirschfeld 1779: 94-101).

3 | Vgl. die Besprechungen in den Leipziger Neue[n] Zeitungen von gelehrten Sachen auf das Jahr 1772 (o.A. 1772b) und in der Neuen Braunschweigischen Zeitung (o.A. 1772a).

4 | Im Titel dieser Schrift sind zwei Namen verschmolzen: Hinkmar von Reims (um 810-882), Erzbischof und Historiograph, und Eike von Repgow (auch Repkow, um 1180-1233), dessen Name eng mit dem Sachsenspiegel verbunden ist, der in dieser Zeit als Rechtsbuch wiederentdeckt wurde.

5 | Vgl. o.A. 1773, 1774 sowie Penzel 1773, 1774 und Dohm 1776.

6 | Zur persönlichen Beziehung zwischen Zachariä und Unzer vgl. Klawitter 2018.

7 | Joseph Banks (1743-1820) und Daniel Solander (1733-1782) waren Botaniker, die James Cook auf seiner ersten Weltumsegelung (1768-1771) begleitet hatten.

8 | Banks beschreibt Tahiti in seinem Tagebuch als »an arcadia of which we were going to be kings« (Banks 1963: 252).

9 | Tatsächlich betrat der Engländer Samuel Wallis als erster Europäer am 21. Juni 1767 die Insel, also noch vor Bougainville, der am 6. April 1768 dort landete. James Cook ankerte sein Schiff Endeavour am 13. April 1769 vor der Insel, um u.a. den Durchgang des Planeten Venus vor der Sonne zu beobachten und zu dokumentieren.

10 | Mit »F« sind die ›Franzosen‹ gemeint, der damalige polemisch-euphemistische Terminus für venerische Krankheiten, vor allem Syphilis.

11 | Cytherea (lat.) ist der Beiname der griechischen Liebesgöttin, benannt nach der Insel Kythera.

12 | Entsprechend dem Blatt »Verbesserungen« am Schluss des zweiten Bandes wurde der Name »Tahna«, wie er im laufenden Text durchgehend fälschlich heißt, in den von mir zitierten Stellen in »Tahea« geändert.

13 | Zu den Versuchen, dem Anderen eine Stimme zu geben, vgl. Guha / Spivak (1988), Spivak (2008) und Morris (2010).

14 | Zählte die Insel vor ihrer ›Entdeckung‹ durch die Europäer etwa 35.000 Einwohner, so waren es nach Schätzung der dort tätigen Missionare im Jahre 1803 nur noch zwischen 6000 und 7000 (vgl. Solomon-Godeau 2002: 148); vgl. auch die Angabe der Einwohnerzahl in der Kurpfalzbaierischen Münchner Staats-Zeitung: o.A. 1804: 841.

15 | Vgl. zu Georg Forster insbes. Peitsch (2017).

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Ders. (2018): Vier Groschen für ein Paradies. Zachariaes Verse über Tayiti und die Folgen. In: Cord-Friedrich Berghahn / Gerd Biegel / Till Kinzel (Hg.): Justus Friedrich Wilhelm Zachariä (1726-1777). Studien zu Leben und Werk. Heidelberg, S. 185-212.

Schiller, Friedrich (1983): Schillers Werke. Nationalausgabe Bd. 2 / I: Gedichte in der Reihenfolge ihres Erscheinens 1799-1805, der geplanten Ausgabe letzter Hand (Prachtausgabe). Aus d. Nachlaß hg. v. Norbert Oellers. Weimar.

Schubart, Christian Friedrich Daniel (1776): Der Tauschhandel. In: Ders. (Hg.): Teutsche Chronik auf das Jahr 1776. Augsburg, S. 800.

Solomon-Godeau, Abigail (2002): Going Native. In: Kymerly N. Pinder (Hg.): Race-ing Art History. Critical Readings in Race and Art History. New York, S. 139-154.

Spivak, Gayatri Chakravorty (2008): Can the Subaltern Speak? Postkolonialität und subalterne Artikulation. Aus dem Engl. v. Alexander Joskowicz u. Stefan Nowotny Wien.

Unzer, Ludwig August (1772): Vou-ti bey Tsin-nas Grabe. Eine chinesische Nänie. [Braunschweig]. [Wiederabdr. 1773: In: Heinrich Christian Boie (Hg.): Poetische Blumenlese auf das Jahr 1773 (zugleich: Göttinger Musenalmanach), S. 57-66.]

Ders. (1773): Über die chinesischen Gärten. Eine Abhandlung. Lemgo.

Ders. (1777): [Rezension zu] Tayti, oder die glückliche Insel. In: Ders. (Hg.): Neuer gelehrter Mercurius. 7 Bde. 1773-1779. Bd. 5. Altona, S. 284.

Wieland, Christoph Martin (1772): Der goldne Spiegel, oder die Könige von Scheschian. 4 Bde. Leipzig.

Young, Edward (1751-1753): Klagen oder Nachtgedanken über Leben, Tod und Unsterblichkeit in neun Nächten. Übers. v. Johann Arnold Ebert. Braunschweig.

Zachariä, Friedrich Wilhelm (1777): Tayti oder die glückliche Insel. Braunschweig.

Ziegler und Kliphausen, Heinrich Anselm von (1689): Die asiatische Banise Oder, Das blutig- doch mutige Pegu. Leipzig.