GiG im Gespräch 2019 / 1

Gesine Lenore Schiewer

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

liebe Mitglieder der Gesellschaft für interkulturelle Germanistik,

sehr geehrte Leserinnen und Leser der Zeitschrift für interkulturelle Germanistik,

im Fokus dieser Ausgabe von »GiG im Gespräch« soll nochmals das Feld der Translationsforschung stehen. Gewissermaßen als Einstimmung zur GiG-Tagung 2019, die am Fachbereich Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft in Germersheim (Universität Mainz) stattfinden wird, möchte ich heute besonders auf die Historische Übersetzerforschung aufmerksam machen.

In diesen Monaten ist der dritte Band Das WIE des Übersetzens. Beiträge zur historischen Übersetzerforschung in der Reihe TransÜD. Arbeiten zur Theorie und Praxis des Übersetzens und Dolmetschens im Verlag Frank & Timme erschienen (vgl. Tashinskiy / Boguna 2019). Herausgegeben wurde er von Aleksey Taschinskiy und Julija Boguna, die beide am Fachbereich in Germersheim tätig und außerdem an der Organisation der GiG-Tagung 2019 maßgeblich beteiligt sind.

Was macht nun die Historische Übersetzerforschung auch für die GiG und die interkulturelle Germanistik so interessant?

Übersetzerinnen und Übersetzer sind regelmäßig mit translatorischen Entscheidungen konfrontiert, die das Wie des Übersetzens betreffen. Dabei werden solche Entscheidungen in der Regel natürlich nicht willkürlich gefällt, sondern folgen vielmehr Kriterien, die wiederum ihrerseits historisch kontextualisiert sind: Die betreffenden Merkmale können beispielsweise durch zeitgenössische Diskurse der Übersetzungskritik beeinflusst werden oder durch historisch beeinflusste Auffassungen von Originalität oder etwa auch davon, was jeweils unter einer ›treuen‹ oder ›untreuen‹ Übertragung verstanden wird. Die wissenschaftliche Untersuchung von übersetzerischen Wie-Entscheidungen muss solche Kontexte der jeweiligen Kriterien überhaupt erst erforschen, um sie angemessen berücksichtigen zu können. Sofern das Deutsche als Quell- oder Zielsprache von Übersetzungen involviert ist, schließt die Untersuchung solcher Charakteristika und ihrer historischen Kontexte die Forschungsgegenstände der interkulturellen Germanistik ein.

Und es kommt sogar noch mehr hinzu. Die besondere Fokussierung von Übersetzerinnen und Übersetzern selbst bringt weiterhin die Auseinandersetzung mit ihren Biographien mit sich, und das heißt mit ihren eigenen Bildungs-, Lese- und Translationserfahrungen ebenso wie ihren jeweiligen ökonomischen, gegebenenfalls rechtlichen und weiteren Arbeitsbedingungen. Sofern sie deutschsprachig sind – sei es mit Deutsch als Mutter-, Erst-, Zweit- oder Fremdsprache –, eventuell auch selbst literarisch aktiv oder unter Umständen, wie Rosa Luxemburg, als literarische Übersetzerin, kann sich auch hier die interkulturelle Germanistik einbringen (vgl. Kelletat 2019).

Allerdings wurden Übersetzungen in der Germanistik lange Zeit gar nicht als Fakten der deutschen Kultur und Literatur akzeptiert (vgl. ebd.: 215). Damit gehörten sie – in dieser Logik folgerichtig – überhaupt nicht zu den Untersuchungsgegenständen der Germanistik. Es dürfte aber außer Frage stehen, dass dies so für die interkulturelle Germanistik nicht gelten kann, die gerade an den Schnittstellen unterschiedlicher Sprachen und Kulturen interessiert ist und deren Fachvertreterinnen und -vertreter aufgrund ihrer Mehrsprachigkeit zudem oft auch sowohl das Original als auch die Übertragung in ihrer Forschungstätigkeit berücksichtigen können.

An dieser Stelle sei deswegen nochmals auf das »Germersheimer Übersetzerlexikon« UeLEX verwiesen, dass sich in stetigem Auf- und Ausbau befindet (http://www.uelex.de); ich erwähnte es bereits einmal in einer der Ausgaben von »GiG im Gespräch«. Im Kontext der Arbeit am UeLEX entstanden auch die beiden früheren Bände Übersetzerforschung. Neue Beiträge zur Literatur- und Kulturgeschichte des Übersetzens, 2016, und Übersetzer als Entdecker. Ihr Leben und Werk als Gegenstand translationswissenschaftlicher und literaturgeschichtlicher Forschung, 2014. Beim UeLEX geht es um die Zielsprache Deutsch, also in der Regel um Übersetzerinnen und Übersetzer mit dem Deutschen als Mutter- oder Erstsprache, beziehungsweise darum, Wissen und Literaturen der Welt in deutscher Übertragung zugänglich zu machen. Berücksichtigt werden jedoch nicht nur Übersetzungen in die Muttersprache Deutsch, sondern auch in die Fremdsprache Deutsch; so z.B. Übertragungen finnischer Muttersprachlerinnen und Muttersprachler ins Deutsche. Dabei kann es sich um Übersetzungen handeln, die im deutschsprachigen Raum erscheinen, aber auch um solche, die außerhalb der deutschsprachigen Länder publiziert werden, beispielsweise in Exilverlagen.

Das schließt generell auch diejenigen Übersetzerinnen und Übersetzer ein, die deutsch als ›Relaissprache‹ nutzen, ohne selbst Mutter- oder Erstsprachlerinnen und -sprachler zu sein. Dem Bereich der vielfältigen Formen und Funktionen des Übersetzens in Geschichte und Gegenwart, zu dem auch die Verwendung des Deutschen als Relaissprache gerechnet werden kann, soll bei der GiG-Tagung 2019 in Germersheim im Rahmen eines eigenen Formats, wie einer Gesprächsrunde oder einem Arbeitskreis, besondere Aufmerksamkeit zukommen. Dabei soll die Frage ausgelotet werden, welche unterschiedlichen Übersetzungstraditionen es nicht nur im deutschsprachigen Raum gibt, sondern auch in anderssprachigen Übersetzungstraditionen. Mittelfristiges Ziel kann sein, einen eigenen Band mit ausgewählten interessanten Beiträgen, eventuell internationalen ›Klassikern‹, zum Thema Übersetzen in Originalsprache sowie einer Übertragung ins Deutsche herauszugeben. Das überwiegende Augenmerk sollte dabei auf Beiträgen jenseits der europäischen Hauptsprachen liegen. In einen solchen Band könnten vielmehr auch Abhandlungen aufgenommen werden, die in so genannten kleinen Sprachen, das heißt Sprachen mit geringeren Sprecherzahlen, und nichteuropäischen Sprachen verfasst wurden. Hier würde das Deutsche dann insofern als Relaissprache fungieren, als es den Zugang zu einer Reihe von Texten in unterschiedlichen Sprachen eröffnete.

Es würde die Veranstalter der Tagung in Germersheim und mich freuen, wenn Sie uns per E-Mail eine kurze Nachricht schicken würden, falls Sie sich an so einem Arbeitsgespräch beteiligen möchten.

Was die Tagung betrifft, so wurde der Call for Papers mehrmals über die GiG-Mailverteilerliste versandt, und Sie können den Call und weitere Informationen auch über die an meinem Lehrstuhl an der Universität Bayreuth gehostete GiG-Website abrufen. Für die Organisation und die damit verbundene Arbeit danke ich allen Beteiligten vor Ort, namentlich dem Kollegen Andreas Kelletat sowie Julija Boguna und Aleksey Tachinskiy, schon jetzt vielmals.

An dieser Stelle kann ich Ihnen auch mitteilen, dass die Druckfassung der Akten der GiG-Tagung 2016 in Ustí nad Labem und Prag nun fertig vorbereitet ist und derzeit in die Verlagsproduktion geht. Der Band sollte also alsbald zur Auslieferung bereitstehen.

Mit herzlichen Grüssen und meinen besten Wünschen verbleibe ich

Ihre

Gesine Lenore Schiewer

Literatur

Tashinskiy, Aleksey / Boguna, Julija (Hg.; 2019): Das WIE des Übersetzens. Beiträge zur historischen Übersetzerforschung. Berlin.

Kelletat, Andreas F. (2019): »Deutsch quassele ich schon wie Bismarck«. Die vor hundert Jahren erschossene Rosa Luxemburg war nicht nur marxistische Aktivistin, sondern auch vielsprachige Übersetzerin. In: Neue Zürcher Zeitung v. 5. Januar 2019, S. 28.