This article illustrates how formal and semantic aspects of multilingualism appear in medieval literature, using classical examples of courtly epic texts (Wolfram von Eschenbach, Gottfried von Straßburg, Wernher der Gärtner) as well as the late-medieval songs of Oswald von Wolkenstein. These texts assimilate forms of language mixing (by borrowing, by quoting) which question in specific ways (as cultural representations, as performative communication) affiliations and cultural identities. Hence, the multilingual medieval literature encourages a diachronic perception of multilingualism as an ambiguous and ambivalent phenomenon, and its integration as such into contemporary social discourse.
Title:Multilingualism in Medieval Literature as Cultural Representation and Performative Communication
Keywords:multilingualism (in diachronic perspective); medieval literature; Oswald von Wolkenstein (ca. 1376-1445); Parzival; Helmbrecht
Wenn Mehrsprachigkeit heute als Diskussionsgegenstand besondere Bedeutung beansprucht, so häufig mit unmittelbar zeitgeschichtlichem Bezug auf fortschreitende Migrationsbewegungen, die eine (post)moderne Gesellschaft und globalisierte Welt nicht nur neu ordnen, sondern auch vor neue Herausforderungen stellen.1 Dabei gerät die diachrone Perspektivierung des Phänomens ›Mehrsprachigkeit‹ nicht selten gänzlich aus dem Blick. An dieser Stelle möchten die folgenden Ausführungen ansetzen, nicht etwa, um das Phänomen seiner gegenwartzentrierten Bedeutsamkeit zu beschneiden, als vielmehr, um zu verdeutlichen, dass Plurilingualität nicht als Erscheinung der Moderne begriffen werden kann, sondern historisch bereits zu einem frühen Zeitpunkt belegt ist und seit jeher große literarische wie allgemein kulturelle Relevanz beansprucht. Die Formen, Funktionen und Bedeutungszuschreibungen literarisch inszenierter Mehrsprachigkeit in der mittelhochdeutschen Literatur mögen diesbezüglich nicht nur in ihrer Vielfalt erstaunen, sie ermöglichen auch eine distanzierte, ›unverstellte‹ Betrachtung, die – frei von unmittelbarer (persönlicher) Betroffenheit und gesellschaftspolitischen Handlungszwängen – neue Deutungs- und Diskussionsperspektiven auch auf aktuelle Mehrsprachigkeitsdiskurse eröffnet.
Der folgende Lektürepfad, der nun also in die vormoderne, mehrsprachige Textwelt führen wird, soll am Beispiel des Helmbrecht, einer Verserzählung aus dem dritten Viertel des 13. Jahrhunderts, beschritten werden. Die gewählte Passage steht dabei zum einen stellvertretend für die zahlreichen Formen der Sprachmischung, die sich in literarischen Texten des Mittelalters finden,2 zugleich vermag sie insofern einen herausragenden Status zu beanspruchen, als sie sich mit der Mehrsprachigkeitsthematik in sehr direkter, da kontrastiver Weise auseinandersetzt: So treten hier – im Zuge der Rückkehr des jungen Protagonisten Helmbrecht von seinem einjährigen Raubritterleben an den elterlichen Hof – Figuren mit und ohne (vermeintliche) Kenntnis fremder Sprache(n) einander in unmittelbarer Konfrontation gegenüber. Helmbrecht demonstriert dabei seine Vielsprachigkeit in praktischer Umsetzung, indem er sich zunächst mit den Worten vil liebe sœte kindekîn, / got lâte iuch immer sælec sîn (Helm 717f.)3 auf Flämisch / Sächsisch an das bäuerliche Gesinde wendet, um im Anschluss den übrigen Familienmitgliedern mit einer besonderen fremdsprachlichen Begrüßungsform(el) sein Willkommen zu erweisen: In fehlerhaftem Latein richtet er sich an die Schwester (gratia vester! [»Gratia vestra!«], Helm 722), auf Altfranzösisch (dê ûs sal! [»Dieu vous salue!«], Helm 726) an den Vater sowie auf Tschechisch (dobra ytra! [»Dobrí jitro«], Helm 278) an die Mutter.
Bereits das rein ›schnipselhafte‹ Ausstoßen der multilingualen Anredeformen lässt an einer tatsächlichen Mehrsprachigkeitskompetenz4 zweifeln (die im Fall Helmbrecht auch nicht vorliegt),5 verweist jedoch gerade in seiner situativen Zur-Schau-Stellung auf die Bedeutung, die der Mehrsprachigkeit beigemessen wird.6 Der inszenierte Sprachkontakt imaginiert und verortet die Figur in einem höfisch-adeligen, mehrsprachigen Umfeld und wird dabei mit Mechanismen der (sozialen / ständischen) Aufwertung, des Statuswechsels und der Abgrenzung gegenüber dem bzw. den bäuerlichen Anderen verbunden.
Dass dem Protagonisten hier eine mehrsprachige Kompetenz zugeschrieben wird bzw. werden kann, zeugt auch auf extradiegetischer Ebene von dem Bewusstsein einer wie auch immer gearteten sprachlichen Vielfalt.7 Die mittelalterliche Sprach(en)situation unterscheidet sich dabei von der neuzeitlichen »nicht […] in der tatsächlichen Existenz und Verbreitung von Mehrsprachigkeit« (Putzo 2011: 24); epochenspezifische Charakteristika sind vielmehr auf der Ebene des gesellschaftspolitischen Bewusstseins zu verzeichnen, denn multilinguale Konstellationen können hier »nicht [als] Abweichungen vom vermeintlichen Normalfall der Einsprachigkeit« (ebd.) begriffen werden, die den kulturpolitischen Bestrebungen des 18. / 19. Jahrhunderts mit dem Ziel der Etablierung einer Nationalsprache erwachsen ist. Im europäischen Mittelalter bildet die Mehrsprachigkeit das konstitutive Fundament alltäglicher Sprachrealität und damit einen wesentlichen Bestandteil vormoderner Spracherfahrung. Die natürliche Begegnung von Sprachen im gesellschaftlichen Raum, die sich als ›Sprachbad‹ bildlich imaginieren ließe, bindet den individuellen Sprecher, wenn auch in durchaus unterschiedlichem Maße, in eine ritualisierte Form des Sprachkontakts ein.8
Der sprachliche Zufluss – um das ›Badebild‹ weiter zu bemühen – erzeugt dabei im deutschsprachigen Raum ein Miteinander von primär drei Sprachen: der (zunächst mündlichen) Volkssprache (dem Mittelhochdeutschen), der lateinischen (hohen, klerikalen) Schriftsprache sowie der Sprache der höfischen Hofkultur (dem Französischen). Sie standen im hohen Mittelalter noch in einem klar hierarchischen Verhältnis: Latein galt als mühsam zu erlernende Bildungssprache und Distinktionsmerkmal der sozialen Elite, als Sprache der Gelehrsamkeit und der vorbildlichen Tradition; die Volkssprache war demgegenüber Nähe- und Alltagssprache, mit der sich die Natürlichkeit und die Allgemeinheit eines über Standes- wie Bildungsgrenzen hinausreichenden Kommunikationsmediums verband; während das Französische einen interkulturellen Bezug bzw. Vorzug codierte und die Teilhabe an einer höfisch-idealen Kultur bezeugte, die nicht die eigene war, aus der aber wesentliche Einflüsse bezogen wurden. Damit war Sprache stark an bestimmte Lebensbereiche gebunden und mit kulturellen Implikationen verknüpft: Sie erfüllte domänenspezifische Funktionen im gesellschaftlichen System und ließ sich unterschiedlichen sozialen Gruppen zuordnen – die Sprache differenzierte Geistliche von Weltlichen, Herrschende von Beherrschten.9
Die auf dem Gebiet der Mehrsprachigkeit in der literaturwissenschaftlichen Mediävistik bis dato geleistete Forschung hat dazu beigetragen, die großen Linien des Sprachkontakts zwischen lateinischem, deutschem und französischem Idiom nachzuzeichnen: Dass die Aufmerksamkeit in der Philologie sich dabei lange insbesondere auf das Lateinische als Sprache der antiken Rhetorik und Bildung richtete,10 führte jedoch sowohl zu einer Verengung auf eine lateinisch-volkssprachliche Bilingualität, die die realgeschichtlichen Verhältnisse verkennt, als auch dazu, dass diese Ausrichtung das Forschungsfeld der mittelalterlichen Mehrsprachigkeit lange maßgeblich dominierte. Putzo merkt zurecht kritisch an, dass »mittelalterliche Mehrsprachigkeit als strukturelles Phänomen […] zum eigentlichen, selbstzwecklichen Erkenntnisinteresse der mediävistischen Disziplinen bisher nicht avanciert [ist]« (Putzo 2011: 31).11
Auch der vorliegende Beitrag kann »das Desiderat einer thematisch fokussierenden, historisch differenzierenden Erfassung mittelalterlicher Mehrsprachigkeit« (Putzo 2011: 31) nicht beheben. Er möchte sich dem »vernachlässigten Forschungsfeld« (ebd.) dennoch und in einer Form zuwenden, die über die reine Kenntnis- und Bestandsaufnahme fremden Sprachmaterials hinausgeht, dabei literarische Mehrsprachigkeit als Akt einer signifikanten Bedeutungserzeugung begreift und zu einer differenzierten Betrachtung von Mehrsprachigkeit anregt. Gefragt werden soll in diesem Sinne nach dem Funktionsspektrum der fremdsprachlichen Anleihen im mittelhochdeutschen Werk und folglich danach, in welcher Weise die Sprachmischung die Textästhetik und -semantik in je spezifischer Weise prägt. Aus dem Textvergleich ließen sich darüber hinaus erste Vermutungen hinsichtlich eines kulturellen Wandels im Umgang mit Mehrsprachigkeit in der mittelhochdeutschen Epoche ableiten.12
In den Fokus der Textanalyse sollen primär zwei Werke mittelhochdeutscher Dichtkunst treten: Wolframs von Eschenbach Parzival (um 1205),13 der Artusgralroman eines Autors, der wie kein anderer in hochhöfischer Zeit die Vielfalt und Divergenz sprachlicher Register für sich zu nutzen wusste; sowie ausgewählte Beispiele aus dem Liedkorpus Oswalds von Wolkenstein, eines spätmittelalterlichen Dichters, der ebenfalls in fortschrittlicher Weise – und noch weit vor der eigentlichen Blütezeit polyglotter Dichtung in der Renaissance und im Barock – die ihn umgebende Sprachenrealität literarisch formte.14
Die im Rahmen des Korpus näher betrachteten Texte bilden Fälle einer »manifesten Mehrsprachigkeit«,15 insofern mehrere Sprachen bzw. Zeichensysteme in ein und demselben Text miteinander interagieren. Dabei ist das Mittelhochdeutsche stets die quantitativ dominante und folglich unmarkierte Sprache, wie der Erzähler in Wolframs von Eschenbach Parzival eigens betont, indem er hervorhebt, den französischen (fiktiven) Quellentext tiuschen (also ›auf Deutsch‹) wiedergeben zu wollen: swaz er [Kyot; A.B.] en franzoys dâ von gesprach, / bin ich niht der witze laz, / daz sage ich tiuschen fürbaz16 (Pz 416, 28-30). Dass dann doch auf die zunächst ausgeschlossene Ursprungssprache des Quellentextes, das Französische, zurückgegriffen und diese funktional in das Mittelhochdeutsche integriert wird,17 führt zu einer unmittelbaren Verletzung des angeführten Einsprachigkeitspostulats und soll hier dazu anregen, dem Grund für diesen dennoch erfolgenden Einbezug nachzuspüren.18
Die ersten beiden Bücher des Wolfram’schen Werks, die ca. 3500 Verse umfassen und dazu im Folgenden herangezogen werden, erzählen die Vorgeschichte von Gahmuret, dem Vater des Protagonisten, und berichten von dessen Kampfkraft im Heidenland. In kleiner Dosis (meist nur als Einzelwortbelege), aber in regelmäßigen Abständen, werden fremdsprachige Einsprengsel in den mittelhochdeutschen Text inseriert.19 Sie treten syntaktisch zumeist in exponierter Stellung auf und tragen den phonetischen Akzent. Dies zum einen, indem sie die Versletztposition besetzen und im Paarreim (sowohl mit französischen wie mit mittelhochdeutschen Reimpartnern) erscheinen: Als frequente Beispiele für diesen Typ lassen sich die (mitunter wiederholt auftretenden) Reimpaare fier(e)-soldier / banier(e) (Pz 21,11f. / 59,7f. / 61,27f.), kursît-samît (Pz 14,25f. / 36,27f.) oder lanze-fianze (Pz 38,5f.) nennen. Zum anderen stehen die französischen Begriffe ebenfalls häufig in initialer Versposition (en franzois [er in gruozte sân], »auf französisch [grüßte er ihn sofort]«, Pz 76,10) und finden hier z.B. als Exclamatio (avoy, »das solltet ihr sehen!«, Pz 21,14) oder in vokativer Anredeform (bien sei venûz, bêas sir, »Bien venu, beau sire«, Pz 76,11) Verwendung.
Im Zuge der semantischen Fokussierung rücken mit ihnen vornehmlich Begriffe der ritterlichen Sphäre in den Blick, die sich den Sinnbezirken ›Adel / Genealogie‹ bzw. ›Darstellung des höfischen Umfelds‹ (besonders des Kampfgeschehens) zuordnen lassen.20 Die genannten Formen verweisen auf adelig-höfische Verhaltensattribute sowie äußere Beschreibungsmerkmale, wie die folgende Begriffsauswahl dokumentiert: fier – frz. ›fier‹, »stolz / prächtig« (Pz 21,11 / 38,18 / 46,4)21; kurtoys – von frz. ›cour‹, »höfisch, fein« (Pz 46,21 / 62,3); kovertiure – frz. ›couverture‹, »schützende oder schmückende Decke des Pferdes« (Pz 14,16); fîanze – frz. ›fiance‹, »Untertänigkeitsgelübde« (Pz 38,6 / 86,2); banier(e) – frz. ›bannier‹, »Fahne« (Pz 31,19 / 59,7 / 61,27); poinder – frz. ›poindre‹ (pousser), »das Lanzenstechen, auch das Anrennen mit dem Streitross« (Pz 31,28 / 65,3 / 67,3); turney / turnei – frz. ›tournoi‹, »Turnier« (Pz 60,11 / 79,11 / 81,8); soldier – statt mhd. soldenaere oder soldener, »Kämpfer, Söldner« (Pz 21,12 / 25,13 / 64,20).
Lässt sich folglich eine Exposition durch syntaktische Stellung auf der einen Seite konstatieren, bilden die Fremdwortbestände zum anderen eine harmonische Einheit mit dem sie umgebenden mittelhochdeutschen Lautbestand. Weder durch explizite Einführung noch durch nachträglichen Kommentar wird ihr Vorkommen als ungewöhnlich oder erklärungsbedürftig ausgewiesen.22
Die mit der fremden Sprache einhergehende höfisch-adelige Bedeutungsdimension erweist sich (auf intradiegetischer Ebene) zudem als vornehmlich ›figurenbezogene Kategorie‹, die der Auszeichnung des Protagonisten dient.23 Seine damit erfolgende Einpassung in ein vorbildlich höfisches (Ideal-)Bild gründet auf der und implementiert die Vorstellung eines direkten Bezugs zwischen der Sprachfähigkeit und den Verstandeskapazitäten (auch der Lebensweise, der Heldenhaftigkeit) der Figur.24 Vereinfacht gesagt: Weil die Figur fremd spricht, kann sie auch anderes denken, leben, sein. Dass diese Verschaltung von Sprache und Sein systematisch und über den Einzeltext hinaus in mittelhochdeutschen Werken produktiv war, zeigt ein kurzer Verweis auf den Tristan25 Gottfrieds von Straßburg: Auch hier trägt das französische Idiom zu einer Form der immobilen, statischen Figurenaufwertung bei: Tristan spricht Französisch, wenn König Marke ihn bei ihrem ersten Aufeinandertreffen nach seinem Namen fragt: »jâ, hêrre, Tristan. dê us sal!« / »dê us sal, bêâs vassal!« / »merzî«, sprach er, »gentil rois, / edeler künec Kurnewalois«26 (Tr 3350-3354), und unterstreicht damit seine höfische Zugehörigkeit. Dabei bleibt das tatsächliche Niveau der Tristan’schen Sprachkompetenz im ganzen Werk durchweg ein ›anzunehmendes‹, allein theoretisch postuliertes, insofern fremde Sprache stets nur in Form von knappen Anreden, Grußformeln, Ausrufen oder einzelnen Fachtermini erscheint. Ein sprachpraktischer Nachweis der Kenntnisse durch Kommunikation und Austausch in der fremden Sprache wird auch dann weder erbracht noch eingefordert, wenn von Tristans weiteren, zum Französischen hinzutretenden Sprachkompetenzen die Rede ist: So genügt es auf die Frage: »Tristan, ich hôrte dich doch ê / britûnsch singen und gâlois, / guot latîne und franzois, / kanstû die sprâche?«, mit einem einfachen: »hêrre, jâ, / billîche wol«27 (Tr 3688- 3690), den möglichen Zugriff auf die fremde Sprache zu bestätigen.
Der Verweis auf die bereits in früher Jugend erworbene sprachliche Ausbildung28 festigt das Wissen um und den Glauben des Rezipierenden an Tristans Sprach(en)vermögen und lässt ihn das vom König bekundete Lob und dessen Bewunderung teilen: Sprache, so macht das an Tristan adressierte Freundschaftsangebot des Herrschers zugleich deutlich, wird (neben den höfischen Kulturaktivitäten des Jagens und Musizierens) als eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Aufnahme in adelige Kreise betrachtet: dû kanst allez, daz ich will, / jagen, sprâche, seitspil. / nu suln ouch wir gesellen sîn, / dû der mîn und ich der dîn.29 (Tr 3721-3724)
Für den höfischen Roman kann auf dieser Grundlage in einem ersten Schritt konstatiert werden, dass die fremde Sprache hier vornehmlich der Formung und Vervollständigung sowie der Nobilitierung der Identität ausgewählter Figuren dient, dem Nachweis der Einverleibung sozialgesellschaftlicher, idealer bzw. als vorbildlich erachteter Kategorien oder Wertvorstellungen; sie wird zum Zweck ihrer sozialen Verortung und Bestimmung genutzt, ohne dass damit ein unmittelbarer physischer Kontakt mit dem Fremden verbunden wäre.
Gerade Texte wie der Parzival oder der zu Beginn kurz eingeführte Helmbrecht lassen an der Tragfähigkeit einer solchen eindimensionalen Deutung von Mehrsprachigkeit jedoch Zweifel aufkommen. So ist eine Interpretation der fremdsprachlichen Termini als rein ›veredelnde Statusmarker‹ der Figur in Wolframs Werk spätestens dann nicht mehr haltbar, wenn sie mit der erzählten Realität der Vorgeschichte konfrontiert wird. Denn das ritterlich-höfische Sein, das Gahmuret allem Anschein nach zunächst zugesprochen wird, erweist sich gerade nicht als erstrebenswerte Existenzform, ja tritt gar zu einer solchen in Kontrast. Herzeloyde, die Frau des ausgezeichneten Ritters, macht dies überdeutlich, wenn sie ihren Sohn in der Einöde großzieht, um ihn vor der väterlichen Existenz, dem ›Rittersein‹, zu bewahren: wan friesche daz mîns herzens trût, / welch ritters leben wære, / daz wurde mir vil swære30 (Pz 117, 24-26). Die französische Sprache markiert, so ist mit Blick auf die ersten beiden Parzival-Bücher differenzierter anzumerken, den hervorgehobenen Status einer Figur, die mit dem fremden, höfischen Code in Konflikt gerät bzw. an der die Kritik an einem solchen Code ausgetragen wird. Auch im Helmbrecht hält die identitätsstiftende Selbstauszeichnung, für die der Held gezielt die fremde Sprache einsetzt, um sich von den umstehenden Familienangehörigen zu distanzieren und seiner höfischen Art Ausdruck zu verleihen, zu einem kritischen Hinterfragen an.31
Das (fremd-)sprachliche Zeichen erweist sich damit als durchaus ambivalent. Es kann eine positive, die Figur auszeichnende Nähe aufbauen, gleichermaßen aber auch als rhetorisches Stilmittel eine (ironische) Distanz zu dieser evozierten Zuschreibung einnehmen, die die Zuordnung einer Figur zur höfischen Sphäre problematisiert und damit die Stabilität dieser Sphäre an sich subversiv hinterfragt. Mit dem fremden Sprachcode verbindet sich dann ein ›uneigentliches‹ Sprechen, das ein höfisches Ideal sprachlich re-konstruiert, um dieses Konstrukt nachfolgend in Frage zu stellen.
Die Entscheidung für das fremdsprachliche und gegen ein – in den meisten Fällen durchaus vorhandenes – gleichbedeutendes Wort in der mittelhochdeutschen Sprache liegt damit nicht allein in der Lautgestalt, und was Wolfram damit betreibt, ist nicht – wie in der Forschung mitunter sehr einseitig konstatiert wird – nur als sprachspielerische Varianz zu deuten.32 Vielmehr gehen mit den Entlehnungen alternative Sichtweisen und damit ein über das rein Sprachliche hinausgehendes Sprachpotenzial einher.33 Das fremdsprachliche Zeichen im mittelalterlichen Roman entzieht sich einer einfachen Deutung und verweist darauf, dass Sprache an sich zunächst einmal als Menge von Zeichen oder Codes verstanden werden muss, die weder direkt verbindend noch trennend ist. Im höfischen Roman tritt die fremde Sprache als Teil des Eigenen, der eigenen Sprache, hervor, ohne dass diesem Eigenen damit bereits unhinterfragt Akzeptanz zugesprochen würde. Sie erweist sich als konstruiert und natürlich, als formal angepasst und semantisch aufrührend.
Ich wolt besehen wie die werlt wer gestalt34, bekennt Oswald von Wolkenstein in seinem autobiographischen Lied Es fuegt sich (Kl 18)35 und bekundet damit ein Sehen, das nicht mehr rein beschreibend verfährt, sondern sozusagen die Erwiderung des Blickes (ein)fordert. Sprachlich äußert sich dies, indem in zahlreichen Liedern des spätmittelalterlichen Dichters an Stelle selektiver Einzelwortentlehnungen eine veränderte Form fremdsprachlicher Integration erfolgt: Wachinger beschreibt sie mit dem Begriff der »Sprachmontage«, die »nicht ›vertikal‹ auf eine Spannung Latein-Volkssprache [oder noch Französisch; A.B.], sondern ›horizontal‹ auf das Nebeneinander vieler Sprachen« (Wachinger 2011: 275)36 hin angelegt ist. Sie imaginiert damit eine ›praktizierte Mehrsprachigkeit‹, Öffnung, Austausch und interkulturellen Kontakt im literarischen Raum. Das Lied Do fraig amors liefert ein besonders eindrucksvolles Beispiel für ein solcherart polyglottes Sprachwerk:
Do frayg amors,
adiuva me!
ma lot, mein ors,
na moy sercce,
rennt mit gedank,
frou, pur ä ty.
Eck lopp, ick slapp,
vel quo vado,
wesegg mein krap
ne dirs dobro.
ju gslaff ee franck
merschy voys gry.37 (Kl 69, I)
In der ersten Strophe wechselt in fast jedem der zwölf Verse das Idiom, geht vom Altfranzösischen (»tu vrai amors«) über ins Ungarische (»ló«), vom Mittelniederländischen (»mijn ors / ick lop, ich slap«) ins Slowenische (»na moje serce«), Altgrödnische (»pur a ti«), Lateinische, Ungarische, Slowenische, ins Rätoromanische und Französische.38 Der anschließende Refrain, der zum Ende jeder Strophe repetiert wird, besingt und kommentiert in spielerischer, ›sprachzauberischer‹ Weise den Umgang mit den verschiedenen Sprachen, derer man sich von einer deutschen Sprachbasis ausgehend wechselnd und wandelnd bedienen soll:
Teutsch, welisch mach!
fanzoisch wach!
ungrisch lach!
brot windisch bach!
flemmig so krach
latein die sibend sprach.39
Andere Lieder fordern weniger imperativ (mach) zum mehrsprachigen Handeln auf, beziehen die fremde Stimme aber ebenfalls wörtlich in den Text ein. Die Königin von Aragonien verlangt beispielsweise in Kl 18 (III) von Oswald auf Spanisch, das in seinen Bart gewobene Ringlein nie mehr loszubinden (non maiplus disligaides40), der ungarische Fluch des Angreifers (viegga waniadat!41) erschallt in dessen Muttersprache (Kl 102, IV) und Lied Kl 103 (II) repetiert die fremdsprachlichen Verkaufsparolen eines Fischverkäufers (pro zingk soldin et tre zesin42), mit denen er auf die Trinkfreudigkeit eines Kanzlers anspielt, der (wie Oswald) im Gefolge König Sigismunds von Luxemburg nach Italien reiste.
Mehrsprachigkeit erscheint in Oswalds Liedern als notwendiges wo nicht lebensnotwendiges Kontaktinstrument, als Mittel der Kommunikation und Verständigung in der Fremde, wie der Dichter eigens bekennt: Franzoisch, mörisch, katlonisch und kastilian, / teutsch, latein, windisch, lampertisch, reuschisch und roman / die zehen sprach hab ich gebraucht, wenn mir zerran43 (Kl 18, II / 7). Wenngleich in dieser umfangreichen Auflistung die eigene Schriftsprache (teutsch) sowie das Französische (franzoisch) die Versspitze bilden, scheint die gewählte Reihenfolge dennoch keine Sprachpräferenz zu konnotieren. Vielmehr bekundet sich hier ein sprachliches Nebeneinander, auf das der Dichter – sicher nicht ohne Übertreibung – seine Ritterlichkeit zu gründen sucht. Entsprechend wird auch die Reise als ritterliche (und damit erstrebenswerte und vorbildliche) Existenzform ausgewiesen: Der Ritter, so heißt es in Kl 112 (1-7), fährt viele Jahre (manig jar) durch manig küngkreich, lant und stet, / in fürstenhöfen hin und her, […] / als dann aim ritter zue gebiert44. Vor diesem (gedanklichen) Hintergrund inszeniert Oswald dann auch seine eigenen Reiseschilderungen: In nicht selten exuberanten geographischen Auflistungen benennt er namentlich all jene Länder und Orte, die er selbst bereist zu haben vorgibt, wie der Auszug aus Kl 44 dokumentiert:
Durch Barbarei, Arabia,durch Hermani in Persia,
durch Tartari in Suria,
durch Romani in Türggia,
Ibernia
[…]
Durch Reussen, Preussen, Eiffenlant,
gen Litto, Liffen, übern strant,
gen Tennmarkh, Sweden, in Prabant,
durch Flandern, Frankreich, Engelant
und Schottenland
[…]
Durch Arragon, Kastilie,
Granaten und Afferen,
auss Portugal, Ispanie
bis gen dem vinstern steren,
von Profenz gen Marsilie –45 (Kl 44, I / 1-17)46
Die derart umfänglichen, katalogartigen Destinationslisten scheinen die tatsächliche Reiseaktivität des Dichters auf der einen Seite bewusst (ironisch) zu übersteigern und damit ein ritterliches Ideal hyperbolisch zu stilisieren. Den damit evozierten Zweifeln des Publikums am Wahrheitsgehalt der Ausführungen und der dichterischen Glaubwürdigkeit per se wirkt auf der anderen Seite die Integration fremder Sprache entgegen, die in authentischer Weise wiedergegeben, tatsächliche Anwesenheit in fernen Landen literarisch bezeugt.
Oswalds Lieder sind – wie wenige andere – Ausdruck einer literarischen Existenz, die sich durch fortwährende Grenzüberschreitung im geographischen wie im sprachlichen Bereich auszeichnet. Der Weg in die Fremde wird dabei als gewollte und zielgerichtete Bewegung (von haim so wolt ich varen, / ein rais in fremde land, Kl 23, IV / 3f.)47 beschrieben. Wenngleich mit dieser Bewegung nicht uneingeschränkt positive Erfahrungen verbunden sind,48 erscheint die Fremde doch stets als Erkenntnisraum. Unbekannte Bräuche und Sitten werden dabei nicht allein zum Zweck metrisch-stilistischer Ausgestaltung der Liedtexte oder zum Amüsement des Publikums in die Lieder inseriert – wenngleich die Einordnung des Verses Kl 19 (I, 7f.): in Katlon und Ispanien, / do man gern ist kestanien, in die Kategorie »Touristenbeschreibung« (Müller 1968: 130), sicher nicht ohne Berechtigung erfolgt. Betont wird darüber hinaus jedoch insbesondere, dass die Fremde den sprachlichen Austausch ermöglicht, wie er in der Heimat nicht stattfinden kann: Die abwertenden Schilderungen der hier vorherrschenden Formen auditiver Ansprache lassen Kommunikation und Interaktion in der vom Dichter erstrebten Weise jedenfalls nicht zu; sie manifestieren sich als »abwechslungsreich« (mangerlai) nur insofern, als sie zwischen esel gesang (»Eselgesang«), pfauen geschrai (»Pfauengeschei«; Kl 44, III / 2), klainen kindlin schal (»dem Lärm kleiner Kinder«; ebd.: I / 28) und dem hurlahai des rauschenden Baches (ebd.: III / 4) changieren. Anstelle einer angenehmen Lautwahrnehmung (auf die der euphemistische Eselgesang durchaus noch zu deuten vermag) empfindet der Dichter nur krankhaften Schmerz, der ihm das houbt entzweireißt, das es beginnt zu kranken (»dass es schon siech wird«; ebd.: III / 6), und heftig in seinen Ohren brandet, sie gar durchbohrt.49 Dem Austausch in der Fremde wird demgegenüber (kein Ohrenleiden, sondern) eine breite Erkenntnisbasis zugesprochen, die Komparation und damit Urteilsfähigkeit gestattet – und sei es ›nur‹ in Sachen Liebesfragen, bezüglich derer Oswald nun bekennen kann: Was ich der land ie hab erkunt, / dafür liebt mir ain rotter mund / von Schwaben her50 (Kl 110, I / 6f.). Reisen bedeutet für Oswald zudem, manig klueghait fremder sinne51 (Kl 9, II / 2) zu erwerben, die es auch nur hier zu erwerben gibt, denn, so der Dichter in Kl 115 (IV / 22-25): Man sichet selten weissagen / tragen schon die kron / dahaim, neur in der fremde rain.52
Dass in den Liedern Oswalds folglich ein ähnliches Ziel (das der identitären Nobilitierung) mit ähnlichen Mitteln (durch den Einbezug fremder Sprache) erreicht, allerdings funktional anders umgesetzt wird, mag auch mit den sich wandelnden kontextuellen Bedingungen im späten Mittelalter zusammenhängen, in deren Zuge der Kontakt zu fremden Kulturen durch Reisetätigkeiten zunimmt:53 Insbesondere das mit dem Übergang zum Reiserittertum aufkommende Ideal des ›fahrenden Ritters‹, der zur Verteidigung des christlichen Glaubens, zum Schutz der Armen, Witwen und Waisen das heimatliche Umfeld verlässt und das Reisen als »erstrebenswerten Zustand« (Paravicini 1993: 92) betrachtet, mag zu einer solchen Entwicklung beigetragen haben.54 Können die frühen Kreuzzüge noch als Einzelereignisse wahrgenommen werden und war der interkulturelle Kontakt im 12. und 13. Jahrhundert jenseits des Hochadels noch stark eingeschränkt, kommt mit dem Entstehen von Ritterfahrten,55 Kavalierstouren / Bildungsreisen,56 Pilger-57 und Heidenfahrten (wie etwa den standardisierten Preußenfahrten)58 ein zunehmender Drang zur Mobilität auf.
In den ausgewählten Texten der höfischen Epik tritt Mehrsprachigkeit (durchweg) als Differenz- und Distinktionsmarker hervor: Fremde Sprache hat eine ausgliedernde Funktion, indem sie ständische (nicht primär regionale) Zugehörigkeit codiert. Sie trägt zur Unterscheidung verschiedener gesellschaftlicher Sphären bei, verbindet sich mit spezifischen Werten und Wertungen, markiert Exklusivität und ein Kulturell-Hochstehendes.
Die moralische Beurteilung dessen, was mit der fremden Sprache impliziert wird, fällt in den einzelnen Texten dabei durchaus unterschiedlich aus: Im Helmbrecht stigmatisiert sie ein (selbst-)gewolltes Anderssein, das gesellschaftlichen Konventionen widerspricht und eine Reintegration in den Familienverbund verhindert. In Wolframs Parzival regt die fremde Sprache der beiden initialen Bücher zu einer kritischen Reflexion des ritterlich-höfischen Daseins an, während sie in der Lyrik Oswalds wiederum in ein poetisches Spiel eingebunden wird, innerhalb dessen permanente Grenzüberschreitungen inszeniert werden. Das lyrische Ich steigt in verschiedene konzeptionelle (sprachliche und damit auch geographische) Rahmen ein und wieder aus ihnen heraus und gestaltet das Konzept ›Mehrsprachigkeit‹ damit dynamisch mit.
Die bereits in dieser beschränkten Textauswahl hervortretenden Unterschiede des dichterischen Umgangs mit Mehrsprachigkeit ließen sich mit stärker linguistischem Akzent auf einer Achse zwischen Entlehnung auf der einen und Zitat auf der anderen Seite erfassen: Während Wolfram oder Gottfried tendenziell eher einzelne fremdsprachliche Ausdrücke über- bzw. entnehmen, werden in der Lyrik Oswalds komplexe Sprachgebilde originalgetreu nachgebildet.59 Die Entlehnung, wäre daran auf funktionaler Ebene anzuknüpfen, gewährt eine distanzierte Form der Referenz auf einen fremden (höfischen) Kulturbereich. Sie verleiht dem Begriff eine ›Nuance‹,60 mit dem sich, so ist mit Zotz zu formulieren, ein »Gemeinschaft stiftende[r] […] Rekurs auf einen gemeinsamen kulturellen Horizont« (Zotz 2002: 119) verbindet und damit auch eine Wertigkeit in einem spezifischen Bereich, in dem etwas (ein Begriff, ein Konzept, ein Gedanke) verortet werden soll. Wäre dieser Funktionsbereich als einer der kulturellen Repräsentation begrifflich zu bestimmen, wird mit dem Zitat eher eine performative Kommunikation, sprich ein direkteres Bezugs- und Austauschverhältnis evoziert, das Erzählräume einander in prozesshaft-dynamischer Weise annähert.61
Mit beiden Typen der Sprachmischung wird ein Verhältnis von Sprache und (ständischer) Zugehörigkeit, von Sprache und Identität aufgerufen. In diesem Aufrufen wiederum partizipieren die Texte zugleich an der Aushandlung eben dieser Relation, indem sie keine einfachen Deutungsmuster favorisieren, sondern in der hervortretenden Ambivalenz Raum für Diskussionen lassen. Das Phänomen der Mehrsprachigkeit in der älteren deutschen Literatur ist in diesem Sinne in einen epochenübergreifenden Rahmen einzubetten, der zu einer Betrachtung in der longue durée anregt.
1 | Auch Classen (2013: 131) macht auf die verengte Wahrnehmung von Mehrsprachigkeit als einem »primarily modern phenomenon« aufmerksam, indem er an die vielfältigen – bereits im Mittelalter zu verzeichnenden – Sprachkontakte in Folge von Kreuzzügen, Pilgerschaften, politischen oder klerikalen Zusammenkünften erinnert.
2 | Bereits in den 1960er Jahren konstatiert Elwert diesbezüglich: »On sait que le plurilinguisme par genres littéraires, aussi bien que le mélange des langues dans la même œuvre, se rencontrent dans les littératures du moyen âge« (Elwert 1960: 410). Der verwendete Begriff einer literarischen Mehrsprachigkeit soll hier nicht weiter diskutiert werden: Verwiesen sei jedoch auf die grundsätzliche Problematik einer strikten Trennung zwischen mono- und multilingualen Texten, insofern Texte immer mehr oder weniger unterschwellige Formen der Multilingualität aufweisen. S. hierzu insbesondere den Beitrag von Dembeck (vgl. 2018), in dem Einsprachigkeit als kulturbedingter Grenzfall von Mehrsprachigkeit begriffen wird und dementsprechend auch ein vermeintlich einsprachiges Werk wie Goethes Faust auf Phänomene der Mehrsprachigkeit hin zu untersuchen ist. Ähnlich gibt auch Schmitz-Emans zu verstehen, dass es »eine allenfalls pragmatisch zu rechtfertigende Fiktion darstellt, von monolingualen Nationalliteraturen zu reden« (Schmitz-Emans 2004: 11).
3 | »Leiwe seute Kinderkens, Gott late ju ümmer glücklich sin!« (Übers. hier und im Folgenden, soweit nicht anders vermerkt, nach der jeweils verwendeten Textedition. Der Helmbrecht wird zitiert nach der Ausgabe Wernher der Gärtner 2012, im Folgenden unter der Sigle Helm.)
4 | Mehrsprachigkeit wird hier im linguistischen Sinne verstanden als die Fähigkeit, »mehr als eine Sprache kommunikativ [zu] nutzen« (Rothweiler 2007: 104) und flexibel von einer in die andere Sprache zu wechseln.
5 | Tschirch bezeichnet die Wortlaute daher im Kommentar zur Edition als »hochnäsig-fremdsprachliche[n] Kauderwelsch des Heimgekehrten« (Wernher der Gärtner 2012: 33, Anm. 3) und verweist auf die »argen Sprachschnitzer, die ihm ununterbrochen bei dieser fremd-vornehmen Ausdrucksweise unterlaufen« (ebd.: 41).
6 | Die situative Besonderheit und damit einhergehende Fokussierung der Szene ergibt sich zum einen durch die Menge der Anwesenden, zum anderen durch das besondere Ereignis der (auf das biblische Gleichnis verweisenden) Wiederkehr des (verlorenen) Sohnes – dessen Ausgang im Helmbrecht allerdings gerade umgekehrt wird.
7 | In sehr direkter Form, wenn auch bezogen auf die dialektale Vielfalt, lässt sich ein solches Bewusstsein auch sehr deutlich im Renner Hugos von Trimberg (vgl. 1970: V. 22253-22276) konstatieren.
8 | Classen (2013: 143) bezeichnet die mittelalterliche Multilingualität als einen »way of life […] not the exception«. Und auch Putzo (2011: 23f.) verdeutlicht: »Wer sich mit ›Mehrsprachigkeit im Mittelalter‹ beschäftigt, der untersucht keinen Sonderfall und keinen Fall von (ob markierter oder unmarkierter) Differenz, sondern eine allgegenwärtige kulturelle Konstante und nicht zuletzt auch einen Bestandteil historischer Alltagsrealität«. Diese Darstellung der mittelalterlichen Sprachensituation soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass auf pragmatischer Ebene, im Sprachkontakt des individuellen Sprechers, Unterschiede vorgelegen haben, die aus spezifischen sozialen (s. beispielhaft die Situation der bäuerlichen Helmbrecht-Familie) sowie geographischen Konstellationen (etwa England vs. Kontinent) resultierten.
9 | Hahn / Ragotzky (vgl. 1992: VIII) stellen diesbezüglich heraus, dass erst im 18. Jahrhundert, als die Volkssprache in alle Lebensbereiche vorgedrungen ist, Sprache als Phänomen erfasst werden kann, das vom jeweiligen Lebensbereich ablösbar ist. Formen funktionaler Sprachdifferenzierung lassen sich gleichsam auch in heutigen Staaten weiterhin nachweisen: In Luxemburg etwa, das eine Dreisprachigkeit ausbildet, gilt das Französische als Sprache des Rechts und der politischen Außendarstellung, das Deutsche findet primär im Bereich der Medien, als Alphabetisierungssprache und als eine der Bildungssprachen Verwendung, das Luxemburgische hat sich wiederum als Sprache der mündlichen Kommunikation im (zumeist nähesprachlichen Bereich) etabliert (vgl. dazu Scheer 2017).
10 | So auch Henkel / Palmer (1992: 1): »Dem Verhältnis von Latein und Volkssprache hat seit je das Augenmerk der Philologien gegolten«, wie auch Schmitz-Emans (2015: 88), die bemerkt, dass sich »das Interesse am Thema Sprachendifferenz […] vor allem auf die spannungsvolle Relation zwischen Latein und Volkssprache [zentriert]«, während die höfische Literatur des Mittelalters jedoch gerade auch hinsichtlich der Volkssprachen in einem »auch sprachlich ausdifferenzierten Europa [entsteht]« (ebd.).
11 | Sieburg (2014: 232) verweist zwar zurecht auf einige rezente Publikationen, die in der mittelalterlichen Mehrsprachigkeitsforschung »deutliche Fortschritte konstatieren [lassen]« und durch das nicht unbeachtliche Interesse an mittelalterlicher Mehrsprachigkeit im anglophonen Forschungsraum zu stützen sind (s. dazu Classen 2016, der – auch dem Medium Sammelband geschuldet – das Thema allerdings nur im Rahmen einzelner Fallstudien zur Darstellung bringen kann). Darüber hinaus fehlen aber weiterhin – insbesondere textanalytisch-fundierte – Einzelstudien, die an der Schnittstelle von Sprach- und Literaturwissenschaft operieren.
12 | Vgl. dazu Willms / Zemanek (2014: 3) sowie Dembeck (2014: 27), der betont, dass man »jeden Umgang mit Sprachdifferenz immer auch kulturpolitisch lesen [muss]«, dass sich also mit Sprachunterschieden potenzielle kulturelle und / oder soziale Differenzen verbinden, die die Philologie der Mehrsprachigkeit als Forschungsfeld der Literatur- und Kulturwissenschaften wie auch als Forschungsobjekt von allgemeiner gesamtgesellschaftlicher Relevanz ausweist.
13 | Der Text wird zitiert nach der Ausgabe Wolfram von Eschenbach 2003, im Folgenden unter der Sigle Pz.
14 | Im Kontext des Aufsatzes ist es weder möglich, genauer auf gattungsspezifische Varianz im Umgang mit Mehrsprachigkeit einzugehen, noch eine umfassende Analyse der Einzelwerke vorzunehmen. Beides wäre noch zu leisten.
15 | Die dichotome Unterscheidung zwischen ›manifester‹ und ›latenter‹ Mehrsprachigkeit findet sich bei Radaelli 2011: Kap. 2.3; andere Oppositionsparameter bilden die Einteilung in ›explizite / evidente‹ vs. ›implizite‹ Mehrsprachigkeit oder in ›innertextliche Mischsprachigkeit‹ vs. ›intertextuelle Mehrsprachigkeit‹ (vgl. dazu mit entsprechenden Literaturangaben Willms / Zemanek 2014: 8, Anm. 3). Den Begriff der ›Mischsprachigkeit‹ verwendet für ihre Analyse am mittelhochdeutschen Text auch Lähnemann 2010.
16 | »Was er [Kyot] auf Französisch davon berichtet hat, das sage ich, wenn mein Verstand mich nicht im Stich lässt, jetzt weiter auf Deutsch«.
17 | Andere sprachliche Einsprengsel (Arabisch, Latein, Wortneuschöpfungen, Exotismen) werden in diese Analyse nicht einbezogen.
18 | Dass der Erzähler auch ein »restloses Übersetzen« hätte vornehmen können, so nun aber »das Französische zu einer besonderen hervorgehobenen und den Personen realiter zugesprochenen Sprache« ernennt, merkt Werner (1985: 168) in Bezug auf den Tristan an; für den Parzival wäre die Aussage mit gleichem Nachdruck zu wiederholen.
19 | S. hierzu auch Schmitz-Emans (2014: 17), die betont, dass das Französische »punktuell Einzug in Werke mittelhochdeutscher höfischer Literatur« hält. Die Einzelwortbelege werden im Folgenden vereinheitlichend als Entlehnungen erfasst, womit von einer präziseren linguistischen Klassifizierung abgesehen wird.
20 | Auch Zotz (vgl. 2002: 122) konstatiert für den Tristan eine solche Einordnung der französischen Ausdrücke in bestimmte Kulturbereiche, die sie für das Werk Gottfrieds von Straßburg insbesondere als den der Jagd und der Musik bestimmt.
21 | Die Begriffe treten meist in mehrfacher Nennung auf, die angeführten Textstellen sind daher beispielhaft zu verstehen.
22 | Deutlich wird dies auch am Verhalten der Figuren, die fremde Sprachen zwar erlernen müssen, aber nie vor sprachlichen Hürden stehen, wenn sie in Kontakt mit dem Fremden treten: »In der höfischen Welt versteht man einander – beinahe unabhängig von der Sprache« (Martschini 2012: 18), ebenso Schmitz-Emans (vgl. 2014: 17), die hervorhebt, dass die Extension der Welt im Artusroman nicht über Sprache markiert wird; auch Classen (2012: 137) bemerkt: »Medieval knights generally operated on an international level […] and we never hear of any serious language problems which they might have suffered from«. Die Normalität der Sprachmischung begegnet auch im heldenepischen Erzählen, bildet im Reich Etzels im Nibelungenlied gar das einzig idyllische Element und begleitet den Protagonisten im spanischen Nationalepos El Cid, der verschiedene Länder durchreist, ohne in Sprachschwierigkeiten zu geraten (vgl. dazu ebd.: 136).
23 | Die fremde Sprache kann hier als Distanzmarker begriffen werden, der die Einzelfigur aus einem Figurenpool heraushebt. Diese Distanz scheint mir allerdings (zumindest im Parzival) nicht an die Bedingung der Unvertrautheit der Kommunikationssituation gebunden, wie Zotz für den Tristan folgert: »Man spricht im Tristan französisch mit fremden oder zumindest nicht vertrauten Personen in Situationen kommunikativer Distanz« (Zotz 2002: 123). Herzeloyde etwa bezeichnet ihren Sohn wiederholt mit französischen Begriffen. Entsprechend wäre hier eher mit Schmitz-Emans (2015: 89) offener zu formulieren, dass die Figuren, die sich der fremden Sprache bedienen, »Fremdheit erfahren oder sich distanziert zur Umwelt verhalten«.
24 | Auch Horst Wenzel betont, dass Texte wie der Tristan oder der Iwein explizit auf diese Übereinstimmung von sin (inneren Qualitäten, dem geistigen Vermögen) und zunge (höfischer Rede, Sprache) verweisen (vgl. Wenzel 2005: 88).
25 | Der Text wird zitiert nach der Ausgabe Gottfried von Straßburg 2004, im Folgenden unter der Sigle Tr.
26 | »›Ja, Herr, Tristan.‹ ›Dê us sal, bêâs vassal‹ ›Merzî‹, sprach er, ›gentil rois, edler König von Kurneval.‹« Eine eingehende Untersuchung der französischen Fremdwörter findet sich bereits bei Kaindl (vgl. 1892; 1893), der jedoch vornehmlich die Übernahme von Thomasin, weniger die poetische Nutzung bei Gottfried betrachtet. Vgl. dazu auch Werner 1985: 167, sowie Borst 1995: 742.
27 | »›Tristan, ich habe dich vorhin britûnisch singen hören und gâlois, gut lateinisch und französisch: Kannst du alle diese Sprachen?‹ ›Ja, Herr, recht gut‹«. Werner (1985: 169) vermutet, dass »offensichtlich hierfür Gottfried die Kenntnisse fehlten«. Zugleich scheint gerade die Form, sprich das Operieren mit Einzelwortbelegen und Verweisen auf die Fremdsprachenkompetenz, doch auch bewusst angelegt, und es bezeugt, dass der Held es gar nicht nötig hat, sie unter Beweis zu stellen.
28 | Diese hatte er auch durch frühe Auslandsaufenthalte erworben: mit dem [einem wîsen man; A.B.] sante er in iesâ dan / durch fremede sprâche in fremediu lant (»Mit ihm [einem gebildeten Mann] sandte er ihn zum Erlernen fremder Sprache in fremde Länder«; Übers. A.B.; Tr 2060f.).
29 | »Du kannst alles, was mir gefällt: jagen, fremde Sprachen, musizieren. Darum wollen wir von jetzt an Kameraden sein, du der meine und ich der deine.« Ähnliche Reaktionen der Bewunderung werden hervorgerufen, wenn Tristan in der ›Jagdszene‹ die unerfahrenen Jäger in Cornwall mit höfischer Jagdterminologie vertraut macht: diz heizent sî furkîe (»das nennen sie Furkîe«; Tr 2951), sô mache ich die curîe (»So mache ich die Curîe«; Tr 2993). Vgl. dazu genauer Kolb (1979: 188 u. 195) sowie Schmid, die betont, dass es sich »um echte Fremdwörter, Fachausdrücke, die in der zeitgenössischen französischen Romanliteratur vorkommen«, handelt (Schmid 2002: 155). Auch die fremediu zabelwortelîn (Tr 2287), die Tristan beim Schachspiel mit den Kaufleuten verwendet, erregen Staunen: si nam des wunder, daz ein kint / sô manege sprâche kunde: / die fluzzen ime ze munde (»Es erstaunte sie, dass ein Kind so viele Sprachen konnte: Die Worte flossen ihm aus dem Mund«; Tr 2280-2282).
30 | »Denn wenn mein liebster Schatz erführe, was es mit dem ritterlichen Leben auf sich hat, so wäre das ein großes Unglück für mich«.
31 | Dies führt so weit, dass selbst engste Angehörige ungeachtet der äußerlichen Ähnlichkeit an Helmbrechts Identität zweifeln: der vater sprach: […] mîn sun, den ich got bevalh, / der ist ez niht sicherlîche / und ist im doch gelîche (»Der Vater sagte: ›[…] Mein Sohn, den ich Gott befohlen hatte, der ist es sicherlich nicht, wenn er ihm auch aufs Haar gleicht‹«; Helm 735-738). Auf die Parallelität der Szenen, die – jenseits den von Tschirch (vgl. 1958) ermittelten stilistisch-kompositorischen Einflüssen des Tristan auf den Helmbrecht – insbesondere in Bezug auf das Sprachmotiv offenkundig bestehen, verweist auch Werner (vgl. 1985: 180f.).
32 | So treten die fremdsprachlichen Termini häufig in eine Reihe »mit kruden Wortschöpfungen und anderen sprachlichen Bizarrerien« (Zotz 2002: 118), ohne dass den damit verbundenen funktionalen Absichten näher nachgegangen würde. Auch Schmitz-Emans notiert, dass Wolfram mit den fremdsprachlichen Einsprengseln ein »Interesse an facettenreicher Textgestaltung« verfolge und »gern seltsame Ausdrücke [benutze]« (Schmitz-Emans 2014: 18). Das gestalterische Potenzial ist zwar durchaus ein essentieller, nicht aber der alleinige Verwendungsgrund. Es gilt hier Schmitz-Emans’ Ansatz weiterzuführen, die darauf verweist, dass die Integration fremdsprachlicher Elemente in einen höfischen Roman »durchaus unterschiedlich motiviert sein [kann]« (ebd.: 17) und dabei in »hochreflektierter und strategischer Weise erfolgt« (ebd.: 18).
33 | Vgl. dazu auch die Ausführungen Schopenhauers, der den Polyglottismus als »ein direktes Bildungsmittel des Geistes« versteht, das durch Vielseitigkeit »die Gewandtheit des Denkens vermehrt« (Schopenhauer 2004: 669; Hervorh. i.O.). Die Entlehnungen sind in diesem Sinne als Anstoß eines anderen, alternativen Denkens zu begreifen.
34 | »Ich wollte betrachten, wie die Welt beschaffen ist«; Übers. A.B.
35 | Der Text wird zitiert nach der Ausgabe Die Lieder Oswalds von Wolkenstein (2015), nach der Zählung des Herausgebers Karl Kurt Klein, nachfolgend unter der Sigle Kl. In Bezug auf den Forschungsstand zur Sprachmischung in den Liedern Oswalds konstatiert Wachinger, dass der Mehrsprachigkeit im Werk »vor allem aus sprachwissenschaftlichem Interesse oder aus den Bemühungen um genaueres Textverständnis heraus Aufmerksamkeit geschenkt [wurde]« (Wachinger 2011: 263), es hingegen an Untersuchungen fehle, die »den Aspekt der Funktion hinreichend berücksichtigen« (ebd.: 264).
36 | Die Gleichbehandlung von mehreren Volkssprachen und Latein, so Wachinger, sei erst mit der gewandelten politischen und kulturellen Situation im späten Mittelalter möglich geworden (ebd.: 275).
37 | »Du wahre Liebe steh mir bei! mein Pferd, mein Ross, dazu mein Herz, rennt in Gedanken nur zu dir. Wenn ich laufe, wenn ich schlafe, oder wohin ich gehe, wahrlich mein Kopf ist mir verdreht. Ich als Sklave und Freier rufe Euch Dank zu.«; Übers. A.B. nach den Anmerkungen von Wachinger in Oswald von Wolkenstein 2015: 181. Eine ebenso markante Form der Sprachmischung findet sich in Kl 119.
38 | Ich übernehme hier die sprachliche Analyse von Wachinger, der darauf verweist, dass die Entschlüsselung nur in Ansätzen gelingen kann, was insbesondere die konkreten regionalen Sprachvarianten betrifft, die der Dichter verwendet und die er und die Schreiber möglicherweise weiter umgeformt haben (vgl. Oswald von Wolkenstein 2015: 181, Anm. 69).
39 | »Aus deutsch mach italienisch, erweck es auf französisch, laß es magyarisch lachen, und treib es auf slowenisch, laß es denn flämisch krachen; Latein: die sieben Sprachen« (Übers. n. Kühn 2000: 195). Es ist davon auszugehen, dass das Lied während Oswalds Aufenthalt in der Konzilstadt Konstanz entstanden und vom dort herrschenden Sprachgemisch inspiriert ist (vgl. ebd.: 196).
40 | Es handelt sich um eine Mischung aus portugiesisch-katalanischen Verneinungsformen und einer kastilischen Imperativform, die Hartmann dazu führt, die Sprecherin eindeutig als die Königin Margarita von Prades, die 29-jährige Witwe Martins I. von Aragon, zu bestimmen. Die Sprachmischung deutet Hartmann hier als rein rhetorisches Mittel (vgl. Hartmann 2011: 124).
41 | »Er [der Teufel; A.B.] möge deine Mutter wegtragen« (Übers. n. Wachinger, in: Oswald von Wolkenstein 2015: 242).
42 | Cinque soldi e tre zecchini (vgl. Wachinger, in: Oswald von Wolkenstein 2015: 246).
43 | »Französisch und arabisch, spanisch, katalanisch, deutsch, lateinisch, slawisch, italienisch, russisch und ladinisch – diese zehn Sprachen verwendete ich, wenn es eben nötig war / wenn mir das Geld ausging« (so im Übertragungsvorschlag von Wachinger 2015: 48).
44 | »Durch viele Königreiche, Länder und Städte, von einem Fürstenhof zum anderen, […] wie es sich für einen Ritter geziemt«; Übers. A.B.
45 | »Nordafrika, Arabien, Armenien und Persien, die Krim und dann nach Syrien, Byzanz, ins Türkenreich, Georgien […] Durch Preußen, Rußland, Estland, nach Litaun, Livland und zur Nehrung, nach Schweden, Dänemark, Brabant, und Flandern, Frankreich, England, ins Schottenreich […] Durch Aragón, Kastilien, Granada und Navarra, von Portugal bis noch León, zum Cabo Finisterre, Marseille und die Provence« (Übers. n. Kühn 2000: 341f.). Vgl. zudem den in Bezug auf einige Ortsangaben leicht abweichenden Kommentar bei Wachinger 2015: 138f.
46 | Ähnlich auch Kl 18 (II / 1-3): Gen Preussen, Littwan, Tartarei, Türkei, über mer, / gen Frankreich, Lampart, Ispanien […] traib ich […] (»Nach Preußen, Litauen; zur Krim; Türkei; ins Heilige Land; nach Frankreich, Spanien; Lambardei […] zog ich […]«; Übers. n. Kühn 2000: 27 und vgl. Wachinger 2015: 48) sowie Kl 104 (IV / 1f.): Ach Cölen, Wienen, Mainz, Paris, / Affian, Costnitz, Nüremberg! (»Ach Köln, Wien, Mainz Paris, Avignon, Konstanz, Nürnberg«; Übers. A.B.).
47 | »Ich wollte von zu Hause fort in ferne Länder reisen«; Übers. A.B.; s. auch Kl 122 (I / 1): Wol auf, gesellen, an di vart (»Los Gefährten, lasst die Reise beginnen«; Übers. A.B.).
48 | In zahlreichen Städten erfährt der Dichter große Freude (was ich ie freuden da gesach, / die gan mir hie nicht in, Kl 104, IV / 1-4; »Jene Freuden, die ich dort gesehen habe, begegnen mir hier nicht«; Übers. A.B.) und auch die Konzilstadt Konstanz beglückt ihn in Kl 98 (I / 1-4) aus ganzem Herzen (O wunnikliches Paradis, / wie gar zu Costnitz vind ich dich! / für alles, das ich hör, sich, lis / mit guetem herzen fröust du mich; »Oh wunderschönes Paradies, allein in Konstanz find ich dich! Gegenüber allem, was ich höre, sehe, lese, erfreust du mich aus vollem Herzen«; Übers. A.B.); wohingegen Kl 18 (I / 3f.) auch Not und Elend in den Blick nimmt: mit ellend, armuet mangen winkel haiss und kalt / hab ich gebaut bei cristen, Kriechen, haiden.
49 | Mein oren dick bedrangen, / hand durchgangen (Kl 44, I / 28-30).
50 | »Wie viele Länder ich auch gesehen habe, besser gefällt mir doch ein roter Mund aus Schwaben«; Übers. A.B.
51 | »Vielfältige Weisheit ferner Denkarten«; Übers. A.B.
52 | »Nie fällt dem Weissagenden daheim die Krone würdig zu, sondern allein in der Fremde«; Übers. A.B.
53 | Dass Oswalds Gedichte die lebensweltliche Reisewirklichkeit um 1400 widerspiegeln, bemerkt bereits Paravicini, ohne jedoch vertiefend auf den Bereich der Mehrsprachigkeit einzugehen (vgl. Paravicini 1993: 94). Vgl. zum Themenkomplex der Reise in Oswalds Liedern zudem die einschlägigen Werke von Müller 1968 sowie Mayr 1961; zur politischen Aktivität Oswalds von Wolkenstein im Umfeld des luxemburgischen Königs Sigismund als einem Dichter, der über Reichs- und Landesgrenzen hinaus zu denken und dieses Denken zur Konstitution seiner Identität zu nutzen bestrebt war, vgl. Bendheim 2016.
54 | Paravicini beschreibt das Ideal des fahrenden Ritters als »Sehnsucht [der Menschen; A.B.], irgendwann einmal die ideale Lebensform, von der sie gehört hatten, die Teil ihrer selbst geworden war, auch zu verwirklichen, wenigstens für eine Zeit« (Paravicini 2000: 241). Zum Typus des fahrenden Ritters heißt es erklärend: Der fahrende Ritter »hat die vertraute Welt der Heimat, die geordnete Welt verlassen, ist in der Fremde, im Wald, im Gebirge und vielleicht sogar in einem Zauberreich« (ebd.: 205).
55 | Ritterfahrten dienten nicht vornehmlich dem Ritterschlag, sondern neben der Teilnahme an Turnieren und Kriegen insbesondere dem systematischen Besuch der Höfe. War die Einkehr am fremden Hof vorher lediglich Etappenaufenthalt, wurde sie nun zum eigentlichen Ziel der Reise (vgl. Paravicini 1993: 103 u. 106).
56 | Der Begriff der Kavalierstour wird laut Paravicini viel zu spät, nämlich erst Mitte des 16. Jahrhunderts angesetzt, ist aber bereits früher (im 14. Jahrhundert) in schriftlichen Dokumenten belegt, wie auch das Sprachstudium im Ausland sich bereits im 15. Jahrhundert, bezogen auf Paris sogar schon im 12. und 13. Jahrhundert, nachweisen lässt (vgl. Paravicini 2000: 108f.).
57 | Zur Zunahme von Pilgerfahrten im Spätmittelalter vgl. De Felip-Jaud 2011: 224.
58 | Paravicini betont, dass der Heidenkampf im 14. und 15. Jahrhundert »an allen Fronten« geführt wurde und die »ganz Europa umspannenden Kreuzzugsaktivitäten« (die sich nicht nur in Pilgerfahrten nach Santiago oder zum Hl. Land erschöpften) ein »Spezifikum dieser frühen Adelsreisen darstellte« (Paravicini 1993: 97). Es wird in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts kaum eine Familie gegeben haben, die nicht einen Sohn dorthin geschickt hätte (vgl. ebd.: 116).
59 | Unter ›Entlehnung‹ wird hier die »Übernahme eines sprachlichen Ausdrucks aus einer Fremdsprache in die Muttersprache« verstanden (o.A. 2002: 193). Beim ›Zitieren‹ wird eine Wendung wörtlich oder sinngemäß wiedergegeben (vgl. o.A. 2001), was Kontakt zum Quellentext (oder hier Quellenkontext) voraussetzt.
60 | Hier sei auch an die Aussage Schopenhauers gedacht, der in seiner Schrift Über Sprache und Wort darauf verweist, dass eine fremde Sprache »einen Begriff mit einer Nuance aus[drückt], welche unsere eigene ihm nicht gibt und mit der wir ihn jetzt gerade denken« (Schopenhauer 2004: 666).
61 | Ob und wie diese Formen (kulturelle Repräsentation, Entlehnung / performative Kommunikation, Zitat) auch in diachroner Perspektive zu deuten sind und einen sich zum Spätmittelalter verstärkenden interkulturellen Kontakt abbilden, wäre durch weitere Texte zu untermauern. Thoma weist in ihrer ansonsten recht oberflächlichen Betrachtung zumindest darauf hin, dass Dichter wie Neidhart 200 Jahre vor Oswald sich noch darüber beschwerten, dass ihre Lieder in der Fremde nicht verstanden wurden, und den Kontakt zur unbekannten Welt als grundsätzlich »unlustbetont und schmerzhaft« ablehnten (Thoma 2009: 166).
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