August von Kotzebue: Die Indianer in England. Lustspiel in drey Aufzügen. Mit zwölf Kupferstichen von Daniel Chodowiecki. Hg. und mit einem Nachwort von Alexander Košenina

Hannover: Wehrhahn 2015 – ISBN 978-3-86525-457-3 – 14,00 €

Die vorliegende Ausgabe eines der frühen Erfolgsstücke aus der Feder Kotzebues kombiniert einen diplomatischen Abdruck der 1790 bei Paul Gotthelf Kummer in Leipzig erschienenen Erstauflage der Indianer in England mit den von Chodowiecki für den Königlich Grosbritannischen Genealogischen Calender für 1791 gefertigten Kupferstichen. Beides wird vom Herausgeber Alexander Košenina zusammen mit einer von Georg Schatz für die Allgemeine deutsche Bibliothek verfassten Rezension, einem sechseinhalbseitigen Nachwort, einer Auflistung der Ausgaben und Übersetzungen sowie dem Verweis auf insgesamt sieben Titel Forschungsliteratur zu den Indianern in England präsentiert. Auf den Abdruck des originalen Titelblattes folgt ein anonymer Widmungsbrief an »meinen Freund Hueck in Reval«, der folglich nur von Kotzebue stammen kann und sich auf die Uraufführung des Stücks »auf dem Liebhabertheater zu Reval im Februar 1789« bezieht, denn Kotzebue, der nach Ausweis des Personenverzeichnisses bei dieser Aufführung den »Mäster Staff« gespielt hat (8), redet seinen Freund, den »Anwald Hueck« in dessen Rolle als »Mäster Strussel« (ebd.), mit folgenden Worten an: »Lieber Mäster Strussel! Mäster Staff schüttelt Ihm herzlich die Hand« (7). Dieser Bezug auf die Uraufführung leitet bereits zum ersten editorischen Problem der Ausgabe über, denn das Nachwort Košeninas informiert zwar über die Texteingriffe Johann Jakob Engels für die Aufführungen in Berlin, Hamburg und Mannheim (vgl. 113f.), klärt den Benutzer der Ausgabe jedoch nicht darüber auf, ob der vorliegenden Edition Kotzebues ursprüngliche Fassung oder Engels Überarbeitung zugrunde liegt. Wohl angesichts der zahlreichen zeitgenössischen Auflagen und daraus resultierenden geringen Bedeutung der benutzten Erstauflage wird auf die Wiedergabe der dortigen Seitenzahlen verzichtet – dadurch wird aber auch ein Abgleich mit der Forschungsliteratur erschwert, die noch auf dem Druck von 1790 beruht. Dass tatsächlich auf Engels Fassung zurückgegriffen wurde, muss aus einem im Nachwort zitierten Brief Engels geschlossen werden, in dem dieser berichtet: »Eine Scene habe ich dafür wieder hergestellt, worinn die schöne Erzehlung der Gurli von dem Schiksal ihres Vaters vorkommt« (113); eine solche Szene zwischen Gurli und Liddy findet sich in der Edition Košeninas (57-60), weshalb wohl die von Engel verbesserte Version vorliegt. Diese wiederum weicht von Kotzebues ursprünglicher Fassung offenbar in vielen Punkten ab, denn in dem bereits erwähnten Brief äußert Engel: »Der mir gegebenen Erlaubnis nach habe ich darinn noch viel, sehr viel geändert; besonders hat der Samuel und der Visitator herhalten müssen. […] Auch von den Reden des Bootsknechts habe ich Alles vertilgt, was zu wörtlich aus dem Peregrine Pickle entlehnt war« (113). Ein Vergleich der Figur des Bootsknechtes Jack mit der Figur des Hawser Trunnion aus Tobias Smolletts The Adventures of Peregrine Pickle (1751) wäre trotz der von Engel durchgeführten Dissoziierung der beiden Figuren sicherlich nicht zuletzt im Hinblick auf den satirischen Gehalt von Kotzebues Stück und die Rezeption desselben in England, für die Košenina am Ende seines Vorworts ein instruktives Beispiel anführt (119), äußerst ergiebig – auf derartige Spezialprobleme allerdings kann das Nachwort einer schmalen Einzelausgabe natürlich nicht eingehen. Dem Herausgeber geht es denn auch mehr um »den kolonialen Stoff« (Klappentext), mit dem Kotzebue – zumindest teilweise – innovativ verfahre:

Kotzebue befestigt mit seinem Stück eher populäre Bilder, kehrt gängige Perspektiven aber zugleich um. Statt europamüder Naturapostel à la Rousseau, die in exotische Länder und Täler flüchten, um der korrupten und verdorbenen Gesellschaft zuhause zu entkommen, bringt er einen politisch aus seiner Heimat vertriebenen, vermögenden indischen Adligen […] nach England ins legendäre Reich der Freiheit. Hier sind es aber nicht die Immigranten – Vater Kaberdar, Tochter Gurli und Diener Musaffery –, die großzügige Unterstützung finden, sondern sie selbst werden zu Förderern der Familie von Sir John Smith. (115)

Tatsächlich werden die interkulturellen Konflikte und Vorurteile von Kotzebue jedoch bestenfalls am Rande thematisiert, da die eigentliche Stoßrichtung der Komödie die genretypische Verteidigung der Rechte einer jugendlichen Liebe gegen die Standesdünkel der älteren Generation darstellt, wie sie sich in Sir John Smiths Einschätzung Gurlis manifestiert: »Das Mädchen ist gebohren, und zwar Hochwohlgebohren; darunter versteh ich: Gesund mit graden Gliedmaßen. Ein bucklichtes Fräulein, und wenn sie 16 Ahnen hätte, ist in meinen Augen immer tief übel gebohren.« (19) Wenn die deutlich negativ gezeichnete Mistriss Smith ihre Bedenken gegen die Erwählten ihres Sohnes und ihrer Tochter, Fazir und Gurli, zum Ausdruck bringt, von denen sie den einen als »Heyden« bezeichnet (17) und die andere »eine Indianerinn und folglich eine Heidinn« nennt (20), diesen Punkt jedoch sogleich wieder fallen lässt, macht sie von den kulturellen Differenzen letztlich ebenso wenig Aufhebens wie die – ebenfalls negativ gezeichneten – Figuren des Visitators und Samuels. Der Erstere berichtet von Kaberdar: »Er spricht sehr wenig – er kauet Betel – er hat eine große Ehrfurcht vor Kühen; und so oft unsere Stadtherde ausgetrieben wird, empfängt er sie mit tiefen Reverenzen – er badet sich täglich – so oft Neumond oder Vollmond eintritt, theilt er Allmosen aus.« Der Letztere reagiert darauf folgendermaßen:

Bin ich nur erst sein Eidam, so soll der Nebel dieser Narrenpossen vor der Sonne der Vernunft bald zurückweichen. Ich will ihm beweisen, daß eine Kuh nicht mehr Anspruch auf seine Ehrerbietung machen darf, als ein Esel. Ich will ihm beweisen, daß weder im Neumond noch im Vollmond, weder im ersten noch im letzten Viertel, die Vorsicht erlaubt, Allmosen zu geben. (27)

Während der Zuschauer an dieser Stelle eher über den Geiz und die »Vorsicht« des Samuel als über die religiösen Vorstellungen des Inders lacht, ist im folgenden Dialog zwischen dem Visitator und dem Diener Musaffery die Habgier des ersteren, der »Brama« für einen großzügigen Gönner und Verschwender hält, und nicht etwa der vermeintliche Aberglaube des letzteren die Zielscheibe des Spotts (vgl. 30). Eher schon erscheint England als barbarische Fremde, wenn derselbe Diener glaubt, in einem Land, »wo niemand meine Sprache redet, niemand meinen Göttern dienet«, nicht heimisch werden zu können (34); die kulturelle Überlegenheit der indischen Fürstenfamilie wird dann im Dialog Gurlis mit Mistriss Smith besonders deutlich zum Ausdruck gebracht, wenn Letztere sich mit ihren Ahnen, einer obskuren Familie »von Quirliquitsch«, brüstet und in ihrer Leugnung der Existenz indischer »Rajas«, auf die Gurli sich beruft und die Mistriss Smith in »Rüxners Turnier-Buche nachschlagen« will, ebenso disqualifiziert wie in ihrer Behauptung, »daß die Welt erst 1790 Jahre alt ist« (39). Allerdings scheint den Vertretern des indischen Kulturkreises die Anpassung an den europäischen Kulturkreis trotz der Einsicht in deren Notwendigkeit insbesondere dann zu misslingen, wenn sie misogyne Vorurteile beibehalten. Dies könnte jedoch im Sinne eines positiv besetzten Konservatismus auf heimliche Zustimmung beim männlichen Teil des (europäischen) Theaterpublikums abzielen, wenn Kaberdar vor seiner geplanten Heirat räsoniert:

Besinne dich, Kaberdar! du bist nicht in Indien, wo du dein Weib einsperren darfst, wenn sie dir das Leben vergällt; wo sie, ohne deine Erlaubniß nicht einmal das Mittagsbrod an deiner Seite verzehren darf. Du bist in Europa, wo man die Weiber nicht zu Puppen herabwürdigt; wo sie selbst einen Willen haben, und sogar selbst denken dürfen – wenn sie können. (41)

Diese Einstellung der holden Weiblichkeit gegenüber bietet durchaus noch Anlass zum Streit zwischen Kaberdar und Liddy, die ihren Verehrer nach dem Verbleib von dessen bei der Flucht zurückgelassenen Frauen fragt und eine Heirat von dem offiziellen Status Kaberdars als Witwer abhängig machen will. Kaberdar will jedoch seine Ehen in Indien nicht als Hinderungsgrund für eine neue Heirat gelten lassen:

Liebe Liddy! Messen Sie mich doch nicht mit dem Maaßstabe der Europäer. Meine Weiber waren meine Sclavinnen, die ich verstoßen konnte, wenn mir die Lust dazu ankam. Aber gesetzt auch, ich hätte sie geliebt, wie ich – wie ich Sie liebe; was würde ihnen meine Liebe und Treue in einer Entfernung von einigen tausend Meilen frommen? (48)

Liddy lässt sich nach kurzem Widerstand von dieser windigen Argumentation – unterstützt von der Aussicht auf den Besitz des von ihr mit begehrlichen Blicken betrachteten Gutes Roggershall – überzeugen und willigt in die Ehe ein (vgl. 49f.). Dass Gurli ihrerseits sich der Sitte des Siezens verweigert (vgl. 23, 39) und in ihrer Naivität zunächst Liddy und dann Musaffery heiraten will (vgl. 36), bevor sie sich zuerst aus Gefallsucht Liddy gegenüber für Samuel und später aus Neigung für Robert entscheidet, kennzeichnet sie zwar als unverbildetes Naturkind, hat mir ihrer Herkunft aus einem anderen Kulturkreis jedoch herzlich wenig zu tun; es sind gerade ihr Vater Kaberdar, der Diener Musaffery und zuletzt auch ihr Bruder Fazir, die ihr die weniger als europäische denn als globale präsentierten Umgangsformen nachdrücklich vermitteln (vgl. ebd.). Kotzebue stellt beide Zivilisationen als weitgehend gleichberechtigt dar, was natürlich nicht zuletzt an der zeitgenössischen Begeisterung für die indische Kultur liegt, auf die Košenina in seinem Nachwort auch verweist (vgl. 115). Dies zeigt sich am deutlichsten in der Frage nach der verschiedenen Religion der (vermeintlichen) künftigen Eheleute, die Kaberdar Liddy gegenüber als ersten Einwand erstaunlich schnell ausräumen kann:

Liddy. (schlägt die Augen nieder, nach einer Pause) Sie sind also kein Christ?

Kaberdar. (stutzt, nach einer Pause) Es ist nur ein Weg zum Himmel, der Weg der Tugend.

Liddy. Dieser Weg führt durch die christliche Kirche.

Kaberdar. Unsere Braminen sagen: er führe durch die Pagoden; doch dem sey wie ihm wolle, an Ihrer Hand werde ich mich davon nie entfernen. – Nun Miß, noch mehr Einwürfe; ich höre sie gern; und beantworte sie gern. (48)

Ganz hält Kotzebue diese unparteiische Sicht auf beide Religionen jedoch nicht durch: Als Gurli, die selbst an dem Entschluss zweifelt, ihren Vater nach seiner Einwilligung zu ihrer Ehe fragt, antwortet dieser – obgleich er sonst beständig seine »Götter«, »Wischenus Paradies«, die »Göttin Sarasuadi«, den als »Gott der Liebe« bezeichneten »Manmadin« im Munde führt (33), aber auch von »Nirudi, dem Könige der Teufel«, spricht (41) – nicht nur inhaltlich, sondern insbesondere auch durch die Verwendung der entsprechenden Floskeln wie ein prototypischer aufgeklärter Christ des späten 18. Jahrhunderts: »In Gottes Namen! es ist dein freyer Wille, deines Vaters Segen, und – so Gott will – ein guter Engel sey mit dir!« (83) Die koloniale Problematik ist in den Indianern in England ebenso wenig ein Gegenstand ernsthafter Kritik wie die kulturelle Differenz, wenn Kaberdar bereits eingangs darüber klagt, dass zu seiner Zeit als Nabob von Mysore »Europäer und Indier meine blühende Provinz verwüsteten, und heilige Pagoden entweihten« (32): So ebnet er auch an dieser Stelle (wie im gesamten Stück) den Unterschied zwischen den Angehörigen der beiden Zivilisationsformen selbst im direkten Konflikt miteinander ein. Wenn Košenina feststellt, dass »[m]it Gurli […] ein neuer Frauentypus in die koloniale Literatur« eintritt, und ihr neben der spontanen und intuitiven Naivität vor allem die aktive Rolle in ihrem Streben nach persönlichem Glück zuspricht (118), verweist er daher zu Recht auf die Besonderheit in Kotzebues Drama, das nicht darauf abzielt, »die Sehnsucht des europäischen Mannes nach unverstellter, naturbelassener edler Einfalt und armer Unschuld« zu befriedigen, aber auch keine Auseinandersetzung mit der fremden Kultur sucht, sondern den Zuschauer durch eine »Überfülle an Umkehrungen und Verzeichnungen« zum Lachen bringen möchte (ebd.).

Heiko Ullrich