»Nackt wie ein heiliger Türke«

Textuelle Mehrsprachigkeit in der polnischen Literatur in / aus Deutschland

Renata Makarska

Abstract

The article deals with textual multilingualism in the works of Polish- and German-speaking authors who emigrated from Poland to Germany in the 1980s. »Textual multilingualism« is defined as a coexistence of several languages in one text (after Petr Mareš). This phenomenon has been of great interest to academic research for about twenty years now, also under the names of heterolingual writing, intratextual multilingualism or exophony. The article examines the forms and functions of such textual multilingualism in the case of Germany-based Polish literature as well as its creative potential. The characteristics of heterolingual writing typical for particular authors are also analysed.

Title:

Textual Multilingualism in Polish Literature Written in / from Germany

Keywords:

heterolingual writing; multilingualism; Polish emigration to Germany

»Nackt wie ein heiliger Türke kam Antek am frühen Morgen, im braunen Licht der Dämmerung in Bartoszyce an« (Becker 2003: 21), heißt es zu Beginn eines der ersten Kapitel im Roman Kino Muza von Artur Becker. Der Chamisso-Preisträger von 2009 erlaubt sich mit diesem Satz einen kleinen Scherz und Kulturtransfer zugleich, denn ganz ohne Vorwarnung liefert er eine Lehnübersetzung des polnischen Sprichwortes »goły jak święty turecki«. Dieser Spruch geht höchstwahrscheinlich auf eine Passage der berühmten Reisebeschreibung Hierosolymitana peregrinatio (Juengst geschehene Hierosolimitanische Reise)1 von Mikołaj Krzysztof Radziwiłł (1601) zurück und meint türkische Asketen und Mystiker (Derwische), die der polnische Adelige im Nahen Osten zu sehen bekam. »Nackt wie ein heiliger Türke« (bzw. wie ein türkischer Heiliger) heißt im Polnischen bis heute so viel wie »vollkommen mittellos sein«.

Unter anderem mit dem Phänomen der Lehnübersetzung und -übertragung befasse ich mich in der Erforschung der »textuellen Mehrsprachigkeit«; diesen Begriff verwende ich nach Petr Mareš (»textová vícejazyčnost«, Mareš 2003; vgl. auch 2012) und verstehe ihn als einen Gegenpol (aber nicht Gegensatz) zur »literarischen Mehrsprachigkeit«. Es gibt nämlich sowohl mehrsprachige Autorinnen / Autoren als auch mehrsprachige Texte, bzw. mehrsprachige Autorinnen / Autoren müssen sich nicht unbedingt für einen Sprachwechsel entscheiden, sie können durchaus eine Koexistenz mehrerer Sprachen in einem Text wählen. Eine solche Sprachmischung innerhalb eines Textes kann, laut Dieter Lamping, »das sichtbarste Zeichen eines interlingualen, interliterarischen und interkulturellen Dialogs« sein (Lamping 1996: 45).

Das Phänomen der »textuellen Mehrsprachigkeit« wird in den letzten Jahrzehnten erneut (intensiv) erforscht, und zwar im Zuge des Interesses für Migration und Globalisierung der Kulturen; die Bandbreite der Begrifflichkeiten, die es jedoch zu erfassen versucht, ist ungewöhnlich groß: vom »heterolingualen Schreiben« (Sternberg 1981; vgl. auch Kilchmann 2012a: 11) über die »textinterne Mehrsprachigkeit« (Kremnitz 2004) und die »Mischsprachigkeit« (Knauth 2004) bis hin zur »Exophonie« (Arndt / Naguschewski / Stockhammer 2007). Das Phänomen der »textuellen Mehrsprachigkeit« gab es aber ›schon immer‹, ich meine hier die altbekannten »Barbarismen«2 oder »Makkaronismen«, vor denen man sich in der Schriftsprache bereits seit der Antike und erneut in der Aufklärungszeit zu schützen hatte.3 Die »textuelle Mehrsprachigkeit« im Fall der polnischen Autoren in / aus Deutschland hängt nicht nur mit dem Phänomen der Migration und Globalisierung zusammen, sondern auch mit der Tradition des heterolingualen Schreibens in Literaturen, die in polyethnischen Regionen entstehen.

Die »polnische Literatur in / aus Deutschland«, das zweite Element meines Titels, stellt einen Arbeitsbegriff dar, der sowohl die deutschsprachigen Werke als auch die polnischsprachige Literatur der Autoren, die in den 1980ern aus Polen nach Deutschland migriert sind, umfasst. Die damalige Solidarność-Exilwelle hat ca. 100.000 Migranten nach Deutschland gebracht4, darunter auch (künftige) Schriftsteller/-innen. Im Unterschied zu früheren polnischen Migrations- bzw. Exilwellen nach Deutschland (u.a. Ruhrgebiet, Hamburg) konzentrierte sich die Welle der 80er Jahre auf Westberlin. Auf den ersten Blick kann der Begriff als irreführend erscheinen, denn man kann z.B. Artur Becker, der 1985 aus Polen bzw. aus Masuren nach Deutschland emigrierte und seitdem konsequent auf Deutsch schreibt, nicht ohne Weiteres zum polnischen Autor erklären und seine Literatur zur polnischen Literatur. Jedoch auch das Phänomen der sog. interkulturellen Literatur in Deutschland ist eine wissenschaftliche Konstruktion; der Begriff stellt zum Teil ein Politikum dar, denn gemeint ist damit lediglich die deutschsprachige Literatur und nicht diejenige, die in Deutschland in den Muttersprachen der jeweiligen Migranten / Migrantinnen entsteht.5 Im Fall meines Arbeitsbegriffs der »polnischen Literatur in / aus Deutschland« sind sowohl Werke der Autorinnen / Autoren nach dem Sprachwechsel (wie Artur Becker, Magdalena Felixa, Dariusz Muszer oder Paulina Schulz)6 als auch die polnischsprachigen Publikationen der in Deutschland lebenden Schriftsteller / -innen (u.a. Natasza Goerke, Brygida Helbig, Krzysztof Niewrzęda, Janusz Rudnicki)7 gemeint. Werke, die ich zur »polnische[n] Literatur in / aus Deutschland« zähle, sind – unabhängig von der Sprache – konsequent am Vertexten der Migrationserfahrung beteiligt: an der Begegnung mit dem Fremden bzw. der Auseinandersetzung mit dem Eigenen.

Im Folgenden befasse ich mich mit verschiedenen Arten der »textuellen Mehrsprachigkeit« in der »polnischen Literatur in / aus Deutschland« am Beispiel dreier Autoren (Artur Becker, Dariusz Muszer und Janusz Rudnicki) und frage nach potentiellen Unterschieden in der Verwendung des Mehrsprachigen in deutsch- und polnischsprachigen Texten. Dabei formuliere ich die These, dass die polnischsprachigen Werke viel offensichtlicher und kreativer mit der textuellen Mehrsprachigkeit umgehen als die deutschsprachigen.

1. Erforschung des Mehrsprachigen

Für eine Eskalation des Mehrsprachigen in der deutschen interkulturellen Literatur der letzten Jahrzehnte kann zweifelsohne Feridun Zaimoğlus Kanak Sprak (1995) gehalten werden, das sich nicht nur gut verkaufte, sondern auch eine Reihe von literaturtheoretischen Texten provozierte, die sich mit der Multilingualität der Literatur befassten (vgl. Bogdal 2004; Skiba 2004). Die Produktion von und das Forschungsinteresse an mehrsprachigen Texten (egal, ob es sich um künstliche oder natürliche Sprachen handelt, die Grenzen dazwischen werden oft verwischt, vgl. hierfür u.a. Kilchmann 2012b: 111) ist zwar kein neues Phänomen der Zeit der Globalisierung, aber deren Produktion und Erforschung haben in dieser Zeit deutlich zugenommen.

Mit der »textuellen Mehrsprachigkeit« befassen sich gleichermaßen Literatur- und Kulturwissenschaftler/-innen wie auch Linguistinnen / Linguisten; unter den Letzten möchte ich vor allem den Prager Linguisten und Kommunikationswissenschaftler Petr Mareš (vgl. Mareš 2003 sowie 2012) sowie den Potsdamer Slavisten Peter Kosta hervorheben, der das Mehrsprachige in Osudy dobrého vojáka Švejka za světové války (Die Schicksale des braven Soldaten Schwejk während des Weltkrieges8) analysiert hat (Kosta 1986; 1989). Die Untersuchungen laufen häufig parallel zueinander und das Phänomen wird – wie bereits erwähnt – unterschiedlich benannt: Monika Schmitz-Emans entscheidet sich für die Termini »multilinguale Literatur« (Schmeling / Schmitz-Emans 2002) und die »Vielsprachigkeit der Literatur« (Schmitz-Emans 2004); im Kontext der interkulturellen Literatur spricht Alfons Knauth (2004) von der »Mischsprachigkeit«; Elke Sturm-Trigonakis (2007) verwendet in Bezug auf »hybride Literaturen« und die Konstruktionen einer »Neuen Weltliteratur« den Terminus »literarische Multilingualität in hybriden Texten«; Arndt, Naguschewski und Stockhammer (2007) sprechen in ihrem Band Exophonie von der »Anders-Sprachigkeit« und weisen darauf hin, dass sie wahrscheinlich nicht mehr eine Ausnahme von der Regel ist, sondern die Regel selbst: Die Autorin / Autoren befassen sich mit »sprachlichen Gemengelagen, Gemengselsprachen, gebrochenen Sprachen, Palimpsesten, translingualen Schreibweisen und Kreolisierungen« (ebd.: 27); die textuelle Mehrsprachigkeit wird zudem in Texten erforscht, die aus polykulturellen Regionen stammen, in Bezug auf Literatur aus Istrien verwenden daher Johann Strutz und Peter Zima (1996) den Terminus »literarische Polyphonie« (Strutz / Zima 1996 sowie Strutz 1996).

Bevor ich zu den angekündigten Analysen übergehe, möchte ich die häufigsten Formen und Funktionen der textuellen Mehrsprachigkeit vorstellen, die (nicht nur) in den Texten der interkulturellen Literatur zu finden sind, sondern auch in der Literatur aus polykulturellen Regionen (z.B. Zentraleuropa) vorkommen. Ich unterscheide hierbei vier Grundformen der textuellen Mehrsprachigkeit:

  1. Zitat aus einer Fremdsprache (»Barbarismus«) – neben den Eigennamen werden hier auch Bezeichnungen für typische kulturelle Eigenschaften verwendet:
    • »In unmittelbarer Nähe des Kinos Zryw befand sich das kleine Café Wenecja« (Becker 2010: 37),
    • »Kapitel 12: Die Rückkehr der Astronomie, ›Stummes Kino‹ und poczekalnia« (ebd.: 201).
  2. Parallelität der Sprachen – eine konkrete Aussage wird in zwei oder mehr Sprachen wiederholt, wodurch sie sich selber erklärt:
    • »Strzeż się pociągu! / Sterehty sia pojizdu! / Achtung auf den Zug! / Sama la trenu!« (Wittlin 1991: 52).
  3. »Hybride Sprachen« – die Sprachen werden vermischt und vermengt, die Vermischungen betreffen das ganze Sprachsystem, nicht nur die Flexion, sondern auch die Wortbildung:
    • »zgłosiło się dwóch […] arszlochów« (Muszer 2008: 49),
    • »Ordnung! zu Befehl! Habt Acht! Halts Maul! […] Für Gott und Kaiser! Dreck! Garde à vous, merde à vous, merde perdue, smerdy-perdy w kukurydzy nesery […], égalité, […] liberté, bękarté, fajdanite« (Vincenz 2003: 309).
  4. 4. Verbindung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit – fremdsprachige Zitate werden in gesprochener Form wiedergegeben:
    • »– Helou! – Głos Profesora. Pauza. – Nou, hi uent tu Manhattan. – Pauza. – Aj dont nou. – Pauza. – Baj« (Redliński 1994: 34),
    • »Jako všystkie domy jej žyča, jako všystkie domy, kture sie na Šlonsku v ten čas přeistočaly v vygřonzle groby« (Vrak 1998: 21).9

Auch bei der Aufschlüsselung der Funktionen einer »textuellen Mehrsprachigkeit« gibt es unterschiedliche Ansätze. Schmitz-Emans (2004: 204) betont ihre ludistischen Aspekte, weist aber vornehmlich auf ihren außersprachlichen und außerliterarischen Kontext hin: auf die zeitkritischen und antihegemonialen Funktionen. Laut Sturm-Trigonakis (2007: 144) bewirkt das Mehrsprachige wiederum eine »Entautomatisierung der Sprache«. Eine ähnliche Diagnose stellte bereits die polnische Forscherin Stefania Skwarczyńska in ihrem 1937 publizierten Aufsatz über »die Ästhetik des Makkaronismus«10, indem sie das Mehrsprachige (noch Makkaronismus genannt) für eine »raffinierte Protestform gegen eine […] unerträgliche Höflichkeit der Sprache« hielt (Skwarczyńska 1937: 342). Andere Forscher/-innen, z.B. András Horn (1981), untersuchen vor allem die »ästhetischen Funktionen der Sprachmischung«. All diese Funktionen werden unterschiedlich verteilt in den hier analysierten Texten sichtbar sein.

In Bezug auf die mich hier interessierenden Texte, d.h. die interkulturelle Literatur in Deutschland mit ostmitteleuropäischen Wurzeln, speziell die polnische Literatur in / aus Deutschland, muss noch auf den Forschungsansatz von Dirk Uffelmann hingewiesen werden: »Mit Makkaronismen, die geflügelte Worte werden, findet ein Import aus der (in unserem Fall) slavischen Herkunftssprache in die Mehrheitssprache (hier das Deutsche) statt, die durch den Normenverstoß kreativ deformiert wird« (Uffelmann 2003: 299). Diese »kreative Deformation« kann verschiedene Funktionen haben, wie der Forscher in einer späteren Studie zeigt, und zwar kann sie auch einem Akt der »Selbstorientalisierung« dienen (vgl. Uffelmann 2009). In einem solchen Fall erfolgt eine Übernahme von orientalisierenden Fremdstereotypen in der Funktion der Autostereotypen: Das beste Beispiel hierfür liefert der in Berlin von polnischen Migranten gegründete Club der polnischen Versager.11

2. Fallbeispiele

2.1 Janusz Rudnicki: Herr Rudniki

Bereits in den ersten Kurzformen Janusz Rudnickis12, des am längsten in Deutschland lebenden polnischen Autors der Exilwelle der 80er Jahre, hat sich sein Verhältnis zu der zweiten Sprache herauskristallisiert. Ob in Można żyć (Es lässt sich leben, 1992) oder im Band Cholerny świat. Listy z Hamburga (Rudnicki 1994, Verdammte Welt. Die Briefe aus Hamburg), die Sprache spielt eine wichtige Rolle als ein Element der beschriebenen Welt, durch die der Erzähler wie ein Picaro zieht und nicht nur sprachliche, sondern auch gesellschaftliche Grenzen überschreitet (die Grenzen der politischen Korrektheit) (Makarska 2013b).

Sein Protagonist heißt in der Regel Janusz Rudnicki und wohnt in Deutschland bzw. pendelt zwischen Deutschland und Polen: »Mieszkam w Hamburgu, Coselstrasse numer trzy, piąte piętro. Nazywam się Janusz Rudnicki a Uschi Warner nazywa się Uschi Warner«13, heißt es z.B. in der Erzählung »Trzecia w prawo i druga w lewo od księżyca« (Die dritte rechts und die zweite links vom Mond).

Die Vertrautheit mit der personellen Ausstattung dieser Erzählung(en) überträgt sich auch auf die Vertrautheit mit der Zweitsprache. In den erwähnten Kurzformen wird die textuelle Mehrsprachigkeit meistens im Fall von Dialogen verwendet, wobei das Deutsche häufig (meistens bei der Ersterwähnung) erklärt oder paraphrasiert wird. Rudnicki liefert das Mehrsprachige also nicht nur als ein Element des Lokalkolorits; durch die Parallelität der Sprachen wird es für den Leser / die Leserin verständlich und nachvollziehbar. Häufig wird das Fremdsprachige der Gesprächssituation betont:»–Darf ich dich etwas fragen? to jest, czy mogę cię o coś spytać?« (Rudnicki 1994: 125). Dieses Gespräch wird sichtbar auf Deutsch geführt und für den Leser sofort gedolmetscht. Dies ist eine Strategie, die Rudnickis Erzähler dem Leser oft anbietet:

  1. »Gut gelaunt sind Sie heute, powiedział do mnie sprzedawca, czyli że mam dobry humor« (ebd.: 115)14,
  2. »Nie mam czasu, niestety, nie mam czasu, ich arbeite, wissen Sie, ich schreibe! Pracuję, piszę, nie mam czasu! Mogę przyjść innym razem? Nein, nie, nie wiem, jestem bardzo zajęty, auf Wiedersehen!« (ebd.: 116)15,
  3. »Hallo, wer ist da, bitte, mówię do domofonu, halo, kto tam?« (Ebd.: 122)16

Einerseits sollen die deutschen Einsprengsel oder Redewendungen auf die Fremdsprachigkeit der Gesprächssituation hinweisen, andererseits werden beide Sprachen gleichzeitig beobachtet und auf ihre Ausdrucksstärke hin kommentiert. In einer Passage beklagt sich »Rudnickis« Gesprächspartnerin (Uschi), dass sie so »alleine«, so »einsam« ist. Nicht dieser Zustand weckt die plötzliche Aufmerksamkeit des Erzählers, sondern der sprachliche Ausdruck: »– Dlaczego, dlaczego do cholery, jestem taka samotna! […] Nie mówię nic, palę i czekam. Zastanawiam się, dlaczego Ich bin allein – brzmi dla mnie bardziej naturalnie, bardziej przekonywająco niż polskie: jestem samotna, nie mówiąc już o: jestem taka samotna« (ebd.: 124). (»– Warum, warum zum Teufel bin ich so allein! […] Ich sage nichts, rauche und warte. Und überlege, warum ›Ich bin allein‹ für mich natürlicher und überzeugender klingt als das polnische jestem samotna, geschweige denn: jestem taka samotna, ich bin so allein.«17)

Deutsche Zitate gibt es auch jenseits der Dialoge, die Parallelität der Sprachen, die sich zuvor in eine Sprachkritik verwandelt hat, wird jetzt zur Kulturkritik:

Nienawidzę tego ich Tschues, wymawianego śpiewnie dwiema sylabami. Starzy i młodzi urzędnicy i petenci, wszyscy cmokają się tu tym słodkim, mdławym Tschue-us, które zniwelować ma wiekowe i służbowe bariery. […]

Kaffee und Kuchen to drugie hasło[,] na które dostałem uczulenie. »Kawa i ciasto« zdobi tu zaproszenia, plakaty i afisze wszelkiego rodzaju imprez, najczęściej samodzielnych inicjatyw obywatelskich. […] »Kawa i ciasto« mają niczym nić Ariadny wyprowadzić nas z cywilizacyjnego labiryntu, Kaffee und Kuchen urasta tu do religijnego wymiaru (ebd.: 137f.).

(»Ich hasse dieses Tschuess, das singend zweisilbig ausgesprochen wird. Alte und junge, Beamte und Bittsteller, alle beschmatzen sich hier mit dem süßlichen, schalen Tschue-uss, das Alters- und Dienstbarrieren überwinden soll. […]

Kaffee und Kuchen ist die zweite Parole, auf die ich allergisch bin. ›Kaffee und Kuchen‹ ziert hier die Einladungen, Plakate und Ankündigungen zu allen möglichen Veranstaltungen, meistens sind das unabhängige Bürgerinitiativen. […] ›Kaffee und Kuchen‹ soll uns wie der Ariadnefaden aus dem zivilisatorischen Chaos hinausführen, Kaffee und Kuchen bekommt eine religiöse Dimension.«18)

2.2 Der Fall Artur Becker

In Artur Beckers19 deutschsprachiger Prosa – der Autor hat bis 2015 sieben Romane und zwei Erzählbände publiziert – findet man in den Dialogen selten polnische Passagen; in der Regel aber einzelne polnische Namen (auch Markennamen) oder Redewendungen in der meistens auktorialen Narration. In den von mir für die Analyse ausgewählten Kino Muza (2003) und Der Lippenstift meiner Mutter (2010) sind das des Weiteren Zitate aus polnischen Liedern oder Lehnübersetzungen, die auf die polnische Realität der 1980er Jahre rekurrieren. Im Unterschied zu Rudnicki wird bei Becker nicht alles Fremde erklärt, in Kino Muza werden polnische Einsprengsel oft kommentarlos (obwohl meistens kursiv hervorgehoben) in den Text aufgenommen, z.B. Wolna Europa oder Markennamen wie Bałtycka. Nur manchmal ergibt sich die Bedeutung durch die Parallelität der Sprachen, ähnlich wie bei Rudnicki: »Geh wieder nach Bremen zurück! Flieg meinetwegen nach Honkong! Verzieh dich endlich! Dorthin, wo der Pfeffer wächst! Spieprzaj!« (Becker 2003: 179.) In einigen Romanen (Der Lippenstift meiner Mutter sowie Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang) wird den Lesenden ein Glossar zur Verfügung gestellt, das nicht nur unbekannte Wörter (»kochanie«, »sarmata« oder »sejm«), sondern auch Eigennamen aus verschiedenen Kontexten (Edward Gierek, Zbigniew Boniek, aber auch Thomas Merton und Origenes) erklärt.

Beckers Romane – die in der Regel in Deutschland und Polen (d. h. in Masuren) spielen – verwenden oft polnische Vornamen; die Protagonistinnen / Protagonisten heißen Teresa, Antek, Beata, Eliza usw., manchmal sogar »Pani Eliza«. Manche Nachnamen werden mit den polnischen diakritischen Zeichen (Brzeziński), andere wiederum phonetisch wiedergegeben (Schtschurek und Tschossnek; siehe Becker 2010: 67). Polnischsprachig bleibt auch die Topographie, nicht nur Städte oder Flüsse werden polnisch benannt (die Handlung spielt oft in Dolina Róż, im Roman auch Rosenthal genannt), sondern auch Straßen, selbst wenn es sich dabei um eine Karl-Marx-Straße handelt: In Der Lippenstift meiner Mutter verwandelt sie sich in eine Karol-Marks-Straße (ebd.: 29).

Wahre »Spezialitäten« in Beckers Stil sind die zu Anfang erwähnten Lehnübersetzungen und der Umgang mit ihnen. Sie können entweder versteckt sein – so weisen sie dann nur signalhaft auf die Existenz der doppelten sprachlichen Identität der Romanfiguren hin – oder deutlich markiert und kommentiert, wie es in Beckers Prosa oft vorkommt. An einer Stelle wird in Kino Muza eine solche Redewendung markiert und kommentiert; Antek Hak, der im Übergangslager Friedland zu einem Deutschen »gemacht wurde« (und seitdem Arnold Haack heißt), behauptet in einem Bewerbungsgespräch, er sei ein Deutscher (vgl. Becker 2003: 239). Im gleichen Moment muss er »an ein Sprichwort aus seiner ersten Muttersprache« (ebd.) denken: »Aus dir – Haack – kann man genauso einen Deutschen machen wie aus einem Ziegenarsch eine Trompete!«20

Solche Satzentlehnungen bleiben ein festes Element der Romansprache, sie werden nicht kommentiert oder erklärt, sie weisen auf das Andere und Fremde hin, sie lassen das Fremde zu. Sie sind ein Abdruck des Zusammenspiels verschiedener Kulturen in einer Gesellschaft. Das Nichterklären und Nichtübersetzen von fremden Zitaten ist für viele Autorinnen / Autoren charakteristisch. »Gerade das Nichtverstehen der Texte wird […] auf eine Weise für das Verständnis einer fremden Kultur fruchtbar gemacht«, berichtet über ähnliche Verfahren der Literatur in Barcelona Ute Heinemann (1998: 115).

2.3 Muszer EINS und ZWEI

Zitate, Eigennamen, einzelne polnische Redewendungen finden sich selten in Dariusz Muszers21 Debütroman Die Freiheit riecht nach Vanille aus dem Jahr 1999. Muszers Eigenart ist etwas anders: Rudnicki verwendete oft sprachliche Parallelismen, Becker hatte ›seine‹ Lehnübersetzungen, für Muszer scheinen Delexikalisierungen typisch zu sein. Der erste Satz des Romans lautet: »Ich bin das kleinste schwarze Arschloch im Universum«. Und weiter: »Seit meiner Geburt verschlinge ich alles, was mir in die Finger kommt, sogar mich selbst« (Muszer 1999: 5). Gemeint ist damit – obwohl es bei der ersten Lektüre nicht ganz nachvollziehbar ist – »ein Loch, das verschlingt«, ein personalisiertes »Schwarzes Loch« also, das aber zugleich aufgrund seines unangenehmen Charakters »Arschloch« genannt wird. Der Satz wird möglicherweise klarer in der polnischen Variante des Textes, der 2008 veröffentlichten Selbstübersetzung Wolność pachnie wanilią: »Jestem najmniejszą Czarną Dziurą w zadku kosmosu« (Muszer 2008: 7; ich bin das kleinste Schwarze Loch im Hintern des Kosmos), wobei die Konstruktion »zadek kosmosu« (der Hintern des Kosmos) vor allem als eine (räumliche) Metapher verstanden werden soll.

Ich möchte noch ein zweites Beispiel einer solchen Delexikalisierung zeigen. Der Erzähler berichtet an einer Stelle über Hannovers Stadtviertel Sahlkamp: »Mit Recht kann man behaupten, dass der liebe Gott Sahlkamp am zehnten Tag seiner Tätigkeit als Schöpfer schuf. Er war bestimmt hundemüde, und deswegen ist sein Werk ziemlich in die Hose gegangen. Buchstäblich. Die Häuser dort sehen bekackt aus« (Muszer 1999: 164).

Das Bild eines göttlichen Schöpfers, der nicht mehr der Weltenarchitekt ist, sondern erfolglos bleibt und sich zusätzlich sogar in die Hose macht, ist drastisch. Ebenso erbarmungslos ist die negative Wahrnehmung des Stadtviertels.

Ich spreche hier über Muszer eins und zwei, denn einmal handelt es sich um den Autor (bzw. den Originaltext) und das zweite Mal um den Übersetzer (bzw. die [Selbst-]Übersetzung). Muszer tritt in beiden Rollen auf.22 Nach Dieter Lamping lassen sich Selbstübersetzungen in drei Gruppen aufteilen: als publikums-, autor- und werkbezogene (Lamping 1992: 214). Entsprechend können sie auch drei Formen annehmen: Vermittlung, poetische Sprachübung sowie Fortschreibung des Originals. Im ersten Fall wird der Text an ein Publikum gerichtet, das der Sprache des Originals nicht mächtig ist, im dritten wird er im Laufe der Übersetzung verändert und um- oder fortgeschrieben, die Übersetzerin / der Übersetzer genießt hier zusätzlich die (schöpferische) Macht als Autor/-in. (Im zweiten Fall ist die Übersetzung nur ein Vorwand für eigene poetische Übungen.) Während sich die Übersetzung im Fall einer Vermittlung sehr eng am Original hält, darf sich die Fortschreibung weit von dem Ausgangstext entfernen, entfalten und verändern. Im Fall der Selbstübersetzungen von Dariusz Muszer möchte ich vom Prozess sowohl der Vermittlung als auch Fortschreibung und selbstverständlich von einer poetischen Sprachübung sprechen.

Bei der interkulturellen Literatur bleibt die Translation immer auch ein Prozess der kulturellen Übersetzung. Laut Bachmann-Medick (1997) sind für eine solche Translation die Betonung der Andersheit und Fremdheit der dargestellten Kultur charakteristisch. Insbesondere bei Muszers Selbstübersetzung gehen die Experimente mit der Verfremdung (bzw. »der kreativen Deformation«) des Polnischen sehr weit. Neben der Einführung deutscher Lexeme in den polnischen Text23 werden auch deutsche Redewendungen wörtlich ins Polnische übertragen und kommentiert. An einer Stelle, wo über das Leben jenseits der Heimat berichtet wird, heißt es: »mit der Zeit [geht es] an die Nieren und aufs Herz, sofern jemand eines hat« (Muszer 1999: 35). Anstatt den Satz bedeutungsgemäß ins Polnische zu übertragen, entschließt sich der Autor / Übersetzer zum wörtlichen Kopieren der Redewendung (Lehnübersetzung) und zum anschließenden Kommentar: »Z czasem idzie ono człowiekowi mocno na nerki, jak mówią tubylcy« (Muszer 2008: 30). »Jak mówią tubylcy«, »wie die Hiesigen sagen«, ist eine Formel, die im Roman immer wieder erlaubt, Einbrüche der fremden Kultur und Sprache in den nun polnischen Text zu gewähren.

An vielen Stellen wird das Polnische bewusst verzerrt und verfremdet, indem relativ viele Lehnübersetzungen aus dem Deutschen benutzt werden. Ich nenne nur einige davon:

Die klassischen Lehnübersetzungen fallen vor allem durch die Beibehaltung des deutschen Verbs (»egzystuje«, »zameldujemy się«) auf, im Normalfall werden sie als grobe Fehler wahrgenommen. Es zeigt sich an diesem Beispiel, dass Muszer im polnischen Text viel freier und kreativer vorgeht als in seinem deutschen Debüt, das relativ einsprachig gehalten wird. Im Deutschen überschreitet Muszers Erzähler selten sprachliche Grenzen, deutlich häufiger die Grenzen der politischen Korrektheit (vgl. Makarska 2013b). Im Polnischen erlaubt er sich eine »linguistische Anarchie«, um die Verfremdung und die Deformation der Sprache einer Migrationssituation zu zeigen.

An vielen Stellen erweist sich diese Vorgehensweise als eine Konzeption, die nur im Fall einer Autotranslation überhaupt möglich ist, denn sie bedeutet einen weitgehenden Eingriff in den Text und bildet ein Beispiel des Fortschreibens eines literarischen Textes.

Fazit

Der Fall der »polnischen Literatur in / aus Deutschland« zeigt deutlich, wie eng die literarische Mehrsprachigkeit mit dem Phänomen der textuellen Mehrsprachigkeit zusammenhängt. Nach der Zeit von Stanisław Przybyszewski (1868-1927) und Tadeusz Rittner (1873-1921) (vgl. z.B. Łuczyński 1982; Milanowski 1999; Simonek 1999) hat die polnische Kultur wieder Beispiele einer Selbstübersetzung. Die polnische Literatur in / aus Deutschland, sowohl die deutsch- als auch die polnischsprachige, bildet ein interkulturelles Phänomen: Nicht nur die Protagonistinnen / Protagonisten gehören zu zwei und mehr kulturellen Welten, sondern auch die Sprache. Oft werden Zitate aus der ersten / zweiten Sprache verwendet, die Romane bedienen sich sprachlicher Parallelismen, hybrider Wörter, Lehnübersetzungen oder Delexikalisierungen, die entweder nur von dem (deutsch-polnischen) zweisprachigen Publikum verstanden oder als eine Sprachverfremdung wahrgenommen werden. Die Sprachspiele erfüllen jedoch nicht nur ästhetische Funktionen, sie führen nicht nur zu einer Entautomatisierung der Sprache, sondern sind auch oft ein Mittel der Sprach- und Kulturkritik. Die textuelle Mehrsprachigkeit in den hier präsentierten Texten weist häufig auf die Andersheit oder Fremdheit der beschriebenen Welten hin.

Bisher war ein solcher »Multisprech«24 vorwiegend ein Gegenstand der linguistischen Forschung. Seit einigen Jahrzehnten befasst sich die Kulturwissenschaft ähnlich intensiv mit diesem Phänomen. Auch für die Übersetzungswissenschaft bleibt es eine wesentliche Frage: Wie geht man mit einer solchen textuellen Mehrsprachigkeit bei der Übertragung eines literarischen Textes vor? Mit der Selbstübersetzung Wolność pachnie wanilią liefert Dariusz Muszer hierauf eine extreme Antwort: Die sprachliche Heterogenität ist ein unverzichtbarer Bestandteil der Texte, sie soll auf kreative Weise den Eingang in den übersetzten Text finden.

Anmerkungen

1 | 1601 erschien die lateinische Übersetzung des polnischen Originals Peregrynacja do Ziemi Świętej i Egiptu, 1607 erfolgte die Rückübersetzung ins Polnische, bereits 1603 die Übersetzung ins Deutsche, die als Juengst geschehene Hierosolimitanische Reise in Mainz herausgegeben wurde.

2 | Von dem Begriff der »Barbarismen« geht Stefania Skwarczyńska in ihrem Aufsatz aus (Skwarczyńska 1937).

3 | Was die deutsche Literatur anbelangt, weist Esther Kilchmann auf die Poetiken des 17. Jahrhunderts hin, die zum ersten Mal die Verwendung von ›fremden‹ Wörtern für problematisch hielten. Vgl. Kilchmann 2012b: 109.

4 | Diese Zahl gebe ich nach der Schätzung von Maria Kalczyńska an, die schreibt, dass es 1980 in Deutschland ca. 177.000 Polen mit deutscher Staatsbürgerschaft gab und 1998 schon 283.000 (vgl. Kalczyńska 2002: 387); Kalczyńska berichtet von mehreren Emigrationswellen aus Polen in / nach den 1980er Jahren. Die erste kam gleich zu Beginn der 1980er Jahre, die zweite um die Wende und die dritte in den späten 1990er Jahren.

5 | In Schweden wird die »interkulturelle Literatur« als »Einwandererliteratur« (invandrarelitteratur) im weiten Sinne verstanden. Deswegen unterstützte das schwedische Immigrant Institutet eine Zeit lang auch Publikationen in den jeweiligen Muttersprachen.

6 | Zum Sprachwechsel von Autorinnen / Autoren aus Ostmitteleuropa vgl. u.a. Trepte 1997 und Kliems / Trepte 2004.

7 | Zur polnischsprachigen Literatur aus Deutschland vgl. Zduniak-Wiktorowicz 2010; 2013.

8 | Die deutsche Übersetzung von Grete Reiner ist aus dem Jahr 1926.

9 | Im Roman von Jan Vrak, Obyčejné věci (Gewöhnliche Sachen, 1998), wird an dieser Stelle ein polnischer Text (etwa: »Jak wszystkie domy jej życia, które się na Śląsku w tym czasie zmieniały w puste groby«) mit der tschechischen Orthographie wiedergegeben. Damit die tschechische Leserschaft mit der Mehrsprachigkeit zurechtkommt, liefert der Roman gleich die Übersetzung: »Jako všechny domy jejiho života, které se v Slezsku proměňovaly v tento čas ve vyvržené hroby …« (Vrak 1998: 21). (Wie alle Häuser in ihrem Leben, die sich in Schlesien in dieser Zeit in leere Gräber verwandelt haben …; übers. R.M.). Dazu vgl. auch Makarska 2014.

10 | Als Makkaronisieren versteht man im engen Sinne das Mischen von morphologischen Merkmalen verschiedener Sprachen: Hier werden »an die Wörter einer Sprache Flexionsendungen einer anderen Sprache […] angehängt« (Wiegand 2000: 527), wobei eine der Sprachen im Text als Basissprache, die andere als Komplementärsprache verwendet wird (Trost 1980).

11 | Vgl. http://www.polnischeversager.de/ [Stand: 17.7.2015].

12 | Janusz Rudnicki, geb. 1956 in Kędzierzyn-Koźle, emigrierte 1983 nach Deutschland (Hamburg). Bereits in Deutschland studierte er Germanistik und Slavistik und schrieb seine berühmten Briefe aus Hamburg. Obwohl er seitdem rund neun Buchpublikationen herausgebracht hat, sind lediglich einzelne Erzählungen von ihm ins Deutsche übersetzt worden. Vgl. Rudnicki 2002. »Herr Rudniki« mit einem fehlenden »c« bezieht sich auf die deutsche Aussprache der slavischen Namen, der Buchstabe c wird dabei nicht ausgesprochen.

13 | Rudnicki 1994: 115 (»Ich wohne in Hamburg, Coselstrasse drei, fünftes Obergeschoss. Ich heiße Janusz Rudnicki und Uschi Warner heißt Uschi Warner«; Übers. R.M.). In der einzigen als Buch existierenden deutschen Übersetzung von Rudnickis Erzählungen wird häufig auf das Mehrsprachige verzichtet, wie in der zitierten Erzählung (vgl. Rudnicki 2002: 5-28), daher gebe ich an der Stelle meine eigene Übersetzung an.

14 | In der Übersetzung von Henryk Bereska einfach: »Gut gelaunt sind Sie heute, sagte der Verkäufer« (Rudnicki 2002: 5).

15 | In der Übersetzung von Henryk Bereska: »Ich habe keine Zeit, ich arbeite, verstehen Sie, ich schreibe!« (Ebd.)

16 | In der Übersetzung von Henryk Bereska: »Hallo, wer ist da?« (Ebd.: 9)

17 | Übers. R.M. In der deutschen Übersetzung von Henryk Bereska (Rudnicki 2002) fehlt die ganze Passage.

18 | Übers. R.M. Für die Konsultation der Übertragung danke ich Marlena Breuer.

19 | Artur Becker, geb. 1968 in Bartoszyce (Masuren), lebt seit 1985 in Deutschland, wo er ausschließlich auf Deutsch publiziert (Debüt 1997: Der Dadajsee). Seine Protagonistinnen / Protagonisten, die in der Regel auch in Bartoszyce auf die Welt kamen, leben zwischen Polen (Masuren) und Deutschland. Sie erinnern sich häufig an die 80er Jahre (die Zeit der Solidarność) und die Zeit der Transformation in Polen. 2009 erhielt Becker den Adelbert-von-Chamisso-Preis der Robert-Bosch-Stiftung. Ins Polnische wurden von seinen Romanen Kino Muza (2008) sowie Nóż w wodzie. Pieśń o topielcach (2014; Wodka und Messer. Lied vom Ertrinken) übersetzt. Zur Ästhetik der Prosa von Artur Becker vgl. Prunitsch 2013.

20 | In der polnischen Übersetzung von Dariusz Muszer: »Z ciebie, Haack, tak samo można zrobić Niemca, jak z koziej dupy trąbkę!«, Becker 2008: 134. Es geht hier weniger um eine Trompete als einen Dudelsack (manchmal auch Sackpfeife genannt), der aus Ziegenhaut angefertigt wird.

21 | Dariusz Muszer, geb. 1959 in Górzyca (Lebuser Land), lebt seit 1988 in Deutschland (Hannover). Als Prosaautor debütierte er 1999 mit dem Roman Die Freiheit riecht nach Vanille, den er 2008 selbst ins Polnische übersetzt hat. Danach folgten Der Echsenmann (2001) sowie Gottes Homepage (2007). Muszer ist in beiden Sprachen schriftstellerisch aktiv. Ausschließlich auf Polnisch erschienen Niebieski (2006) sowie Lummick (2009).

22 | Ende 2013 ist auch seine zweite Selbstübersetzung erschienen: Homepage Boga (Gottes Homepage) im Stettiner Verlag Forma: http://www.wforma.eu/219,homepage-boga.html [Stand: 27.2.2014].

23 | Vgl. Original: »da meldeten sich zwei kleine Arschlöcher« (Muszer 1999: 60) und die Übersetzung: »a wtedy zgłosiło się dwóch takich parszywych arszlochów« (Muszer 2008: 49).

24 | Den Begriff verwende ich nach Erfurt 2003.

Literatur

Arndt, Susan / Dirk Naguschewski / Robert Stockhammer (Hg.; 2007): Exophonie: Anderssprachigkeit (in) der Literatur. Berlin.

Bachmann-Medick, Doris (1997): Einleitung: Übersetzung als Repräsentation fremder Kulturen. In: Dies. (Hg.): Übersetzung als Repräsentation fremder Kulturen. Berlin, S. 1-18.

Becker, Artur (2003): Kino Muza. Hamburg.

Ders. (2008): Kino Muza. Übers. v. Dariusz Muszer. Olsztyn.

Ders. (2010): Der Lippenstift meiner Mutter. Frankfurt a.M.

Bogdal, Klaus-Michael (2004): Wo geht's nach Kanakstan? Deutsch-türkische Schriftsteller auf der Suche nach Identität. In: Monika Schmitz-Emans (Hg.): Literatur und Vielsprachigkeit. Heidelberg, S. 237-248.

Erfurt, Jürgen (2003): »Multisprech«: Migration und Hybridisierung und ihre Folgen für die Sprachwissenschaft. In: Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie 65, S. 5-33.

Heinemann, Ute (1998): Schriftsteller als sprachliche Grenzgänger. Literarische Verarbeitung von Mehrsprachigkeit, Sprachkontakt und Sprachkonflikt. Wien.

Henseler, Daniel / Makarska, Renata (Hg.; 2013): Polnische Literatur in Bewegung. Die Exilwelle der 1980er Jahre. Bielefeld.

Horn, András (1981): Ästhetische Funktionen der Sprachenmischung in der Literatur. In: Arcadia 16, S. 225-241.

Kalczyńska, Maria (2002): »Emigracyjni« twórcy polskiej książki i prasy zamieszkali w Niemczech po 1989 roku (próba opisu socjobibliologicznego). In: Bolesław Klimaszewski (Hg.): Emigracja z Polski po 1989 roku. Kraków, S. 386-413.

Kilchmann, Esther (2012a): Mehrsprachigkeit und deutsche Literatur: Zur Einführung. In: Zeitschrift für interkulturelle Germanistik 3, H. 2, S. 11-19.

Dies. (2012b): Poetik des fremden Wortes. Techniken und Topoi heterolingualer Gegenwartsliteratur. In: Zeitschrift für interkulturelle Germanistik 3, H. 2, S. 109-129.

Kliems, Alfrun / Trepte, Hans-Christian (2004): Der Sprachwechsel. Existentielle Grunderfahrungen des Scheiterns und des Gelingens. In: Eva Behring / Juliane Brandt / Alfrun Kliems u.a. (Hg.): Grundbegriffe und Autoren ostmitteleuropäischer Exilliteraturen 1945-1989. Stuttgart, S. 349-392.

Knauth, K. Alfons (2004): Weltliteratur: von der Mehrsprachigkeit zur Mischsprachigkeit. In: Monika Schmitz-Emans (Hg.): Literatur und Vielsprachigkeit. Heidelberg, S. 81-110.

Kosta, Peter (1986): Probleme der Švejk-Übersetzungen in den west- und südslavischen Sprachen. Linguistische Studien zur Translation literarischer Texte. München.

Ders. (1989): Sprachwechsel, Interferenz und Sprachmischung in Hašeks Švejk als translationslinguistisches Problem. In: Walter Schamschula (Hg.): Jaroslav Hašek 1883-1983. Frankfurt a.M., S. 471-512.

Kremnitz, Georg (2004): Mehrsprachigkeit in der Literatur. Wie Autoren ihre Sprache wählen. Aus der Sicht der Soziologie der Kommunikation. Wien.

Lamping, Dieter (1992): Die literarische Übersetzung als de-zentrale Struktur: Das Paradigma der Selbstübersetzung. In: Harald Kittel (Hg.): Geschichte, System, Literarische Übersetzung. Berlin, S. 212-227.

Ders. (1996): Haben Schriftsteller nur eine Sprache? Über den Sprachwechsel in der Exilliteratur. In: Ders.: Literatur und Theorie. Über poetologische Probleme der Moderne. Göttingen, S. 33-48.

Łuczyński, Krzysztof (1982): Dwujęzyczna twórczość Stanisława Przybyszewskiego 1892-1900. Kielce.

Makarska, Renata (2009): Grenzen der Sprachen – Grenzen der Kulturen? Sprachgrenzen und sprachliche Grenzgänger in der Literatur Ostgaliziens. In: Christian Prunitsch (Hg.): Konzeptualisierung und Status kleiner Kulturen. München, S. 293-307.

Dies. (2012): Wie viel Fremdheit (v)erträgt ein Text? Zur Übersetzung von Mehrsprachigkeit. In: Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache 38, S. 170-184.

Dies. (2013a): Mehrsprachigkeit oder Mischsprachigkeit. Ostgalizische Literatur Anfang des 20. Jahrhunderts. In: Alexander Kratochvil / Renata Makarska / Katharina Schwitin / Annette Werberger (Hg.): Kulturgrenzen in postimperialen Räumen. Bosnien und Westukraine als transkulturelle Regionen. Bielefeld, S. 141-163.

Dies. (2013b): Topographie der Emigration. Grenzen und Übergangslager. In: Daniel Henseler / Renata Makarska (Hg.): Polnische Literatur in Bewegung. Die Exilwelle der 1980er Jahre. Bielefeld, S. 133-149.

Dies. (2013c): Sprachwechsel als Übersetzung. Polnische migrierte Literatur und die literarische Mehrsprachigkeit. In: Claudia Dathe / Renata Makarska / Schamma Schahadat (Hg.): Zwischentexte. Literarisches Übersetzen in Theorie und Praxis. Berlin, S. 235-253.

Dies. (2014): Regionalismus, plurikulturalita a vícejazyčnost nové středoevropské literatury. In: Česká Literatura 6, S. 784-800.

Mareš, Petr (2003): »Also: NAZDAR!« Aspekty textové vícejazyčnosti. Praha.

Ders. (2012): Jazykem českým. Studie o vícejazyčnosti v literatuře. Praha

Milanowski, Anna (1999): Czy Tadeusz Rittner był pisarzem polskim czy austriackim? In: German Ritz / Gabriela Matuszek (Hg.): Literarische Rezeption und literarischer Prozess. Zu den polnisch-deutschen Wechselbeziehungen vom Modernismus bis in die Zwischenkriegszeit. Kraków, S. 87-115.

Muszer, Dariusz (1999): Die Freiheit riecht nach Vanille. München.

Ders. (2008): Wolność pachnie wanilią. Übers. v. D. Muszer. Szczecin.

Prunitsch, Christian (2013): Kann man aus Masuren emigrieren? Zur Prosa Artur Beckers. In: Daniel Henseler / Renata Makarska (Hg.): Polnische Literatur in Bewegung. Die Exilwelle der 1980er Jahre. Bielefeld, S. 225-245.

Redliński, Edward (1994): Szczuropolacy. Warszawa.

Rudnicki, Janusz (1994): Cholerny świat. Listy z Hamburga. Wrocław.

Ders. (2002): Der Grenzgänger. Übers. von Ursula Kiermeier, Doreen Daume, Henryk Bereska. Herne.

Schmeling, Manfred / Monika Schmitz-Emans (Hg.; 2002): Multilinguale Literatur im 20. Jahrhundert. Würzburg.

Schmitz-Emans, Monika (Hg.; 2004): Literatur und Vielsprachigkeit. Heidelberg.

Simonek, Stefan (1999): Tadeusz Rittners literarisches Debüt im Rahmen der Wiener Moderne. In: German Ritz / Gabriela Matuszek (Hg.): Literarische Rezeption und literarischer Prozess. Zu den polnisch-deutschen Wechselbeziehungen vom Modernismus bis in die Zwischenkriegszeit. Kraków, S. 87-115.

Skiba, Dirk (2004): Ethnolektale und literarisierte Hybridität in Feridun Zaimoglus Kanak Sprak. In: Klaus Schenk / Almut Todorow / Milan Tvrdík (Hg.): Migrationsliteratur. Schreibweisen einer interkulturellen Moderne. Tübingen / Basel, S. 183-204.

Skwarczyńska, Stefania (1937): Estetyka makaronizmu. In: Prace ofiarowane Kazimierzowi Wóycickiemu. Wilno, S. 337-370.

Sternberg, Meir (1981): Polylingualism as Reality and Translation as Mimesis. In: Poetics Today 2.4, S. 221-239.

Strutz, Johann (1996): Istrische Polyphonie – Regionale Mehrsprachigkeit und Literatur. In: Ders. / Peter V. Zima (Hg.): Literarische Polyphonie. Übersetzung und Mehrsprachigkeit in der Literatur. Tübingen, S. 207-226.

Ders. / Peter V. Zima (Hg.; 1996): Literarische Polyphonie. Übersetzung und Mehrsprachigkeit in der Literatur. Tübingen.

Sturm-Trigonakis, Elke (2007): Global playing in der Literatur. Ein Versuch über die Neue Weltliteratur. Würzburg.

Trepte, Hans-Christian (1997): Zmiana języka w literaturze emigracyjnej pisarzy polskiego pochodzenia. In: Barbara Janowska / Józef Porayski-Pomsta (Hg.): Język polski w kraju i za granicą. Warszawa, S. 124-129.

Trost, Pavel (1980): Der tschechisch-deutsche Makkaronismus. In: Wiener Slawistischer Almanach 6, S. 273-278.

Uffelmann, Dirk (2003): Konzilianz und Asianismus. Paradoxe Strategien der jüngsten deutschsprachigen Literatur slavischer Emigranten. In: Zeitschrift für slavische Philologie 63, H. 2, S. 277-309.

Ders. (2009): Selbstorientalisierung in Narrativen polnischer Migranten. In: Zeitschrift für slavische Philologie 66, H. 1, S. 153-180.

Vincenz, Stanisław (2003): Na wysokiej połoninie. Bd. 2: Zwada. Sejny.

Vrak, Jan (1998): Obyčejné věci. Olomouc.

Wiegand, Hermann (2000): Makkaronische Dichtung. In: Harald Fricke (Hg.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Bd. II. Berlin / New York, S. 527-530.

Wittlin, Józef (1991): Sól ziemi. Wrocław.

Zduniak-Wiktorowicz, Małgorzata (2010): Współczesny polski pisarz w Niemczech – doświadczenia, tożsamość, narracja. Poznań.

Dies. (2013): E-migranten. Zwischen Polen und Deutschland. In: Daniel Henseler / Renata Makarska (Hg.): Polnische Literatur in Bewegung. Die Exilwelle der 1980er Jahre. Bielefeld, S. 31-46.

Original (Muszer 1999) Übersetzung (Muszer 2008) Normsprachlich wäre …
1. Ich kann nix dafür. (160) Nic za to nie mogę. (129) Nic na to nie poradzę.
2. Das hört sich nicht gut an. (201) Nie słyszy się to dobrze. (162) To nie brzmi dobrze.
3. Der Film existiert nicht. (92) Ten film nie egzystuje. (75) Takiego filmu nie ma.
4. Wir melden uns bei Ihnen. (69) Zameldujemy się u pana. (59) Odezwiemy się do pana.
5. Von Anfang an wußte ich, daß ich dort nichts zu suchen hatte. (156) Od początku wiedziałem, że nie mam tam nic do szukania. (125) Od początku wiedziałem, że nic tam po mnie.