Über »die Schwäche des allgemeinen Charakterisirens«

Johann Gottfried Herder

Und der allgemeine, philos[o]phische, menschenfreundliche Ton unsres Jahrhunderts gönnet, jeder entfernten Nation, jedem ältesten Zeitalter der Welt an Tugend und Glückseligkeit so gern »unser eigen Ideal?« ist so alleiniger Richter, ihre Sitten nach sich allein zu beurtheilen? zu verdammen? oder schön zu dichten? Ist nicht das Gute auf der Erde ausgestreut? Weil eine Gestalt der Menschheit und ein Erdstrich es nicht fassen konnte, wards vertheilt in tausend Gestalten, wandelt – ein ewiger Proteus! – durch alle Welttheile und Jahrhunderte hin – auch, wie er wandelt und fortwandelt, ists nicht größere Tugend oder Glückseligkeit des Einzeln, worauf er strebet, die Menschheit bleibt immer nur Menschheit – und doch wird ein Plan des Fortstrebens sichtbar – mein großes Thema!

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Man hat »über den Ursprung der Menschenseelen« so sonderbar mechanische Träume gehabt, als ob sie wahrlich von Leim und Koth gemacht wären. Sie lagen geformt im Monde, im Limbus und warteten, ohne Zweifel nackt und kalt, auf ihre prästabilirte Scheiden, oder Uhren, oder Kleider, die noch ungebildeten Leiber; nun ist Gehäuse, Kleid, Uhr fertig und der arme, so lang müßige Einwohner, wird mechanisch hinzugeführt, daß er – bei Leibe! nicht in sie würke, sondern nur mit ihr prästabilirt harmonisch, Gedanken aus sich spinet, wie er sie auch dort im Limbus spann, und sie, die Uhr des Körpers, ihm gleich schlage. Es ist wohl über die unnatürliche Dürftigkeit des Systems nichts zu sagen; aber, was dazu Anlaß geben können, gibt mir schwer zu denken. Ist Kraft da in der Natur, die aus zween Körpern, blos durch organischen Reiz, einen dritten bilde, der die ganze geistige Natur seiner Eltern habe, wie wirs an jeder Blume und Pflanze sehen: ist Kraft da in der Natur, daß zwo reizbare Fibern, auf gewisse Weise verflochten, einen Reiz geben, der aus Einer nicht entstehen konnte und jetzt von neuer Art ist, wie uns, dünkt mich, jeder Sinn, ja jeder Muskel analogisch zeige; ist endlich Kraft da, aus zwei Körpern, die uns tod dünken, aus der Vermischung zweier Elemente, wenns die Natur thut, einen Dritten darzustellen, der den vorigen ähnlich, aber ein neues Ding ist und durch Kunst in jene aufgelöst, all seine Kraft verliere; ist dies Alles, so unbegreiflich es seyn mag, da und nicht zu leugnen; wer ist nun, der den Gang der Analogie, den großen Gang der Schöpfung mit seinem Federmesserchen hier plötzlich abschneide und sage, daß der eröfnete Abgrund des Reizes zweener durch und durch organischer, lebenden Wesen, ohne den ja beyde nichts als todte Erdklumpen wären, jetzt in größter Innigkeit des Fortstrebens und der Vereinigung, keinen Abdruck von sich darstellen könne, in dem alle seine Kräfte leben. Hat das Herz Macht, Empfindungen, die um dasselbe gelagert sind, so zu einen, daß Ein Trieb, Eine Begierde werde: hat der Kopf Macht, Empfindungen, die den Körper durchwallen, in Eine Vorstellung zu fassen, und jene durch diese, die so andrer Natur scheint, zu lenken; wie, daß nicht aus der Flamme aller vereinigten Reize und Leben Ein Lebensfunke, gleichsam im schnellen Fluge und also über den kriechend langsamen Gang mechanischer Stock- und Triebwerke weit hinaus, zu einer neuen höhren Stufe seiner Läuterung walle, und als Abguß aller Kräfte zweier für einander geschaffener Wesen, erstes Principium eines Lebens höherer Ordnung werde? Keimt nicht alles Leben weiter? läutert sich nicht jeder Funke der Schöpfung durch Kanäle zu feinerer Flamme hinauf? und hier sprang ja der beseelteste Funke des Reizes und der Schöpfungkraft zweener durch und durch beseelten Wesen. […] Überhaupt ist in der Natur nichts geschieden, alles fließt durch unmerkliche Übergänge auf- und ineinander; und gewiß, was Leben in der Schöpfung ist, ist in allen Gestalten, Formen und Kanälen nur Ein Geist, Eine Flamme.

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Niemand in der Welt fühlt die Schwäche des allgemeinen Charakterisirens mehr als ich. Man mahlet ein ganzes Volk, Zeitalter, Erdstrich – wen hat man gemahlt? Man fasset auf einander folgende Völker und Zeitläufte, in einer ewigen Abwechslung, wie Wogen des Meeres zusammen – wen hat man gemahlt? wen hat das schildernde Wort getroffen? – Endlich man faßt sie doch in Nichts, als ein allgemeines Wort zusammen, wo jeder vielleicht denkt und fühlt, was er will – unvollkommenes Mittel der Schilderung! wie kann man mißverstanden werden!

Wer bemerkt hat, was es für eine unaussprechliche Sache mit der Eigenheit eines Menschen sey, das Unterscheidende unterscheidend sagen zu können? wie Er fühlt und lebet? wie anders und eigen Ihm alle Dinge werden, nachdem sie sein Auge siehet, seine Seele mißt, sein Herz empfindet – welche Tiefe in dem Charakter nur Einer Nation liege, die, wenn man sie auch oft gnug wahrgenommen und angestaunet hat, doch so sehr das Wort fleucht, und im Worte wenigstens so selten einem jeden anerkennbar wird, daß er verstehe und mitfühle – ist das, wie? wenn man das Weltmeer ganzer Völker, Zeiten und Länder übersehen, in einen Blick, ein Gefühl, ein Wort fassen soll! Mattes halbes Schattenbild vom Worte! Das ganze lebendige Gemählde von Lebensart, Gewohnheiten, Bedürfnissen, Landes- und Himmelseigenheiten müßte dazu kommen, oder vorhergegangen seyn; man müßte erst der Nation sympathisiren, um eine einzige ihrer Neigungen und Handlungen, alle zusammen zu fühlen, Ein Wort finden, in seiner Fülle sich alles denken – oder man lieset – ein Wort.

Wir glauben alle, noch jetzt väterliche und häusliche und menschliche Triebe zu haben, wie sie der Morgenländer: Treue und Künstlerfleiß haben zu können, wie sie der Ägypter besaß: phönicische Regsamkeit, griechische Freyheitliebe, römische Seelenstärke – wer glaubt nicht zu dem allen Anlage zu fühlen, wenn nur Zeit, Gelegenheit – – und siehe! mein Leser, eben da sind wir. Der feigste Bösewicht hat ohne Zweifel zum großmüthigsten Helden noch immer entfernte Anlage und Möglichkeit; aber zwischen dieser und »dem ganzen Gefühl des Seyns, der Existenz in solchem Charakter« – Kluft! fehlte es dir also auch an nichts, als an Zeit, an Gelegenheit, deine Anlagen zum Morgenländer, zum Griechen, zum Römer in Fertigkeiten und gediegne Triebe zu verwandeln – Kluft! nur von Trieben und Fertigkeiten ist die Rede. Ganze Natur der Seele, die durch alles herrscht, die alle übrige Neigungen und Seelenkräfte nach sich modelt, noch auch die gleichgültigsten Handlungen färbet – um diese mitzufühlen, antworte nicht aus dem Worte, sondern gehe in das Zeitalter, in die Himmelsgegend die ganze Geschichte, fühle dich in alles hinein – nun allein bist du auf dem Wege, das Wort zu verstehen; nun allein aber wird dir auch der Gedanke schwinden, »als ob alles das einzeln oder zusammen genommen auch du seyst!« Du alles zusammen genommen? Quintessenz aller Zeiten und Völker? das zeigt schon die Torheit!

Charakter der Nationen! Allein Data ihrer Verfassung und Geschichte müssen entscheiden. Hat nicht ein Patriarch, aber außer den Neigungen, die »du ihm beymissest, auch andre gehabt? haben können?« ich sage zu beyden blos: Allerdings! Allerdings hatte er andre, Nebenzüge, die sich aus dem, was ich gesagt oder nicht gesagt, von selbst verstehen, die ich, und vielleicht andre mit mir, denen seine Geschichte vorschwebt in dem Worte schon anerkennen, und noch lieber, daß er weit andres haben können – auf anderm Ort, zu der Zeit, mit dem Fortschritte der Bildung unter den andern Umständen – warum da nicht Leonidas, Cäsar und Abraham ein artiger Mann unsres Jahrhunderts? Seyn können: aber wars nicht: darüber frage die Geschichte: davon ist die Rede.

So mache ich mich ebenfalls auf kleinfügige Widersprüche gefaßt aus dem großen Detail von Völkern und Zeiten. Daß kein Volk lange geblieben und bleiben konnte was es war, daß Jedes, wie jede Kunst und Wissenschaft und was in der Welt nicht? seine Periode des Wachsthums, der Blüthe und der Abnahme gehabt; daß jedwede dieser Veränderungen nur das Minimum von Zeit gedauert, was ihr auf dem Rade des menschlichen Schicksals gegeben werden konnte – daß endlich in der Welt keine zwey Augenblicke dieselben sind – daß also Ägypter, Römer und Grieche auch nicht zu allen Zeiten dieselben gewesen – ich zittre, wenn ich denke, was weise Leute, zumal Geschichtkenner, für weise Einwendungen hierüber machen können! Griechenland bestand aus vielen Ländern: Athenienser und Böotier, Spartaner und Korinthier war sich nichts minder als gleich – – Trieb man nicht auch in Asien den Ackerbau? Haben nicht Ägypter einmal eben so gut gehandelt wie Phönicier? Waren die Macedonier nicht eben so wohl Eroberer als die Römer? Aristoteles nicht eben so ein spekulativer Kopf als Leibniz? Übertrafen unsre nordische Völker nicht die Römer an Tapferkeit? Waren alle Ägypter, Griechen, Römer – sind alle Ratten und Mäuse einander gleich – nein! aber sie sind doch Ratten und Mäuse!

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So wie das ganze menschliche Geschlecht unmöglich Eine Herde bleiben konnte: so konnte es auch nicht eine Sprache behalten. Es wird also eine Bildung verschiedner Nationalsprachen.

Im eigentlichen metaphysischen Verstande ist schon nie eine Sprache bei Mann und Weib, Vater und Sohn, Kind und Greis möglich. Man gehe z.E. unter den Morgenländern die langen und kurzen Vokale, die mancherlei Hauche und Kehlbuchstaben, die leichte und so mannigfaltige Verwechselung der Buchstaben von einerley Organ, die Ruhe, und Sprachzeichen, mit allen Verschiedenheiten, die sich schriftlich so schwer ausdrücken laßen, durch: Ton und Accent: Vermehrung und Verringerung deßelben und hundert andre zufällige Kleinigkeiten in den Elementen der Sprache: und bemerke auf der andern Seite die Verschiedenheit der Sprachwerkzeuge bei beiderlei Geschlecht, in der Jugend und im Alter, auch nur bei zween gleichen Menschen nach so manchen Zufällen und Einzelnheiten, die den Bau dieser Organe verändern, bei so manchen Gewohnheiten, die zur zweiten Natur werden u s w. So wenig als es zween Menschen ganz von einerlei Gestalt und Gesichtszügen: so wenig kann es zwo Sprachen, auch nur der Aussprache nach, im Munde zweener Menschen geben, die doch nur eine Sprache wären.

Jedes Geschlecht wird in seine Sprache Haus und Familienton bringen: das wird, der Aussprache nach, verschiedne Mundart.

Clima, Luft und Wasser, Speise und Trank, werden auf die Sprachwerkzeuge und natürlich auch auf die Sprache einfließen.

Die Sitte der Gesellschaft und die mächtige Göttin der Gewohnheit werden bald nach Geberden und Anstand diese Eigenheiten und jede Verschiedenheit einführen – ein Dialekt. – – »Ein philosophischer Versuch über die verwandten Spracharten der Morgenländer« wäre der angenehmste Beweis dieser Sätze.

Das war nur Aussprache. Aber Worte selbst, Sinn, Seele der Sprache – welch ein unendliches Feld von Verschiedenheiten. Wir haben gesehen, wie die ältesten Sprachen voller Synonyme haben werden müssen, und wenn nun von diesen Synonymen dem Einen dies, dem andern jenes geläufiger, seinem Sehepunkt angemessner, seinem Empfindungskreise ursprünglicher, in seiner Lebensbahn öfter vorkommend, kurz von mehrerm Eindruck auf ihn wurde, so gabs Lieblingsworte, eigne Worte, Idiotismen, ein Idiom der Sprache.

Bei jenem ging jenes Wort aus; das blieb. Jenes ward durch einen Nebengesichtspunkt von der Hauptsache weggebogen; hier veränderte sich mit der Zeitfolge der Geist des Hauptbegriffs selbst – da wurden also eigne Biegungen, Ableitungen, Veränderungen, Vor- und Zusätze und Versetzungen und Wegnahmen von ganzen und halben Bedeutungen – ein neues Idiom! und das alles so natürlich, als Sprache dem Menschen Sinn seiner Seele ist.

Je lebendiger eine Sprache, je näher sie ihrem Ursprunge, und also noch in den Zeiten der Jugend und des Wachsthums ist: desto veränderlicher. Ist sie nur in Büchern da, wo sie nach Regeln gelernt, nur in Wissenschaften und nicht im lebendigen Umgange gebraucht wird, wo sie ihre bestimmte Zahl von Gegenständen und von Anwendungen hat, wo also ihr Wörterbuch geschlossen, ihre Grammatik geregelt, ihre Sphäre fixiert ist – eine solche Sprache kann noch eher im Merklichen unverändert bleiben, und doch auch da nur im Merklichen – – Allein eine im wilden freien Leben, im Reich der großen, weiten Schöpfung, noch ohne förmlich geprägte Regeln, noch ohne Bücher und Buchstaben und angenommene Meisterstücke; so dürftig und unvollendet, um noch täglich bereichert werden zu müssen, und so jugendlich gelenkig um es noch täglich auf den ersten Wink der Aufmerksamkeit, auf den ersten Befehl der Leidenschaft und Empfindung werden zu können – sie muß sich verändern in jeder neuen Welt, die man sieht, in jeder Methode, nach der man denkt und fortdenkt. Ägyptische Gesetze der Einförmigkeit können hier nicht das Gegentheil bewürken.

Nun ist offenbar der ganze Erdboden für das Menschengeschlecht und dies für den ganzen Erdboden gemacht – (ich sage nicht, jeder Bewohner der Erde, jedes Volk ist plötzlich durch den raschesten Übersprung für das entgegengeseztteste Clima und so für alle Weltzonen: sondern das ganze Geschlecht für den ganzen Erdkreis). Wo wir uns umher sehen, da ist der Mensch so zu Hause wie die Landtiere, die ursprünglich für diese Gegend bestimmet sind. Er dauret in Grönland unter dem Eise und bratet sich in Guinea unter der senkrechten Sonne; ist auf seinem Felde, wenn er in Lappland mit dem Rennthier über den Schnee schlüpft, und wenn er die arabische Wüste mit dem dürstigen Kamel durchtrabet. Die Höle der Troglodyten und die Bergspitzen der Kabylen, der Rauchcamin der Ostjaken und der goldne Palast des Moguls enthält – Menschen. Für die ist die Erde am Pol geplättet und am Äquator erhöhet: für die wälzt sie sich so und nicht anders um die Sonne: für die sind ihre Zonen und Jahreszeiten und Veränderungen – und diese sind wieder für die Zonen, für die Jahreszeiten und Veränderungen der Erde. Das Naturgesetz ist also auch hier sichtbar: »Menschen sollen überall auf der Erde wohnen, da jede Thiergattung blos ihr Land und engere Sphäre haben:« der Erdbewohner wird sichtbar. Und ist das, so wird auch seine Sprache Sprache der Erde. Eine neue in jeder neuen Welt; Nationalsprache in jeder Nation – ich kann alle vorige Bestimmungsursachen der Veränderung nicht wiederholen – die Sprache wird ein Proteus auf der runden Oberfläche der Erde.

Manche neue Modephilosophen haben diesen Proteus so wenig fesseln und in seiner wahren Gestalt erblicken können, daß es ihnen wahrscheinlicher vorgekommen, daß die Natur in jeden grossen Erdstrich so gut ein paar Menschen, zu Stammältern habe hinschaffen können, wie in jedes Klima eigne Tiere. Diese hätten sich so dann solch eine eigne Land- und Nationalsprache erfunden, wie ihr ganzer Bau nur für dies Land sei gemacht worden. Der kleine Lappländer mit seiner Sprache und mit seinem dünnen Bart, mit seinen Geschicklichkeiten und seinem Temperament sei ein so ursprünglich lappländisches Menschenthier als sein Rennthier; und der Neger mit seiner Haut, mit seiner Tintblassenschwärze, mit seinen Lippen und Haar und Truthünersprache, und Dummheit und Faulheit sei ein natürlicher Bruder der Affen desselben Klimas. Es sei so wenig Ähnlichkeit zwischen den Sprachen der Erde auszuträumen, als zwischen den Bildungen der Menschengattungen; und es hieße sehr unweise von Gott gedacht, nur ein Paar Menschen als Stammeltern für die ganze Erde so schwach und schüchtern, zum Raube der Elemente und Thiere in einen Erdewinkel dahingesezt und einem tausendfachen Ungefähr von Gefahren überlassen zu haben – –

Wenigstens, fährt eine weniger behauptende Meinung fort, wäre die Sprache eine natürliche Produktion des menschlichen Geistes, die sich nur allmählig mit dem Menschengeschlecht nach fremden Climaten hingezogen hätte: so müßte sie sich auch nur allmählich verändert haben. Man müßte die Abändrung, den Fortzug, und die Verwandschaft der Völker im Verhältnisse fortgehen sehen, und sich überall nach kleinen Nuancen von Denk- und Mund- und Lebensart genaue Rechenschaft geben können. Wer aber kann das? Findet man nicht in demselben Clima, ja dicht aneinander in allen Welttheilen kleine Völker, die in einerlei Kreise so verschiedne und entgegengesezte Sprachen haben, daß alles ein Böhmischer Wald wird? Wer Reisebeschreibungen von Nord- und Südamerica, von Africa und Asien gelesen, dem dörfen nicht die Stämme dieses Waldes vorgerechnet werden – hier, schließen diese Zweifler, hört also alle menschliche Untersuchung auf.

Und weil diese lezten blos zweifelen, so will ich versuchen, zu zeigen, daß hier die Untersuchung nicht aufhöre, sondern daß sich diese »Verschiedenheit dicht an einander eben so natürlich erklären lasse, als die Einheit der Familiensprache in Einer Nation.«

Die Trennung der Familien in abgesonderte Nationen geht gewiß nicht nach den langweiligen Verhältnissen von Entfernung, Wanderung, neuer Beziehung und dergl., wie der müßige kalte Philosoph, den Zirkel in der Hand, auf der Landkarte abmißt und wie nach diesem Maaße große Bücher von »Verwandschaften der Völker« geschrieben worden, an denen alles, nur die Regel nicht wahr ist, nach der alles berechnet wurde. Thun wir einen Blick in die lebendige, würksame Welt, so sind Triebfedern da, die die Verschiedenheit der Sprache unter den nahen Völkern sehr natürlich veranlassen müssen, nur man wolle den Menschen nach keinem Lieblingssystem umzwingen. Er ist kein Rousseauscher Waldmann: er hat Sprache. Er ist kein Hobbesischer Wolf: Er hat eine Familiensprache. Er ist aber auch in andern Verhältnissen kein unzeitiges Lamm: Er kann sich also entgegengesezte Natur, Gewohnheit und Sprache bilden – kurz! »der Grund von dieser Verschiedenheit so naher kleiner Völker in Sprache, Denk- und Lebensart ist – gegenseitiger Familien- und Nationalhaß.«

Ohne alle Verschwärzung und Verketzerung der menschlichen Natur können zween oder mehrere nahe Stämme, wenn wir uns in ihre Familiendenkart setzen, nicht anders, als bald Gegenstände des Zwistes finden. Nicht blos, daß ähnliche Bedürfnisse sie bald in einen Streit, wenn ich so sagen darf, des Hungers und Durstes verwickeln, wie sich z. E. zwo Rotten von Hirten über Brunnen und Weide zanken, und nach Beschaffenheit der Weltgegenden oft sehr natürlich zanken dörfen; ein viel heißerer Funke glimmt ihr Feuer an – Eifersucht, Gefühl der Ehre, Stolz auf ihr Geschlecht und ihren Vorzug. Dieselbe Familienneigung, die in sich selbst gekehret, Stärke der Eintracht Eines Stammes gab, macht außer sich gekehrt, gegen ein andres Geschlecht, Stärke der Zwietracht, Familienhaß! dort zogs viele zu Einem desto vester zusammen; hier machts aus zwei Partheien gleich Feinde. Der Grund dieser Feindschaft und ewigen Kriege ist in solchem Falle mehr edle menschliche Schwachheit als niederträchtiges Laster.

Da die Menschheit auf dieser Stuffe der Bildung mehr Kräfte der Würksamkeit als Güter des Besitzes hat: so ist auch der Stolz auf jene mehr Ehrenpunkt, als das leidige Besitzthum der lezten wie in spätern nervenlosen Zeiten. Ein braver Mann zu seyn, und einer braven Familie zu gehören war aber im damaligen Zeitalter fast Eins, da der Sohn in vielem Betracht noch eigentlicher als bei uns seine Tugend und Tapferkeit vom Vater erbte, lernte, und der ganze Stamm überhaupt bei allen Gelegenheiten für einen braven Mann stand. Es ward also bald das Wort natürlich: wer nicht mit und aus uns ist, der ist unter uns! der Fremdling ist schlechter als wir, ist barbar. In diesem Verstande war Barbar das Losungswort der Verachtung: ein fremder und zugleich ein unedlerer, der uns an Weißheit oder Tapferkeit, oder was der Ehrenpunkt des Zeitalters sei, nicht gleichkommt.

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»So wie nach aller Wahrscheinlichkeit das menschliche Geschlecht Ein progressives Ganze von Einem Ursprunge in einer großen Haushaltung ausmacht: so auch alle Sprachen, und mit ihnen die ganze Kette der Bildung.«

Der sonderbare charakteristische Plan ist bemerkt, der über einen Menschen waltet: seine Seele ist gewohnt, immer das, was sie sieht, zu reihen mit dem, was sie sAhe, und durch Besonnenheit wird also »ein progressives Eins aller Zustände des Lebens« – Mithin Fortbildung der Sprache.

Der sonderbare charakteristische Plan ist bemerkt, der über ein Menschengeschlecht waltet, daß durch die Kette des Unterrichts Eltern und Kinder Eins werden, und jedes Glied also nur von der Natur zwischen zwei andre hingeschoben wird, um zu empfangen und mitzutheilen – dadurch wird »Fortbildung der Sprache.«

Endlich geht dieser sonderbare Plan auch aufs ganze Menschengeschlecht fort; und dadurch wird »eine Fortbildung im höchsten Verstande,« die aus den beiden vorigen unmittelbar folgt.

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Wie verdrüßlich muß es werden, zum Publikum zu reden, wo man vom schreyenden Theile (der edler denkende Theil schweigt!) sich immer dergleichen und noch ärgere Einwendungen, und in welchem Tone vorgetragen versehen muß, und sichs denn zugleich versehen muß, daß der große Haufe Schaafe, der nicht weiß, was rechts und links ist, dem so gleich nachwähne.