Frankfurt a. M. u.a.: Peter Lang 2011, ISBN 978-3-631-52153-3, 49,80 Euro
Im Unterschied zur inzwischen gut etablierten Orientalismus-Forschung stellt die Auseinandersetzung mit textuellen Repräsentationen Afrikas nach wie vor ein Randgebiet der (interkulturellen) Germanistik dar. Indes ist seit der Jahrtausendwende eine durchaus beträchtliche Zahl von Arbeiten zu dieser Thematik erschienen, der sich denn auch die Dissertation des in Abidjan und Berlin lehrenden Literaturwissenschaftlers Lacina Yéo zuwendet. Vom Gros vergleichbarer Studien hebt sich die (etwas umständlich betitelte) Untersuchung dadurch ab, dass sie nicht der Literatur des kolonialen Zeitalters gewidmet ist, sondern vornehmlich fiktionalen wie faktualen deutschsprachigen Texten, die seit Beginn der 1960er Jahre entstanden sind. Des Weiteren fällt auf, dass Yéo im Rahmen seiner einleitenden Rekonstruktion des postkolonialen Denkens vor allem auf ältere, dem politischen Befreiungskampf verpflichtete Positionen afrikanischer und karibischer Intellektueller wie Léopold Sédar Senghor, Aimé Cesairé und Frantz Fanon rekurriert. Diese eher unübliche Schwerpunktsetzung wirkt anfangs erfrischend, geht aber mit einer gewissen Vernachlässigung der neueren, diskursanalytisch und dekonstruktivistisch ausgerichteten postkolonialen Theorie einher: In diesem Zusammenhang beschränkt sich Yéo im Wesentlichen darauf, die Einleitung von Paul Michael Lützelers Anthologie Der postkoloniale Blick. Deutsche Schriftsteller berichten aus der Dritten Welt (1997) zu referieren. Die Grundlagentexte von Edward Said, Homi Bhabha oder Gayatri Spivak hingegen werden nicht hinreichend – und sei es kritisch – gewürdigt, sondern allenfalls knapp erwähnt.
Yéos erstes Hauptkapitel befasst sich mit im deutschen Sprachraum unternommenen Bemühungen um eine »Rehabilitation des vorkolonialen Afrikas« (33). Im Zentrum steht dabei der Schriftsteller, Übersetzer und Herausgeber Janheinz Jahn, der sich unermüdlich für die Popularisierung afrikanischer Literaturen in der Bundesrepublik engagierte. Speziell Jahns Reisebericht Durch afrikanische Türen. Erlebnisse und Begegnungen in Westafrika (1960) gilt Yéo als Beleg für dessen wichtige Rolle als Kulturmittler:
Ihm ist zu verdanken, dass die Geschichte und die kulturelle Vergangenheit einer bisher unbeachteten Weltgegend dem deutschen Publikum nahegebracht […] wurden. (49)
Im deutlich umfänglicheren Folgekapitel kompiliert Yéo zunächst Äußerungen Hans Christoph Buchs und einiger weiterer Autor(inn)en zum transatlantischen Sklavenhandel, ehe er etwas detailliertere Interpretationen von Peter Weiss’ Drama Gesang vom Lusitanischen Popanz (1967) und Uwe Timms Roman Morenga (1978) präsentiert. Dort kommt er unter anderem zu dem Schluss, dass Weiss’ literarische »Aufarbeitung« (80) der angolanisch-portugiesischen Kolonialgeschichte von dessen Bereitschaft zeuge,
seine ganze Kraft für die Errichtung einer festen Schutzmauer gegen andauernde Menschenrechtsverletzungen […] aufzubieten. (85)
Die besondere Qualität von Timms erzählerischer Annäherung an die namibisch-deutsche Vergangenheit meint Yéo in der »konsequenten Darstellungsweise aus der Sicht der Betroffenen« (109) zu erkennen – was insofern verblüfft, als in Morenga fast durchweg darauf verzichtet wird, die Perspektive der Kolonisierten zu gestalten. Doch für Timms narrative Strategien scheint sich Yéo wenig zu interessieren, und eine ähnliche Unterbelichtung formaler Aspekte kennzeichnet auch seine anschließende Beschäftigung mit einer Reihe von Texten, die das südafrikanische Apartheidregime thematisieren. Denn unabhängig davon, ob er die Dokumentarliteratur Erika Runges, einen Roman Thomas Ross’ oder die Lyrik Rudolf Hagelstanges in den Blick nimmt: Yéo belässt es überwiegend bei Kommentaren wie dem, dass »[d]er Leser […] zum Mitfühlen aufgefordert [wird].« (149)
Das Schlusskapitel untersucht daraufhin Fragen von »Identität und Alterität im postimperialen Zeitalter« (156), wie sie in Timms Erstling Heißer Sommer (1974), Hubert Fichtes unter dem Titel Psyche (1990) publizierten Glossen oder Buchs autobiografisch gefärbtem Roman Kain und Abel in Afrika (2001) aufgegriffen werden. Die Resultate, zu denen Yéo hier gelangt, gleichen freilich jenen, die er schon zuvor formuliert hat. So erweise sich Fichte als ein Autor von »tolerante[r] Gesinnung«, dem es stets darum zu tun gewesen sei, »Gerechtigkeit, Frieden und gegenseitige Akzeptanz zwischen den Kulturen fördernd zu fordern« (164). Timm und Buch wiederum werden dafür gepriesen, in ihrem Schreiben »neokoloniale Herrschaftsformen zu entlarven« (188).
Ein Verdienst Yéos besteht darin, dass er auf einige Werke hinweist, die der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit bislang entgangen sind, und manch triftige Einzelbeobachtung zu ihnen vorbringt. Allerdings drängt sich die Frage auf, weshalb er lediglich in der Bundesrepublik erschienene Texte berücksichtigt, obwohl doch gerade deren Kontrastierung mit Veröffentlichungen aus der DDR ergiebig gewesen wäre. Außerdem gerät es in methodischer Hinsicht heikel, dass sich Yéo zwar zustimmend auf die Diskursanalyse im Sinne Foucaults bezieht (vgl. bes. 178), aber dennoch permanent danach strebt, die Intentionen der von ihm behandelten Autor(inn)en zu ergründen und – das sollte bereits deutlich geworden sein – ihre moralischen Anschauungen mit seinen eigenen Wertüberzeugungen abzugleichen. Interpretatorische Mindeststandards werden dabei nicht selten unterlaufen, etwa wenn Yéo die Äußerungen literarischer Figuren (oder eines lyrischen Ichs) kurzerhand zu Autoraussagen erklärt (vgl. 89 u. 149) und den Protagonisten eines Romans ohne Umschweife mit einer historischen Person identifiziert (vgl. 141 f.).
Ferner hat Yéos Begriffsgebrauch zur Folge, dass seine Ausführungen jener Political Correctness entbehren, die er den untersuchten Texten meist attestiert. So registriert er zwar die rassifizierende Konnotation des »nicht unumstrittene[n]« Terminus »›Schwarzafrika‹« (1), enthält sich aber einer Begründung dafür, dass er ihn gleichwohl verwendet. Auch historisch belastete Bezeichnungen wie »Eingeborene[ ]« (127 u.ö.) oder »Hottentotten« (110 u.ö.) werden immer wieder unmarkiert und unreflektiert gebraucht, und bisweilen liest man gar irritierende Verlautbarungen wie die folgende:
Ich meine: Das Versagen der postkolonialen Führungsschicht legitimiert implizit die kolonialistisch rassistischen Klischeevorstellungen, Neger seien unfähig, ihr eigenes Schicksal in die Hände zu nehmen (217).
Seinen pädagogisierenden Impetus, der sich vor allem in emphatischen (und redundanten) Beschwörungen von »Toleranz und Völkerverständigung« (24) manifestiert, führt der Autor auf diese Weise ad absurdum.
Keineswegs unproblematisch ist auch der Umgang, den Yéo mit der existierenden Forschung pflegt. Dies liegt nicht allein daran, dass er auf eine bibliografische Aktualisierung seiner schon im Jahr 2003 abgeschlossenen Dissertation verzichtet hat. Vielmehr wird selbst die ältere Literatur nur sehr lückenhaft aufgearbeitet, was neben dem kurzen Abschnitt zum (vermeintlichen) Forschungsstand (vgl. 21-27) insbesondere die Erörterungen zu Timms breit rezipiertem Morenga-Roman veranschaulichen. Dies ist umso erstaunlicher, als Yéos Studie zu großen Teilen in Berlin entstanden ist (vgl. IX f.) und der Verfasser demnach Zugang zu den einschlägigen Veröffentlichungen hatte.
Es kommt hinzu, dass der Nachvollzug von Yéos Darlegungen durch ihren assoziativen und einigermaßen unübersichtlichen Charakter erschwert wird. Übergreifende Fragestellungen, mittels derer sich das inhaltlich und formal ausgesprochen heterogene Korpus systematisch erschließen ließe, sind kaum auszumachen, und häufig verliert sich Yéo in Exkursen – beispielsweise über die bemannte Raumfahrt (vgl. 30f.) –, deren Funktion im Dunkeln bleibt. Dies gilt auch für seine spekulativen Überlegungen zum Zusammenhang von Kolonialismus, Nationalsozialismus und Apartheid (vgl. 113-122) oder das sehr persönlich gehaltene »Plädoyer für die Renaissance der afrikanischen Zivilisation« (193), in dem Yéo für eine »Aufwertung der afrikanischen Sprachen« (205) eintritt. Obendrein referiert er seitenlang biografische und historische Fakten, und oftmals zitiert er in ermüdender Ausführlichkeit aus den von ihm analysierten Schriften, aus populären Nachschlagewerken oder aus Klappentexten.
Ihre Entsprechung findet die inkohärente Gesamtanlage von Yéos Arbeit in etlichen unidiomatischen und mitunter schlicht unverständlichen Sätzen sowie in einzelnen Passagen, die ausschließlich aus stichwortartigen Aufzählungen bestehen (vgl. 25f., 78 u. 130f.). Auch die zahllosen Schreibfehler und unvollständigen Literaturverweise geben zu erkennen, dass der Verlag jegliches Korrektorat für überflüssig erachtet hat. Alles in allem fällt Yéos Studie somit weit hinter eine vom Gegenstand her verwandte Monografie wie Monika Albrechts »Deutschland ist nicht die Welt«. (Post)Kolonialismus in Literatur und Geschichte der westdeutschen Nachkriegszeit (2008) zurück. Dem ebenso interessanten wie relevanten Thema, dem sich der Verfasser gestellt hat, wird seine Untersuchung leider nur bedingt gerecht.